Der Rauchende Spiegel
Tatsumakis Vergnügen fiel also buchstäblich ins Wasser. Aber hinter den "kleinen Aufgaben" steckt noch etwas anderes:
7. Der Rauchende Spiegel
Tatsumaki blieb in seiner männlichen Form auf einem Vorsprung des Feuer speienden Berges stehen und betrachtete ein wenig nachdenklich die Frau, die sich ihm näherte: „Lacuna.“
Diese wirkte auf den ersten Blick menschlich – wenn ein Mensch es ausgehalten hätte, vollständig in Flammen zu stehen. Selbst ihre Haare loderten. Sie verneigte sich höflich: „Tatsumaki-sama, ich bin überaus erfreut, nach so langer Zeit wieder Gäste geschickt zu bekommen. Und ich bin noch entzückter, dass Ihr an mich zuerst dachtet.“
„Oh, dies tat ich nicht, meine Liebe“, gab der Sturmbringer ehrlich zu: „ Ich hätte es jedoch wohl tun sollen.“
Die Feuerfrau sah erstaunt zu ihm auf: „Soll das heißen, die...äh…Prüflinge haben schon eine Aufgabe gemeistert?“
„Nicht nur eine. Sie haben den Schattenwald durchquert, obwohl sie Schwertscheiden aus Holz haben, sie entkamen dem Dorf der Bäckerinnen und den Schlafenden Feldern, ja, sogar der Quelle von Sirtan.“
„Wie ungewöhnlich. Das würde ja bedeuten, dass es sich noch um Kinder handelt, und solche werden doch nicht zu Euch geschickt.“
„Sie sind noch recht jung, tragen jedoch Waffen und können kämpfen. Aber wieso meinst du: Kinder?“
„Die Quelle weckt Begehrlichkeiten. Nur Kinder sind eigentlich so reinen Herzens, dass sie ausschließlich die Freude am Bad sehen.“
„Hm. Irgendwie kann ich es mir nicht vorstellen. Sie sind sicher erwachsen, wenn auch noch recht jung. Nein, Kinder gewiss nicht. – Sieh, dort am Horizont kommen sie.“
Lacuna blickte in das Land: „Beide haben so weiße Haare…Brüder?“
„Ja. Und doch standen sie sich mit dem Schwert in der Hand gegenüber.“
„Ich verstehe. Nun, dann hassen sie sich – und kommen doch gemeinsam her? Auch dies ist ungewöhnlich. Aber wenn sie in den Rauchenden Spiegel geblickt haben….Ach ja, ich erinnere mich an ein Brüderpaar, dass so einträchtig hier herkam. Danach waren sie so vor Neid und Missgunst zerfressen, dass sie sich gegenseitig töteten.“
„Du meinst, Eifersucht könnte der Grund ihres Kampfes sein?“ Der Sturmbringer sah hinunter: „Wir werden sehen. Es würde mich schon interessieren, zumal sie bislang in allen Aufgaben zusammen blieben, obwohl sie zu Anfang sagten, sie würden nichts gemeinsam tun. Sie sind wirklich seltsam. Nun gut, Lacuna. Geh und hole deinen Spiegel.“
„Wie Ihr wünscht. Er ruht in den Tiefen des Feuer speienden Berges.“ Die Feuerfrau verneigte sich noch einmal, ehe sie sich umwandte und ging.
Tatsumaki musterte die Hundebrüder, die sich langsam dem Vulkan näherten: „Neid? Eifersucht?“ murmelte er: „Dagegen könnt auch ihr nicht ankommen. Und wenn doch….Nun, dann warten die Lebensesser auf euch.“
Die letzte der kleinen Aufgaben. Und der Sturmbringer gab zu, dass noch nie jemand alle seine Prüfungen bestanden hatte, gleich, in welcher Reihenfolge er sie ausgesucht hatte. Diese beiden ließen in ihm zum ersten Mal seit so langer Zeit die Hoffnung aufkeimen, dass es jemanden geben könnte, der die Besorgnis des Donnergottes beseitigen konnte. Er selbst hatte sie lange nicht ernst genommen, aber da waren nun dieser Herrscher und der dunkle Flammengeist…
„Schwefel!“ Inuyasha rieb sich über die Nase, ehe er einen raschen Blick seitwärts warf. Soweit er wusste, war der Herr Halbbruder näher am Hund als er selbst, und hatte damit das nochmals bessere Geruchsvermögen. Für den musste es noch schlimmer sein. Aber natürlich würde er sich nie herablassen, etwas dazu zu sagen.
