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Arguments

∼ Sieben Tage, sieben Auseinandersetzungen ∼ KaibaxWheeler
von

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Montag - Echte Männer weinen nicht

Titel: Arguments

Pairing: WheelerxKaiba

Serie: Yu-Gi-Oh!

Disclaimer: Keine Rechte, kein Geld, nur Spaß ; )
 

1. Auseinandersetzung: Echte Männer weinen nicht
 

In meinem Leben waren mir viele Dinge widerfahren. Ich hatte mich mit älteren Typen angelegt – die, nebenbei bemerkt in so gut wie allen Fällen mindestens einen Kopf größer waren als ich – und hatte vor ihnen nie ein Blatt vor den Mund genommen. Meine große Klappe hatte ich bereits des Öfteren in missliche Lagen gebracht, dennoch sah ich keinen Grund, etwas an meiner Vorgehensweise zu ändern.
 

Wer sich mit mir anlegte, bekam die Tatsachen knallhart gegen den Kopf geschmissen.
 

Das Einhalten dieses Grundsatzes erwies sich in vielen Situationen als fatal und hatte nicht selten schwerwiegende Folgen. Von blauen Flecken, über Gehirnerschütterungen (okay, es waren nur zwei und sie waren auch nur leicht) und leichten Prellungen (die ich natürlich ohne Anstrengung wegsteckte – ein Wheeler kannte keinen Schmerz) bis hin zu Klassenbucheinträgen (es war taktisch unklug, den Lehrer als parteiischen, unfairen Beamten mit Hang zum Sadismus gegenüber unschuldigen Schülern zu bezeichnen). Aber ich hatte in jener Situation ziemlich neben mir gestanden, hatte mein Mathelehrer mich damals aus meinem erholsamen Überbrückungsschlaf gerissen (man weckte einen Wheeler nicht ungestraft auf!).
 

Rückblickend auf mein bisheriges Leben konnte ich mit Stolz behaupten, niemals zimperlich gewesen zu sein, jedes Mal die Schmerzen einer unbedachten Prügelei mit Würde getragen und vor allem - und das entsprach der vollen Wahrheit! - nie gejammert zu haben. Oder zumindest so gut wie nie ...

Na ja, meistens nie ...
 

Verdammt, ich hatte es verkraftet und mich nicht beklagt! Ich wusste, dass ich es mir selbst zuzuschreiben hatte, ich trug die Konsequenzen mit Würde. Oder zumindest so ähnlich ...
 

Ich hatte jedenfalls nie geheult.
 

Es bedurfte schon mehr um mich zum heulen zu bringen, als ein Schlag ins Gesicht oder einen Tritt in den Magen. Es klang hart, aber es war zu verkraften. Wenn man sich konzentrierte, ließ das Stechen oder Ziehen nach einigen Minuten nach und es war ertragbar. Man machte mich mit solchen Dingen nicht fertig.

Dazu bedurfte es schon härterer Dinge.
 

Das hatte ich zumindest geglaubt ...
 

oOo
 

Natürlich war die Realität um einiges grausamer, als ich es mir vorgestellter hatte. Und nicht nur das. Die Realität war nie nur grausam, sondern auch immer erniedrigend.
 

Montag war nie mein Glückstag gewesen. Er war der erste Tag der Woche – der schlimmste Tag der Woche. Denn mit ihm kündigte sich der Rest der Woche erst an.
 

Dementsprechend schwer fiel es mir darum auch, mich jeden Montag früh aus dem Bett zu bekommen.

Es bedurfte mehrerer Anläufe, bei denen mir in regelmäßiger Beständigkeit die Wecker ausgingen, hielt ich es doch nicht für nötig allzu rücksichtsvoll mit ihnen umzugehen. Eine nachlässige Handbewegung und das penetrant klingelnde Gerät fand seine letzte Ruhestätte auf dem Boden meines Zimmers, inmitten meiner unordentlich darüber verstreuten Kleidungsstücke. Natürlich fand der Wecker auch jedes Mal die freie, nicht von Kleidung bedeckte Lücke auf dem Holzfußboden, damit er auch ja nicht dem Tod durch „Schädeltrauma“ entkam. Nein, ein Wecker hatte, wenn man ihn rüde behandelte, auf der Stelle kaputt zu gehen. So zumindest bei mir.
 

Nachdem ich anschließend zufrieden wieder in meine Kissen zurücksank und mich der liebkosenden Umarmung des Schlafes ergab, schreckte ich schließlich nach unbestimmter Zeit wieder auf. Auf der Suche nach einer Uhr würde ich erst durch das Einschalten des Radios eine ungefähre Zeitangabe bekommen, nur um anschließend festzustellen, dass ich mich wieder einmal haltlos verspätete. So, wie jeden Montagmorgen.
 

So war es auch heute gewesen und ich hatte angenommen, dass ich mir mit diesem beinahe schon rituellen Beginn des Montags keine Sorgen über den weiteren verlauf des Tages machen musste. Ich war in der Annahme gewesen, lediglich die Schulstunden hinter mich bringen zu müssen und anschließend nach der Schule mit Yugi und den anderen einen schönen Nachmittag verbringen zu können.
 

Fehlanzeige.
 

Mein Montag gestaltete sich als weitaus kreativer als alle seine Vorgänger in diesem noch viel zu jungen Schuljahr. Es begann mit einem unangekündigten Englischtest in der ersten Stunde, den ich aufgrund meiner Verspätung größtenteils verpasste. Nicht, dass diese Tatsache etwas an seinem Resultat geändert hätte – ich hatte am Wochenende besseres zu tun gehabt, als zu üben (vorzugsweise faulenzen) und hätte ohnehin nichts Brauchbares zustande bekommen. Die fünf Minuten die mir nach der Standpauke des Lehrers noch blieben waren verschwendete Zeit.
 

