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Der Flammende - Iryen

von

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Iryen (der Flammende)
 

Ich fluchte wie ein Scheunendrescher, so dass es selbst meinen Kameraden die Röte ins Gesicht getrieben hätte. Doch schließlich waren sie nicht da. Und genau das war mein Problem: Ich hatte sie verloren! Schon immer hatte ich den vagen Verdacht besessen, dass meiner Fähigkeit zur Orientierung nicht zu trauen war und jetzt hatte ich auch den passenden Beweiß dazu. Kilometer entfernt von jeder mir bekannten Stadt hatte ich mich im Dickicht verlaufen. Mein Blick suchte vergeblich eine Lücke in der dichten Wand aus riesigen alten Bäumen und fremdartigen Kletterblumen. Schließlich wurde mir klar, dass es die Situation wohl auch nicht verbessern würde, wenn ich regungslos auf dem moosbewachsenen Boden saß und mein Schicksal bejammerte. Kurz verspürte ich das irrationale Bedürfnis aus purem Trotz gegen die Vernunft genau dies dennoch weiter zu praktizieren.
 

Und so etwas wollte ein hoher Offizier in der wohl besten Söldnerarmee Ancyras, der brillante Stratege Ciron Raltyen, sein? Nach meiner Orientierungslosigkeit war es mein zweites großes Problem: der Stolz. Wenn er mich erst einmal ergriffen hatte, konnte ich ihm nicht mehr entfliehen.
 

Bisweilen war es praktisch als Bastard eines hohen Adligen und einer Elfe, fest von sich überzeugt zu sein, leider erinnerte mich auch noch sehr deutlich an eine unheimliche Begebenheit vor zehn Jahren, bei der ich zu stolz gewesen war, meinem Kindermädchen von einem dringenden Bedürfnis zu erzählen, welches sich nach drei unerlaubten Portionen Schlagsahne eingestellt hatte. Ich glaube, einige unserer Gäste von damals haben jetzt noch den Geruch von Erbrochenem in ihren Nasen, wenn sie meinen Namen hören.
 

Und eben diese Eigenschaft hatte mich jetzt wieder fest in ihren Klauen. Mit hocherhobenen Kopf und einem langen Dolch schlug ich mich durch die Wildnis, ging allerdings nach einigen (schmerzhaften) Erfahrungen mit dem unebenen Boden dazu über, den Kopf nicht mehr ganz so hoch zu tragen und stattdessen auf meine Füße zu achten. Ich könnte jetzt sagen, dass ich nun genau in den Norden gegangen wäre, wo die zu erobernde, feindliche Stadt lag.
 

Die Wahrheit war jedoch, dass ich weder wusste, wo dieser Ort, noch wo Norden war. In meinem jugendlichen Leichtsinn hatte ich weder eine Landkarte noch einen Kompass mitgenommen, als ich mich auf die Suche nach einem Bach gemacht hatte. Selbst dieses Ziel hatte ich verfehlt. Nun spitzte ich die Ohren, um es vielleicht trotzdem noch zu finden. Dabei fiel mir die Stille auf, die in diesem Wald herrschte. Zwar hörte ich das übliche Vogelgezwitscher und Rascheln in den Zweigen, doch irgendetwas fehlte. Was genau es war, wusste ich nicht. Noch einige Schritte lief ich weiter, aber das Gefühl der Unwirklichkeit, das mich ergriffen hatte, wurde immer stärker. Schließlich blieb ich stehen und tat, was fast der Vergessenheit anheim gefallen war. Ich schloss meine grünen Augen, in denen der goldene Schimmer zeigte, dass ich über Magie gebot, und die Welt verschwand. Nein, „verschwand“ ist nicht das richtige Wort dafür. „wechselte“ trifft es besser. Mich umgab nun nichts als Energie. Es war Energie, die durch jedes meiner langen, dunklen Haare floss, durch jeden Felsen und durch das kleinste Insekt des Waldes. Das letzte Mal hatte ich mich auf diese Weise als Kind konzentriert, welchem die Seltsamkeit dieser Begabung nicht bewusst gewesen war. Schließlich erinnerte ich mich: Früher hatte ich gespürt, wie die Lebenskraft in allem floss und immer wieder völlig verschwand, sei es nur in der absterbenden Zelle einer Blattlaus. Auch jetzt nahm ich das Pulsieren wahr, ließ das Leben auf mich einströmen. Nur fehlte hier das Sterben. Nel, der Tod, der sonst eine feste Anstellung in jedem Leben besaß, hatte es nicht gewagt, die Schwelle dieses Waldes zu übertreten.
 

