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Katenha

von

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Was auch immer es gewesen war, es hatte sich schlimmer angefühlt als eine Achterbahnfahrt und selbst diese fand Raven schon grausam. Aus diesem Grund lag er auf einem steinigen, unbequemen Boden und übergab sich gegen seinen Willen zum zweiten oder dritten Mal. Entweder waren Menschen einfach nicht für diese Art der Fortbewegung geschaffen oder es lang an Dius nur halb entwickelten Katenhafähigkeiten. Vielleicht wegen beiden Faktoren.

Nachdem Raven auf sehr unschöne Weise sein ganzes Frühstück losgeworden war, setzte er sich stöhnend auf, hielt sich den Kopf und suchte nach Diu, den er zum Glück recht schnell fand. Er befand sich nur ein kleines Stück von ihm entfernt in einer schmalen Kuhle und schien kaum bei Bewusstsein zu sein. Da hatte sich wohl jemand überschätzt, aber immerhin hatten sie noch ihr Gepäck, ohne das sie ziemlich aufgeschmissen gewesen wären. Nur den Katastrophenmantel konnte Raven nirgends entdecken, was ihn kein bisschen störte, so musste er weniger tragen und hatte einen guten Grund, seine Eltern per Post zu terrorisieren, ihm einen neuen zu kauen. Hoffentlich taten diese Sparbrötchen das auch.

Falls er irgendwann heil aus der Sache herauskam.

Vorsichtig krabbelte Raven zu Diu hinüber, zog ihn unter lautem Ächzen aus dem Loch und musste feststellen, dass sie ihren noch nicht geplanten Angriff auf die Aliens auf später verschieben konnten. Außer, er wollte sich auf der Stelle schnappen lassen, was in ihrem Zustand ganz schnell ging; er selbst schaffte ja nicht einmal, von A nach B zu laufen.

Mit den Zähnen knirschend packte Raven einen Berg Kleidungsstücke aus seinem Rucksack, baute daraus eine Art Nest und legte Diu dort hinein, damit er es beim Kräfte regenerieren gemütlich hatte.

Irgendwie waren sie als Rettungsteam eine große Lachnummer, wahrscheinlich hatte Raven sich und Diu einfach überbewertet und nicht daran gedacht, dass nicht alles nach Plan laufen würde. Im Nachhinein ärgerte er sich sehr darüber, sonst verhielt er sich doch auch nicht so strohdumm.

Aber daran ließ sich nichts mehr ändern, nun mussten sie das Beste aus der ganzen Sache machen und entweder Noevy und Jevo dort herausholen oder gleich die Kriminellen dazu bringen, mit ihren Entführungen aufzuhören und alle Leute frei zu lassen. Wobei letzteres sehr unwahrscheinlich war, wieso wollten die Katenha, die laut Diu so ungefähr die Alleskönner unter den Weltraumbewohnern waren, auf die Forderung eines 'normalen' unbedeutenden Jungens eingehen? Sie kannten ja nicht einmal eine Form von Mitleid gegenüber ihren ganzen Gefangenen, das machte die Angelegenheit doppelt unmöglich. Also planten sie besser, nur mit Jevo und Noevy zu verschwinden und den Rest hier zu lassen. Klang hart, aber vielleicht fand sich zurück auf der Erde eine Möglichkeit, diese unzivilisierte Station zu evakuieren. Wenn die Regierung erst wusste, was sich viele Kilometer von der Erde entfernt abspielte, konnte sie gezielt handeln und möglicherweise mit den Katenha ein Abkommen schließen, sich gegenseitig zu ignorieren.

„Raven, haben wir es geschafft?“ Müde blinzelte Diu und versuchte sich aufzusetzen, doch Raven drückte ihn zurück in die Polsterung und wies ihn an, sich eine Zeit lang auszuruhen und nicht zu bewegen.

„Kannst du mir etwas zu Trinken geben?“ Anscheinend war dieser Transport nicht so einfach, wie man erwartet hätte, zum Glück hatte Raven genügend Proviant eingepackt und gab somit Diu eine kleine Wasserflasche, die dieser auch sofort leertrank und sich deutlich zurückhalten musste, um nicht nach einer weiteren zu verlangen. So viel hatten sie nun doch nicht, außerdem brauchten sie es noch, um wohlbehalten zu dieser rot leuchtenden Halbkugel zu gelangen, die man von hier aus nicht sah. Schade, dass sie weder Karte noch Kompass besaßen.