Nach diesem Reinfall hatte ich angenommen, den schlimmsten Teil des Tages hinter mich gebracht zu haben, doch das Schicksal nahm andere Wendungen.
 

Ich hatte dem Sozialkundeunterricht nie viel abgewinnen können und stellte mir regelmäßig die Frage, warum ich ihn überhaupt gewählt hatte. Wahrscheinlich lag es daran, das Téa so lange auf mich eingeredet hatte, bis ich nicht mehr klar denken konnte - und in meiner Unzurechnungsfähigkeit hatte ich mich offenbar für dieses Fach entschieden. Ein fataler Fehler, verstand ich doch nur einen Bruchteil dessen, was man uns zu vermitteln versuchte.
 

Was mich diese Wahl jedoch am meisten bereuen ließ, war die Tatsache, dass Kaiba dieses Fach ebenfalls gewählt hatte. Und er saß direkt neben mir.
 

Infolge dessen war ich während jeder Stunde nicht in der Lage dazu ein erholsames Nickerchen zu führen, wurde ich doch, sobald meine Augenlider sich verdächtig senkten und meine Haltung allmählich in sich zusammensank vor rechts mit einer Salve verächtlicher Blicke seitens Kaiba gestraft. Daraufhin verbrachte ich den Rest der Stunde damit, ihn mit bösen Blicken zu durchlöchern, woraufhin er mich mit bloßer Nichtachtung strafte. Die Welt war gemein.
 

Offen gestanden, hätte ich diesen Verlauf der heutigen Stunde jedoch jederzeit vorgezogen.
 

Wann wir auf das Thema Tiere zu sprechen gekommen waren entzog sich meines Wissens (wenn man jede verdammte Stunde damit verbrachte, Kaiba finster anzustarren bekam man nicht viel mehr mit, als würde man schlafen), doch die Pädagogin vorne am Lehrerpult schien es anscheinend vorzuziehen, sich heute eine einfache Stunde zu machen, indem sie uns eine Dokumentation über den illegalen Fang von Seerobben vorführte. Der Film sollte die ganze Stunde dauern und während sie es sich vorne bequem machte, waren wir genötigt zuzusehen und uns Notizen zu machen.
 

Ich hatte nie vorgehabt mir welche zu machen, ich hatte eigentlich auch nicht wirklich vorgehabt, mir den Film anzusehen. Bei dieser Stunde handelte es sich um eine viel versprechende Einladung, den verlorenen Schlaf vom Morgen nachzuholen. Ich bettete meinen Kopf auf meine Arme, die ich auf meinem Tisch verschränkt hatte und schloss die Augen.
 

Etwas traf mich am Kopf und ich öffnete ein Auge. Mein Blick suchte und fand Kaibas, welcher mich mit einem angewiderten Ausdruck betrachtete.
 

„Was?“, fragte ich provozieren, jedoch ohne mich aus meiner derzeitigen Position zu lösen. Ich hatte keine Lust, mich zu bewegen. Kaiba hatte ich von hier aus gut im Blick.
 

„Wheeler, wenn du den Drang dazu verspürst den Großteil des Tages wie ein fauler Hund zu verschlafen, dann tu das woanders.“ Seine Stimme war nicht mehr als ein Zischen.
 

Wusste Kaiba überhaupt, was er da sagte? Die Schule war gerade eben der beste Ort überhaupt, um verloren geglaubten Schlaf nachzuholen und was stellte er sich vor? Überhaupt, was fiel ihm eigentlich ein?
 

„Kaiba, ich bin kein Hund.“
 

Wie oft hatte ich ihm diese Worte schon genannt? Unzählige Male voller Zorn, Empörung, Hass und

Rage, doch dieses Mal war meine Stimme schleppend und voller Müdigkeit.
 

„Penn nicht ein, Wheeler.“
 

„Was denn?“ Ich öffnete nun auch mein anderes Auge. „Machst du dir etwa Sorgen um meine schulischen Leistungen?“
 

„Mach dich nicht lächerlich.“

„Hatte ich nicht vor.“

„Du bist erbärmlich.“

„Du mich auch Kaiba.“
 

Meine Augen fielen zu. Die Geräusche des Filmes blendete ich aus. Nicht, dass mich Tierquälerei und dergleichen kalt ließ. Ich war gegen derartiges, aber ich verspürte nicht den Wunsch danach, in der Schule damit konfrontiert zu werden.
 

Erneut traf mich etwas. Dieses mal an der Stirn. Ein Papierkügelchen, etwas anderes konnte es nicht sein. Meine Augen öffneten sich und ich fixierte Kaiba. Warum hatte ich ihm überhaupt das Gesicht zugewandt? Offenbar ein Fehler.
 

„Kaiba, hör auf!“

„Du sollst nicht schlafen.“

„Ignorier mich doch. Das kannst du doch sonst auch immer hervorragend.“

„Wheeler.“

„Kaiba.“
 

Ich hatte keine Lust diese sinnlose Unterhaltung fortzusetzen. Stattdessen drehte ich den Kopf und starrte in die ihm entgegen gesetzte Richtung. Vielleicht war er ja jetzt zufrieden.
 

Das Papierkügelchen, welches mich wenige Momente später am Hinterkopf traf, überzeugte mich wirkungsvoll vom Gegenteil. Ich schnellte hoch und starrte ihn aufgebracht an.
 

„Hör auf damit!“, zischte ich ihm zu.
 