Nachdem mein Staunen darüber, wenn auch nicht verschwunden, so immerhin in den Hintergrund getreten war, kam etwas noch Fremdartigeres in den Wirkungsbereich meiner Sinne. Es war Geist, der wie ein Mensch Gedanken fasste, jedoch war er zugleich so ursprünglich wie der eines Tieres, vielleicht sogar noch mehr. Fast glaubte ich, dass dies der Erschaffer war, obwohl ich eigentlich nie an ihn als wirkliche Kreatur gedacht hatte. So etwas wie ein leises, glockenhelles Lachen flutete durch meinen Verstand. „Nicht wirklich.“, meinte eine dazu passende Stimme belustigt. Vorsichtig öffnete ich eines meiner Augen. Der daraus resultierende Anblick zwang mich dazu auch das Zweite zur Überprüfung weit zu öffnen, falls es mir ein anderes Bild bieten würde, was natürlich nicht der Fall war. „Hallo, Ciron.“, wurde ich begrüßt.

Das konnte nicht möglich sein! Meines Erachtens waren Drachen bereits seit Jahrhunderten ausgestorben. Wie konnte es dann ein solches Wesen wagen, mir das Gegenteil zu zeigen! Bevor ich meinem Ärger Luft machen konnte, sprach die Stimme in meinem Kopf weiter. „Ich habe auf dich gewartet.“, erklärte sie. Es war eine Drachendame, mit der ich sprach. Dazu war sie anscheinend noch sehr jung, denn ihre Schultern reichten mir gerade zu den Knien. In diesem Moment putzte sie ihr Gesicht wie ein Kätzchen und ließ mich ihre federartigen, braun-bronzenen Schuppen bewundert.
 

„Melsime.“, sagte ich mit heiserer Stimme. Freudig legte sich der spitze Kopf des Drachens beiseite. „Melsime, das Kind der Raubkatze.“, wiederholte sie, als würde sie den Klang des Namens kosten. „Das bin ich.“ Ich wusste nicht, warum ich es getan hatte, doch irgendwie ahnte ich, dass ich mit meiner Namensgebung ein Band zwischen uns geknüpft hatte.

Auf die Knie gehend, als wollte ich ihr einen Treueid schwören, streckte ich die Hand nach ihr aus. Ihre Augen, welche mit einer Mischung aus den Farben ihres Schuppenkleides und dunklem Gold sogar ihren Körper beinahe in die Glanzlosigkeit abdriften ließen, hatte sie selig geschlossen. Dann schob sie ihre Schnauze unter meine ausgestreckte Linke und ließ mich ihr die seitlich am Hinterkopf wachsenden Ohren kraulen. „Und jetzt?“, fragte ich. „Warte!“, hieß die Antwort und ich wartete. Es hätten Stunden oder Tage vergehen können, in denen ich mit Melsime auf der kleinen Lichtung blieb, denn ich spürte weder Hunger noch Durst und der Himmel blieb gleich. Ich schlief ein.
 

