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Das Blut der Lasair

von

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Kapitulation

Kapitulation
 


 

Nachdem Lestat alles erzählt hatte, was Catherine zu ihm gesagt hatte, waren die anderen fassungslos, verstanden, was Catherine wollte und warum sie es so wollte, doch trotzdem konnten sie kaum ihren Wunsch erfüllen. David und Bruyard schüttelten immer wieder den Kopf. Armand war aufgestanden und hatte sich schließlich auf den Tisch gestützt. Aufzuhören, etwas zu versuchen, war viel verlangt, aber es war Catherines Wille.

„Ich kann nicht glauben, dass es so enden soll.“ meinte Lea leise und wischte sich die Tränen aus den Augen.

Louis legte den Arm um sie und zog sie gegen seine Seite, während er Lestat anblickte.

„Es ist für uns alle schwer.“ sagte er.

Lestat blickte auf den Tisch, wo sich die Unterlagen stapelten und die beiden Notebooks leise summten, da sie noch angeschaltet waren. Dieses Geräusch zerrte an seinen Nerven, da es laut durch die ohrenbetäubende Stille zwischen ihm und den anderen und durch ihre Fassungslosigkeit drang und davon zeugte, dass bis gerade eben noch eine gewisse Hoffnung vorhanden gewesen war, die nun gänzlich verschwunden war. Vernichtet. Gnadenlos vernichtet.

Armand und David verließen mit Bruyard den Raum, um im Salon einen großen Schluck Whiskey zu sich zu nehmen, während Lea und Louis nach oben gingen, da Lea es unten nicht mehr aushielt. Sie wollte allein sein. Und weinen – sie konnte es eh nicht zurückhalten und warum sollte sie sich vergebens abmühen, stark zu sein… Louis konnte sie ertragen, sonst niemanden. Tränen bedeuteten nicht Schwäche… Es war egal.

Marius kam zu Lestat und legte ihm die Hand auf die Schulter, doch er wusste nicht, was er zu ihm sagen sollte. Sie alle würden eine unglaubliche junge Frau verlieren, die sie in den letzten Monaten schätzen gelernt hatten, die sie unterstützt hatten und der sie zu helfen versucht hatten.

Lestat würde Catherine verlieren, die für ihn alles geworden war. Catherine, die er liebte. Catherine, die ihn besaß. Catherine, die ihn nach all den kalten und einsamen Jahren berührt hatte und sein Herz, das so lange Zeit in seiner toten Starre geschwiegen hatte, mit ihrer Wärme, ihrer Art und ihrer Liebe erwärmt, gefangen genommen und gestärkt hatte.

Und nun stand er hier – hilflos und verzweifelt, denn es nützte nichts, dass er bereit war, alles für sie zu tun und zu geben. Es nützte nichts, dass er kämpfen wollte. Er würde alles verlieren. Sie. Vielleicht sogar sich selbst, vermutete Marius und er wusste, dass er ihn nicht dazu überreden konnte, es nicht zu tun, wenn das der letzte Weg war, den er für sich gewählt hatte.

Lestat wandte den Blick zu ihm und nickte, da er Marius’ Mimik ausreichend deuten konnte, um die Richtung seiner Gedanken zu erahnen. Er legte seine Hand auf seine und presste sie kurz, ehe er sich von ihm löste, näher an den Tisch trat und die Unterlagen und Akten schloss und in ordentliche Stapel legte, ehe er auch die Notebooks ausschaltete.

Das Summen verstummte langsam und brach schließlich abrupt ab. Es war vorbei. Ein für alle Mal zu Ende. Ohne Kampf. Ohne Endkampf, den sie alle gemeinsam ausgefochten hätten. Ein Kampf, in dem sie Seite bei Seite gestanden hätten. Nur ein Kampf fand statt. Ein Duell. Und der Sieger stand schon fest. Catherine gegen den Tod. Der Tod würde triumphieren.

Wie immer, dachte Lestat und schloss für einen Moment die Augen, was Marius nicht sah. Schwärze. Kein Licht. Dunkel vor seinen Augen. Eine Finsternis, an deren Rand Catherine sich alleine befand, denn niemand konnte ihr wirklich beistehen – auch er nicht mit all seiner Erfahrung und seinem Wissen als ein junger, alter Mann, als ein Geschöpf der Dunkelheit und als ein lebender Toter.

