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Kratos' Life

The Memories of an Angel
von

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Das Leid der Halbelfen

Seit einer langen Woche marschierte die Division des Ifrit nun schon in regelmäßigen Schritten durch die Landschaft. Flavius hatte ihnen am Tage ihres Aufbruchs die Rüstungen überreicht, die die königliche Armee trug. Sie war aus leichtem Metall gefertigt, das einige Schwerthiebe abfangen konnte und leichte Pfeile nicht durchließ. Der dazugehörige Helm schützte den Hinterkopf und den Nacken, sowie die Stirn vor Angriffen. An der Taille war ein stabiler Waffengürtel angebracht, an dem jeder entweder ein Schwert oder zwei Kampfäxte trug. Einige trugen auf dem Rücken einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen. Auf der Brustseite der Rüstung prangte das Wappen Tethe'allas. Außerdem durften sie sich jetzt "Gefreiter" nennen.

Kratos und Yuan marschierten Seite an Seite. Vor ihnen waren Sora und Lux, hinter ihnen die Zwillinge. Flavius führte den Trupp mit seinem Pferd an. Nachdem sie den ersten Schock überwunden hatten, dass sie nun wirklich in den Krieg zogen, war die Stimmung sogar sehr ausgelassen. Was sollten sie auch anderes machen? Ändern konnten sie die Tatsachen ohnehin nicht.

Yuan hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und unterhielt sich mit seinem rothaarigen Freund.

»… was hast du denn auch dagegen?«, fragte er. »Du warst doch derjenige, der nicht wollte.«

»Ja, aber das ist doch kein Grund, das für sich auszunutzen …«

»Heh, wir haben sie dafür bezahlt. Und nur, weil das Abfüllen von dir nicht geklappt hat, muss man das schöne Geld doch nicht sausen lassen.«

»War sie wenigstens gut?«, knurrte Lucian.

»Und wie«, schwärmte Yuan. »Eine absolute Traumfrau.«

Es ging, wie schon so oft, um Salomé. Wie Kratos erfahren hatte, hatte Yuan für den "wohltätigen" Zweck gesammelt, die schöne Tänzerin mit sämtlichen Diensten anzuheuern. Der gesamte Abend war durchgeplant gewesen. Yuan hatte mit den Anderen abgesprochen, dass sie Kratos erst gut genug abfüllten, damit er Salomés kleine Tanzeinlage auch genießen konnte. Als Flavius dann in die Feier reingeplatzt war, war der Rothaarige wieder zur Besinnung gekommen. Und er war froh darüber. Yuan hatte sich dann den Spaß erlaubt, Salomé für sich zu beanspruchen, offiziell, um den Schock über Flavius' Nachricht zu verarbeiten. Allenfalls nahmen ihm das seine Kameraden schon seit Längerem übel.

»Nach was gehen denn bitte deine Maßstäbe?«, wollte Sora wissen, wobei ihre Stimmlage schon beinahe zickig wurde. Sie war seit diesem Abend ziemlich schlecht auf Yuan zu sprechen. Und allein Kratos ahnte, dass es ihr nicht um ihr Geld ging.

»Das würde mich auch mal interessieren«, gab er seine Meinung dazu, um die Situation zu entschärfen.

»Eine Frau sollte schön sein«, begann er. »Lange Haare, dunkle Augen, schön kurvig.«

»Mehr nicht?«, fragte der Rothaarige.

Yuan sah ihn an.

»Nö, wozu auch? Zum Reden habe ich ja dich«, grinste er.

Während Sora schnaubend wegsah, schüttelte Kratos den Kopf.

»Denkst du wirklich so schlecht über Frauen?«

»Was heißt denn hier schlecht?«, fragte Yuan. »Ich habe sie nicht schlecht gemacht. Sora zum Beispiel ist doch ein richtig kluges und aufgewecktes Mädchen.«

»Aber das gefällt dir nicht, oder wie?«, wollte der Rothaarige wissen.

»Naja … irgendwie schon«, gab er zu, wobei Sora offenbar wieder aufhorchte. »Aber sie ist wiederum so klug, dass sie durchaus was werden könnte. Sowas wie sie würde ich niemals an Haus und Herd fesseln. Das wäre grausam.«

»Ach so«, verstand Kratos nun. »Okay, die Denkweise ist logisch.«

Während Sora sich die Hand an den Kopf schlug, mischten sich die Zwillinge ein.