Er zeigte sich unbeeindruckt. „Ich sagte, du sollst nicht schlafen.“
 

„Seit wann lasse ich mir von dir etwas sagen?“ Ich war verzweifelt darum bemüht, meine Lautstärke soweit unten zu halten, als dass niemand etwas von unserer „Unterhaltung“ mitbekam. Abgesehen von einigen flüchtigen Seitenblicken schenkte uns niemand Beachtung.
 

„Das solltest du vielleicht zur Abwechslung einmal tun, Wheeler.“
 

Ich knurrte. „Kaiba, lass mich in Ruhe. Sieh dir den Film an und halt die Klappe!“
 

„Ich schätze, du bist wohl eher derjenige, der sich diese Dokumentation ansehen sollte, Köter“, gab er abfällig zu bemerken. „Wo es doch deine im Wasser lebenden Artgenossen sind, die hierbei zu schaden kommen. Sag mir Wheeler, bist du nur zur Hälfte oder zu drei Vierteln mit Seehunden verwandt?“
 

Dieser Kommentar war gezielt gesetzt und hatte mich genau getroffen. Das tat weh.
 

Ich starrte ihn fassungslos an, doch er hatte seinen Blick nach vorne auf den Fernseher gerichtet und beachtete mich nicht weiter. Ich konnte es nicht glauben!
 

‚Wo es doch deine im Wasser lebenden Artgenossen sind, die hierbei zu schaden kommen.’
 

Langsam drehte ich den Kopf. Mein Blick heftete sich auf den Bildschirm des Fernsehgerätes. Soeben zeigten sie, wie die Fischer die im Netzt gefangenen Seerobben an Deck zogen. Einige von ihnen verletzt, andere bereits nicht mehr am Leben.
 

‚... bist du nur zur Hälfte oder zu drei Vierteln mit Seehunden verwandt?’
 

Es war nicht das erste Mal, dass ich solche Bilder sah. Sie waren grausam, erschreckend und nicht zu glauben. Doch dieses Mal war etwas anders. Kaibas Worte waren es, die etwas in mir auslösten.
 

Das Bild einer kleinen verlorenen Jungrobbe, eines Heulers, welcher seine Mutter durch die Fischer verloren hatte gab mir den Rest.
 

Ich war nie eine gefühlsbetonte Person gewesen. Téa hatte mich einmal „liebevoll“ Trampel genannt. Damit ließ sich mein Verhalten in Bezug auf Gefühle anscheinend am besten beschreiben. Es mochte daran liegen, dass es nicht wirklich rücksichtsvoll erschien, zur Lösung eines Problems entweder Verdrängung oder die Verwendung der Frage ‚Wollen wir das draußen klären?’ in Anspruch zu nehmen. Es mochte auch aus mancherlei Blickwinkel betrachtet taktlos erschienen, Tristan, der wieder einmal eine Abfuhr erteilt bekommen hatte, mit den Worten ‚Pech, Alter. Da war wohl jemand schneller als du’ aufmuntern zu wollen.
 

Ich war ein Trampel wenn es um Gefühle ging, besonders um meine eigenen. Ich war ein Mann und echte Männer zeigten keine Schwächen in solcher Hinsicht.
 

Echte Männer weinen nicht.
 

Es sei denn sie hießen Joey Wheeler und sahen sich mit großen hoffnungslosen Augen eines verlorenen Heulers konfrontiert. So wie jetzt.
 

Es war nicht zu fassen. Ich hatte mir mit Tristan bereits zahllose Horrorfilme angesehen und es ohne bleibende Schäden (sah man eine leichte Paranoia als nicht bleibenden Schaden an) überstanden, hatte unzählige Male hier und dort in Auseinandersetzungen einen Schlag eingesteckt und hatte bei Téa Zuhause sogar die ultimative Härteprobe, zusammen mit Yugi, Tristan, Duke und Bakura, durch gestanden: Wir hatten Titanic überlebt.

Nie hatte ich dabei geheult.
 

Das änderte jedoch jetzt nichts an der Tatsache, dass meine Augen zu brennen begannen und sich, ohne dass ich es verhindern konnte, mit Tränen füllten. Dass ich überhaupt noch Tränenflüssigkeit besaß nach all den Jahren, in denen ich nicht ein einziges Mal geheult hatte, erschien mir ohnehin wie ein Wunder.
 

Ich kam mir vor wie ein kleines Mädchen. Wie erbärmlich.
 

Verzweifelt versuchte ich, die Tränen nicht aus meinen Augen entweichen zu lassen. Wenn jemand sah, dass ich wegen dieses Films tatsächlich zu flennen anfing, dann war mein Ruf, mein Stolz, meine Selbstachtung ... alles im Eimer.
 

Ich richtete meinen Blick an die Deckedes Klassenzimmers, versuchte nicht zu blinzeln, versuchte verdammt noch mal nicht zu flennen!
 

Ich betete, dass niemand zu mir sah, dass alle ihre Aufmerksamkeit dem Film schenkten.
 

„Was ist Wheeler, ich dachte, es würde dich interessieren zu sehen, wie es um deine Artgenossen steht.“
 

Dieser elende, rückgrandlose, narzisstische Bastard hatte mir gerade noch gefehlt! Warum war ich nur derart gestraft?! Ich versuchte, ihn zu ignorieren, meinen Blick weiterhin gen Decke gerichtet. Bitte, ich durfte nicht vor ihm anfangen zu heulen. Das würde ich nicht überleben.
 

„Ist die Decke um so vieles interessanter?“
 

Ich antwortete nicht und hoffte, dass er das Interesse an mir verlor. Wenn ich nicht auf ihn einging, dann vielleicht ...
 

