Über Fürsten und Priester
Kapitel 13 – Über Fürsten und Priester
Endlich kam auch Aknadin wieder aus seinem Tempel hervorgekrochen. Atemu hätte sich liebend gerne auf der Stelle mit ihm befasst, aber ausgerechnet an diesem Tag hatte er ein Treffen mit dem Gau-Fürsten Ankhmahor, der den Bezirk Theben verwaltete und nun aufgrund der Wasser- und Nahrungsknappheit ein Gespräch mit dem Pharao suchte. Atemu wusste nicht allzu viel über diesen Fürsten, nur, dass er ein kluger Mann im besten Alter sein sollte und aufgrund seines guten Aussehens und tadellosen Rufes ein sehr hohes Ansehen unter den Höflingen genoss.
„Es ist mir eine Ehre, Euch endlich kennen zu lernen, mein Pharao. Mein Name ist Ankhmahor und ich freue mich, dass Ihr mich empfangen habt“, begrüßte ihn der Fürst ehrergiebig und senkte sein Haupt tief auf den Boden, bis Atemu ihm schließlich wieder erlaubte aufzustehen.
„Nun, Ankhmahor. Man erzählt sich bei Hofe nur das Beste über Euch. Umso erstaunter bin ich, dass Ihr die lange Reise bis in meinen Palast auf Euch genommen habt, um eine Audienz bei mir zu ersuchen. Und dann über so ein Thema. Denkt Ihr etwa, ich wüsste nicht schon längst Bescheid und würde mein Möglichstes unternehmen? Auch ohne Eure Einmischung? Wollt Ihr denn wirklich so dringend mein Missfallen erregen?“, warnte Atemu schneidend und bedachte Ankhmahor mit einem kalten Blick.
Dieser war zwar etwas verwirrt über den offenkundigen Unmut des Pharaos, aber er war mit einem bestimmten Ziel hierher gekommen und wollte deswegen nicht so schnell aufgeben. Und wenn er vor dem König auf dem Boden rumrutschen und ihm die Füße küssen müsste; auch wenn er vielleicht später für seinen Frevel ausgepeitscht werden würde, das hier wollte er jetzt durchziehen.
„Nichts liegt mir ferner. Aber die Umstände ließen nun mal keine andere Möglichkeit zu. Ich habe mit einigen der anderen Gaufürsten gesprochen und wurde von ihnen zu ihrem Sprecher erwählt. Vielerorts neigen sich die Nahrungsvorräte ihrem Ende zu oder sind bereits erschöpft. Das Volk hungert. Deshalb bin ich zu Euch gekommen. Die Menschen brauchen Essen, mein Pharao, und ich bitte Euch inständig, uns mit den Vorräten des Palastes zu unterstützen. Schon jetzt gibt es viele Tote zu beklagen. Vor allem kleine Kinder und Alte fallen dem Hunger leicht zum Opfer. Auch das Vieh stirbt und in einigen Dörfern, wo die Leichen, ob Mensch oder Tier, nicht schnell genug bestattet werden konnten, ist es zum Ausbruch von Seuchen gekommen. Ihr seid der Pharao. Ihr tragt Eurem Volk gegenüber eine Verantwortung...“
„GENUG JETZT!“, donnerte Atemu mit einemmal los und Ankhmahor ließ sich schnell demütig auf den Boden fallen.
„Wagt es nicht...“, stieß der Pharao mühsam beherrscht hervor, „Wagt es nicht noch einmal euch mir gegenüber so respektlos zu verhalten. Ich kenne meine Verantwortung. Ich kenne meine Pflichten. Ich habe es nicht nötig, mich von einem dahergelaufenen Gaufürsten belehren zu lassen! Vergiss nie, wer hier vor dir steht, Ankhmahor. Das nächste Mal lasse ich dich für deine Frechheit büßen. Also wähle deine nächsten Worte mit Bedacht.“
Der Angesprochene nickte gehorsam.
„Ich verstehe, mein Pharao. Und ich entschuldige mich für meine Worte. Ich wollte nicht anmaßend wirken. Bitte verzeiht mir. Und ich danke Euch für Eure Großzügigkeit, mir meine Unachtsamkeit nochmals nachzusehen. Es wird nicht wieder vorkommen. Dennoch, das Problem bleibt dasselbe.“
Atemu seufzte. Dieser Fürst war wirklich hartnäckig. Aber vielleicht...
