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Die Magie der Musik 2

Die Fürsorge eines Bruders
von

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Kapitel 2
 

Stunden später, nachdem sie endlich aufgestanden waren, sah Serdall Daniel dabei zu, wie er seine Sachen in der Reisetasche verstaute. Ihm versetzte es einen Stich, allein dieses Bild schon zu sehen. Aus einem Impuls heraus ging Serdall wieder auf seinen Freund zu und umarmte ihn fest von hinten.
 

„Versprich mir, dass du auf dich aufpasst und keine dummen Sachen machst“, flüsterte er ernst und lehnte seine Stirn in Daniels Nacken. Er hatte eine verdammte Angst, dass Daniel irgendeinen Fehler beging oder ihm etwas passierte
 

„Sieh lieber zu, dass du auf dich aufpasst“, erwiderte Daniel ebenfalls in gedrückter Stimmung und legte den letzten Pullover in die Tasche. „Ich muss mir nur eine plausible Erklärung für meine Mutter ausdenken, du stehst deinem Bruder gegenüber. Ich denke, dass ich es da schon etwas besser getroffen habe.“ Er schloss den Reisverschluss und drehte sich dann zu Serdall herum. Etwas verzerrt lächelnd strich er ihm über die Wange. Daniel sagte sich immer wieder, dass es nur für ein paar Tage war, aber er wollte eigentlich noch nicht mal für ein paar Stunden von Serdall weg. Seufzend schnappte er sich die Tasche. „Kommst du mit nach unten? Ich will noch schnell ein spätes Mittag machen, bevor ich nach Hause fahre.“
 

Serdalls Magen krampfte sich allein bei dem Gedanken an Essen schmerzhaft zusammen. Er hatte so gar keinen Hunger, wenn er daran dachte, was ihnen bevorstand.
 

„Ja“, meinte er schwach und ergriff sogleich Daniels Hand. Eigentlich wollte er sich viel lieber mit Daniel im Bett verkriechen, ihn im Arm halten und nie mehr gehen lassen. Sie waren nie mehr als ein paar Stunden getrennt gewesen seit sie zusammen waren. Es war der reinste Horror für Serdall zu wissen, dass es vielleicht für zwei oder drei Tage sein würde. Denn sein Bruder war genauso schwer von Begriff, wie er selbst. Serdall drückte Daniels Hand fest, als sie nach unten gingen. Als Daniel die Tasche im Flur abstellte, musste Serdall ihn an sich ziehen und tief küssen. Seine Gedanken begannen jetzt schon Amok zu laufen.
 

Erst verzweifelt erwiderte Daniel den Kuss. Er benahm sich lächerlich, das wusste er. Immerhin war es nicht so, als ob sie sich nicht sehen oder hören würden. Serdall hatte ihm versprochen auf jeden Fall anzurufen und ihn eventuell auch besuchen zu kommen, bis die Sache mit Fei ausgestanden war. Resigniert löste Daniel sich. Es brachte nichts, so einen verzweifelten Abschied aufs Parkett zu legen, obwohl sie sich noch nicht mal voneinander verabschiedeten. Er lächelte Serdall zu und ging dann in die Küche, um ihnen ein schnelles Essen zu machen.
 

Serdall ließ den Kopf hängen, als sich Daniel von ihm löste. Zögernd ging er ihm nach und setzte sich an die Theke, beobachtete seinen Freund die ganze Zeit. Dustin kam im nächsten Moment hereingeschneit und betrat verwirrt in die Küche.
 

„Wessen Tasche ist das denn im Flur? Wollt ihr verreisen?“, fragte er hoffnungsvoll und malte sich schon in Gedanken aus, was er mit Ethan alles tun könnte, wenn alle nicht da waren.
 

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber es zieht nur einer kurzzeitig aus und andere Personen werden das Haus zusätzlich bevölkern“, meinte Daniel schlicht. Dustin sah ihn verständlicherweise nicht verstehend an und Daniel beschloss, deutlicher zu werden. „Fei kommt spontan auf einen Besuch vorbei, nachdem ich heute Nacht versehentlich an Serdalls Handy gegangen bin“, erklärte er und wusste, dass Dustin verstehen würde, was das für Konsequenzen hatte. Schließlich kannte er Serdalls Bruder auch ein wenig. Sofort riss Dustin die Augen auf.
 

„Du machst Witze!“, meinte er ungläubig und sah zu seinem Schwager, der betrübt auf seine Finger starrte. Dustin schüttelte fassungslos den Kopf. Er wollte eigentlich nicht noch einmal auf Kikuchi treffen, ganz besonders jetzt nicht, wo es mit Ethan so gut lief. Und überhaupt, es würde eh eine angespannte Atmosphäre herrschen, wenn Fei wusste, dass Serdall im Moment so ziemlich gar nicht an einer Frau interessiert war. Er hielt es wirklich für eine gute Entscheidung, dass Daniel vorerst nicht auf Fei traf. Allein der letzte Besuch und ihr Aufeinandertreffen waren in einer Katastrophe geendet.
 

„Na das wird lustig“, murrte er genervt und setzte sich an den Tisch, um seinen Kopf in die Hand zu stützen.
 

„Oh ja, und wie lustig das wird“, knurrte Daniel genervt, während er etwas zu heftig in der angesetzten Tomatensoße rührte, die er schnell zusammengepanscht hatte. Er konnte auf noch einen Miesmacher verzichten. Es würde alles gut werden und fertig.
 

„Er bleibt hoffentlich nicht lange“, warf Serdall ein. Mehr als drei Tage würde er auch nicht ohne Daniel auskommen. „Das ist schließlich immer noch mein Haus“, murrte er langsam missgestimmt. Jetzt, wo sich der erste Schock gesetzt hatte, fühlte er einfach nur leise Wut. Was sich Fei eigentlich einbildete. Er war ja wohl selbst erwachsen genug und Fei brauchte nicht über ihn zu bestimmen. Dazu hatte er ja seine ganzen treu ergebenen Männer. Serdall hatte nicht umsonst den Großteil des Geldes von seinem Vater geerbt, damit er eben nicht die ganze Yakuzahierarchie erdulden musste.
 

Daniel nickte zustimmend. Warum sollte Serdall sich überhaupt seinem Bruder fügen und unterwerfen? Schön, dann war Fei der Boss von einem ganzen Haufen Yakuzas, aber hier in Deutschland hatte Serdall das Ruder in der Hand. Wenn er wollte, konnte er seinen Bruder ganz legal einfach vor die Tür setzten. Es stellte sich ohnehin die Frage, warum Serdall so oft vor seinem Bruder den Schwanz einzog.
 

