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Sakuya

Last Night
von

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Erinnerung

11. Kapitel:

Erinnerung
 

Einige Stunden später lag Shizuka ruhig atmend neben meinem Bett in ihren Futon eingewickelt und schlief. Einige Minuten nach meiner letzten Frage war sie einfach aufgestanden und hatte begonnen ihre Sachen so weit wie nötig auszupacken, bevor sie etwas von Müdigkeit erzählte und das sie nun schlafen gehen wolle. Ein Blick auf die Uhr hatte mir verraten, dass es erst achtzehn Uhr war, aber dennoch wollte ich Shizuka nicht aufhalten und ließ sie gewähren. Tatsächlich war sie eine halbe Stunde später in einen tiefen Schlaf gesunken und schnarchte leise, ein Geräusch, das ich nur selten von ihr gehört hatte. Ich hatte unterdessen Kazuhiko „eingewiesen“ und ihm erklärt, was er tun durfte und was nicht, wobei letztere Liste um einiges länger gewesen war. Im Grunde beschränkten sich seine Rechte auf Schlafen, Trinken, Essen, die normalen menschlichen Bedürfnisse und Gehorchen.

Doch auch Kazuhiko hatte sich relativ früh – gegen zwanzig Uhr – in sein Zimmer zurückgezogen, da er behauptete ebenso müde zu sein wie Shizuka.

Darum hatte ich beschlossen noch etwas zu lernen, bevor ich gegen zweiundzwanzig Uhr ins Bett gegangen war, was sich als komplizierter herausstellte, als ich erwartet hatte, da Shizuka sich vor meinem Bett ziemlich breit gemacht hatte. Vorsichtig stieg ich über ihre ausgestreckten und verwinkelten Beine und schlüpfte unter meine dicke, dunkelrote Bettdecke, in die ich mich sofort einkuschelte. Bevor ich das Licht ausschaltete warf ich noch einen letzten Blick auf meine schlafende Freundin und schlief dann selber relativ früh ein.
 

Am nächsten Morgen klingelte mein Wecker zur gewohnten Zeit und ließ mich unsanft aus dem Schlaf hochfahren. Meine Mutter war einige Zeit lang zu meiner Schwester gefahren und so musste ich sehen, wie ich morgens alleine aus dem Bett kam.

Ein Blick neben mein Bett verriet mir, dass Shizuka schon lange aufgestanden war, denn ihr Futon lag ordentlich zusammengefaltet in einer Ecke meines Zimmers und auch ansonsten deutete nichts darauf hin, dass noch jemand in diesem Zimmer übernachtet hatte außer mir.

Langsam stand ich auf und machte mich fertig, konnte es mir aber nicht nehmen lassen, vorher noch einen Blick in das Gästezimmer zu werfen, in dem Kazuhiko immer noch friedlich schlief und dabei das Kissen fest umklammert hielt, als würde er gerade von etwas anderem träumen, als ein Kissen in seinen Armen zu halten.

Die knarrende Treppe hinuntersteigend hörte ich schon die Geräusche aus der Küche, die sich nach aufeinander gestapelten Geschirr und kochendem Wasser anhörten. So leise es ging schlich ich mit meinen Socken in die Küche und entdeckte Shizuka vor dem Herd, wo sie in einem kleinen Tochkopf herumrührte, in dem sie scheinbar Reis kochte. Immer noch langsam und bedächtig ging ich auf sie zu und tappte dabei auf meinen Zehenspitzen in ihre Richtung, bevor ich direkt hinter ihr stand. Mit einem Ruck packte ich ihre beiden Schultern und drückte mit ein wenig Kraft zu.

„Buh“, flüsterte ich ihr dabei ins Ohr und genoss es sichtlich, wie sie vollkommen in sich zusammensackte und ihr Herz für einen Moment auszusetzen schien, da ich es wieder einmal geschafft hatte, sie zu erschrecken.

Sie drehte sich mit einem Mal um und sah mich wütend und beleidigt zugleich an, während es in ihren Augen funkelte. Ich hingegen grinste nur vor mich hin, während sie mir erneut damit drohte, dass ich es noch einmal bereuen würde, wenn ich sie auch nur einmal noch so sehr erschrecken würde.

Lächelnd legte ich einen Finger auf ihre Lippen und gebot ihr damit, leise zu sein.

„Zu-chan, du weißt doch ganz genau, dass deine ‚leeren’ Drohungen bei mir nicht wirken, oder? Außerdem musst du mir diesen Spaß doch gönnen, wenn ich dich nur noch so selten zu Gesicht kriege, oder?“

Ein Grinsen breitete sich auf meinem gesamten Gesicht aus und schließlich seufzte Shizuka resignierend und drehte sich wieder zum Herd herum, ohne mich eines weiteren Blickes oder Wortes zu würdigen.

Na bravo! Da war der Herd scheinbar sehr viel interessanter als ich. Beleidigt die Luft ausstoßend verschränkte ich die Arme vor der Brust und wollte die Küche verlassen, bemerkte dann aber, dass Shizuka wieder völlig konzentriert den Herd und ihren Kochtopf anstarrte, in dem weiter das Wasser und der Reis brodelten.

„Soll ich mich jetzt gegen einen Kochtopf behaupten, oder was?“

Mir war nicht bewusst gewesen, diese Worte laut ausgesprochen zu haben, bis Shizuka sich wieder mir zuwandte und versuchte mich versöhnlich in den Arm zu schließen. Immer noch gespielt beleidigt ließ ich es geschehen und lehnte mich schließlich gegen sie. Dabei vernahm ich zwar ihre Stimme an meinem Ohr, war mir aber nicht sicher, ob ich ihre Worte richtig verstanden hatte.

„Der Topf hätte eh keine Chance gegen dich.“

Lächelnd löste sie sich wieder von mir und rührte wieder in dem Blasen werfendem Wasser herum, während ich mich resignierend an den Küchentisch setzte und ihr zusah.

