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Große Mädchen weinen nicht

ES GEHT WEITER! Bald kommt der zweite Teil.
von

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Kapitel 6

Hallo. Ich melde mich mal hier an dieser Stelle, weil ich noch nichts von mir habe hören lassen. Also ich bedanke mich bei allen Kommi-Schreibern und künftigen Kommi-Schreibern. Das Kapitel loade ich ein bissl früher, sozusagen als Dankeschön.
 


 

Chapter 6

Samstag und Sonntag
 

Ich hatte mich in mein Zimmer zurückgezogen. Besser gesagt war ich weggerannt, nachdem ich und Erin dieses hässlichen Streit hatten. Mit meiner liebsten Kuschel-Voodoo-Puppe hatte ich mich ins Bett verkrochen und die Musik einfach laufen lassen. Es war noch nicht einmal einundzwanzig Uhr; demnach herrschte auf den Fluren noch ein hektisches, Türen schmetterndes Treiben. Trübsal zu blasen war eigentlich nicht meine Art, aber diesmal brauchte ich einfach ein warmes Bett und das Gefühl von Sicherheit. Ich hatte mir geschworen, mich nie wieder derart verletzen zu lassen und genau das hatte ich Erin gestattet. Erin. Sie sollte doch in der Hölle schmoren, diese verdammte Lesbe.

Es klopfte an der Tür, als ich gerade dabei war, einzuschlafen. Wer auch immer so aufdringlich war, er wartete nicht erst meine Antwort ab. Sie hätte ohnehin auf sich warten lassen.

„Abhauen, s o f o r t!“, brüllte ich.

Ein schnalzendes Geräusch mit der Zunge ließ mich wütend in die Höhe fahren. Ich erschrak, als sich herausstellte, dass Erin der Störenfried war. Eigentlich hatte ich Lara erwartet.

„Nein, mich kriegst du mit barschen Worten nicht klein. Ich bin Erfinderin dieser Methode.“

Ich schluckte die Bemerkung herunter, die auf meiner Zunge lag und unbedingt ausgesprochen werden wollte. Aber ich ermahnte mich, dass Hartnäckigkeit eine von Erins Haupteigenschaften war.

„Wieso kannst du mich nicht in Ruhe lassen?“ Ich klang heißer und kleinlaut.

Erst jetzt bemerkte ich, dass Erin nicht ohne ein Gastgeschenk in mein Zimmer geplatzt war. Sie hatte ein Tablett dabei, auf dem eine Tasse dampfender Kakao stand und ein Teller mit Schokoladenkeksen. In der anderen Hand trug sie eine Taschentuchbox.

„Wer auch immer dir das angetan hat, er hat hoffentlich eine Lebensversicherung.“, war alles, was sie dazu sagte. Sie fragte nicht nach dem Namen der Person, sie wollte nicht wissen was geschehen war, weil sie mich kannte und wusste, dass ich so etwas nur aus eigenem Antrieb erzählen würde. Wie hatte ich sie nur derart beleidigen können, wo sie mich doch so gut kannte und wusste, wie ich tickte? Ich war ein schlechter Mensch. Entschuldigen würde ich mich aber nicht, denn meinen Stolz hatte ich immer noch und im Grunde hatte ich die Wahrheit gesagt.

„Also, hier ist eine Menge guter Stoff, der auf den Verzehr wartet.“ Sie deutete wie ein Ober auf das runde Tablett und stellte es schließlich auf meinen Nachttisch. Ihr Blick streifte meine Voodoo-Puppe, aber sie stellte keine dummen Fragen über meine seltsamen Vorlieben für das Abnormale.

Ich hielt mir die Decke vor die Brust, denn ich hatte nicht mehr als meine Unterwäsche an. Und weil Waschtag war, waren die einzig trockenen Sachen die Reizwäsche „für besondere Anlässe“.

„Das wäre nicht nötig gewesen. Danke.“

Erin setzte sich an mein Fußende im Schneidersitz hin. Sie beobachtete mich dabei, wie ich versuchte mit der Decke meine Blöße zu bedecken. Eine Stille entstand. Schließlich holte Erin tief Luft.