„Genau“, knurrte Daniel jetzt. „Wenn er frech wird, fliegt er raus.“ Dustin lachte befreit auf.
 

„Das möchte ich sehen. Kampf der Giganten. Fei gegen Serdall, wer wird das Haus schlussendlich beherrschen?“, meinte er in einer dieser Kommentator-Stimmen und wich dem geworfenen Bonbon von Serdall aus. Grinsend streckte der Blonde Serdall die Zunge heraus. „Du wirst das schon hinkriegen, Serdall. Aber nimm es mir nicht übel, mein Wetteinsatz geht auf Fei.“
 

„Tu, was du nicht lassen kannst“, murrte Serdall. Er war jedoch froh, dass Dustin die Stimmung ein wenig auflockerte. In den letzten Stunden hatte Serdall sich viel zu sehr in seine Befürchtungen gestürzt, als dass er einmal vernünftig über die Situation nachgedacht hätte. Auch wenn Fei ein Problem damit hatte, dass er nicht wieder heiraten wollte, konnte er ihn schlussendlich nicht zwingen. Und wenn Fei ihn vor ein Ultimatum stellen würde, in dem es um ihn oder Daniel gehen würde, wüsste Serdall die Antwort sofort. Fei würde den nächsten Flieger wieder zurück nach Japan nehmen, dort wo er ja auch die meiste Zeit war. Daniel war ihm wichtiger als sein Bruder, der sich nur in seine Angelegenheiten einmischen wollte. Eine japanische Frau wäre nur ein Mittel, um ihn mehr unter seine Kontrolle zu bringen und das wollte Serdall vermeiden. Sein Leben, seine Entscheidung. Punkt.
 

Befreit lächelte Daniel. Es war gut, dass es doch noch stimmungstechnisch bergauf ging, bis Fei ankam. So hatte Serdall zumindest kein mentales Defizit, wenn er seinem Bruder gegenübertrat.
 

„So, kommt ihr dann Essen?“, fragte Daniel, als die Nudeln gar waren. „Sonst bin ich doch noch hier, wenn Fei ankommt.“
 

Serdall stand auf, ging zu Daniel und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Sobald sie saßen, schob er seinen Fuß zu Daniels Bein und strich zärtlich daran auf und ab. Bevor die große Durststrecke ohne Daniel kam, wollte er noch ein paar Zärtlichkeiten von ihm bekommen. Daniel munter zulächelnd begann er zu essen, als er sich aufgetan hatte.
 

Dustin seufzte resigniert auf. Das würde hart für die beiden werden. Er wusste doch, wie sehr Serdall und Daniel schon aneinander hingen. Und irgendwie ahnte er, dass Serdall in den nächsten Tagen sehr schlecht gelaunt sein würde. Dustin beschloss, sich lieber den größten Teil der Zeit in anderen Räumen aufzuhalten, in denen Serdall nicht war. Er hatte kein gesteigertes Interesse Serdalls unleidliche Art wieder zu spüren zu bekommen. Er war Daniel insgeheim sehr dankbar, dass er solche eine positive Wirkung auf den Violinisten hatte. Die Jahre nach Louises Tod waren wohl die Härtesten, die er mit Serdall erlebt hatte.
 

Relativ schweigend und unterbrochen vom Austausch weiterer Zärtlichkeiten beendeten sie das Essen. Serdall zeigte guten Willen und brachten die schmutzigen Teller zur Spülmaschine, während Dustin und Daniel sich um den Rest der Küche kümmerten. Einige Zeit später standen sie sich dann im Flur gegenüber. Daniel kam sich so vor, als würde er für eine lange, unbestimmte Zeit ins Ausland verreisen, unerreichbar für Serdall und andere.
 

„Macht’s gut“, meinte er leise und sah etwas betreten auf seine Fußspitzen. „Wir telefonieren heute Abend, in Ordnung?“ Im nächsten Moment schloss Serdall fest die Arme um ihn.
 

„Ja, tun wir“, meinte er leise. „Pass auf dich auf und vergiss nicht, dass du deinen Kopf nicht nur zur Zierde trägst, ja?“ Er vertraute Daniel, in jeglicher Hinsicht, aber den anderen Menschen eben nicht. Daniel war ein hübscher, junger Mann und Serdall wünschte sich in diesem Moment, dass er Daniel wirklich damals den Elektroschocker gekauft hätte, nachdem Dustin ihn geküsst hatte. Diese Gedanken beiseite schiebend umfasste er Daniels Kinn und drehte sein Gesicht so, dass er ihm in die hellblauen Augen sehen konnte. „Ich liebe dich“, flüsterte er und küsste Daniel tief und lange.
 

„Ich liebe dich auch“, raunte Daniel zwischen zwei Küssen zurück und umarmte Serdall dann noch einmal. „Man, wir machen eine ganz schöne Szene daraus, obwohl wir uns heute Abend schon wieder hören und du mich bestimmt mal besuchen kommst. Ganz davon abgesehen, dass ich in ein paar Tagen wieder hier sein werde“, meinte Daniel leise lachend. Dustin wirkte auch äußerst amüsiert. Serdall seufzte leise.
 

„Mir egal. Ich vermisse dich jede Sekunde, die du nicht bei mir bist“, murrte er, ließ seinen Kopf in Daniels Halsbeuge fallen und genoss kurz die Wärme von seinem Körper. Er zwang sich innerlich zu Ordnung und ließ von Daniel ab. Sogleich rammte er seine Hände in seine Hosentaschen und sah schief lächelnd zu Daniel. „Tschüss“, meinte er ruhig. „Sonst kommst du hier wirklich nicht mehr weg.“
 

Kurz seufzte Daniel auf und trat dann einen Schritt von Serdall weg.
 

„Ja, da hast du wohl recht“, erwiderte er und grinste ziemlich verunglückt. Sein Blick fiel auf Dustin. Auch ihn umarmte Daniel noch einmal. So verrückt der Typ auch war, Daniel würde es vermissen, wenn Dustin ihn nicht mehrmals am Tag neckte. „Bis bald“, verabschiedete er sich jetzt auch von Serdalls Schwager und ging dann zur Tür hinaus. „Wehe, du vergisst mich anzurufen!“, rief er Serdall noch zu und stieg dann in Serdalls Wagen, den er sich für die paar Tage, bis sein eigenes Auto wieder heil war, nehmen sollte.
 