„Ihr habt vorhin nur von ‚vielerorts’ gesprochen. Aber wie ist es denn um die Vorräte Thebens, um Eure eigenen Vorräte bestellt?“, fragte er lächelnd und Ankhmahor zuckte tatsächlich zusammen. Ihm schwante nichts Gutes und nur mit Mühe überwand er sich schließlich zu einer Antwort.
„Unsere Speicher sind noch bis zur Hälfte gefüllt. Wir haben rechtzeitig genug Getreide und Wasser eingelagert und waren sehr umsichtig mit der Verteilung. Im Handel mit anderen Provinzen konnten wir auch einige unserer Waren, vor allem diverse Holzschnitzereien oder auch Schmuck, gegen Nahrung eintauschen. Theben hat sich bemüht, so gut es eben ging, auch die umliegenden Dörfer und anderen Gaue zu unterstützen. Doch lange wird das nicht mehr so gehen können. Auch wir werden bald an unsere Grenzen gelangt sein, sollte der Regen noch lange ausbleiben und uns die Hilfe aus dem Palast versagt bleiben. Deswegen bitte ich Euch: Tut was für Euer Volk!“
Ankhmahor biss sich auf die Zunge. Den letzten Satz hätte er sich wohl wirklich lieber verkneifen sollen. Doch zu seinem großen Glück, oder vielleicht auch Unglück, hatte ihm der Pharao nach ‚unsere Speicher sind noch bis zur Hälfte gefüllt’ gar nicht mehr richtig zugehört, sondern starrte gedankenverloren ins Leere. Schließlich schien er seine innere Debatte beendet zu haben und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Ankhmahor.
„Mein Vater hat in der Vergangenheit Theben generös mit Gold zum Bau der dortigen Tempelanlagen unterstützt. Genau genommen befindet sich mein Wesir Shimon immer noch aus genau diesem Grund dort. Ich denke, es ist an der Zeit, dass sich Theben für diese Großzügigkeit revanchiert. Ich werde das Volk Eurem Wunsch entsprechend mit Nahrung versorgen. Mit Nahrung aus Euren Vorräten.“
„Das kann nicht Euer Ernst sein!“, schrie Ankhmahor entsetzt und wusste noch im gleichen Moment, dass es sinnlos war. Und er behielt Recht.
„Sehe ich so aus, als würde ich scherzen?“, fragte Atemu ernst und der Fürst schüttelte traurig den Kopf.
„Nein, mein Pharao. Das tut Ihr nicht“, wisperte Ankhmahor und wünschte sich gleichzeitig, er wäre nie hierher gekommen. Alles, was er jetzt noch tun konnte, war zu versuchen, den Schaden zu begrenzen. „Und wie viel der thebanischen Vorräte wollt Ihr beschlagnahmen?“
„Die Hälfte“, entgegnete Atemu knapp und Ankhmahor nickte nur kurz zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Er hatte vorher schon gehört, dass der jetzige Pharao überaus egoistisch und arrogant sein sollte, aber nun hatte er die Wahrheit dieser Worte am eigenen Leib erfahren müssen. Und sie schmeckte bitter.
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Nachdem Ankhmahor endlich gegangen war, hoffte Atemu auf einen Moment der Ruhe und schloss müde die Augen. Nur einen Augenblick später aber wurde er durch ein lautes Klatschen unsanft in die wache Welt zurückgerufen.
Atemu blinzelte den Störenfried irritiert an. Es war Aknadin. Natürlich.
Dieser klatschte noch kurz weiter, bevor er die Arme hinter den Rücken verschränkte und ganz nah an den Pharao herantrat.
„Lasst mich der Erste sein, der Euch zu dieser Meisterleistung gratulieren darf, mein Pharao. Diesen armen jungen Mann habt Ihr wirklich aufs königlichste ausgenommen. Ja, ja...da beweist sich mal wieder, dass Ihr den Titel Pharao zu Recht tragt“, meinte Aknadin spöttisch und blickte Atemu durchdringend in die Augen.