„Mary hat mir den Kopf ein bisschen zurechtgerückt.“ Sie unterbrach sich, weil die Worte nur zäh über ihre Lippen fließen wollten.

„Ich weiß, dass ich nicht immer ganz einfach bin. Und ich verhalte mich auch nicht immer korrekt. Aber neben meinen ganzen Fehlern habe ich auch eine Menge gute Eigenschaften, oder?“

Es klang hoffnungsvoll. Mir war klar, dass sie sich im Moment selbst nicht leiden konnte. Und das war meine Schuld. Trotz meines schlechten Gewissens konnte ich ihr leider nicht widersprechen. Sie hatte leider mehr Fehler als gute Eigenschaften.

„Keine Antwort ist wohl auch eine Antwort. Ich hätte nicht gedacht, dass du so hart mit mir ins Gericht gehst.“ Sie sah auf ihre Fingernägel und ihren verletzten Ausdruck zu verstecken. Mir zersprang das Herz in tausend Teile, als ich sie so sah. Ich folgte meinem ersten Impuls. Ihre Hände schienen sie wahnsinnig zu interessieren, also beugte ich mich vor und nahm sie in meine.

„Ach Erin…“, seufzte ich. Und mit diesem Seufzen wusste ich, warum ich mich eigentlich mit ihr abgab und warum mich ihre schlechten Eigenschaften recht wenig kümmerten. Erin war einfach da, stellte keine dummen Fragen und nahm jede Situation so, wie sie kam. Sie war aufrichtig und ehrlich. Das sind Eigenschaften, die man nicht oft in der Welt fand. Ihre Erscheinung war Raum füllend; ihre Stimme konnte mir eine Gänsehaut bereiten oder mich seufzen lassen.

Ich mochte sie, weil sie mir ähnlich war und ihre Stärken meine Schwächen ausbügelten und meine Stärken ihre Fehler.

„Du bist kein schlechterer Mensch als jeder andere. Und deine Schwächen kannst du nicht an den Stärken der anderen messen. Aber das alles spielt ja keine Rolle. Mary und ich mögen dich vielleicht gerade deswegen und wir bleiben bei dir, auch wenn du es uns nicht einfach machst. Ich hoffe nur, dass du das nicht irgendwann als selbstverständlich empfindest.“, sagte ich schließlich. Sie hielt ihr Gesicht immer noch abgewandt von meinem Blick, aber ich wusste, dass sie schwach lächelte. Ich küsste eine ihrer Handflächen. Das veranlasste sie zum Aufsehen, denn sonst war ich nicht der Typ Mädchen, das derartige Zärtlichkeiten mit Freundinnen austauschte und trotzdem hetero war. Sie schluckte.

„Als ich dich das erste Mal im Speisesaal gesehen habe, habe ich mich gefragt, was du wohl für ein Mensch bist und ob ich dich bald zu Laras Freunden zählen würde. Aber dann hast du unten im Keller mit mir gesprochen und dir nichts aus dem Gerede über mich gemacht. Als du dann gesagt hast, dass du dich von niemanden beeinflussen lässt, von keiner Seite… da wusste ich, dass du ein sehr nachdenklicher Mensch bist und eine treue Seele hast.“ Sie unterbrach sich. Ich wusste, dass sie ihre Stimme nicht mehr unter Kontrolle hatte, also gab ich ihr ein paar Sekunden.