Sesshoumaru schwieg denn auch. Was für eine überflüssige Bemerkung, dachte er nur. Der Umgang mit Menschen schien dazu zu verleiten, ebenso wie diese vollkommen sinnlose Dinge zu sagen. Sei geraumer Zeit konnte er schon den Feuer speienden Berg wittern, und damit auch sämtliche Gerüche, die ein solcher eben mit sich brachte. Es würde noch ärger werden, aber um die Aufgabe zu erfüllen, mussten sie dort hin und diese Lacuna und ihren Spiegel finden. Daran war nichts zu ändern, bedauerlicherweise.
Der Hanyou grinste ein wenig. Langsam konnte er doch vorhersagen, wie der Herr Dämon reagieren würde. Auch, wenn es ein wenig nervtötend war, keine Antworten zu bekommen. Wie das wohl Rin aushielt`? Aber andererseits war selbst ein schweigender Begleiter besser als niemand, und sein Maßstab waren die langen, einsamen Jahre der Wanderung nach Mutters Tod, bis er Kikyou getroffen hatte. So meinte er nur: „Dort oben auf dem Berg steht eine brennende Frau. Das sollte diese Lacuna sein.“
Das stimmte, dachte Sesshoumaru. Die Feuerfrau dort hatte sie bemerkt und sprang mit weiten Sätzen den Abhang hinunter, um sie zu erwarten. Der Sturmbringer schien sie angekündigt zu haben.
„Willkommen, meine Gäste. Mein Name ist Lacuna. Wie euch Tatsumaki-sama sicher mitteilen ließ, lautet eure Aufgabe hier, in meinen Rauchenden Spiegel zu blicken. Kommt mit.“ Sie war angetan. Das waren ja wirklich zwei niedliche Brüder. Nein, wohl eher Halbbrüder. Noch besser. Soweit sie je erfahren hatte, waren diese noch leichter dazu zu bekommen, aufeinander loszugehen. Sie wandte sich um und stieg wieder den Berg hinauf.
„Äh, Lacuna?“ begann Inuyasha.
„Ja?“
„Was passiert denn, wenn wir in den Spiegel sehen?“
„Neugierig?“ Zumindest der Jüngere war ja wirklich fast noch ein Kind. Ein Kind und ein Halbwüchsiger. Was sie wohl Schreckliches angestellt hatten, um in dieser Welt zu landen? Immerhin geschah das, soweit sie gehört hatte, nur mit Wesen, die gegen die elementarsten Grundregeln verstoßen hatten. „Der Rauchende Spiegel weckt Erinnerungen.“
Das klang so harmlos, aber die Halbbrüder hatten mittlerweile schon Erfahrungen sammeln können, was in dieser Welt unter „harmlos“ zu verstehen war. So fuhr Inuyasha fort: „Und dann?“
„Danach könnt ihr gehen. Ich werde euch nicht aufhalten.“ Für einen Moment war Lacuna versucht, ihnen zu sagen, dass es noch stets, wenn sie zwei Prüflinge gleichzeitig hier gehabt hatte, am Fuß des Feuer speienden Berges zu einem Kampf zwischen ihnen gekommen war. Aber Tatsumaki-sama schätzte es nicht, wenn man sich in seine Aufgaben einmischte, und sie wollte den Sturmbringer nicht verärgern. Das endete meist ziemlich schmerzhaft, soweit sie wusste.
„Hm“, brummte der Hanyou, warf aber einen unwillkürlichen Blick seitwärts zu seinem Halbbruder – und begegnete überraschend dessen Augen. Anscheinend war auch dieser sich sicher, dass da irgendwo eine Falle war. Nur, welche? Was sollten Erinnerungen für Wirkungen haben?
Auf der Höhe des mit glühendem Gestein gefüllten Kraters blieb Lacuna stehen: „Dort ist der Rauchende Spiegel. Tretet hin und seht hinein.“
Die Hundebrüder betrachteten das Gebilde. Der Rauchende Spiegel war gewiss zwei Meter hoch, einen breit, umgeben von einem metallisch glitzernden Rahmen. Aber an der Stelle, an der sich gewöhnlich der eigentliche Spiegel befunden hätte, waberte dichter, schwarzer Rauch.
