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Blind Dragon

Das Auge des Orion
von

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Kapitel 7

Japsend wie ein Fisch auf dem Trockenen lag ich auf dem Fußboden von Rongas Wohnzimmer. Er hatte sich in dem Sessel aufgerichtet und beobachtete mich aufmerksam. Auch Rick war aufgewacht und betrachtete mich sorgenvoll. Die Situation hatte etwas Beklemmendes. „Morgen allerseits“, sagte ich scherzhaft in dem Versuch, die Spannung zu lösen. Zu meiner Überraschung war es Ronga, der mich rettete. „Guten Mittag, die Herren“, übermittelte er uns auf seine Art der Telepathie, die mir in diesem Augenblick völlig normal erschien. Er sprang vom Sessel, den Schwanz fast zwischen den Hinterbeinen und den Kopf demütig gesenkt, trottete zum Kühlschrank und sein Magen knurrte wie auf Kommando. Rick und ich antworteten mit schallendem Gelächter. Der große Meister scheiterte an einer Kühlschranktür und musste seine Gäste ums Essen anbetteln. So würdevoll er sonst wirkte, so königlich amüsierten wir uns darüber. Meinen Traum hatten wir alle vergessen.

Dafür schwemmte mein Gedächtnis Bruchstücke des letzten Abends an. Meine Wohnung war zur Hälfte eine schwarze Höhle und garantiert wimmelte es dort von Menschen, die der Ursache dieses unnatürlichen Brandes auf den Grund gingen. Außerdem würde es Leute geben, die sich fragten, ob der Aschehaufen mit den menschlichen Knochen zu mir gehörte, oder zu dem Boten, den sie geschickt hatten. Es würde nicht lange dauern, bis sie Antwort bekämen. Ich konnte nicht zurück. Nur wohin? Wenn ich zu meinen wenigen Freunden oder zu meinen Geschwistern zog, würde ich diese in Gefahr bringen. Sie würden erleben, was Rick erlebt hatte. Vielleicht Schlimmeres. Alles, wo viele Menschen waren fiel als Bleibe aus. Ronga wohnte außerhalb und würde mich sicher eine Weile aufnehmen, aber seine Praktiken waren mir immer noch nicht geheuer. Selbst jetzt fürchtete ich ihn immer noch mehr als die Männer, die hinter mir her waren. Ich brauchte Zeit, um abzuwägen, wem ich das Auge des Orion nun geben sollte. Außerdem brauchte ich eine Bleibe für Rick und mich, denn auch er wollte nicht bei Ronga bleiben, obwohl ich den Eindruck hatte, die beiden verstünden sich gut. Ich musste zu irgendjemandem, dessen Gefährdung mir nichts bedeutete. Jemandem, der mit völlig egal war.

Einige Zeit später standen wir vor dem Haus von Nicholas Mischu. Er hatte mindestens zwei Zimmer übrig. Verschlafen öffnete er uns. Seine Freundin vom Abend war nicht bei ihm. Dafür eine Flasche Wodka und eine Fahne erster Güte. Es stimmte mich ausgesprochen fröhlich, ihn so zu sehen. „Na? Heute wieder einer deiner Glückstage?“ begrüßte ich ihn.

„Was willst du?“ knurrte er.

„War neugierig, wie’s mit der Kleinen aus dem Club gelaufen ist.“

Er hielt sich den Kopf und stöhnte auf als wäre ich für seinen Kater und seine Trunkenheit verantwortlich. „Sowas passiert wirklich nur mir“, nuschelte er.

„Klingt super. Bekomm ich n Kaffee?“

Nick verdrehte die Augen und seufzte: „Ich hasse mein Leben.“ Er drehte sich um und machte Anstalten, mir die Tür vor der Nase zuzuknallen. Ich hielt sie auf, was bei seiner wenigen Kraft nicht weiter schwer war. Die Flasche fiel ihm aus der Hand. Rick und ich stiefelten an ihm vorbei, fanden die chaotische Küche auf Anhieb und kochten uns Kaffee. Im Eingansbereich hörten wir Nick die Scherben aufkehren. An seiner Stelle würd ich lieber wieder mit den Armen fuchteln, dachte ich. Den Handfeger in der Hand erschien er im Türrahmen der Küche, in der sich Kaffeeduft ausbreitete. Selbiges tat auch ich, indem ich mich auf einen Stuhl am Esstisch setzte und die beschuhten Füße hochlegte. Fühl dich wie zuhause, sagte ich mir.

