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Les beaux amies quatre

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Les beaux amies quatre

- Ce sont les belles amies
 


 


 


 


 


 

1
 

Personages
 

Celine - Das Mädchen mit dem Puppengesicht : ovale Form, kurze Stirn, lange,

modelliertgezupfte Augenbrauen, große, grün-braune Augen, lange,

schmale Nase, deren Ende breit und spitz ist, ihr Mund ist schmal - die

Oberlippe mehr als die untere - und ebenmäßig, das Kinn ist markant

ausgeprägt. Celine ist schlank; Schultern, Hüfte und Knie sind

knochig. Sie hat einen kleinen, runden Busen und wenig Taille. Sie

riecht süß und ein bisschen staubig. Meistens trägt sie Hosenanzüge

und hochgeschlossene Pullover oder T-Shirts. Celines Haare sind lang

und fahl braun-blondfarbend. Sie hat Locken.
 

Chierie - Die Schönheit: Ihr Kinn ist schmal und spitz und wird zur Stirn hin

breiter; sie hat ein herzförmiges Gesicht. Sie hat schmale, braune Reh-

augen, eine schmale, spitze Nase mit eckigen Nüstern. Ihr Mund ist

voll und ihre Oberlippe länger als die untere. Ihre Stirn ist flach, wäh-

rend das Kinn hervorsticht. Chiries Körper ist dünn, aber sie wirkt

nicht abgemagert, denn Schultern, Hüfte und Knie sind rund. Bei ihrer

recht geringen Körpergröße sind auch die Beine kurz geraten.

Die braunen Haare trägt sie meistens offen oder als einfachen Zopf.

Sie riecht blumig. Über ihre Kleidung kümmert sich Chierie nicht

sehr; meistens trägt sie Röcke und Kleider.
 

Hortense - Das Mädchen mit den traurigen Augen: Ihr Gesicht ist rund, die

Augenbrauen buschig und kurz, darunter die kleinen, braunen

Augen mit den Schlupflidern. Ihre Nase ist eckig, die Spitze

rund und nach unten geneigt. Sie hat einen kleinen Schmollmund

mit einer kürzeren Oberlippe, die sich in der Mitte wie eine Erbse

nach unten wölbt. Ihr Körper ist schmal und kräftig. Ihr kleiner

Busen hat die Form einer Birne. Auch Hortense ist klein, kleiner

noch als Chirie. Hortenses matt karamelbraune Haare sind schulter-

lang und stehen - trotz Kämmen - nach allen Seiten ab. Sie benutzt

kein Parfum, bestenfalls Deo; sie riecht seifig. Am liebsten sieht

sich Hortense in Hosen und Blusen aller Art. Oft trägt sie eine Kra-

watte oder Fliege.
 

Suzon - Sie hat ein griechisches Profil: die Stirn, die gerade, schmale Nase, die

Lippen des breiten Mundes und das Kinn stehen gleichmäßig hervor.

Sie hat halblanges, gelocktes Haar und einen Pony, den sie meistens

zwischen die anderen Haare mischt. Ihr helles Gesicht ist durchzogen

von feinen, maskulinen Zügen. Suzon ist nicht so schlank wie Celine;

sie ist schlacksig und ihre Schultern sind breiter als ihre Hüfte. Sie trägt

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ausschließlich Hosen und Pullover aus Naturstoffen. Auch sie benutzt

kein Parfum und riecht nach ihrer Kleidung und nach dem Waschmittel

ihrer Mutter.
 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 

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Es war dunkel und es regnete. Celine fühlte nichts von den kalten Regentropfen, die an ihrem Gesicht, ihren Haaren, Händen und ihrer Kleidung herunter kullerten und sie aufweichten. Ihre Gedanken spulten immer wieder das gleiche Szenario ab: Elodie in den Armen des Jungen, der sie küsste und von dem sie es sich gefallen ließ.

Celines Augen waren rot unterlaufen, die Lider zuckten. Ihre Pupillen waren hohl. Langsam ging sie weiter, die Schultern schlaff, den Rücken krumm. Sie folgte einer Gruppe von Mädchen, Elodie und ihren Freundinnen. Als sie sie be-

merkten, blieb Celine stehen und fixierte sie.

"Was willst du schon wieder? Hör auf, mir nachzulaufen!" rief Elodie wütend.