„Das erklärt den Namen“, murmelte Inuyasha und machte die Schritte hinüber, blieb davor stehen.
Da er damit fast die gesamte Oberfläche des Rauchenden Spiegels verdeckte, wollte Sesshoumaru schon etwas nicht sehr Freundliches dazu sagen, ehe er bemerkte, dass es keine Rückseite in dem Sinn gab. Die andere Seite des so genannten Spiegels war identisch. So stellte er sich dorthin. Er würde doch nicht auf Tuchfühlung mit dem Bastard gehen.
Lacuna nahm es ein wenig erstaunt zur Kenntnis. Gewöhnlich waren die Prüflinge nebeneinander stehen geblieben. Konnten sich die beiden so wenig leiden, dass sie nicht einmal für einen Auftrag die Nähe des anderen erdulden konnten? Dann wäre die Aufgabe, in den Rauchenden Spiegel zu blicken, rasch vorbei.
Inuyasha versuchte, in dem schwarzen Dunst etwas zu erkennen. Bestimmt sollte er doch hier Bilder zu sehen bekommen. Erinnerungen? Im Zweifel suchte sich der blöde Spiegel seine scheußlichsten aus. Tatsumaki mochte es ja anscheinend sehr, sich auf anderer Leute Kosten lustig zu machen. Aber was sollte es. Er kannte seine eigenen Erinnerungen schließlich. Was sollte daran schon besonders grässlich sein? Nun gut, ihm fiel die eine oder andere Situation ein, die er eigentlich nicht noch einmal zu sehen bekommen wollte, aber das war unangenehm, schmerzlich, jedenfalls nicht gefährlich. Diese „kleine Aufgabe“ sollte doch zu schaffen sein.
Er erfasste ein Bild vor sich, das er so noch nie gesehen hatte. Da war ein Youkai, bewaffnet, der gerade zurückwich. Den kannte er nicht, da war er sicher. Und so viele Leute hatte er auch nicht umgelegt, dass er sie vergessen hätte. Dessen erste Worte bestätigten dies:
„Sesshoumaru-sama, so geht das nicht. Ihr müsst Euch besser konzentrieren. Wenn Ihr so schwach seid, nicht fähig seid, Euch selbst auch bloß zu verteidigen, wie wollt Ihr je Eurem edlen Vater auch nur gleich kommen?“
Inuyasha begriff, dass er gerade eine Erinnerung seines Halbbruders sah. Und so, wie die Perspektive schien, war dieser da noch sehr klein gewesen. Die Bilder wechselten, aber immer waren es Begriffe zu lernen, zu kämpfen, immer kam der Hinweis: das müsst Ihr können, um Eures Vaters würdig zu sein. Eine weibliche Youkai mit weißen Haaren tauchte immer wieder auf, die ähnlich redete. Das musste Sesshoumarus Mutter sein. Schön, aber kalt, dachte Inuyasha prompt, der sich an seine erinnerte, die ihn umarmt hatte, sich bemüht hatte, ihm etwas beizubringen. Auch sie sprach immer wieder davon, dass sein Vater Sesshoumarus einziger Maßstab sein dürfe, er sich bemühen müsste, ihn zu erreichen, oder gar zu übertreffen.
Eine neue Erinnerung, anscheinend schon aus der Jugend.
„Ich verstehe nicht, Frau Mutter, warum Ihr dieses minderwertige Wesen nicht tötet, das meinem verehrten Vater so gefällt.“
„Sie gefällt seinen Lenden. Und eben, weil sie minderwertig ist, werde ich sie nicht töten. In nur zehn Jahren wird ihre Schönheit verwelken und diese Izayoi wird nichts anderes mehr für ihn sein als eine flüchtige Erinnerung. Ich dagegen bleibe, die ich bin. Und ich bin die Mutter seines Sohnes.“
Inuyasha wurde klar, dass sie über seine Mutter redeten.
Sesshoumaru sprach wieder: „Und wenn sie ebenfalls einen Sohn bekommt?“
„Unmöglich. Nun, selbstverständlich weiß ich, dass es ab und an zu… Unfällen kommt, zu Hanyou. Aber nie zwischen einem so starken Youkai und einer Sterblichen. Das mächtige Blut deines Vaters wäre zu kraftvoll für einen menschlichen Körper. Das Kind würde bereits im Mutterleib in tollwütige Raserei verfallen und seine Mutter und damit sich töten. Du kannst beruhigt sein. Du bleibst der Erbe.“
War es das, warum Sesshoumaru ihn hasste? Weil er nicht mehr der einzige Sohn war? Der Erbe? Aber er hatte doch nie etwas von ihm gewollt?