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Daniel klingelte an der Haustür. Wo er seinen Schlüssel hingetan hatte, wusste er im Moment beim besten Willen nicht mehr und er hatte vorhin weder Lust noch Gelegenheit oder Zeit gehabt, danach zu suchen. Aber es wäre ohnehin egal, ob seine Mutter ihn jetzt selbst reinlassen würde oder er auf einmal im Flur stand. Die Überraschung wäre immer groß.
 

„Was machst du denn hier?“, kam auch gleich die entsetzte Frage, als seine Mutter ihm die Tür öffnete. Ihre erste Verwunderung wandelte sich schon nach wenigen Sekunden in Besorgnis, als sie seine Reisetasche sah. „Oh nein, sag nicht, dass ihr Zwei Streit miteinander habt.“
 

„Nein, das ist es wirklich nicht“, meinte Daniel doch etwas erleichtert. Wenigstens war nur Fei zu Besuch. Gerade kam es Daniel so vor, als sei das tatsächlich das kleinere Übel, wenn man dem auf der anderen Seite einen heftigen Krach mit Serdall gegenüber stellte. „Serdalls Bruder kommt hier in die Stadt und wir beide können uns auf den Tod nicht ausstehen. Das haben wir schon das letzte Mal festgestellt, als er nach Deutschland gekommen ist. Also habe ich auch für Serdalls Wohl beschlossen, mich ein paar Tage hier einzuquartieren, damit der Haussegen unseretwegen nicht schief hängt.“
 

Daniel bewunderte sich für diese Ausrede. So weit weg war das gar nicht von der Wahrheit. Zumindest musste er kein schlechtes Gewissen haben, dass er seiner Mutter nicht alles sagte. Sie würde es ohnehin wohl lieber haben, wenn sie nicht alles wusste. Wer wollte schon erfahren, dass der Bruder des Freundes des Sohnes der Boss eines Yakuzaclans in Japan war?
 

„Und wie lange hast du vor zu bleiben?“, fragte Daniels Mutter und ließ ihn erst einmal hineinkommen. Seit sie den ersten Schreck überwunden hatte, machte sich etwas Freude in ihr breit. Wie lang war es schon her, dass sie Daniel mal mehr als ein paar wenige Stunden bei sich gehabt hatte?
 

„Ich weiß nicht“, erwiderte Daniel zögerlich. „Es kommt darauf an, wie lange Fei bleiben will. Und da er recht kurzfristig durch eine Art Kurzschlussreaktion aufgebrochen ist, weiß er wohl selbst nicht, wie lange er hier in Deutschland bleibt.“
 

„Wahrscheinlich will er einfach seinen Bruder mal wieder sehen, was?“, tippte seine Mutter und Daniel verzog leicht die Mundwinkel.
 

„Ja, so könnte man es auch nennen“, meinte er. Er schleppte seine Tasche ins Wohnzimmer und machte es sich mit seiner Mutter auf der Couch gemütlich.
 

„Das muss spannend sein, einfach mal so spontan den Entschluss zu fassen, sich in das Flugzeug zu setzen und aus Japan wegzufliegen.“ Daniels Mutter hatte Sternchen in den Augen und Daniel schüttelte missmutig den Kopf.
 

„Ja, unglaublich spannend“, grummelte er.
 

„Du kannst ihn wirklich nicht sonderlich leiden, wie es scheint“, stellte seine Mutter fest und Daniel zuckte mit den Schultern.
 

„Es war schon immer so. Das Gegenteil von Liebe auf den ersten Blick, würde ich mal so sagen. Wir hatten auch die ein oder andere Auseinandersetzung. Uns sollte man wohl echt nicht in einem Raum allein lassen. Deswegen bin ich ja jetzt auch hier.“
 

„Aber du weißt, dass hier kein Bett mehr für dich frei ist. Du musst dir wohl oder übel eine Couch suchen. Entweder du schläfst hier im Wohnzimmer oder du gehst in dein altes Zimmer, das Charline sozusagen zu ihrer kleinen Lobby gemacht hat.“ Seine Mutter sah ihn entschuldigend an.
 

„Kein Problem“, wiegelte Daniel ab. „Warum sollte mein Zimmer auch noch so bleiben wie es ist, wenn ich schon seit einem Jahr ausgezogen bin? Es hätte ja keiner damit rechnen können, dass ich noch mal für ein paar Tage hier übernachten muss. Solange du ein Kissen und eine Decke für mich hast, bin ich glücklich.“
 

„Natürlich. Ich mach dir gleich mal was fertig.“ Mit diesen Worten verschwand seine Mutter aus dem Raum und Daniel streckte seufzend seine Beine. Nun war es also amtlich und er wohnte wieder für die nächsten Tage bei seiner Familie. Irgendwie vermisste er Serdall jetzt schon und würde ihn am liebsten anrufen. Aber Daniel sagte sich, dass es momentan ohnehin nichts bringen würde und Serdall gerade mit anderen wichtigen Dingen beschäftigt war. Er würde sich heute Abend melden, das würde reichen. Daniel stand auf und ging in den Flur, um seine Reisetasche vorerst dort in die kleine Abstellkammer zu bringen.
 

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Allein saß Serdall im Wohnzimmer. Dustin hatte sich bereit erklärt, Taki vom Karateunterricht zu holen. Nun wartete Serdall darauf, dass Fei hier ankommen würde. In ihm baute sich langsam eine gereizte Anspannung auf. Wie würde ihr Aufeinandertreffen überhaupt ablaufen? Serdall war sich sicher, dass Fei sich in seiner Ehre verletzt fühlte. Sein Handeln bestätigte das so an sich nur.
 

Seufzend ließ Serdall seinen Kopf in den Nacken fallen. Er versuchte sich Mut zuzusprechen, um dieser Diskussion mental bereit gegenüberzutreten. Mücke legte fiepend ihre Schnauze auf Serdalls Bein. Mit einem Auge linste er zu dem schwarzen Labrador Retriever und strich ihr über den Kopf. Kimba lag vor seinen Füßen und schien zu schlafen. Er fand es schön, dass die beiden sich so vor ihm positioniert hatten. Als ob sie verstehen würden, dass er sich gerade unwohl fühlte. Serdall beschloss, das Ganze einfach auf sich zukommen zu lassen. Fei würde er schon irgendwie beruhigen und zur Einsicht bringen.
 

