Anfang der Veränderung
Lost Angel
Kapitel 17 – Anfang der Veränderung
Jesko’s PoV
Wie gebannt starrte ich auf meine Hände. Sie waren noch immer Blut verschmiert.
Ich hatte wirklich einen Vampir getötet. Einfach so. Mein Körper hatte mir nicht
gehorcht. Nur der Geruch von Jemil hatte mich einen Moment wieder unter Kontrolle
gebracht. Doch dann war da der Geruch seines warmen Lebenssaftes. Der ließ meine
Sinne wieder aus den Rudern geraten. Ich war wieder wütend geworden. Dieser
verfluchte Victor hatte ihm weggetan und dann tötete ich ihn. Ja, ich war ein
Mörder. Ich hatte einen Vampirältesten getötet.
„Wasch dir die Hände!“ Ich hob den Blick Sah zu Jemil. Er hatte sich gerade einen
langen, schwarzen Mantel mit Kapuze übergeworfen. Dann wollte er wirklich mit mir
von hier weg. Knapp nickte ich. Marschierte ins Bad.
Minuten lang ließ ich das lauwarme Wasser über meine Finger laufen. Viel half es
nicht. Dieses verdammte Rot ging nicht ab. Es wollte wohl gar nicht.
Zwei Arme legten sich um mich. „Du musst Seife nehmen“, flüsterte Jemil. Ich
hm-te nur. Nahm besagtes Stück. So ging es wirklich einfacher.
„Dann können wir?“ Er zitterte ganz leicht. War er sich seiner Sache doch nicht
so sicher? Das sah aber noch vor einigen Minuten anders aus.
Ich nickte. Trocknete mir nur noch schnell die Hände ab, bevor ich ihn mit einem
leichten Ruck einfach hinter mir herzog. Wir sollten so bald wie möglich weg
sein. Das ganze Haus würde bald in Aufruhe sein. Spätestens wenn Joe ihn gefunden
hätte.
Jemil stolperte nur hinter mir her durch die Gänge. Den Haupteingang würden wir
nicht nehmen um raus zu kommen. Einer der unendlichen Hinterausgänge würde wohl
besser hinkommen.
„Mach mal ein bisschen langsamer“, flehte der Vampir. Aber flehte er wirklich?
Irgendwie kam mir das bekannt vor. Es war doch erst vor ein paar Tagen genau
anders herum.
„Zieh dir die Kapuze über“, trug ich dem Blonden auf, als wir durch einen kleinen
Gang liefen. Ich wusste, dass an dessen Ende eine Tür nach draußen war und dass
es wohl noch hell sein würde.
Wie ich es ihm auftrug tat er es. Zog sich die Kapuze tief ins Gesicht. Nicht
einmal mehr seine Augen konnte ich sehen.
Ohne große Vorwarnung riss ich die Tür auf. Natürlich strahlte die Sonne noch vom
Himmel, aber in seiner Montur sollte sie ihm – hoffentlich – nicht viel anhaben
können. Bis jetzt wimmerte oder schrie er auch noch nicht vor Schmerzen.
„Nehmen wir die Pferde?“, fragte Jemil. Hob nicht einmal den Kopf. Wäre aber wohl
auch zu gefährlich gewesen. Ich nickte langsam. Auch wenn ich diese Tiere überhaupt
nicht mochte. Einmal hatte mich schon eins getreten. Und halb zertrampelt bin ich
von ihnen auch schon geworden. Nutzloses Viehzeug.
Ich schlich durch den Stall. Versuchte mich so weit wie möglich von irgendwelchen
Hufen fern zu halten. Die Pferde hatten schon wütend zu schnauben begonnen, als
ich nur die Tür geöffnet hatte und jetzt hatte sich daran nicht viel geändert.
Das ‚nicht mögen’ beruhte sich wohl auf Gegenseitigkeit.
„Die hassen mich“, flüsterte ich. Jemil hatte sich einem Rappen zugewendet. Das
schwarze Tier ließ sich genüsslich die Nüstern streicheln. Doch als ich näher zu
dem Vampir trat schnaubte auch es nur wütend.
„Ganz hinten müsste ein Schimmel stehen. Der ist ganz lieb.“ Der Blonde wies nach
hinten und ich marschierte in die Richtung. Versuchte einfach mal das Hufekratzen
der Pferde nicht zu beachten. Die würden mich wohl wirklich liebend gerne
zertreten sehen.
