Die Fronten prallen aufeinander I
Drei Wochen waren vergangen. In dieser Zeit hatten sich die Gemüter aller verändert. Die Stadt hatte sich verändert. Das Leben. Eng umschlungen von einer Decke saß Nami auf ihrem Bett. Richtig, ihrem Bett. Die Tage bei Aoki waren gezählt. Endlich. Seit gestern war sie in ihrem Zuhause. Dieses Wort. Lange hatte sie diese Wohnung als Art Gefängnis angesehen. Ein Ort der Wut, der Trauer. Nun dachte sie anders. Schwer erhob sich Nami und trat ans Fenster heran. Ihre Finger berührten sacht das kalte Glas und sie beobachtete die Regentropfen, die sich ihren Weg darüber bahnten. Ihr Blick richtete sich auf den Himmel. Schwarze Wolken, Wind, Regen. Die sonst so lebensfrohe Stadt wurde seit Tagen von einem Unwetter heimgesucht. Das Wetter passte sich dem Treiben der Menschen an. Wie rührend. Schwermütig lächelte Nami. Es war früh am Morgen. Die letzten Nächte verbrachte sie meist schlaflos, nachdenklich. Der Mangel an Schlaf hinterließ sichtliche Spuren. Einen Moment vergrub Nami das Gesicht in ihren Handflächen. Alles hatte Spuren hinterlassen.
Vivi, es tut mir leid. Immer und immer wieder schossen ihr diese Worte durch den Kopf. Der Optimismus von vor drei Wochen war gänzlich verschwunden. Zwar gab es kleinere Siege, doch die konnten die wichtigen Tatsachen nicht mindern. Ihre einst beste Freundin blieb weiterhin entführt. Corsa blieb weiterhin tot. Zorro blieb ihr gegenüber weiterhin auf Abstand. Die Schuld nagte an ihr.
Ihr Körper fühlte sich an wie Blei. Jeder Schritt wog schwer. Bedacht Nojiko nicht zu wecken, ging sie in die Küche. Suchend nach eine Falsche Mineralwasser, musste sie unweigerlich an ihre Mutter denken. Zur damaligen Zeit strahlte dieser Raum unendliche Wärme aus. Bellemere war eine hervorragende Köchin. Immer suchend nach neuen Kreationen. Seit ihrem Tod war dieser Ort kalt und leer. Nami und Nojiko hatten bereits darüber nachgedacht eine andere Wohnung in Betracht zu ziehen. Nun war es soweit. Sobald Normalität herrschen würde, würden sie umziehen, einen Neuanfang starten. Es war nur eine Frage der Zeit. Im Kühlschrank war sie fündig geworden. Nachdenklich öffnete sie den Verschluss und nahm einen Schluck. Mit einem letzten, vielsagenden Blick ließ sie das Zimmer hinter sich. Im Vorbeigehen erblickte Nami den Fernseher, welcher im Wohnzimmer stand. Täglich unterbrachen Meldungen über Unfälle und Anschläge das Alltagsprogramm. Die Polizei hatte alle Hände voll zu tun. Egal was vorfiel, es schien als wären sie stets einen Schritt zu spät. Tief im Inneren schien sie den Grund dafür zu wissen. Schlimmer als die Vorkommnisse war das fehlende Vertrauen der Bewohner. Immer mehr bröckelte es. Die Menschen fühlten sich verraten, unsicher. Lügen sickerten durch, Intrigen gegen die Polizei, die Führungsstäbe und den Bürgermeister selbst. Die Menschen forderten seinen Rücktritt. Kobra verlor allmählich alles.
Vor ihrem Zimmer hielt Nami ein letztes Mal inne. Nicht weit von ihr war die Türe zu Nojikos „Reich“. Diese durfte gestern das Krankenhaus verlassen, natürlich unter der Bedingung sich zu schonen. Nami hatte sich mit Aoki arrangiert. Sie durfte hierher zurück. In der letzten Zeit gab es keinerlei Gründe, die darauf schließen, dass Nami weiterhin Schutz benötigte. Aoki wollte lediglich hie und da einen Mann vorbeischicken, der kurz nach dem Rechten sah. Damit konnten sowohl Nojiko als auch Nami ganz gut leben. Die nächste Zeit würde auch Zorro bei ihnen leben. Er wollte eine stützende Hand sein, die Nojiko momentan noch benötigte. Nami bekam ein mulmiges Gefühl. Wie sollte sie mit ihm umgehen? Immer wieder hatte er ihr die kalte Schulter gezeigt, es schien, als saß die Enttäuschung noch zu tief. Verständlich. Wieder in ihrem Zimmer angekommen, ließ sie sich aufs Bett fallen. In Gedanken zählte sie bereits die Stunden bis zu einem besonderen Treffen. Ein kurzes Lächeln stahl sich auf Namis Lippen. Am frühen Nachmittag war sie mit Robin verabredet. Seit ihrer letzten Begegnung war zu viel Zeit vergangen. Das hatten sie Smoker zu verdanken. Er wollte die beiden voneinander fernhalten und hielt nichts von ihrer aufkeimenden Beziehung. Somit waren die beiden auf andere Möglichkeiten angewiesen, Handy oder E-Mail. Es war jedoch nicht dasselbe. Nie hatte sie gedacht, dass ihr eine Person in kürzester Zeit so wichtig werden konnte, erst recht nach diesem holprigen Start. Nami schloss ihre Augen und atmete tief durch.