"Warum ...?" Langsam und mit ausgestreckten Armen ging Celine einige

Schritte auf sie zu. "Wie konntest du ...? Warum hast du das gemacht? Wieso hast du mich betrogen?" Mit jedem Wort hob sich ihre Stimme und gipfelte in laute Schreie.

"Was redest du da für 'ne Scheiße? Ich hab dich nicht betrogen. Ich kenn dich überhaupt nicht."

"Du hast gesagt, du liebst mich."

"Was?! Ich kenn dich gar nicht! Du spinnst ja. Lass mich endlich in Ruhe!"

Celine packte Elodies Schultern und schüttelte sie energisch. "Aber ... was sagst du da?"

Wortlos erhob diese die Hand und schlug ihr ins Gesicht. Reglos stand Celine da und hielt ihre schmerzende Wange. Sie weinte.

"Lass mich in Ruhe! Du bist doch krank. Wage es ja nicht, mich noch mal anzufassen!" brüllte Elodie und als wäre dies ein Kommando gewesen, stürzten sich die übrigen Mädchen auf Celine und prügelten ebenfalls schreiend auf sie ein. Es war Celines Glück, dass Hortense gerade in der Nähe war und ihr, durch den Krach aufmerksam geworden, zu Hilfe kam. Als die Mädchen sie sahen, ließen sie von der unbeweglich am Boden liegenden Celine ab und rannten davon. Sie hatte die Augen weit aufgerissen. Nicht eine Träne, ein Gefühl

huschten über Celines Gesicht.

Hortense kniete neben ihr nieder und streichelte sie. "Was findest du nur an dieser Schlampe? Wie kann sie dich so behandeln? - Wieso lässt du das mit dir machen?" Hortense traf die höchste Oktave, die ihre Stimmbänder hergaben und ihre Stimme offenbarte ihren Zorn, aber auch Mitleid.

Celine lächelte ein wenig. "Sie liebt mich." flüsterte sie.

"Wie bitte?"

"Ich weiß, dass sie mich liebt." Mit diesen Worten stieß Celine einen Seufzer aus und rollte sich auf den Rücken.

"Du spinnst ja!"

"... Sie hat gesagt, sie liebt mich. ... Sie ist die einzige, die mich liebt. Sie ist meine einzige Freundin."
 

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Hortense musterte sie. "Was ist mit Suzon? ... und was ist mit mir? Bin ich nicht deine Freundin?" Sie begann zu lächeln. "Weißt du, als ich dich das erste mal gesehen habe, hab ich gedacht: Wow! Die muss meine Freundin werden! - Komm, steh auf. Du wirst noch krank."

Celine schloss die Augen und grinste.
 

*
 


 

Es war bereits dunkel. Der Sportplatz und die unbedachte Tribüne waren vom Regen durchnässt.

In Front stand Celine, aufrecht und mit dem Rücken zu den anderen, und starrte zu den leisen Regentropfen, die in der schwachen Beleuchtung der Flutlichtan-

lage wie peitschende Fäden vom Himmel prasseln.

Suzon saß ein paar Schritte von ihr entfernt auf einer der unteren Tribünenreihen

Sie sorgte sich um sie.

Hortense saß weiter oben auf den nassen Balken. Die Schultern hingen schlaff herunter, in der einen Hand hielt sie einen aufgespannten Regenschirm, der sie vor dem Regen schützte.

Chierie ging zu ihr und setzte sich dicht neben sie, wobei sie sich unterhakte und den Kopf gegen Hortenses lehnte.

Celine wandte sich zu ihnen um und rief: "Hey, und ich muss nass werden?"

Chierie entgegnete lächelnd: "Für euch ist leider kein Platz mehr."

Sie schwiegen und verharrten in ihren stummen Positionen, bis Hortenses Stimme an ihre Ohren drang. Sie sang. Viel eher nur für sich, als für Zuhörer.

Sie war sich nicht bewusst, dass sie diese hatte: Celine und Suzon, die aufgestanden und zu Celine gegangen war, sahen zu ihr herüber, unterhielten sich dann aber wieder leise miteinander. Chirie atmete ruhig an Hortenses Arm.

Hortense sah auf und traf zufällig Celine mit ihren Blicken. Sie brach das Lied ab und stirrte so eine so eine Weile, dann sagte sie: "Die beiden haben 'ne starke Bindung zueinander. Das passt mir nicht." Leise mit aufeinander gepressten Lippen, um zu vermeiden, dass Chierie ihre Worte verstand, fügte sie hinzu: "Und dann steht Celine auch noch auf Elodie." Sie zog die Augenbrauen dicht zusammen und die Mundwinkel Richtung Kinn.

