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Kurzgeschichtensammlung

Geschichten als Kiriban
von

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Ein Letzter Satz

Kiriban für den 1000. Gästebucheintrag
 

Vom Sternchen

für ihr Engelchen Sali
 

Die Nacht umfing das Land, trug Dunkelheit in alle Ecken und Winkel und wo es keine gab, verharrte sie, schwer und kalt, und nahm alles ein. Über das Feld wehte ein frischer, düsterer Wind. Er strich über das Gras und wirbelte einige frühe Herbstlaubblätter auf, trug sie weit, weit fort, irgendwohin in eine ebenso dunkle Gegend, bis der Wind nachlassen und der Morgen sie erhellen würde, denn jener wird mit Sicherheit kommen.

Schnaufend war ich den kleinen Feldhügel hinaufgestiegen, den Hügel, von dem aus man die nahe gelegene Kleinstadt sehen konnte, mit dem hohen Kirchturm und der Uhr, welche zu jeder vollen Stunde schlägt und den Glockenschlag selbst noch hinauf zu dem kleinen Hügel trug, auf dem ich nun stand und hinabblickte. Diese Stadt war weit und breit die einzige in dieser Gegend und wenn man sich auch mit in die Ferne gerichtetem Blick um sich selbst drehte, so konnte man doch nirgendwo eine weitere Lichtquelle entdecken, als die Straßenlaternen unten im Tal und hoch oben am Himmel das Meer aus Sternen, an diesem Tag noch klarer, als ich es jemals gesehen zu haben glaubte. Erhellten sie auch nicht die Erde, denn es war Neumond, so strahlten sie doch das gesamte Firmament und wiesen auf Schätze hin, die man auf Erden niemals finden konnte.

Mein Herz begann schneller zu schlagen und ich nahm einen langsamen, tiefen Atemzug um mich zu beruhigen. Und als wollte er mich ermutigen, umstreichelte der Wind sanft meine Wangen und meine Stirn und brachte Entspannung in meine Züge, ich schloss die Augen So tröstend es auch wirkte, meine Tränen konnte jedoch nicht forttragen, welche nun langsam an meinem Gesicht herabwanderten, liefen, bis sie mein Kinn erreichten und auf meine nackten Arme fielen, welche ich fest um meinen Körper geschlungen hatte. Trotz der Kühle hatte ich keine Jacke dabei, ich hatte sie bei meinem Aufbruch nur als hinderlich empfunden. Jetzt zitterte ich; der eben noch so wohl tuende kühle Wind verwandelte sich nun allmählich in Kälte.

Die Kirchenglocken schlugen. Es war eine Stunde vor Mitternacht. In der Stadt war schon lange Ruhe eingekehrt. Es war nur eine kleine Stadt, dort wohnten nicht viele Menschen, dennoch war sie um einiges größer als das winzige Dorf, in welchem ich aufgewachsen bin. Von Beginn meines Lebens an hatte festgestanden, dass ich später das Dorf verlassen und in einer Stadt studieren würde, um einen vernünftigen Beruf zu erlernen und eine Familie, meine Familie, die ich gründen würde, versorgen zu können. Es war der Wunsch meiner Eltern gewesen, gefragt hatten sie mich nie, aber versorgt mit allem, was ich brauchte. Oder was sie dachten, das ich brauchte. Doch es war nicht so gelaufen, wie sie es geplant hatten. Ich hatte weder ihre Ansichten noch ihre Vorlieben geerbt. Mir lagen keine Wissenschaften, ich fand mein Interesse in allem Subjektiven, der Kunst und Philosophie, und nicht in faktischem Wissen. Wo auch immer ich mich bewarb, meine Leistungen reichten nicht aus, um angenommen zu werden. Ich will Kunst studieren, hatte ich ihnen gesagt und eine Ohrfeige von meinem Vater erhalten. Doch es hatte keinen Sinn, ich fand keine Lehrstelle und meine Eltern stritten sich mit mir und ich weinte, verlassen von dem gewohnten Schutz, macht- und wortlos gegenüber allen Beschuldigungen, die ich über mich hatte ergehen lassen müssen. Sieh zu, wo du bleibst, war der letzte Satz, den ich bald vor drei Jahren von meinen Eltern gehört hatte. Gerade heute erklang er in meinen Ohren, als stünden sie vor mir und ich zuckte zusammen, als ich glaubte, die schmerzenvolle Hand meines Vaters auf der Wange zu spüren. Ich kniff die Augen unter Tränen zusammen und sackte auf den feuchten, lehmigen Feldboden. Ich hatte versagt. Ich es hatte nicht geschafft, es ihnen Recht zu machen und dieser eine Satz…

Ich will Kunst studieren.