Nur Tessaiga, dachte der Hanyou plötzlich, nur Tessaiga. Das Einzige, was er von seinem Vater geerbt hatte, und das sein Halbbruder unbedingt wollte. Ging ihr ganzer Zwist wirklich nur um dieses Schwert?
Wieder tauchte eine andere Szene auf. Ein weißhaariger Mann stand mit dem Rücken zu ihm. Blut tropfte in den Sand.
„Wollt Ihr wirklich gehen, verehrter Vater?“
Inuyasha starrte den Rücken des Unbekannten an. Das war sein Vater? Bitte, dreh dich um, dachte er. Aber das geschah nicht. Er wünschte es sich so sehr, in dessen Gesicht blicken zu können, dass er das Gespräch nur am Rande mitbekam. Es ging schon wieder um Tessaiga, das Sesshoumaru haben wollte. Wieso war der Kerl nur so von diesem Schwert besessen? Macht, sagte er gerade zur Begründung, und Herrschaft.
„Sag mir, Sesshoumaru, gibt es etwas, das du beschützen möchtest?“
Inuyasha spürte förmlich den inneren Widerstand seines Halbbruders. Mit gewisser Faszination sah er zu, wie sich sein, ihr, Vater in einen riesigen Hund verwandelte, und davon rannte. Plötzlich begriff er. Das musste das letzte Mal sein, dass ihn sein ältester Sohn gesehen hatte – als Vater ging, um die Mutter seines jüngeren und den zu retten.
War das der Grund, warum Sesshoumaru ihn hasste?
„Nun, Lacuna? Was dauert so lange?“
„Tatsumaki-sama!“ Sie verneigte sich eilig: „Seht selbst. Sie blicken in den Rauchenden Spiegel. Immer noch.“
„Wenn ich mich nicht irre, zeigt der Spiegel jedem seine schmerzhaften Erinnerungen. Und bei zwei Prüflingen die schmerzhaften an den jeweils anderen.“
„In der Tat. Und in ihrem Fall gewiss Betrachtungen aus der Kindheit und Jugend. Ihr wisst schon: Papa hat dich immer lieber gehabt als mich und solche Dinge. Jeder sieht nur seine negativen Erinnerungen an den je anderen. Da sie Halbbrüder sind, sollte es ihre Eifersucht schüren. Ich muss gestehen, dass ich überrascht bin, warum sie noch immer hineinblicken und nicht schon aufeinander losgegangen sind.“
„Hm. Und dass irgendetwas bei dieser Prüfung schief läuft?“
„Nein. Es sei denn, sie haben beide eine vollkommen harmonische Kindheit gehabt, ohne Kummer und Sorgen, ohne jede Eifersucht oder Neid zwischen ihnen. – Wenn der Grund ihres Streites nicht Eifersucht war, kann der Rauchende Spiegel sie nicht zum Kampf verführen.“
„Dann bleiben nur noch die Lebensesser. Nun, wir werden sehen.“ Tatsumaki verwandelte sich in einen Tornado und verschwand.
Sesshoumaru blickte ebenfalls in den Spiegel. Ein wenig erstaunt bemerkte er, dass es sich wohl um Inuyashas Erinnerungen aus der Kindheit handeln musste. Er erkannte im Spiegel des Wassers vor sich diesen als Kleinkind und Izayoi, die ihn umarmte. Was sollte dieser Unsinn denn? War das die Prüfung des Rauchenden Spiegels?
Das Bild verschwamm. Er – nun, eher Inuyasha - lief einem Ball hinterher, in eine Menge von Hofleuten, die ihm auswichen. Einer warf ihm den Ball zurück:
„Verschwinde, elender Hanyou.“
Der Kleine nahm den Ball und lief traurig zu seiner Mutter zurück: „Mama, was ist ein Hanyou?“
Hatte diese dämliche Izayoi ihm denn nie gesagt, dass er ein Mischling war? Aber, Moment mal. Das waren doch Menschen? Wieso verachteten sie ihn? Youkai verschmähten Hanyou, weil sie zur Hälfte nichtswürdige Menschen waren, schwächliche Geschöpfe. Aber diese Menschen sollten doch Respekt vor einem Hanyou haben, froh sein, ihr jämmerliches Blut durch Vaters mächtiges Erbe verbessert zu bekommen? Wie konnten es einfache Sterbliche wagen, das edelste Blut der Hundeyoukai derart zu missachten?