„Ich habe seit Langem niemanden mehr getroffen, der ähnliche Charakterzüge hat. Das habe ich vermisst. Du erinnerst mich an mich… so wie ich früher vielleicht einmal gewesen bin. Vielleicht ist das der Grund, warum ich dich um mich haben will und weshalb ich Angst habe, das dir jemand wehtut. Und am Ende bin ich es, die dir wehtut.“

Bei diesen sorgsam gewählten Worten wurde es eng in meiner Brust. Sie wollte, dass ich wusste was sie über mich dachte. Erin zog die Beine an sich heran, ganz ungeachtet dessen, dass sie einen Rock anhatte. Sie schlang ihre Arme darum als wolle sie sich eine Mauer aufbauen. Diesmal funktionierte es nicht. Ich hatte sie an einem Punkt, an dem ich sie wirklich verwunden konnte. Und dass sie mir diesen Punkt zeigte und das Risiko einging, verletzt zu werden, zeigte mir wie sehr sie mir vertraute. Ich schlang die Decke um meine Brust und kam zu ihr ans Fußende.

„Ich bin nicht immer so gewesen. Es gab einmal eine andere Erin.“

Ich hielt ihr meinen Zeigefinger an die Lippen und sah sie beschwörend an, dann sagte ich:

„Diese Erin ist nicht tot, ich habe sie schon ein paar Mal erleben dürfen. Davon abgesehen mag ich beide Versionen von dir.“

Erin biss ihre Kiefer aufeinander, während sich langsam eine Träne aus den Augenwinkeln quälte. Ich fing sie mit der Fingerspitze auf und zeigte sie ihr.

„Das ist die alte Erin.“, sagte ich nur.

Dann beugte ich mich vor und legte meine Lippen auf ihre. Zuerst keusch, dann ließ ich es zu einem richtigen Kuss werden. Es machte leise Plopp in meinem Bauch, zumindest fühlte es sich so an. (Es konnte ein Magengeschwür sein, aber dazu fühlte es sich zu gut an.) Erin erwiderte vorsichtig, denn sie wusste sehr genau, dass dieser Moment wirklich ein Erstes Mal war.

Bevor ich die Kontrolle verlieren konnte, setzte ich ab und öffnete die Augen, von denen ich nicht mitbekommen hatte, dass sie geschlossen waren.

Ich zog mich zurück ans Kopfende, so schnell ich mich losmachen konnte. Auch ich drückte meine Knie fest an die Brust und versuchte Erins Blick zu meiden.

„Wow…das macht mir wirklich Angst.“, gestand ich mit zittriger Stimme. Ich wusste, dass ich verwirrt lächelte, hilflos aussah. Erin sah ebenfalls weg, aber ihr Gesicht war verschlossen. Sie wirkte grimmig. Nicht die erhoffte Reaktion, aber wenigstens erschien sie mir nicht mehr so zerbrechlich. Es beruhigte mich also, dass sie so reagierte.

„Ich weiß noch ganz gut, wie ich mich bei meinem ersten Kuss von einem Mädchen gefühlt habe. Auch ich hatte damals Angst. Aber in dem Zeitpunkt, an dem mir klar geworden ist, dass in der Liebe keine Geschlechtertrennung herrscht, war das vorbei.“

Mit diesen Worten erhob sie sich. Sie strich ihren marineblauen Faltenrock glatt und sah mich mit dem Blick des Erschauderns an. Nun fand ich endlich die Definition dieses Blickes, der mir immer so unergründlich gewesen war. Verdammt, es war sexuell. Ich senkte beschämt meinen Blick, als hätte ich ein schlimmes Wort in einer Kirche gesagt und wäre von meinen Eltern ermahnt wurden. Ja, ja, die allgegenwärtige Kirche.

„Wir werden sehen, ob und wann du diesen Punkt erreichst.“, endete sie.

Ich schluckte hart.

Das machte mir nun noch mehr Angst. Von der Verwirrung ganz zu schweigen. Es hatte mir nichts ausgemacht, wen ich küsste. Ich wollte sie einfach nur küssen, weil sie so aufrichtig war. Damit hatte ich mir allerdings wieder ein Loch gegraben. Super, Shane.

Erin verließ mein Zimmer ohne ein weiteres Wort und ließ sich an jenem Abend nicht noch einmal blicken. Das war auch gut so, ich hatte nicht gern Publikum.
 

