N.N.
Disclaimer: Weiß Kreuz gehört mir nicht und hiermit wird kein Geld verdient.
Von: kissos
Rating: U
Charaktere: Nagi, Schuldig
Warning: -
(Inner Circle – Challenge - Umbruch I)
Family
N.N.
Ein Appartement, irgendwo in Tokio
Lange hatte er nicht aufgeblickt, nachdem der Amerikaner ihn in seine Wohnung gebracht hatte. Denn die ganze Zeit über galt seine volle Aufmerksamkeit den Spitzen seiner Schuhe. Turnschuhe, einst weiß nun grau, mit zwei verschieden farbigen Bändern.
Das sieht doch hübsch aus, sagte sie, als sie ihm seine neuen Schuhe überreichte.
Das hat nicht jeder, ein besonderes Paar für einen besonderen Jungen...
Nagi lächelte zurück, weil man es von ihm erwartete. Und weil sie sich wirklich große Mühe gab, ihm seine neuen Schuhe schmackhaft zu machen. Die anderen Kinder... die hatten sich längst die schönsten Sachen ausgesucht. Und übrig war nicht viel geblieben.
Weil er zu langsam gewesen war. Und nicht entschlossen genug.
Der Boden um seine Schuhe herum war aus dunklem Holz, und auch, wenn Nagi nicht viel davon verstand, glaubte er zu wissen, dass es ein teurer Boden sein musste.
Eigentlich hätte er jetzt gerne seine Schuhe ausgezogen – weil sich das so gehörte, und auf einem so schönen Boden doch erst recht – aber der Mann hatte gemeint, er könnte sie ruhig anbehalten. Was ihn ziemlich verwirrte, da er nun nicht mit Gewissheit sagen konnte, was von ihm erwartet wurde.
Der Amerikaner... schon seit Minuten war er jetzt in einem der Zimmer verschwunden. Er hatte ihn einfach so hier stehen gelassen.
Er könnte sich gerne umsehen, hatte er beim Gehen gesagt.
Eine unklare Aufforderung, die Nagi seltsam widerstrebte.
Das ist dein Zimmer, hier wirst du wohnen, bis wir einen festen Platz für dich gefunden haben. Mach es dir ruhig gemütlich...
Ihre Stimme, fand Nagi, war zwar freundlich, aber im gleichen Moment auch wieder nicht. So kam ihm auch der Raum vor, den man für ihn bereitgestellt hatte. Nett, mit seinen gelben Vorhängen, den weißen Wänden und den bunten Postern über dem Schreibtisch... doch die Regale, sie waren leer und frisch gewischt, der Teppichboden bedeckt mit altem Staub und das warme Licht war reglos, wie abgeschnitten. Wie Blumen in einer Vase.
Freundlich. Aber leblos.
Es fühlte sich komisch an, über den glatten Holzboden zu laufen. Bei jedem Schritt quietschten seine Schuhsolen. Wahrscheinlich hinterließ er sogar Gummiabrieb, hässliche Spuren, die den Mann später bestimmt verärgern würden...
Und doch ging er weiter den Flur entlang, bis eine angelehnte Tür ihn stoppte.
Nagi hielt inne – dann zuckte er erschrocken zusammen, als er im anderen Zimmer Schritte vernahm, die direkt vor ihm zum Stehen kamen. Hinter der Tür... konnte er jemanden Atmen hören. Oder etwas, denn es schnaufte laut und kehlig wie ein wildes Tier.
Dann begann es zu lachen, heiser, bis die junge Stimme anfing, sich zu überschlagen.
Warum gehst du nicht hinüber und spielst mit Ihnen?
Doch er hatte Fußball schon immer langweilig gefunden, lautete seine Antwort. Und er sah es zwar nicht – sein Blick war auf das übermütige Getümmel auf dem Rasen gerichtet – doch er fühlte, dass ihr Lächeln mürbe wurde.
Weil sie wusste, dass Ablehnung leichter wog, wenn sie von einem selbst ausging.
Er reichte dem Mann nur bis zum Bauchnabel; zumindest vermutete er dort den Bauchnabel unter dem weiten, weißen T-Shirt ohne Aufdruck. Noch zögerte er wirklich aufzublicken, ein Vorhaben, das sich erübrigte, als der andere ein paar Schritte zurücktrat, um ihn seinerseits zu mustern.
