Nachts um halb vier...
+++ Nachts um halb vier +++
Dunkelheit lag über der Stadt.
Alles war still.
Ruhig.
Gedämpft von dem Regen, der sanft auf das Dach prasselte.
Der Wecker, der auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett stand, zeigte halb vier morgens, als ein leises Scheppern den jungen Mann aus seinen Träumen holte.
Schlaftrunken öffnete er die Augen, war sich im ersten Moment nicht genau bewusst, wo er sich eigentlich befand. Jedoch erkannte er schnell die gewohnte Umgebung, fast schon automatisch wanderte seine Hand auf die rechte Seite, erwartete dort den vertrauten Körper neben sich.
Allerdings griff seine Hand ins Leere. Die rechte Bettseite war verlassen und kalt, die Decke zurückgeschlagen. Überrascht stützte er sich auf, rieb sich verschlafen die Augen, gähnte kurz, während er den Kopf nach rechts wandte, um sich davon zu überzeugen, dass derjenige, den er dort erwartet hatte, nicht da war.
Wo konnte er nur sein? Sein Blick fiel auf die Uhr, deren helle Zahlen neben dem Mond, der durch das Fenster schien, die einzige Lichtquelle im Zimmer darstellten. Es war gerade einmal kurz nach halb vier, mitten in der Nacht. Wo also war er? Sie waren doch am gestrigen Abend gemeinsam ins Bett. Und es hatte, soweit konnte er sich erinnern, keinen Grund für den Anderen gegeben, dieses nachts zu verlassen, hatten sie sich doch nicht gestritten. Im Gegenteil...
Ein plötzliches Klirren, gefolgt von einem leisen Fluch, ließ den jungen Mann aufhorchen.
Was zum Teufel war hier nur los? Schwungvoll schlug er die Bettdecke beiseite und stand auf. Was hatte dieser nächtliche Lärm zu bedeuten?
Es war inzwischen kalt geworden. Kein Wunder, schließlich war es schon Ende November, der erste Schnee dieses Jahres stand kurz bevor. So schnappte er sich rasch eine Weste, bevor er langsam das gemeinsame Schlafzimmer verließ.
Sein Weg führte ihn durch den Flur in Richtung Küche, durch deren angelehnte Tür ein sanfter Lichtschein fiel. Neugierig blieb er stehen und spähte durch den Türspalt. Was er dort sah... Er konnte sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen...
~*~
Konzentriert wanderte sein Blick über die Zeilen im Backbuch vor sich, zu dem sich in den letzten Minuten eine gewisse Art der Hassliebe entwickelt hatte. Denn in seinen Augen waren die Erklärungen mehr als dürftig, gerade für jemanden wie ihn. „’..drücken Sie eine Vertiefung in die Mitte, in die sie 150 g Butter geben. Dies verkneten Sie nun zu einem glatten Teig...’“, murmelte er leise und drehte sich dann um, um besagte Zutat aus dem Kühlschrank zu holen.
„So, da hätten wir die Butter. Und jetzt?“ Noch einmal las er die Anweisung, kratzte sich dabei unbewusst an der Nase und hinterließ einen deutlichen weißen Fleck vom Mehl, welches noch an seinen Fingern gewesen war. „Soll ich jetzt die Butter komplett in diese... Delle legen, oder wie?“ Skeptisch betrachtete er den Haufen vor sich, was eigentlich einen Teig darstellen sollte, im Moment allerdings eher dem Inhalt eines geplatzten Staubsaugerbeutels ähnelte.
„Das wird doch nie etwas“, seufzte er und schüttelte leicht den Kopf. Auf was hatte er sich da nur eingelassen?
Nachdenklich betrachtete er noch einmal die Abbildung in dem immer mehr verhassten Backbuch, verglich sie mit dem, was er hier vor sich hatte... und beschloss, dass es schließlich nicht auf das Aussehen ankam, sondern auf das hoffentlich gelungene Endergebnis. Warum mussten diese Bilder auch immer nur so perfekt aussehen? Konnten sie nicht ein klein wenig der Realität entsprechen?
„Vielleicht sollte ich die Butter wirklich klein schneiden, um sie besser in dieses... Etwas einarbeiten zu können.“ Es schien fast, als wolle er sich damit nur selbst Mut zusprechen.