Ich hatte erwartet, dass Mary bescheid wusste. Aber als ich am nächsten Morgen, nach einer weiteren schlaflosen Nacht zum Frühstück erschien, löcherte sie mich nicht mit Fragen und machte auch keine zweideutigen Andeutungen. Was mich ein wenig frustrierte war, dass Erin nicht zum Frühstück erschienen war. Ich wollte sie sehen, egal wie peinlich es für mich werden würde. Aber sie kam auch nach einer Stunde ausgedehntem und heraus gezögerten Frühstück nicht. Erst dann traute ich mich Mary zu fragen.

„Wo ist denn Erin eigentlich?“

Mary blinzelte ein paar Mal verwirrt.

„Du sitzt seit einer Stunde wie auf Hummeln und erst jetzt fragst du mich, wo Erin ist?“

Ich wurde knallrot. Ein seltsames Gefühl machte sich in meinem Bauch breit. Gerade als ich aufstehen und weglaufen wollte, kam Katie mit ihrem Tablett und setzte sich zu uns.

„Ich sitze nicht auf Hummeln. Und gewiss nicht wegen Erin. Es war eine einfache Frage.“, zischte ich. Katie sollte es nicht wissen, aber dazu war es zu spät. Jeder andere Mensch hätte wohl diskret geschwiegen, sie allerdings fragte:

„Stehst du auch meine Schwester?“

Mein Gesicht entgleiste und ich fand keine Zeit meine Züge zu ordnen.

„Nein. Ich stehe auf Jungs.“

Mary grunzte.

„Ja, mindestens genauso sehr, wie ich auf Jungs stehe.“, antwortete sie.

„Mary! Du hast doch keine Ahnung auf was ich stehe.“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Deshalb hängst du auch ständig mit Erin zusammen, unserer Superlesbe.“

Ich warf ihr einen Blick zu, der Packeis zum Zerspringen gebracht hätte. Es gefiel mir nicht, wenn sie so abschätzig über ihre beste Freundin sprach und es gefiel mir nicht, wie sie mich vor Katie bloßstellte. Ich wollte gar nicht wissen, wie viel sie durch Erin über mich wusste.

„Sie ist meine Freundin. Das hat überhaupt nichts Sexuelles.“

Nun zog auch Katie die Augenbraue hoch.

„Na wenn das so ist, dann kann ich dir auch sagen wo Erin steckt.“, setzte Mary an. Ich merkte, wie gereizt sie war. Vielleicht hatte sie ihre Tage. Oder sie war einfach nur schlecht drauf oder beides zusammen.

„Mary, das ist“ Mary schnitt Katie das Wort mit nur einem dunklen Blick ab. Sie warf sich ihr dunkelblondes Haar über die Schulter und richtete ihre schlanke Figur auf. Ihre Augen funkelten dunkelblau vor Sensationsgeilheit.

„Sie ist oben in ihrem Zimmer. Nachdem sie gestern von dir kam… musste sie sich abreagieren.“ Ich erhob mich mechanisch, denn irgendetwas in ihrer Stimme hatte mich alarmiert. Ich wusste auch nicht genau, warum ich darauf ansprach, ich wusste nur, dass es so war.

„Shane, bitte… bleib hier, sie kommt irgendwann noch von selbst.“, bettelte Katie. In ihrer Stimme lag die Panik. Ich hatte für sie nur einen distanzierten Blick übrig. Dann machte ich kehrt und verließ den Speisesaal.

Ich wusste, dass meine Knie zusammensacken würden, wenn ich die Treppe nahm. Deshalb benutzte ich den Fahrstuhl. Unterwegs traf ich mit einer von Laras Freundinnen zusammen. Ich schenkte ihrem scheuen Lächeln und den großen braunen Augen seltsamerweise keine großartige Beachtung. Es war als hätte man mir Scheuklappen angelegt und ich kannte nur das Ziel, das vor mir lag.

Katies hysterischer Ton klang mir in den Ohren. Aber dann erinnerte ich mich an Erins und meinen ersten Kuss. Genau hier im Fahrstuhl. Gerade als sich die Türen schließen wollten, drängte sich Katie schwer atmend durch den Türspalt. Ich konnte nicht anders als genervt zu stöhnen.