Eine Woche musste ich noch zur Schule gehen, dann endlich hätte ich Ferien und könnte die Zeit mit ihr vollends genießen – wäre da nicht…

Ich schaffte es nicht den Gedanken zu Ende zu führen, da im selben Moment ein lauter Knall und ein lautes Aufschreien uns die Treppe hoch stürmen ließ. Durch die halb geöffnete Zimmertüre konnten wir Kazuhiko erkennen, der, sich den Hinterkopf reibend, auf dem Boden saß und immer noch schmerzerfüllt stöhnte.

Ja, wäre da nicht Kazuhiko gewesen, der einem tierisch die Laune verderben konnte.

Doch in diesem Moment konnte ich nicht anders als laut loszulachen.

„Na, Kazu-kun? Angenehme Träume gehabt?“, fragte Shizuka ihn grinsend und ich fügte noch hinzu: „Scheinbar so angenehm, dass er den Boden mit dem Bett verwechselt hat, nicht?“

Nachdem wir uns also sicher waren, dass dem guten Kazu-kun nichts passiert war, gingen wir wieder nach unten, wo ich schnell etwas Reis in mich stopfte und dann meine Jacke und Schultasche packte, um endlich den Weg zur Schule anzutreten.

Was ein Glück, dass meine Mutter schon vor einer Woche zu meiner Schwester gefahren war und nicht mitbekam, dass ich die beiden ganz allein in „ihrem“ Haus ließ.

Gerade als ich die Türe öffnete kamen Ôhei und Masaki um die Ecke gebogen.

„Das wir das noch erleben dürfen“, spottete der junge Mann lächelnd und drehte sich sofort wieder in Richtung Schule um.

„Ha, ha, ha“, antwortete ich sarkastisch und beschleunigte ein wenig, um ihn beleidigt dreinschauend, zu überholen.

„Aber ernsthaft, was hat die junge Dame dazu bewogen, heute ausnahmsweise mal früh aufzustehen?“, fragte mich die blonde Japanerin, nachdem sie sich von ihrem „kleinen“ Lachanfall erholt hatte.

Ich grinste nur und ging weiter meines Weges vor den beiden.

„Sagen wir, ich musste heute mein Frühstück nicht alleine machen…“

Als ich mich umdrehte blickte ich nur in zwei ratlose Gesichter.

„Du… hast einen Freund?“, fragte Ôhei entsetzt und blickte mich mit Glubschaugen an.

Seufzend schloss ich die Augen. Woran auch sonst hätte sie denken sollen?

„Nein, habe ich nicht und NEIN ich hatte keinen dieser komischen One-Night-Dinger.“

„Na und was dann? Ich mein, Shizuka wird ja wohl kaum…“

Leise pfeifend drehte ich mich wieder um und wollte meinen Weg fortsetzen, als ich an der Schulter gepackt und wieder herumgedreht wurde.

„Und wieso sagst du uns das nicht?“

Empört blickten die beiden mich an.

„Hätte ich ja, aber da war einfach keine Gelegenheit zu… Außerdem musste ich erstmal irgendwie damit klarkommen, dass sie nicht allein gekommen ist – leider.“

Fragende Blicke brachten mich schließlich dazu, ihnen zu erklären, dass Shizuka mit ihrem Cousin gekommen war, der nun im Gästezimmer übernachten musste, während Shizuka bei mir schlief und mir gestern Abend erklärt hatte, warum sie schon so früh aus Kioto angekommen waren.

„Also, habe ich das richtig verstanden? Die Klasse von Shizuka und Kazuhiko hat eine Studienreise gemacht, die allerdings in die Ferien gehen würde und zudem nach Hokkaido geht, wo sich beide schon sehr gut auskennen, weswegen ihnen erlaubt wurde, stattdessen nach Tokio zu fahren, um dort ihre Studienreise zu absolvieren?“

Fragend blickte Ôhei mich an, wahrscheinlich genauso, wie ich Shizuka angeguckt hatte, als sie mir diese Geschichte erzählt hatte.

„Ja, so hat sie es mir zumindest erzählt… Ob das jetzt stimmt oder nicht, darüber lässt sich streiten…“

Mittlerweile waren wir an der Schule angekommen und ließen uns in unseren normalen Alltagstrott fallen, aber irgendwie waren alle meine Gedanken nur auf das gerichtete, was nach dem letzten Gong der Schulglocke kommen würde.

Als es nach Ewigkeiten endlich so weit war, packte ich hastig meine Sachen in meine Tasche und lief so schnell es ging die Treppen des Gebäudes hinunter, damit erst gar nicht jemand den Versuch unternehmen konnte, mich anzuquatschen.

Ôhei und Masaki bildeten da keine Ausnahme, da diese beiden so langsam gehen würden, dass ich wahrscheinlich erst Stunden später zu Hause sein konnte.
 

Fröhlich öffnete ich die Türe und ein wohliger Geruch von kochendem Reis und bratendem Fisch stieg mir in die Nase.

„Bin wieder da!“, rief ich ausgelassen und stürzte in die Küche.

„Shizuka, du musst wirklich nicht…“

Gerade als ich um die Ecke bog erkannte ich, dass nicht Shizuka vor dem Herd stand und das Essen zubereitete, nein, natürlich stand Kazuhiko dort.

Schweigend drehte ich mich wieder um und legte meine Tasche und meine Jacke im Eingangsbereich ab, was ich voller Eifer im ersten Anlauf vergessen hatte. Erst dann begab ich mich zurück in die Küche und drängelte mich an Kazuhiko vorbei zum Kühlschrank.

„Sag mal, eure ‚Studienreise’“, spöttelte ich immer noch zum Kühlschrank gewandt, „was für einen Zweck soll die eigentlich erfüllen, also, was habt ihr zu tun?“

Mit einer Dose Zitroneneistee in der Hand wandte ich mich an Kazuhiko und schloss dabei die Türe des Kühlschranks, indem ich mich gegen selbigen lehnte.

„Warum fragst du nicht Shizuka?“, antwortete er ebenso desinteressiert, wie ich ihn gefragt hatte und konzentrierte sich weiter auf seine Kochtätigkeiten.