„War es sehr schlimm?“, erkundigte sich Diu und schaute Raven besorgt an.

„Naja.“ Es gab wesentlich schönerer Erlebnisse. „Wenn ich nicht gekotzt hätte, wäre es fast noch erträglicher gewesen.“ Aber auch nur fast.

„Tut mir Leid, aber besser habe ich es nicht hinbekommen, eigentlich wollte ich wo ganz anders landen“, gab der Außerirdische leise zu.

„Keine Entschuldigungen.“ Die waren im Moment fehl am Platz. „Ohne dich würde ich mich immer noch mit meinen Klassenkameraden in der Schule herumschlagen, da ist mir das hier lieber, man kann wenigstens was tun.“ Ob es allerdings sinnvoll war, zweifelte er bisher an.

Als Antwort nickte Diu dazu schweigend ein wenig mit dem Kopf und rückte sich etwas auf dem Kleiderberg zurecht. Man sah ihm an, dass ihn diese Aussage Ravens erleichterte und er sich nicht wie ein fehlerhafter Gebrauchsgegenstand vorkommen musste. Denn er war nützlich, theoretisch sogar nützlicher als Raven, was diesem in diesem Augenblick wirklich klar wurde, aber zusammen ergänzten sie sich, sodass sie in diesem Zustand die größte Leistung erbrachten. Was in ihrer momentanen Situation auch nötig war.

„Wir müssen bald weiter, sonst kommen wir nie dort an.“ Obwohl er noch nicht richtig wiederhergestellt war, probierte Diu, sich aufzurichten und ihren Weg fortzusetzen, doch er landete gleich darauf unsanft auf dem Boden. Raven nahm das nur mit einem ungläubigen Kopfschütteln zur Kenntnis. Was half es ihnen, wenn der Kleine sich überschätzte und dadurch die Strecke zur Station im Schneckentempo zurücklegte?

„Jetzt warte erst mal, du bist noch nicht dazu bereit.“

„Ich will aber nicht, dass wir wegen mir schon wieder nicht vorankommen. Wer weiß, was schon mit deinem Bruder und den anderen passiert ist.“ Mit Provokation lief das aber auch nicht besser.

„Weißt du was?“ Nun musste er ein kleines Opfer bringen. „Ich trag dich solange, bis es dir besser geht. Einverstanden?“ Etwas anderes als ein 'ja' würde Raven allerdings nicht akzeptieren, er trug hier als älterer die Verantwortung, die er sich selbst auferlegt hatte – und nur so kamen sie weiter, das sollte Diu einsehen. Was er auch zum Glück tat, sodass Raven nicht nur seinen Rucksack mit sich schleppte, sondern auch den kleinen Außerirdischen inklusive Gepäck. Das konnte noch lustig werden, besonders sportlich war er nicht und außerdem behindertem ihn die Sachen sehr; damit zu laufen schien fast unmöglich. Aber er hatte es angeboten, also musste er es auch ausführen, sein eigenes Pech.

Diu, der sich an Ravens Rücken festklammerte, wog zu seiner Erleichterung nicht allzu viel, nur hatte er sich so nah an seinen Träger gedrückt, dass es Raven fast schon unangenehm war; kein Wunder, wenn man jahrelang keinen Menschen an sich heranließ und plötzlich mit einem kleinen grünen Zwerg konfrontiert wurde, für den das Thema Nähe kein großes Problem darstellte. Typisch Aliens – in diesem Fall Halbaliens –, sie wussten nicht wirklich, wie man am besten mit Menschen umging. Wobei Diu noch etwas mehr Ahnung als seine Artgenossen hatte und bei Raven an einen ziemlich schwierigen Jungen geraten war. Aber das hatte er schon früh gemerkt und versuchte daher, es ihm recht zu machen.

„Raven, hast du schon einen Plan, was wir machen, wenn wir an der Station angekommen sind? Einfach reingehen können wir ja nicht, ich weiß nicht, wie sie reagieren werden, wenn ich ohne Erlaubnis wieder dort auftauche.“

„Wir werden uns noch einen überlegen müssen, genug Zeit haben wir ja. Hoffentlich finden wir dieses Ding auch, sonst könnte es passieren, dass uns das Essen ausgeht. Ich weiß ja nicht, wie das bei dir ist, aber längerer Zeit ohne Essen halte ich nicht aus.“ Verhungern gehörte nicht zu den Dingen, die er erleben wollte.

