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Muss Geschichte sich denn immer wiederholen?

Ein Yusaku-Shinichi Oneshot
von

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Sooo-
 

Ein kleines Osterei für euch- das mit Ostern so rein gar nichts zu tun hat.
 

Diese Fanfiction widme ich ganz speziell Shelling_Ford! Ich hoffe, sie gefällt dir!!!
 

Diesmal geht es um Shinichi und Yusaku- und eine kleine

Gedankenspielerei, warum aus Yusaku kein Detektiv geworden ist. Wahrscheinlich lieg ich komplett daneben, aber ich hab den Gedanken einfach mal ausgeführt... also- nicht für bare Münze nehmen ^^
 

Viel Vergnügen beim Lesen,

Frohe Ostern wünsch ich euch allen!
 

Viele Grüße,

Eure Leira
 

____________________________________________________________________________
 

„Ich versteh’ dein Problem nicht.“
 

Shinichi schaute von seinem Schreibtisch auf, der bis zur Unkenntlichkeit mit Fotos, Unterlagen, Kaffeetassen und Stiften zugemüllt war und kratzte sich mit dem Ende seines Kugelschreibers am Hinterkopf.

Sein Vater, der ihm gegenüber stand, seufzte und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, ehe er weiter sprach.

„Das dachte ich mir. Aber hör mal, Sohnemann... Ich meine… du bist jetzt einundzwanzig Jahre alt- und wärst wie oft schon fast gestorben? Denke doch mal an das Risiko, das du ständig eingehst… immer wieder setzt du dein Leben aufs Spiel. Ich dachte eigentlich, jetzt, da du mit Ran zusammen bist würde sich das ändern.“

Shinichi zog unwillig die Augenbrauen zusammen, legte den Stift beiseite und schob ein paar Fotos auf einen Haufen.
 

„Was hat Ran damit zu tun?“

Ihm war eindeutig anzuhören, dass er auf diese Art von Diskussion momentan überhaupt keine Lust hatte. Eigentlich hatte er generell keine Lust, sich mit seinem Vater über seine Berufswahl zu unterhalten. Sofern man ihre regelmäßigen Kontroversen als Unterhaltung bezeichnen konnte.
 

„Nun, ich dachte, nun, da du sie hast, ihr ein Paar seid, wärst du vielleicht so verantwortungsbewusst und hörst auf mit dem Kram. Ihretwegen. Damit sie sich nicht so sorgen muss. Du weißt, wie sehr sie gelitten hat und wie sehr sie sich immer noch fürchtet, wenn du wegen eines Falls unterwegs bist. Sie hat Angst, dass du nicht mehr nach Hause kommst. Das ist dir aber anscheinend egal, oder willst du wirklich, dass sie ständig mit dem Gedanken lebt, dass du schon morgen auf offener Straße erschossen werden könntest?!“
 

Yusaku war laut geworden. Er wusste eigentlich gar nicht, was er hier tat. Zeit in den Versuch zu investieren, Shinichi von seiner Berufswahl (oder Berufung, wie er es nannte) abzubringen, war ungefähr mit genauso viel Erfolg gekrönt, wie zu probieren, einem Stein das Klavierspielen beizubringen. Er war taub auf beiden Ohren, wenn es um dieses Thema ging. Er wollte davon einfach nichts hören.

Dabei war es ihm, Yusaku, doch wichtig, sehr wichtig sogar. Er wollte doch nur, dass es seinem Sohn mal nicht so erging wie ihm seinerzeit. Wollte ihm diese Erfahrung ersparen, wo er doch in seinem Leben ohnehin schon so viel gelitten hatte.
 

Ich konnte dich damals nicht beschützen – und auch später nicht. Ich konnte das noch nie. Ich hab als Vater wohl auf ganzer Linie versagt…
 

Dieser Fall mit der Organisation hatte seinen Sohn definitiv mitgenommen- nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Allerdings nicht so sehr, dass er sich zur Ruhe gesetzt und das Feld den anderen überlassen hätte.

Nein, er doch nicht.

Er hatte nicht einmal daran gedacht.
 

Shinichi hatte sich wieder erholt, und sich mit Feuereifer auf neue Herausforderungen gestürzt. Irgendwo bewunderte er ihn dafür- allerdings hielt sich auch diese Bewunderung in Grenzen, wenn er daran dachte, was sein Sohn jedes Mal aufs Spiel setzte. Und was noch passieren könnte…
 

Das was ich erlebt habe, sollst du niemals mitmachen müssen…
 

Shinichi hatte sich aus seinem Stuhl erhoben, riss seinen Vater mit seine nächsten Worten aus seinen Gedanken.

„Wir kommen klar damit. Und ich pass doch auf, sie muss sich keine Sorgen machen, schließlich ist die Polizei immer-…“

„Ach was! Du machst dir doch was vor!“, unterbrach ihn Yusaku, schnaubte empört.

„Es gibt Dinge, bei denen auch die Polizei machtlos ist.“
 

Schön...
 

Wenn er es auf die sanfte Tour nicht verstehen wollte, dann eben anders. Yusaku wollte, dass Shinichi aufhörte damit. Er wollte, dass sein Sohn nicht Detektiv wurde – weil es besser war für ihn und für Ran, für ihre Zukunft…

Er holte Luft.

„Ich sag dir mal was, Sohnemann. Du bist so arrogant, zu glauben, dass die Welt ohne dich untergeht, überschwemmt wird von Verbrechern, wenn du sie nicht aufhältst, und das wird dich noch mal Kopf und Kragen kosten, du…“

Yusaku hielt inne, als er das wütende Gesicht seines Sohnes bemerkte.
 

„Ich - bin nicht - arrogant!“
 

Yusaku zog die Augenbrauen hoch, verschränkte die Arme vor der Brust.

„Und wie nennst du dich sonst? Du bist es. Du überschätzt dich und dein Talent maßlos, Shinichi. Es war pures Glück, dass du damals nicht draufgegangen bist, bei deinem Fall mit der Schwarzen Organisation, und das weißt du. Eigentlich dachte ich, du hättest daraus was gelernt und würdest dich zurückziehen, aber nein, du musst ja weitermachen. Du weißt immer alles besser. Deine bescheidenen Fähigkeiten als Detektiv reichen bei Weitem nicht für dieses Metier, dass du es soweit geschafft hast, war doch nur Zufall…

Du machst dir was vor, wenn du glaubst du hättest das Zeug dazu, dir damit deinen Lebensunterhalt verdienen zu können, gegen Mörder, Entführer, Erpresser und andere Verbrecher anzukommen. Du bist nicht gut genug für diesen Beruf, du wirst das nicht schaffen, glaubst du mir mal endlich? Hör auf damit und mach was anderes, bevor du noch auf die Schnauze fällst.“
 

Yusaku war laut geworden. Nun stand er da, schaute seinen Sohn abwartend an. Shinichi stand da, wie zur Salzsäule erstarrt, sagte nichts, schluckte nur.