Erschrocken zuckte Serdall zusammen, als es an der Haustür Sturm klingelte. Den Klos in seinem Hals herunterschluckend stand Serdall auf. Kimba und Mücke taten es ihm gleich, aber sie hetzten nicht zur Tür, sondern blieben an seiner Seite. Die Hundeschule hatte wirklich das Beste aus den beiden herausgeholt. Serdall strich ihnen noch einmal über die Köpfe, ehe er die Hände zu Fäusten ballte, als er zur Haustür ging, an der es immer noch unverschämt lange klingelte. Serdall hielt am Bücherregal an. Er griff nach dem blauen Einband und beförderte sein Springmesser, das er immer noch dort aufbewahrte, heraus und steckte es sich in die hintere Hosentasche. Fei war zwar sein Bruder, trotzdem vertraute er der Yakuza am heutigen Tag sicher nicht.
 

Er führte seinen Weg fort und stand einen Moment regungslos vor der Tür. Tief durchatmend fasste er nach der Klinke und drückte sie herunter. Fei stand kalt blickend vor ihm. Sofort stellte sich auch bei Serdall dieser Ausdruck ein. Hier würde sicherlich kein Kaffeekränzchen seinen Anfang finden.
 

„Guten Abend, Fei“, sagte er emotionslos. Serdall ließ den Blick nicht über die übrigen Anwesenden schweifen, jetzt hieß es Fei standhalten. „Ich bin hoch erfreut dich hier zu sehen“, fuhr Serdall fort und baute eine eiserne Beherrschung in sich auf. Er würde hier den Ton angeben. Kurz verbeugte sich Serdall vor Fei, jedoch hielt er den Augenkontakt bei. Er sah es seinem Bruder an, dass er um seine kühle Fassung rang. Serdall wusste, dass sein Temperament in ihm hochbrausen wollte. Es war ein Laster der Agamies, dass sie meist zu emotional waren, aber mit viel Disziplin hatte Fei es erfolgreich niedergerungen. Dafür hatte er nun eine gewisse Unberechenbarkeit erlangt, die jeder fürchtete, genauso wie sein Gedächtnis, das nie etwas zu vergessen schien. Es zuckte in Feis Mundwinkel und Serdall spannte sich augenblicklich an.
 

„Serdall, was für eine vornehme Begrüßung“, sagte der Yakuza kalt und trat einen Schritt auf Serdall zu. Dieser wich keinen Zentimeter zurück, auch nicht, als Fei die Arme ausbreitete und ihn kurz umarmte. Serdall ließ es wortlos geschehen, regte sich nicht. „Ich bin auch froh hier zu sein“, flüsterte er an Serdalls Ohr. „Es wird mir auch eine Freude bereiten, Herrn Erhard zu begrüßen“, sagte er kalt und ließ wieder von Serdall ab. Dem Violinisten lief ein unwillkommener Schauer über den Rücken, er behielt aber seine steinerne Maske bei. Falsch lächelnd trat Serdall beiseite und wies mit seiner Linken ins Hausinnere.
 

„Komm doch bitte erst einmal herein, Fei“, sagte er freundlich. Er würde sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Fei legte sich mit dem Falschen an.
 

Nickend trat sein Bruder an ihm vorbei, dicht gefolgt von Kikuchi, der dem Yakuzaoberhaupt den weißen Mantel von den Schultern nahm und ihn an die Garderobe hängte. Serdall krampfte der Magen, als eine japanische Frau sich tief vor ihm verbeugte und ihn mit einem unschuldigen Wimpernschlag bedachte. Das war nach Feis Ansicht wohl seine Zukünftige. Serdall schenkte ihr einen bitterbösen Blick aus blaugrünen Augen und sie wandte sich sogleich ab, um Fei zu folgen.
 

Feis Bodyguards gingen zurück zu dem Wagen, mit dem sie hergekommen waren. Ein weißes Importmodell. Abschätzig verzog Serdall nun den Mund. Fei war mit seinem Mafiawagen hier. Dieser Besuch war wirklich ein Yakuza gerechter. Serdall unterdrückte sofort die Unruhe, die sich in ihm aufbauen wollte, und folgte seinen Gästen, die sich ins Wohnzimmer zurückgezogen hatten. Er wurde innerlich wütend als er sah, wie Fei sich in seinem Haus verhielt. Sein Bruder saß selbstgerecht im Sessel. Zu seiner Linken stand artig die junge Japanerin und zu seiner Rechten pflichtbewusst Kikuchi, Feis Auftragskiller.
 

Kimba und Mücke folgten Serdall, als er sich Fei gegenüber auf das Sofa setzte. Die beiden Hündinnen beobachteten die ihnen Unbekannten mit argwöhnischem Blick und ließen sich wie zwei Säulen vor Serdalls Beine nieder. Fei rief mit einem Finger Kikuchi zu sich herunter. Der Assassine beugte sich zu seinem Boss herab und Fei flüsterte ihm etwas ins Ohr. Serdall beobachtete wie Kikuchi nickte und dann mit der jungen Japanerin aus dem Raum ging. Stumm sahen sich die Brüder einen Moment lang an, nachdem die Tür hinter der Frau zugefallen war.
 

„Serdall“, begann Fei und beendete somit die greifbare Stille. „Ich glaube du weißt, warum ich hier bin.“
 

„Um deinen Neffen und mich zu besuchen“, erwiderte der Violinist kalt. Er würde Fei den Ball in diesem kleinen Machtkampf nicht zuspielen. Serdall wollte einfach nur, dass Fei wieder verschwand. Mücke und Kimba legten sich wieder anmutig zu Serdalls Füßen und kurz glitt Feis Blick auf die Tiere. Serdall war irgendwie froh, dass er Fei nicht ganz allein gegenüberstand, auch wenn sein Beistand nur aus den beiden Hündinnen bestand.
 

„Das auch“, gab Fei nach. „Aber ich hatte gehofft, auch deinen Freund zu treffen. Daniel? Hieß er nicht so?“, fragte er und musterte Serdall.
 

„Entschuldige, aber er ist leider nicht zugegen“, erwiderte Serdall und lehnte sich zurück, ohne aber seine körperliche Spannung zu verlieren.
 

„Ich will offen zu dir sein“, meinte Fei brüderlich. „Du hast in meinen Augen dein Gesicht verloren.“
 

Serdall schluckte. Wollte ihm Fei nun wirklich als der Yakuza gegenübertreten, der er war, und nicht als sein Bruder?
 

„Habe ich das?“, stellte Serdall auf stur und sah seinen Bruder auffordernd an.
 

„Sonst würde ich es nicht sagen“, zischte Fei. Serdall zog überrascht eine Augenbraue nach oben. Feis Geduld schien aufgebraucht zu sein.
 

„Möchtest du auch etwas zu trinken?“, fragte Serdall freundlich und stand auf, um sich einen Scotch zu holen. Er wusste, dass er Fei übermäßig reizte. Sein Bruder wollte, dass er sich entschuldigte, um Vergebung oder etwas in der Art bat, doch Serdall sah nicht ein, dies zu tun, auch wenn es Fei anders von seinen Untergebenen gewohnt war.
 

