Zum Inhalt der Seite

Melodien des Widerstands

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Vollmondmorgen

Der Morgen war grau. Grau, aber still. Der Sturm der vergangenen Nacht hatte sich gelegt, nicht ein winziger Luftstoß war noch zu spüren. Lediglich ein leichter Nebel mit feuchtem Tau in der Luft erinnerte noch an den wilden Regen, der wenige Stunden vorher die Fensterläden ausgepeitscht hatte.

Ursave war an diesem Morgen mit äußerster Vorsicht vor die Tür getreten, um den Zustand ihres Gartens zu überprüfen. Ein Blick hatte genügt, um sie zufrieden zu stellen. Ihr Schutzzauber hatte seine volle Wirkung erzielt. Das Grün der wenigen Bäume schimmerte zwar nur blass durch den Nebel, doch alles war noch an seinem Platz; nichts war zerstört, das Gartentor war noch intakt – aber es war geöffnet…

Fast unwillkürlich senkte sie den Kopf zu der kleinen Steintreppe, die hinauf zu ihrer Haustür führte.

Das Mädchen war leichenblass. Im ersten Moment schien diese Annahme sogar gerechtfertigt, doch schließlich wurde erkennbar, wie ihr Brustkorb sich minimal bewegte. Ihre Lider waren geschlossen, schienen bei jedem Atemzug jedoch leicht zu flattern. Einen winzigen Spalt war ihr Mund geöffnet, die Lippen wiesen leichte Risse auf, als hätten lange Schreie sie strapaziert. Weizenblondes Haar fiel in ihr Gesicht, konnte die blutverkrusteten Kratzer an beiden Wangen aber nicht verdecken.

Um ihren Oberkörper schlang sich etwas, was einmal ein weißes T-Shirt gewesen sein musste; nun hing es in faserigen Fetzen von ihrer Haut und entblößte darunter einige tiefe, dunkelrot pulsierende Wunden.

Eine davon stach ihr besonders ins Auge… »Scheiße«, murmelte Ursave. Sie warf einen kurzen Blick auf die Landstraße vor dem Gartentor, dann schob sie je einen Arm unter Schulterblätter und Kniekehlen des Mädchens und hob sie mit aller Vorsicht an. Sie trat die Tür hinter sich zu, platzierte den zierlichen Körper auf ihrem Sofa und entfernte den zerrissenen Stoff von der Wunde.

Ein Stück Knochen war durch ihre Schulter zu sehen. Es schien noch intakt und nicht gebrochen zu sein – Immerhin, dachte Ursave bitter –, allerdings zeigten die Konturen der Verletzung einige deutliche Hinweise.

Sorgfältig säuberte und verband Ursave alle Wunden, die sie hatte finden können, und ließ sich dann auf einen Stuhl in der Nähe des Sofas fallen. Mitleidig musterte sie das junge Mädchen. Gerade jetzt… Gerade jetzt gebissen worden, gerade in diesen Zeiten, dachte sie. Und noch so jung… Sie wird keine sechzehn sein… Es wird Jahre dauern, bis sie sich eingewöhnt hat, bis dahin wird jede Vollmondnacht die Hölle für sie.

Mit einem Seufzen ließ sie den Blick aus dem Fenster schweifen. Und ich kann es diesem Werwolf nicht einmal übel nehmen… Wahrscheinlich wollte er selbst nicht, dass es so kommt. Jeder von ihnen weiß, wie es im Moment um sie steht.

Nachdem das Mädchen Minuten später noch immer nicht aufgewacht war, begann Ursave in der Küche Tee und Frühstück zu machen. Mit einer dampfenden Tasse und einem Croissant in den Händen ließ sie sich wieder im Wohnzimmer nieder und legte die Füße auf den Couchtisch. Nur wenige Sekunden lang beobachtete sie ihren Gast, bis sie beschloss, anzurufen.