Chirie saß daneben. Sie hatte aufgehört, Hortenses Handrücken zu halten, doch sie blieb untergehakt, und drückte ihren Kopf tiefer an sie.

Es hatte aufgehört zu regnen und der düstere Himmel begann sich aufzu-

klären. Celine winkte ihnen zu; sie wollten gehen.
 

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Während sie auf dem Weg zu Celines Haus waren, summte Hortense ihr Lied und sprang auf eine weiterführende, graue Steinmauer. Sie schwang den immer noch aufgespannten Regenschirm und tänzelte mit zarten Bewegungen auf ihr entlang. Sie konzentrierte sich auf ihre Schritte und alles andere interessierte sie nicht mehr.

Ihre Freunde sahen amüsiert zu ihr hoch und beobachteten ihr Treiben. Zur Überraschung alle war es gerade Celine, die sich Hortenses Hand reichen ließ und zu ihr hoch sprang; auch Suzon und Chierie folgten jetzt. Zusammen spazierten sie in Reih und Glied auf der Spitze der Mauer: Celine, mit gesenktem Kopf, aber einem leichten Grinsen im Gesicht und den Händen in den Hosentaschen, als erstes. Hinter ihr Suzon, die sich mit einer Hand an Celines Hüfte festhielt und mit der freien versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Dann kam Hortense, die gänzlich freihändig lief und dabei ordentlich ins wanken kam. Als letztes ging Chierie, dicht an Hortenses Rücken.

Plötzlich blieb Hortense stehen, riss die Arme in die Höhe und warf den Schirm laut singend in alle Lüfte. Nicht nur Chierie, kam aus dem Gleich- gewicht, auch Celine und Suzon, doch geschickt stellten sie die Balance wieder her, ohne herunter zufallen. Hoertense wurde rot und still. Sie hielt ihre Hand vor die Lippen und verbarg ihr beschämtes Lächeln. "Oh." murmelte sie. "Mein Schirm ist weg." Sie sah sich um, um ihn zu suchen.

"Du bist ein kleiner Trottel." rief Suzon.

"Du bist wirklich ungeschickt." fügte Celine hinzu und begann zu lächeln.

"Ja, ja. Ich weiß." seufzte Hortense. Sie fand ihn schließlich in einem Gebüsch, nicht weit weg von ihr.

Als sie sich herunter beugte, um ihn auf zu fischen, verpasste ihr Fuß im Dunkeln die Kante der Mauer und sie verlor den Halt. Um das Schlimmste doch noch zu vermeiden, griff sie nach Suzon und klammerte sich an sie. Aber es war zu spät und sie fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den matschigen Boden, während Suzon lediglich ins Wanken kam. Unter dem Gelächter der Mädchen, rappelte sich Hortense wieder auf und sah an sich herunter. Das ganze Hosen-

bein war schmutzig und auch der Blazer und sogar Hände und Gesicht waren nicht verschont geblieben. Sie war wütend. Am liebsten hätte sie sie, für ihre Schadenfreude, auch zu sich in den Schlamm gezogen. Doch sie zuckte nur die Schultern und sagte: "Na, wenigstens bin ich weich gelandet." Und musste selbst über sich lachen.
 

Hortense lag in der Badewanne. Die klaren Wassermassen verbargen ihren Körper. Nur der Kopf, von der Nasenspitze aufwärts, schaute empor. Die Haare waren nass und zurückgelegt; sie gaben das Gesicht und Hortenses matten Blick frei. Mit hohlen, dunklen Augen beobachtete sie das gediegene Licht im Bade-

zimmer, das vor ihren Augen an Farbe verlor und verwischte.

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Die Tür ging auf und Celine betrat das Bad. Sie war nackt und (finster). Hortense fixierte sie reglos. Sie stieg in die Wanne und hielt in der einen Hand eine Flasche Absinth. "Hier. Es ist nicht gut, aber es ist gegen Kummer." Sagte sie mit monotoner Stimme, die ihren Gesichtsausdruck reflektierte.