„Was starrst du denn nach oben, als hättest du Angst, die Decke würde dir auf den Kopf fallen?“
 

Bei allen Duel Monsters Karten, Kaiba, konntest du nicht endlich wieder den Film ansehen?! Bitte ...
 

„Sag mal Wheeler ... heulst du?“
 

Er hatte diese Frage nicht laut ausgesprochen, sie war nicht viel mehr eine gedämpfte, ungläubige Frage. Doch seine Worte reichten aus, um meinem Herzen den nötigen Antrieb zu geben, den es brauchte. Es verdoppelte seine Geschwindigkeit, hämmerte mir in einem schmerzhaften Takt gegen die Brust. Verdammt!
 

Mein Kopf ruckte zu ihm herum.
 

„Natürlich nicht!“
 

Etwas Feuchtes auf meinen Wangen strafte meine Worte lügen. Ich hatte es nicht geschafft, die Tränen zur Gänze zurückzudrängen. Ungläubig hob ich eine Hand und tastete nach der feuchten Spur, die meine Wangen zierte. Meine Augen weiteten sich voller Entsetzen während mein Blick auf den Kaibas traf, welcher mich mit einer Mischung aus fassungslosem Erstaunen ansah. Ich riss mich aus meiner vorläufigen Starre und sprang auf. Mein Stuhl rutschte quietschend zurück.
 

„Scheiße“, stieß ich atemlos hervor, dann machte ich mit einem letzten Blick in Kaibas Richtung auf dem Absatz kehrt und flüchtete aus dem Klassenraum. Die Folgen dieser Flucht – denn nichts anderes war es - interessierten mich in dem Augenblick nicht. Auch wenn es dunkel im Klassenraum gewesen war, Kaiba hatte es definitiv gesehen. Es konnte nicht anders sein.
 

Er hatte gesehen, dass ich geheult hatte! Ich hatte tatsächlich geheult! Wegen einem Heuler.

Nannte man so etwas Ironie des Schicksals? Ich hasste das Schicksal!
 

Die Tür zur Jungentoilette fiel hinter mir zu. Schwer atmend stütze ich mich zu beiden Seiten des Waschbeckens mit den Händen ab und starrte mein eigenes Spiegelbild an. Es starrte zurück und wirkte nicht minder schockiert als ich es war.
 

Ich hatte im Unterricht geheult. Wie ein Mädchen. Ich hatte mich wie ein Schulmädchen verhalten!

Konnte es schlimmer kommen? Ja, und das war mir mehr als nur klar.
 

Wenn Kaiba es jemandem erzählte ... nicht auszudenken, was dann passieren würde. Mein Ruf wäre dahin, ganz zu schweigen von meinem Stolz!
 

Ich ließ den Kopf hängen, den Blick auf den verrosteten Abfluss des Waschbeckens gerichtet. Meine Sicht verschwamm, meine Schultern begannen zu beben.
 

Lieber Gott, warum wurde ich nur so gestraft? Ich hatte nie etwas verbrochen (na gut - fast nie), warum also, wurde ich solch einer Demütigung ausgesetzt? Und warum war ich schon wieder am flennen, wie ein kleines Kind, dem man seinen Lutscher weggenommen hatte?!
 

„Verdammt ...“
 

Ich hob einen Arm und wischte mir mit dem Ärmel meiner Schuluniform harsch über die Augen. Es fehlte noch, dass ich jetzt ganz klein bei gab. Joey Wheeler war kein Weichei. Joey Wheeler war keine Heulsuse!
 

Ich löste mich von dem Waschbecken und drehte mich um. Mit unsicheren Schritten wankte ich zu der Kabine, die mir am nächsten war. Ich schlug sie achtlos hinter mir zu und lehnte mich an die alte Toilettentür. Ich schloss die Augen.
 

Hätte ich gewusst, dass dieser Tag solche Ausmaße annehmen würde, wäre ich heute Morgen viel lieber im Bett geblieben ...
 

Ich seufzte und meine Haltung fiel in sich zusammen.
 

Was sollte ich jetzt machen? Ich hatte soeben einen filmreifen Abgang aus der Klasse gemacht. Fest stand, dass ich so schnell nicht zurückkehren würde. Nicht, solange Kaiba da war. Andererseits konnte ich auch schlecht den Rest der Schulstunden auf diesem Klo verbringen. Obwohl dieser Gedanke von Sekunde zu Sekunde verlockender erschien ...
 

Ich schüttelte den Kopf.
 

Kaiba hatte es gesehen und es war nur eine Frage der Zeit, bis die gesamte Schule über meinen „Gefühlsausbruch“ bescheid wusste. Kaiba würde es genießen, mich am Boden zu sehen. Gedemütigt.
 

Die Tür der Jungentoilette, die sich quietschend öffnete, riss mich aus meinen Gedanken. Mein Kopf schnellte in die Höhe und ich starrte entsetzt an die gegenüberliegende Wand der Kabine, in der ich mich befand.
 

„Joey?“
 

Yugi?! Was machte er hier? Der Unterricht war noch nicht zu Ende.
 

„Bist du hier?“
 

Ich war hin und her gerissen. Ein Teil in mir wollte die Tür aufreißen und zu Yugi sprinten, ein anderer Teil in mir schrie mich an, genau das zu lassen und gefälligst dort zu bleiben, wo ich war. Ein Teil wollte auf die Frage antworten, ein anderer schien mich daran hindern zu wollen, meinen Mund zu öffnen.
 