„Gut, ich komme mit. Ich will dabei sein, wenn du Erins richtige Seite kennen lernst.“

Es machte mich nervös, dass keiner mit der Sprache herausrücken wollte. Deshalb konzentrierte ich mich auf meine Erinnerung.

„Ich hab sie geohrfeigt.“, murmelte ich schließlich.

Katie warf sich eine blonde Strähne hinter die Schulter. In diesem Moment sah sie sehr niedlich und jung aus. Manchmal zeigte mir Erin die gleichen subtilen Zeichen, die vertrauenswürdig und sexy zugleich waren.

„Wen?“, fragte sie vorsichtig.

Ich seufzte. Jetzt könnte i c h mich ohrfeigen.

„Erin.“

Katie drehte sich einmal um sich selbst und lehnte sich an die gegenüberliegende Wand, während der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte.

„Wieso?“

Ich fuhr mir durchs Gesicht.

„Sie hat mich geküsst.“

Katie verzog das Gesicht.

„Autsch. Das ist sicherlich hart für Erin gewesen.“ Ich musste lächeln.

„Ja, genau.“

Der Sarkasmus konnte ihr nicht entgangen sein. Es war klar, dass auch ich mich, genau wie alle von Erins Freuden, fragte, was genau in ihr vorging und ob sie irgendwann mal aufhören würde, das Arschloch zu spielen.

„Nicht?“

Katie hatte anscheinend eine Vorliebe für einsilbige Fragen.

„Keine Ahnung. Erin gibt nicht gerade sehr viel von sich preis.“

Der Fahrstuhl ruckelte, als wir den dritten Stock erreichten. Mir viel auf, dass ich noch nie bei Erin gewesen war. Lustig, frau küsst sich und kennt sich nicht einmal. Shane, das hast du anders gelernt.

„Wo ist ihr Zimmer?“

Katie lächelte. Sie hatte anscheinend Verständnis für meine Frage. Ich war so in Hast gewesen, dass ich ganz vergessen hatte, dass ich nicht wusste welches von diesen Zimmern Erins war. Hier oben, knapp unter dem Dachboden der Schule, waren nicht ganz so viele Zimmer wie in meiner Etage. Das machte es privater und übersichtlicher.

„Da wohne ich, da wohnt Mary und da wohnt…Erin.“ Sie zeigte auf drei hintereinander gelegene Zimmertüren. Ich wunderte mich nicht, dass Katie hier oben wohnte. Diese Etage ist den Kindern der reichen Eltern vorbehalten gewesen.

Ich schritt auf Erins Zimmer zu.

Noch bevor ich die Türklinge herunterdrücken konnte, wusste ich, was mich erwartete. Es war als würde ich mir selbst dabei zusehen. Trotzdem öffnete ich die Tür.

Zunächst musste ich mich an die Helligkeit des Zimmers gewöhnen.

„Klopf, klopf.“, murmelte ich, während ich hastiges Geraschel vernahm. Dann erkannte ich ein ziemlich großes Bett mit weißen Laken und Erins nackter, schlanker Gestalt darauf. Während ein zierliches, dunkelhaariges Mädchen eilig aufgesprungen war und nun ihre Sachen zusammen suchte, hatte ich genug Zeit mich zu fassen.

Mir wurde schlecht. Es war als würde mir die Sicht verschwimmen. Danach erkannte ich das Mädchen.

„Lara…“

Ich hätte von mir erwartet, dass ich in Zorn ausbrach, fluchte, tobte, sie beleidigte. Tatsächlich steckte mir „Miststück“ schon im Halse, aber ich brachte es nicht über mich, es auszusprechen. Ich wollte ihr freilich wehtun, so wie sie mir wehgetan hatte. Aber dann fiel mir auf, dass sie nicht wusste, dass sie mir damit wehtat. Ich war immer darum bemüht, sie auf Abstand zu halten. Das ist Erins einzig mögliche Reaktion darauf. Es sich von jemand anders holen… Erin machte im Gegensatz zu Lara keine Anstalten sich zu bekleiden. Sie saß nackt (und so schön wie eine Göttin – ja, es ist wahr) im Bett zwischen den zerwühlten Laken einer spannenden Nacht. Diese Erkenntnis brannte in meiner Brust wie glühendes Eisen.