Marius wartete, bis Lestat sich ihm wieder zuwandte, und suchte seinen Blick.

„Sie schläft gerade… Ich werde euch informieren, wenn sie wach ist. Ihr werdet euch verabschieden wollen, nehme ich an.“ sagte Lestat und blickte zur Tür.

„Lestat, ich…“ wollte Marius beginnen, doch brach ab.

Es war nicht mehr wichtig, Lestat zu versichern, dass er für ihn da war, wenn er ihn brauchte. Er brauchte jemanden, der gerade im Sterben lag, und etwas, das ihm niemand sonst geben konnte. Gewissheit. Hoffnung. Glaube. Wille.

„Wir sind im Salon.“ meinte er deshalb nur.

Lestat nickte, verließ die Bibliothek und ging zurück zu Catherine, die still in ihrem Bett lag und zu schlafen schien.
 

Catherine fühlte sich erstaunlich leicht und blickte verwundert an sich hinunter. Sie trug ihr Nachthemd und stand barfuß auf glatten, steinernen Fliesen, die eigentlich kalt sein mussten, es jedoch nicht waren. Überrascht blickte sie auf und betrachtete ihre Umgebung. Sie erkannte sie, doch sie wollte mehr sehen, weshalb sie seltsam befremdet den Raum verließ und in den Garten hinaustrat, in dem die Bäume voller Laub standen, die Blumen blühten und mehrere Kinder schreiend und lachend im Gras herumrannten und ausgelassen spielten.

Träumte sie? War es möglich, dass dies ein Traum war? Es fühlte sich zu real an, doch es konnte auch nicht die Wirklichkeit sein. Langsam schritt sie die Stufen hinab zum Park und sah den Kindern zu, die im Gras spielten. Catherine erkannte vier Jungen und zwei Mädchen und warf einen Blick zurück zum Haus, das tatsächlich die elterliche Villa in Paris war.

Die Sonne stand hoch. Vögel und kleine Wolken zogen über den Himmel. Die Blumen dufteten vielfältig, sodass sie sich nicht entscheiden konnte, ob ihr Duft oder ihre Farben prächtiger waren. Catherine schloss für einen Moment die Augen und hob ihr Gesicht in die Sonne. Sie wärmte ihre Haut. Es konnte kein Traum sein.

„Nein! Was machst du denn? Du musst in diese Richtung laufen!“ rief ein blondes Mädchen und rannte auf den ältesten Jungen zu, der gerade elf Jahre alt war.

Ihr Bruder Lucien. Und das blonde Mädchen war ihre beste Freundin Nathalie.

Es war nicht real. Und sie war nicht hier, denn keines der Kinder nahm sie wahr, wie sie dort in ihrem Nachthemd stand und ihnen zusah. Nun, sie war hier, jedoch war sie das andere Mädchen. Das Mädchen, das mit dem offenen, langen braunen Haar mit dem rötlichen Schimmer zwei andere Jungen verfolgte, die Freunde von ihrem Bruder waren. Das war sie. Das war sie gewesen. Vor langer Zeit.

Traurigkeit stieg in ihr auf, als sie das Spiel der Kinder beobachtete, und die Erinnerung kam zurück, denn sie war an diesem Tag im Frühling sehr glücklich gewesen. Den ganzen Tag hatten sie gespielt, während ihre Eltern… Catherine wandte den Blick die wenigen Stufen nach oben zur Terrasse und erblickte Clarisse und Jacques, die dort einträchtig saßen.

Clarisse las in einem ihrer Lieblingsromane, während Jacques Dias des letzten Urlaubs in dunkelgraue Plastikmagazine steckte. Catherine erinnerte sich noch, wo sie in diesem Frühjahr gewesen waren: Rom. Sie hatten die ewige Stadt besichtigt und auch Freunde von Clarisse und Jacques besucht, die mit ihnen studiert hatten. Das war zumindest das, was die Eltern ihnen gesagt hatten.