•¤•
Zur selben Zeit befand sich Kobra am Friedhof. Bewusst hatte der Mann auf einen Schirm verzichtet. Er wollte den Regen spüren, die Kälte des Windes. Es schien der einzige Weg zu sein, sich lebendig zu fühlen. Nach dem Tod seiner Frau hatte er gehofft, er müsse nie wieder gegen diesen Schmerz und diese innere Leere ankämpfen. Am Sterbebett hatte er seiner Frau, Titi, versprochen, dass er auf ihre gemeinsame Tochter aufpassen würde. Er hatte versagt. Vor dem Grab seiner Frau blieb er stehen und sank auf seine Knie. Behutsam legte er drei rote Rosen nieder. Einen Moment ließ er alles auf sich einwirken.
„Es tut mir leid. Ich ist mir nicht gelungen mein Verspreche einzuhalten. Unsere Tochter ist weiterhin in den Händen dieser, dieser…“ Seine Stimme versagte. Während sich seine linke Hand zur Faust ballte, strich er mit der anderen über seine Augen. Er durfte nicht weinen. Er musste stark bleiben, irgendwie. Normalerweise fand er an diesem Ort Trost und Hilfe. In jenen Momenten fühlte es sich an, als wäre seine Frau weiterhin an seiner Seite. Doch dieses Mal nicht. Dieses Mal fühlte sich Kobra nur noch schwächer. Minuten verstrichen.
„Ich trete zurück. Morgen wird es verkündet. Es ist Teil des Plans. Ich soll mitspielen, dann würde Vivi nichts geschehen. Meine einzige Chance, oder?“
•¤•
Nachdenklich stand Nami hinter dem Tresen. Sie war bereits lange vor dem vereinbarten Zeitpunkt im Café aufgetaucht. Die Luft in der Wohnung war ihr zu dick geworden. Wie konnte sie Zorro nur wieder milder stimmen? Natürlich hatte sie bereits an mehrere Gesten gedacht, doch keine schien ihr als angemessen. Wie auch? Sie hatte nicht nur sich selbst in Gefahr und Schwierigkeiten gebracht sondern auch andere. Ihr war vollkommen bewusst, dass allein schon Nojikos Autounfall schmerzhafte Erinnerungen wachgerufen haben musste. Nami stieß einen tiefen Seufzer aus. Als sie einen Blick auf die Uhr erhaschte, schluckte sie nervös und schielte zum Eingang. Aufregung schien sich allmählich in ihr auszubreiten. Die nächsten Minuten machten es nur schlimmer. Es kam ihr so vor als würden die Minuten zu Stunden.
„Ist da was?“, hörte sie plötzlich eine Stimme neben sich. Nami hatte ihr Umfeld vollkommen vergessen und war umso überraschter als sie Ruffys Stimme vernahm.
„Nein“, antwortete Nami knapp und hielt sich die Hand an die Brust. Ihr Herz überschlug sich förmlich. Dieser Idiot!
„Warum starrst du dann unentwegt da hin?“, ließ Ruffy nicht locker und stellte sich direkt neben Nami. In der Hoffnung etwas Spannendes zu erhaschen, klebte sein Blick förmlich am Eingang.
„Soweit ich weiß, wirst du fürs Arbeiten und nicht fürs Gaffen bezahlt. Außerdem, der Gast an Tisch 7 will zahlen“, ermahnte Nami zähneknirschend und funkelte ihn wütend an. Ruffy setzte einen Schmollmund auf und begab sich zum besagten Tisch. Während sie ihn dabei beobachtete, hatte Nami nicht gemerkt, wie jemand an sie heran getreten war.