Es tutete einige Male in der Leitung, bis sich eine gedämpfte Stimme meldete: »Ja?«

»Ich bin’s, Ursave«, sagte sie. »Weißer Ordner.«

Sie hörte ein leises Aufatmen am anderen Ende, eine weit verbreitete Reaktion auf ihr Passwort. »Hey, schön dich zu hören. Alles in Ordnung, bist du zu Hause?«

»Ja, ich bin zu Hause, alles soweit okay. Aber hör zu, Quintus, ich brauche deine Heilkräfte. Hab vorhin ein Mädchen vor meiner Tür gefunden; meinst du, du kannst kommen?«

Quintus schwieg einen Moment lang. »Du weißt aber schon, dass es helllichter Tag ist, oder?«

»Ja, aber es ist neblig und du kannst dich doch verwandeln. Nach letzter Nacht werden die meisten Aufseher sowieso damit beschäftigt sein, die Trümmer zu beseitigen – und du kannst durch den Hintergarten rein.« Sie warf ihrem Sofa einen besorgten Blick zu. »Komm schon, bitte. Ich hab Angst, dass mir das Kind hier sonst wegstirbt.«

»Also gut.« Quintus seufzte. »Überredet – bevor du mir noch ’nen Mord anhängst. Ich bin gleich da.«

Ursave bedankte sich, bevor beide auflegten. Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück, schielte dann immer wieder zu dem Mädchen. Während sie halbherzig an ihrem Croissant nuckelte, versuchte sie zu erkennen, ob die Bandagen durchgeblutet wurden, und ob ihr Atem womöglich aussetzte, doch der junge Körper siechte nur weiter in seiner Bewusstlosigkeit dahin.

Mehrere Minuten verstrichen, in denen sie geistesabwesend an ihrem Tee nippte und beobachtete, wie sich ihre Gedanken im Kreis drehten. Letzte Nacht war Vollmond, das stimmt. Und letzte Nacht war Sturm. Und sie ist noch nicht alt genug, um alleine zu leben. Warum in aller Welt ist sie gerade in einer solchen Nacht draußen unterwegs? Niemand stürzt sich freiwillig in Sturm und Vollmond gleichzeitig… Wenn sie nicht allein war, haben wir ein noch größeres Problem, dann wird entweder nach ihr gesucht oder da draußen fliegen noch irgendwelche Körperteile rum, was wiederum die Aufseher ärgern könnte… Gott, es wird jeden Monat schlimmer.

Sie kippte versehentlich etwas lauwarmen Tee über ihre Finger, als etwas an ihrer Hintertür kratzte. Rasch verdrängte sie den Schrecken, atmete leise durch und stellte ihre Tasse ab. Sie öffnete die weiße Holztür zum hinteren Teil ihres Grundstücks gerade so weit, dass der Wolf hindurchschlüpfen konnte, warf dann aus Gewohnheit noch einen prüfenden Blick zwischen die verwilderten Bäume, und drückte sie sorgfältig wieder zu.

Als sie sich umdrehte, stand Quintus bereits zurückverwandelt vor ihr. Er blies sich eine braune Strähne aus dem Gesicht, die sich aus seinem kurzen Pferdeschwanz gelöst hatte, und grinste ihr zu. »Guten Morgen, alte Frau. Siehst müde aus.«

Ursave musterte für einen Moment die kleine fehlende Ecke an seinem Schneidezahn, dann zuckte sie mit den Schultern. »Sturm macht mich unruhig. Wie geht’s dir?«

»Kann nicht klagen.« Quintus wandte sich dem Sofa zu und verzog augenblicklich das Gesicht. »Hab mich zu Hause mit ein paar Ratten anfreunden können… Was’n mit ihr passiert?«

»Aus irgendeinem Grund war sie letzte Nacht draußen. Sieh dir mal die Schulter an…« Für einen winzigen Moment keimte in ihr die Hoffnung auf, dass sie sich geirrt hatte, doch Quintus schüttelte seufzend den Kopf. »Werwolf«, sagte er düster.

»Kannst du ihr helfen?«, fragte Ursave. »Die Verbände sind notdürftig; ich hab Angst, dass sie verbluten könnte.«

Er nickte. »Ist schon gut, das krieg ich hin. Wie lange ist sie schon ohnmächtig?«

»Das weiß ich nicht…« Sie beobachtete, wie er vor dem Sofa in die Hocke ging und langsam seine Hände wenige Zentimeter über dem geschundenen Körper auf und ab bewegte. Die Luft dazwischen schien für einen Moment zu flimmern, typische Wärme ging von dem Jungen aus. »Ich hab sie vorhin so gefunden, lag direkt vor meiner Haustür und hat sich nicht bewegt. Die Verwandlung kannst du nicht aufhalten, oder?«

»Näh.« Er schüttelte den Kopf. »Das wär eher ein Job für euch Magier. Aber wahrscheinlich ist sie sowieso längst fertig. Tut mir leid.«

»Kein Ding… Ich hoffe nur, wir können ihr das erklären, wenn sie aufwacht. Wie weit bist du?«