Von diesem Tag im Frühjahr waren es nur noch wenige Wochen, ehe die zwei Männer von der Bruderschaft nach Paris gekommen waren, und sich ihr unbeschwertes Leben für immer verändert hatte. Wie wäre ihr Leben wohl verlaufen, wenn die Bruderschaft sich niemals eingemischt hätte? Clarisses leises Lachen drang zu ihr herüber und Catherine versuchte sich, an die wenigen Moment, in denen sie gelacht hatte, zu erinnern, doch obwohl es so wenige waren, gelang es ihr nicht.

Catherine biss sich auf die Lippen, bemerkte jedoch, dass sie es nicht einmal als Schmerz empfand. War sie vielleicht… War das … Nein, das konnte nicht sein. Es war… nicht möglich. Ihr Bruder war da. Ihre Eltern waren da. Und sie – sowohl als Kind und als Frau… Sie verstand nicht und schüttelte verwirrt den Kopf.

War sie tot? Konnte es sein, dass sie tot war? Ein Geist. Ein Schatten. Nicht mehr? Sie hatte sich den Tod anders vorgestellt. Natürlich hatte sie sich gefragt, was nach dem Leben kommen würde? Himmel. Hölle. Gab es das? Oder lag nach dem Tod nur das Nichts, das nicht bedrohlich und nicht angenehm war, in dem der Verstorbene aufhörte zu existieren, sein Ende nahm und erlöst war… Sie sollte nicht hier sein. Sie konnte nicht hier sein. Sie war nicht hier, wollte ihr Verstand immer noch glauben, doch sie hatte keine Ahnung mehr, was sie glauben und leugnen sollte.

Im besten Fall hatte sie sich gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Bruder gesehen. Vereint. Glücklich. Schmerzlos. Doch hier war sie nicht glücklich mit ihnen vereint, denn sie gehörte nicht dazu. Lucien und Catherine mit ihren Freunden und die Eltern. Das Bild war vollständig.

Der Wind strich sanft über ihr Gesicht, als sie sich langsam abwandte und zurück die Stufen hinauf ging. Sie selbst, die Catherine, die sie nun war, war kein Teil davon.

‚Warum nicht?’ fragte sie sich, doch sie erwartete keine Antwort. Natürlich nicht, denn wer sollte ihr eine Antwort geben?

‚Du weißt.’ erklärte ihr eine sanfte Stimme, die neben ihr erklang, doch als Catherine den Blick wandte, erblickte sie niemanden. ‚Du kannst mich nicht sehen, doch ich bin da.’

‚Warum?’ stellte Catherine die stumme Frage, die der Unsichtbaren ein leises Lachen entlockten.

‚Hab’ keine Angst. Ich sage dir, was du wissen möchtest.’ sagte die Stimme, die ihr so seltsam bekannt vorkam.

‚Bin ich tot?’

‚Nein, das ist ein anderer Ort. Du bestimmst ihn. Du allein. Du bist hierher in deine Kindheit zurückgekehrt, da die Societas noch keinen Einfluss auf dein Leben hatten – nun, keinen direkten zumindest.’

‚Ich wusste noch nichts.’ flüsterte Catherine und drehte sich noch einmal nach den Kindern um.

Nun begriff sie die ersten Worte der Unsichtbaren: Sie wusste nichts von alledem. Sie war glücklich gewesen.

‚Du fragst dich, wie kein Leben ohne die Bruderschaft verlaufen wäre.’

‚Ja.’ gestand Catherine und dachte dabei vor allem an das Verhältnis zu ihrer Familie und wusste nicht, ob sie eine Antwort erhalten würde.

‚Deine Eltern hätten deinen zwanzigsten Geburtstag nicht erlebt, doch zu deinem Bruder hättest du dein Leben lang ein gutes und inniges Verhältnis gehabt, obwohl er in Rom gewohnt hätte. Du hättest hier in der Villa dein eigenes Leben mit deiner eigenen Familie gelebt.’

Catherine schwieg und versuchte, sich das irgendwie vorzustellen, was ihr unmöglich schien.

‚Diese Zukunft wurde unmöglich, als die Societas dich in ihren Dienst nahm.’

Ja, das war ihr klar. Trotzdem wollte sie es sehen. Sie musste es sehen. Sie konnte es sehen, oder nicht?

‚Wie du möchtest.’ gab die Unsichtbare zurück, während Catherine in die Eingangshalle der Villa zurücktrat.



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