Fei blieb still sitzen, als der Violinist zum Barschrank schritt. Gerade als Serdall noch am Schrank stehend den ersten Schluck tat hörte er, wie Fei sich plötzlich erhob. Sofort setzte Serdall das Glas in seiner Hand ab und drehte sich um. Ein fester Faustschlag traf ihn an der Wange und ließ ihn in die Knie gehen. Keuchend schöpfte er Atem, versuchte die Situation zu realisieren. Aus einem Instinkt heraus griff er zu seiner Hosentasche, um das Springmesser mit einer Hand zu umschließen. Fei schubste ihn kräftig zur Seite, sodass er der Länge nach auf den Rücken fiel. Sofort war sein Bruder über ihm, drückte mit einer starken Hand seine Kehle zusammen. Serdall schaffte es erst nicht das Messer aus seiner Tasche zu ziehen, weil er nun darauf lag. Feis dunkelbraune, fast schwarze Augen sahen ihm kalt ins Gesicht, während Serdall krampfhaft versuchte ruhig zu bleiben und mit zitternden Fingern langsam das Springmesser aus seiner Tasche zu Tage förderte, noch ungesehen von Fei.
 

„Du hast die Familienehre beschmutzt. Wie kannst du es nur wagen, dich mit einem Mann im Bett zu vergnügen?“, knurrte Fei mit tiefer Stimme und beugte sich tiefer zu Serdall, der vor Atemnot langsam rot im Gesicht wurde. „Serdall“, zischte er bebend und näherte sein Gesicht dem seines Bruders. „Ich werde ihn töten, wenn er sich dir noch einmal nähert, verstanden?“
 

Endlich schaffte es Serdall sein Messer so in seiner Hand zu drehen, dass er es aus dem Schaft springen lassen konnte. Das Metall blitzte im Licht der Glühlampe, als er es Fei hart an den Kehlkopf drückte. Feis Mundwinkel zuckten angewidert, doch er verringerte den Druck auf Serdalls Hals. Zitternd schöpfte Serdall Atem. Sein ganzer Kopf pochte vor brennendem Schmerz. Seine Wange kribbelte qualvoll und seine Kehle war staubtrocken. Dennoch blieb er beherrscht, versuchte alles auszublenden, als er Fei in die böse blickenden Augen sah.
 

„Geh nach Japan zurück, wenn du jemandem etwas befehlen willst“, fauchte er leise und heiser. „Mein Bruder ist hier willkommen, aber nicht der Oyabun von Kyoto.“ Serdall drückte das Messer stärker gegen Feis Kehle, sodass er langsam zurückwich und die Hände von Serdalls Hals nahm. Serdall kämpfte sich langsam mit Fei in die Höhe, bis sie sich gegenüberstanden und Serdall das Metall immer noch drohend an Feis Haut hielt. Serdalls Bruder schien zu überlegen. Sie hatten sich noch nie so verhalten. Er hatte Serdall ihm gegenüber noch nie so erlebt.
 

„Dieser Mann ist dir wichtiger als ich?“, fragte Fei mit unterdrückter Wut in der Stimme. Serdall leckte sich über die Lippen. Er konnte es nicht sagen… Er würde seinen Bruder endgültig verlieren, wenn er es tat.
 

„Du bist etwas Anderes als er“, flüsterte Serdall nun ruhiger, ließ jedoch nicht seine Waffe sinken.
 

„Ich bin ein richtiger Mann“, zischte Fei übellaunig. „Er ist nur ein minderwertiger Mensch, der nicht in der Lage ist, eine Frau zu beglücken.“
 

Wut kochte in Serdall hoch. Er drückte das Messer stärker gegen Feis Kehlkopf. Jemanden so über Daniel reden zu hören, machte ihn rasend vor Zorn.
 

„Dann bin ich genauso minderwertig, wie er“, flüsterte Serdall drohend und verringerte die Distanz zu Feis Gesicht. „Ich liebe ihn nämlich“, surrte er mit schmalen Augen und lächelte leicht, als er sah, wie Fei erstarrte. Der Oyabun schluckte sichtlich und Serdall war irgendwie erleichtert. Er hatte es Fei gesagt, auch wenn es eine bescheidene Situation war.
 

„Das werden wir noch sehen“, zischte Fei plötzlich. Serdall sah nur, wie sein Bruder etwas hinter Serdall ansah. Blitzschnell verlor Serdall sein Messer. Es ging scheppernd zwischen ihnen zu Boden, als zwei Arme effektiv Serdalls Hände griffen und sie hinter seinen Rücken pressten. Ein schwaches Aftershave kroch Serdall in die Nase, als sich jemand näher an ihn drückte, um ihn vor Fei in die Knie zu zwingen. Eine schallende Ohrfeige traf seine schon schmerzende Wange. Serdalls Kopf flog mit in die Schlagrichtung. Er stöhnte vor Schmerz, biss sich jedoch im selben Moment auf die Zunge. Fei stand selbstgefällig über ihm. Serdall musste seinen Kopf heben. Wütend verzog er die Augenbrauen und blitzte Fei aus seinen blaugrünen Augen an.
 

„Ich werde dafür sorgen, Serdall“, flüsterte Fei zufrieden, beugte sich zum Ohr seines Bruders, „dass du wieder vernünftig wirst.“ Serdall ruckte vor und lehnte sich nah an Feis Gesicht, als dieser sich wieder entfernen wollte.
 

„Dann bist du nicht mehr mein Bruder“, zischte Serdall kalt.
 

„Wer weiß. Aber vielleicht dankst du mir auch irgendwann für meine Großzügigkeit. Dass ich mich dennoch um dich kümmere, obwohl du so ungehobelt bist.“ Fei ging zu Serdalls Barschrank und nahm sich das Glas, aus dem sein Bruder vor ein paar Minuten noch getrunken hatte. Grinsend trank er seinen Schluck und sah süffisant zu Serdall. „Übrigens, deinen kleinen Freund finde ich auch noch. Wozu gibt es denn Detektive?“
 

Entsetzt riss Serdall die Augen auf.
 

„Lass ihn in Frieden, Fei!“, schrie er ihn an. Die Angst um Daniel besetzte wieder seinen Körper. Fei würde ihn wirklich töten!
 

„Warum sollte ich das tun?“, erwiderte der Oyabun ruhig und beugte sich wieder zu seinem Bruder. Sanft strich er ihm eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn. „Ich wüsste nicht, dass ich auf dich hören müsste“, meinte er lächelnd.
 