Hortense warf ihre Beine über die Wannenwände - Celine tat es ihr nach - und erwiderte ebenso ruhig wie tonlos: "Ich will nicht trinken, wenn ich traurig bin." Sie sah zu, wie Celine - das Licht machte ihre Augen schwarz - den Inhalt der Flasche in sich hineinströmen ließ. "Aber zusehen will ich auch nicht." Hortense nahm einen kräftigen Schluck. "Bah!" rief sie und schüttelte sich, während der Absinth ätzend ihre Speiseröhre herunterfloss. "Was ist das? - So schmeckt Nagellackentferner, könnt' ich mir vorstellen."

Celines Lippen formten ein zierliches Lächeln. Sie schwiegen und badeten ohne ein weiteres Wort zu sagen.
 

Celines Zimmer war dunkel. Es war Abend. Die einzige Lichtquelle war der Fernseher. Auf dem Boden vor dem Bett saßen Suzon, auf deren Schoß Celine ihren Kopf gelegt hatte. Suzon hatte ihre aufgestellten Beine an ihren Körper gezogen, so dass sie in der Kuhle zwischen Oberschenkel und Unterleib lag. Von dieser Position aus konnte Celine dennoch den kompletten Bildschirm des Fernsehers sehen, der ihnen gegenüber stand. Neben ihnen saß Chierie. Hortense setzte sich nicht zu ihnen. Nachdem sie ihre Haare trocken gerubbelt hatte, legte sie sich auf das Bett. Für gewöhnlich konnte sie fremde Betten nicht leiden. Sie ekelte sich einwenig vor ihnen. Gleichzeitig empfand sie aber auch eine unge-

Heure Tiefe und Nähe zu dem, dem es gehört. Jedes Bett birgt ein Geheimnis; es ist eine Burg, eine Festung, eine heilige Stätte und darin zu liegen heißt, in das Innerste des eigentlichen Schläfers einzudringen.

Mit Celines Bett war es etwas anderes. Der Vorstoß in ihre Burg fühlte sich gut an. Hortense tauchte darin vollkommen unter und umgab sich mit Celines Innerstem. Das Bad hatte sie vollkommen entspannt, nun war sie müde. Hortense rollte sich auf die Seite, den linken Arm unter dem Kopf, und schlief ein.

Chierie blickte neben sich. Suzon hatte ihren Arm um Celine gelegt, die dies reglos geschehen ließ. Sie starrten in den Fernseher. Es hatte etwas Vertrautes, aber es war auch abstrakt. Suzon und Chierie bildeten eine Einheit. Chieire empfand die beiden distanziert und unnahbar. Sie schaute zum Bett herauf und betrachtete Hortense. Sie stand auf, ohne die geringste neugierige Regung Seitens der beiden, und beugte sich über sie. "Sie schläft ja wirklich." sagte Chieire leise zu sich selbst und lächelte als ihr Blick und ihre Hand hinunter über Hortenses Körper strichen. Sie legte sich vorsichtig, um sie nicht aufzu-
 

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wecken, an ihren Rücken und einen Arm um sie. Kurz darauf war auch Chirie, die keine Philosophie über fremde Betten und den Geist ihrer Schläfer hatte, eingeschlafen.

Hortense erwachte als Celine barsch an ihrer Schulter rüttelte und sie sanft weckte. Sie hatte ihren Oberkörper über sie gebeugt und es hatte etwas Bedrohliches. Hortense wusste nicht, was es war. Celines Haltung und ihr Gesicht waren ruhig und gelassen, aber ebenso erfurchtgebietend.

Schläfrig richtete sie sich auf und schob Chierie vorsichtig von sich. Sie war wenig überrascht, ihren Arm um ihren Bauch zu finden, und wenn sie überrascht war, sah man es ihr nicht an. Hortense wollte aufstehen und gehen.

"Nimm sie mit." sagte Celine schnell.

Sie sah sie an. Hortense hatte keine Mühe ihre Verwunderung über Celines ungewohnt lebendige Tonlage unter ihrer Müdigkeit zu verstecken.
 