»Also meine Traumfrau sollte schön lachen«, meinte Luca. »Ich bin so ein Scherzbold, da möchte ich nicht denken, sie kratzt mit Fingernägeln über eine Schiefertafel, wenn sie lacht.«

»Du bist ja gar nicht arrogant«, scherzte Lucian. »Ich lege eher wert darauf, dass sie das Haus schön sauber hält und nicht zu viele Widerworte gibt. Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, will ich meine Ruhe und ein hübsches Frauchen, dass mir die Hausschuhe bringt.«

»Das hat was«, gab Lux zu. »Schön brav und artig, aber nachts kann sie gern aktiver werden.«

»Jaaa«, pflichtete Yuan bei. »Das trifft wohl bei uns allen zu.«

»Bei mir nicht«, sagte Kratos.

»Du bist auch nicht normal«, meinte der Halbelf.

»Sei nicht so hart mit ihm«, nahm Lucian ihn in Schutz. »Er ist noch Jungfrau.«

»Das meine ich doch!«, antwortete Yuan. »Aber bitte«, fuhr er fort, »wie müsste deine Traumfrau sein?«

»Intelligent«, kam es pfeilschnell von Kratos. »Mir ist wichtig, dass sie mir geistig gewachsen ist. Ich will mit ihr über Dinge sprechen können, die mich beschäftigen. Ordentlich sollte sie schon sein, da habt ihr Recht. Aber ich würde sie nie nur als Hausfrau ansehen. Ich finde, eine Ehefrau sollte ihrem Mann gewachsen sein.«

Nach kurzem Schweigen begannen seine Kameraden schallend zu lachen.

»Jungfrauen sind ja manchmal so niedlich!«, lachte Luca.

»Nun lasst dem Kleinen doch seine Illusionen«, nahm Lucian ihn in Schutz. Kratos schielte. Obwohl Yuan der Jüngste war, behandelten ihn alle, als wäre er ein kleines Kind. Und das nur, weil er noch keine Frau gehabt hatte.

»Was um alles in der Welt ist denn so schlimm daran, dass ich noch Jungfrau bin?«, regte er sich nun auf.

»Das verstehst du erst, wenn du keine mehr bist«, meinte Yuan. »Vorher wird das nichts.«

Der Rothaarige schnaubte und klinkte sich aus der Unterhaltung aus. Das wurde ihm zu dumm.
 

Am Abend schlugen die jungen Krieger ihr Lager auf. Die meisten verbrachten ihre Zeit damit, ihre wunden Füße zu massieren und ihre Blasen zu kühlen. Der Rest aß das, was es jeden Abend gab: Dicke Bohnen.

Kratos saß im Kreis seiner Kameraden. Sogar Flavius saß in Hörweite, jedoch nicht bei ihnen. Ihre Gespräche drehten sich das erste Mal um das, weshalb sie unterwegs waren: Die militärische Situation.

»… aber was erhoffen die sich von Sybak?«, fragte Luca in die Runde, da sie eben dorthin einberufen worden waren. Spione hatten herausgefunden, dass Sylvarant auf dem Vormarsch in die Hafenstadt war.

»Nun, Sybak ist eine Handelsmetropole«, erläuterte Kratos. »Das Aurion-Gut bezieht von dort alles, was es braucht. Samen, Dünger und früher auch Arbeitskräfte.«

Fyn, dessen Vater ebenfalls im Militär diente, nickte.

»Wenn Sylvarant es schafft, Sybak für sich einzunehmen, ist Tethe'alla seines größten Handelspostens beraubt. Denn auch, wenn wir uns größtenteilig selbst versorgen, so beziehen wir einige wichtige Waren aus Flanoir.«

»Das wiederum neutral ist und sich niemandem verpflichtet hat«, stellte Lucian fest.

»Würde ich auch nicht machen, wenn meine Stadt auf einem eigenen Kontinenten liegt«, gab Luca seine Meinung dazu.

»Einer der Gründe, warum so viele Halbelfen versuchen, dorthin zu gelangen«, meinte Yuan und blickte auf die Karte, die er mit einem Stock in den Boden gemalt hatte. »Einmal angenommen, Sylvarant schafft es, Sybak einzunehmen … was wäre ihr nächstes Ziel?«

»Stabilität schaffen«, schlug Kratos vor und klaute Yuan den Stock. »Sofern ich weiß, sind die sylvarantanischen Stützpunkte in der Nähe von Toize und auf der Insel Altamira«, erklärte er und malte an den entsprechenden Punkten ein "S" das für Sylvarant stand. »Wenn sie es schaffen, Sybak einzunehmen, haben sie eine Art Dreieck geschaffen, dass Meltokio fast komplett vom Rest Tethe'allas abschneidet.«

Fyn nickte.