Am hinteren Ende des Stalles stand wirklich ein fast weißes Pferd. Und es blickte
mich auch nicht so wütend an, wie die anderen. Beinahe erleichtert atmete ich
auf, als ich näher zu ihm ging. Doch es wich zurück.
Etwas verwirrt wendete ich mich um. Jemil war immer noch im vorderen Teil und um
Hilfe bitten wollte ich ihn gar nicht. Diesen ängstlichen Gaul würde ich schon
irgendwie erwischen.
„Na komm her, Pferdchen“, flüsterte ich und trat wieder einen Schritt näher auf
es zu. Aber es ging wieder zurück. Blickte mich mit großen Augen an. Große Lust,
das noch lange zu machen hatte ich nicht.
„Blöder Gaul, komm her!“, zischte ich. Jedoch verängstigte es das wohl nur noch
mehr. Immer weiter versuchte es sich von mir zu entfernen. Irgendwann würde es
schon gegen eine der Boxenwände laufen. Passierte sogar recht bald.
Ich tapste wieder etwas weiter auf es zu und das – dumme – Pferd ließ sich von
mir in eine Ecke treiben.
„Jesko! Was brauchst du denn so lange?“, hörte ich Jemil hinter mir fragen. Das
Tier vor mir blieb abrupt stehen. Blickte den Vampir fast schon freudig an.
Trabte dann einfach an mir vorbei auf ihn zu. Ließ sich von Jemil streicheln.
„Mich hassen Pferd“, murrte ich. „Sie spüren wohl eher, dass du Angst vor ihnen
hast.“ Ich wirbelte zu dem Blonden herum. „Angst?“ Ich verzog mein Gesicht zu
einem Schmollen. Angst gegenüber solchen Huftieren war für mich ein chinesisches
Fremdwort.
Jemil nahm das Zaumzeug, das an einem Hacken an der Wand hing und legte es dem
Pferd an. Er ging mit dem Tier fast schon fürsorglich um. Das lag doch nicht nur
daran, dass ich dabei war.
Wieder im vorderen Teil angekommen stand dort auch schon der Rappe – auch
gezäumt. Es schien aber, als ob mich das Tier böse anschauen würde. Richtig
schauderhaft.
Etwas unsicher sah ich zu dem Schimmel, der neben mir stand. „Und damit wollen
wir jetzt wirklich abhauen. Zu Fuß wären wir sicher schneller“, meinte ich. Er
war doch auf alle Fälle um einiges schneller als jedes Pferd in diesem Stall.
Auch wenn das wohl auf mich nicht zutreffen würde.
„Du aber nicht“, säuselte Jemil. Ließ die Zügel – die er eigentlich jetzt von
beiden Pferden in Händen gehalten hatte – auf den Boden sinken. Legte die Arme um
meine Schultern. Diese wirklich eigentlich winzigkleine Berührung fühlte sich
plötzlich so seltsam an. Ich verstand nicht mehr, was ich fühlte.
Ich näherte mich mit meinen Lippen seinem Ohr. „Willst du denn anderen Grund
wissen, wieso ich das alles mit mir machen lassen?“, flüsterte ich. Langsam
nickte er. Schluckte auch gleich. Irgendwie wirkte er aufgeregt.
Ich schlag leicht die Arme um ihn um ihn etwas näher zu mir zu ziehen. „Weil ich
dich … lie … lie …“ Ich konnte es einfach nicht aussprechen. Es blieb mir Wort
wörtlich im Halse stecken und als ob es gar nicht heraus wollte.
„Was denn jetzt? Du ‚lie’ mich?“ Er löste sich aus meiner Umarmung sah mich
verwirrt an. Das löste sich aber bald wieder auf. „Na ja, du kannst es wohl immer
noch nicht sagen.“ Leicht kratze er sich am Ohr. Beugte sich dann nach unten um
die Zügel wieder aufzuheben und mir einen davon in die Hand zu drücken. „Wir
sollten los“, meinte er bestimmend und zog sich auch gleich wieder die Kapuze
über den Kopf. Seine schönen Augen verschwanden fast darunter.