Yusaku räusperte sich. Er wusste, er ging über die Grenze.

„Und… wenn du das nur machst, um mich zu beeindrucken… lass stecken, Shinichi. An mein Genie kommst du nicht ran.“
 

Shinichi blickte ihn eine Weile nur sprachlos an. Als er dann das Wort ergriff, war seine Stimme gefährlich leise.

„Du bist doch nur neidisch. Wenn du wirklich so brillant bist, wie du sagst… warum bist du dann Schriftsteller geworden? Warum hast du deine ach so viel versprechende Karriere als Detektiv nicht weiterverfolgt? Hast du etwa Schiss gekriegt? Oder hast du erkannt, dass es mit deiner Brillanz doch nicht soweit her war und hast das Handtuch geworfen, bevor du dich blamiertest? Ich bin nicht so ein Feigling wie du, ich geb’ mich nicht so leicht geschlagen …“

Man merkte ihm an, dass er sich nur mühsam davon abhalten konnte, los zu schreien. Seine Wortwahl allein hatte es allerdings auch schon in sich gehabt.
 

Der Schriftsteller schaute seinen Sohn schweigend an, ballte die Fäuste. Er wusste nicht, was er tun sollte- einerseits fühlte er sich über die Maßen angegriffen und war wütend, dass sein Sohn es wagte, so mit ihm zu reden. Er war kurz davor, ihn richtig anzufahren, aus ihrem Disput einen ausgewachsenen Streit zu machen.

Andererseits wusste er, dass Shinichi so was nie gesagt hätte, hätte er ihn nicht zuvor provoziert. So etwas hatte kommen müssen, er wusste das. Shinichi war sein Sohn, er selber hätte sicher nicht anders reagiert…
 

Shinichi selbst schien allerdings auch gemerkt zu haben, dass er zu weit gegangen war.

Er war blass geworden und schluckte, wich einen Schritt zurück.

„Es- tut mir Leid. Das hätte ich nicht sagen sollen…“, wisperte er.
 

Als sein Vater nichts erwiderte, zog er es vor, den Raum zu verlassen. So gefasst wie möglich ging er um die starre Gestalt des Schriftstellers herum, blieb im Türrahmen allerdings noch einmal stehen.
 

„Aber… hör mal. Was… was ist denn nur los mit dir? Warum tust du das? Warum wirfst du mir solche Sachen an den Kopf, wo du doch weißt, warum ich das mache… und dass mein Herz dran hängt? Das mir das wichtig ist? Warum machst du mich dauernd schlecht…?“

Damit ging er. Auf dem Gang traf er auf Yukiko, die ihren Sohn fragend anblickte, aber er schüttelte nur stumm den Kopf, verschwand über die Treppen nach oben. Ran, die in der Tür zum Wohnzimmer erschienen war, schaute ihm ratlos hinterher, zog es aber vor, ihn in Ruhe zu lassen. In Shinichis Streitereien mit seinem Vater mischte man sich besser nicht ein. Auch wenn er rein äußerlich ruhig gewirkt hatte, zweifelte Ran nicht im Geringsten daran, dass er innerlich auf hundertachtzig war. In solchen Momenten musste man ihn in Ruhe lassen – er kam dann von selber wieder, sobald sein erhitztes Gemüt sich ein wenig abgekühlt hatte.

In Gedanken fragte sie sich ohnehin, warum Yusaku Shinichi immer schlecht machte, was seine Arbeit als Detektiv betraf.

Sie wusste, dass Shinichi, auch wenn er es nicht aussprach, nie zugeben würde, sich nach der Anerkennung seines Vaters sehnte. Dass ein lobendes Wort aus seinem Munde ihm tausendmal mehr Wert wäre als sämtliche Schlagzeilen, die er machte.

Aber Yusaku verweigerte es ihm. Noch schlimmer, er stellte ihn als Versager hin.

Und das war es, was Ran nicht verstand.

Sie wussten doch alle, das Shinichi genial war, in dem was er tat. Er war ein brillanter Detektiv.

Sie warf Yukiko einen verständnislosen Blick zu, dann verschwand sie in der Küche.

Shinichis Mutter hingegen betrat das Arbeitszimmer, das sich ihr Sohn eingerichtet hatte.
 

Da stand ihr Mann, wie aus Stein gemeißelt und ließ den Kopf hängen.

„Yusaku…“, murmelte sie sanft.

Er drehte sich um und ließ sich von ihr umarmen.

„Warum tust du das immer… Warum streitest du dich so oft mit ihm? Warum machst du ihn schlecht? Das nagt an ihm, von dir als Nichtskönner hingestellt zu werden, das weißt du doch… du tust es aber trotzdem, und das grundlos. Du weißt, dass er ein exzellenter Ermittler ist. Warum streitest du das ab?“

Er wiegte gedankenverloren seinen Kopf.

„Ja, ich weiß. Und das macht die Sache noch schwerer, ihm solche Sachen zu sagen, ihn so zu verletzen…

Aber ich will doch, dass er aufhört. Er ist so intelligent, Yukiko, er könnte was weiß ich was werden. Aber nein, er will Detektiv sein… dabei zahlt er nur drauf dabei…“

Er seufzte tief.

„Und außerdem… ich will doch nur, dass er nicht mein Schicksal teilt… ich komm mir vor wie ein Versager, nie hab ich ihn beschützen können… ich hab’s nicht auf die Reihe gebracht, ihm ein guter Vater zu sein, Yukiko… nicht einmal, als er sich noch gar nicht selber in Schwierigkeiten bringen konnte…“

Sie starrte ihn mit großen Augen an. Dann küsste sie ihn sanft.

„Du denkst an…?“, wisperte sie.

Er nickte nur schweigend.
 


 

Es war Mai.

Ein wunderschöner, lauer Maiabend… das Fenster war offen, eine laue Brise spielte mit den Gardinen, wehte den betörend süßen Duft von Maiglöckchen herein…
 

Doch gab es eine Sache, die diese Idylle störte.

Ein junger Vater stand ratlos über das Bettchen seines nur ein paar Tage alten Sohnes gebeugt- und war mit seinem Latein am Ende. Das Baby schrie, was seine kleinen Lungen hergaben.

Mit einer Hand wiegte er das Bettgestell, mit der anderen fuhr er sich immer wieder durchs dunkle, wirre Haar.