„Wir werden es schon finden“, meinte Diu zuversichtlich und lehnte seinen Kopf an Ravens Schulter. „So weit liegen die Orte, wo ich hinmöchte und wo ich tatsächlich lande normalerweise nicht entfernt. Man muss nur in die richtige Richtung laufen, dann klappt das schon.“

Leider hatten sie damit wenig Erfolg, da sie nach einer Stunde immer noch über den unebenen Boden stolperten – eigentlich tat Raven das, sein Begleiter befand sich weiterhin auf seinem Rücken – und keine Anzeichen für nicht menschliche Zivilisation fanden. Hatten sie sich möglicherweise auf dieser kurzen Strecke verlaufen? Wenn das tatsächlich der Fall war, hätten sie ein Problem, obwohl eigentlich die ganze Geschichte ein einziges Problem war, das sie zusammen bald lösen sollten.

„Hast du irgendwelche Fähigkeiten, die uns die Richtung sagen? Ihr könnt doch so unglaublich viel, ich glaub nämlich nicht, dass wir zufällig auf dieses Gebäude stoßen, ist ziemlich unwahrscheinlich.“

„So viel ich weiß nicht, aber warte kurz.“ Diu begann sich zu konzentrieren. „Vielleicht sind wir nah genug dran, um die anderen reden zu hören.“ Immerhin ein kleiner Hoffnungsschimmer. „Hörst du etwas?“

„Wenn du die Klappe hältst, bestimmt.“ Manchmal musste man direkt sein.

Das schien Diu nichts auszumachen, denn er begann nicht herum zu jammern, sondern befolgte die Aufforderung, sodass sie mindestens fünf Minuten schweigend an einem Punkt verweilten und auf mögliche Geräusche lauschten.

„Hier ist nichts“, meinte Raven schließlich genervt, „was machen wir nun?“

„Wir müssen weiter, vielleicht hört man sie von woanders besser.“ Vorsichtig rutschte Diu von Raven herunter, um ihn nicht noch länger zusätzlich zu belasten. „Am besten versuchen wir, so zu gehen, dass wir einen Kreis um unseren Ausgangsort von vorhin machen, verstehst du?“

„Müsste ich eigentlich.“ Die Frage war eher, ob es funktionierte, ohne einen genau festgelegten Mittelpunkt, diese Form abzulaufen. „Los, fangen wir an.“

So starteten sie ihren Marsch, hielten von Zeit zu Zeit an, damit sie mögliche telepathischen Gespräche der Katenha abfingen – allerdings immer ohne Erfolg – und gingen dann weiter die geschätzte Route entlang, bis sie nach drei Stunden eine Pause einlegten; die Steine eschwerten nämlich das Laufen, vor allem für Diu, der sowieso noch ein wenig angeschlagen war.

Zwar spürten sie den ungemütlichen Boden trotz ihrer Schicht Kleidung, die ihnen als Unterlage diente, aber Diu verlor darüber kein Wort und Raven erst recht nicht, Beschwerden ließen die Steine nicht weicher werden; im Gegenteil, man fühlte sie dadurch viel deutlicher, weil man sich auf die konzentrierte.

„Fehlt dir eigentlich deine Mutter?“, fragte Raven unvermittelt, als der Kleinere dabei war, ein Brötchen zu essen. Verwundert sah dieser ihn an.

„Wie kommst du da drauf?“

„Weil du ständig nach ihr gerufen hast, als du krank warst.“

„Echt? Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.“ Diu kaute nachdenklich auf seinem Essen herum. „Natürlich vermisse ich sie, sie hat jahrelang auf mich aufgepasst und war eigentlich die einzige, mit der ich etwas gemacht habe. Du weißt ja, normalerweise sind wir eher Einzelgänger.“

„Du und deine Mutter, ihr scheint richtige Ausnahmen zu sein“, stellte Raven fest, „bist du dir sicher, dass sie nicht zufällig nur ein Halbkatenha ist?“

„Wenn es so wäre, hätte sie mir das bestimmt gesagt. Aber du bist auch nicht unbedingt so wie die anderen Menschen, kann das sein?“

„Zumindest nicht so wie meine Eltern. Oder wie meine dummen Mitschüler.“

„Und die vermisst du bestimmt nicht“, nahm Diu an.

„Wieso sollte ich? Meine Eltern haben mich rausgeworfen, auf die pfeif ich für die nächsten hundert Jahre. Und die anderen gehen mir einfach nur auf den Geist, da kann man nur froh sein, wenn sie nicht da sind, um zu nerven.“

„Nerv ich dich eigentlich auch?“, fragte Diu plötzlich leise.

