Datum: 27.11.2002
Informationsstand: Episode 87
Disclaimer: Inuyasha (c) Rumiko Takahashi
Spoiler: Ja!
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Ich hasse dieses Schwert.
Ich hasse es wirklich. Ich habe es all die Jahre mit mir herumgetragen. Ich brauchte es nicht, verstand nicht, was es war und habe es daher ignoriert. Doch seit ich es zum ersten Mal benutzt habe, erkannt habe, was es zu tun vermag, kocht es mich weich. Stück für Stück.
Was *genau* es weich kocht? Schwer auszudrücken... alles, für das ich mich Jahrzehnte lang gehalten habe. Ich, das ist Sesshoumaru, der älteste Sohn des großen Taiyoukai Inu- Taishou, der Herr über die westlichen Länder, der einsame, schweigsame, tödliche Wanderer.
Tensaiga. Dieses verfluchte Ding. Ein Geschenk meines Vaters, das ich nie verstanden habe. Langsam ahne ich, was der Alte im Sinn hatte, als er es mir vererbte.
Es begann, als ich Jaken tot in der Hütte dieses Schwertschmiedes auffand. Das hat mich ohnehin verärgert... nicht, weil mich dieser nervtötende Frosch großartig interessiert, sondern weil mein Bote und Diener in Ausführung seiner Pflicht getötet worden war. Tensaiga ermöglichte es mir, die Diener der Hölle auf ihm herumkriechen zu sehen... und einer Eingebung folgend zog ich die jahrelang unbenutzte Klinge und erschlug die kleinen Dämonen.
Jaken erwachte zum Leben.
Und seitdem habe ich nichts als Ärger.
Dieses Schwert lässt mich Dinge tun, die ich vorher nie getan hätte. Zum Beispiel Inuyasha, dieser Bastard von einem Halbdämon, die Schande der Familie... ein großmäuliger, ungebildeter, dilettantischer Trampel, der dazu auch noch MEIN Tessaiga trägt. Ich sollte ihn einfach töten, ich sollte es wirklich. Aber nein, irgendetwas hält mich immer zurück. Ich verdächtige - wen sonst - dieses Schwert.
Nun würde sich jedes halbwegs vernünftige Wesen fragen, warum ich dieses Ding nicht einfach wegwerfe, verstecke oder mich sonst irgendwie seiner entledige. Aber auch das kann ich nicht. Vor allen Dingen nicht, seit es mich vor dem sicheren Tod, einem "Kaze no Kizu" von Inuyasha, das direkt auf mich zuraste, gerettet hat. Sicher wäre ich heute nicht mehr am Leben - umgebracht von niemand anderem als diesem Fehler der Natur! - wenn es nicht selbstständig die größte Wucht des Schlages abgefangen hätte.
In diesem Moment, den Tod vor Augen, wurde mir etwas klar - der Alte ist noch immer bei uns. Er zeigt mir (und meinem missratenen Bruder) durch die beiden Schwerter, was er sich von uns erhoffet, erwünscht, erwartet. Er will, dass Inuyasha stark genug ist, um sich behaupten zu können, daher überließ er ihm Tessaiga. Und er will, dass ich meine Einstellung gegenüber diesem Hanyou, den Menschen und anderen Lebewesen ändere, so gab er mir Tensaiga. Am Allerwenigsten jedoch will er, dass Inuyasha und ich uns bekämpfen - deshalb schützte Tensaiga mich.
Das alles ging mir durch den Kopf, als ich verletzt und unfähig, mich zu bewegen, im Wald lag. Und ich dachte mir, nein, so einfach mache ich es dem Alten nicht. Er soll sich nicht einbilden, dass er mich so einfach manipulieren und mich wie ein kleines, ungezogenes Kind behandeln kann. Das nächste Mal, wenn ich Inuyasha träfe, würde ich ihn in Stücke reißen; Menschen und Youkai gegenüber gleichermaßen keine Gnade gelten lassen, wenn sie mir im Weg standen. Dem Alten würde ich es schon zeigen.
Doch dann kam Rin.
Völlig ohne Scheu, ohne Furcht, trat dieses kleine, zerschrammte, zahnlose Menschenmädchen auf mich zu. Sie konnte nicht sprechen, aber sie lächelte ständig, ein nervtötendes Lächeln, das ihr unendliches Vertrauen zeigte und mich fast in den Wahnsinn trieb - denn ich bemühte mich nach Kräften, trotz meines desolaten Zustandes so bösartig und abweisend wie möglich zu wirken.
Aber dieses Kind ging nicht weg. Ihr bedingungsloses Zutrauen überraschte, verärgerte und faszinierte mich zu gleichen Teilen.