„Was willst du denn… du hattest dein Fläschchen, du hast ein Bäuerchen gemacht, die Windel ist frisch… warum willst du nicht schlafen, kleiner Quälgeist? Tut dir was weh? Was fehlt dir denn?“

Er seufzte, sah sich hilfesuchend um.

„Yukiko?“, murmelte er.

Der Kleine brüllte weiter.

„Shinichi…“, ächzte der Vater matt.

„Meine Güte, von wem hast du nur die Stimme. Bestimmt von deiner Mutter, die schreit auch immer so rum.“

Der kleine Junge hielt kurz inne und hickste.

Yusaku Kudô wollte schon fast aufatmen, als sein Sohnemann wieder loslegte.

Er stöhnte frustriert auf.

„Du hast nur wieder Luft geholt, nicht wahr? Wie lange hältst du das Geplärre durch, bis du heiser wirst? Yukiko…?“, rief er hilfesuchend.

Keine Antwort.

„Wo ist deine Mama, wenn man sie mal braucht...? Meine Güte, was ist denn… was willst du denn? Warum könnt ihr denn noch nicht reden, verdammt?“

Langsam wurde der junge Mann nervös. Er machte sich Sorgen. Er verstand sein Kind nicht, wusste nicht, was ihm fehlte.
 

„Yukiko!!!“, brüllte er nun.

Er hörte, wie sich ihre Schritte näherten. Müde schaute sie ihn an.

„Ich hab geschlafen, Yusaku, was ist denn?“

„Er hört nicht auf.“, seufzte er, zeigte auf das Bettchen.

„Dann nimm ihn doch mal auf den Arm. Wahrscheinlich hat er nur Angst, fühlt sich einsam...“, wies sie ihn an.

„Warum ich, warum machst du das nicht? Du bist seine Mama, du hast das doch im Blut, Mutterinstinkt und so?“, schlug er vor.

Sie grinste, als sie seine Unsicherheit bemerkte.

„Ach was, du bist sein Vater. Du kannst das. Er vertraut dir blind, glaub mir, er lässt sich auch von dir hochheben, ohne zu beißen. Ganz davon abgesehen, dass er das noch gar nicht kann.“

Sie schmunzelte.

„Also, auf was wartest du?“

Er zögerte.

„Was… was ist, wenn ich ihm wehtue? Er ist so winzig…“

Yukiko lachte. Ihr glockenhelles, fröhliches Lachen, das er an ihr so liebte.

„Hast du Angst, das ihm was abfällt, wenn du ihn anfasst? Und es hatte schon seinen Sinn, dass er so klein ist. Und jetzt komm.“

Sie nahm in bei der Hand und zeigte ihm, wie er den kleinen Schreihals aus dem Bettchen heben sollte.

Kurz darauf stand er da, das Baby in den Armen.

„Er ist ruhig. Ein Wunder…“, wisperte er, um seinen Sohn nicht zu einem weiteren Schreikrampf zu provozieren.

„Nein, kein Wunder. Ich denke, er hatte wirklich nur Angst. Er fühlte sich einsam… weißt du, kleinen Kindern reicht es nicht, wenn man nur zu ihnen spricht, schließlich verstehen sie noch nicht, was man zu ihnen sagt. Sie brauchen Nähe… und Wärme, Liebe…“

Sie lächelte und stupste ihrem Kind zärtlich mit dem Finger auf die Nase.

„Klein-Shinichi hat sich gefürchtet… du musst doch keine Angst haben, mein Lieber…“

Sie küsste ihn sanft auf die Stirn, wobei ihr ihre hellen Locken ins Gesicht fielen.

Yusaku sah sie an und seufzte zufrieden. Im Prinzip lief alles Bestens…

Er hatte die wundervollste, schönste, liebevollste Frau auf der Welt geheiratet, sie hatten einen kerngesunden, offensichtlich stimmkräftigen Sohn und seine Karriere als Detektiv lief hervorragend.

Die Welt konnte nicht schöner sein.

Er lächelte, als er merkte, wie sich eine kleine Hand um seinen Zeigefinger schloss.
 

„Und was jetzt?“, fragte er.

„Nun… jetzt hast du ihn an der Backe.“, grinste Yukiko.

„Legen wir uns auf die Couch, komm.“

Damit zog sie ihren Mann auf die breite Wohnzimmercouch, ließ ihn sich hinlegen, bettete sich neben ihn, schmiegte sich an seinen Körper und berührte mit einer Hand sanft das Köpfchen ihres Sohnes.
 

Der warme Lufthauch von draußen strich über sie hinweg, die Sonne malte hellgoldene Muster auf den Teppich…

In seinen Armen lag seine Familie…

Die Welt konnte nicht schöner sein.
 

Bis…
 

Es war ungefähr zwei Monate später.

Yusaku war vor fünf Minuten vom Revier nach Hause gekommen. Das Verhör hatte noch ein wenig gedauert.

Dann wurde die Haustür aufgestoßen und Yukiko stürzte herein.

„Yusaku? Yusaku?!“, rief sie. Ihre Stimme klang verzweifelt.

„YUSAKU!?“

Er trat vom Wohnzimmer auf den Gang hinaus und sah sie. Hinter ihr stand seine Mutter. Von oben hörte man Schritte- offensichtlich hatte auch sein Vater ihre Rufe gehört.
 

Er schaute Yukiko an und erstarrte.

Sie bot einen entsetzlichen Anblick.

Ihre Haare waren wirr, ihre Augen rot geweint, ihr Make-up verwischt und ihr Gesicht kreidebleich.

Sie zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub.

Ein Hauch von Unglück lag in der Luft.
 

„Yusaku!!!“

Sie stürmte auf ihn zu, fiel in seine Arme, sackte zusammen und fing an zu schluchzen.

„Yukiko…“, murmelte er.

„Yuki, was ist denn los? So beruhig dich doch, sag, was ist denn los?“

Seine Augen wanderten zu seiner Mutter. Sie sah aus, als stünde sie unter Schock.
 

Und da fiel es ihm auf.
 

Es war so still.

Nun, das stimmte nicht ganz; Yukiko schluchzte herzzerreißend, aber abgesehen davon… war es ruhig. Verdächtig ruhig.

Das konnte doch nicht sein. Er wäre doch bei so einem Ausbruch seiner Mutter nicht so ruhig geblieben.

Er sah den Babywagen. Löste sanft Yukikos Finger aus seinem Hemd, stand auf, ging auf den Wagen zu.

Sein Atem ging schwer, er ahnte, was er vorfinden würde- und was nicht.

Als er es dann sah, setzte sein Herz einen Schlag aus. Er krallte sich am Rand des Bettchens fest, starrte hinein auf die hellblauen Kissen… blinzelte, hoffte, dass er sich irrte, halluzinierte, dass das nur der Alptraum eines Vaters war… nur ein Traum…
 

Dann holte die Realität ihn ein.

