Das Portrait
Die Blätter fegten leise, fast lautlos über die steinigen Wege. Hier und da
standen ein paar Kirschblütenbäume, ihre Blüten fielen zu Boden, schmückte
diesen unbewusst. Das leise Seufzen vermischte sich mit dem Meer, welches
gleichmäßig rauschte und immer wieder gegen die Klippen sprang, als wolle es
den Tiefen entrinnen. Es war ein wunderschöner Anblick, der sich dem
Schwarzhaarigem bot. Dennoch konnte er ihn nicht wirklich genießen, andere
Gedankengänge hatten seinen Geist gefangen, ließen ihn an einfach nichts
anderes denken. So sehr er es auch versuchte, sie ließen ihn nicht los, raubten
ihm sogar den Schlaf. Er trat ein paar Schritte auf einen der Bäume zu, legte
die blasse Hand auf den Stamm und streichelte fast schon zärtlich über die
raue Rinde.
Was hatte er falsch in seinem Leben gemacht?
Warum wurde er immer so gestraft?
Er lebte alleine, hatte eine Arbeit und somit auch genug Geld. Aber er war noch
immer schrecklich unglücklich, was alleine an seiner Einsamkeit lag. Aber er
machte ja auch nichts, dass sich das ändern könnte. Sobald er fertig mit der
Arbeit war, fuhr er gleich mit der Bahn nach Hause und widmete sich dort seinem
liebsten Hobby. Immer wieder versuchte er sich einzureden, dass er niemanden
anders brauchte, dass er auch alleine glücklich werden konnte. Aber das hielt
immer nur für wenige Momente, ehe er nur noch trauriger wurde, nicht mehr
lächelte und schwieg. Es musste sich etwas ändern, so ging das nicht weiter.
Erneut verließ ein tiefes Seufzen die vollen Lippen, als er zurückdenken
musste. Seine Eltern waren schon lange tot, die konnte er nicht mehr besuchen.
Flüchtig sah er sich einmal um. Außer ihm war niemand hier – wie immer.
Dabei war es ein wunderschöner Ort. Aoi, so hieß der junge Mann, lehnte sich
mit dem Rücken gegen den Stamm. Langsam ließ er sich an ihm herunterrutschen,
bis er komplett saß. Seinen Blick richtete er auf das gar nicht so weit
entfernte Meer.
"Ich kann nicht mehr"
Er schluckte einmal leise. Langsam rollte eine dicke Träne die blasse Wange
runter, ging in dem Hemdkragen unter und hinterließ eine feuchte, glänzende
Spur.
Kai seufzte einmal leise. Er sah den schönen Schwarzhaarigen beinahe jeden Tag,
immer wenn er Zeit hatte hier hin zukommen. Nur es machte ihm Sorgen, dass er so
traurig war. Er sah so aus, als würde er nie wieder glücklich werden und die
Traurigkeit der Welt in sich tragen würde. Es war ein schreckliches und
gleichzeitig wunderschönes Bild, geprägt von Melancholie. Man litt immer mit
ihm mit, obwohl man ja nicht wusste, was er denn hatte. Er würde sich doch
bestimmt über ein kleines Geschenk freuen, oder? Kai hatte den Schwarzhaarigen
schon sehr oft gemalt, da er einfach ein wunderbares Motiv war. Lächelnd
wechselte er die Position auf dem Baum, von wo aus er ihn immer beobachtete und
zückte seinen dicken Block und einen Bleistift. Er verdiente mit seiner
Kritzelei eine Menge Geld, auch wenn er es nicht hauptberuflich machte.
Natürlich war es ihm nicht entgangen, dass Aoi weinte, aber genau deswegen
versuchte er ihn ja auch, lächelnd zu malen. Immer wieder sah er zu dem
Schwarzhaarigen rüber, der still da saß und sich anscheinend keinen Millimeter
bewegte. Nach gut 5 Stunden Radierer- und Malerei war das Bild endlich fertig.
Lächelnd sah sich Kai sein Werk an und nickte zufrieden. Er würde so schön
aussehen, wenn er lächeln würde. Er setzte noch das Datum und seinen Namen
unter die Zeichnung und überlegte noch einen Moment. 'Bitte weine nicht', stand
wenige Sekunden später noch auf dem Blatt und Kai nickte einmal. Er legte den
Block weg und sah sich dann seine anderen Bilder an. Doch, der junge Japaner war
wirklich viel schöner, wenn er lächeln würde. Nicht, dass er so hässlich
sei, aber er sieht so unbeschreiblich niedlich aus, wenn er lächelte. Seufzend
sah Kai nach oben, in den nachtblauen Himmel. Der Mond stand hoch über ihnen,
beschien das Meer und die Gegend. Und Aoi lag immer noch da, er schien
eingeschlafen zu sein. Kai schüttelte kurz kichernd den Kopf, ehe er sich seine
Sachen unter den Arm packte und mit einem Sprung vom Baum runter war. Leise kam
er im Gras auf und schlich sich an Aoi ran. Er durfte den jungen Mann noch nie
so nahe sehen, aber bisher hatte er sich doch nicht verguckt, er hatte ein
Piercing. Es betonte die schönen Lippen nur noch mehr und Kai kniete sich vor
dem Schwarzhaarigen hin. Vorsichtig faltete er das Papier und legte es dann auf
Aois Schoß. Dann beobachtete er ihn weiter, bevor er vorsichtig nach Aois Hand
griff.
"Hey. Wach auf, ich hab etwas für dich"
- - -
"Kai? Was sind das denn für Bilder?" Neugierig durchwühlte er den alten
Zeichenblock. "Du hast mich gezeichnet?" Kai sah gleich zu Aoi. Sofort schoss
eine leichte Röte in sein Gesicht, als er die alten und ausgeblichenen Bilder
sah. "Ja. Erinnerst du dich an die Zeit? Ich hab dich damals schon immer
beobachtet. Und du warst immer so todtraurig." Grinsend stand Aoi von dem
großen Bett auf und schritt durch das geräumige Schlafzimmer zu Kai. "Schön,
dass ich das auch mal erfahre" Leise lachend drückte er Kai einen Kuss auf und
löste diesen auch nicht so schnell. "Du hast mich damals aber gut getroffen,
gefällt mir." Erneut sah er hinter sich zu den Bildern, welche auf dem Bett
herumlagen. "Und das Bild hab ich auch noch…" Kai kicherte einmal. "Ich bin
froh, dass ich dich mal lächelnd gezeichnet habe. Da sehe ich mal, wie schlecht
ich eigentlich malen kann, denn dein Lächeln kann man gar nicht in Bilder
fassen."
"Elender Schleimer" Aoi sah wieder zu den Bildern und packte sie zurück in den
Block. Dann sah er grinsend zu Kai, wippte mit den Augenbrauen, ehe er mit einem
Kopfnicken auf das Bett deutete.