Quintus richtete sich auf und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Er hob einen der Verbände an, um vorsichtig darunter zu blicken. »Hab getan, was ich kann… Die Blutung ist gestoppt und es ist alles größtenteils verschorft. Wenn ich noch mehr machen soll, brauch ich erst mal Frühstück und dann viel, viel Zeit.«

»Alles klar«, gluckste Ursave. »Dann lassen wir das Mädchen mal schlafen, komm mit in die Küche.«

Quintus schob sich auf einen der Hocker vor der Anrichte, faltete seine ledernen Flügel sorgfältig um seinen Rücken und sah sich um. »Aufgeräumt bis zum letzten Löffel«, murmelte er. »Wie hältst du das hier denn nur aus?«

»Weißt du doch«, grinste Ursave. »Liegt alles in der schweren Kindheit. Croissant?«

»Jap, gerne. Warst du schon draußen heute?«

»Nee… Hab nur kurz geguckt, ob meine Bäume noch stehen, seitdem liegt die Kleine in meinem Wohnzimmer. Warum?«

»Sieht lustig aus. Alles liegt kreuz und quer verstreut und auf den Straßen kullern lauter Menschen und Schwarzis rum, die versuchen alles wieder aufzuräumen und gleichzeitig nach jedem zu gucken, der irgendwie nach gesättigtem Werwolf aussieht. Das pure Chaos. Nur hier auf dem Land wird’s ruhiger, da schert sich ja keiner um ein paar umgekippte Bäume. Aber in der Stadt hätte ich sogar direkt vor deren Nase rumtanzen können, die hätten mich als Wolf keinen Meter erkannt… Alle viel zu beschäftigt mit Trümmern und Leichenteilen.«

»Ich wette, du hast es trotzdem versucht…«

Quintus grinste entschuldigend. »Wenn man nicht mehr altert, bleibt eben auch der jugendliche Leichtsinn erhalten…«

Ursave lachte und schüttelte den Kopf, wollte gerade etwas erwidern, als es an der Tür klopfte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (5)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Rynshen
2008-12-09T16:19:43+00:00 09.12.2008 17:19
nyoa,... ich dacht ich hinterlass dir doch auch i-wann nochma nen kommi xD
aba das is so schwer jetz noch was zu schreiben wenn mans schon ma gelesen hat und scho gesagt hat was ma davon hält xD
is halt supa
wie glaub schon lalala~oft ma gesagt ^-^'
und ach keine ahnung mein kommi is mit abstand hier der sinnloseste o.o'
*knuddl* les ma noch weiter grad xD

Von:  Miaka-cat
2008-08-16T19:15:42+00:00 16.08.2008 21:15
ich fand es schon klasse, als dus uns vorgelesen hast, aber noch mal zu gelesen, finde ichs sogar noch besser, als am anfang *-*
werd gleich weiterlesen!
°-°b
Von:  Salatherz
2008-06-20T20:34:09+00:00 20.06.2008 22:34
OMG! Es klopft an der Tür!
Wer oder was ist Quintus? Wie spricht man Bursave aus? Und ist sie wirklich eine alte Frau? Mann, wie kannst du einfach so alles offen lassen? Obwohl... ist ja gerademal der Anfang, also... *sich hinpflanz und Tee trink*
Der Stil... ist seltsam ruhig. Zu ruhig. *Angst?*
Von: abgemeldet
2008-06-20T12:10:09+00:00 20.06.2008 14:10
Hey, wo ist die fortführende Seite?? Ich will weiterlesen xD Es ist einfach reizend :3 Vorallem desshalb, weil ich ja nun gerade voll keinen Plan hab worums eigentlich geht x'D Also, schnellstens fortführen, hoffentlich gibts keine Schreibblockade!!
Von: abgemeldet
2008-06-19T19:07:04+00:00 19.06.2008 21:07
Es ist daaa, sehr schön xD
Find es immer noch klasse und freu mich immer noch auf Folgendes °-°
Ich muss ja gestehen (aber nur gaanz leise) ich bin n bisschen neidisch auf diese Idee... Wahrscheinlich liegt es an der Begeisterung und an der eignen, ständig bestehenden Rebellion, ich weiß nicht.. Aber ein wenig Neid ist da, ja °-°
Trotzdem freu ich mich drauf das es da ist und das ich es lesen kann muhahaha... Und das es mir gewidtmet wurde, nochmal muhahah °0°
Rebellion, Baby! Und ein hoch auf unser aller Lieblings-RPG der Bullenkacke °°\m/


Zurück