Der Wagen war leer.
 

„Nein!“
 

Er begann wie von Sinnen, die Kissen und Decken aus dem Wagen zu werfen.

Yukiko weinte noch lauter.

„Nein, nein, nein…!“

Er merkte, wie er panisch wurde. Sein Herz raste, seine Finger wurden klamm und kalt.

Das durfte nicht war sein. Nein, dafür gab es bestimmt eine logische Erklärung, das war alles nur ein Missverständnis…
 

Aber warum weinte Yukiko dann so?

Warum sah seine Mutter aus, als habe sie ein Gespenst gesehen?
 

Er wandte sich vom Wagen ab und ließ sich gegen den Türrahmen fallen.

Langsam keimte in ihm die Erkenntnis.

„Shinichi…“, wisperte er.

Ein Gefühl von Ohnmacht befiel ihn. Ihm wurde schwindelig, schlecht… sein Sohn war weg.

Seine Hände zitterten, als er sich den kalten Schweiß von der Stirn wischte.

Shinichi.

Weg…
 

„Yukiko?“

Er trat zu ihr, merkte, dass seine Beine weich wie Pudding waren und ging neben ihr in die Knie.

„Yukiko…?“

Seine Stimme brach fast. Seine Augen brannten.

Er hätte nie gedacht, dass er so etwas einmal fühlen würde.

Verzweiflung, Schmerz, Angst, in einem Maße, die ihn an den Rand des Wahnsinns trieben.

„Yukiko, wo ist er? Wo ist Shinichi? Was… was ist passiert?“

Er jammerte. Seine Augen wurden feucht.

Yukiko sagte nichts. Sie schluchzte nur hemmungslos vor sich hin, krallte sich erneut an ihrem Mann fest.

Schließlich war es seine Mutter Shizue, die sprach.

„Wir haben uns wirklich nur ganz kurz umgedreht...“

Yusaku schloss die Augen, lehnte den Kopf zurück.

Umgedreht. Warum drehten sie sich um, wenn sie mit seinem Sohn unterwegs waren, verdammt?!
 

„Wir waren vielleicht ein paar Sekunden nicht aufmerksam. Yukiko und ich haben uns im Einkaufszentrum die Schaufenster angeschaut. Auf einmal kam ein Mann angerannt, entriss Yukiko den Kinderwagen. Wir haben den Kleinen nur weinen gehört…

Natürlich sind wir ihm nachgelaufen, haben geschrieen, man solle den Mann aufhalten. Er hat… er hat daraufhin den Jungen aus dem Kinderwagen genommen, und dem Wagen einen Schubs in unsere Richtung gegeben. Dann war er weg. Zur Tür raus und weg, untergetaucht in der Menge der Leute auf dem Bürgersteig.“
 

Yusaku stöhnte auf. Sein Sohn war entführt worden. Sein Sohn! Entführt!

„Wie konnte so etwas passieren!“, schrie er aufgebracht.

„Wie? Warum habt ihr nicht besser auf ihn aufgepasst, er ist doch noch so klein, er…“

Er riss sich von Yukiko los, und stand auf. Sie starrte ihn verletzt und ein wenig ängstlich an. Sie hatte aufgehört zu weinen, atmete schwer und krallte ihre Hände in den Teppich.
 

„Warum konntet ihr nicht besser auf ihn Acht geben!?!“

Eine Träne rollte über seine Wange. Unwillig wischte er sie weg.

Er verpasste dem Kinderwagen einen Tritt, der ihn die drei Treppenstufen vor der Haustür hinunter krachen ließ.

„Mein Sohn! Mein kleiner Junge… Shinichi…“

Er rang mit den Händen, bekam kaum noch Luft. Angst hatte sich in seinem Brustkorb breit gemacht, beherrschte jeden seiner Gedanken.
 

Yusaku schlug mit der Faust gegen die Wand, wollte gerade noch ein zweites Mal dagegen hauen, als eine andere Hand die seine festhielt.

„Es bringt ihm nichts, wenn du jetzt durchdrehst, Yusaku. Du musst einen klaren Kopf bewahren, sonst finden wir ihn nicht…“

Er ließ die Hand sinken und schaute seinem Vater ins Gesicht. Er atmete tief durch und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu kriegen.

Er hatte ja Recht. Aber…

Was war, wenn sie ihn nicht mehr fanden? Wenn ihm etwas zustieß… wenn er…

Er würde sich das nie verzeihen können. Nie.

Nie…
 

Drei Tage später lagen die Nerven im Hause Kudô blank. Sie hatten die Polizei informiert, ganz Tokio suchte nach dem kleinen Shinichi Kudô, einem erst ein paar Monate alten Baby…

Doch bis jetzt waren alle Anstrengungen erfolglos geblieben.

Yukiko brach beim Anblick der Kinderspielsachen, Fläschchen und kleinen Kleidersachen jedes Mal in Tränen aus.

Stunden am Stück saß sie in seinem Kinderzimmer, sein Kissen umklammernd und weinte.

Manchmal leistete Yusaku ihr Gesellschaft.

Die meiste Zeit aber verbrachte er in seinem Arbeitszimmer und brütete vor sich hin. Saß stundenlang regungslos an seinem Schreibtisch, bis das Telefon klingelte oder jemand das Zimmer betrat.

Natürlich war er am ‚Tatort’ gewesen, was natürlich nichts gebracht hatte. Die Zeugenaussagen waren zum Teil widersprüchlich und ein Phantombild gab es nicht, weil der Täter maskiert gewesen war.
 

Am vierten Tag nach Shinichis Entführung fand er einen Brief in der Eingangshalle. Jemand hatte ihn unter der Tür durchgeschoben.
 

Er hatte keinen Absender.

Adressiert war er „An den großen Meisterdetektiven Yusaku Kudô“.
 

Mit zittrigen Fingern riss er den Umschlag auf. Heraus zog er ein mit Schreibmaschine getipptes Schreiben.
 

„Sehr geehrter Meisterdetektiv,
 

Ich denke nun, ich habe dich und die Deinen lange genug leiden und im Dunkeln tappen lassen.

Ich habe deinen Sohn.

Da ich kein Unmensch bin, und der Knirps ja nichts für die Verfehlungen seines Herrn Papas kann, will ich dir die Chance geben, ihn heil wieder zu bekommen.

Dafür stelle ich nur eine Forderung: ich will kein Geld- ich will deine Kapitulation.