„Hng.“
 

Das Resultat aus dieser inneren Zerrissenheit war ein Laut, der einem misslungenen Krächzen gleichkam und gleichzeitig wie ein unterdrücktes Würgen klang. Wunderbar.
 

„Joey?“ Schritte näherten sich seiner Kabine. „Bist du da drin? Was ist los?“
 

„Yu ... gi“, brachte ich schließlich halbwegs anständig zustande. „Ich ...“
 

„Alles in Ordnung mit dir? Du bist so plötzlich aus dem Klassenraum gerannt? Ich soll nach dir sehen. Geht es dir nicht gut?“
 

Mir ging es beschissen.
 

„Ich ...“, setzte ich erneut an, schaffte es jedoch nicht, den Satz zu beenden. Was sollte ich ihm sagen? Die Wahrheit? Die peinliche, demütigende Wahrheit?
 

„Joey, du klingst aber gar nicht gut. Was ist mit dir?“
 

Die Klinke der Kabine wurde hinuntergedrückt. Noch immer lehnte ich an der Tür, doch mein Blick schnellte zu dem metallenen Objekt, welches sich in Zeitlupe nach unten zu bewegen schien. Ich hatte vergessen abzuschließen.
 

„Nicht.“
 

Es war kein wirklicher Satz, dennoch verstand Yugi ihn und hielt inne.
 

„Ich ... du hast recht“, murmelte ich, meinen Blick auf den fliesenbelegten Boden der Toilette richtend. „Es geht mir nicht gut. Mir ist ganz plötzlich schlecht geworden und ich musste schnell zur Toilette.“
 

Ich konnte ihm nicht die Wahrheit sagen ...
 

Ein erzwungenes Lachen entwich meiner Kehle. „Mag wohl an der Dokumentation gelegen haben. Sie war nicht unbedingt stimmungshebend.“
 

Das jedoch entsprach der vollen Wahrheit.
 

„Wäre es nicht besser, du würdest ins Krankenzimmer gehen? Du könntest dir eine Tablette gegen Übelkeit geben lassen“, schlug Yugi vor. Er hatte sich nicht weiter gerührt, doch ich hörte ihm an, dass er von meinen Worten nicht wirklich überzeugt war.
 

Ich schüttelte den Kopf, vergaß dabei, dass er mich nicht sehen konnte. „Es geht schon. Gib mir noch ein bisschen Zeit, dann geht es wieder.“
 

Das war eine Lüge.
 

„Bist du dir sicher?“
 

„Klar doch, Alter.“ Ich versuchte so viel Überzeugung wie möglich in diesen Satz zu bringen und hoffte, dass Yugi sich damit zufrieden gab. So sehr ich ihn auch mochte, ich konnte es ihm nicht sagen. „Du kannst ruhig schon gehen. Ich komme später nach.“
 

Es verstrichen Sekunden, in denen er nichts sagte, dann sah ich, wie die Klinke ich hob. Er ließ sich los. Unmerklich atmete ich erleichtert aus.
 

„Ist gut. Aber wenn es zu schlimm wird, wolltest du nach Hause gehen.“
 

„Es wird schon“, beteuerte ich ihm und ich sah, wie sein Schatten sich entfernte. „Bis später“, meinte ich noch, hörte seine Erwiderung, dann schloss sich die Tür zur Toilette hinter ihm und ich war wieder alleine.
 

Ich war nicht stolz darauf, meinen besten Freund angelogen zu haben, nur weil es mir zu peinlich war, mir vor ihm einzugestehen, dass ich wegen einer kleinen Robbe tatsächlich geheult hatte. Es mochte auch sein, dass diese Reaktion von mancher Seite aus auch als kein Weltuntergang gesehen werden würde, doch mit einem Ruf wie meinem hatte man eine Menge zu verlieren.
 

Ich war nicht mehr der Rowdy wie früher, bevor ich auf Yugi getroffen war, doch noch immer versuchte ich meine Würde zu wahren und ich ließ es nicht zu, dass ältere Schüler mich respektlos behandelten.

(Man behandelte einen Joey Wheeler nicht respektlos!) Darum war es auch so schlimm, dass es mir ausgerechnet in der Schule passiert war!
 

Ich ließ mich langsam an der Kabinentür hinabsinken.
 

Was sollt eich jetzt bloß tun? Bis zum Ende meines Lebens in dieser Kabine hocken (die ich noch immer nicht abgeschlossen hatte) und in Selbstmitleid zerfließen? Ich kam mir vor, wie in einer billigen Komödie. Und natürlich war ich es, auf dessen Kosten die Witze gemacht wurden. Wie ich es doch liebte ...
 

Ich wusste nicht, wie lange ich noch dort saß und mir demütigende Begebenheiten ausmahlte, die mich außerhalb dieser Toilette erwarten würden. Die Schulglocke war es, die mich aus meinen Gedanken riss. Ich blickte auf.
 

Bald war es soweit. Kaiba würde die Neuigkeit über mich schnell in den Umlauf bringen können.

Wahrscheinlich mit einer abfälligen Bemerkung in meiner Abwesenheit, das würde zu ihm passen.
 

Erneut öffnete sich die Tür zur Toilette und ich sprang auf. Reflexartig wich ich zurück, nur weg von der Kabinentür. Natürlich hatte ich sie noch immer nicht abgeschlossen – gelobt sei mein Gedächtnis – doch wollte ich auch vermeiden, dass man mich unter der Tür hindurch sehen konnte. Ich spürte die kalten Fliesen hinter mir, die Kloschüssel dicht neben mir. Keine wirklich schöne Position.
 