Seufzend tapste ich hinter ihm her nach draußen. Ein kalter Wind schlug ihm ins
Gesicht, als er nach draußen trat. Der Schnee knirschte unter seinen Schritt, als
er ein Stück weiter ins Freie ging. Sich leicht umsah, was ich ihm auch sofort
gleichtat. Es war noch immer ziemlich hell. Erst in ein paar Stunden würde die
Sonne untergehen. Bis dahin sollten wir weit genug weg sein.
Jedoch machte ich mir Sorgen um ihn. Wenn nur einmal eine Böe im die Kapuze vom
Kopf reißen würde, dann könnte er sich auf einen kurzen, aber schmerzvollen Tod
einstellen. Zumindest wenn er direkt von der Sonne erwischt werden würde. Zwar
sah es momentan eher danach aus, dass es bald wieder zu schneien anfangen könnte
– die Wolken hatten einen Großteil des Himmels bedeckt – aber das würde nicht
immer so bleiben. Im Sommer wird ihn die Hitze sicherlich noch umbringen. Doch
bis dahin war es noch lange hin.
Ich legte meine Hände auf seine Hüften. Nur für einen Moment. Spürte wie er
leicht zusammen zuckte. „Was ist denn?“, fragte er. Drehte sich leicht zu mir.
Ich drückte meinen Kopf gegen seinen Hals. Sein Herz begann schneller zu
schlagen. Ich fühlte nämlich wie das Blut auch um einiges schneller durch seine
Halsschlagader floss. Unbewusst biss ich mir leicht auf die Zunge.
„Wir müssen los!“, meinte er ruhig, aber bestimmend. Löste sich wieder von mir.
Eins ganz leichtes, kleines Lächeln hatte sich auf seinen Lippen gebildet. Mein
Körper wurde schlagartig etwas wärmer. Nur weil er ganz kurz die Mundwinkel etwas
hochgezogen hatte. Er wirkte so … niedlich. Und dennoch hatte ich ihn noch nicht
richtig lachen sehen. Das wollte ich doch eigentlich. Also war das doch schon ein
Schritt in die richtige Richtung. Nur noch ein bisschen mehr. Ein kleines
Bisschen. Das würde ich doch noch mit Leichtigkeit schaffen.
Langsam tapste ich hinter ihm her. Mit den Zügeln des Pferdes in der Hand.
Anmutig stieg er auf das seinige auf.
„Komm! Beeil dich!“ Jemil warf mir einen kurzen Blick zu. Unsicher wendete ich
den meinem zu dem Tier neben mir. Es scharrte nervös mit den Hufen, als ich
versuchte hochzukommen. Da trat es aber plötzlich einen Schritt auf die Seite und
ich verlor das Gleichgewicht. Landete im kalten Schnee.
„Drecksvieh!“, brüllte ich. Bekam jedoch auch gleich mit, dass Jemil nur den Kopf
schüttelte. „Du wirst doch auf ein Pferd kommen?“, meinte er mit gehobener
Augenbraue. „Als Werwolf hat man das leider nicht gelernt“, zischte ich wütend.
Bereute es aber schon im nächsten Moment.
„Tut mir leid.“ Verwirrt blickte ich auf. Hatte er sich gerade bei mir entschuldigt?
Das klang irgendwie seltsam. Rein sein Tonfall. War das sein wirkliches Ich? War
er so wirklich? Schüchtern? Zurückhaltend? Zerbrechlich? So wirkte er zumindest
gerade. Und irgendwie mochte ich es sogar. Dieser kalte Charakter war einfach nur
grausam. Er tötete doch damit nur seine ganzen Gefühle ab.
Nach meinem zweiten Versuch schaffte ich es auch auf das Pferd zu kommen. Etwas
nervös sah ich zu Jemil. Ich hatte wohl doch Angst vor diesen Tieren. Doch wieso
fand ich auch gleich darauf heraus.
Plötzlich stellte sich das Pferd des Vampirs auf die Hinterbeine. Wieherte
verängstigt. Ich wusste im ersten Moment nicht einmal was los war. Bis das Tier
ganz umstürzte. Meine Augen weiteten sich. Aus Angst sprang ich vom meinigen
wieder ab. Aber nur um nach Jemil zu sehen. Er hatte wohl Glück im Unglück. Das
Huftier war genau neben ihm zu liegen gekommen und jetzt sah ich auch, von was es
so verschreckt worden war. Eine riesige Fledermaus hing an seinem Hals. Als diese
die Zähne wieder aus dem Pferd zog schweifte sein Blick über die Umgebung.
