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Ayashi - Der Weg zur Wahrheit

(überarbeitet)
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Inu-no-taishou war ein geduldiger, doch eiserner Lehrer, der seine Schülerin in den richtigen Momenten ermutigte und in anderen zu Disziplin und Konzentration anhielt. Die Kontrolle ihrer eigenen Natur verlangte das von Ayashi – immerhin würde sie bald jegliche Youkai-Eigenschaft tief in sich begraben und lediglich ihre menschlichen Seiten zeigen. Sie musste lernen, beide Seiten voneinander zu trennen. Und sie musste lernen, das schwächere Erbe ihrer Mutter über das stärkere ihres Vaters zu stellen, was viel Zeit in Anspruch nahm.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass es mir jemals gelingt.“ meinte Ayashi immer wieder.

Inu-no-taishou hatte für diese Haltung jedoch kein Verständnis übrig, sondern ließ sie weiterhin an der Beherrschung ihres Wesens arbeiten.
 

Eines Abends kam Inu-no-taishou zu Ayashi, die bisher allein im Garten gesessen hatte, und unterbrach ihr Training.

„Ich denke, du bist bereit.“ meinte er lediglich und setzte sich ihr gegenüber.

„Einfach so?“ fragte sie skeptisch. „Ich habe nicht das Gefühl, mich verändert zu haben.“

„Das habe ich auch nicht von dir verlangt.“ erinnerte er sie und betrachtete sie aufmerksam.

Ayashi nickte zögernd und erwiderte seinen Blick. Lange Zeit sprach niemand von ihnen, dann zog Inu-no-taishou einen kleinen Beutel aus einer Falte seines Gewandes.

„Darin sind Kräuter, die du vielleicht brauchen kannst.“ meinte er und reichte ihr den Beutel hinüber.

„Was bewirken sie?“ fragte Ayashi und blickte ihn unsicher an.

„Sie versiegen eine blutende Wunde sehr schnell.“

„Wie muss ich sie anwenden?“

„Du musst sie mahlen und in wenig Wasser zu einer Paste verrühren. Dann trägst du sie auf die Wunde auf.“ erklärte er und sie nickte.

„Danke. Ich bin mir sicher, dass ich sie verwenden kann.“

„Verwende sie nicht für einen Menschen. Sie sind für dich gedacht.“

„Meinst du, ich…“

„Du solltest vorbereitet sein – nur für alle Fälle.“ unterbrach er sie und fuhr fort: „Zeig’ mir, was du bei mir gelernt hast.“

Ayashi schloss die Augen, schob den Beutel währenddessen in ihre Gewänder, und konzentrierte sich, damit sie die dämonischen Bestandteile ihres Wesend gänzlich unter Kontrolle bekam. Dann öffnete sie ihre Augen wieder und Inu-no-taishou nickte anerkennend.

„Ich habe mich nicht getäuscht. Du bist bereit. Und ich bin stolz auf dich, dass du so eine fähige Schülerin warst. Nun darfst du deinen gewählten Weg gehen. Ich halte dich nicht mehr zurück.“ teilte er ihr mit, verabschiedete sich von ihr und ging dann hinein, nachdem sie ihm für seine Unterstützung gedankt hatte.
 

Von diesem Zeitpunkt an wanderte Ayashi durch die bekannte Welt. Sie hatte darauf verzichtet, ihre Youkai-Gestalt wieder anzunehmen, und hatte die Tracht einer Miko angelegt. Bald stellte sie fest, dass es gut gewesen war, dass Inu-no-taishou sie in dieses uralte Geheimnis eingeweiht hatte. Sie musste keinem Menschen aus dem Weg gehen und wegen keines Dorfes einen längeren Umweg in Kauf nehmen. Sie konnte bei Familien ruhen, die sie als willkommenen Gast aufnahmen. Sie konnte ungehindert die Nacht im Schutz eines Dorfes verbringen und ausgeruht am nächsten Morgen weiterreisen. Niemand begegnete ihr mit Argwohn und Misstrauen. Für die Menschen war sie eine Miko auf Reisen.

Ayashis Weg führte sie über Berge und Felder, durch Täler und Flüsse, durch Dörfer und kleinere Städtchen und schließlich in das Dorf in den Bergen, in dem ihre Mutter Midoriko geboren war.

Es war spät in der Nacht und ein furchtbarer Sturm tobte, als sie an das befestigte Tor aus Holz klopfte. Die Gebirgsbäche waren zu reißenden Strömen geworden, die Wipfel der Bäume bogen sich bedrohlich tief und lange Zeit war kein menschlicher Laut aus dem Inneren des Schutzwalls zu hören. Ayashi schlug noch einmal heftig gegen das Holz und drängte sich etwas dichter gegen das Tor, um etwas Deckung vor dem Wetter zu erlangen. Ein Knarren ertönte und zwei bewaffnete Männer traten durch das Tor, das einen Spalt weit geöffnet worden war.