Ich hörte die Stimmen zweier Jungen, die sich unterhielten, dann erklang das Rauschen des Wasserhahns. Aus ihren Worten hörte ich kein „Joey Wheeler“, „Heulsuse“, „Weichei“ oder ähnliches heraus. Anscheinend war die fatale Nachricht noch nicht zu ihnen durchgedrungen. Wer wusste schon, in welcher Klasse sie waren?
 

Die Toilettentür quietschte, ihre Gespräche verstummten abrupt und während sich ihre Schritte rasch entfernten kamen andere bedrohlich näher. Jemand hatte die Toilette betreten. Keine Besonderheit, angesichts der Tatsache, dass Pause war, doch meine Kabine war noch immer unverschlossen. Es musste nur jemand zufällig dieselbe auswählen ...
 

Ich lauschte, doch die Person, die ich noch bis vor wenige Augenblicke gehört zu haben glaubte, schien nicht mehr da zu sein. Die Schritte waren verstummt, kein weiteres Geräusch drang an mein Ohr.
 

Ich atmete aus. Es war allmählich an der Zeit, sich dem unvermeidbaren zu stellen. Ich würde dort draußen, vor dieser Toilette, in der Luft zerfetzt werden, aber ich würde es mit Würde tragen. Zumindest würde ich nicht wieder flennen!
 

Ich machte einen Schritt auf die Tür zu und legte meine Hand auf die Klinke. Einen Moment zögerte ich, doch dann drückte ich sie hinunter und zog die Tür auf.
 

„...“
 

Mit einem lauten Knall fiel sie wieder zurück ins Schloss. Schwer atmend lehnte ich erneut mit dem

Rücken an ihr, doch dieses Mal lag in meinem Blick blankes Entsetzen und mein Herz hatte für wenige

Momente ausgesetzt, bevor es in übermäßiger Geschwindigkeit weiter schlug, als wolle es mir sagen:

„Sei froh, dass ich überhaupt noch schlage – das muss gefeiert werden.“
 

Meine Hände zitterten, während ich mich näher an die Kabinentür presste.
 

Das durfte doch einfach nicht wahr sein!
 

„K-kaiba?“
 

Was machte er hier? Was stand er ausgerechnet vor meiner Kabine? Warum hatte er mich gerade eben so angesehen? Was zum Teufel hatte er hier zu suchen?!
 

„Wheeler.“
 

„Was – was machst du hier?“
 

Einige Momente schwieg er. „Was machst du hier, Wheeler?“
 

„Ich ... mir ist übel.“
 

Mir fielen in diesem Moment einfach keine besseren Worte ein. Ich wusste, er würde sie mir nicht abnehmen. Und er wusste, dass ich wusste, dass er es wusste. Und ich wusste, dass er wusste, dass ich wusste, dass er wusste -
 

„Dir ist übel.“
 

Es war erstaunlich wie viel Spott jemand wie Kaiba in drei simple Worte legen konnte. Natürlich glaubte er mir nicht. Ich hatte es doch gewusst.
 

„Ja.“
 

„Aha.“
 

Erneut schwieg er. Genauso wie ich. Noch immer hämmerte sich eine Frage mit penetranter Wucht in meinen Kopf: Was machte er hier?
 

„Heulst du noch immer?“
 

„Natürlich nicht!“
 

Erst Sekunden später realisierte ich, dass ich mit dieser überstürzten Erwiderung genau in seine Falle getappt war. Wie typisch. „Ich meine, ich habe überhaupt nicht geheult. Wie kommst du darauf?“, sprach ich hastig weiter.
 

Vielleicht half es, wenn ich mich dumm stellte.
 

„Ich weiß es wirklich nicht Wheeler. Es mag vielleicht daran gelegen haben, dass du tatsächlich geheult hast?“ Nun war seine Stimme schärfer als ein Messer.
 

Ich wagte es nicht, zu antworten, aus Sorge, mich mit jedem Wort weiter verraten zu können. Doch offenbar bewirkte mein Schweigen nicht weniger.
 

„Himmel Wheeler, jetzt hab wenigstens den Mut, dich dazu zu bekennen.“
 

Was suchte er hier? Warum war er nicht draußen und verbreitete mit einem selbstzufriedenen Grinsen die Neuigkeit dass Joey Wheeler ich Unterricht zu heulen angefangen hatte?
 

„Was willst du, Kaiba?“
 

„Ich will, dass du aufhörst, dich zu verkriechen Wheeler. Das ist erbärmlich.“
 

Ich ballte die Hände zu Fäusten.
 

„Willst du dich an meinem Elend laben?“
 

„Seit wann beherrscht du derartige Wörter?“ Ich konnte seine hochgezogene Augenbraue sehen, ohne dass ich ihm gegenüber stehen musste. Nun wurde mir wirklich schlecht.
 

„Halt die Klappe, Kaiba.“
 

„Komm raus, Wheeler.“
 

„Warum interessiert es doch, was ich mache?“, stieß ich abfällig hervor. Ich ertrug es nicht, ihn anzusehen, darum wollte ich die Kabine nicht verlassen. Nicht jetzt.
 

„Stell dich nicht so an.“

„Ich stelle mich nicht an!“

„Heul nicht rum.“

„Ich heule nicht!“

„Ach ehrlich?“
 

Sein nicht überzeugter Tonfall war es, der mich dazu brachte, die Beherrschung zu verlieren. Ich wirbelte herum, riss die Kabinentür auf und starrte ihn aufgebracht an.
 

