~ who are you? ~
Das Kind schlief so fest, daß Zero es problemlos in Kanames Steinbehausung tragen konnte. Kaname, der ihm vorausgegangen war, hatte bereits eine Ruhestätte vorbereitet. Zero bettete sie auf das Lager und folgte dann Kaname in den Wohnraum, wo ein behagliches Feuer brannte. Nachdem er etwas zu essen und zu trinken geholt hatte, ließ sich Kaname neben Zero am Feuer nieder, das Tablett mit den Erfrischungen zwischen sie stellend. Zero betrachtete noch eine Weile die lodernden Flammen, bevor er sich Kaname zuwandte.
„Danke“, bemerkte Zero, während er nach einem Becher griff und sich etwas zu trinken eingoß. Kaname wartete geduldig ab, bis Zero von selbst zu erzählen begann. Er hörte aufmerksam zu und unterbrach ihn kein einziges Mal, nachdem Zero geendet hatte, lehnte er sich zurück und warf den Kopf in den Nacken, dabei lösten sich seine inzwischen langen Haare und umspielte in sanften Wellen sein Gesicht. Schließlich richtete Kaname seinen Blick auf Zero und sie sahen sich eine Weile schweigend an.
„Ich kann mir denken, was deine Vermutung ist“, brach Kaname schließlich die Stille, „ich halte es jedoch für relativ unwahrscheinlich.“ Als Zero Einspruch erheben wollte, hob Kaname die Hand und ergänzte, „das, was du mir geschildert hast, spricht dagegen. Es mag auf den ersten Blick so erscheinen, als wäre es ein Angriff der Vampire gewesen, jedoch spricht einiges dagegen.“ Er zählte mehrere Aspekte auf, die Zero sorgfältig abwog.
„Du magst recht haben, Kaname, doch, wenn sie es nicht waren, wer war es dann?“
Kaname lächelte matt, „kannst du dir das wirklich nicht denken?“
Zero fuhr sich mit der Hand durchs Haar, natürlich wußte er, auf wen Kaname anspielte, doch, weshalb sollten sie so etwas tun? Das Ganze ergab überhaupt keinen Sinn…
Außer… plötzlich fiel ihm etwas ein.
„Was denkst du, wer die Bewohner dieses Dorfes waren?“
„Menschen“, lautete Kanames prompte Antwort.
Zeros Züge spiegelten Irritation wider.
Deshalb fügte Kaname erklärend hinzu, „ich denke wirklich, daß die Bewohner des Ortes Menschen waren – zumindest die meisten. Sind dir die Methoden entgangen, auf die sie heute zurückgreifen?“ Er musterte Zero eingehend, vielleicht war dieser ja zu lange unterwegs gewesen, um die internen Veränderungen bemerkt zu haben, die sich in den letzten Jahrzehnten in diesem Land vollzogen hatten.
Zero blieb unschlüssig, schließlich fragte er:
„Und die Kleine, was ist mit ihr? Du schienst nicht überrascht zu sein, sie zu sehen und ich - wenn ich ehrlich bin - hatte ebenfalls das Gefühl, sie bereits zu kennen, auch wenn das unmöglich ist.“
Ein unmerkliches Lächeln umspielte Kanames Lippen.
„Ja, sie ist wahrhaft außergewöhnlich.“
Wieder so eine unergründliche Aussage, Zero seufzte genervt auf.
„Du hast dich wirklich kein bißchen verändert, ich wußte ja, daß ihr kaum altert, aber das sich das auch auf euer Wesen bezieht, war mir bisher nicht klar.“ Mit diesen Worten hob Zero seinen Becher und prostete Kaname zu. Dieser griff nach einer Frucht und begann sie langsam zu schälen.
„Ich nehme an, daß du sie zu mir gebracht hast, weil du sie nicht bei dir behalten willst und weil du sie andererseits niemand anderem anvertrauen wolltest.“
Zero nickte langsam. Auch wenn er es wohl nicht so direkt ausgesprochen hätte, stimmte das, was Kaname eben gesagt hatte doch vollkommen, bei seinem Lebenswandel war es unmöglich, ein Kind aufzuziehen. Andererseits war es ihm unmöglich, diesen Lebensstil jetzt zu ändern – nachdem er ihm Jahrzehnte lang gefolgt war.
„In Ordnung. Ich werde mich um sie kümmern.“ Zero musterte Kaname kritisch, es war äußerst selten, daß dieser etwas sofort zustimmte, geschweige denn, keine Gegenforderung stellte.
„Man könnte fast denken, du hättest sie bereits erwartet.“
Kaname blickte kurz auf und seine Augen blitzen für einen Moment, dann konzentrierte er sich wieder auf seine Frucht.
„Schon möglich.“
Da sie sich lange Zeit nicht gesehen hatten, sprachen sie bis spät in die Nacht hinein, kurz bevor sie schlafen gehen wollten, fiel Kaname noch etwas ein.
„Hat sie dir ihren Name verraten?“
Zero, der gerade im Gang verschwinden wollte, drehte sich an der Türschwelle noch einmal um.