»Durch Sybak und Altamira hätten sie den westlichen und den östlichen Ozean unter Kontrolle … das heißt, dass wir ihnen nicht nur in der Infanterie unterlegen sind, sondern auch nautisch.«

»Es sieht übel aus«, stellte Lucian fest. »Wenn wir Sybak verlieren, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Sylvarant Meltokio erneut überrennt.«

Langsamer, regelmäßiger Applaus ertönte. Kratos erkannte sofort, dass er von Flavius kam. Er war aufgestanden und zu ihnen gegangen.

»Ich muss euch meinen Respekt aussprechen«, sagte er. »Ihr habt die Lage sehr gut analysiert.«

»Und herausbekommen, dass wir verdammt schlecht dastehen«, meinte Luca.

Flavius nickte.

»Ja, das muss ich zugeben … aber noch ist nicht alles verloren.«

»Welche Hoffnung haben wir denn noch?«, wollte Thalaimo wissen. »Verlieren wir Sybak, verlieren wir den Krieg.«

Der Feldwebel schüttelte den Kopf.

»Nicht unbedingt. In der Schlacht, in der wir kämpfen werden, geht es nicht darum, Sylvarant zurückzuschlagen.«

»Um was dann?«, fragte Kratos.

»Um Zeit«, erklärte Flavius. »Das königliche Forschungsinstitut arbeitet an einer geheimen Waffe von unglaublicher Zerstörungskraft. Genaueres weiß ich nicht. Alles, was ich euch geben kann, ist ein Name.«

»Der da wäre?«, mischte sich Sora ein.

»Thors Hammer«, verkündete ihr Vorgesetzter. »Den Informationen nach, die ich bekommen habe, reicht ein einziger Schlag damit aus, um die gesamte Armee von Sylvarant auszulöschen.«

»So eine mächtige Waffe gibt es nicht«, behauptete Fyn. »Sie müsste ja alle Kraft der Elementargeister in sich vereinen.«

»Nicht aller Geister, aber die der von Tethe'alla«, meinte der Feldwebel. »Ich habe euch lange Zeit ausgebildet. Fast zwei Jahre lang. Außerdem sind wir nicht allein. Bei unserer Überfahrt nach Altamira«, sagte er und zeigte auf den Kontinenten, auf dem Sybak lag, »kommt der Rest der Division des Ifrit hinzu. Sie wurden alle separat ausgebildet, insgesamt sind es etwa tausend Mann.«

»Ein … tausend?«, hauchte Lucian.

Flavius nickte und nahm Kratos den Stock weg. Dann begann er, die Tempel der Elementargeister in die Karte einzuzeichnen.

»Das Forschungsinstitut wurde nur für diese Waffe gebaut. Sie arbeiten seit über zweihundert Jahren daran. Es ist die bestausgefeilte Magietechnologie, die es jemals gab. Und wie ihr seht, liegt Sybak …«, erklärte er und umkreiste die Stadt, »im Zentrum der Tempel. Von dort aus können die Quellen der Macht der Elementargeister angezapft werden und Thors Hammer mit ihrer ungemeinen Kraft füllen. Außerdem«, fuhr er fort und macht ein Kreuz auf den heiligen Ebenen von Kharlan, »haben wir den Baum allen Manas auf unserer Seite.«

Die Gefreiten sahen zu der Zeichnung, die auf einmal nicht mehr so hoffnungslos wirkte.

»Die Waffe steht kurz vor ihrer Vollendung«, erläuterte Flavius weiter. »Es geht nur darum, Zeit zu schaffen.«

»Wie lange?«, wollte Kratos wissen.

Flavius sah ihn an.

»Sechs Monate.«

»Ein Belagerungskrieg?!«, regte sich Sora auf, die ihre Stimme inzwischen beachtlich tief stellen konnte. »Das ist Wahnsinn! Hunderte von Soldaten werden sterben!«

»Und Tausende Zivilisten werden überleben, dé Laphino«, antwortete der Feldwebel, der seine Schützlinge noch immer mit Nachnamen ansprach. »Und darum geht es.«

Kratos sah zu Yuan, der mit bedrücktem Gesichtsausdruck auf die Karte sah.

»Hast du ein Problem damit, Aurion?«, fragte Flavius den Blauhaarigen, der als Kratos' Sklave auch seinen Nachnamen trug.