„Es sieht uns nicht“, flüsterte Jemil. „Was ist das?“, fragte ich. Es wirkte wie
irgendeine mutierte Fledermaus. Zumindest sah dieses Ding so aus. Nur viel zu
groß. Und Eckzähnen, die bis über das Maul herausragten. Und das was ich zuerst
für Augen gehalten hatte waren nur Felllappen. Etwas wie Augen hatte es wohl gar
nicht.
„Ein kleines Gen-Experiment“, gab der Vampir leise zurück. Ich schluckte. Das
wäre wohl das, dem es am nächsten kam. „Wenn wir nicht zu laut sind, kann es uns
nicht einmal hören.“
Zaghaft rappelte Jemil sich auf. Ging langsam um das ‚Tier’ herum. Sein Pferd war
wohl nicht mehr am Leben, weswegen er sich gleich dem meinen zuwendete. „Ruhig“,
flüsterte er, als auch dieses sich gerade aufbäumen wollte.
Dieses Etwas kroch auf mich zu. Fletschte die Zähne. Mir entfuhr ein Schlucken,
als ich auch wieder aufstand. Es konnte mich gar nicht sehen, hatte er gesagt.
Ich hoffte doch mal, er hatte Recht.
Schnellen Schrittes bewegte ich mich zu Jemil, der schon auf meinem Pferd saß.
Mit einem Ruck hatte ich hinter ihm Platz genommen.
„Runter“, meinte ich und griff über ihm hinweg nach den Zügeln. „Was soll das?“,
fragte er, als ich mich fast ganz über ihn beugte. „So trifft dich die Sonne noch
weniger“, erwiderte ich. Legte einen Arm um seinen Bauch und gab den Tier die
Sporen. Es wieherte kurz auf, bevor es los lief. Dieses seltsame Fledermaus-Vieh
hatte das wohl auch gehört und drehte sich langsam um. Doch es blieb dennoch auf
dem Boden sitzen. Im kalten Schnee würde es wohl bald erfrieren.
„Da hinten geht ein Weg durch den Wald zum nächsten Dorf. Gegen Abend könnten wir
dort sein“, meinte der Blonde. Versuchte sich leicht wieder aufzurichten, doch
ich drückte ihn wieder auf den Rücken des Pferdes.
„Ich weiß“, erwiderte ich, „und du bleibst schön unten!“
Durch den Lauf des Pferdes wurde der Schnee aufgewirbelt. Etwas machte ich mir
Sorgen, dass uns jemand folgen würde. Wir waren momentan auch die einzigen die
für den Mord am Ältesten Victor in Frage kommen würden.
Für einen Moment presste ich die Augen zusammen. Ich zog ihn da doch nur mit
rein. Aber er wollte wieder rum doch davor von hier weg. Und ich war wohl erst
ein Grund um es wirklich zu tun. Davor wäre er zu Victor sicher auch gar nicht
gegangen. Doch es war ein Fehler mich mit zunehmen. Hätte er sich nur nicht an
die Regeln gehalten.
Ich beugte mich etwas tiefer über ihn. Ganz leicht zitterte er. Minusgrade
mussten wir wohl schon längst haben und sein Körper konnte sich doch ohnehin
nicht richtig selbst wärmen. Dann würde einfach ich diese Arbeit übernehmen.
„Was wird jetzt mit Pio?“, fragte ich irgendwann. Ob er überhaupt über dieses
Thema reden wollte, wusste ich eigentlich nicht. Aber zumindest versuchen konnte
ich es.
„Was soll mit ihm sein? Das er auf die verdammte Idee kommt, mich zurückholen zu
wollen, kann ich mir schon vorstellen. Das werden sie alle, wenn erst einmal
herauskommt, wer Victor getötet hat. ... Nur wird sich dann Pio einen Spaß daraus
machen mich zu quälen, wenn sie mich erst einmal wieder eingesammelt haben.“ Kein
Funken Gefühl lag in seiner Stimme.
Ich schmiegte mich etwas an ihn. Er fror doch immer noch. Es würde wohl auch so
bald nicht aufhören.