*
 


 

Hortense drehte Runden in ihrem Zimmer und sang die Liedtexte der Musik mit. Chirie lag auf ihrem Bett und studierte das Booklet der CD. Sie lag auf dem Rücken, die nackten Füße dem Kopfkissen entgegengestreckt. In dem Lied, das sie hörten, ging es um hohle Zimmer und Einöde. Hortense dachte an Celine, die ihr einmal erzählt hatte, sie hätte als Kind nur zu Hause und nicht woanders - noch nicht einmal bei Verwandten - schlafen wollen. Sie hätte immer den Aufstand geprobt, wenn ihre Eltern sie über Nacht bei ihren älteren Geschwis-

tern, Großeltern oder Tanten ließen. Hortense konnte so ein Drama nur zu gut: Sie selbst war früher als kleines Kind auch am liebsten zu Hause. Auch heute hatte sich daran wenig geändert. Ihr Bett war ihr Heiligtum, doch mittlerweile kam sie mehr oder weniger gut damit zurecht, woanders zu übernachten. Mittlerweile übernachtete sie sogar öfter bei Chierie.

Hortense stellte sich die kleine Celine vor, wie sie auf einem fremden Bett saß, rechts, an der Wand neben dem Kopfkissen, schien die Sonne durch ein Erkerfenster. Ihrem Bett gegenüber stand ein weiteres Bett, nebst Kleiderschrank, und vor dem Fenster ein flacher Tisch mit einem Stuhl - ein Schreibtisch, bedeckt mit Schulbüchern, Schreibheften, Zeitschriften und Stiften. Die Möbel waren aus dunklem Holz und die Sonnenstrahlen machten die Rauhfaser-Tapete grünlich-weiß.

Hortense, die inzwischen zum Fenster gewandert war und hinausschaute, wandte sich zu Chieire. "Die arme Celine." sagte sie.

Chierie sah auf.
 

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"Sie ist immer so lustlos und traurig. Träge - noch mehr als ich. Ich glaube, sie fühlt sich wie ein Fremder im Exil."

"Ja, sie ist wirklich immer traurig." bestätigte Chieire mit monotoner Stimme. Sie hatte nicht viel Lust, über Celine, dieses schwierige Mädchen, zu reden und sich über sie den Kopf zu zerbrechen. Aber Hortense sprach gern von ihr. So erzählte sie: "Celine hat eine tolle Stimme und sie hat mir gesagt, dass sie das von ihren Eltern und ihren Geschwistern hat. Die haben früher oft zusammen gesungen und Celine, die schon schlafen sollte, lag in ihrem Bett und hörte den vertrauten Stimmen zu." Sie setzte sich neben Chieire und erinnerte sich daran, als sie Celine das letztemal singen hörte. Dann schlich sich eine weitere Erzählung von Celines Kindheit in ihre Erinnerung. "Armes Ding." wiederholte sie und in Gedanken sah sie in der Schule, als desinteressiertes Mädchen, das nur wenig mit den anderen Kindern sprach und eine schlechte Schülerin war. Dann sah sie Celine hinter ihrem Haus, in der Nähe eines Holzschuppens. Es war ein schäbiger Garten, mit schwarzer Erde und ungestüm ausgedehnten Wieseflächen, mit Unkraut und hohen, schmalen Bäumen und ohne abgren-zendem Zaun zur Straße und zum Nachbarhaus. An einem der Bäume hing ein Sandsack, auf den Celine stundenlang einschlug und sich dabei beruhigte und Träume erfand. Am Abend, als es dunkel wurde, ging sie ins Haus, wo sie mit der Familie an einem gedeckten Tisch aß; dabei war der Geruch von Pfeffer-

minztee und Leberwurst ein stechender Besucher. Danach ging sie wieder nach draußen zu ihrem Sandsack. Es war dunkel und sie schlug weiterhin immer wieder, im abwechselndem Tempo, darauf ein.

Celine, das geheimnisvolle Mädchen. Celine, die Traurige. Schon in der Grund-

schule war sie eher mäßig als gut. Sie war eine Außenseiterin. Sie interessierte sich nicht für die Mädchen und Jungen in ihrer Klasse; sie spielte nicht zusam-

men mit ihnen und sprach kaum ein Wort. Viel lieber erfand sie Abenteuer, spielte mit ihren Puppen oder unterhielt sich mit Tieren, Bäumen und Flüssen.

Hortense erzählte Chieire, was sie dachte. Mit Elan und Hingabe gab sie ihre Gedanken wieder und konnte nicht aufhören, über Celine zu reden. Chirie horchte auf. In Hortenses Worten klang Celine nicht distanziert und eingeschlos-sen, sondern hilflos und traurig.