Hör auf, Detektiv zu sein, hänge den Beruf an den Nagel. Du hast mir und den Meinen schon viel zu oft einen Strich durch die Rechnung gemacht, als dass ich dich noch weiter ignorieren könnte. Aus Respekt habe ich bis dato davon abgesehen, dich oder einen deiner Lieben zu töten; zwinge mich nicht dazu, meine Ansichten zu ändern.
 

Ich habe deinen Sohn; noch lebt er. Wenn du willst, dass das so bleibt, und ihn baldmöglichst wieder in die Arme schließen willst, lege ich dir nahe, das zu tun, was wir von dir verlangen. Lege deinen Beruf nieder.
 

Dazu wollen wir, dass du für die morgige Ausgabe der Tageszeitung eine ganzseitige Anzeige schaltest, in der folgender Text zu lesen sein wird:
 

„Ich, Yusaku Kudô, erkläre hiermit und unwiderruflich meinen Rücktritt als Detektiv und Ermittler für die Tokioter Polizei.“
 

Dann wirst du eine Woche nichts von uns hören.

Wenn auch wir während dieser Zeit nichts von dir hören, Yusaku… können wir darüber reden, dir deinen Sohn wiederzugeben.

Der Zeitraum muss so bemessen sein, um zu sehen, wie ernst es dir ist.

Lass dir gesagt sein, wir bekommen die kleinsten Aktionen von deiner Seite mit- unsere Augen sind überall.
 

Solltest du uns auch nur den geringsten Anlass geben, an deiner Gesinnung zu zweifeln, kann ich für das Wohl deines Sohnes nicht garantieren.
 

Hochachtungsvoll,
 

Dein Erpresser“
 

Yusaku ließ den Brief sinken.

Hinter ihn war sein Vater getreten, nahm ihm das Blatt aus der Hand.
 

Eine Weile schwiegen sie beide, keiner machte auch nur eine Bewegung.

Schließlich atmete der Ältere der beiden tief durch.

„Und? Wirst du’s machen?“
 

Yusaku drehte sich um und starrte ihn an.

„Die Frage stellt sich gar nicht.“

Damit ging er in die Küche, nahm auf dem Weg dahin das Telefonbuch und das Telefon mit und rief bei der Zeitung an.
 

Am nächsten Morgen erschien die Anzeige.
 

Yusaku hatte es der Polizei untersagt, weitere Handlungen einzuleiten. Er wollte kein Risiko eingehen. Es Meguré zu erklären war etwas schwierig gewesen- er hatte partout nicht einsehen wollen, weshalb Yusaku keine Polizei dabei haben wollte.

Die Worte des jungen Vaters allerdings waren mehr als eindrücklich gewesen.
 

„Es geht um meinen Sohn, Jûzô. Es geht um Shinichi. Ich will ihn einfach nicht noch mehr gefährden, versteh doch. Du kannst machen was du willst, sobald er wieder bei mir und Yukiko ist, aber vorher, ich bitte dich, mach nichts. Unternimm nichts.“
 

Meguré wollte ihm widersprechen, unterließ es aber, als er in das kreideweiße, erschöpfte, um Jahre gealtert scheinende Gesicht seines Freundes blickte.

Stattdessen hatte er nur geseufzt- und genickt.
 

Die darauf folgende Woche verließ Yusaku Kudô nicht das Haus. Er verbrachte die Tage mit Yukiko im Zimmer von Shinichi und wartete. Fühlte sich schlecht.

Hilflos, machtlos… er war ein Versager. Er hatte seinen eigenen kleinen Sohn nicht beschützen können.

Was war er für ein Vater…

Das Warten zermürbte ihn, die Angst um seinen Sohn machte ihn wahnsinnig. Nachts konnte er nicht schlafen, wälzte sich von einer Seite auf die andere, bekam mit, wie Yukiko scheinbar schlafwandelnd an Shinichis Bettchen tapste, wie um nachzusehen, warum er geweint hatte – nur das kein Baby drin lag, das hätte weinen können.
 

Manchmal brach sie dort aufschluchzend zusammen, von wo er sie aufhob und ins Bett zurücktrug.

Manchmal schaffte sie es noch bis ins Bett zurück und begann da mit ihrem Weinkrampf.
 

Es war die Hölle auf Erden.
 

Dann war die Woche um.
 

Es war gerade mal fünf Uhr Morgens, als er draußen ein Geräusch hörte.

Als er zum Fenster hastete, sah er gerade noch eine rothaarige Gestalt im fahlen Laternenlicht die Straßen entlang verschwinden.

Er hastete die Treppe hinunter und fand genau das, was er erwartet hatte.

Den Brief.
 

Der Umschlag war blank.

Als er ihn öffnete, befand sich nur ein kleiner, getippter Zettel drin.

Auf ihm stand eine Ortsbeschreibung.
 

Er drehte sich um, als er hinter sich ein Geräusch vernahm.

Yukiko war hinter ihn getreten und schaute ihn an. Ein Ausdruck verzweifelter Hoffnung lag auf ihrem Gesicht.
 

„Zieh dich an.“

Sie wandte sich ab und rannte die Treppe wieder hoch.

Er folgte ihr, zog noch im Laufen sein Pyjamahemd aus.
 

Fünf Minuten später saßen sie im Auto, fuhren zu dem Ort, der auf dem Zettel angegeben war. Es war der Park. Genauer gesagt, eine Bank im Park, versteckt hinter Büschen und Bäumen, ein eigentlich lauschiges Plätzchen für verliebte Pärchen.

Yukiko saß auf dem Beifahrersitz, ihr Gesicht war kreidebleich und angespannt, ihre Hände umklammerten Shinichis weißen Plüschteddy.

Er steuerte den Wagen, biss sich nervös auf die Lippe und versuchte doch, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen.
 

Dann waren sie angekommen. Sie mussten an der Straße neben dem Park halten, liefen über den Rasen, rannten, rannten zu der Baumgruppe, die das Bänkchen vor neugierigen Blicken schützte…
 

Yusaku brach durch die Hecke, sah sich schwer atmend um. Auf der Bank war nichts.

Dann bückte er sich.
 

„Yusaku!“

Yukiko, die neben ihm in die Hocke gegangen war, wimmerte.

Er hatte es auch gesehen.

Ein Karton.

Yusaku streckte sich, packte die Schachtel mit beiden Händen und zog sie hervor.
 

Sie schauten beide zur gleichen Zeit hinein.

Drin lag er, stumm. Angst stand in seinen Augen, er hatte seine kleinen Hände fest in die Decke, in die man ihn gewickelt hatte, geklammert.

„Er traut sich nicht zu schreien…“, wisperte Yukiko leise. „Yusaku, warum…? Er schrie doch immer …“

Er antwortete nicht.