„Nein, sie hat die ganze Zeit geschwiegen, scheint mich jedoch verstanden zu haben.“
Kaname nickte und wünschte ihm dann einen erholsamen Schlaf. Er selbst würde in dieser Nacht wohl keinen Schlaf finden, ihm war etwas in den Sinn gekommen, was er sofort in seinen Büchern suchen wollte.
Sie erwachte in einer ihr fremden Umgebung, der Raum war schlicht, jedoch behaglich eingerichtet, am meisten fielen ihr die vielen Bücher und Kristalle auf, die überall herum lagen und standen. Langsam setzte sie sich auf, sie hatte geträumt. In ihrem Traum erlebte sie noch einmal die letzten Stunden, bevor der Reiter sie gefunden hatte. Suchend blickte sie sich um. Er war nicht da, außerdem befanden sie sich weder im Freien noch in einer Hirtenhütte, wo sie manche Nacht zu gebracht hatten. Hier wohnte ganz offensichtlich jemand dauerhaft, sonst wäre nicht alles voller Bücher gewesen. Sie stand auf und lief barfuß, da sie nicht daran dachte, ihre Schuhe anzuziehen, aus dem Zimmer. Der Flur war dunkel, doch vor einem Türvorhang fiel ein Lichtschimmer auf den Boden. Sie ging auf den Spalt zu und schob den Stoff ein Stück beiseite, um in den Raum spähen zu können.
Ein Mann mit langen dunklen Haaren saß auf einem Fell vor einem lodernden Feuer, inmitten von unzähligen, teils aufgeschlagenen, Büchern. Intuitiv wußte sie, daß dies der Besitzer all der Sache gewesen war, die sie im Zimmer vorhin beim Aufwachen gesehen hatte. Noch unschlüssig, was sie nun tun wollte, stand sie an der Türschwelle.
„Du kannst gerne hereinkommen, am Feuer ist es wärmer, als draußen auf den Steinen – und vor allem auch heller.“
Er hatte noch immer dieselbe Haltung, in der sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, dennoch schien er sie bemerkt zu haben. Zögernd betrat sie das Zimmer und blieb in einiger Entfernung zu ihm stehen.
Erst jetzt legte er sein Buch beiseite und wandte sich ihr zu.
Seine dunklen Augen waren unergründlich, betrachteten sie jedoch freundlich. Er legte sich eine Hand aufs Herz und deutete eine Verbeugung an.
„Herzlich Willkommen in meinem bescheidenen Zuhause. Ich bin Kaname.“ Eine lange Haarsträhne fiel ihm nun ins Gesicht und sie war beinahe versucht, sie ihm spontan zurückzustreichen. Sie besann sich jedoch noch rechtzeitig und blieb nun kurz vor ihm stehen. Eine Weile sahen sie sich in die Augen, schließlich meinte Kaname,
„Zero hat mir schon erzählt, daß du sehr schweigsam bist, aber vielleicht möchtest du ja etwas zu essen und zu trinken haben?“
Als sie daraufhin heftig nickte, lachte er auf und erhob sich. Kurze Zeit später kam er mit verschiedenen Nahrungsmitteln und Tee sowie einer Wasserkaraffe zurück ins Zimmer, wo sie noch immer an derselben Stelle stand.
„Du darfst dich ruhig setzen, such dir einfach einen Platz aus.“
Erst als er ihren leicht Hilfe suchenden Blick bemerkte, fiel ihm auf, daß beinahe der gesamte Boden sowie das Fell mit seinen Büchern und Aufzeichnungen bedeckt war.
„Oh.“
Er hatte wie so oft, wenn er in seine Dokumente vertieft war, alles andere um sich herum vergessen.
Er stellte das Tablett auf einem Schemel ab und legte dann einige der Dokumente und Bücher zusammen, so daß genug Platz für sie beide entstand.
„So, bitte.“
Sie ging an ihm vorbei und setzte sich in die Nähe des Feuers. Nachdem er das Tablett neben sie gestellt hatte, griff sie nach dem Tee und trank ihn in kleinen Schlücken, das Essen lehnte sie ab.
Kaname beobachtete sie. Der anfängliche Eindruck, hervorgerufen durch ihre geringe Körpergröße, täuschte, sie mußte doch etwas älter sein, als er sie im Schlaf geschätzt hatte. Natürlich entging ihr sein forschender Blick und so drehte sie den Kopf und sah ihn nun ihrerseits interessiert an. Dabei fiel ihr Blick auch auf ein Buch, was neben seinem Knie lag und sie beugte sich vor, um danach zu greifen.
Verwundert folgte Kaname ihrer Bewegung.
„Du hast wirklich einen außerordentlich guten Geschmack.“
Sie hob den Kopf und erneut hielten ihn ihre auffallenden Augen gefangen. Um sich abzulenken griff er nach dem Buch und schlug es auf.
„Es ist schon sehr alt“, erklärte er, „ein Erbstück von meiner Großmutter, es bedeutet mir sehr viel.“ Zu seiner Überraschung lächelte sie. Sie strich mit den Händen das Fell glatt und malte dann einige Symbole auf die so entstandene Fläche. Zu seiner Überraschung hatte sie seinen Namen geschrieben – in den alten Zeichen.