Stirnrunzelnd drehte er sich um und nahm ein Messer aus der Schublade, verteilte hierbei mit seinem Ärmel aus Versehen noch ein wenig von dem zuvor benötigten Zucker auf dem Boden. Dann portionierte er die Butter in Stücke, welche er wahllos auf dem Teigrohling vor sich drapierte.
Anschließend begann er, zuerst etwas zaghaft, dann immer entschlossener, den Teig zu kneten. In regelmäßigen Abständen verzog er angewidert das Gesicht, als er versuchte das Eigelb in das Mehl zu drücken, welches sich jedoch nicht so leicht dort hineindrücken lassen wollte.
„Wirst du wohl...“, grummelte er und knetete verbissen weiter, die kleinen Mehlwölkchen und Zuckerkrümel ignorierend, die sich durch seine Bewegungen vom Teig lösten und in der näheren Umgebung verteilten.
„Das darf doch wohl nicht wahr sein. Warum klappt das nicht so, wie ich das möchte? Das muss doch...“ Der Rest des Satzes ging in diversen Flüchen unter.
Keine zwei Minuten später hingegen betrachtete er endlich stolz sein Werk.
Nun ja, zumindest das, was man Werk nennen konnte. Denn das, was vor ihm auf dem Küchentisch lag, mutete immer noch mehr dem besagten Staubsaugerinhalt an, anstatt einen ‚glatten Teig’ wie beschrieben darzustellen.
Doch für den Moment war ihm das egal. Immerhin hatte er endlich den Kampf gegen das Eigelb gewonnen, und Butterstücke waren auch keine mehr zu sehen.
„So, weiter geht’s“, aufmerksam las er die nächste Anweisung, „wie?
’Sollte der Teig kleben, müssen sie ihn eine zeitlang kaltstellen...’“ Verwirrt blickte er zwischen Buch und ‚Teig’ hin und her. „Das soll helfen? Woher weiß ich denn, ob er klebt?“
Unsicher tippte er mit dem rechten Zeigefinger in den Haufen vor sich, als bekäme er so eine Antwort auf seine Frage. „Und was mache ich, wenn ein Teil klebrig scheint, der Rest aber nicht? Muss ich dann nur einen Teil kaltstellen und mit dem Rest weitermachen? Oder doch lieber alles in den Kühlschrank?“
Ein wenig hilflos starrte er den Teig weiter an, verschränkte die Arme vor der Brust. Hierbei blieben kleine Teigstücke auf der Schürze hängen, hatte er vergessen, dass er soeben ja noch mit seinen Händen das Etwas vor sich bearbeitet hatte.
„Hilft ja alles nichts. Das wird schon so okay sein.“ Ohne seine Bemühungen noch eines weiteren Blickes zu würdigen, las er weiter, überging den Hinweis mit dem Kaltstellen. „’Den Teig dünn ausrollen.’ Endlich etwas, das einfach zu befolgen ist.“
Freudestrahlend legte er das Buch beiseite und holte das Nudelholz aus einer weiteren Schublade. Eifrig begann er, die Arbeitsplatte neben sich frei zu räumen. Jetzt kam der Teil, der immer am meisten Spaß machte.
Leise pfeifend verteilte er das Mehl und teilte den ‚Teig’ in mehrere kleine Teile auf. Einen legte er direkt vor sich, die anderen ordnete er in einer kleinen Reihe neben der bemehlten Fläche an. Dann begann er langsam den Teig auszurollen, bis er die gewünschte Dicke hatte.
„So wird das doch was, ganz sicher“, nickte er bestätigend.
Ein Kichern an der Tür ließ ihn herumfahren. Fast hätte er vor Schreck das Nudelholz fallen lassen.
„Rei, was...“ Er fühlte sich ertappt. Und wie ertappt er sich fühlte.
Der Schwarzhaarige stand in der Tür, lächelte sein Gegenüber an. „Kai, was um alles in der Welt tust du da?“ Kein Vorwurf, nur ein leicht ungläubiges Kopfschütteln.
„Ich... Ich...“ Zu mehr war der Russe nicht fähig, kam er sich doch gerade ziemlich lächerlich vor, wie er, mit Backschürze und Nudelholz bewaffnet, zu dieser Zeit in der Küche stand, bei dem kläglichen Versuch zu backen.
„Ja?“ Langsam ging sein Gegenüber auf ihn zu, legte den Kopf schief, wartete auf eine Antwort. „Ich wollte dir eine Freude machen“, kam es nach kurzem Zögern von Kai, der ein wenig betreten auf den Boden starrte.