Er setzte sich ins taufeuchte Gras, weil ihm die Knie schlotterten, streckte die Hände aus und hob ihn heraus.

Sanft, behutsam… er hielt ihn vorsichtig auf einem Arm, dann öffnete er den Verschluss seines Mantels und drückte das Baby an sich, wickelte es halb ein.

Tränen rannen ihm über sein Gesicht.

Yukiko kniete sich hin und berührte vorsichtig seine kleinen Finger. Eine Hand öffnete und schloss ich um ihren Zeigefinger, so schnell, dass sie gar nicht richtig reagieren konnte. Er hielt sie fest.

Yukiko brach in Tränen aus.

Küsste ihren Sohn auf die Stirn und schmiegte sich an ihren Mann, hielt sich fest.

So saßen sie da, keiner der Beiden wusste wie lange, ihren kleinen Sohn sicher in ihrer Mitte.

Schließlich stand er auf.

„Gehen wir. Bringen wir ihn heim…“

Dann sah er ihn. Den kleinen Zettel im Karton- auf ihm stand nur ein einzelner Satz.
 

„Wir warnen dich- das nächste Mal könnte das hier anders enden.“
 

Als sie ihm ihren Sohn abnehmen wollte, damit er fahren konnte, sah sie es.

Eine kleine Wunde am Hals des Babys, knapp unter dem Haaransatz. Die Haut war tief aufgeschürft.

„Yusaku…“, flüsterte sie und deutete auf die Stelle.

Wut kochte in ihm hoch, als er es sah. Und unbändiges Schuldgefühl machte sich in ihm breit.
 

Am Abend saßen sie zu fünft ihm Wohnzimmer. Das Baby schlummerte selig auf dem Bauch seiner Mutter. Die Großeltern waren einfach nur zutiefst erleichtert, ihren Enkel wohlbehalten wieder zu haben.

Nun, fast wohlbehalten; der Arzt, bei dem Yusaku und Yukiko mit ihrem Sohn noch gewesen waren, hatte ihnen zwar versichert, dass es dem Kleinen gut gehe; eine Narbe würde er allerdings zurückbehalten.
 

Yusaku seufzte laut auf.

„Nur gut, dass er sich an das alles nicht erinnern wird…“
 

Die Polizei hatte den Täter zwar gefasst; Yusaku hatte ein einigermaßen gutes Bild von ihm abgeben können, und anhand des Phantombilds war der Erpresser bald gefunden worden, und mit ihm seine Bande von Kriminellen.

Er allerdings hatte seine Konsequenzen aus der Sache gezogen.
 

Er hatte aufgehört.

Hatte sich aus dem Detektivmetier zurückgezogen- und stattdessen ernsthaft mit dem Schreiben begonnen. Er wusste nicht, wieso. Er hatte früher schon immer gerne Kriminalromane gelesen, sogar schon den einen oder anderen Gedanken zu Papier gebracht- ans professionelle Schreiben, ans Veröffentlichen seiner Werke jedoch hatte er sich nicht gewagt.

Eines Abends, kurz nachdem sie ihren Sohn wieder hatten, hatte er sich an den Schreibtisch gesetzt, ein altes Skript hervorgezogen und begonnen, es zu überarbeiten. Es fiel ihm erstaunlich leicht- mit seiner Erfahrung aus seiner Zeit als Detektiv wusste er Bescheid über das wie und warum eines Verbrechens. Sein erstes Buch wurde ein Bestseller- wie auch all jene, die ihm noch folgten.
 

Yusaku wollte sich und seine Familie nie, nie wieder in eine solche Situation bringen. Nie wieder.

Es hatte ihm gereicht, seinen Sohn so verängstigt zu sehen, dass er sich nicht einmal mehr schreien getraut hatte. Ein kleines Kind, so jung wie er es gewesen war, hätte sich nicht so fürchten dürfen. Es war nicht gerecht, ein Baby wie er es war, schon solche Angst spüren zu lassen.
 

Und nie wurde er das Gefühl los, versagt zu haben. Jedes Mal, wenn er ihn ansah, erst recht, wenn er die dünne Narbe an seinem Hals sah, fühlte er sich schuldig.
 

Und nicht nur dieses Mal gab er ihm das Gefühl, als Vater nichts getaugt zu haben… der Fall mit der Organisation, mit der er sich angelegt hatte, hatte ihm seine Unfähigkeit erneut bewiesen.

Allein die Tatsache, dass Shinichi, obwohl er gewusst hatte, dass er in gewaltigen Schwierigkeiten steckte, sein Leben in Gefahr war, sich nicht an ihn gewandt hatte… gab ihm schwer zu denken. Ließ ihn daran zweifeln, jemals etwas richtig gemacht zu haben.
 


 

„Sag’s ihm.“

Yukiko sah ihn an.

„Er ist alt genug, er wird’s verkraften. Es wird Zeit, dass du aufhörst, dich damit zu quälen, und eure Streitereien werden nicht aufhören, solange das zwischen euch liegt. Es ist nicht gerecht, ihn als Versager hinzustellen, nur weil du dich damals als einer gefühlt hast. Dich jetzt vielleicht auch noch als einer fühlst…?“
 

Er wich ihrem Blick aus.

Sie nahm seinen Kopf in beide Hände, zwang ihn, sie anzusehen.
 

„Yusaku, wer sagt denn, dass es ihm genauso ergehen muss? Wer sagt denn, dass sich Geschichte zwangsläufig immer wiederholen muss?“
 

Er seufzte schwer.

„Also schön.“
 

Damit verließ er das Zimmer.
 

Er fand seinen Sohn auf dem Balkon.

Shinichi stand da, schaute in den Sonnenuntergang und kratzte sich gedankenverloren an der kleinen Narbe in seinem Nacken, von der er nicht wusste, woher er sie hatte.
 

Er merkte erst, dass er nicht mehr alleine war, als jemand seine Hand nahm und sie von der Narbe wegzog.

„Die hast du wegen mir…“

Shinichi drehte sich um blickte seinen Vater verwirrt an.

„Wie bitte?“
 

Yusaku seufzte.

„Nun, indirekt zumindest. Es ist meine Schuld, dass du sie hast. Du warst erst ein paar Monate alt…“

Shinichi legte den Kopf schief, sagte nichts. Irgendetwas war anders.
 

„Du bist kein Versager. Und du bist beleibe kein schlechter Detektiv. Ich schätze, du bist wohl jetzt schon besser, als ich jemals geworden wäre.“

Er hob die Hand, als Shinichi, dessen Augen sich vor Erstaunen geweitet hatten, einen Einwurf machen wollte.

„Lass mich ausreden. Der Grund, warum ich dich ständig vom Gegenteil überzeugen will, ist… auch der Grund, warum ich aufgehört hab. Mit dem Detektivsein gebrochen habe…“

Yusaku vergrub die Hände in den Hosentaschen.