Nicks Gesichtsausdruck wurde finster wie tiefste Nacht. „Raus“, sagte er wütend. Ich streckte mich demonstrativ. Unterdes hatte Rick die Kaffeebecher gefunden. „Milch? Zucker?“ fragte er seelenruhig in die Runde. „Schwarz“, antwortete ich, während Nick entrüstet schwieg. Rick musterte unseren Gastgeber wider Willen und drückte ihm schließlich einen Kaffee mit einem Schuss Milch in die Hand. „Du siehst aus, als könntest du ihn brauchen. Tut mir leid, dass es mit der Frau nichts geworden ist. Aber wenn du dich so gehen lässt wird’s bei der Nächsten auch nichts.“ Er klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter und lächelte aufmunternd. Normalerweise hätte eine solche Geste mich wütend gemacht, aber in diesem Fall wirkte sie entwaffnend ehrlich. Ich prustete, während Nicks Unterkiefer herunterklappte. Es sah aus, als hätte er ähnlich gedacht. „Darf ich dir meinen Mitbewohner Rick vorstellen?“ flötete ich.

„Rick und Nick... Das ist wirklich nicht sehr komisch Kori“, maulte Nick.

„Ist wirklich nur Zufall“, versicherte ich ihm und nahm meinen Kaffee in Empfang. Rick holte sich O-Saft aus dem Kühlschrank. Ich kannte ihn schon als Kaffeehasser. „Also, was ist schiefgegangen? Ihr habt euch doch bestens verstanden.“

„Sie dachte, ich wäre ne Frau, die sich als Mann ausgibt.“

„Wirkte gar nicht so, als wär sie vom anderen Ufer...“ meinte ich abwesend.

„Ist sie aber. Zumindest zur Hälfte.“

„Und als der Groschen gefallen ist, warst du uninteressant und sie hat dich abserviert.“

Nick nickte niedergeschlagen. „Blöde Kuh“, sagten Rick und ich wie aus einem Munde.

„Kori?“ Nick musterte mich höchst misstrauisch. „Was ist los? Du willst doch irgendwas.“

„Du lernst es langsam“, lächelte ich. „Abgesehen davon, dass ich noch meinen Stein wiederbekomme, quartiere ich mich n paar Tage bei dir ein. Wird nicht lange dauern.“

Nick räusperte sich. „Ich wüsste nicht, wann ich dir erlaubt hätte, hier zu wohnen.“

„Ich auch nicht“, überrumpelte ich ihn. „Aber los wirst du mich auch nicht.“

„Ich zeig dich an wegen Hausfriedensbruch.“

„Dann zeig ich dich an wegen Besitzes von Diebesgut.“

„Den Stein hab ich von dir.“

„Nick, wer redet denn von dem Stein? Ich hab dir doch gar nicht erzählt, wo ich den her habe... Wusstest du etwa, dass du mir etwas abnimmst, was ich gestohlen habe? Und dann bringst du es nicht zur Polizei? Sooowas...“

„Ich, äääh... WIIEE auch immer...“

„Willkommen zu Hause, wolltest du sagen.“ Ich schenkte ihm ein honigsüßes Lächeln. „Und Schatz, wo ist mein Zimmer?“

Er schnaubte, woraufhin Rick lächelte. Mein Traum kam mir in den Sinn und mit ihm der Junge auf dem kopflosen Pferd. „Es ist wirklich nur für ein paar Tage. Kori muss anscheinend ein paar Dinge klären, dann ziehen wir wieder aus“, versprach mein Mitbewohner.

„Ihr seid unterschiedlich wie Tag und Nacht“, stellte Nick fest. „Rick würd ich sofort hier einziehen lassen, aber du machst mir doch garantiert Ärger.“

„Nick, ich wohne bereits hier“, erklärte ich ihm und stapfte los, um mir ein Zimmer zu suchen.

„Das ist MEIN HAUS!!“ keifte er mir hinterher.

„Ich wahais!“ trällerte ich zurück.