„Ich hab aber dich gefragt.“

Langsam stieß ich mich vom kalten Kühlschrank ab und ging abermals an Kazuhiko vorbei, dabei die Dose öffnend, die einen zischenden Ton von sich gab, als der Druck in der Dose nachließ.

„Oder gibt es vielleicht gar keine Studienreise nach Hokkaido und ihr beide schwänzt einfach die Schule? Oder was auch immer ihr sonst für eine Ausrede habt…“

Erschrocken drehte sich der junge Mann am Kochgerät zu mir um und starrte mich an.

„Wie… kommst du denn bloß auf so was?“

Verlegen kratzte Kazuhiko sich am Hinterkopf und lächelte verlegen.

„Genau deswegen. Weil ich einfach nicht glaube, dass eine Schule so was erlaubt. Und nun raus mit der Sprache!“

Doch alles Drängen nützte nichts, da Kazuhiko immer wieder dasselbe Argument einfiel: „Frag Shizuka.“ Aber genau das wollte ich nicht tun, da ich das Gefühl hatte, von ihr etwas Ähnliches zu hören zu kriegen: „Frag Kazu-kun.“ Außerdem war da noch eine gewisse Abneigung, da in mir irgendwo der Zweifel steckte, ob sie mir wirklich die ganze Wahrheit sagen würde. Kazuhiko, der vielleicht nicht einmal die ganze Wahrheit wusste, konnte mich also kaum anlügen, wenn es um die Gründe Shizukas ging.

„Ich höre…“ Genervt lief ich einmal in der Küche auf und ab, dabei den Blick fest auf Kazuhiko, der immer noch in derselben Position vor dem Herd stand wie zu Beginn der Unterhaltung und nippte an meinem Eistee.

„Sagen wir mal so…“, begann er schließlich zögerlich, würdigte mich aber keines Blickes, „wir haben ein wenig auf das Mitleid gehofft… Wir haben denen erzählt, dass es unserer Großmutter in Kazuoka sehr schlecht geht“ – was nur halb stimmte, da es ihr schon besser ging und sie mittlerweile nach Kioto verfrachtet worden war – „und dann haben sie eigentlich nur noch gefragt, wie lange wir bleiben wollen.“

Bei der Vorstellung, wie die beiden vor ihren Lehrern standen und angespannt versuchten eine ernste Miene zu machen, musste ich plötzlich laut loskichern und drehte mich schnell um, damit ich Kazuhiko nicht noch länger ertragen musste.

Oben in meinem Zimmer entdeckte ich dann Shizuka, die vor meinem Bett auf dem Futon saß und ein Buch las, das sie noch intensiver zu lesen schien, als ich die Türe geöffnet hatte.

„So… Dafür, dass es deiner Großmutter so schlecht geht bist du aber ziemlich entspannt, wenn du hier so ruhig sitzen und ein Buch lesen kannst, findest du nicht?“

Verlegen sah Shizuka nur zu mir hoch und beobachtete mich einfach nur, ohne irgendeinen Muskel ihres Gesichts zu bewegen.

„Kazuhiko hat’s dir erzählt?“

„Ja. Aber zu seiner Verteidigung ist zu sagen, dass ich es aus ihm herausziehen musste. Und er mir nicht gesagt hat, WARUM du auf diese grandiose Idee gekommen bist. Das ist nämlich genau das, was mich brennend interessieren würde. Hätte diese eine Woche solch einen Unterschied gemacht?“

Natürlich hätte sie das! Warum stellte ich wieder Fragen, die einfach nur sinnlos waren? Und was für einen Unterschied diese eine Woche machte! Shizuka und ich waren eine Woche länger zusammen! Das allein war es schon wert gewesen. Doch im Hinblick darauf, dass Kazuhiko mit von der Partie war, sah ich die Woche noch in einem anderen Licht. Denn ob zwei Wochen mit Shizuka alleine oder drei Wochen mit ihr und Kazuhiko: Das machte für mich keinen Unterschied.

„Hast du was dagegen einzuwenden? Dann fahre ich gerne noch mal zur…“

„Von wegen!“

Ich ergriff das Buch in Shizukas Händen und klappte es zu, bevor ich es auf den Boden legte.

„Das hättest du wohl gerne, dass ich dich wieder zurückfahren lasse, was? Nein, ich will nur wissen: Warum?“

„Warum, warum, warum… Warum fragst du immer nach dem Warum? Sei doch einfach mal froh, dass es so ist wie es ist und hinterfrag nicht immer alles. Das könnte böse Überraschungen geben.“

Shizuka klang ernst und wandte sich schon wieder von mir ab.

„Shizuka, wieso bekomme ich dann immer das Gefühl, ich müsste nach dem Warum fragen? Du lässt mir doch gar keine Wahl! Du stellst in letzter Zeit Sachen an, da muss ich einfach mal fragen, was das soll, weil ich sonst den Durchblick verliere! Mir scheint eher, dass du in letzter Zeit zu oft nach dem warum gefragt hast, so wie du dich anhörst!

Zu-chan, was ist los?“

Versöhnlich wendete ich meinen ganz speziellen Kosenamen an – trotz der Tatsache, dass Kazuhiko ihn auch benutzte – und sah ihr lange in die Augen, die immer noch irgendetwas anderes im Zimmer fixierten, nur nicht meine Augen.

Da ich keinen neuen Streit anfangen wollte, wie es in den letzten Monaten schon so oft passiert war, kam es mir nur gelegen, dass Kazuhiko in dem Moment von unten herauf rief, dass das Essen fertig sei.

Es wurde eine sehr ruhiges Essen, denn keiner von uns dreien sprach auch nur ein Wort. Eine Stunde später klingelte es an der Türe und Kazuhiko und Shizuka wurden von Ôhei und Masaki begrüßt, was für mich erneut Zurückstecken bedeutete, sodass ich beschloss, die vier im Wohnzimmer allein zu lassen und etwas frische Luft zu schnappen, nur um mich zu beruhigen und darüber nachzudenken, was Shizuka gesagt hatte. Hatte sie wirklich Recht gehabt mit ihrer Aussagen, dass ich immer nach dem Warum fragte, wie ein kleines Kind, dass sich dann nicht mit der Antwort ‚Darum’ zufrieden gab? War ich denn im Prinzip nicht noch ein kleines Kind?