„Ich will einfach nicht, dass du dasselbe Elend durchmachen musst wie ich. Ich… ich hab damals aufgehört, weil du- weil man dich entführt hatte.“
 

Shinichi sog scharf die Luft ein, öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch sein Vater unterbrach ihn erneut.

„Nein, lass mich erst ausreden. Du kannst hinterher deinen Senf dazu abgeben, Fragen stellen, soviel du willst, aber lass mich dir erst die ganze Geschichte erzählen, es ist schon so schwer genug für mich. Eigentlich wollte ich nie, dass du es erfährst. Du… du warst damals über eine Woche weg, die Zeit war die Hölle für deine Mutter und mich, das kann ich dir versichern. Deine Mutter und deine Großmutter waren einkaufen, als es passierte, als man dich… uns wegnahm. Nun… der Grund, warum man dich entführt hatte, war, um mich zur Aufgabe zu zwingen. Was ihnen gelungen ist. Ich hab öffentlich meinen Rücktritt erklärt, um dich wiederzukriegen, und ich hab nie wieder angefangen, wie du weißt. Als wir dich fanden, hattest du eine kleine Verletzung, daher die…“

Shinichi berührte unwillkürlich die Stelle an seinem Hals.

„Du lagst in einem Karton unter einer Parkbank. In deinen Augen sah man die nackte Angst, so intensiv, wie sie kein Kind in diesem Alter spüren müssen sollte… ich wusste bis zu dem Zeitpunkt gar nicht, dass sich so kleine Kinder schon so fürchten können. Du hast dich nicht einmal mehr getraut, zu schreien, und dabei hast du immer… geschrieen. Bei jeder Gelegenheit…“

Yusaku schluckte, seine Stimme brach fast. Dann räusperte er sich und fuhr fort.

„Ich hätte weitermachen können, diese Verbrecher wurden gefasst, aber… ich konnte es nicht. Ich sah dich an und wusste, ich kann das nicht mehr machen. Du musstest wegen mir so leiden, das vergesse ich nie. Ich will nicht, dass du Detektiv wirst, weil ich dir diese Erfahrung, diese Lektion, die ich so schmerzhaft lernen musste, ersparen will. Und weil ich nicht will, dass du dich unnötig gefährdest.“

Sein Sohn trat einen Schritt näher.

„Aber wer sagt denn, dass mir…“

„Ja, damit hat deine Mutter auch argumentiert. Aber wer garantiert uns denn das Gegenteil? Ich… nun. Deswegen hab ich dich immer schlecht gemacht. Ich wollte, dass du aus Frustration aufhörst. Ich weiß, das ist unfair. Ich weiß, ich hab dich verletzt damit… Ich habe als Vater versagt, damals, und noch so oft hinterher, du weißt, was ich meine…“
 

Shinichi schüttelte den Kopf.

„Nein, das hast du nicht.“

Sein Vater sah auf.

„Doch! Ich konnte dich nicht beschützen, wo du doch meinen Schutz…“

Shinichi holte tief Luft.

„Dafür kannst du doch nichts. Solche Menschen sind Psychopaten, das wissen wir beide. Und du hast mich doch groß gekriegt, nicht war? Ich bin einundzwanzig und lebe noch. Und für den Mist, den ich mit Siebzehn gebaut habe, kannst du erst recht nichts. Dafür, dass ich es euch nicht gesagt habe, dich nie um Hilfe gebeten habe, kannst du auch nichts. Du kannst nichts für meine Sturheit. Und außerdem- es gibt keine Eltern, die keine Fehler machen.“
 

Shinichi legte eine Hand auf die Schulter seines Vaters.

„Und nur, weil ich einmal anderthalb Wochen „auswärts“ schlafen musste, oder du den einen oder anderen Fehler mal gemacht hast, bedeutet das noch lange nicht, dass du als Vater versagt hast. Ich bin nicht drogensüchtig, trinke nicht, rauche nicht, habe eine stabile Beziehung zu meiner Freundin, bin ehrlich, ehrgeizig, pflichtbewusst und ein ausgesprochener Moralist. Wäre ich das, wenn du deine Sache nicht irgendwie doch gut gemacht hättest? Oder zählt das nicht?“
 

Yusaku starrte ihn an.

„Danke.“, murmelte er nur.

Dann nahm er ihn wortlos in den Arm.

„Nichts zu danken…“, murmelte Shinichi.
 

Dann lösten sie sich wieder voneinander.

„Danke, dass du’s mir erzählt hast.“

„Bist du jetzt nicht erschüttert?“

Shinichi zuckte mit den Achseln.

„Ich hab schon einiges erlebt, das weißt du. Ich für meinen Teil denke ja, dass es für euch wesentlich schlimmer sein muss, als für mich. Ich weiß davon nichts mehr- aber ihr müsst mit der Erinnerung daran leben… ich möchte nur, dass du weißt, und das kannst du auch Mama sagen, dass ich der Letzte bin, er euch dafür einen Vorwurf macht.“

Sein Vater nickte langsam.

„Ich nehme mal an, du hörst trotzdem nicht auf… mit deinen detektivischen Ambitionen? Ich konnt’s dir nicht ausreden?“

Yusaku blickte in fragend an.

„Nein.“, meinte Shinichi entschlossen.

„Nein, ich hör nicht auf. Irgendjemand muss diese Irren doch aufhalten, oder nicht? Aber ich kann dir versichern, ich pass auf mich auf, ich bin kein Mensch der einen Fehler zweimal macht. Und sollten Ran und ich tatsächlich irgendwann Kinder haben…“

Er wurde rot bei dem Gedanken, dann lächelte er.

„Dank dir werde ich wohl eine echte Kidnappingphobie entwickeln, wenn’s soweit ist.“
 

Shinichi schaute seinem Vater nach, der milde lächelnd und mit in den Jackentaschen vergrabenen Händen wieder zurück ins Haus ging.
 

Er selber aber... er selber blieb noch bis weit nach Einbruch der Dunkelheit auf dem Balkon stehen, strich sich hin und wieder unwillkürlich mit den Fingerkuppen über die schmale Narbe in seinem Nacken und ließ seine Gedanken schweifen.
 

