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Krieger

von

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Sie soll es sehen

Sie soll es sehen
 

Er lag im Bett, durch die halb zugezogenen, schweren Stoffvorhänge schien das fahle Licht der Strassenlaternen in das kleine Zimmer. Von draussen durchdrangen ab und zu die Geräusche vorüber rasender Autos die Stille. Im Zimmer hing ein feuchter Modergeruch, gleich dem, den man in alten Gemäuern vorfindet, nur dass er hier nicht diesen scheinbar romantischen, die Phantasie um Jahrhunderte zurückversetzenden Eindruck hinterliess. Er atmete tief durch, horchte dem Lufthauch, der seine Lippen streifte. Im Moment war es das einzige, was ihn daran erinnerte, ein Mensch zu sein. Langsam drehte er sich auf den Rücken, sah an die schattendurchzuckte Decke. Er lag schon eine geraume Zeit wach - eigentlich hatte er diese Nacht nicht eine Minute geschlafen - und überlegte. Jeden Tag, jeden Moment, in dem er entschied, seine Wohnung zu verlassen, die selbe Frage. Wer sollte er heute sein? Welche Maske würde er sich aufsetzen?

Er schloss die Augen, ging jede Einzelne noch einmal in Gedanken durch... Jede von ihnen war einzigartig! Eine war völlig blickdicht, ein hartes, aufgemaltes Grinsen; Diese trug er am öftesten. Man hätte meinen können, es sei seine liebste, doch in Wahrheit ist sie nur einfach bequem. Man trägt nur selten, was einem wirklich gefällt, so kann es nie bequem werden, aber es nutzt sich auch niemals ab. Das Liebste bewahrt man sich immer für einen ganz speziellen Augenblick, man hütet es wie einen Schatz, nur um irgendwann zu merken, dass man herausgewachsen ist und es nie wieder tragen können würde.

Oder vielleicht sollte er heute das argwöhnische Gesicht aufsetzen? Dieses trägt sich immer gut, wenn man nicht genau weiss, was einen erwarten würde...

Jeder Tag ein neuer Mensch, so hält er die Masken hoch als die Schutzschilde, die sie tatsächlich sind. Jede von ihnen einen anderen Teil seines Wesens verbergend, einen anderen schon fast ins Lächerliche überzeichnend. Wie schön, dachte er sich, habe ich die freie Wahl.

Langsam setzte er sich auf, ohne Eile - wozu denn auch - erhob und streckte er sich, trat vor einen hölzernen Schrank und öffnete ihn langsam. Bedächtig nahm er jedes der aufgereihten Gesichter in Augenschein, nahm das eine oder andere raus, hielt es kurz dem Fenster entgegen, musterte es im Dämmerlicht...

Plötzlich kreuzte ein Bild seine leicht betäubten Gedanken. Nun wusste er, welches Gesicht er heute tragen würde. Sie, sie ganz allein sollte es sehen. Seine kostbarste Maske, in ihren Zügen ganz und gar einmalig.

Vorsichtig hob er sie aus dem Schrank, denn würde sie Schaden nehmen, wäre es ein unersetzlicher Verlust... Behutsam wog er sie in der Hand, betrachtete sie, strich mit den Fingerspitzen über ihre Züge, hatte er doch beinahe vergessen, wie schön sie war...

Er trat mit ihr vor den Spiegel und hielt sie für einen kurzen Moment ins Licht. Ihr Anblick war bis anhin für niemanden ausser ihn selbst bestimmt, denn selbst er ertrug ihn kaum, wenn sie sein Gesicht zierte.

Diese Maske war einzigartig, sie war kein Schild, verhüllte keinen einzigen Gedanken, denn sie war völlig transparent.



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