Serdall ließ den Kopf hängen. Was sollte er bloß tun? Wie sollte er Daniel vor Fei bewahren? Er wusste es nicht. Seine Gedanken waren ein einziger Wust aus Befürchtungen, Sorgen und Angst um Daniel.
 

„Serdall“, Fei legte einen Finger unter das Kinn des Violinisten und zwang ihn so, ihn wieder anzusehen. „Ich will nur das Beste für dich“, flüsterte er brüderlich. „Versprich mir, dass du vernünftig werden willst.“
 

„Das kann ich nicht“, hauchte Serdall. Er konnte dieses Versprechen nicht geben, nicht, wenn er dafür Daniel aufgeben musste.
 

„Dann muss er sterben, Serdall“, drohte Fei leise und strich ihm zärtlich über die Wange.

Alles krampfte sich in Serdall zusammen, als er diese Worte hörte. Fei war absolut ernst und dies verstärkte Serdalls Angst nur noch. Er wollte nicht, dass Daniel getötet wurde! Egal, was es kostete, er wollte Daniel nur am Leben wissen, auch wenn er sich selbst bei dieser Entscheidung einen halben Todesstoß gab.
 

„In Ordnung“, ergab sich Serdall und wandte den Blick von Fei ab. „Aber dafür lässt du ihn in Ruhe“, forderte er leise.
 

„Einverstanden“, rief Fei erfreut und bedeutete Kikuchi, Serdall loszulassen. „Nun können wir meinen Besuch doch angemessen feiern!“
 

Serdall nickte matt. Er fühlte absolut gar nichts mehr. Er konnte gar nichts fühlen, weil er diese Situation noch gar nicht richtig realisiert hatte. Hatte er Fei wirklich gerade zugestimmt? Daniel aufgegeben? Übelkeit breitete sich sofort in ihm aus. Würgend lief er aus dem Zimmer. Fei und Kikuchi ließen ihn glücklicherweise und er schloss sich im Bad ein. Nach und nach begann er zu zittern, als er gekrümmt über der Toilette hing. Das war einfach nur ein schlechter Albtraum.
 

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Sorgenvoll sah Daniel auf die Uhr. Es war schon fast zehn und Serdall hatte sich noch immer nicht gemeldet. War Fei noch nicht da? Ob der Flug Verspätung hatte? Oder waren sie noch am Reden? Hatten sie womöglich Streit? Sich leise aufschreiend durch die Haare fahrend griff Daniel nach dem Telefon. Egal was war, er wollte und konnte jedenfalls nicht länger warten. Wenn er gerade irgendein wichtiges Gespräch unterbrach, war das halt Pech. Aber Serdall hatte ihm versprochen, dass er ihn heute Abend noch anrufen würde und es war schon seltsam, dass er sich nicht zumindest bei ihm gemeldet hatte, um zu bestätigen, dass alles in Ordnung war.
 

Daniel wählte er die Nummer von Serdalls Handy, doch das war ausgeschaltet. Wahrscheinlich hatte der Schreck von heute Nacht seine Spuren hinterlassen oder er wollte einfach nicht gestört werden. Mit den Schultern zuckend rief Daniel auf dem Haustelefon an. Wieder Erwarten ging Dustin ans Telefon.
 

„Canter“, nuschelte der Lehrer minder begeistert in den Hörer und signalisierte so schon einen gewissen Unmut.
 

„Hey Dustin, hier ist Daniel. Ist alles okay bei euch?“ Leicht nervös spielte Daniel mit einer Falte seiner Hose.
 

„Hey du“, murmelte Dustin. „Naja, geht so. Die Japaner besetzen die erste Etage und Fei scheint ziemlich gut gelaunt zu sein. Keine Ahnung, die reden da nur noch Japanisch. Ist voll nervig“, murrte er. Er zählte selbst schon die Stunden, bis die Yakuzas wieder abgereist waren. Auch die Tatsache, dass Kikuchi ihn unmissverständlich angesehen hatte, obwohl er Ethan am Arm gehabt hatte, machte die Situation nicht sehr einfach.
 

Daniel atmete kurz hörbar aus. Er wusste nicht, ob er über diese Information glücklich sein sollte oder nicht. Es war klar, dass Fei nicht gerade glücklich über sein neu gewonnenes Wissen war, sonst wäre er garantiert auch nicht nach Deutschlang gekommen. Zumindest nicht so plötzlich und überstürzt. Dass es eine Zeit lang recht laut im Haus war, war abzusehen gewesen. Hoffentlich glätteten sich die Wogen bald. Aber warum war Fei jetzt gut gelaunt?
 

„Ich denke, du kannst mir Serdall nicht geben, was?“, fragte er Dustin hoffnungslos. „Wann sind die da unten denn fertig?“
 

„Ich denke nicht“, sagte Dustin und kratzte sich am Kopf. „Ehrlich Daniel, ich will dich nicht beunruhigen, aber ich glaube, dass Fei richtig Ernst machen will hier. Der hat sogar eine Japanerin mitgebracht, die das Essen kocht und sich mit Taki anfreundet.“
 

„Er hat was?“, rief Daniel perplex. Dass Fei mit der Situation nicht klarkam, war wohl jedem von ihnen bewusst gewesen, aber dass er Serdall tatsächlich wieder einhundertprozentig hetero machen und ihn in eine Zwangsehe drängen wollte, damit hatte wohl keiner gerechnet.
 

„Serdall lässt sich doch nicht darauf ein, oder?“ Zwar glaubte Daniel nicht daran, aber er wollte sich zumindest erkundigt haben. Immerhin waren bei ihm zu Anfang auch zwei wichtige Punkte gewesen, dass er gut mit Taki klarkam und kochen konnte. Auch wenn das jetzt wohl hundertmal nicht reichen würde, um Serdall von ihm weg und in die Arme dieser Frau zu treiben.
 

„Das glaubst du doch selber nicht“, zischte Dustin und strich sich durch die Haare. Er ging mit dem schnurlosen Telefon in sein Zimmer und setzte sich zu Ethan auf sein Bett. Sein Freund kam zu ihm gekrochen und legte den Kopf auf seinen Schoß. „Serdall sieht eher so aus, als ob er gleich Amok läuft und als ob er sich einen Ringkampf mit Fei geliefert hätte. Da prangt ein ganz schön blaues Ding an seiner Wange, sieht echt unschön aus.“
 

„Fei hat ihn geschlagen?“ Daniel musste den Impuls unterdrücken sofort aufzuspringen und zu Serdall zu fahren. Mit dieser Aktion wäre keinem von ihnen geholfen und er würde vermutlich alles nur noch verschlimmern. Trotzdem würde er Fei für diese Aktion am liebsten den rechten Arm brechen. Hauptsache, der Kerl war auch Rechtshänder. „Dustin, kannst du denn da nicht als neutrale Person hingehen, damit die Zwei miteinander reden, statt sich zu prügeln?“, bat er flehentlich.
 