„Dein Blick fördert nicht gerade die Gewinnung neuer Kundschaft.“ Blitzartig drehte sich ihr Kopf und ihre Augen fanden sich direkt in Robins. Nami brauchte einen Moment um ihre Fassung wiederzuerlangen. Auf Robins Lippen machte sich ein Schmunzeln breit. Die Jüngere stand vollkommen verdutzt vor ihr und schien mit sich zu kämpfen. Namis Gefühlswelt stand Kopf. Wann genau hatte sie sich in diese Frau verliebt? Wann hatte sie es endlich akzeptiert beziehungsweise zugelassen? Einen Augenblich später schüttelte Nami ihren Kopf und strich mit einem Lappen über den Tresen, nur um sich abzulenken.
„Was willst du trinken?“, fragte Nami und versuchte einen direkten Augenkontakt zu vermeiden. Innerlich wurde sie von Glücksgefühlen überflutet. Nur zu wissen, dass diese Frau nun direkt vor ihr stand, ließ all die letzten Tage verblassen.
„Einen Espresso“, entgegnete die Schwarzhaarige gelassen und behielt Nami im Auge. Sie verfolgte jede ihrer noch so kleinsten Bewegungen. Nami spürte den Blick, der auf ihr ruhte, nur allzu gut. Gekonnt versuchte sie ihre immer größer werdende Nervosität zu überspielen.
„Komm mit“, nuschelte Nami schließlich und führte Robin in einen der hinteren Räume. Nojiko hatte sich hier ein geräumiges Büro eingerichtet, in dem es auch eine angenehm bequeme Sitzecke gab. Dieser Ort strahlte sofort eine ganz andere Atmosphäre aus. Der Raum hatte etwas Beruhigendes an sich. Woran es genau lag, konnte Nami nur schwer definieren. Wenigstens war es perfekt um ungestört reden zu können. Robin folgte Nami mit Abstand und konnte sie daher besser betrachten. Ihr erster Eindruck lag nicht falsch. Nami hatte sich verändert. Sie schien abgenommen zu haben, wirkte blass und ihre Bewegungen waren nicht wie sonst voller Elan sondern träge. Als sie den Raum betraten, nahm Robin kaum Notiz davon. Nachdem sie die Türe hinter sich geschlossen und Nami das Tablett abgestellt hatte, trat sie hinter die jüngere Frau und umarmte sie.
„Du siehst müde aus“, flüsterte sie dieser schließlich ins Ohr und festigte dabei ihren Griff. Nami schloss ihre Augen und ließ sich vollends gegen den Körper der älteren Frau sinken. Ihr Herz klopfte schneller und in ihrem Bauch machte sich ein warmes Kribbeln breit. Diese Geste gab ihr weitaus mehr als sonst etwas.
„Du weißt gar nicht wie sehr.“ Nami drehte sich langsam um, bedacht die Umarmung nicht zu lösen, und schlang dabei ihre Arme um den Nacken der Schwarzhaarigen, während sie den Kopf in Robins Halsbeuge vergrub. Minuten verstrichen in denen die zwei Frauen eng umschlungen und vor allem schweigend da standen. Erst ein Schluchzen durchbrach die Stille. Nami konnte nicht mehr anders. Sie wurde regelrecht von ihren Gefühlen übermahnt. Alles was sich in ihr angestaut hatte, schien nun auszubrechen. Ihr Kummer und Schmerz vermischte sich zunehmend mit ihrem Glücksgefühl. Schuld machte sich in ihr breit. Die Nähe und Wärme dieser Frau, die ihr den Verstand und ihr Herz geraubt hatte, waren ihr zu diesem Zeitpunkt wichtiger als die Sicherheit anderer. Durfte sie diese Gefühle in diesem Augenblick überhaupt zu lassen? Musste sie diese nicht nach hinten reihen? Nami biss sich auf die Unterlippe und versuchte den Tränenfluss unter Kontrolle zu bekommen. Als sie Robins Hand spürte, die ihr fürsorglich durchs Haar strich, blickte sie zu dieser hoch. Diese lächelte und küsste ihr eine Träne aus dem Gesicht.
„Denk nicht zu viel, lass es einfach zu.“
•¤•
„Endlich, endlich!“ Mit einem breiten Grinsen schlüpfte Spandam in seinen Mantel und trat hinaus ins Freie. Nur ein paar Meter entfernt stand sein Wagen und dieser würde ihn zu seinem Ziel bringen. Eines stand fest, seine Zeit war gekommen.