Es war mein Wunsch und ich hätte niemals geglaubt, dass er mein Leben von einem Moment auf den anderen komplett zerstören könnte. Ein Wunsch, ein Ziel, das, was jeder Mensch in sich trägt, das auch meine Eltern in sich trugen, bevor ich sie enttäuscht hatte, hatte für mich immer etwas Gutes bedeutet. Doch als das erste Jahr vorüber war, in dem ich versucht hatte, mich in der Stadt einzuleben, musste ich nach und nach schmerzlich erkennen, dass weder der Wunsch meiner Eltern mir Glück gebracht hatte noch, und erst recht nicht, mein eigener.
 

Ich will Kunst studieren.

Wie absurd es nun klang, wenn ich diesen Satz mit spröder Stimme vor mir hersagte, hinein in die kalte, stille Finsternis und er vom Wind sogleich erfasst und hinauf zu den unendlich weit entfernten Sternen hinauf trug und sie doch niemals erreichen würde.

Ich hatte kein Geld, um etwas Vernünftiges lernen zu können, meine Eltern hatten mich seit dem nicht mehr länger unterstützt und ich musste arbeiten, um leben zu können und hatte ich es noch im ersten Jahr weiterhin versucht, auf einer für mich von meinen Eltern ausgewählte Schule aufgenommen zu werden, so verließ mich auch hier bald die Hoffnung und ich gab beides, den Wunsch meiner Eltern und meinen eigenen, auf und widmete mich ganz den gering bezahlten Jobs, um mir irgendwann von den Ersparnissen ein besseres Leben leisten zu können. Durch all die vielen Jobs fand ich jedoch keine Zeit mehr, die Verbindung zu meinen Freunden aufrecht zu erhalten, bald sogar nicht mal mehr zu meinen engsten. So sehr ich es auch verhindern wollte, ich verlor einen nach dem anderen. Letztendlich blieb mir nur noch mein bester und von Kindheit an engster Freund übrig. Und gestern hatte er plötzlich vor meiner Tür gestanden. Seit über zwei Jahren hatte ich ihn nicht mehr gesehen, denn wir hatten nur telefonischen Kontakt gehabt, und dieses strahlende Lächeln seines Gesichtes hatte die fast schon vergessene Wärme in meinem Herzen wieder erweckt und es hatte kein Wort aus meinem Munde kommen wollen, als ich ihn, überglücklich und mit freudentränenüberströmtem Gesicht, umarmt hatte und nie mehr loslassen wollte. Alle Müdigkeit war plötzlich wie auf einen Schlag vergessen und ich lud ihn in meine winzige Wohnung ein, die gerade einmal einen Stuhl besaß und wir uns deshalb auf den Boden setzten und die ganze Nacht über redeten und erzählten. An diesem Abend hatte ich das Glück gespürt, nach dem ich die vergangenen Jahre so verzweifelt gesucht hatte, doch ebenso wie auf eine traurige Nacht, so folgte auch auf eine glückliche der Morgen und ich musste zur Arbeit. Ich spürte mein Herz, wie es sich zusammen zog und stach, als ich mich von meinem engsten und einzigen Vertrauten, den ich noch auf Erden hatte, verabschiedete. Ein letztes Mal hatte er mich angeschaut, mit ernstem und sorgenvollem Blick. Du hast dich sehr verändert, hatte er gesagt, und du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du einmal Hilfe brauchen solltest. Ich bin noch bis morgen in der Stadt.

Daraufhin hatte er mir den Hotelnamen und seine Zimmernummer aufgeschrieben, doch ich versicherte ihm, dass ich bereits genug Geld gespart hatte und demnächst in eine größere Wohnung umziehen könnte. Außerdem hatte mir mein Arbeitgeber eine Gehaltserhöhung versprochen. Ich habe Glück, alles wendet sich zum Guten, hatte ich ihm gesagt, doch seine Sorge hatte nicht aus seinem Gesicht weichen wollen. Eine letzte Umarmung.

Pass auf dich auf!

Dieser letzte Satz war weitaus schöner, als der, den ich von meinen Eltern zu hören bekommen hatte. Als ich wieder allein in meiner Wohnung gewesen war, hatte mich eine unerwartete Schwermut überkommen, ich weinte und schluchzte und wollte und konnte und wollte nicht aufhören. Ich verfluchte den Morgen, die zu schnell verronnene Zeit, die mir von einer Sekunde auf die andere all mein Glück und noch viel mehr entrissen hatte. An diesem Tag, heute, war ich nicht mehr bei der Arbeit erschienen. Ich hatte auf meinem Bett gelegen, mit geschwollenen Augenlidern, hitzig roten Wangen und zerzaustem Haar, ging nicht ans Telefon, wenn es klingelte und dachte über alles und nichts, über mein Leben und meine Vergangenheit nach.

