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Das Blut der Lasair

von

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Fragen über Fragen

Fragen über Fragen
 


 

Lea hatte messerscharf bemerkt, dass Catherine noch nicht sehr weit war, doch sie wusste auch nichts davon, dass Lestat schließlich das Türchen ohne Schlüssel geöffnet hatte beziehungsweise überhaupt ein Schlüssel von Nöten gewesen war. Catherine kümmerte sich bei absoluter Ruhe um das Drehschloss mit der Zahlenkombination und öffnete schließlich den kleinen Tresor.

„Lernt man das auch bei der Bruderschaft?“

„Nein, ich hatte sehr viele kriminelle Freunde in Paris…“ meinte sie ironisch. „Natürlich habe ich das von der Societas.“ fügte sie amüsiert über Leas Gesicht hinzu und warf dann einen prüfenden Blick hinein.

„Können wir Licht anmachen?“

„Das fällt zu sehr auf.“ meinte Catherine.

„Du siehst doch überhaupt nichts.“

„Ich sehe gut. Schau’ mal in der untersten Schublade nach. Ich glaube, da habe ich vorhin eine kleine Taschenlampe entdeckt, aber fuchtel’ nicht unnötig mit ihr herum, damit niemand etwas sieht – auch nicht von draußen.“ Lea öffnete die Schublade und betrachtete die Taschenlampe.

„Meine Großmutter macht es dem Einbrecher ganz schön leicht. Vielleicht hat sie doch nichts allzu Wichtiges im Tresor liegen.“ mutmaßte Lea, worauf Catherine den Kopf schüttelte.

„Wozu dann überhaupt ein Tresor? Meinst du, der war bei der Standardausstattung ‚Büro’ dabei?“

„Was erwartest du zu finden?“

„Hinweise… Keine Ahnung. Ich will einfach sicher gehen, dass wir hier nichts unversucht lassen.“ erklärte Catherine und reichte Lea dann einen Stapel mit Unterlagen aus dem Tresor. Sie selbst nahm ebenfalls einen Stapel an sich und bemerkte, dass er sich in der Mitte hochwölbte, als läge etwas zwischen den Papieren.

„Also das hier sind nur Rechnungen und geschäftliche Verträge.“

„Bist du sicher, Lea?“

„Ja, aber ich schau’ sie noch einmal genauer an.“

Catherine nickte und gelangte schließlich zu dem Gegenstand, der den Hügel in den Unterlagen verursachte: Ein Portemonnaie. Sie drehte es ein paar Mal in ihrer Hand herum und es öffnete schließlich, um zu sehen, ob es einen Ausweis oder zumindest einen Führerschein in ihm gab. Es war leer und enthielt weder Münzgeld noch Scheine, allerdings schien sonst noch alles vorhanden zu sein: Kreditkarten, Führerschein und Ausweis – alles auf den Namen ‚Vincenzo Salieri’. Der Mann auf dem Passbild blickte Catherine aufmerksam an und plötzlich fühlte sie sich zurückversetzt in ihre Zeit als Mitglied der Societas, in der sie so oft vertrauensvolle Gespräche mit ihrem ‚Ersatz-Großvater’ geführt hatte. Trotzdem war sie schon einmal zu dem Schluss gekommen, dass er nicht vertrauenswürdig gewesen war. Und nun lagen seine Papiere in Elizabeths Tresor und das bedeutete, dass er nirgendwo war, dass er nicht abgereist war – nicht ohne Ausweis, Kreditkarten und Führerschein, nicht mit dem Flugzeug nach New Orleans, wo Passkontrollen unumgänglich waren. Catherine war sich sicher, dass es Thirlestane Castle nicht verlassen hatte – zumindest nicht lebend oder freiwillig. Und deshalb auch die Familienchronik noch hier sein musste oder zumindest nicht bei ihm sein konnte.

„Was hast du da?“ fragte Lea, nachdem Catherine sich eine Zeit lang nicht gerührt hatte.

„Salieris Papiere. Ausweise. Kreditkarten. Einfach alles, was jemand zum verreisen braucht.“ erklärte sie, was Lea nicht verstand. Catherine dachte weiter nach. Was Lea nicht verstand oder ihr gerade nicht in den Sinn kam, war was sich längst in Catherines Gedanken festgesetzt hatte: Elizabeth hatte Salieri verschwinden lassen. Und Elatha wusste vielleicht… nein… sicher davon.

„Wo ist Salieri dann jetzt? Ich meine, ohne Papiere kommt man in unserer Welt nicht mehr weit.“ ergriff Lea wieder das Wort.

„Ich denke, er wurde beseitigt. Eine andere Erklärung kann ich dir nicht geben.“ sprach Catherine es schließlich aus.

„Nein… Nein! Das kann nicht sein.“

„Lea, beruhige dich! Sei leise!“ raunte Catherine ihr zu.

„Ich soll mich beruhigen? Du sagst mir ins Gesicht, dass meine Familie…“

„Lea, dafür fehlen mir jetzt eindeutig die Nerven. Ich dachte, das Thema Familie sei für dich durch. Sie haben auch meinen Großvater getötet… Warum sollten sie vor Salieri Halt machen?“

„Du meinst das ernst.“ bemerkte Lea und blickte Catherine noch eine Weile prüfend an.

„Natürlich.“ gab Catherine zurück. Lea nickte und erhob sich.

