Zurück oder nicht?
Lost Angel
Kapitel 20 – Zurück oder nicht?
Jemil’s PoV
“Oh Brüderchen!” Ein Arm hatte sich um meinen Bauch gelegt. Ich wurde an jemanden
gedrückt. „Brüderchen!“ Wieder dieses Wort. Es wurde mir ins Ohr gehaucht. Gleich
darauf wurde an genau diesem leicht geknabbert.
Ich zuckte krampfhaft zusammen. „Lass mich!“ Ich versuchte mich zu winden, als
ich Finger auf meinem Schritt spürte. „Nein“, wimmerte ich. Wo war Jesko? Wieso
hatte er mich plötzlich allein gelassen. Vor ein paar Minuten lag er doch noch
auf mir.
Auf einmal wurde alles Schwarz. Ich schlug die Augen auf. Es war nur ein Traum?
Mehr nicht. Und dennoch war es so, als ob er wirklich hinter mir gestehen wäre.
Und mich wirklich berühren würde.
Langsam sah ich mich um. Nirgends war Pio zu sehen. Doch ich spürte, dass jemand
hier war.
Ich hatte mich unter Jesko hervorgekämpft. War nach draußen gegangen. Das wusste
ich jetzt wieder. Vor der Höhle hatte ich mich hingesetzt und war wohl eingeschlafen.
Es war noch dunkel. Zu meinem Glück.
Doch da hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Immer wieder. Mit der Zeit wurde
es lauter.
Ich rappelte mich wieder auf. Sah mich um. Das war nicht Jesko. Damit war ich mir
sicher. Doch da drückte mich schon jemand an den nächstbesten Baum. „Verflucht!
Jemil!“ Meine Augen weiteten sich. „Devin?“, flüsterte ich. Was machte denn
gerade der hier.
„Wo ist der Wolf?“, zischte er. Ich versuchte mich dumm zu stellen. Zog nur eine
Augenbraue hoch.
„Tu nicht so“, fauchte er, „du weißt wo er ist und auch was er gemacht hat!“
Leicht schluckte ich. Zu genau war ich mir im Klaren über das, was Devin redete.
„Ich weiß es wirklich nicht“, log ich. Irgendwie war ich mir so sicher, was er
mit Jesko machen würde. Das was sie mit allen Werwölfen machten, die nicht nach
ihrer Pfeife tanzten.
„Dann komm zumindest mit! Hier ist es zu gefährlich!“ Er nahm mich einfach am
Handgelenk und wollte mich wegziehen. Doch ich stemmte mich gegen ihn. Einfach
zurückgehen würde ich nicht. Nie. Nie mehr. Nicht ohne Jesko. Und der würde nicht
mehr dorthin gehen.
„Himmel, selbst Pio macht sich um dich Sorgen!“ Mir stockte der Atem bei den
Worten von Devin. „Das ist doch nicht dein Ernst“, knurrte ich. Nie würde sich
mein werter Halbbruder um mich sorgen. Das könnte er nicht. Er war dazu gar nicht
fähig. Sein Charakter ließ das doch schon gar nicht zu.
„Doch! Er hat wirklich Angst um dich. Meinte sogar irgendwas von 'Er würde diesen
Werwolf umbringen, wenn er dir etwas antut'.“ Ich zog meine Augen zu Schlitzen
zusammen.
„Das würde er nie sagen!“, fauchte ich. Riss mich los. Ich spürte wie mein Herz
wie wild schlug. Pio würde so etwas nie von sich geben. Er würde so etwas doch
ohnehin nie für mich machen. Ich war für ihn nur für das Eine gut. Und selbst
dazu zwang er mich.
Ich senkte den Kopf. Hatte ich Jesko nicht auch dazu missbraucht? Ihn dazu
gezwungen? War das etwas anders? Es war ein anderes Gefühl. Zwar wusste ich
nicht, wie er dabei fühlte, aber bei mir war ich mir im Klaren. Es war verdammt
schön.
Aber Devin riss mich mit einer Ohrfeige aus meinen Gedanken. „So ein Arsch ist
Pio jetzt auch wieder nicht! Er hat zumindest keinen Ältesten umgebracht. Nicht
so wie dein Werwolf!“
Woher wollte er das wissen? Er kannte meinen Halbbruder doch nur so, wie er sich
bei allen anderen zeigte. Da spielte er immer den Musterknaben. Doch genau der
war er nicht. Er war ein mies Arschloch. Jedoch merkte das doch wirklich niemand.
Er spielte vor allen nur. Aber wenn ich mit ihm alleine war, dann war er anders.
Dann zeigte er sein wahres Ich. Diese Seite, die so verflucht geil auf mich war.
„Das Wölfchen werden wir schon finden!“ Mein Blick wanderte nach oben von woher
diese Stimme kam. „Joe“, flüsterte ich. Wieso waren die denn beide hier? „Und Mr.
Ich-Reißaus nehmen wir jetzt gleich mit!“ Der dunkelhaarige Vampir sprang von dem
Ast auf dem er saß. Packte mich am Handgelenk. Mit Leibeskräften wehte ich mich
gegen sie. Doch ich konnte nichts ausrichten.