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Edit: Danke, DarkStar für den Hinweis! Ich hab den betreffenden Satz gelöscht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (15)
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Von:  Cygni
2009-09-14T17:27:54+00:00 14.09.2009 19:27
ne, war gelogen... bin fertig!!^-^
Von:  Cygni
2009-09-14T17:26:25+00:00 14.09.2009 19:26
nya~ . . . hm das schreib ich immo echt oft... egal^-^

ja, da klaffte echt ne lücke... keiner wusste warum yusaku aufgehört hat und du hast er rausgefunden(in anführungsstrichen)!

supi!*rumhüpf*

glg stellax3

ps: eine fehlt noch^-^
Von:  Varlet
2009-01-01T19:05:59+00:00 01.01.2009 20:05
Mir hat die Geschichte wirklich sehr gut gefallen. Man konnte sich echt in Kudo rein versetzen und sehen, warum es ihm so schwer fällt, dass sein Sohn Detektiv geworden ist.
Die Geschichte passt perfekt in DC rein, ich kann mir gut vorstellen, dass es sich so ähnlich vielleicht wirklich vorgetragen hat und wenn nicht, dann find ich es trotzdem super, was du aus Yusakus Verhalten Shinichi gegenüber heraus gelesen hast.

Von: abgemeldet
2008-05-15T18:59:10+00:00 15.05.2008 20:59
Ich fand die Geschichte wirklich super ^.^
In einem Zirkel haben wir uns genau über dieses Thema unterhalten und da fiel dein Name wegen der FF und weil Shelling schon so viel von dir erzählte und ich heute mal Zeit hatte, dachte ich mir ich schau mal vorbei und les sie mir durch. (etwas viele unds in einem Satz, aber egal).
Nun zur Geschichte selbst:
Dein Schreibstil ist wirklich super. Man kann sich sehr gut in die Geschichte hineinfühlen und ich bin froh, dass Shelling dich dazu gebracht hat sie zu schreiben. Es ist wahrhaftig eine "Marktlücke", wenn man das so sagen kann. ^.^ Und damit eine Bereicherung für die MK/DC-FF Welt. ^.^
Was ich auch für eine gute Idee hielt waren die Großeltern. Irgendwie erfährt man über jene im Original selbst nicht sehr viel. Und man fühlt mit der verzweifelten Familie sehr schön mit. Das einzige was ich kurz anmerken musst ist "In Ermittlungen mischte er sich nie wieder ein.". Das tat er ja eigentlich nicht. Wie Megure in dem Fall im Flugzeug (Band 21), also Shinichis erstem Fall, erläuterte, nahm Yusaku seinen Sohn auch sonst oft mit an Tatorte.
Aber ansonsten fand ich die Geschichte echt super und freu mich auf deine anderen Werke! ^.~
liebe Grüße
DarkStar
Von: abgemeldet
2008-04-11T22:38:21+00:00 12.04.2008 00:38
eher könnte man "einem stein klaviespielen beibringen", als sich nicht von deinen ffs in den bann ziehen zu lassen ... XD
*sprachlos bin*
Von:  Black_Taipan
2008-04-10T18:02:21+00:00 10.04.2008 20:02
Echt ein interessanter One-shot. Normalerweise sieht es ja so aus, als würde Yusaku Shinichis Talent nicht anerkennen, weil er einfach zu sehr von sich selbst überzeugt ist. Im Manga wirkt es ja so, als hätte er Freude daran einen kleinen Detektiven aufzuziehen, den man aber beim ersten Zeichen von Gefahr zurückrufen muss.
Den Gedankengang, dass eine Entführung das Motiv für Yusakus Berufswechsel war, finde ich wirklich interessant. Vorallem wirkt er hier nicht so überheblich wie sonst, sondern hat wirklich seine ernsten Gründe.
Allerdings handelt er immer noch etwas "seltsam" - glücklicherweise gibt ihm Yukiko schliesslich einen Rat, der das gespannte Verhältnis etwas lockert.

Ein interessanter Oneshot, wirklich toll geschrieben!
Liebe Grüsse
taipan
Von:  Ran_Angel
2008-03-30T09:50:16+00:00 30.03.2008 11:50
Hi ^^

Ich find die Fanfic echt super!!!
Eine sehr interesannte idee warum Yusaku Shinichi immer so schlecht macht. Ich finde die idee sehr gut gelungen und auch sehr plausibel ^^
Mir hat die Story sehr gut gefallen, mal was anderes ^.^

Mach weiter so!!
*knuddel*

Ich freue mich schon auf deine nächste Story ^.~

GlG
deine Ran_Angel ^^
Von:  KilmaMora
2008-03-25T10:32:37+00:00 25.03.2008 11:32
Mal was ganz anderes =)

Eine durchaus interessante und plausible Theorie, warum Yusaku mit Shinichis Berufung nicht einverstanden ist. Wunderbar geschrieben, ich finde spontan keinerlei Kritikpunkte (wer sucht findet immer etwas ;))


Von:  ShinichiKudo_017
2008-03-25T10:27:12+00:00 25.03.2008 11:27
Die Fic war wirklich klasse.
Es gab zwar einige kleine Umdrehungen in der Geschichte aber da ist nciht weiter tragisch.
So war es doch gut geworden. Das Ende war nciht so ganz gelungen aber trotzdem super Klasse! ^^

Also bis dann! ShinichiKudo_017
Von: abgemeldet
2008-03-24T11:59:03+00:00 24.03.2008 12:59
Hayy =)

Nun habe auch ich endlich die FF gelesen *muhaha*
Wie du dir sicher denken kannst, hat mir dein Schreibstil mal wieder sehr sehr gefallen und es war eine tolle Osterüberraschung. :)

-> Bei dem Titel musste ich erst mal überlegen, worum es sich denn da handeln könnte und als ich dann soweit war um zu begreifen warum du diesen Titel gewählt hattest war (oder bin) ich begeistert davon. ;) Eine wirklich passende Überschrift. <3

-> Der Inhalt selber war wie imemr einfach klasse. Wie du nur auf die Idee mit der Narbe gekommen bist. ;) Auch haben mir die einzelnen Reaktionen von den Personen gefallen.
Meiner Meinung anch sehr charakterischtisch. ^________^ ♥

Ich gebe zu, am Anfang war ich etwas skeptisch was Yusakus Verhalten anging und wollte dir eigentlich hier wiedersprechen, das er nie und nimmer so vernichtend Shinichi gegenüber reagiert hätte, aber wenn amn bedenkt was er alles erlebt hat, ändere ich meien Meinung ;)
Yzsaku ist und bleibt halt doch noch der liebevolle Vater ;)

-> Ach ja! Was mir am besten gefallen hat ist das was Shinichi am Ende zu Yusaku gesagt hat, von wegen das er kein schlechter Vater sei sondern sogar ein sehr guter.
Die Stelle war einafch nur klasse x) ♥
Also alles in allem mal wieder ein klasse OneShot! ^-^

Ich freue mich auf Mittwoch. ;)
Liebe Grüße ♥,
Shi_Ran-chan



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