Entgegen der Erwartung aller, die diese Geschichte zum ersten Mal hören, wachte ich weder in einem Elfendorf noch umringt von diesen zauberhaften Wesen auf, sondern lag noch immer auf dem Waldboden, hatte nun aber eine gehörige Portion Kopfschmerzen und der Arm, auf dem das Drachenmädchen gelegen hatte kribbelte fürchterlich. Erst nach einigen wirren Momenten erkannte ich erschrocken meine plötzliche Verlassenheit. Wieder horchte ich auf diese besondere Weise, als hätte ich in meinem Leben nie etwas Anderes getan. Sofort nahm ich ihr einzigartiges Bewusstsein nach. „Hast du Angst alleine, Kleiner?“, fragte sie. Sie wagte es tatsächlich, mich „klein“ zu nennen? Obwohl sie es natürlich wohl kaum sehen konnte, richtete ich mich mit stolz geschwellter Brust auf meine stattlichen 1,90m auf. Schnell sprang mir die Erinnerung an meinen letzten Versuch dieser Art entgegen, so dass ich mich entschloss, lieber meiner Neugier als meinem Hochmut das Zepter zu überlassen.
 

Nun, da ich eine feste Verbindung zu meinem neuen „Haustier“ hatte, wusste ich, dass sie nicht nur aus Spaß oder, um eines ihrer Notwendigkeiten zu erledigen, mitten in der Wildnis ausharrte. Mehr wollte sie aber nicht preisgeben. Seltsam, bisher waren die unverständlichsten Wesen der Welt für mich Frauen gewesen. Sie mussten aufpassen, dass diese Sagengestalt ihnen nicht den Rang ablief. Aber schließlich war diese in gewisser Weise ja auch eine Frau.
 

Als ich mit zahlreichen Blättern im Zopf endlich bei Melsime ankam, deklarierte sie nur, dass wir jetzt warten würden. „Worauf?“, fragte ich skeptisch. Als dieses wunderschöne Wesen dann auch noch freimütig zugab, es nicht zu wissen, war ich kurz davor in verzweifeltes Geheul auszubrechen oder dem Drachen jede einzelne der empfindlichen Federn langsam auszureißen. Da ich von Hause aus zur Erhaltung von bedrohten Tierarten, vor allem Mischlingen aus Elfen und Menschen, erzogen worden war, entschied ich mich lieber für hysterisches Lachen, dass sowohl durch diese traumartige Situation als auch durch das heftige Magenknurren zu erklären war. Jetzt hatte sich der Wald also wieder auf die Naturgesetzte berufen, um mir das Leben schwer zu machen. Schon ganz zappelig vor Sehnsucht nach der eintönigen, kargen Söldnerkost, überhörte ich das leise Rascheln einer Maus, die sich durch meinen bewundernswerten Anblick fast zu Tode erschrak. Unglücklicherweise war auch mir so das Erscheinen des Geschöpfes zu spät von natürlichen wie übernatürlichen Sinnen vorhergesagt worden, so dass ich einen halblauten, kleinen Schrei (,der irgendwie dennoch schmerzlich in den Ohren nachklang,) ausstieß und einen athletengleichen Sprung in die Luft machte, der mich fast auf den untersten Ast des neben uns stehenden Baumes befördert hätte. Neben dem hämischen Kichern Melsimes, erklang jedoch noch ein weiteres Geräusch. Das Kichern der Blume, das Lieblichste, das ich je in meinem Leben gehört hatte.
 

Wenn ihr, die ihr vor dem Kamin sitzt und euch diese Geschichte vorlesen lasst, nun glaubt, es sei ja klar, dass mit Blume ein wunderhübsches, junges Mädchen gemeint ist, habt euch gewaltig geschnitten. Es war nämlich eine weiße Lilie, deren Blätter sich zu ihrem Kern hin leicht rosa färbten. Missmutig und fragend schaute ich Melsime an. Allerdings war es nicht sie, die antwortete, um ehrlich zu sein hätte ich mich dafür geschämt auch nur an diese Möglichkeit zu denken, denn es war eindeutig ein männliches Wesen, dessen Stimme nun in meinem Kopf dröhnte. „Natürlich“, spottete es. „Ihr Menschen glaubt immer, ihr hättet das Recht zu denken gepachtet.“ Wenn dies wirklich stimmte, hatte ich wohl vergessen, meine Miete zu zahlen. Mein Kopf schwirrte zu sehr, als dass ich auch nur eine meiner endlosen Fragen hätte stellen können „Noen ist mein Name.“, beantwortete die tiefe, scheinbar körperlose Stimme unvermittelt eine von ihnen. Ich begrüßte das Wesen zerstreut aber höflich mit der Elfenfloskel für gutartige, unbekannte Geisterwesen. Aus welchem Grund in dieser Sprache so eine Einrichtung existierte, hatte ich mich schon immer gefragt. Jetzt wusste ich es, was traurigerweise meine Konfusion nur vergrößerte.
 