Dieser nahm die neuerliche Frechheit seines Priesters ruhig zur Kenntnis, auch wenn ihn die Dreistigkeit doch ein wenig wunderte. Aknadin war normalerweise subtiler und begegnete ihm, auch wenn sie verschiedener Meinung waren, immer noch mit einem gewissen Respekt. Davon war im Moment aber nicht viel zu spüren.
„Irgendwas muss passiert sein, sonst wäre er mir gegenüber nicht so aggressiv“, überlegte Atemu und versuchte im Gesicht des alten Mannes irgendeinen Hinweis zu erhaschen. Erfolglos.
„Ihr ward lange fort, Aknadin, und ich habe Euch gelassen. Steht mir da nicht eine freundlichere Begrüßung zu?“
Aknadin zeigte ein schiefes Lächeln.
„Selbstverständlich, mein König. Ehre, wem Ehre gebührt. Dem Pharao muss man huldigen.“ Dann verbeugte er sich tief und begann leise zu kichern.
Der Pharao betrachtete die Szene mit wachsender Beunruhigung.
„Altersschwachsinn vielleicht? Oder doch was anderes? Ich sollte dem auf den Grund gehen. Außerdem ist da ja noch diese andere Sache.“
„Es gibt etwas, vorüber ich dringend mit der sprechen muss, Aknadin. Vor deiner spontanen Flucht in den Maat-Tempel hast du meinen Sklaven, Seth, aufgesucht. Und das trotz meines Verbots. Was hast du dazu zu sagen? Vor allem möchte ich wissen, was du mit ihm zu bereden hattest!“
Aknadins Lachen stoppte augenblicklich. Stattdessen erhob er sich langsam und kippte seinen Kopf nachdenklich zur Seite; sein Millenniumsauge schien den Pharao praktisch durchbohren zu wollen, so stechend war sein Blick.
„Seth?“, wiederholte er mit belegter Stimme. „Seth. Ja, ich erinnere mich. Ein guter Junge. Ja, das ist er.“ Plötzlich durchzuckte ihn ein Schaudern und sein Gesicht spiegelte Entsetzen wider.
„Was habt Ihr mit ihm gemacht? Ist er in Ordnung? Ihr habt doch hoffentlich nicht...“
„Gar nichts hab ich gemacht!“, unterbrach ihn Atemu giftig. „Es geht ihm gut. Ich habe nicht vor, ihm Schaden zuzufügen!“
Etwas ruhiger fügte er dann hinzu: „Warum interessiert Euch der Knabe eigentlich so sehr? Und keine Ausreden diesmal!“
Aknadin atmete einmal tief ein. Seth ging es gut. Das war erst einmal das Wichtigste. Doch dummerweise hatte er in seiner Panik um seinen Sohn nicht nachgedacht und mehr preisgegeben, als er eigentlich wollte. Dass sich Atemu in seine Beziehung mit Seth einmischte, konnte er nun wirklich nicht gebrauchen; vor allem ihre Verwandtschaftsverhältnisse mussten geheim gehalten werden. Zumindest vorläufig noch. Glücklicherweise hatte Aknadin, wie er hoffte, die perfekte Erklärung parat. Im Tempel hatte er schließlich viel Zeit zum Nachdenken gehabt.
„Als ich Euren Sklaven damals auf dem Fest gesehen habe, da ist mir sein starkes Ka aufgefallen. Auch scheint er mir überaus intelligent zu sein. Wie Ihr ja wisst, haben wir für jeden Millenniumsgegenstand einen zukünftigen Träger gefunden; nur für den Stab gibt es noch keinen geeigneten Kandidaten. Den Priester, den Shimon vor seiner Abreise vorschlug, hat der Stab als unwürdig befunden. Dieser Priester hatte wahrlich mehr Glück als Verstand. Der Millenniumsstab war nachsichtig mit ihm. Der Mann ist mit einigen Prellungen und blauen Flecken davongekommen. Doch beim nächsten Prüfling kann es schon wieder anders aussehen. Wir dürfen kein Risiko mehr eingehen und Seth scheint mir mehr als geeignet für die Position eines Wächters zu sein. Ich denke, nein, ich weiß, dass er es schaffen wird. Deshalb habe ich ihn auch aufgesucht, und mein Eindruck hat sich nur bestätigt.“
„Seth als Träger des Millenniumsstab?“, fragte Atemu ungläubig. An so was hatte er bisher gar nicht gedacht. Sicher, auch er hatte gefühlt, dass Seth gewisse Kräfte besaß. Aber das allein reichte nun mal nicht. Und er wollte seinen Sklaven auch nicht unnötiger Gefahr aussetzen. Im Extremfall könnte er bei dem Versuch, den Millenniumsstab zu beherrschen, auch getötet werden.