»Nein …«, meinte er. »Mein Kopf ist ebenso tethe'allanisch wie meine Zunge.«

»Das mag sein«, sagte der Feldwebel. »Doch wie sieht es in deiner Brust aus?«

Yuan schwieg. Kratos verstand, dass ihr Ausbilder nach Yuans Herz gefragt hatte.

»Es gehört weder Sylvarant noch Tethe'alla«, antwortete er schließlich. »Ich kämpfe für den Frieden, nicht für den Sieg.«

»Gut gewählte Worte«, gestand Flavius und warf den Stock in das Feuer, um das alle saßen. »Legt euch jetzt schlafen, Morgen erreichen wir das Meer.«

Mit diesen Worten verschwand der Feldwebel und ließ sein Kommando zurück. Alle, bis auf Yuan, sahen sich an. Der Blauhaarige blickte in die Flammen.

Kratos fragte sich, ob das Feuer in seinem Herzen nicht schon längst erloschen war …
 

Am nächsten Morgen war die bedrückte Stimmung vergessen und das Kommando marschierte mehr oder weniger munter in Richtung Meer. Ihre momentane Route führte sie über scheinbar unendliche Wiesen, die sich im Wind wogen, der bereits die salzige Note des Meeres in sich trug. Viele Tiere grasten hier. Herden von Kühen und Schafen säumten ihren Weg. Kratos genoss die schöne Landschaft, während Yuan geknickt neben ihm ging. Ein überlautes Knurren riss den Rothaarigen aus seiner Tagträumerei.

»Was war das denn?«

»Mein Magen …«, jammerte Yuan. »Ich würde die Kühe viel lieber essen, als in einer Herde davon zu marschieren.«

»Danke«, schnaubte Sora, die wieder vor ihnen ging. Sie war in letzter Zeit reichlich schlecht auf den Blauhaarigen zu sprechen. »Und du bist der Bulle, oder was?«

Yuan prustete und schwoll stolz die Brust, doch die junge Frau sah beleidigt weg. Kratos verdrehte die Augen.

»Es wird nicht gequatscht, wie oft muss ich das denn noch sagen?! Ihr seid ja schlimmer als die Waschweiber!«, fauchte Flavius, der, je näher sie dem Meer kamen, immer aggressiver wurde. »In Reih und Glied marschieren! Und ich will euch singen hören!«

Yuan seufzte, während Kratos Luft holte und im Chor mit seinen Kameraden den Refrain ihres Marschliedes schmetterte. Der Blauhaarige stimmte mit ein.

So, wie sie es gelernt hatten, marschierten sie zügig voran, gerade aufgerichtet, mit stolz geschwellter Brust und hocherhobenem Kopf. Mit lauten, tiefen Stimmen sangen sie den Marsch, zu dem sie voranschritten. Es war ein Bild von einem Kommando. Angeführt von Flavius, der erhaben auf seinem Pferd thronte und die Flagge des tethe'alanischen Königreiches hochhielt, schienen sogar die Kühe ihnen respektvolle Blicke zuzuwerfen. Dass sich der Großteil von ihnen deswegen albern vorkam, bemerkte man nicht.

Nach und nach wurde ihr Weg steiler. Flavius verkündete ihnen, dass hinter dem Hügel, den sie gerade erklommen, endlich das Hafenlager liegen würde, wo sie das Schiff erwartete, dass sie über das Meer bringen sollte. Doch das, was dahinter lag, ließ den jungen Kriegern nicht nur den fröhlichen Gesang im Halse stecken, sondern auch das Blut in den Adern gefrieren.

Unter ihnen lag das Hafenlager, das stimmte wohl. Doch es sah anders aus, als sie es sich vorgestellt hatten.

Unmengen an Halbelfen, es mochten Hunderte sein, arbeiteten hier. Sie trugen nichts weiter am Leib als ein Tuch um die Hüfte und Narben auf dem Rücken. Kratos sah, wie Yuan das Blut aus dem Gesicht wich. In seinen Augen lag blankes Entsetzen. Und auch der Rothaarige kam sich vor, als hätte sich vor ihm der Schlund zur Hölle geöffnet.

Flavius führte sie jedoch unbarmherzig weiter. Sie gingen an einer Lehmgrube vorbei, in dessen Tiefen Halbelfen wahrscheinlich schon seit Tagen mit ihren Füßen in den Schlamm stampften. Immer wieder gaben Halbelfen von oben Sand, Stroh und Wasser hinzu, ohne darauf zu achten, ob sie ihre Mitgefangenen trafen oder nicht.

