Schuldgefühle
Ein Blick über die Schulter. Keiner ist mir gefolgt. Ob er wohl noch auf mich wartet? Ich gehe den Weg zurück, den ich vorhin lachend mit meinen Freunden gegangen bin.
Wir haben dich wieder ganz schön zugerichtet, sage ich. Er sitzt immernoch zusammengekrümmt in der Ecke und hält sich den Bauch. Er blickt hoch und funkelt mich an. Ich kann das nicht ernst nehmen.
Ich weiß schließlich, dass er sich freut.
Ich knie mich neben ihn und streiche ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Tut mir leid, sage ich.
Er sagt, das weiß er. Vielleicht lügt er auch.
Er hat einen blauen Fleck auf der Wange und seine Augen sind zugequollen. Diese Blöße würde er sich niemals geben, aber ich glaube, dass er geweint hat.
Danke, dass du dich um mich kümmerst.
Ich nicke. Ist doch selbstverständlich, sage ich.
Natürlich ist es das nicht. Wenn James davon wüsste, wäre ich als nächster dran. Aber ich kann nicht anders.
Helfersyndrom?
Ich lange in meine Schultasche und krame ein in Cellophan eingewickteltes Stück Schokolade hervor.
Ist angebissen. Möchtest du trotzdem, frage ich. Er sagt nichts, nimmt das Stück aber trotzdem. Packt es aus, steckt es sich in den Mund. Er kaut nicht, sondern lutscht bedächtig darauf herum.
Ich betrachte ihn. Sein Gesicht wirkt viel zu alt. Als hätte er schon viel durchgemacht. Er hat schwarze Schatten unter den Augen und eingefallene Wangen.
Es tut mir weh, dass ich einer der Gründe bin, warum er so unglücklich ist.
Schuldgefühle?
Wie das alles eigentlich angefangen hat?
Schwer zu beantworten. Vielleicht waren es wirklich nur Schuldgefühle, aber nach einem Streit, konnte ich es mit den anderen nicht mehr aushalten.
Wie sie über ihn hergezogen sind und über ihn gelacht haben.
Vier gegen einen. Natürlich ist das unfair. Den Typen, der sich da noch wehrt, will ich erst einmal kennen lernen.
Ich hatte erwartet, dass er mich gleich wieder wegschickt, aber es ist irgendwie anders gekommen und dann konnte ich es nicht mehr kontrollieren.
Es hat mir gut getan, mich um ihn zu kümmern und seine Wunden zu versorgen und es hat mich beruhigt.
Eine Art von gegenseitiger Abhängigkeit vielleicht?
Er sieht mich an.
Sein Blick sagt so viel, das sein Mund sich nicht auszusprechen traut. Ich kann nicht anders, als meinen Arm um seine Schulter zu legen und ihn an mich zu ziehen.
Er wehrt sich nicht, aber erwiedert auch nicht meine Umarmung.
Ich weiß nicht, ob er es jetzt lieber hätte, wenn ich ihn loslassen würde. Ich frage ihn, soll ich dich lieber in Ruhe lassen?
Ein Weile nichts, dann schüttelt er den Kopf.
Fragt mich nicht, was das zwischen uns ist. Ich fühle mich ihm gegenüber verantwortlich.
Wenn wir alleine sind nur umso mehr. Da ich es nicht darf, wenn man uns beobachtet.
Wieder sieht er mich an. Ich fange seinen Blick mit meinen Augen auf.
Gleichzeitig öffnen wir den Mund um etwas zu sagen.
Danke, sagt er.
Es tut mir leid, sage ich.