Dann lag sie vor mir auf diesem Waldweg, klein und kalt und tot. Sie war so armselig, dass selbst die Wölfe, die sie zerbissen hatten, sie nicht gefressen hatten. So unglaublich klein und schwach.
Ich hätte einfach weitergehen sollen, aber dann war da Tensaiga- Tensaiga mit seinem eigenen Willen, das mich dazu brachte, es zu ziehen und sie ins Leben zurückzubringen. Ich sollte wohl eigentlich maßlos überrascht sein, dass so etwas möglich ist, aber ein Menschenleben ist mir für gewöhnlich nicht wichtig genug, um so etwas als Wunder zu betrachten.
Ich hob Rin auf, mit einer gewissen Neugierde, was nun wohl passieren würde. Ich bin selten neugierig. Entweder, ich weiß genau, was passiert, wenn ich etwas tue, oder es interessiert mich nicht. Aber nun fing ihr Herz wieder an zu schlagen, sie öffnete die Augen, diese vertrauensvollen, brauen Augen- und mir wurde auf einmal die Tragweite des Geschehens klar. In diesem Moment hätte ich am liebsten sowohl Rin als auch Tessaiga meterweit von mir geschleudert, so frustriert war ich darüber, was ich getan hatte. Der Alte hatte mich drangekriegt. Ich hatte einen MENSCHEN zum LEBEN erweckt!
Äußerlich ließ ich mir nichts anmerken. Ich setzte Rin ab und wandte mich zum Gehen. Ich wusste, nun, da *ich* sie erweckte hatte, würde sie mir ebenso beharrlich folgen wie Jaken. Ich war jetzt verantwortlich. Ich war jetzt so etwas wie ihr... Vater. Eine grauenvolle Vorstellung, die ich schnellstens zur Seite schob, um einfach stoisch meines Weges zu gehen. Es war mir völlig egal, was dieses Mädchen tat. Sie konnte gehen, wohin sie wollte, tun, was sie wollte oder auch einfach auf der Stelle tot umfallen, es war mir egal. Es war mir egal.
Es war mir nicht egal, wie ich entsetzt feststellen musste.
Rin ist genau wie Tensaiga selbst. Ein Keil in meiner Persönlichkeit, der mich langsam spaltet. Noch immer ist ihr unglaubliches Vertrauen ein Mysterium für mich, das ich nicht ergründen kann, und das mich gleichzeitig in die unangenehme Situation drängt, es zu rechtfertigen.
"Rin wird nichts passieren, weil Sesshoumaru- sama da ist.", erklärte sie mir unlängst im Brustton der Überzeugung- und meine Reaktion war, dass ich automatisch in meinem Kopf die Punkte durchging, die eine Gefahr für sie sein konnten. Nein, es waren keine Youkai in der Nähe, sie hatte genug zu essen, war warm genug angezogen, war nicht krank, war nicht verletzt. Weil sie mir vertraut, muss ich für sie sorgen. Das heißt... ich *muss* nicht... müsste nicht... und andererseits muss ich doch. Irgendwie.
Deshalb hasse ich Tensaiga. Das ist alles seine Schuld. Und die des Alten.
Ich bin unsicher geworden. Nicht direkt äußerlich, man sieht es mir nicht an meinem Gesicht an, aber dass Rin immer bei mir ist, zeigt es. Sowohl Naraku als auch Inuyasha haben es bemerkt... nun, Naraku hat seine Einmischung in meine Angelegenheiten bitter bereut, und was dieser Halbdämon denkt, könnte mich nicht weniger interessieren.
A propos Inuyasha... er macht sich. Ich hasse es, das sagen zu müssen, aber er hat es weit mit Tessaiga gebracht. Für einen ungeschickten, dummen Hanyou zumindest. Und das sage ich nicht, weil er mir das Leben gerettet hat- es ist immer noch schwer genug zu akzeptieren, aber dieser Bastard von Naraku hätte mich tatsächlich absorbiert, wenn er nicht gekommen wäre. Ich weiß nicht, ob Inuyasha mir vorsätzlich aus diesem Fleischberg geholfen hat, aber ich werde mich insofern revanchieren, als dass ich ihn *nicht* umbringen werde, wenn er mir das nächste mal über den Weg läuft.
Geschickt, Alter. Wirklich geschickt. Ich weiß nicht, ob du dir ins Fäustchen lachst, im Nirvana, der Hölle oder wo immer du bist, aber du hast mich verändert mit deinem verfluchten Tensaiga.
Ich werde später darüber nachdenken, ob ich das schrecklich finde. Jetzt muss ich einen Platz zum Rasten finden, an dem Rin sicher ist.
~ Owari