„Jesko!“ Er schlief noch. Würde mich gar nicht hören. Irgendwie war ich fast
glücklich darüber. Dann würde er zumindest frei bleiben. Sie würden ihn nicht
erwischen. Wahrscheinlich glaubten sie gar nicht, dass er noch hier war.
„Das Wölfchen lässt dich doch sicher nicht allein! Es war doch mehr zwischen
euch, als nur das Vögeln“, meinte da aber auf einmal Devin. Joe hob verwirrt eine
Augenbraue. „Er hat mit dem gefickt?“, fragte er etwas irritiert. Das konnte ich
nutzen. Ich löste mich aus ihren Griffen. Stolperte einige Schritte zurück.
Ich zuckte bei einem Jaulen zusammen. Das war kein verängstigtes oder wegen
Schmerzen. Das klang eher, als würde jemand den Mond an heulen. Gerade diesen
suchte ich jetzt wieder. Jedoch war er nicht zu sehen. Kam das wohl nicht von
Jesko. Vielleicht ein anderer Werwolf oder einfach nur ein gewöhnlicher Wolf.
Aber da spürte ich schon Pranken auf meinen Schultern und vernahm ein überdeutliches
Knurren. Jesko. Er hatte sich wieder verwandelt. Und das ohne den Vollmond?
Warmer Speichel traf meinen Hals. Ich schluckte. Er hatte sich also nicht unter
Kontrolle. Könnte mich wohl genauso in Stücke reißen. Jedoch war das immer noch
besser, als wieder in mein altes Leben zurückzukehren.
Ich schloss die Augen. Nur für einen Moment. Wartete was der Werwolf tat.
Ich spürte seine Schnauze an meinem Hals. Wie er sie dort leicht rieb. Wusste er
doch, dass ich es war? „Jemil“, hörte ich ihn murmeln. Leicht hob ich wieder die
Lider. Sah noch wie Devin und Joe zurückwichen.
„Habt ihr Angst vor ihm?“, fragte ich. Jedoch antworteten sie nicht. Blickten nur
verängstigt auf den Werwolf hinter mir. War er denn so Furcht einflössend? So
grausam sah er doch gar nicht aus. Und eigentlich war es auch nicht. Fast schon
handzahm. Obwohl er doch Victor umgebracht hatte. Doch gegenüber mir, war er
sogar so noch richtig nett.
Jesko hob den Kopf. Knurrte wieder. Ich zog leicht die Mundwinkel hoch. „Ich
glaube er will, dass ihr verschwindet und uns in Ruhe lasst“, schlussfolgerte ich
aus seiner Reaktion.
Er drückte seinen Kopf wieder an meinen Hals. Ich fühlte seine Hundohren. Sie
waren ganz weich. Knickten leicht ab.
„Ich werde dich hier ganz sicher nicht mit diesem Monster allein lassen“, zischte
aber auf einmal Devin. Ich sah nur desinteressiert zu ihm. „Er tut mir doch
nichts.“ Ich wusste es genau. Jesko würde mir nie etwas antun. Sonst hätte er es
doch schon längst getan. Er hätte mich schon die ganze Zeit töten können. Und
trotzdem schmiegte er sich nur an mich. Liebkoste jetzt sogar meine Schulter mit
seiner Zunge. Es kitzelte ganz leicht.
Wieso hatte er sich überhaupt verwandelt? Er hatte doch den Vollmond gar nicht
gesehen. Er war hinter irgendwelchen Wolken versteckt. Und so stark, dass er auch
ohne in seine Wolfsform wechseln konnte, war er doch noch nicht. Dazu hatte er
noch nicht die Kraft. Und eigentlich war er doch noch viel zu jung. Was konnte es
denn dann schon noch groß für einen Grund geben?
Jeskos Knurren ließ mich wieder aus meinen Gedanken schrecken. War es das? War er
wütend? Wut könnte ihm die nötigen Kräfte gegeben haben um sich zu verwandeln.
Aber reichten die wirklich aus?
„Geht!“ Ich war mir doch sich, dass sie das nicht tun würden. Nicht nachdem Devin
ihn 'Monster' genannt hatte. „Wenn er nicht will, dann soll er bei dieser
Missgeburt bleiben!“ Joe verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Warf mir noch
einen knappen Blick zu bevor er im Dunkel des Waldes verschwand. Devin stand noch
einige Sekunde einfach nur da. Sah mich fragend an. „Willst du wirklich bei ihm
bleiben?“, wollte er wissen. Ich nickte langsam. Drückte mich an Jesko.
„Pio wird dich trotzdem holen wollen“, meinte Devin noch. War dann auch schon im
nächsten Moment weg.
Ich spürte wie Jesko wieder seine menschliche Form annahm. Ganz leise noch einmal
knurrte. „Wieso bist du hier raus gegangen?“ fragte er. Legte die Arme um meinen
Bauch. Strich leicht darüber.
„Ich brauchte etwas frische Luft“, erwiderte ich einfach.
Er küsste mich zärtlich auf den Hals. Doch in der nächsten Sekunde zuckte ich
zusammen. Waren das gerade seine Zähne, die ganz leicht gegen meine Haut
drückten? Wollte er mich beißen?