Das Bild wechselte. Er erkannte sich selbst, wie er sich Izayoi und Inuyasha näherte, die am Flussufer saßen. Diese hatte ihren Sohn hastig an sich gezogen, ehe sie sich etwas verneigte:
„Vergießt bitte das wehrlose Blut Eures verehrten Vaters nicht, Sesshoumaru-sama“, hatte sie gesagt: „Er ist noch so klein...“
Sesshoumaru entsann sich nur zu gut, dass er geantwortet hatte, er werde Inuyasha erst töten, wenn sich dieser wehren könnte. So hatte er ihn in den nächsten Jahren immer wieder einmal aufgesucht. Aber der Bastard war zu langsam gewesen, zu schwach, um ihn auch nur berühren zu können. Wenn er es sich recht überlegte, hatte er dies zum ersten Mal bei ihrem Kampf um Tessaiga in Vaters Grab geschafft.
Aber dies hier war Inuyashas Erinnerung und der Hundeyoukai erfuhr jetzt, was sich abgespielt hatte, nachdem er wieder verschwunden war.
„Wer war das?“ fragte der Hanyou.
„Dein älterer Halbbruder, Sesshoumaru.“ Izayoi gab ihn frei.
In der Stimme des Kleinen lag reine Bewunderung: „Wenn ich groß bin, möchte ich auch so werden…“
Sesshoumaru stellte nun, vor dem Rauchenden Spiegel, fest, dass er mit dieser Reaktion nicht gerechnet hatte. Überdies war da eine winzige Stimme in seinem Hinterkopf, die diese offene Anerkennung schmeichelhaft fand.
Die nachfolgenden Erinnerungen stammten gewiss aus der Zeit, als Izayoi schon tot war. Da waren ihr Gedenkstein, Menschen, die den Hanyou mit Steinen vertrieben, Youkai, die ihn umbringen wollten. Inuyasha schien nicht gerade ein idyllisches Leben geführt zu haben.
Die nun folgenden Bilder kannte er allerdings nur zu gut. Immer wieder war er bei Inuyasha aufgetaucht, um ihn herauszufordern. Das Ganze gipfelte in dem Kampf um Tessaiga in Vaters Grab, der ihn seinen Arm gekostet hatte. Aber diesmal sah er das Geschehen aus der Sicht des Hanyou. Und dieser hatte anscheinend nie begriffen, warum er selbst Tessaiga wollte, warum er ihn am liebsten sofort und ohne Umstände aus der Welt schaffen wollte. Wie unglaublich töricht war der eigentlich? Da trug er das stärkste Schwert, das die Welt kannte, und versuchte nie, es zur Sicherung seiner Macht einzusetzen. Nur, um zu beschützen…und das auch noch diese zusammen gewürfelte Menschenbande. Abgesehen von der unglaublichen Schuld, die er und diese Izayoi an Vaters Tod trugen. Ein schlichter Mensch und ein dämlicher Hanyou – und trugen die Verantwortung dafür, dass der stärkste aller Lebenden gestorben war, sein Vorbild, sein Maßstab, sein Vater…
Aber warum sah er eigentlich Inuyashas Erinnerungen und nicht die eigenen? Was ließ einen der Spiegel erkennen, wenn man allein hier herkam?
Es war bei dieser Aufgabe anscheinend etwas schief gelaufen, begriff er. Vermutlich durch die Tatsache, dass sie sich auf die entgegengesetzten Seiten des Rauchenden Spiegels gestellt hatten, nicht auf ein und dieselbe. Das bedeutete, dass eigentlich der Hanyou diese Erinnerungen hätte sehen müssen.
Wie dieses Bild nun. Eine Priesterin, schwer verletzt, die hasserfüllt einen Pfeil auf ihn richtete, nein, auf Inuyasha. Er konnte die Verwunderung, ja, den Schmerz, seines Halbbruders förmlich nachfühlen. Das musste die ärgste Erinnerung sein, die der hatte.