Als ich eine Stunde später wiederkam, fand ich weder in der Küche, noch im Wohn- oder Esszimmer jemanden, sodass ich direkt nach oben ging. Aus dem Zimmer meiner Schwester hörte ich schließlich schallendes Gelächter, sodass ich vorsichtig die Türe zu diesem Raum öffnete und Ôhei, Masaki, Kazuhiko und Shizuka vor Kazuhikos Laptop fand, mit dem er ihnen wohl irgendetwas Interessantes und vor allem Lustiges zeigte. Später fand ich heraus, dass er ihnen dort die Bilder aus Kioto zeigte. Ich hingegen schloss mich der Truppe nicht an, sondern ging in mein Zimmer und erledigte die letzten Hausaufgaben, bevor ich mich an den Computer setzte und dort selbst noch einmal die Bilder ansah, die Shizuka mir gegeben hatte.
 

Jemand legte mir seine Hände auf die Schultern und flüsterte mir etwas ins Ohr, woraufhin ich vorsichtig die Augen öffnete und gerade noch bemerkte, wie jemand den Bildschirm vor mir ausschaltete. Langsam regte ich mich und mir wurde nun bewusst, dass ich auf dem Schreibtisch eingeschlafen sein musste, während ich mir die Bilder angesehen hatte. Indes war die Person hinter mir stehen geblieben und ich konnte ihren Blick in meinem Nacken spüren.

„Shizuka?“, flüsterte ich leise und drehte meinen Oberkörper nach hinten, konnte allerdings nur schemenhaft jemanden in meinem Zimmer ausmachen.

„Hm“, kam als Antwort zurück, doch auch daran erkannte ich genau, dass es Shizuka war.

„Wie spät ist es?“

Müde fuhr ich mir mit der Hand über das Gesicht und blickte wieder in Richtung Shizuka, wobei ich mich von meinem Platz erhob und verzweifelt den Schalter meiner Schreibtischlampe suchte. Fast zeitgleich betätigte Shizuka den Lichtschalter für das große Licht, sodass ich erschrocken von dem blendenden Licht sofort wieder die Augen schloss.

„Kurz nach zwölf, warum?“

So spät war es schon? Dann musste ich ja schon seit Stunden geschlafen haben.

„Darum“, antwortete ich nur und zog meine Klamotten aus, um in meinen Pyjama schlüpfen zu können.

Shizukas Blick folgte dabei jeder meiner Bewegungen, bis sie mir schließlich den Rücken zukehrte.

„Hast du noch was vor?“, fragte ich neugierig und unterbrach meine Anziehtätigkeiten mit einem Mal.

„Nö, aber meine Schlafsachen sind im Bad, also muss ich sie wohl oder übel dort holen.“

Keine fünf Minuten später fand ich mich unter meiner warmen Decke wieder und kuschelte mich in selbige, als Shizuka den Raum wieder betrat und das Licht löschte, bevor sie unter ihr Futon kroch und mir eine „Gute Nacht“ wünschte, was ich zurückgab.

Der folgende Tag begann wie auch schon der vorherige damit, dass ich aufwachte und Shizuka schon unten das Frühstück machte. Auch an diesem Tag wunderten Ôhei und Masaki sich darüber, dass ich Morgenmuffel schon fertig war, als die beiden ankamen, um mich zur Schule zu begleiten.
 

Auch die übrigen Tage der Woche verliefen ähnlich. Es war einfach nichts da, was man hätte tun können, bis auf abends auf der Couch vor dem Fernseher hocken oder stundenlang irgendwelche Konsolenspiele zu zocken. Und darüber hinaus musste ich noch zusehen, wie ich die Schule nicht vernachlässigte.
 

„Uff…“

Stöhnend ließ ich mich in den Sessel fallen, als ich am letzten Schultag nach Hause kam und meine Schultasche in die Ecke geschmissen hatte.

In der Küche stand Kazuhiko, der das Essen machte, während Shizuka scheinbar wieder oben in meinem Zimmer saß und dort meiner Meinung nach ruhig über ihrem Buch saß und dieses schon fast durchhaben musste.

Kurz entschlossen erhob ich mich und trottete nach oben, dabei gerade noch vernehmend, dass das Essen in wenigen Minuten fertig sein würde.

Vorsichtig öffnete ich die Türe zu meinem Zimmer und spinkste hinein, doch ich konnte keine Shizuka entdecken. Als ich jedoch das Klicken der Maustaste vernahm öffnete ich die Türe einen breiteren Spalt und glaubt fast meinen Augen nicht zu trauen, als Shizuka vor meinem PC saß und in meinen Dateien zu wühlen schien.

„Shizuka?“, fragte ich leise und wartete auf eine Reaktion, die jedoch nicht so war, wie ich sie erwartet hatte. Sie fühlte sich nicht ertappt oder schämte sich dafür, dass sie einfach an meine Sachen gegangen war. Sicher, wir waren die besten Freundinnen, aber auch da gibt es seine Grenzen, was Privatsphäre angeht.

Doch statt Reue entdeckte ich in ihrem Gesicht rein gar nichts. Unschuldig blickte sie mich an und lächelte während sie mich fröhlich begrüßte.

Doch anstatt ihre Begrüßung zu erwidern war ich kurz davor, sie anzuschreien. Nur mit Mühe konnte ich mich beherrschen und sah sie verärgert an während ich ruhig begann zu reden:

„Was soll das?“

Ihr fragender Blick verletzte mich dabei noch weit mehr als ihr Lächeln einen Moment zuvor.

„Was das soll, habe ich gefragt“, wiederholte ich meine Frage, nun etwas lauter.