Hortense geriet in regelrechtes Schwärmen. "Ich mag sie sehr." sagte sie. "Sie ist reserviert und geheimnisvoll. Und unantastbar. - Sie ist immer nett zu mir. Ich glaube, sie möchte mich beschützen." Sie kniff die Augen zusammen und knabberte an ihren Fingern. Dann fügte sie lachend hinzu: "Ich mag wie sie redet. Sie sagt: , Ich werde nie nachlässig sein, ich werde nie die Spontanität lieben. Das interessiert mich auch nicht.' Sie benutzt andere Worte in bestimmten Zusammenhängen, als man es gewohnt ist. - Ihre Art zu reden ist ,französisch' ." Hortense saß Chieire direkt gegenüber. Sie lehnte mit Kopf und Rücken entspannt gegen die Wand. Ihre Mundwinkel formten ein (kleines)
 

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Lächeln und ihre Augen, die Chieire mit einem kurzen Lidaufschlag anblitzten, waren zugleich selig und erwartend. "- Manchmal ist sie aber auch ganz schön einsilbig."

"Wie du. - Du redest schon fast wie sie." bemerkte Chieire.

Plötzlich läutete das Telefon. Als Hortense den Hörer abnahm, meldete sich niemand. "Hallo?" wiederholte sie. "Hall-oo?"

Schweigen.

Sie wurde ungeduldig, doch ehe sie den Hörer genervt zurück in die Gabel warf, bemerkte sie, dass es Celine war, die sie angerufen hatte. Hortense sagte nichts mehr. Sie hielt den Hörer am Ohr und sie hörten sich ruhig atmen. Hortense und Celine führten gelegentlich solche stummen Dialoge miteinander, entweder am Telefon oder von Angesicht zu Angesicht.

Hortense ging wieder in ihrem Zimmer umher. Sie hörte, dass Celine im Hintergrund Musik laufen ließ. "Hörst du die CD, die ich dir gebrannt habe?"

"Ja. Gefällt mir ganz gut."
 

*
 


 

Tage später hatte sich der karge Sonnenschein verabschiedet und es regnete wieder. Am helllichten Tag war der Himmel pechschwarz und die Häuser hatten dasselbe farblose Grau wie die Landschaften und die Gesichter der Menschen. Auf den Straßen bildeten sich kleine Flüsse und riesige Pfützen.

Hortense fand Celine am Boden liegend. Sie schaute auf sie herunter: Celine lag auf dem Bauch, die Arme und Beine ausgestreckt neben ihrem Körper, als hätte sie sich seit ihrem offensichtlichen Sturz nicht mehr bewegt, das Gesicht zur Seite. Hortense konnte den Ausdruck darin nicht erkennen, aber sie sah, dass Celines Augen und Mund geöffnet waren. Sie hob sie auf, ließ sie sich auf sie stützen und brachte sie nach Hause.

Selbst in ihrem Zimmer rührte sich Celine nicht und ließ das Regenwasser der nassen Haare auf den Teppich tropfen und die dreckigen Schuhe diesen beschmutzten. Sie ließ sich von Hortense trockenrubbeln und ein Handtuch umlegen. Schweigend beobachtete Hortense sie. "Du solltest die nassen Sachen ausziehen, wenn du nicht krank werden willst." sagte sie ihr.

Celine reagierte nicht und Hortense wusste auch nicht, was sie tun sollte. So schlimm stand es, seit sie sie kannte, noch nie um sie. Wie tot hatte sie auf dem Asphalt gelegen, völlig durchnässt und unterkühlt. Hortense war in dieser Situation hilflos. Sie wagte nicht, sie in diesem Zustand alleine zu lassen. Während sie überlegte, was zu tun war und was sie tun konnte, strich sie Celine die Haare aus dem Nacken. Schließlich beugte sie sich zu ihr und umarmte sie.

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Hortenses Mundwinkel zuckten und sie biss die Lippen zusammen, um nicht laut aufzulachen.

Dann sah Hortense ihr in die Augen. "Versprich mir, dass du dir nichts antust, wenn ich jetzt kurz gehe. Ich bin sofort wieder da." Somit stand sie auf und lief aus dem Zimmer und aus dem Haus. Draußen rieselte eine Brise auf sie nieder, die ihren roten, schweißigen Kopf kühlte. Hortense zitterte und war den Tränen nahe.