„Du würdest sicherlich zum Hybriden“, meinte er. Mit soviel Sicherheit in der
Stimme. „Wie kommst du darauf?“, fragte ich. Das würde mich aber schon einmal
interessieren. „Du bist noch zur Hälfte Mensch. Ein Teil von dir kann noch zum
Werwolf werden.“ Wie Recht er doch hatte. Dieses eine Stückchen Mensch in mir
würde zu einem Wolf werden, wenn er mich beißen würde. Aber was wäre dann mit
meinem Vampir-Teil? Würde der das auch einfach so zulassen?
„Dann tue es doch.“ Zumindest versuchen könnte man es doch. Doch er schüttelte
den Kopf. „Du bist mir als Vampir lieber.“ Sanft berührte er mit der Nase meine
Wange. Stupste sie nur leicht an.
„Hättest du wieder einmal Lust?“ Ich zog bei seiner Frage nur die Augenbrauen
zusammen. Drehte mich langsam zu ihm herum. „Auf was Lust?“, wollte ich wissen.
Es sah nur verlegen auf den Boden, als er mich los ließ. „Du weißt schon, was ich
meine“, murmelte er.
„Ich würde viel lieber ein bisschen kuscheln.“ Natürlich hatte ich gewusst, was
er wollte. Aber um einiges mehr wollte ich nur in seinen Armen liegen. Wollte,
dass er mich nur ganz sanft liebkoste. Mich nur streichelte. Seine Finger wollte
ich nur ganz leicht auf meiner Haut spüren. Jeden einzelnen. Wie sie über meinen
Körper glitten. Ihn mit seiner kindlichen Neugier erkundeten.
„Wenn dir das lieber ist. Aber wohl nicht jetzt. Lange können wir nicht mehr hier
bleiben.“ Ich hm-te nur. Vorsichtig küsste ich ihn. Doch er erwiderte den Kuss
viel zu leidenschaftlich. Viel zu stürmisch. Eigentlich hatten wir doch gar keine
Zeit. Das hatte er doch selbst so ähnlich gesagt. Jetzt hörte ich doch wirklich
schon darauf, was mein kleines Wölfchen sagte.
Er biss leicht in mein Shirt, als er wieder von meinen Lippen abließ. „Na komm“,
flüsterte er. Was war er denn auf einmal so leise?
Da warf er mir aber schon die Kapuze über den Kopf. „Ausgeschlafen bin ich
jetzt.“ Er grinste. Es schien sogar fast, als ob das von einem Ohr zum anderen
gehen würde. Eigentlich eine unmögliche Tatsache. .
Fröhlich lief er vor mir her. Wie so ein kleines Kind. Gerade die leichte
Schneeschicht, die sich auf einigen Büschen gebildet hatte, gefiel ihm. Oder
vielleicht war es auch im Großen einfach nur der Schnee, den er mochte.
Abrupt hielt er aber Inne. Lauschte in die Nacht hinein. Ich blieb auch stehen.
Wartete. „Was ist denn?“, fragte ich schließlich. „Da ist wieder ein Dorf“,
murmelte er. Nahm mich an die Hand und lief los. Etwas mühsam kam ich hinter ihm
her. Wenn er mich wohl nicht festgehalten hätte, hätte ich es wohl gar nicht
geschafft.
Nach Minuten macht er wieder langsamer. Es waren wirklich in der Dunkelheit
kleine Lichter aufgetaucht. Und nur noch ein paar Meter, dann waren wir aus dem
Wald draußen. Ich war wohl noch nie so weit gekommen.
Nichts als Wiese lag vor uns. Und ein kleines Dörfchen mit nur ein paar Häusern.
Langsam ging ich an Jesko vorbei. Ließ mich nach ein paar weiteren Schritten in
den Schnee fallen. Es war ganz angenehm, auch wenn es kalt war.
Ich blickte gen Himmel. Eine Sterne konnte ich erkennen. Der restliche Nachthimmel
war von Wolken bedeckt. Genauso wie immer noch der Mond. So musste ich mir wohl
keine Sorgen machen, dass sich Jesko deswegen noch einmal verwandeln würde.
Und gerade dieser junge Werwolf blieb neben mir stehen. Sein Atem raste. War er
so erschöpft? Nicht einmal ich fühlte mich annähernd aus der Puste.
Er beugte sich zu mir herunter. Berührte meine Oberschenkel. Kam meinem Gesicht
ganz nahe. „Darf ich?“, fragte er. Ich schluckte. „Was denn?“, wollte ich wissen.
Doch da massierte er schon meinen Schritt. „Darf ich mit dir schlafen?“
Ich kniff die Augen zusammen. „Wir sollten uns erst einmal wieder einen Schlafplatz
suchen und außerdem ... ist es hier viel zu kalt.“ Ich begann schon leicht zu
schlottern. Obwohl er mir so nahe war.
Langsam nickte er. „Ok“, meinte Jesko schließlich und half mir wieder hoch. Ich
klopfte mir den Schnee von den Kleidern. So angenehm war er dann doch nicht.