„Ai-chan, ich versteh…“

„Komm mir ja nicht auf die Tour Shizuka! Was hast du an meinem Computer verloren? Kazu hat seinen Laptop dabei, den hättest du ebenso gut nutzen können.“

„Ich dachte, es würde dir nichts ausmachen, wenn ich kurz…“

„Shizuka, es hätte mir auch nichts ausgemacht, wenn du mich gefragt hättest! Aber so macht es mir sehr wohl etwas aus!“

Eine schier endlose Zeit sahen wir beide uns nur an, Shizuka nun etwas reumütiger und ich vor Wut kochend.

Kazuhiko rief von unten hoch, dass das Essen nun endgültig fertig war, was wir beide nur am Rande zu realisieren schienen. Beide antworteten wir ihm, doch weiterhin sahen wir uns an.

Schließlich senkte Shizuka den Blick und murmelte etwas Unverständliches in ihren nicht vorhandenen Bart.

Dann sah sie mich erneut an, nun mit festem, mir fast Angst einflössendem, Blick und ging an mir vorbei aus dem Zimmer und die Treppe runter.

Das Essen verlief sehr ruhig, der einzige, der ab und zu etwas sagte war Kazuhiko, der erzählte, was er an diesem Tag so alles tolles erlebt hatte, als er auf Entdeckertour in Kazuoka gegangen war und sich dabei – leider – nicht verlaufen hatte.

Shizuka und ich schwiegen uns den Rest des Tages an. Ich wusste in diesem Moment einfach nicht, wie ich auf die Situation reagieren sollte und war froh als keine Stunde nach meiner Ankunft Ôhei und Masaki vor der Türe standen. Zu fünft brachen wir gegen neunzehn Uhr auf und zogen etwas durch die Gegend, nur so aus Spaß, ohne jedes Ziel und ohne jeden Grund. Danach setzten wir uns in ein kleines Café und redeten noch über Gott und die Welt, bevor ich mit meinen beiden „Untermietern“ um Mitternacht wieder zu Hause ankam.

Nach und nach verschwand jeder im Badezimmer und kam im Pyjama wieder heraus, bevor sich jeder in seinen Schlafraum begab.

Ich war immer noch sauer und Shizuka merkte das sehr wahrscheinlich auch, besonders als sie schließlich allein mit mir in einem Raum „eingesperrt“ war.

„Airashi, das wegen eben, also…“

Sie druckste herum und ich merkte, dass sie wusste, dass ich noch sauer auf sie war, denn sonst hätte sie mich nicht mit meinem vollen Namen angesprochen.

„Ja, was ist wegen eben?“

Mir war erst bewusst, wie von oben herab das hatte klingen müssen, als Shizuka den Kopf wieder einer Wand zuwandte und den Kopf dabei leicht senkte.

„Es tut mir Leid…“, flüsterte sie so leise, dass ich Mühe hatte, es zu verstehen.

Mit Tränen in den Augen blickte sie mich dann an.

„Ich, ich wollte das wirklich nicht! Ich dachte es wäre okay für dich, wenn ich deinen Computer schnell benutze, weil Kazu ja auch nicht da war und der hat mir oft genug zu verstehen gegeben, dass ich an seinem Laptop rein gar nichts zu suchen habe und die Sache, die ich erledigen musste war wirklich so dringend und es, es tut mir wirklich Leid…“

Zum Ende ihrer Rede hin war ihre Stimme immer leiser und erstickte geworden, denn mittendrin hatte Shizuka plötzlich begonnen zu weinen und den Kopf gen Boden gewandt, wohl in der Hoffnung, dass ich es dann nicht mehr sehen würde.

Seufzend ging ich die zwei Schritte auf sie zu, die zwischen uns lagen und nahm sie in den Arm.

„Zu-chan, Zu-chan… Was mache ich bloß mit dir, mh?“

Vorsichtig löste ich mich von ihr und drückte sie ein wenig von mir, meine Hände auf ihren Schultern behaltend und sah in das von Tränen verschmierte Gesicht.

Sie hatte sich scheinbar wirklich nichts dabei gedacht, an meinen Computer zu gehen und wenn ich ehrlich war ging es mir auch gar nicht darum, sondern dass sie mein Vertrauen missbraucht hatte.

Bedacht nahm ich eine Hand von ihren Schultern und strich ihr damit eine Träne aus dem Gesicht.

„Du weißt, dass es nicht darum geht, ob es für mich okay gewesen wäre oder nicht, oder?“

Als ich keine Antwort erhielt, redete ich einfach weiter.

„Shizuka, es geht darum, dass du mein Vertrauen missbraucht hast! Natürlich kannst du jederzeit an den Computer, aber ich will wissen, dass du daran gehst! Es geht nicht um Kontrolle oder weil ich dir nicht trauen würde, aber das ist meine Privatsphäre und die hast sogar du zu akzeptieren!“

Ich wartete gar nicht lange auf eine Erwiderung Shizukas, ihre Tränen schienen mir schon Antwort genug, sodass ich nicht anders konnte als sie wieder in die Arme zu schließen.

Es dauerte dieses Mal sehr lange, bis sie sich schließlich von mir löste, auf ihr Futon zuging und sich unter die Bettdecke legte.

Ich hingegen kletterte zu meinem Nachttisch, schaltete dort das Licht an, turnte dann zurück zum Lichtschalter für die große Lampe, um jene auszumachen, und wieder zurück zu meinem Bett. Gerade als ich unter meine Bettdecke gekrochen war und das Licht komplett löschen wollte, bemerkte ich, dass Shizukas Körper immer wieder zuckte, als würde sie still weinen.

Nach kurzer Zeit jedoch erstarb jede Bewegung ihres Körpers und sie lag ganz ruhig mit dem Rücken zu mir. Leise rief ich ihren Namen und wagte es dann schließlich auch sie sachte anzustupsen, doch sie reagierte auf nichts.

Kurz entschlossen packte ich daraufhin mein Kissen und meine Decke und rutschte runter zu ihr. Da ich wieder keine Reaktion erhielt, ging ich davon aus, dass sie eingeschlafen war und nahm sie vorsichtig in die Arme, damit sie nicht aufwachte. An sie gekuschelt schlief auch ich kurze Zeit später ein und wachte erst wieder am nächsten Morgen auf.