Es drückte auf meiner Kehle. Dieses Verlangen in Tränen ausbrechen zu wollen. Aus Wut über mich und Erin. Über diese Situation. Nun kam auch Mary dazu. Ihr Gesicht strahlte vor Genugtuung. Gerade als ich ihr das sagen wollte, was mir auf der Zunge lag, kam mir Katie zuvor:

„Super Mary, du bist ein gottverdammtes Miststück. Wieso kannst du nicht einfach deine Klappe halten?“

Ich war ihr sehr dankbar für diesen kleinen Einwurf. Ich wollte ihr zuprosten, aber in diesem Moment musste ich mein Gesicht wahren. Mit dem Gesicht zum Boden gewandt und den Händen zu Fäusten geballt, zwang ich mich zum Luftholen.

„Sie wollte wissen wo Erin ist, ich habe es ihr gesagt.“, antwortete sie nur.

Einen Moment lang waren alle Personen im Zimmer zu Eis erstarrt. Als mein Gesicht wieder gesammelt war, blickte ich auf.

„Shane…das ist wirklich…“

Ich hielt die Hand nach oben, als würde ich ein Auto anhalten.

„Nicht so, wie es aussieht? Ich glaube es interessiert mich nicht, was ihr zwei hier getrieben habt. Ich bin nur überrascht, dass ausgerechnet du es bist, auf die Erins Wahl gefallen ist, mehr nicht.“

Ich war beeindruckt von meiner beherrschten Stimme. Sie klang nicht kalt, sie klang nicht verletzt, enttäuscht, eifersüchtig oder sonstiges. Sie war emotionslos, nicht einmal eine Erin Wednesday hätte in einer solchen Situation so reagiert. Mit diesen Worten machte ich auf dem Absatz kehrt.

„Shane…“ Es war Erins Stimme.

Ich hielt inne, drehte mich aber nicht um, sondern lief nach angemessener Zeit weiter. Ein solches melodramatisches Gespräch brauchte ich nicht, wollte ich nicht. Lara, mittlerweile angekleidet, lief hinter mir her, wollte, dass ich anhielt, aber ich hielt nicht an. Es war als wäre ich gelähmt gewesen… geistig, meine ich.

Sie erreichte mich und fasste mich an die Schulter. Ich wirbelte herum.

„Lass sie.“

Gerade als ich Gleiches fordern wollte, erklang Erins Stimme. Sie lehnte im Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie hatte ein weißes Männeroberhemd an. Darunter nur ein rotes Höschen. Ihre Brustwarzen waren nur spärlich bedeckt. Und es machte mich unwahrscheinlich an. Ich wusste aber nicht ob es die Wut war, die mich so erregbar machte.

Lara hatte in ihrer Bewegung inne gehalten und sich zu Erin umgedreht.

„Toll, Erin, jetzt hast du nicht nur deine Freundschaft zu ihr zerstört, sondern auch meine.“

Ich musste bitter lächeln.

„Nein, Lara, hör auf die Schuld immer bei den anderen zu suchen. Dazu gehören immer zwei. Und davon abgesehen, habt ihr überhaupt nichts kaputt gemacht. Ich bin nur…“

„…überrascht, das sagtest du bereits.“, fiel mir Erin ins Wort.

Ich nickte, dann ging ich weiter und ließ die ganze Seifenoper hinter mir.

Als ich in die Stille des Fahrstuhls eintauchte, wurde mir erst bewusst, was ich da gesehen hatte. Und das in vollen Ausmaßen. Ich sank am Boden zusammen und fuhr mir durchs Gesicht. Es machte mir wirklich etwas aus, dass Lara mit Erin geschlafen hatte.

