Von Müttern und Alkohol
Von Müttern und Alkohol
Ich öffnete die Tür und der Geruch von Alkohol stieg mir in die Nase. Nach dem Lichtschalter suchend, zog ich meine Jacke aus und schmiss sie in die Ecke, neben den großen hölzernen Schrank. Der Geruch wurde stärker, als ich mich auf den Weg durch den immer noch dunklen Flur machte. Die Lampen waren wohl immer noch kaputt. Wie sollte es auch anders sein. Ich schielte kurz ins Wohnzimmer, um zu sehen, ob meine Mutter noch lebte.
Da lag sie, auf dem roten Sofa, in einem grünen Schlabberpullover und Leggins. Sie war nur halb zu gedeckt und schaute sich irgendeine Talkshow an. Ich drehte mich leise um, doch es war zu spät. „Sakura, ich hab dich gesehen!“ murmelte sie vor sich hin. Ich seufzte auf und drehte mich abermals um. „Was ist?!“, fragte ich genervt und starrte meine Fingernägel an. Sie waren dreckig und abgenagt. Ich lehnte mich an den Türrahmen, um so gelangweilt wie möglich auszusehen. Vielleicht ließ sie mich dann in Ruhe. „Wo warscht du?!“ Wusste ich es doch! Die leere Wodkaflasche auf der Erde war nicht von gestern. Sie war betrunken, wie immer, wenn ich sie sah. „Nicht da, oder hast du mich gesehen?“, antwortete ich provozierend.
Ich musste grinsen. Eigentlich fielen mir solche Sprüche erst dann ein, wenn die Situation schon geklärt war. „Du sollscht nich so mit mir reden!“ Ihre Stimme hob sich. Ich hatte keine Ahnung wie man solche Stimmungsschwankungen haben konnte. Vielleicht lag das aber auch an den Wechseljahren. Meine Mum stand auf und ging auf mich zu. Gehen konnte man das allerdings nicht nennen, denn sie wackelte hilflos hin und her. Belustigt sah ich meine Mutter an. Sie trank, seit mein Vater abgehauen war. Es waren seither gute 9 Jahre vergangen. Und es wurde von Jahr zu Jahr schlimmer.
Endlich war sie bei mir angelangt und funkelte mich böse an. „Hörscht du mir eigentlich su? Hascht du getrunken?!“ Diesmal war es ein Brüllen, welches ihre Kehler verließ. Mir wurde übel, als ich ihren Geruch wahrnahm. Soviel extremer als im Flur. “Das fragt die Richtige“ lachte ich leise, was sie noch wütender machte. „Verschwinde! Verpiss dich aus meinem Haus, du kleine Missgeburt!“ Da war es wieder. Dieser unendliche Schmerz. „Schön...“, murmelte ich leise und machte auf dem Absatz kehrt. „Dann wird sich die kleine Missgeburt jetzt mal verabschieden!“ Sie hatte zu viel getrunken, redete ich mir ein, als ich meine Jacke überschmiss und aus der Wohnung stürzte. Eine Träne rann mir die Wange hinunter, aber die sollte sie niemals sehen. Ich rannte die Treppe hinunter und blieb am Geländer hängen. Ich riss mich los, doch die Marmortreppe schien frisch gewienert. Zu allem Überfluss spielte mein Gleichgewicht nicht mit und ich fiel hinunter. Stufe für Stufe spürte ich den Aufprall. Erneut und erneut. Unendlich lange erschien mir der Fall. Warum passierte das immer nur mir? Unten angelangt, spürte ich jeden meiner Knochen. Mein Kopf hämmerte und heiße Tränen brannten in meinen Augen.