Wie auch die schon in den letzten Tagen, so vernahm ich auch heute, dass sich jemand unten in der Küche befand. Da niemand mehr in meinen Armen lag, ging ich stark davon aus, dass es sich bei diesem Jemand um Shizuka handeln musste.

So entschloss ich mich dazu auch aufzustehen, zog mich an, wusch mich und ging langsam die Treppe hinunter.

Unten angekommen wendete ich mich direkt in Richtung Küche. Shizuka saß mit dem Rücken zu mir auf einem Stuhl und blätterte in einer Zeitschrift. Vor ihr stand ein halbvolles Glas mit Wasser.

Um sie nicht wieder zu erschrecken ging ich ganz normal auf sie zu und umarmte sie von hinten, während ich den Kopf auf ihre Schulter legte und die Zeitschrift betrachtete, die vor ihr auf dem Tisch lag.

„Guten Morgen“, gähnte ich und löste mich langsam von ihr, um gegenüber meinen Platz am Tisch einzunehmen und sie eindringlich anzuschauen.

„Zu-chan?“

Keinerlei Reaktion kam von ihrer Seite, sodass ich seufzend aufstand und mich neben ihren Stuhl hockte.

„Hey, es tut mir Leid, wie ich gestern reagiert habe, wirklich.“

Immer noch reagierte sie nicht und ich legte eine Hand auf ihre Schultern, um so eine Reaktion zu erreichen, was mir jedoch kläglich misslang.

„Mann, was soll ich denn noch machen, außer mich auf Knien vor dir zu entschuldigen?“

Wütend von ihrem Nichtstun stand ich auf und drehte mich beleidigt um. Als ich jedoch die Treppe laut hinaufgestapft war und die Türe meines Zimmers hinter mir geräuschvoll geschlossen hatte, überkam mich tiefste Verzweiflung, weil wieder einmal alles schief lief und ich einmal mehr nach dem Warum fragen wollte. War ich denn nicht im Recht gewesen? Wofür hatte ich mich denn entschuldigt? Meiner Meinung nach hätte ich mich gar nicht entschuldigen müssen, so wie die Dinge gelesen hatten. Aber nein, Madame meint dann noch einen auf armes Mädchen machen zu müssen, dass total ungerecht behandelt wurde und andere es deswegen auch nicht wert waren, dass man deren Entschuldigungen annahm.

Ich bekam das Gefühl, dass seit Beginn des Sommer unsere Freundschaft auf einen riesigen Wasserfall zuraste, und wenn sie diesen hinunterfallen würde, wäre sie am Ende total zersplittert und zersprengt worden durch den harten Aufprall auf das Wasser. Zwar gab es ab und zu einzelne Felsen und Gräser des Ufers, an die sich die Freundschaft klammern konnte, doch immer wieder ließ ihre Kraft nach und immer wieder rissen die Halme, die eine Rettung hätten darstellen können. Dazu kamen noch die verletzenden Baumstämme, die die Freundschaft noch mehr schwächten, sodass sie nun fast unaufhaltsam auf den Wasserfall zuraste.

Tief in dieses Bild versunken sah ich mich in einem reißenden Fluss auf einen Wasserfall zurasen, während Shizuka und Kazuhiko am sichern Ufer standen und mich nur mitleidig ansahen. Immer näher kam ich dem Abgrund, bis ich schließlich keinen Meter mehr davon entfernt war…

„Ai-chan?“

Mit einem Mal saß ich aufrecht auf meinem Bett und wäre beinahe mit Shizuka zusammengestoßen, die auf der Bettkante saß und mich verwirrt und ängstlich zugleich anschaute.

Erst jetzt fühlte ich ihre Hand, die meine fest umklammert hielt und bemerkte dabei auch, dass ich meine Hand in das Laken gekrallt hatte.

Als Shizuka meinen Blick bemerkte, der zu meiner Hand geglitten war, zog sie augenblicklich ihre eigene Hand zurück und wendete mir nur ihren Rücken zu.

„Du hast eben laut geschrieen, deswegen wollte ich nachsehen, ob alles in Ordnung ist… Du hast dich die ganze Zeit nur im Bett umhergewälzt. Hattest du einen schlimmen Traum?“

Nicht halb so schlimm wie der Albtraum in dem ich mich nun gefangen fühlte. Die Distanz zwischen Shizuka und mir schien mit jeder Sekunde zu wachsen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es schon Mittag war, so beschloss ich, endgültig aufzustehen und etwas zu essen. Um drei Uhr würde ich ohnehin erstmal mit Ôhei und Masaki ins Kino gehen. Zwar würden Shizuka und Kazuhiko mit dabei sein, dennoch war mein einziger Gedanken nur, die Distanz, die Shizuka zu mir hielt auf für mich zu beanspruchen.

Es war schon später Abend, als wir fünf wieder einmal bei mir ankamen. Das verliebte Pärchen hatte beschlossen, dass der Abend noch viel zu jung war, als das man sich schon verabschieden sollte und so saßen wir noch bis nach Mitternacht alle zusammen im Wohnzimmer und plauderten über Gott und die Welt. Da niemand etwas dagegen einzuwenden hatte, wollten Ôhei und Masaki die Nacht auch im Hause Gaho verbringen. Während ich also mit den beiden nach oben ging, um auch für sie Futons rauszusuchen, nutzten beide die „Gunst der Stunde“ um mich zu fragen, was los sei.

„Was soll schon sein?“, fragte ich desinteressiert weiter im Schrank wühlend.

„Wie was soll schon sein? Was ist zwischen dir und Shizuka vorgefallen, dass ihr euch den ganzen Tag nicht angeguckt habt, geschweige denn miteinander gesprochen?“

Immer noch wühlte ich in den tiefen der Regalen, da ich dort einen weiteren Futon vermutete.

„Ôhei, ich weiß nicht was du meinst. Heute Morgen haben Shizuka und ich uns angeguckt und auch miteinander gesprochen.“

Von einer wütenden blonden Japanerin an der Schulter gepackt wurde ich herumgewirbelt und mit dem Gesicht zu ihr zum Stehen gebracht.