»Schneller!«

Neben dem Ächzen und Wehklagen der gebeutelten Lebewesen, die nur noch ein Schatten ihrer selbst waren, beherrschte Peitschenknallen die Geräuschkulisse. Riesige Mengen an Ziegeln wurden von viel zu kleinen Gruppen von Halbelfen mit Seilen in die Höhe gezogen, direkt neben dem marschierenden Kommando schleppten sich Sklaven mit Sandsäcken voran, die größer waren als sie selbst.

»Legt einen Zahn zu, ihr lahmen Viecher!«

Es stank bestialisch nach Schweiß, Fäkalien und auch Blut. Yuan ging dicht neben Kratos her und presste seinen Helm auf seinen Kopf, damit niemand seine Ohren entdeckte. Der Rothaarige bemerkte, dass er am ganzen Leib zitterte, sein Blick erinnerte an den eines eingesperrten Tieres. Kratos selbst zwang sich dazu, in die Augen von Yuans Artgenossen zu sehen. Sie waren matt und gebrochen. Einer der Sklaven erwiderte das Augenspiel des jungen Kriegers. Die Leere darin schien Kratos' Seele regelrecht in sich aufzusaugen.

»Ich habe gesagt schneller!«

Über dem Kommando erhoben sich die Grundzüge der wohl größten Brücke aller Zeiten. Sie sollte die Kontinenten Fooji und Altamira miteinander verbinden. Kratos hatte von diesem Projekt gehört, sein Vater hatte sogar darin investiert und Sklaven hierhin geschickt. Direkt in die Hölle.

Flavius behielt sein Tempo bei, egal, wie dicht ihm seine Schützlinge auf die Fersen rückten. Es war, als wolle er, dass sie das Elend sahen. Yuans Atem war flach und schnell. Er litt mit seinen Artgenossen, das merkte der Adelige.

Urplötzlich stieg Flavius' Pferd und das Kommando kam zum Stehen. Vor ihnen war eine alte Frau in den Dreck gefallen und hatte so die Kette unterbrochen, die sie mit ihren Leidensgenossen gebildet hatte. Einer der Aufseher ließ seine Peitsche knallen.

»Steh auf!«, forderte er. »Oder muss ich dir Beine machen?!«

Die abgemagerte Greisin zitterte unter der Anstrengung, die sie aufbrachte, um aufzustehen. Auf ihrem Rücken hatte sie ein Sandsack getragen, der nun weggerutscht war. Unendlich viele Narben bedeckten ihren Rücken und sie war so dünn, dass man ihre Wirbelsäule durch die vernarbte Haut sehen konnte.

»Ich habe gesagt, steh' auf!«, brüllte der Aufseher und ließ seine Peitsche nun auf ihren Rücken knallen. Die Frau schrie mit zittriger und heiserer Stimme. Doch ihre Artgenossen gingen einfach weiter. Sie wollten keinen Ärger. Auch Flavius ritt an der Szene vorbei. Kratos kämpfte mich sich. Er wollte dazwischen gehen, wollte der armen Frau helfen.

Doch Yuan war schneller.

»Aufhören!«

Der Blauhaarige hatte das Peitschenseil abgefangen und riss das Folterinstrument aus den Händen des Aufsehers. Dann half er der alten Halbelfe auf.

»Was bist du denn für einer?!«, fauchte der Aufseher. »Lass mich gefälligst meine Arbeit machen!«

»Schwächere zu verprügeln, oder was?!«, gab Yuan zurück, der Halbelfe etwas Halt gebend. »Vergreif' dich gefälligst an jemandem, der sich wehren kann!«

»Es … ist gut …«, wisperte die Greisin. »Danke …«

Yuan wie auch Kratos sahen mit geweiteten Augen zu, wie die alte Frau den schweren Sandsack wieder auf ihren Rücken zu heben versuchte. Doch sie brach unter der schweren Last erneut zusammen. Der Aufseher nahm Yuan die Peitsche wieder weg und holte erneut aus. Die alte Halbelfe zog schützend ihre Arme vor ihr Gesicht und wimmerte um Gnade. Nun griff Kratos ein und packte den Arm des Aufsehers. Der Gleiche beging die Dummheit, sich gegen den Druck zu stemmen, den der Rothaarige ausübte. Kratos war jedoch um einiges kräftiger und stieß ihn von sich. Der Aufseher verlor den Halt und fiel in die Lehmgrube hinter ihm. Die Halbelfen darin stoben so schnell auseinander, dass sie selbst hinfielen.