Von einer Telefonzelle aus rief sie Suzon an, damit sie zu Celine ging. Hortense dachte sich, dass sie sie jetzt brauchen würde, und dass Suzon ihr viel eher helfen konnte als Hortenese. Sie erzählte Suzon nicht, wie sie Celine gefunden hatte; sie bestellte sie nur zu ihr. Vor dem Haus wartete Hortense auf sie und horchte immer wieder nach, ob sich Celines Zustand verschlimmert hatte. Als Suzon kam, verschwand Hortense, ohne dass sie sie gesehen hatte.
 

*
 


 

Auch die nächsten Tage hörte es nicht auf zu regnen und es war kalt. Hortense traf Celine draußen, als sie auf dem Heimweg war. Sie sah sie auf einem großen, runden Stein sitzen und ging vorsichtig zu ihr. Hortense hatte eine bedrohliche Angst im Magen. Sie hatte Celine seit Tagen nicht gesehen, nichts von ihr gehört und wusste auch nicht, wie es ihr ging.

Celine drehte sich zu ihr und sagte: "Du hast ja Beine." Sie grinste. Hortense trug heute einen kurzen, schwarzen Rock. Dazu einen gestrickten Wollpullover, eine farbige Netzstrumpfhose und schwarze Stiefel. "Ich habe dich noch nie in einem Rock gesehen. Er steht dir."

Hortense war geschmeichelt und lachte. Sie wollte Celine auf die vergangenen Tage ansprechen, aber sie traute sich nicht, sie zu erwähnen. Celine kam ihr entgegen indem sie für einen Augenblick von ihr weg sah, um sie sich setzten lassen, und als sie sie wieder ansah fragte sie: "Bist du heute glücklich?"

"Ja - es geht ..." Hortense hatte den Unterton Celines trauriger Worte überhört und ging nicht weiter darauf ein. Sie schwiegen. Celines Blick blieb auf ihr, dann wandte sie sich ab und schaute zu Boden. Sie lächelte. "Es sieht gut aus, " und beim erneuten Aufschauen fügte sie hinzu: " ... wenn du lächelst."

"Du sähest wahrscheinlich auch hübscher aus, wenn du lachst."

Celine sagte nichts, höchstens mit einem kleinen Lächeln, und hielt Hortenses erwartungsvollem Blick stand.

"Und Suzon würde es sicher auch gefallen."

Celine begann zu lachen. Sie stand auf und, mit den Händen in den Hosen-
 

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taschen, wanderten ihre Augen zu Hortense und gingen sofort weiter, über sie hinweg. "Du bist ein tolles Mädchen. Ich mag dich."
 

*
 


 

Das graue Wetter hielt sich weiterhin hartnäckig. Hortense, Celine, Suzon und Chirie hatten sich am Nachmittag im Café verabredet.

Kurz bevor Hortense dieses erreichte, dachte sie an Celine. Als sie sie neulich zufällig getroffen hatte, hatte sie gar nicht gefragt, wie es ihr jetzt ging. Aber Hortense hatte auch nicht das Gefühl gehabt, sie nach ihrem Wohlbefinden fragen zu müssen. Zum einen machte sie nicht den Eindruck, als ginge es ihr schlecht - zumindest nicht schlechter als sonst. Zum anderen empfand es Hortense als Suzons Aufgabe, sich um Celine zu kümmern. Sie sollte sie stützen. Sie sollte sie trösten. So musste es sein. Sie konnte es viel eher als Hortense.

Als sie das Café betrat, waren die anderen schon da. Es war ein gediegenes Café, mit einer hölzernen Einrichtung, die eine kneipenähnliche, gemütliche Atmosphäre verströmte. Sie saßen an einem eckigen Tisch, auf einer halbrunden Bank. Chierie, die den Platz neben sich für Hortense freigehalten hatte, saß auf der linken Seite, neben ihr Suzon und Celine. Sie hatte ihren Kopf auf Suzons Arme, die sie auf den Tisch stützte, gelehnt. Sie lächelte Hortense an: Sie trug dieselbe Kleidung, die sie auch schon getragen hatte, als sie sich vor ein paar Tagen zufällig trafen. Suzon und Chirie machten ihr ebenfalls Komplimente und begrüßten sie; vor allem Chirie freute sich, sie zu sehen.

Hortense blieb vor ihnen stehen, verlagerte ihr Gewicht auf ein Bein und verschränkte locker die Arme hinter ihrem Rücken.
 


 

8.12.01 - 2.5.02, 0:15h

"Who' s gonna stopp the rain" - Anastacia

"I ask of you" - Anastacia

"An new day has come" (Album) - Celine Dion



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