„Heute morgen, ja? Und was ist mit dem Rest des Tages?“

„Frag sie, ich habe mir jedenfalls nichts vorzuwerfen! Ich habe mich schließlich heute Morgen dafür entschuldigt, dass ich sie ausgeschimpft habe, weil sie an meinem Computer war! Du musst schon sie fragen, wenn du wissen willst, warum sie daraufhin kein Wort mehr mit mir geredet hat! Und jetzt lass mich einfach mit dem Thema in Ruhe, ja? Langsam kotzt es mich nämlich wirklich an, dass alle meinen mehr zu wissen als ich! Zumindest scheinen sie das alle zu glauben!“

Wütend schnaufend drehte ich mich um und fand endlich den zweiten Futon, den ich Masaki, zusätzlich zum ersten, in die Hand drückte und ihn damit in Richtung Schlafzimmer meiner Mutter schickte.

Ôhei, die scheinbar keine Argumente mehr hatte, die sie mir an den Kopf werfen konnte, folgte ihm etwas eingeschnappt. Als sie die Schlafzimmertüre hinter ihnen geschlossen hatte drehte ich mich um und ging in mein Zimmer, wo Shizuka schon bettfertig auf ihrem Futon lag und mich überrascht ansah, als ich das Zimmer betrat.

Ohne sie auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, schnappte ich mir meinen Pyjama und ging damit ins Badezimmer. Bettfertig begab ich mich dann wieder in mein Zimmer, kletterte über Shizukas Futon und kuschelte mich unter meine Decke, Shizuka den Rücken zuwendend. Natürlich hatte Ôhei Recht, wenn sie sagte, dass etwas zwischen uns beiden nicht stimmte. Nur wie konnte ich der jungen Japanerin erklären, was ich selber nicht verstand?

Shizuka löschte das Licht und ich versuchte so schnell es ging einzuschlafen. Ich war gerade ein wenig weggedöst, als ich hörte, wie Shizuka sich neben mir bewegte und sich jemand auf mein Bett setzt. Da ich niemand anderen im Zimmer wusste, musste es Shizuka sein, die sich da auf mein Bett gesetzt hatte.

„Ai-chan?“

Ich spürte, wie sie mir eine Hand auf den Arm legte und sich leicht abstützte, wohl um zu sehen, ob ich schon schlief.

Ich antwortete ihr genervt, ohne mich auch nur ein Stück zu drehen:„Was ist?“

Ich merkte sie sie zögerte und schließlich ihre Hand zurückzog. Sie nahm dieselbe Pose ein, die sie schon am Mittag eingenommen hatte.

„Nichts“, antwortete sie schließlich und bemerkte dabei nicht einmal, wie wütend sie mich damit wieder machte.

„Dann weck mich nicht“, grummelte ich in mein Kissen und drehte mich noch ein Stück von ihr weg, mich dabei noch mehr in meine Decke kuschelnd.

„Tut mir Leid“, flüsterte sie leise und ich begann mich zu fragen, ob diese Entschuldigung nur auf das hier und jetzt oder auch auf andere Dinge bezogen war.

Ich reagierte nicht weiter darauf und versucht wieder einzuschlafen. Es dauerte nicht lange und ich merkte, wie Shizuka sich hinlegte, direkt neben mich und sich an mich kuschelte, wie ein kleines Kind, das sich an seinen Lieblingsteddy drückt.

Überrascht riss ich die Augen weit auf und wagte nicht mich zu rühren, auch nicht als ich bemerkte wie Shizuka erneut weinte.

Irgendwann musste ich dann doch eingeschlafen sein und wachte am nächsten Morgen mit Shizuka im Rücken wissend auf.

Langsam drehte ich mich um, um sie nicht zu wecken, falls sie noch schlief, was auch der Fall war.

Die Spuren der Tränen der gestrigen Nacht waren noch deutlich sichtbar auf ihrem Gesicht zu sehen, trotzdem schlief sie friedlich. Vorsichtig strich ich ihr eine Strähne aus dem Gesicht, die durch die getrockneten Tränen an ihrer Wange festgeklebt war. Ihre Züge verkrampften sich kurz, als die Haarsträhne sich von ihrer Haut löste, entspannten sich gleich darauf aber wieder.

„Wie ein kleiner Engel, der kein Wässerchen trüben kann“, seufzte ich vor mich hin und war mir nicht bewusst, dass ich die Worte laut ausgesprochen hatte.

Eine ganze Weile lag ich nur da und beobachtete sie, während sie schlief, ohne, dass sie etwas geahnt hätte.

Als sie endlich wach wurde, sah sie mich nur verschlafen an und wendete ihren Blick dann sofort erschrocken weg von meinem Gesicht.

„Morgen.“

Erstarrt lag sie vor mir, als ich erneut mit der Hand über die Wange fuhr.

„Ich… ich…“, begann sie zu stottern und versuchte hastig aufzustehen, was ich jedoch nicht zuließ. Stattdessen zog ich sie zurück in nahm sie in den Arm.

„Pscht. Schon gut, es ist alles in Ordnung, ja?“, flüsterte ich ihr ins Ohr und streichelte ihr dabei über ihr dichtes, schwarzes Haar, das zerzaust auf ihrem Kopf lag.

„Alles?“, fragte sie ungläubig.

„Alles“, antwortete ich nur und hielt sie noch ein wenig fester an mich gedrückt.
 

Etwa eine Stunde später standen wir auf. Shizuka war die Erste, die fertig gewesen war, weshalb sie wie bisher jeden Morgen nach unten ging und das Frühstück machen wollte.

Wenige Minuten später war ich ebenfalls fertig und lief die Treppe runter, mir gerade noch eine Strickjacke anziehend, als ich Kazuhiko vor der Küche stehen sah.

„Na pi-pingutomu?“

Ertappt drehte er sich erschrocken um und sah mich schließlich wütend an.

„Dir auch einen guten Morgen Ai-chan.“

Auch ich blieb kurz stehen und sah Shizuka zu, wie sie herumwerkelte.