Oh ja, jetzt entsann er sich, der war ja fünfzig Jahre lang an einen Baum gebannt gewesen. Das war die Zeit gewesen, in der er selbst seine Suche nach Tessaiga intensiviert hatte, und es fast geschafft hatte, seinen Halbbruder komplett zu vergessen. Was sich im Nachhinein als schlecht herausgestellt hatte. Eigentlich hätte er früher daran denken sollen, dass der sicher einen Hinweis auf Tessaiga bekommen hatte. Nun gut. So war es eben.
Aber in diesem Augenblick fiel ihm etwas anderes ein. Wenn er selbst Inuyashas negative Erinnerungen zu Gesicht bekam – was sah dann dieser Bastard? Nun gut, soweit er sich entsann, hatte er keine solch schlechten Erinnerungen. Nie war jemand so lebensmüde gewesen, ihn mit Steinen zu bewerfen oder gar den Versuch zu starten, ihn an einem Baum zu versiegeln. Und nun war sowieso nichts mehr zu sehen, außer dem Rauch, der dem magischen Spiegel seinen Namen gegeben hatte. Er wandte den Kopf. War diese kleine Aufgabe vorbei? Was sollten diese Erinnerungen denn nur bewirken? Was geschehen war, war geschehen.
Auch Inuyasha sah zu Lacuna, da keine Bilder mehr im Spiegel erschienen. Die Feuerfrau hätte um ein Haar die Schultern gezuckt.
„Wenn keine Erinnerungen mehr zu sehen sind, habt ihr die Aufgabe erfüllt. Dann könnt ihr gehen. Ich vermute, dass ihr am Fuße meines Berges die nächste bekommt.“
„Wie viele sind es denn noch?“ stöhnte der Hanyou auf: „Das wird langsam lästig.“
„Genau kann dir das nur Tatsumaki-sama sagen. Aber ich bin sicher, nicht mehr viele.“
„Die erste gute Nachricht, seit uns der Kerl entführt hat.“ Inuyasha bemerkte, dass sein Halbbruder an ihm vorbeiging und schloss sich eilig an, bemüht, nicht auch nur einen Schritt hinter dem zu bleiben. Erst, als sie ein gutes Stück von Lacuna weg waren, fuhr er fort: „Sag mal, hast du eine Ahnung, was diese dämliche Aufgabe sollte?“
Sesshoumaru schwieg. Er wusste es auch nicht. Er verspürte dazu keine Lust, diesem Bastard seine Vermutung darzulegen, dass die Prüfung anders abgelaufen war, als sie es hätte sollen. Denn auch in dem Fall hätte er nicht erfasst, was das sollte. Nun gut. Wer verstand schon Tatsumakis kleine Witze.
Der Hanyou warf einen raschen Blick seitwärts. Also hatte der ach so tolle Herr Hundeyoukai auch keine Ahnung. Immerhin etwas.
Am Fuße des Vulkans erwartete sie der verhüllte Lebensesser.
„Na, Kensho?“ lautete Inuyashas Begrüßung.
Der Angesprochene lächelte unter seiner Maske: „Jetzt bekommt ihr es mit mir zu tun, und meinen Lebensessern.“
„Ach. Und wie?“
„Du hast keine Ahnung, was das bedeutet, nicht wahr? Nun, wenn ihr von hier aus immer nach Süden geht, gelangt ihr in das Gebiet meines Volkes. Wenn ihr dort lebendig hindurch gekommen seid, liegt die Halle Tatsumaki-samas vor euch. Und ihr habt alle Aufgaben bestanden.“ Er bemerkte das Aufatmen: „Törichter Hundejunge. Du hast keine Ahnung, was Lebensesser sind und wie sie leben.“
„Nein. Aber wenn ihr uns angreift, seid ihr tot.“
„Deine Arroganz wird dein Untergang sein. Denn die letzte Aufgabe, die der mächtige Sturmbringer euch stellt, lautet: küsst einen Lebensesser.“
Und diesmal konnte er den fassungslosen Gesichtsausdruck beider Hundebrüder genießen.
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Das ist allerdings sicher nicht wörtlich zu nehmen. Oder?
Das nächste Kapitel heisst Lebensesser. Und deren Motto lautet: Hochmut kommt vor dem Fall.
Die beiden Halbbrüder haben immerhin nun lernen können, dass sie nicht wirklich auf die Kindheit des anderen neidisch sein müssen. Obs sie das allerdings je zugeben werden?
Wer so nett ist, mit einen Kommentar zu hinterlassen, erhält, wie gewohnt, eine ENS, wenn ich sehe, dass das neue Kapitel freigeschaltet wurde.
bye
hotep