Aknadin nickte eifrig. „Ich bin mir ganz sicher, mein Pharao. Der Junge wird das sicherlich schaffen. Er braucht nur etwas Training, was ich mit Freuden selbst übernehmen würde, wenn Ihr erlaubt.“
Atemu zögerte immer noch. „Ich weiß ja nicht. Ich zweifle nicht an seinen magischen Fähigkeiten, aber...was ist zum Beispiel mit den priesterlichen Pflichten? Als Hüter müsste ich ihn in meinen Priesterzirkel aufnehmen. Eigentlich ist dies an bestimmte Voraussetzungen geknüpft und die hat Seth nun mal nicht. Er kennt sich nicht mit ägyptischer Götterkunde aus, zumindest nicht in dem Maße, wie es ein Priester können muss. Und was ist mit den ganzen Verwaltungsaufgaben? Weiß er über Politik Bescheid? Er kann ja nicht einmal lesen! Außerdem hätte er seine Ausbildung schon vor Jahren aufnehmen müssen, um für mich von Nutzen sein zu können. Immerhin dauert sie viele Jahre! Solange kann ich aber nicht mehr warten. Ich halte das für keine gute Idee.“
„Aber wisst Ihr das denn sicher, mein Pharao? Wisst Ihr, ob er wirklich so ungebildet ist, wie Ihr glaubt? Er kann lesen, da bin ich mir sicher. Und alles andere wird er bestimmt sehr schnell lernen. Ihr müsst ihm nur eine Chance geben!“
Atemu hob erstaunt seine Augenbrauen. Das schien seinem alten Priester ja wirklich wichtig zu sein, was nicht nur seltsam, sondern vermutlich auch ein Grund zur Sorge war. Trotzdem, letztendlich ging es hier um Seth und seine Zukunft. Er konnte ihn nicht ewig in dem Zimmer einsperren und ob er jemals einen geeigneten Liebessklaven abgeben würde, war mehr als nur fraglich. Davon mal abgesehen...Atemu wusste nicht genau, wann es passiert war, aber inzwischen hatte er angefangen, den Jungen wirklich zu mögen. Sicher, er würde immer noch zu gerne mit ihm schlafen. Aber er wollte Seth nicht länger dazu zwingen; nein, dieser sollte es auch von sich aus wollen. Atemu wollte ihn nicht länger demütigen. Was er wollte, war mehr so was wie eine richtige Beziehung.
„Ich werde ihn fragen, was er dazu zu sagen hat“, meinte er schließlich. „Dann werden wir weitersehen.“
Aknadin lächelte erleichtert und fühlte tatsächlich seit langer Zeit wieder so etwas wie Dankbarkeit für den Pharao. Ein Zustand jedoch, von dem er bereits jetzt ahnte, dass er sicherlich nicht lange andauern würde.
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So, ob ihr wollt oder nicht: Aknadin ist zurück und legt sich gleich mit Atemu an XD Apropos Atemu: Nur weil er zu Seth etwas netter wird, muss sich das ja nicht gleich auch auf den Rest der Menschheit beziehen ^^° Okay, mehr hab ich auch nicht zu sagen, außer: Ein Danke für die lieben Kommentare, ganz besonders an all diejenigen, die sich die Mühe machen so regelmäßig zu kommentieren. Und auch, wenn ich nicht weiß, ob noch wer vor Weihnachen das hier liest, wünsche ich euch trotzdem alle eine frohe und hoffentlich nicht zu streßige Weihnacht! Bis dann^^
PS: Ich hab ne neue Abkürzung: Das Spielzeug mit den blauen Augen ist ab jetzt offiziell "DSMDBA". Der Titel ist mir nämlich zum dauerenden Tippen echt zu lang ^^°.