Ich hatte kein erspartes Geld, ich konnte mich mit dem, was ich bekam, schon kaum über Wasser halten, geschweige denn etwas sparen. Eine Gehaltserhöhung würde ich bei meinem Job ebenfalls nie bekommen. Ich hatte gelogen. Warum, wusste ich selbst nicht.

Die Zeit verging, und, wie es mir vorkam, tausendmal schneller als an dem vergangenen Abend, und es war Mittag geworden und irgendwann Abend. Und ich hatte beschlossen, dass dies mein endgültig letzter Satz sein sollte, der mir in meinem Leben gesagt worden sein sollte. Ich hatte keinen weiteren Morgen mehr erleben wollen, als diesen alles Vernichtenden des heutigen Tages. Ordentlich hatte ich meine Wohnungstür abgeschlossen, ein letzter Blick auf das Papiertürschild mit meinem Namen, dann war ich losgeeilt, das Küchenmesser, eingewickelt in ein Tuch, in einem Beutel bei mir.

Meine Hände hatten sich in die lehmige Erde gekrallt, während ich meine Tränen langsam wieder unter Kontrolle bekam. Ich ließ die Erde durch meine Finger in lehmigen Klümpchen zur Erde fallen und wischte den Dreck achtlos an meiner Kleidung ab. Dann nahm ich das eingewickelte Messer aus dem Beutel, entfernte mit fahrigen Händen das Tuch und sah durch einen Tränenschleier die metallene Klinge; sie reflektierte den Himmel mit seinen Sternen und mein Blick glitt abermals hinauf zum Himmel. Es musste bald der nächste Tag anbrechen, ich fürchtete mich vor dem Glockenschlag. Langsam fand die Klinge ihren Weg zu meinem linken Handgelenk. Sie setzte auf und ich spürte den kalten Stahl. Sie zog entlang, aber nicht heftig genug. Es war bloß ein flacher Schnitt, aus dem nun langsam Blut quoll. Das Messer zitterte. Es vergingen Minuten, bis mir klar wurde, dass es meine Hand war, die das Messer führte und nun heftig bebte. Ich hatte Angst und wagte nicht, die Klinge nochmals anzusetzen, doch hielt ich den Griff fest umklammert, als suchte ich Halt an ihm. Da ertönte der Glockenschlag, drang hinauf bis zu dem Hügel in mein Ohr und formte Gedanken, Gefühle in meinem Innern. Nun war es Mitternacht. Und auf einmal sah ich das freudige Lächeln meines einzigen Vertrauten in dieser Zeit, die warmen Augen, die mich kennend und tröstend anblickten, ich spürte die ermutigende Umarmung, hörte den Klang seiner Stimme.

Pass auf dich auf!

Meine verkrampfte Hand löste sich und das Messer fiel in die Erde. Es war vorbei. Der nächste Tag hatte begonnen, ein neuer Morgen würde anbrechen und ich wusste, es würde nicht der letzte sein. Ich saß noch lange dort, in der lehmigen Erde auf dem dunklen Hügel nahe der kleinen Stadt, und betrachtete den Sternenhimmel und als der Morgen dämmerte, war es, als wäre ein Fluch endgültig von mir gewichen, ich fühlte mich erleichtert und freier denn je.

Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du Hilfe brauchen solltest.

Und ich stand auf und lief eilig den lehmigen Hügel hinab, zurück in die Stadt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2007-10-19T21:19:50+00:00 19.10.2007 23:19
Weißt du was? Ich mag das Thema nicht... Ganz und gar nicht... also diese (Fast-)Ritz-Selbstmord-Dinger...
(fängt gut an, was?)
Allerdings: Darf ich dich mit zwei Personen vergleichen? Eher deinen Stil...
Und zwar sind das: Eichendorff ("Nachts") und Willemsen ("Deutschlandreise")... Zwei meiner Favoriten...
Wie gesagt, mein Geschmack ist das Thema nicht, aber der Stil fasziniert mich, fesselt... Wie die Worte dahin fliegen, mal in melodisch langen Satzkonstruktionen, ab und an unterbrochen (sehr schön u.a. durch das "Pass auf dich auf")...
Die Wortwahl ist auch top (top ist ein doofes Wort, aber klasse wollte ich's auch nicht nennen, obwohls zutrifft)... Passend düster, und dennoch Geborgenheit ausstrahlend... Das hat der Herbst so an sich... Warme Farben zum kalten, düsteren Wetter... Kein Komma, kein Buchstabe fehlt oder ist zuviel... Diese melancholische Zweisamkeit der Gedanken und der Beschreibungen nimmt einem(also mir) die Sprache, klopft an mein Herz und ergreift es...
Da ich mich nicht wiederholen möchte und das müsste ich, endet an dieser Stelle mein Kommentar...
Mit dir kann man bestimmt gut über Gedanken o.Ä. reden...
Wenn es mich mal danach sehnt...

VlG
Alex


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