„Naja, nicht wirklich, auf jeden Fall nicht so sehr, dass ich dich auf der Stelle loswerden möchte.“ Seine typische Art, nett zu klingen. Man merkte so gut wie immer, dass er das noch üben musste. Umgang mit anderen lag ihm nicht, seine sozialen Kompetenzen waren mehr als mangelhaft.

„Das zähl ich jetzt als Kompliment“, entschied Diu, weil er sich denken konnte, dass Raven sich bemühte, so normal wie möglich mit ihm umzugehen und nicht in seine alten Muster zu verfallen.

Nach wenigen Minuten wurde Diu langsam müde, was ihn ärgerte, da er ihren Plan dann zum dritten Mal unfreiwillig aufhielt, aber als er sich ein kleines Kissen zusammenbastelte und Ravens Jacke als Decke benutzte, sagte der Eigentümer von dieser keinen Ton dagegen, obwohl er sich zusammenreimte, was folgte.

Ihm war es sogar ganz recht, so ruhte sich Diu aus und er arbeitete an ihrem noch nicht festgelegten Plan, der bis jetzt nur daraus bestand, in das Gebäude einzudringen. Sollten sie sich im Inneren trennen oder zusammen bleiben? Lieber letzteres, sonst fanden sie sich vielleicht nicht wieder.

Wie sollten sie hineinkommen? Das überlegte er sich erst, wenn er den ungefähren Aufbau kannte, Spekulationen verschwendeten nur Zeit.

Wie sollten sie Noevy und Jevo finden? Wahrscheinlich mit derselben Methode wie bei den Katenha. Obwohl... funktionierte das überhaupt? Immerhin unterhielten sich Jevo und Noevy auf normalem Weg. Am besten besprach er das mit Diu, wenn er wieder aufwachte.

Mehr konnte er nicht tun, ein Teil hing vom Glück, ein anderer Teil von der Konstruktion der Station ab. Hoffentlich hatten die Katenha ihr Gebäude logisch gebaut.

Nach einigen Stunden Rast, in denen Raven ebenfalls kurz geschlafen hatte, weckte er Diu, sie packten alles zurück in die Rucksäcke und setzten ihren Weg fort, der sich kein bisschen veränderte. Was für eine trostlose Gegend, in der sich nichts veränderte.

Doch dieses Mal schienen sie Glück zu haben: Schon bald nahm Diu ein deutliches Rauschen wahr, das langsam aber stetig anstieg, bis Diu einzelne Wörter verstand. Die grobe Richtung stimmte, allerdings musste er sich nun zusätzlich konzentrieren, um den genaueren Entstehungsort festzustellen, was natürlich ebenfalls Zeit kostete. Währenddessen folgte ihm Raven, wahnsinnig nervös; nicht mehr lange und er würde seinen Bruder wiedersehen.

Tatsächlich dauerte es eine Stunde, bis sie die rot leuchtende Kuppel erblickten und eine weitere, um sie fast zu erreichen. Nun mussten sie vorsichtig verhalten, wer wusste, ob die Katenha das Gebiet hier überwachten?

„Können dich die Katenha auch hören, wenn du mit mir kommunizierst?“ Nicht, dass sie dadurch vorgewarnt wurden und ihr Vorhaben vereitelten.

„Ja, aber sie werden nicht wissen, dass ich nicht zu ihnen gehöre.“ Diu lächelt schwach. „Zwar können sie einiges, aber nicht alles.“

„Gut, trotzdem reduzieren wir unsere Gespräche.“ Dabei hatten sie schon vorher nur das Nötigste gesprochen. „Wir warten erst, ob sich hier draußen etwas tut, gehen rein, schauen nach Noevy und Jevo und bringen sie dann nach Hause, okay?“

Diu nickte, etwas Besseres fiel ihm auch nicht ein, also würden sie es so machen.

„Aber wie sollen wir sie finden? Die werden für uns keine Wegweiser aufstellen.“

„Kannst du auch die Gedanken und Gespräche von Menschen hören?“ Zerknirscht verneinte Diu. „Scheiße. Dann müssen wir das ganze Ding absuchen.“

„So groß ist es ja nicht, wir werden das irgendwie hinbekommen.“ Aber so zuversichtlich wie er klang, fühlte sich Diu überhaupt nicht.



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