Unter Beschuss
Yohji duckte sich noch etwas tiefer unter den Lastwagen. Er lag flach auf den Bauch gepresst und lauschte den beständigen Einschlägen.
Bumm.
Bumm.
Bumm.
Kugel um Kugel grub sich in Kotflügel und Front des Wagens und riss neue Löcher hinein. Ein lautes Klirren verriet, dass die Windschutzscheibe aufgegeben hatte. Splitter rasselten scheppernd zu Boden, klirrten auf dem Asphalt.
Irgendetwas war schief gelaufen. Irgendetwas bei dieser verdammten Mission war schief gelaufen, denn sonst würde er jetzt nur hier liegen und darauf warten, dass seine Zeit ablief. Nein, sonst wäre er schön wieder zuhause, würde sich zum Ausgehen schick machen und in den Clubs auf die Jagd gehen. So würde es aussehen. Und nicht... wie dieses verdammte Desaster.
Er hatte keine Ahnung, wo Aya, Omi und Ken waren. Im Moment war das auch nicht ganz so wichtig. Viel wichtiger war die Frage, wie er hier wieder rauskommen sollte. Wie zur Hölle?
Die Schüsse kamen näher. Sie hatten sich langsam, aber sicher an ihn herangetastet und jetzt schlugen sie mit schöner Regelmäßigkeit ein.
Warteten sie darauf, dass sie die Benzindämpfe im Motor in Brand setzten? Dass diese Karre in die Luft flog? Oder durfte er seinen Ohren doch trauen und einer von beiden kam langsam näher?
Er war sich nicht sicher.
Seine Ohren klingelten und von hier unten konnte er nichts sehen.
Nichts.
Sein Herzschlag raste und Blut rauschte in seinen Ohren. Hier unten brachten ihm auch seine Drähte nichts. Hier wäre eine Schusswaffe sinnvolle. Eine schicke Walther PPK oder sowas. Gerne auch ein MG. Aber er hatte so etwas nicht. Weil er diese Waffen nicht ausstehen konnte.
Wie dumm. Wie verdammt dumm.
Falls er das hier überleben sollte, würde er mit Sicherheit nie wieder so unvorbereitet in eine Mission gehen. Oh nein. Schießstand, ich komme!
Falls er jemals lebend hier rauskam. Yohji seufzte leise.
Die erste Kugel grub sich in die Stoßstange und er rutschte weiter zurück. Sie kamen definitiv näher. Sehr viel näher. Er konnte noch nach unten, das war aber auch alles...
Der Lastwagen war kaputt und stand in dieser beschissenen Garage ganz hinten an der Wand. Kein Spielraum. Zu wenig Platz, um auf das Dach zu kommen, keine Chance, in den Laderaum zu entwischen und dort einen Hinterhalt zu legen. Keine Chance. Gar keine. Es war zum Kotzen.
Er rutschte erneut zurück, bis seine Füße gegen die Wand trafen, dann wieder vor, damit er vollständig in dem Schutz des metallenen Giganten lag. Das ewige Knallen ging ihm auf die Nerven.
Sollte jetzt nicht eigentlich sein Leben an ihm vorüberziehen? Sollte jetzt nicht eigentlich ein netter Film in seinen Gedanken ablaufen und ihm zeigen, was ihm in seinem Leben wichtig gewesen war?
Asuka. Natürlich. Sie... Kurz blitzte ihr Bild vor seinen Gedanken auf, doch nicht lange genug.
Er hing am Leben. Zu sehr, um sich jetzt in den Tod zu fügen. Zu sehr, um sein Leben jetzt zu rekapitulieren.
Verdammt! Er würde überleben! Irgendwie!
Er musste einfach. Weil er nicht sterben wollte. Noch nicht.
Es gab eine Zeit, da wäre er jeden Augenblick dazu bereit gewesen. Aber nicht hier. Nicht jetzt. Nein... Er würde verdammt noch mal leben!
Schuldig zog eine Augenbraue leicht hoch. „Die eine Miezekatze sitzt unter dem LKW fest“, berichtete er knapp.
„Ich weiß.“ Crawfords Augen hatten den Hof längst überschaut und seine Sinne waren angespannt. „Und er wird sterben...“ Der Schwarzleader konnte das Mündungsfeuer der Bagage weiter unten immer wieder aufblitzen sehen. Der Kerl links pirschte sich langsam näher, während der andere ihm Deckung gab. Simpel, aber effektiv. Vor allem, weil Balinese sich nicht rührte. Er steckte fest. So einfach war das. Und der Blick in die Zukunft verriet ihm, dass das Weißmitglied kaum eine Chance hatte. In beinahe allen möglichen Versionen der Zukunft würde er sterben...
„Er klammert sich ans Leben.“ Schuldigs Feststellung kam neutral, als wenn er über das Wetter reden würde.
„So?“ Crawford blickte den Telepathen kurz an. „Wäre schade, wenn Weiß dezimiert würden, oder?“
Schuldig lachte leise. „Sag bloß, du willst ihm den Hals retten, Brad.“
„Wäre das so abwegig?“
„Warum?“ Schuldig kratzte automatisch an den Türen von Crawfords Gedanken, doch dieser hielt sie fest verriegelt. Er konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn Schuldig sich dort einmischte und herumwühlte.
„Weil wir sie irgendwann töten sollten, wenn wir ihrer überdrüssig sind. Und niemand, der das nicht zu schätzen weiß...“ Crawford lächelte unergründlich. „Oder?“
„Das besitzt eine gewisse Logik.“ Schuldig lachte leise. „Ich schicke Farfarello los. Er lechzt eh schon nach Blut.“
Die Schüsse hörten auf. Misstrauisch robbte Yohji etwas vor. Was...? Das war doch unmöglich! War das eine Falle?
Würden sie ihn abknallen, wenn er sich rauswagte? War das nur ein Trick?
Oh, verdammt...
Aber... wenn er es nicht wagte... was dann? Und wenn er es wagte... was dann?
„Yohji! Verdammt! Beweg deinen Hintern aus deinem Versteck!“ Ayas Stimme. Aya... war zu vertrauen... Oder?
Kurz darauf gesellten sich Kens und Omis Stimmen hinzu. Sie konnten nicht alle drei erwischt haben, oder? Nein, das war unmöglich... Aber genauso unmöglich war es ihm bisher vorgekommen, dass eine Mission derartig scheitern könnte...
Yohji rührte sich nicht.
*Misstrauen gegenüber deinen Kameraden? Erbärmlich, Balinese...* Schuldigs Lachen begleitete seine Gedanken, während Yohji noch immer unschlüssig war, ob er sich bewegen sollte oder nicht. Es war die Stimme des Schwarzmitgliedes, die sein Misstrauen nur noch mehr in die Höhe trieb und jegliches Vertrauen zerbröckelte.