„In den Unterlagen hier ist nichts zu finden. Du kannst gern noch einmal selbst nachschauen, wenn du mir nicht glaubst…“

„Warum sollte ich dir nicht glauben? Lea, ich finde, es reicht nun wirklich.“

„Stimmt. Mir reicht es schon lange.“ meinte Lea und verließ das Büro.

Catherine nickte bei sich. Das hatte soweit kommen müssen – irgendwann. Die ganze Sache war zu frustrierend, als dass irgendein normaler Mensch nicht irgendwann überreagieren würde, wobei Lea nicht überreagierte, sondern vielleicht einfach nur wie jeder normale Mensch. Catherine seufzte leise, blickte noch einmal die Unterlagen durch und legte dann schließlich alles wieder zurück in den Tresor. Sie hatte nicht mehr erfahren, als dass es etwas Seltsames mit Salieris Verschwinden auf sich hatte, doch erneut musste sie sich fragen, was sie eigentlich gesucht hatte. Die letzten Seiten des Tagebuchs? Sie lachte leise und schloss den Tresor wieder ab. So viel Glück oder Fügung gab es wohl nicht.
 

Catherine schlich aus dem Büro, nachdem sie sich versichert hatte, dass alles so war, wie sie selbst es vorgefunden hatte, und durchquerte wieder leise die Halle, um dann über eine der Türen an der Gartenfront in den Park hinauszuschlüpfen. Ihre Augen waren inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt und machten in der Ferne bei den Gräbern eine Gestalt aus, die gelassen an einem der hohen Bäume lehnte. Unwillkürlich musste Catherine an die Frau denken, die an einem der Grabmäler gelehnt hatte. Die Frau im Nebel und die Frau in ihren Träumen und Visionen… Es war dieselbe und sie sah ihr sehr ähnlich, wenn es auch winzige Unterschiede gab. Catherines Haar war nicht ganz so rot. Catherines Augen waren grün und nicht blau. Catherines Gestalt war etwas schlanker und größer… Langsam schüttelte sie den Kopf. Es war nicht die Frau, die dort lehnte – es war Lestat. Was wollte er hier? Hatte er nicht genug angerichtet? Sie schüttelte wieder den Kopf. Das war nicht fair. Sie wollte sich zumindest anhören, was er zu sagen hatte, beschloss sie und wunderte sich gleichzeitig über ihre Nüchternheit und Gefühlskälte. War das wirklich sie? Oder waren ihre Gefühle von damals die Gefühle ihres wahren Ich? Sie wusste es nicht. Es war alles so verwirrend.
 

Lestat nur anzusehen, war verwirrend, stellte sie fest, als sie näher bei ihm stand und ihn im Mondlicht beinahe deutlich sehen konnte.

„Du erinnerst dich?“ fragte er angespannt. Sie nickte nur. „Und an was erinnerst du dich? Was war los?“

Catherine ignorierte die erste Frage und erzählte von ihrer bewusstseinserweiternden Sitzung mit Lea, während Lestat ihr mit skeptischem Blick zuhörte.

„War sie erfolgreich?“ Catherine zuckte die Schultern.

„Das ist schwer zu sagen. Ich vermute, dass Lea viel in meiner Vergangenheit entdeckt hat, was ich schon vergessen hatte, aber darum ging es nicht. Ich wollte diesen Traum wieder träumen, aber… hm… irgendwie… nein, es war eigentlich nicht erfolgreich. Ich weiß immer noch keinen Namen und das Tagebuch… frag’ nicht!“ meinte sie und trat ein Stück weiter zwischen die Grabsteine.

Das keltische Kreuz warf einen verschwommenen Schatten auf den mit Gras und Efeu überwucherten Boden. Lestat stand in einigem Abstand hinter ihr und rührte sich nicht. Es war nicht möglich, dass sie sich ihn gerade nur einbildete. Da brauchte sie keinen Kopf als Beweisstück. Lestat sagte nichts, doch seine Anwesenheit war beruhigend, obwohl sie nicht wahrgenommen hatte, dass sie beunruhigt gewesen war. Er verwirrte sie. Sie wusste nicht, was sie fühlte. In ihr herrschte ein seltsamer Zustand: Sie erinnerte sich nicht genau an den Abend nach der bewusstseinserweiternden Sitzung. Er war da gewesen, sie hatte mit ihm gesprochen, sie hatten zusammen das Schloss verlassen und waren an den Runen gewesen. Die Runen, deren Übersetzung sie noch nicht hatte. Vielleicht waren sie nicht so wichtig, aber das Tagebuch, dessen letzte Seiten fehlten. Das Tagebuch… Er hatte sie nicht gefragt, was sie für ein Tagebuch meinte.

„Du weißt von dem Tagebuch?“ fragte sie erstaunt, als sie es wirklich realisiert hatte, und drehte sich zu ihm um.

„Was wollte Armand?“ antwortete er mit einer Gegenfrage.

„Was geht dich das an?“

„Wieso machst du ein Geheimnis daraus?“

„Wieso willst du es wissen?“

„Hat er von dir getrunken?“

„Was würdest du dann tun?“

„Was sollte ich tun?“

„Was würdest du zu mir sagen?“

„Dir bedeutet das zwischen uns überhaupt nichts, oder?“

„Gibt es überhaupt etwas zwischen uns?“

„Wieso nicht?“

„Wieso bist du dann gegangen, ohne ein Wort zu sagen?“

„Bist du immer noch wütend deshalb?“

„Kannst du Wut und Enttäuschung nicht unterscheiden?“

„Weißt du selbst überhaupt, was du gerade fühlst?“

„Weißt du es denn?“ fragte sie zurück.



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