Beruhigend schmiegte sich Melsime an mein Bein. „Er ist der Flammende. Er ist meiner Art.“, erklärte sie. In Wahrheit sagte sie noch viel mehr mit dem letzten Wort. In der menschlichen Sprache habe ich leider noch kein Wort entdeckt, dass sowohl geistige, moralische, seelische und körperliche Verwandtschaft als auch eine Schicksalsverschmelzung beschreibt. Auf elfisch heißt es „Tay“.

Endlich erschien der Drache. Später erklärte er mir, dass er seine Umwelt verändern konnte und sich ihr quasi anschloss, doch in diesem Moment glaubte ich an eine Einwirkung des Göttlichen, da selbst der beste Magier der Welt kein drei Meter hohes und mindestens sechs Meter langes Geschöpf verstecken konnte, welches nach den Gesetzen der Logik noch nicht einmal genug Platz für seine bloße Anwesenheit haben konnte. Das sonnenuntergangfarbene Wesen jedenfalls, das Melsime zu recht den Flammenden genannt hatte, pfiff scheinbar auf Logik. Mit dem Ziel, meinen Verstand zu bewahren, schickte ich mich lieber an, das Selbe zu tun. „Was macht Ihr hier, ehrwürdiger Noen?“, fragte ich. Er antwortete: „Deinem Schicksal nachhelfen.“
 

Anscheinend hatte er es irgendwie getan. Wie genau, weiß ich bis heute noch nicht, denn kurze Zeit darauf verabschiedete sich der große Drache wieder ohne eine weitere Äußerung in diese Richtung und verschwand. Melsime führte mich zurück zu meinem Lager und blieb bei mir. Sie brachte mir Ruhm, aber Antworten wären mir lieber. Sie wusste mehr, als sie verriet. Sogar heute, fünf Jahre nach diesem Vorfall, hoffe ich noch immer auf eine plausible Aufklärung der Sache.
 

Anmerkungen der Autorin:

Diese Kurzgeschichte spielt in einer Welt namens Ancyra, die ich seit etwa Weihnachten 2003 entwickle. Der Name der Hauptperson ist zusammengesetzt aus Ciron, was in der alten Sprache der Menschen so viel wie "guter Freund" bedeutet und raltyen, dem elfischen Wort für königlich. Bei dem Namen Melsime, habe ich eine kleine Veränderung der Grammatik zu Gunsten des Stils vorgenommen. Eigentlich müsste es „Raubkatzenkind“ heißen. Kind der Raubkatze wäre: Sime`mel. Iryen leitet sich von Irur "die Flamme" ab. Insgesamt könnte man diese Geschichte als FF für mein eigenes Buch bezeichnen.
 


 

Ich würde mich über ausführliche Kritik freuen, aber jeder Kommentar ist mir willkommen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2008-02-24T12:16:49+00:00 24.02.2008 13:16
Dein Schreibstil, vor allem dieses leicht ironische, gefällt mir. auch finde ich die story eigetnlich ganz lustig, ein halbelf wird söldner/soldat und verirrt sich *smile*... was mich nur verwundert/stört, ist, dass ich entweder nicht aufmerksam genung gelesen habe oder aber die Logik an einigen Stellen weg ist z.b. woher kommt der große drache? irgendwie blick ich da nicht ganz durch.
aber ansonsten eine ganz gute geschichte =)

Liebe Grüße Sakira


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