„Eine Freude? Indem du mitten in der Nacht die Küche in ein Schlachtfeld verwandelst, wenn du hier mit zig Schüsseln hantierst, alles einmehlst und diverse Küchengeräte nicht für das benutzt, wozu sie gedacht sind?“, kam es lachend von Rei. Kai nickte schweigend.
„Das ist lieb von dir“, kam es leise von Rei, ohne auch nur einen Hauch von Ironie in der Stimme, schien er das ernst zu meinen. Überrascht hob der Russe den Kopf, sah direkt in die Augen des anderen. „Aber verrat mir doch bitte eins, Kai. Wieso hast du nicht tagsüber gebacken? Ich meine, wir hätten doch zusammen...“
Doch Kai ließ dem Schwarzhaarigen keine Möglichkeit den Satz zu beenden. „Na, ganz einfach. Ich wollte dich damit überraschen. Denn, normalerweise backst du immer für uns alle. Jedem das, was er am liebsten mag. Takao bekommt das mit Schokolade verzierte Spritzgebäck. Max bekommt seine Butterplätzchen. Kyouju die Zimtsterne. Und mir machst du immer meine Vanillekipferln...“
„Aber das hätte ich doch dieses Jahr auch wieder gemacht. Du weißt doch, ich hatte sowieso vor, spätestens dieses Wochenende mit dem Backen anzufangen, damit wir am ersten Advent gemütlich gemeinsam Plätzchen essen können.“ Verwirrt hob Rei die Augenbraue, während er sich auf die einzige, noch saubere Arbeitsplatte setzte. „Ich weiß. Aber... Du hättest wieder nur für uns gebacken. Vanillekipferln, Buttergebäck, Spritzgebäck, Zimtsterne... Aber was ist mit dir?“
„Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst, Kai.“ Fragend blickte der Chinese sein Gegenüber an, welcher nun näher kam. „Ich meine... Letztes Jahr zur Weihnachtszeit, da hast du nur für uns gebacken. Aber die Plätzchen, die du selbst am liebsten magst...“
Kai ließ den Satz unvollendet, stand nun direkt vor Rei und schaute ihm tief in die Augen. „Du wolltest nur für mich backen, das, was ich am meisten mag?“ Überrascht erwiderte Rei den Blick. „Ja, wollte ich.“ „Aber woher...“ „Ach, Rei, ich bin doch nicht von gestern,“ Kai ging noch einen Schritt näher heran, legte jetzt seine Arme um Reis Hüften, „denkst du nicht, dass ich letztes Jahr nicht bemerkt hätte, wie häufig du in der Bäckerei nebenan warst, um dir dort deine Plätzchen zu kaufen, weil dir die Zeit zum Backen fehlte?“
Rei legte seine Arme um Kais Schultern, mit einer Hand strich er lächelnd den Mehlfleck von dessen Nase. „War es so offensichtlich?“ Kai nickte. „Klar doch. Ich habe gesehen, wie sehr du die mit Marmelade verzierten Terrassen magst. Oder was denkst du, warum ich das große Glas mit Erdbeermarmelade hier stehen habe? Sicherlich nicht, um mir damit eine Frühstücksbrot zu schmieren.“
Ein leises Lachen seitens Rei. „Nun ja... Die Marmelade könnte man auch für andere Dinge verwenden...“ „Was du gleich wieder denkst?“ Grinsend stupste Kai die Nase des Schwarzhaarigen an, hinterließ dort einen kleinen Teigkrümel. „Ach komm, als würden dir nicht ab und an auch solche Gedanken kommen, Kai.“ Gespielt schmollend legte der Chinese den Kopf schief, drückte den anderen jedoch gleichzeitig ein Stück näher an sich heran. „Vielleicht... Wer weiß“, zwinkerte Kai und platzierte einen kleinen Kuss auf Reis Lippen.
Einen Moment lang schwiegen beide.
Dann beugte Rei sich ein Stückchen vor. „Danke, Kai. Das mit den Plätzchen ist wirklich lieb von dir“, flüsterte er, bevor er Kais Lippen mit den seinen verschloss.
~ End ~
Argh, geschafft. Ich hab’s hinter mich gebracht... Es ist kitschig... Es ist unsinnig... Und... Naja... Ich hoffe, es passt zu den Wörtern, ich hoffe, ich hab eine einigermaßen angemessene FF zu ihnen geschrieben... O___o~