»Es ist genug!«

Flavius' Stimme hatte das gesagt. Der Feldwebel war zu ihnen zurückgeritten und sah wie ein Richter auf beide hinab.

»Ihr macht es nur noch schlimmer, begreift ihr das nicht? Sobald wir weg sind, werden sie sie dafür auspeitschen, bis sie stirbt«, stellte er fest, wobei seine Stimme keinerlei Emotionen verriet.

»Wir konnten doch nicht einfach zusehen, wie sie diese armen Wesen quälen!«, ereiferte Yuan sich.

»Hüte deine Zunge«, mahnte Flavius, da Yuan drauf und dran war, zu verraten, dass er selbst ein zu diesen armen Wesen gehörte. Er sah seinen Schützling durchbohrend an. »Es sind Halbelfen, Soldat.«

Kratos sah die Verzweiflung in Yuans Blick. Und er sah, dass der Aufseher sich aus der Lehmgrube befreit hatte. Deswegen stieß er seinem Freund in die Rippen. Der Blauhaarige sah in die Richtung, die der Adelige ihm deutete. Seine Hände hatte er so fest zu Fäusten geballt, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.

»Kommt jetzt«, befahl Flavius und drehte sich um. Die beiden Freunde reagierten schnell. Yuan nahm seinen Wasserschlauch ab und gab der Greisin einige Schlucke davon. Kratos half ihr dann auf, bis sie wieder sicher auf den eigenen Beinen stand und Yuan legte ihr sehr behutsam den Sandsack auf den Rücken.

»Beeile dich, dann findet er dich nicht mehr«, sprach Yuan gütig. »Viel Glück.«

»Danke …«, hauchte die alte Frau und reihte sich wieder bei ihren Artgenossen ein. Dann beeilten sich die Soldaten, ihr Kommando einzuholen.
 

Etwas hatte sich an Yuan nach dieser Sache geändert. Seine sonst so fröhliche Art war wie abgestorben. Er dachte viel nach und sprach dafür umso weniger. Nur mir erzählte er davon, dass er anfing zu zweifeln. Nachdem er das Leid seiner Artgenossen gesehen hatte, fühlte er sich wie ein Verräter, wenn er weiter an unserer Seite blieb und gegen Sylvarant kämpfte, das schließlich die Freiheit seiner Rasse forderte. Es schmerzte mich, das zu hören, doch ich konnte ihn verstehen. Seine Treue zu mir hatte mich schon immer verwundert, ich wusste nicht, ob ich an seiner Stelle genauso gehandelt hätte.

Doch das, was wir gesehen hatten, war auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen. Obwohl Flavius kein Feind der Halbelfen war, war er Tethe'alla treu ergeben. Das wurde mir erst jetzt richtig bewusst. Ich hatte ihn immer bewundert, doch aus welchem Grund? Im Grunde diskriminierte er die Halbelfen auch, indem er für Tethe'alla kämpfte.

Ich hätte wohl wie Yuan an meinen Motiven gezweifelt, wenn ich welche gehabt hätte. Mir fiel auf, dass ich kein festes Ziel besaß. Ich war in der letzten Zeit so glücklich gewesen, dass ich meine Perspektive völlig aus den Augen verloren hatte.

Ich begann, mich zu fragen, was ich eigentlich wollte. Einst war mein Ziel die Freiheit gewesen. Doch was bedeutete Freiheit?

Ich wusste es nicht …
 

Salziger Wind wehte durch Kratos' Haare. Er saß am Bug des Schiffes, dass sie nach Sybak bringen sollte. Es war Abend, die Sonne ging allmählich unter. Es war ein wundervolles Farbenspiel, das sich tausendfach in der Wasseroberfläche brach, doch der Rothaarige konnte es nicht genießen. Zu tief war er in seinen Gedanken versunken.

Was tat er hier? Er war Soldat geworden. Ein Mensch, der sein Geld damit verdiente, zu töten. Er kämpfte gegen Sylvarant, ganz im Sinne seines Vaters. Was war aus ihm geworden?

Gedankenverloren blickte er in den Sonnenuntergang. Hatte nicht sein geliebter Großvater immer wieder gesagt, wie falsch der Krieg war? Und war Kratos selbst es nicht gewesen, der anders sein wollte als sein Vater? Dem Rothaarigen wurde schlecht von sich selbst. Er hatte all seine Ideale, all seine Träume, ja sogar Yuan verraten. Der kleine Halbelf, der immer an ihn und das Gute in ihm geglaubt hatte musste jetzt an seiner Seite gegen seine Artgenossen kämpfen. Was hatte er seinem besten Freund nur angetan? Und noch immer hielt er zu ihm, obwohl Kratos so viele Fehler begangen hatte. Wie weit würde seine Treue noch gehen?