Als ich einen Seufzer von der Seite hörte blickte ich ihn fragend an.

„Wie ein kleines fleißiges Engelchen, nicht?“, grinste ich nur und betrat die Küche, gerade noch seine Worte hörend, die er nur flüsterte:

“Nur die Frage, wessen…“

Eine fröhliche Shizuka kam uns strahlend mit einem Lächeln auf dem Gesicht entgegen und stellte für jeden von uns einen gefüllten Teller auf den Tisch. Was genau auf den Tellern lag vermochte ich in jenem Moment nicht zu identifizieren, vielmehr wiederholte ich Kazuhiko Satz noch einmal im Kopf; später erfuhr ich, dass es sich um Reis mit Rührei gehandelt hatte.

Wir ließen uns das Essen schmecken, wenn ich auch das Gefühl nicht los bekam, die ganze Zeit eingehend von Kazuhiko beobachtet zu werden.

„Hab ich was auf der Nase?“, fragte ich ihn schließlich etwas säuerlich, doch anstatt mir eine klare Antwort zu geben nickte er mit dem Kopf in Richtung Wohnzimmer und stand auf.

Neugierig stand ich auch auf und begab mich ins Wohnzimmer, wo Kazuhiko schon auf einer Couch saß und mich erwartungsvoll anblickte.

„Sag mal, zwischen dir und Shizuka, was ist da?“

Überrascht und verwirrt blickte ich ihn an und verstand in diesem Augenblick überhaupt nicht, was er nun von mir hören wollte.

„Wie, was läuft da? Sieht doch so aus, als sei soweit wieder alles in Ordnung, oder nicht?“

Die Arme vor der Brust verschränkend setzte ich mich schließlich mit übereinander geschlagenen Beinen ihm gegenüber in den Sessel und lehnte mich zurück, ihn die ganze Zeit fixierend.

„Oder was meinst du?“

„Die CD“, was alles was er sagte.

Einen Moment lang überlegte ich, was er damit meinte und schließlich fiel mir nur eine CD ein, die er meinen könnte: die, die Shizuka mir bei unserem Abschied in Kioto gegeben hatte.

„Die mit den Fotos?“, fragte ich ungeduldig und begann mit einen Fuß auf und ab zu wippen.

Er nickte nur zur Bestätigung.

„Was sollte damit denn sein? Ich hab mir die Fotos angeguckt. Oder hab ich irgendwelche Nacktfotos übersehen, mit denen du mir meine Nachmittage versüßen wolltest?“

Fordernd setzte ich mich auf und stützte mich mit den Ellenbogen auf meine nun nebeneinander liegenden Oberschenkel. Kazuhiko hingegen setzte eine für mich unverständliche Miene auf. Anstatt über meinen Witz zu lachen, sah er mich einerseits lachend, andererseits aber auch sehr nachdenklich an.

„Das nicht gerade, ab…“

„Es war noch etwas auf der CD außer den Fotos?“

Mittlerweile wurde ich ziemlich ungeduldig und unruhig, da mich verwirrte, dass sich gerade Kazuhiko darum bemühen zu schien, dass ich erfuhr, was sich auf der CD befand.

Schließlich blickte er mich sehr ernst an und auch er beugte sich nach vorne, wo er sich mit den Ellenbogen auf seinen Beinen abstützte.

„Weißt du, ich will nur nicht, dass sie von etwas falschem ausgeht…“

„Kazu, red’ Klartext, ansonsten gibt’s Ärger! Von was soll wer ausgehen und überhaupt, was war jetzt so wichtiges auf der CD, dass du es für nötig befindest mit mir zu reden?“

Doch anstatt mir zu antworten stand er nur auf und schlug vor, dass wir uns die CD in meinem Zimmer mal anschauen sollten.

Wenige Minuten später saßen wir beide vor meinem Computer und sahen uns die Daten an.

„Was ist denn mit der da?“, fragte er schließlich und deutete auf die Datei, die sich nicht hatte öffnen lassen.

Einmal mehr versuchte ich sie zu öffnen, aber wieder streikte mein PC und wollte die Datei nicht öffnen.

„Die ging nicht…“ antwortete ich nur und sah Kazuhiko erwartungsvoll an. Doch wie schon zuvor stand er ohne ein Wort auf und ließ mich allein vor dem Computer sitzen.

Was konnte so wichtig an dieser kleinen Datei sein, dass Kazuhiko so einen Wind darum machte?

Nur wenige Augenblicke später erschien Kazuhiko wieder im Zimmer, mit einer CD in der Hand, die er nun in mein Laufwerk einlegte.

„Wovon geht Shizuka aus?“, fragte ich ihn nun direkt, während mein PC die Daten lud.

„Sie geht davon aus, dass du diese Datei kennst“, war die knappe Antwort, die mich nur noch mehr zum Nachdenken brachte.

„Kazu, was ist das für eine Datei?“

„Eine ziemlich wichtige würde ich behaupten, aber Madame schaffte es ja nicht, dir die richtige CD zu geben. Und nun geht sie davon aus, dass alles in Ordnung ist, aber ich bin mir da nicht so sicher, da du die Datei nicht kennst.“

Schließlich öffnete ich die Datei und Kazuhiko ließ mich allein im Zimmer sitzen.

Die Nachricht, die ich da vor mir sah hätte eindeutiger nicht sein können und erklärte mir klar und deutlich, warum alles so gekommen war, wie es gekommen war.

Mit jedem Wort musste ich entsetzter ausgesehen haben, als ich jede Zeile des Textes, der dem Bild angehangen war, las.

Schließlich warf ich einen letzten Blick auf das Bild und schaltete dann den Computer aus.

„Und gestern hast du ihr noch gesagt, dass alles in Ordnung sei…“ flüsterte eine kleine Stimme in meinem Kopf.

„Zumindest ist mir jetzt klar, warum du in letzter Zeit so panische Angst hattest“, murmelte ich, als ich den Bildschirm nach Herunterfahren des Computers ausschaltete.



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