Es machte mir wirklich etwas aus.

Scheiße, es machte mir etwas aus, dass Erin Sex mit Lara hatte. Genau genommen machte mir die Tatsache, dass es Lara war nichts aus, aber dass Erin Sex mit ihr hatte. Das Erin mit einer anderen schlief. Genau genommen hatte sie jedes Recht dazu, wir hatten nichts miteinander. Aber wenn ich jemand küsste, dann hatte das etwas zu bedeuten. Es war ein großes Zugeständnis und Erin trat es mit Füßen. Der Fahrstuhl hielt in meiner Etage. Mit schweren Füßen schlurfte ich den Gang entlang, bis ich mein Zimmer erreichte. Ich fuhr mir durch die Haare, dann schloss ich meine Zimmertür auf.

Das Bett, das da so verlassen in meinem Zimmer stand, wirkte verdammt einladend. Ich gab nach, ließ mich darauf fallen und nahm mir ein paar Sekunden totale Auszeit. Ich beherrschte es nämlich ausgezeichnet, mich für kurze Zeit auszuklinken. Andere nennen es Meditation.

Als ich mich wieder zurückrief, merkte ich, dass ich die ganze Zeit die Decke meines Zimmers angestarrt hatte. Mit einem tiefen Seufzen drehte ich mich auf die Seite, griff meine Voodoo-Puppe und presste sie an meine Brust. Nach weiteren zehn rastlosen Minuten hörte ich es diskret an meiner Tür klopfen. Es konnten nur Mary, Katie, Lara oder Erin sein. Erin wohl nicht. Auf die anderen hatte ich keinen Bock. Ich wollte allein sein.

Es war Lara.

„Shane, es tut mir leid. Ich weiß, wie viel sie dir bedeutet… aber es ist einfach passiert…“

Bei Erin Wednesday passierte nie etwas einfach so. Erin plante und manipulierte bis sie das hatte, was sie wollte. Lara sollte sich eher Gedanken machen, ob ich die Neuigkeit über ihre Bisexualität in die Welt hinaustrug und Erin am Besten auch, denn ich war wirklich in Versuchung.

„Shane, bitte mach auf.“

Wieso sollte ich aufmachen? Hatte sie nicht schon genug angerichtet für einen Tag? Nein, Lara wollte sicherlich noch einen obendrauf setzen.

„Shane…bitte tu dir nichts an oder so...“

Mit einem Mal saß ich aufrecht im Bett. Ich sah auf meine Handgelenke und die Narben auf meinen Unterarmen. Und wieder überkam mich die Lust zur Rasierklinge zu greifen. Aber ich unterdrückte den Drang mir selbst wehzutun, mich zu bestrafen für eine Sache, für die ich nichts konnte. Außer, dass ich so dumm war und mich Erin hingegeben hatte. Ich meinte in gedanklicher Art und Weise. Ich hatte ihr Sachen verraten, die keiner von mir wusste und ihr vertraut. Sie wollte es nicht und schlief mit Lara.

„Shane…“

Ich schwang meine Beine über das Bett. Mit straffen Schritten ging ich zur Tür. Ich riss sie auf und fand Lara davor kauernd wieder.

„Ich werde mir nichts antun. Und erstrecht nicht wegen Erin Wednesday. Glaube mir, solche Zeiten habe ich längst hinter mir gelassen.“

Ich schlug nicht etwa die Tür wieder zur, sondern machte einen großen Schritt über Lara hinweg, die sich vor Schreck zusammen gekauert hatte. Barfuss ging ich zum Fahrstuhl und fuhr hinunter ins Erdgeschoss. Dann machte ich mich auf den Weg nach draußen.

Ich glaubte noch nie so schnell das Internat verlassen zu haben, denn kaum hatte ich die Fahrstuhltüren hinter mir gelassen, atmete ich die klare Luft des bald kommenden Frühherbstes ein. Es war ein reinigendes Gefühl in die Kühle zu treten. Es war ein gutes Gefühl, die spitzen Kiessteine unter meinen nackten Füßen zu spüren und dann das nasse Gras.