Der junge Soldat sollte es später zutiefst bereuen, diese Frage gestellt zu haben.

Plötzlich wurde es laut und Kratos wachte aus seinen Gedanken auf, um über seine Schulter zu sehen. Er runzelte die Stirn, als er das Klirren von Ketten hörte. Er hatte sich schon gewundert, warum ein Teil des Decks mit einer Absperrung abgeschirmt war, doch jetzt erfuhr er es.

Von einem zweiten Eingang, der unter Deck führte, kamen nach und nach abgemagerte, schwache Halbelfen ins Zwielicht der Dämmerung. Sie wurden bewacht, von Aufsehern mit einsatzbereiten Peitschen. Kratos blieb der Atem weg. Ein Halbelf nach dem Anderen kam hervor. Sein Kommando, dass nur aus fünfundzwanzig Mann bestand, hatte unter Deck schon kaum Platz. Die Halbelfen waren jedoch gute fünf Dutzend. Sie waren dreckig und stanken bestialisch nach Fäkalien und Verwesung.

»Schon wieder drei Tote«, hörte er einen der Aufseher rufen, der gerade in das Quartier der Halbelfen gegangen war. »Stinken wie die Schweine«, sagte er und sah sich in der Menge der verschüchterten Überlebenden um.

»Heh, ihr da«, schnauzte der Aufseher und zeigte auf drei Halbelfen, die halbwegs gesund aussahen. »Wenn ihr eure Leute nicht anstatt Brot und Wasser fressen wollt, bewegt euch nach unten und schmeißt sie über Bord, verstanden?«

Die Halbelfen beeilten sich, dem Befehl nachzukommen. Kratos sah der Szenerie fassungslos zu.

»Wie grausam können die denn noch werden …?«, murmelte er.

»Viel grausamer …«, hauchte Yuan, der neben ihm aufgetaucht war. Er war blass, seine grünen Augen voller Trauer. »Ich kenne das, was sie durchmachen … ich stamme aus Sylvarant. Ich habe Wochen auf einem Schiff wie diesem verbracht. Du lebst wie Vieh zusammengepfercht dort unten. Es ist dunkel, feucht und es riecht wie in einem Krematorium.«

»Was … ist ein Krematorium …?«, fragte Kratos.

»Ein riesiger Ofen für Leichen«, erklärte der Halbelf mit kühler Stimme. »Die Leichen meiner Rasse werden dort verbrannt. Einige sind nur bewusstlos und werden durch die Hitze wieder wach.«

»…«

Die drei Halbelfen trugen die erste Leiche aus dem Unterdeck raus und warfen sie über die Reling. Das Platschen ging dem Adeligen durch Mark und Bein.

»Und du … warst wirklich mal auf so einem Schiff?«

»Sicher«, antwortete Yuan. »Oder glaubst du, ich bin erster Klasse gereist?«

Der Blauhaarige sah seinen Freund an.

»Ich hasse die Menschen. Daran hat sich nichts geändert. Ich habe nicht vergessen, was sie meiner Rasse und mir selbst angetan haben.«

»Das kann ich verstehen …«

»Kannst du nicht«, behauptete Yuan. »Und ich bin froh, dass du es nicht kannst. Ich gönne es nicht mal meinen ärgsten Feinden.«

»Yuan … ich möchte dich etwas fragen.«

»Nur zu.«

Die zweite Leiche viel ins Wasser.

»Warum bist du immer noch an meiner Seite?«

Der Blauhaarige schwieg eine ganze Weile. Die dritte und letzte Leiche wurde währenddessen ins Wasser geworfen. Die Halbelfen schienen eine Art Ausgang zu haben. Und sie genossen es sichtlich, ein wenig Tageslicht abzubekommen.

Plötzlich rollte Yuan etwas vor die Füße. Er hob es auf, um zu sehen, was es war. Kratos erkannte es nur schwer. Es war wohl einst ein Stofftier gewesen. Vielleicht eine Puppe. Jetzt war es eher ein Lappen mit einem Knopfauge. Der Blauhaarige sah auf. Zwischen den Halbelfen war ein kleines Mädchen, das ganz nahe an der Absperrung stand und Yuan ängstlich ansah. Ihr liefen Tränen über die Wangen, doch sie wagte es nicht, etwas zu sagen. Der Blauhaarige stieß sich von der Reling ab, an der er gestanden hatte und ging auf die Absperrung zu. Kratos sah, dass die Aufseher ziemlich Aufmerksam waren. Also beschloss er, hinzugehen.