„Daniel“, sagte Dustin ruhig. „Das war alles schon vorbei, als ich mit Taki vom Karatetraining zurückgekommen bin. Jetzt scheinen die alle ganz entspannt zu sein. Nur kommt es mir irgendwie so vor, als ob Fei Serdall nicht mehr aus den Augen lässt. Ich habe bisher kein Wort mit ihm reden können“, murrte er nicht begeistert. Er wollte Daniel nicht erzählen, wie schlecht Serdall wirklich aussah. Schrecklich blass und irgendwie kraftlos. Er machte sich wohl schon genug Sorgen. Dustin hoffte nur, dass er morgen dazu kam mit Serdall zu reden oder vielleicht später noch einmal.
 

„Nun, solange er ihm nicht noch mehr blaue Flecken verpasst…“, murmelte Daniel unbestimmt. Zumindest schienen beide schon ihre Ansichten klargemacht zu haben. Was weiter passieren würde, zeigte sich wohl in den nächsten Tagen. Dass Fei skeptisch war, war irgendwie klar. Hauptsache er sah möglichst schnell ein, dass Serdall mit Daniel wirklich glücklich war und flog wieder nach Hause.
 

„Sag Serdall, dass ich morgen nochmal anrufe oder er sich bei mir melden soll. Und wünsche ihm von mir eine gute Nacht“, bat Daniel.
 

„In Ordnung. Ich werde es ihm ausrichten.“ Dustin zog zischend die Luft ein. Ethan begann doch tatsächlich seine Hose zu öffnen. „Ethan“, flüsterte er leise mahnend, stöhnte jedoch heiser, als sein Freund tatsächlich begann, ihm einen zu blasen. „Also bis dann“, meinte Dustin gepresst. „Mach dir nicht zu viele Sorgen“, sagte Dustin noch beherrscht.
 

Daniel konnte gar nicht mehr antworten, da hatte Dustin schon aufgelegt. Er schnaubte. In solchen Situationen würde er Ethan am liebsten auf den Mond schießen. Schön und gut, dass es in sexueller Hinsicht zwischen ihm und Dustin so gut lief, aber musste er seinen Freund ausgerechnet befummeln, wenn er mit Daniel telefonierte? Dann auch noch in solch einer Situation?
 

Missgelaunt ließ Daniel sich auf sein Bett zurückfallen. Er hatte nichts von dem erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Er wusste nicht wirklich, was genau bei Serdall im Haus vorfiel. Alles, was Dustin ihm gesagt hatte, war recht schwammig und stützte sich meist auf Vermutungen. Außerdem hatte Daniel Serdall nicht sprechen können. Noch nicht mal ein gute Nacht Gruß war drin gewesen.
 

Seufzend erhob Daniel sich wieder. Er sollte aufhören zu grübeln und sich bettfertig machen. Schließlich musste er morgen noch einmal vor dem Wochenende zur Uni. Danach würde er hoffentlich auch mit Serdall telefonieren können. Wenige Minuten später lag er doch recht müde im Bett. Zwanghaft schaltete Daniel seine Gedanken ab und fiel schnell in einen leichten, recht unruhigen Schlaf.
 

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Schweigend saß Serdall auf dem Sofa und streichelte Kimba, die ihre Schnauze auf sein Bein abgelegt hatte. Taki lag schon im Bett. Er hatte kaum mit ihm gesprochen, weil sein Sohn sich so sehr mit Fei und der Japanerin beschäftigt hatte. Mittlerweile wusste Serdall auch ihren Namen. Yoshiko. Er sah sie aus Prinzip nicht an, obwohl sie neben ihm saß. Fei saß ihm gegenüber im Sessel, während Kikuchi an der Terrassentür stand, die für die Hunde geöffnet war, damit sie noch ein bisschen im Garten toben konnten. Mittlerweile war es auch schon sehr dunkel draußen und Serdall erhob sich wortlos, um Mücke hereinzurufen und nun die Terrassentür zu schließen. Kein Gedanke manifestierte sich in Serdall. Die letzten Stunden lief er nur noch wie aufgezogen Fei hinterher, der es ausnutzte, dass Serdall ihm nun keinen Widerstand mehr leistete.
 

„Serdall“, rief Fei ihn herbei und Serdall blieb neben seinem Sessel stehen. „Spielst du noch etwas für uns? Es wäre schön, deine Geige heute noch einmal zu hören.“
 

Emotionslos blickte Serdall seinem Bruder in die Augen. Vergiss es, dachte er sich trotzig. Seine letzte Ehre ließ er sich nicht nehmen und von Fei auch nicht bestimmen. Außerdem war er sich sicher, dass er nicht einmal vernünftig nach Noten spielen könnte, so wie er sich gerade fühlte.
 

„Entschuldige mich, Fei“, erwiderte er ruhig. „Aber ich bin müde und wollte mich jetzt schlafen legen.“
 

„Die Gästezimmer sind für uns hergerichtet?“, fragte Fei noch.
 

„Nein. Ich habe nur noch eins in der ersten Etage.“
 

Gelassen blickte Fei zu ihm auf.
 

„Nun gut, dann muss Yoshiko bei dir schlafen“, bestimmte er feist lächelnd und Serdall wollte ihn am liebsten schlagen. Er beherrschte sich zwanghaft, als er weitersprach.
 

„Sie kann in Daniels Zimmer übernachten. Kikuchi wird in der zweiten Etage nächtigen und dir bleibt das Gästezimmer, Fei.“
 

Zufrieden nickte der Yakuza und bedeutete Yoshiko und Kikuchi, Serdall zu folgen. Serdall sagte Dustin kurz Bescheid, dass Kikuchi in Ethans Zimmer nächtigen würde, ehe er mit Yoshiko hinter sich die Stufen zur dritten Etage hinaufstieg.
 

Yoshiko folgte ihm gehorsam. Sie war auf Wunsch ihres Vaters hier. Er stand in der hausinternen Rangfolge direkt unter dem Oyabun und sah es als Ehre an, durch eine Hochzeit zwischen dessen Bruder und seiner Tochter seinen Rang wohl auf Lebzeiten zu festigen. Sie hatte nicht widersprochen. Sie widersprach nie, denn das verbot sich schon allein durch ihre Erziehung.
 