Es dauerte nicht lange und ich hatte ein Zimmer gefunden, dessen Bett frisch bezogen war. Es roch frisch, aber nirgends waren Spuren des Bewohners zu sehen. Ein Gästezimmer. Nebenan fand ich sogar ein kleines Bad. Ein richtiges kleines Hotel. Die perfekte Bleibe. Rick war mir gefolgt. Ich machte eine ausholende Geste durchs Zimmer. „Das hier wird meins. Ob er wohl noch eins für dich hat?“

„Das bestimmt, aber sollten wir ihm nicht irgendwas dafür geben, wenn wir uns ihm schon so aufdrängen?“

„Denk nicht so höflich. Nick ist da sicherlich nicht pingelig.“

„Ich denke doch... Jedenfalls scheint er nicht gerade begeistert“, antwortete Rick. „Ich werde Miete zahlen.“

„Gut, mach das.“ Für mich war das Problem gelöst.

„Der arme Tropf geht dir tatsächlich am Allerwertesten vorbei, was?“ setzte er plötzlich nach.

„Hatten wir nicht gesagt, persönliche Themen sind tabu?“ maulte ich ihn an.

„Ja, weil ich Angst hatte, dass du mich behandelst wie meine Eltern, wenn du zuviel über mich weißt. Gutes Ablenkungsmanöver übrigens, aber findest du nicht, dass wir deinen Freund ganz schön überrumpeln? Wirst du ihm überhaupt sagen, dass er jetzt in Lebensgefahr schwebt, wenn er dir das Auge des Orion nicht gibt?“

Er war ein weitaus besserer Rhetoriker als Nick und er wollte unbedingt persönlich werden. Bitte sehr. „Wie haben dich deine Eltern denn behandelt?“ fragte ich bissig.

„Kori, bitte lass das.“

„Du setzt dich über die Abmachung hinweg. Warum soll ich dich nicht fragen?“

Seine Augen glänzten verdächtig. Der für mich nicht lesbare Gesichtsausdruck war wieder da. Zusammen mit einer Portion dunkelroten Zornes. „Ich setze mich drüber weg, weil du die Abmachung als Alibi benutzt, um dich wie der letzte Arsch aufzuführen!“ brüllte er. „Und wenn du es unbedingt wissen willst: Meine Eltern haben mich im Abstellraum eingesperrt, weil sie Angst vor meiner Magie hatten und weil sie Menschen sind! Vollständige!“ Er warf sich herum. Krachend fiel die Tür des Gästezimmers ins Schloss. „Ach, fick dich doch!“ donnerte ich zurück und schlug gegen die Tür.
 

Als ich vier gewesen war, hatte mein Vater mir folgendes Sprichwort beigebracht: „Hinter den Tränen ist Wut; hinter der Wut sind Tränen“. Als dieser Tag vörüberging und ich das Gästezimmer nicht hatte verlassen müssen, spürte ich, wie viel Wahres daran war. So langsam konnte ich mich selbst nicht mehr leiden, so wie ich mich aufführte. Bis spät in die Nacht blieb ich auf dem Zimmer und schlug gegen die Wände aus Wut oder biss mir auf die Unterlippe, um meines Schamgefühls Herr zu werden. Das Erste, was ich am Morgen tun würde war, mich bei Rick zu entschuldigen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Anoriel
2008-02-20T14:51:33+00:00 20.02.2008 15:51
Ohje.. echt ein heftiges Kapitel. Rick tut mir Leid.. es erinnert mich ein wenig an den Anfang von Harry Potter, wo Harry doch bei den Dursleys auch in so einem Abstellraum voller Spinnen leben durfte, aber bei Ricks sind's sogar die _Eltern_ die ihn einsperrten... armer Tropf.
Und Kori tut mir auch Leid... immerhin wollte er sich gar nicht streiten, oder? Schon gar nicht mit Rick....
Von:  Nochnoi
2007-09-01T16:51:21+00:00 01.09.2007 18:51
Der arme Nick tut mir echt furchtbar leid óò Erst wird er von dieser Lady abserviert und dann bekommt er auch noch völlig unerwartet und gegen seinen Willen zwei neue Mitbewohner. Aber trotzdem musste ich lachen, als sich Kori und Rick einfach so mal eben selbst eingeladen haben xDD Die scheinen sich bei Nick ja schon gleich wie Zuhause zu fühlen xDDD
Der Streit am Ende fand ich jedoch richtig schlimm o.ô Armer kleiner Rick - ich merke gerade, dass ich irgendwie alle aus deiner Story bemitleide XDD Aber bei so ner fiesen Kindheit kann man ja echt nicht anders fühlen. Was für nette Eltern er doch hat -.-


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