Es hatte geregnet.

Ich setzte mich auf den Steg unten am Fluss. Es war zwar nass, aber das war mir egal. Alles was ich wollte, war ein bisschen Ruhe zum Nachdenken. Komischerweise wollten ausgerechnet in diesem Augenblick alle zu mir. Lara hätte doch wissen müssen, dass ich allein sein wollte. Diese kleine Liaison war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. Und ehrlich gesagt wusste ich nicht, ob ich mit diesem Gedanken noch weiter mit Erin befreundet sein konnte. Genau da lag aber der springende Punkt: ich wollte mit ihr befreundet sein, egal was. Ich wollte sie jeden Tag sehen und ich wollte jeden Tag mit ihr reden. Davon abgesehen, dass ich nicht wusste woran das lag, weil Erin mir nichts an Freundschaft zu geben hatte, musste ich einsehen, dass ich vielleicht doch nicht ganz so hetero war, wie ich steif und fest zu behaupten pflegte.

Deshalb – weil Erin jenes Empfinden in mir ausgelöst hatte, und davon auch wusste – durfte ich sie nicht einfach davonkommen lassen. Sie hatte gewusst, wie es um mich stand und es war ihr schlichtweg egal gewesen. Erin hatte einfach nichts anderes als sich Selbst und ihre Wünsche im Kopf. Ich glaubte nicht, dass sie sich schon einmal ernsthaft um andere Gedanken gemacht hatte.

An dieser Stelle, bei diesem Gedanken, musste ich mich allerdings ermahnen, nicht so selbstgerecht und unfair gegenüber Erin zu sein. Ich wusste nicht wirklich, was in ihrem Kopf vor sich ging. Erschrocken stellte ich fest, dass es schon wieder Zeit fürs Mittagessen war. So durchweicht konnte ich unmöglich im Speisesaal aufkreuzen, deshalb erhob ich mich schweren Herzens; obwohl ich gern noch ein wenig geblieben wäre, machte ich mich auf den Weg zurück ins Internat. Es war seltsam. Die Schönheit der Gegend fiel mir erst in diesem Moment richtig auf. Dann fragte ich mich, was mich die ganze Zeit davon abgehalten hatte, Spaziergänge wie diese zu machen.

Als Antwort fiel mir nur ein Name ein.



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von: abgemeldet
2009-08-28T17:29:43+00:00 28.08.2009 19:29
Damit hab ich ehrlich gesagt nicht gerechnet.
Von: abgemeldet
2007-10-20T22:30:31+00:00 21.10.2007 00:30
büdde schreib weiter *vor dir auf knien rumrutsch und fleh* büdde büdde büdde
Von: abgemeldet
2007-10-20T10:00:50+00:00 20.10.2007 12:00
woohoo *.*
schreib schnell weiter, jetzt wirds ja erst recht nochmal total interessant! oooooh, ich will wissen wies weitergeht... ó.ò *bettel* *fleh*
freu mich schon aufs nächste kappi! =)
lg swordi
Von:  Kaname-san
2007-10-18T20:31:54+00:00 18.10.2007 22:31
ich hab jetzt grade deine ganzen kaps durchgelesen und find sie echt klasse! ;) du schreibst wirklich richtig gut und man kann sich supi in die story reinversetzen.
Liest sich richtig schön ^^

ich freue mich sehr schon auf's nächste kap! ^^
werds auf jeden fall lesen ^^
Von:  HarukalovesMichi
2007-10-18T10:27:03+00:00 18.10.2007 12:27
Oh ja das wird immer besser *schnurr* genauso gut wie ein supergutes Buch^^ werde Buchautor^^

Weiter bitte *sucht*

LG HLM
Von:  Kiyo
2007-10-17T19:23:51+00:00 17.10.2007 21:23
Die Geschichte wird ja immer besser, voll spannend. Weiter so! Ich muss unbedingt wissen wie es weitergeht^^


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