Natürlich hatte sie ihre eigene Meinung zu den Themen, doch die äußerte sie nicht laut, es sei denn, sie wurde danach gefragt. In den Familien der Yakuza ging es in der Hinsicht noch vor wie vor Dutzenden von Jahren in der normalen Bevölkerung. Als ihr Vater plötzlich heute mitten in der Nacht in ihr Zimmer gekommen war und ihr mitgeteilt hatte, dass sie für den Bruder des Oyabun als Ehefrau auswählt worden war, hatte sie gelächelt und gemeint, dass es eine große Ehre sein. Innerlich dachte sie da anders.
 

Von einer auf die andere Minute war sie aus ihrem Leben rausgerissen worden, hatte ihre Familie und ihre Freunde hinter sich lassen müssen, um in ein Land zu fliegen, dessen Sprache sie nicht verstand, um einen Mann zu heiraten, den sie vorher noch nie gesehen und mit dem sie noch nie gesprochen hatte. Trotzdem schwieg sie.
 

Im Laufe ihres Lebens hatte sie gelernt, dass es am leichtesten war, sich den Wünschen ihrer Eltern zu beugen. Das brachte die wenigsten unangenehmen Nebenwirkungen mit sich. Zwar musste sie sich in vielen Dingen einschränken, doch trotzdem war sie in genauso vielen anderen Sachen auch frei und lebte ihr eigenes Leben. Genauso würde sie es auch hier machen. Sie würde die nette Ehefrau spielen, sich aber ihren eigenen Freundeskreis aufbauen. Und wer wusste schon, ob es nicht doch eine liebende Ehe oder zumindest eine mit gegenseitigem Respekt werden würde.
 

Allerdings fragte sie sich, wie es zu dieser Hochzeit gekommen war. Schon lange nicht mehr wurde die Ehefrau für ein Mitglied ihrer Yakuzafamilie ausgesucht. Scheinbar führte Serdall ein Leben, das dem Oyabun nicht unbedingt gefiel. Durch sie als Fußfessel sollte er wieder auf den richtigen Weg geführt werden. Sie hasste die Vorstellung, dass sie ihn in seiner Freiheit einschränken sollte, denn sie wusste, dass die Freiheit mit das Wichtigste war, das ein Mensch besaß.
 

Vor einer Tür in der dritten Etage hielten sie schließlich an.
 

Unwohl sah Serdall auf die Tür. Es war Daniels Zimmer. Eigentlich wollte er es dieser Yoshiko nicht wirklich überlassen, doch was sollte er anderes tun? Daniel würde es womöglich auch vorziehen, dass Yoshiko in seinem Zimmer schlief, anstatt mit ihm in einem Bett. Er drehte sich zu Yoshiko um, die wohlerzogen gen Boden blickte und ihm nicht in die Augen sah. Er wollte nicht wissen, was sie dachte, welche Hoffnungen sie sich vielleicht machte.
 

„Hier wirst du erst einmal schlafen“, sagte er ruhig auf Japanisch. Nach einem kurzen Zögern öffnete er die Tür zu Daniels Reich und sah einen Moment wehmütig hinein, ehe er seine Hände verkrampft in den Hosentaschen versenkte. „Ich bitte dich nichts am Schreibtisch und in den Regalen zu berühren oder durcheinander zu bringen. Das Zimmer gehört meinem Freund.“
 

Yoshiko horchte auf. Seinem Freund? Sie war nicht dumm. Aus der Situation heraus, wie sie sie bislang wahrgenommen hatte, konnte sie die Fakten zusammenzählen. Das war also der Grund, weswegen sie hier war. Scheinbar konnte der Oyabun es nicht ertragen, dass sein Bruder schwul war und wollte ihn jetzt mit seinem momentanen Freund auseinander bringen, indem er ihn verheiratete. Diese Wendung der Ereignisse behagte ihr gar nicht. Sie wollte nicht der Grund für das Zerbrechen einer Beziehung sein, wenn auch nur indirekt. Auf der anderen Seite wollte sie auch nicht, dass Serdall, während sie verheiratet waren, weiterhin mit seinem Freund zusammen war. Auch wenn es nur eine arrangierte Ehe war, würde sie persönlich all ihre Pflichten erfüllen.
 

Kurz dachte sie noch nach. Die Entscheidung in dieser Sache oblag nicht ihr. Andere hatten schon ihr Urteil darüber gefällt. In wenigen Tagen würde sie verheiratet sein. Sie sollte versuchen, das Beste daraus zu machen. Dazu gehörte für sie auch, dass sie sich ihrem zukünftigen Mann so gut wie möglich schmackhaft machte. Schon auf dem Weg hierher hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, wie sie das angehen konnte und sie würde ihre Pläne heute auch noch in die Tat umsetzen.
 

Recht knapp verabschiedeten sie sich voneinander. Kurz wartete Yoshiko noch, bevor sie begann sich zu entkleiden und sich kurz im Badezimmer abduschte. Sie legte ein dezentes Parfum auf und betrachtete ihr Erscheinungsbild im Spiegel.
 

Die getuschten schwarzen Wimpern hoben sich kontrastreich von der blassen Haut ab. Die dezent rot geschminkten Lippen unterstützen diesen Eindruck noch und gaben ihrem wohl proportionierten Gesicht etwas Edles. Die Herren daheim in Japan hatten oft mehr als nur einen Blick in ihre Richtung riskiert, doch ihr Vater hatte kritisch jede Art von schüchterner Beziehung beäugt, die sich zwischen ihr und einem dieser Männer angebahnt hatte. Er hatte wohl immer gehofft, seine Tochter so gewinnbringend verheiraten zu können und wollte nicht, dass sie davor beschmutzt wurde.
 

Ihr Blick wanderte weiter nach unten, an ihrem gut ausgestatteten Busen den schlanken Körper hinab, hin zu ihrem rasierten Intimbereich. Seufzend griff sie sich, als sie zurück in ihrem momentanen Zimmer war, aus ihrem Koffer einen hauchdünnen knappen Morgenmantel und warf ihn sich über den nackten Körper. Noch einmal fasste sie Mut und klopfte dann an der Tür nebenan.
 

Ende Kapitel 2



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Anubi
2007-11-21T19:10:05+00:00 21.11.2007 20:10
JUHU zweiter Teil. Entlich gehts weiter und das vorallem spannend. Fei is ja wirklich fies. ber so ist es richtig, ist ja fast mein Lieblingschara :)
Hoffe schreibst bald weiter, wäre nett wenn du mir dann bescheid geben würdest.

LG Anubi


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