„Verzeiht mein Begehren zu so später Stunde, gute Männer. Ich bin eine Priesterin auf Wanderschaft und wurde vom Unwetter überrascht. Bitte gewährt mir eine Unterkunft.“ bat Ayashi ohne die Worte der Männer abzuwarten.

„Kommt, Miko-Sama. Seid uns willkommen.“ erwiderte der eine der beiden sofort und ließ sie eintreten.

„Wir bringen Euch zu unserem Dorfältesten. Bei ihm könnt Ihr die Nacht sicher verbringen.“ fügte der zweite Mann hinzu.

„Danke. Ihr seid zu gütig.“ meinte sie und folgte den Männern über den matschigen Boden durch das Dorf.

Der Älteste ließ seine älteste Tochter sofort trockene Kleidung bringen und wies sie an, Ayashi aus ihren nassen Sachen zu helfen, ehe er mit ihr sprechen wollte.

Wenig später saß Ayashi in trockener Kleidung, geordnetem, locker zusammengebundenem Haar und gehüllt in eine Wolldecke mit dem Ältesten, seiner Frau und seiner Tochter, deren Name Azusa war, um das Feuer in der Hütte und hielt eine Schale heißen Tee in den kalten Händen.

„Wie ist Euer Name, Miko-Sama?“ fragte er schließlich über das Feuer hinweg, nachdem sie sich etwas an ihrem Tee gewärmt hatte und das wohlige Gefühl wenigstens wieder etwas Farbe auf ihre blassen Wangen gezaubert hatte.

„Kibo.“ entgegnete sie und nickte ihm dankbar zu.

„Ich bin Akihito. Dies sind meine Frau Kasumi und meine Tochter Azusa.“

„Ich danke Euch sehr für Eure Gastfreundschaft.“

„Trinkt, Kibo-Sama. Ihr seid sicher noch halberfroren durch die kalte Nässe.“ meinte die Frau des Hauses und füllte Ayashis Schale wieder auf.

„Danke.“

„Wie alt seid Ihr, Kibo-Sama?“

„Zweiundzwanzig, Akihito-Sama.“ antwortete Ayashi und nippte wieder an ihrem Tee.

„Zweiundzwanzig… Woher kommt Ihr?“ fragte der Dorfälteste wieder, doch seine Frau unterbrach ihn mit einer leichten Geste.

„Ihr seid sicher erschöpft, Kibo-Sama. Das hat doch Zeit bis morgen, Akihito.“

Ayashi blickte von einem Ehepartner zum anderen, doch dann schüttelte sie den Kopf.

„Verzeiht, doch ich möchte morgen bereits wieder weiterreisen, sofern das Unwetter vorbei ist.“ warf sie ein und meinte: „Ich komme aus dem Südwesten. Meine Heimat ist die Insel Kyushu.“

„Wohin wollt Ihr? Habt Ihr ein bestimmtes Ziel?“

„Nein, ich helfe in den Dörfern, in denen gerade meine Hilfe gebraucht wird.“ antwortete Ayashi schlicht.

„Es ist lange her, dass unser Dorf auf die Hilfe einer Miko zurückgreifen konnte. Die letzte Priesterin war Midoriko, aber das liegt schon beinahe einhundert Jahre zurück.“ erzählte Akihito und lehnte sich etwas auf seinen Knien nach vorne.

Sein Blick glitt in das lodernde Feuer und wies tiefe Schatten auf, als er weitersprach:

„Wie sind Dämonenjäger und können unsere körperlichen Wunden meist selbst versorgen, doch das ändert nichts daran, dass auch wir andere Verletzungen erleiden können. Seelische, Kibo-Sama. Ich kann nicht für das ganze Dorf sprechen, doch für meine Seite und für die meisten Bewohner unserer kleinen Gemeinschaft. Ich möchte Euch anbieten, in unserem Dorf zu bleiben und bei uns zu leben. Nein, ich biete es euch nicht an, ich bitte Euch darum. Unterstützt uns als unsere Miko!“

Ayashi schwieg eine Weile, setzte dann leise ihre Schale mit Tee vor sich ab und neigte den Oberkörper in seine Richtung.

„Ich werde Eurer Bitte mit Freuden nachkommen, wenn sich das Dorf Eurer Meinung anschließt, Akihito-Sama.“ erklärte sie und konnte das warme Gefühl in sich nicht bekämpfen, das sich in ihr ausbreitete:

Sie würde die Nachfolge ihrer Mutter antreten. Das war mehr, als sie zu hoffen gewagt hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Vigeta_Lord_d_T
2019-07-02T02:43:59+00:00 02.07.2019 04:43
Na ob das eine so gute Idee ist. Als miko im Dorf zu leben???


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