Dann stöhnte der Teenager – kein Mann, nur ein Teenager – und schlurfte zurück zur Couch, wo er sich fallen ließ wie ein plumper Sack.
„Nagi Naoe also?.. eine scheiß Alliteration mit Sozialphobie...
Na komm schon, setz dich! Ich kann es nicht ab, wenn Leute glotzend in der Gegend herum stehen...“
Erst stutzte er, doch dann kam er der Aufforderung nach; ging hinüber und setzte sich auf den Sessel, welcher der Couch gegenüber stand.
Eigentlich wollte er es nicht, aber Nagi konnte nicht anders, als den anderen anzustarren. Diesen Fremden, der so ganz anders aussah wie alle, die er bisher getroffen hatte. Anders, sogar für einen Ausländer.
Er war viel zu groß. Viel zu dünn, sein Gesicht war zu schmal, seine Haare zu rot und seine Haut zu blass. Noch viel blasser als die Seine. Adern zeichneten sich an seinen Händen ab, blau, genau wie sein ständig umherwandernder Blick. Nicht unruhig, sondern ungeduldig. Also unruhig mit einem Ziel.
Er war so grotesk. Und im gleichen Moment auch seltsam schön. Sogar jetzt, als sein Mund sich in die Breite dehnte, sich weiter dehnte und noch weiter, bis seine Lippen schon fast ihre Farbe verloren hatten.
Doch das Grinsen war nicht dazu gedacht, dass Nagi sich besser fühlte – sich sogar gefälligst besser zu fühlen hatte - weshalb der Junge beschloss, dass es ihm viel lieber war als ein freundliches Lächeln, das die Augen nicht erreichte.
„Wie alt bist du?“
„11“, antwortete Nagi, keine Spur von Stolz in seiner Stimme.
„Siehst aus wie 6... na ja, Crawford sagt, du kannst es richtig krachen lassen... und dass du eine Kugel mit den Zähnen fangen kannst...“
Nagi überlegte, was er erwidern sollte und kam am Ende zu dem Schluss, dass ein einfaches Kopfnicken wohl das Beste war.
Anschließend nahm er seinen ganzen Mut zusammen:
„Wie heißt du?“ fragte er und wich nicht aus, als ein tanzender Blick den Seinen traf. Auch nicht, als der andere aufstand, zu ihm herüber kam und eine große, trockene Hand seine Haare durcheinander wirbelte.
„Schuldig“, wurde ihm mit einer amüsierten Stimme geantwortet, die allerhand zu wissen schien und nur allzu gerne teilte. „Du kannst mich Schuldig nennen. Ich bringe dir bei, wie man es richtig ausspricht. Morgen oder irgendwann.
Crawford sagt, du bist ein guter Schüler. Klug und zielstrebig und das alles...“
Nagi sah ihm nach, wie er sich entfernte, in irgendein anderes Zimmer trottete. Und der Sessel, auf dem er saß, erschien ihm plötzlich ungeheuer groß, die Wände ungeheuer hoch; die Tür, durch die Schuldig soeben gegangen war, verschlossen, obwohl sie offen stand.
Nagi richtete sich auf, als er Gepolter im Nebenzimmer hörte. Das Öffnen und Zuklappen von Schranktüren.
Kurz darauf kam Schuldig zurück, zwei volle Gläser in der Hand. Als er sich wieder auf die Couch setzte, meinte er, „Cola, das magst du doch, oder?“
„Ja“, erwiderte Nagi vorsichtig und nahm das ihm gereichte Glas. Trank es fast zur Hälfte leer. Am liebsten, dachte er zwischen gierigen, kleinen Kinderschlucken, würde er jetzt aufstehen und sich auch auf das breite Sofa setzen. Und dass er noch nie einen so großen Fernseher gesehen hatte... und-
Seine Überlegungen kamen abrupt zum Stillstand, als Schuldig auffordernd auf den freien Platz neben sich klopfte.
Fast kam es Nagi so vor, als könnte der andere Gedanken lesen. Und er wunderte sich kaum, als dieser daraufhin zu lachen begann. Weder freundlich noch besonders gut gelaunt, aber...
„Morgen gehen wir shoppen“, meinte Schuldig dann und blickte dabei naserümpfend auf Nagis Schuhe. „Deine Sneakers, echt, die sind hoffnungslos beschissen.“
Ende