„Ja ehrlich! Zufrieden?!“
 

Er hatte die Arme verschränkt und musterte mich abschätzig. Sekunden verstrichen, in denen er nichts erwiderte, dann hoben sich seine Mundwinkel für den Bruchteil einer Sekunde, bevor der altbekannte herablassende Ausdruck in seiner Augen zurückkehrte.
 

„Deine Augen glänzen verdächtig Wheeler“, meinte er provozierend. „Außerdem sind sie gerötet. Du kannst es nicht leugnen, ich weiß, was ich gesehen habe.“
 

„Red keinen Scheiß!“, fuhr ich ihn an. „Mit meinen Augen ist alles in Ordnung, und falls nicht, dann liegt es wahrscheinlich an deinem Anblick.“
 

Seine Augenbraue hob sich noch um einige Millimeter. Erstaunlich, dass mir diese Mimik überhaupt auffiel.
 

„Verletzte Hunde beißen. Habe ich einen wunden Punkt getroffen Wheeler? Ist es dir etwa peinlich?“
 

Alleine die Art, auf die er das Wort aussprach ließ meinen Magen einen unangenehmen Salto machen.
 

„Lass mich doch in Ruhe, Kaiba.“
 

Ich hatte recht gehabt. Er war nur hier, um sich an meinem Elend zu weiden. Mistkerl.
 

Seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. „Offenbar habe ich recht. Wie nicht anders zu erwarten.“
 

„Warum bist du noch hier Kaiba?“

„Eine Frage, die ich mir momentan auch stelle. Es ist Zeitverschwendung, sich mit dir zu befassen.“
 

Na schönen Dank auch. Arroganter Pinkel.
 

„Dann kannst du ja gehen.“
 

„Das werde ich auch.“ Er wandte sich ab. „Du solltest übrigens aufhören so ein Gesicht zu ziehen, Köter. Man könnte sonst noch auf die Idee kommen, du wärst schlecht drauf. Der Ausdruck steht dir nicht. Du siehst aus, wie ein Heuler.“
 

Da war sie. Die Bemerkung, auf die ich die ganze Zeit über gewartet habe. Es war einfach unmöglich, dass Kaiba es sich entgehen ließ, mich damit aufzuziehen, dass ich geheult habe.
 

„Kaiba!“
 

„Was denn, fängst du jetzt an zu weinen?“ Er sah mich nicht einmal an. Kurz vor der Tür nach draußen war er stehen geblieben. „Ich schätze, du wirst damit leben müssen, Wheeler. Du solltest lernen, dich besser zu beherrschen, Heuler.“
 

„Nenn mich nicht so!“
 

„Eigenverschuldung, Wheeler.“
 

Mehr sagte er nicht, dann verließ er die Jungentoilette. Und ich stand da, wie bestellt und nicht abgeholt. Erst Sekunden später löste sich die Starre.
 

„Eingebildeter Mistkerl!“, rief ich ihm hinterher und hoffte, dass er es noch hörte. Joey Wheeler ließ sich nicht ohne weiteres Beleidigen!
 

Dabei war er doch eigentlich an allem Schuld.
 

‚Wo es doch deine im Wasser lebenden Artgenossen sind, die hierbei zu schaden kommen.’
 

Kaiba war ein taktloser, gefühlskalter Bastard, der nur auf sein eigenes Wohl aus war, und dem andere sonst wo vorbeigingen. Jeder Kommentar von ihm war verletzend, jeder Blick verachtend.
 

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte andere Sorgen, als mich wieder mit ihm zu befassen. Viel wichtiger war es, wie ich den Rest des Schultags überleben sollte. Zunächst einmal, sollte ich diese Toilette endlich verlassen ...
 

Fünf Minuten später – es hatte sich doch als schwer herausgestellt, sich dazu zu überwinden – öffnete sich die Tür der Jungentoilette zaghaft. Vorsichtig schob ich meinen Kopf nach draußen und spähte in alle Richtungen. Zu meiner Überraschung erwarteten mich keine Beleidigungstiraden oder spöttische Kommentare.
 

Verwundert trat ich zur Gänze nach draußen und sah mich um. Alles ging seinen gewohnten Gang.
 

„Hey Joey!“
 

Mein Kopf fuhr herum und ich entdeckte Yugi und die anderen, die ein Stück entfernt auf unserer Stammbank saßen und mir zuwinkten. Verwirrt blieb ich, wo ich war.
 

Was war nur los? Alles war wie sonst.
 

‚Es ist Zeitverschwendung, sich mit dir zu befassen.’
 

Kaibas Worte kamen mir wieder in den Sinn.
 

‚Du solltest lernen, dich besser zu beherrschen, Heuler.’
 

‚Eigenverschuldung, Wheeler.’
 

Offenbar hatte ich ihn falsch eingeschätzt. Dieser Mistkerl war wirklich immer für Überraschungen zu haben. Dem würde ich bei Gelegenheit etwas erzählen! Und wehe ihm, wenn er es aus Mitleid getan hatte. Obwohl ... jemand wie er, hatte dieses Wort sicherlich aus seinem Wortschatz gestrichen.
 

oOo
 

Und jetzt sitze ich hier. Die Schule ist vorbei, Yugi und die anderen sind schon gegangen. Der Schulhof wirkt seltsam leer ohne die anderen Schüler. Ich habe noch keine Lust darauf, nach Hause zu gehen.
 

Ich habe Kaiba heute in der letzten Stunde zur Rede gestellt und alles, was er gesagt hat, war:
 

‚Geh und nerv jemand anderen, Heuler.’
 

Typisch Kaiba. Wortkarg und abweisend.
 