»Entschuldigung?«

Die beiden Aufseher sahen zu ihm.

»Was willst du?«

»Nur etwas fragen«, antwortete Kratos. »Warum werden diese Halbelfen nach Sybak gebracht?«

»Pfeilfutter«, meinte einer der Aufseher. »Die werden vorangeschickt, damit der erste Pfeilhagel nicht auf unsere Leute trifft.«

Der Rothaarige schielte zu Yuan, der das kleine Mädchen tätschelte und aufmunternd anlächelte. Außerdem schien er ihr etwas zu sagen.

»Ah, ich verstehe«, schauspielerte Kratos. »Gut zu wissen, dass man soviel für unseren Schutz tut.«

»König Avanel ist ein guter König. Der Nachfolge seines Vaters würdig.«

»König Chephren ist tot?«, fragte der Adelige, nun doch ernsthaft am Gespräch interessiert.

»Er ist vor zwei Wochen gestorben«, klärte der Aufseher ihn auf. »Sein Sohn Avanel trägt jetzt die Krone.«

»Vielen Dank für die Information«, war Kratos höflich und wandte sich nach wenigen weiteren Worten ab. Yuan hatte sich wieder an die Reling zurückgezogen. Das Mädchen war verschwunden.

»Danke«, meinte Yuan. »Und damit hast du auch deine Antwort.«

»Welche meinst du?«

»Warum ich noch immer an deiner Seite bin«, erklärte der Halbelf. »Du bist nicht wie die Anderen. Du bist anders.«

Kratos schwieg. War er wirklich so anders? War er wirklich besser als die anderen Menschen?

Er zweifelte daran …



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  -Veni-
2009-04-05T11:39:53+00:00 05.04.2009 13:39
Yuan tut mir so leid ;___;
und die Halbelfen ja sowieso >^<~ *drop*
Kratos tut mir aber auch leid... T___T
muss schon schlimm sein, zu sehen, was die eigene Rasse so alles tut ;-;~ mya...
freu mich schon drauf, wenn das Kappi freigeschaltet wird x3
(sollte ja nicht mehr aaaaaaaall zulange dauern :D)
Von:  Faelia
2009-04-05T11:05:42+00:00 05.04.2009 13:05
Arme Halbelfen. :(
Bin schon gespannt auf das nächste Kapitel >.<
Von:  dragon221
2009-04-05T10:11:28+00:00 05.04.2009 12:11
Also das ist echt hart. Auch Yuan tut mir leid, der muss ja richtig hin und hergerissen sein!
Hoffentlich entscheiden sich Kratos und Yuan für das richtige.

schreib bitte schnelle weiter, bin schon richtig gespannt wie es weiter geht.^^
Von:  ShooterSheena
2009-04-04T19:07:51+00:00 04.04.2009 21:07
oh gott die armen halbelfen!
wie kann man nur so grausam sein...?
ich freu mich schon auf die fortsetzung! (und hoffe,dass es den halbelfen bald besser geht! ^^)
lg Elfenseele
Von:  GoldenSun
2009-04-04T13:17:24+00:00 04.04.2009 15:17
Was tun die bloß den halbelfen an?!
Das war wirklich ganz schön hefitg, das am Anfang mit den Gruben hat mich an den Film "Prinz von Ägypten" erinnert.
Nur da kann man dann auch verstehen, weshalb die Halbelfen die Menschen hassen und es ihnen in den Menschenfarmen zurückzahlen, auch wenn dieser Weg nicht gerade der Beste ist. >_<
Bin echt gespannt, wie es weitergeht.
Also schreib bitte schnell weiter.

LG GoldenSun
Von: abgemeldet
2009-04-04T13:02:04+00:00 04.04.2009 15:02
boah war das heftig o.o
ich musste fast heulen Q^Q
das mit den halbelfen ist richtig heftig XX

aber bin wirklich gespannt wie es weiter geht o.o
schreib schnell weiter >///<

LG
Kratos_the_Angel
Von: abgemeldet
2009-04-04T12:04:54+00:00 04.04.2009 14:04
Arme Halbelfen ;_;
Ich bin gespannt wie es weitergehen wird >_<


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