Anscheinend hatte ich ganz schön Krach gemacht, denn unser Nachbar schaute neugierig aus der Tür. War klar, dass der schaute was los war. Schlimmer als jedes Frauenzimmer war der Typ, Er wusste jeden Klatsch und Tratsch. Als er mich sah stieß er erschrocken die Wohnungstür auf, um mir zu helfen. Was er nicht bedacht hatte: Ich saß direkt davor. Es schmerzte, als die schwere Tür mich in der Seite traf. So was passierte immer nur mir, dachte ich erneut und versuchte auf zu stehen. Der Mann murmelte ein leises „’Tschuldigung“ und half mir auf die Beine.
„Danke, ab hier komm ich alleine weiter.“ sagte ich leise und humpelte zur Treppe. Weg konnte ich so nicht. Mir tat alles weh. Langsam kämpfte ich mich die Treppen hoch. Jede blöde Stufe, die ich zuvor noch mit meinem Körper abgefangen hatte. Nach ca. 30 Minuten Schmerz hatte ich es dann geschafft 20 Treppenstufen hinter mich zu bringen. Ich drehte mich noch einmal und sah, dass der Typ da immer noch stand und sich einen abgrinste. Der lachte mich doch tatsächlich aus! Mit hochrotem Kopf, war es vor Wut oder vor Scharm, öffnete ich die Tür abermals.
Diesmal verzichtete ich auf den Lichtschalter, da er ja eh kaputt war, und ging leise in Richtung Küche. Ich wollte mir ein bisschen Eis besorgen, denn die blauen Flecke und Prellungen, die ich mir mit Sicherheit zugezogen hatte, taten verdammt weh .In der Küche angekommen, sah ich mich um. Alles wie immer. Dreckiges Geschirr, Müll und jede Menge Essensreste gammelten vor sich hin. Ich humpelte zum Kühlschrank und suchte vergeblich nach den Kühlpacks. Wie schon gesagt: vergeblich.
So viel Pech konnte ein Mensch doch gar nicht haben. Ich wusste genau, was jetzt kommt: ich müsste ins Wohnzimmer, um im kleinen Kühlschrank meiner Mutter nachsehen, ob sie die Kühlpacks dort gebunckert. Nur leider saß genau diese Person in genau diesem Raum. Ich seufzte und atmete einmal tief ein. Also los. An der Tür zum Wohnzimmer blieb ich stehen. Sie telefonierte. Ich lehnte mich an die Wand des Flures und hörte interessiert zu.
„Jaha...du muscht sie aufnehmen!...Nein isch bin nischt betrunken!“, lallte sie. Neeein, du bist überhaupt nicht betrunken, dachte ich und zog die Augenbrauen hoch. „Am beschten noch heute...Jaha, bin isch...mhm bisch dann!“ Sie legte auf. Was für ein merkwürdiges Gespräch. Naja, zumindest konnte ich jetzt an den Kühlschrank, ohne das es so aussah, als ob ich lauschen wollte. Ich setzte mich in Bewegung und humpelte in das Zimmer, welches nur durch da Licht des Fernsehers erhellt war. An dem roten Sofa vorbei bis zum Eichenschrank. Dort stand der kleine Kühlschrank.
„Sakura?!“, hörte ich im Hintergrund, während ich die gefunden Kühlpacks auf meine Hüfte legte. „Was ist denn?“, fragte ich gereizt. Es war doch genug für heute, oder etwa nicht? Gott hatte eindeutig etwas gegen mich. „Pack deine Sachen...“, murmelte sie. „Was bitte?“, fragte ich etwas lauter und drehte mich ruckartig um. Das hätte ich jedoch lassen sollen, denn ich spürte einen stechenden Schmerz in meiner Seite.
„Du kommscht auf ein Internat....pack deine Sachen, du wirscht in 20 Minuten von einem Taxi zum Bahnhof gebracht. Du musst nach..ähm...Luciana.“, murmelte sie weiter. Wie angewurzelt starrte ich sie an, meine so genannte Mutter. Na klasse, besser konnte mein Leben nicht werden! Ein verdammtes Internat. Ich stand auf und rauschte an ihr vorbei in mein Zimmer. Meine Mutter und Alkohol vertrugen sich eindeutig nicht.