Ich lege den Kopf in den Nacken und sehe in den Himmel. Was für ein Montag. Die Woche kann nur noch besser werden.
 

oOo
 

Echte Männer weinen nicht
 

Wer immer für diesen Spruch verantwortlich ist, hat offenbar nie Bekanntschaft mit Kaiba gemacht. Der bringt über kurz oder lang jeden zum Heulen. Peinlich aber wahr. Denn es liegt tatsächlich irgendwie an Kaiba.
 

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Echte Männer weinen nicht – es sei denn, sie kennen Kaiba

Dienstag - "Das ist nicht witzig!"

2. Auseinandersetzung: „Das ist nicht witzig!“
 

„Doch ist es.“

„Nein ist es nicht!“

„Doch!“

„Tristan, hör auf zu lachen!“

„Ich fass es nicht! Du hast echt ...“

„Duke, du genauso!“

„Unfassbar ...“

„Kannst du das glauben, Tristan?“

„Nein ... aber es passt zu Joey.“

„Ich bekomme keine Luft mehr.“

„Ich auch nicht.“

„Dann hört auf zu lachen!“
 

Sie hielten inne, nur um mich für wenige Sekunden anzusehen und anschließend wieder in haltloses Gelächter auszubrechen. Mein Blick wanderte Hilfe suchend zu Yugi und Téa, doch auch sie konnten sich nur mit Mühe ein Grinsen verkneifen. Meine letzte Rettung sah ich in Bakura, doch dieser schien überhaupt nicht zuzuhören und sah verträumt in den blauen Nachmittagshimmel.
 

„Joey der Heuler“, prustete Tristan und musste sich an Duke festhalten, um nicht vor Lachen umzukippen.

„Der Oberheuler “, stimmt der Schwarzhaarige ihm nach Luft japsend zu und schient nicht minder unsicher auf den Beinen.
 

Ich wandte gekränkt den Blick ab. Verraten von meinen eigenen Freunden. Ich wusste, ich hätte es ihnen nicht erzählen sollen. Soviel zu meinem Selbstwertgefühl. Ich hätte dieses Missgeschick in der Schule stillschweigend hinnehmen und es als mein und Kaibas Geheimnis behalten sollen. Es grenzte an ein Wunder, aber der reiche Pinkel hatte es offenbar wirklich niemandem erzählt, denn heute in der Schule war ich von niemandem auf die Sozialkundestunde angesprochen worden.
 

Yugi schien meine Ausrede bezüglich der Übelkeit weitergegeben zu haben, darum stellte man mir keine Fragen. Lediglich meiner Lehrerin hatte mich zur Rede gestellt.

Doch nachdem ich überzeugt den reuevollen Schüler gemimt hatte, dem es mehr als nur unangenehm war wegen einer ‚einfachen Magenbeschwerde ihren brillanten Unterricht zu verlassen’, gab sie sich zufrieden. Der einzige Nachteil an dieser Ausrede war nur, dass ich von nun an wirklich so tun müsste, als würde mich ihr Unterricht interessieren, sonst würde sie früher oder später wohlmöglich noch Verdacht schöpfen.
 

Ich hatte es wirklich nicht leicht.
 

Was mich jedoch an dem ganzen Zwischenfall am meisten störte, war – wie konnte es auch nicht anders sein – Kaiba. Nicht nur, dass er die Chance schlechthin nicht ausgenutzt hatte, mich bloßzustellen, abgesehen davon, dass er mich seit diesem Zwischenfall ‚Heuler’ nannte, zeugte kein einziger Kommentar von seiner Seite aus von meinem Ausrutscher. Er tat schlichtweg so, als wäre es nicht geschehen.
 

Ich wusste, ich sollte ihm dafür in gewisser Hinsicht dankbar sein, doch beunruhigender Weise war das Gegenteil der Fall. Es machte mich mehr als wütend!
 

Durch sein Ignorieren stellte er mich bloß. Nicht vor den anderen, sondern vor mir selbst und – was noch viel wichtiger war! – vor ihm. Dadurch, dass er es mit keiner Silbe erwähnt hatte – wurde der Kosename ‚Heuler’ hierbei großzügigerweise übergangen, denn er unterschied sich kaum von den anderen – verdeutlichte er mir nur zunehmend, wie unwichtig in seinen Augen war.
 

Und das machte mich rasend!
 

Meine Wut auf Kaiba hatte an diesem Tag stetig zugenommen und nun, am Dienstagnachmittag - nachdem er mich in der Schule kaum eines Blickes gewürdigt hatte – zusammen mit Yugi und den anderen im Park hatte ich mich dazu entschlossen, die Karten vor ihnen offen auf den Tisch zu legen, und ihnen von gestern zu erzählen.
 

Meinen Freunden konnte ich schließlich vertrauen. Sie würden mich verstehen.
 

Das hatte ich zumindest angenommen, doch während ich Tristan und Duke dabei zusah, wie sie vor Lachen in Tränen ausbrachen und selbst Téa keine ernste Miene mehr machen konnte, kamen deutliche Zweifel in mir auf. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn ich einfach meine Klappe gehalten hätte ...
 

Ich wandte mich ab. „Soviel dazu.“
 

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Welcher Teufel hatte mich geritten? Hatte ich wirklich den letzten Rest meines Verstandes verloren? Danke Kaiba, es war nicht zuletzt alles deine Schuld. Nur wegen deinen dummen Kommentaren ...

Ich lag auf meinem Bett und starrte an die Decke des Schlafzimmers. Neben mir lag das Telefon. Ich hatte gerade mit Yugi gesprochen. Kein wirklich erbauendes Gespräch ...
 

~ „Warum bist du vorhin einfach gegangen?“

„Ich wollte euch in Ruhe weiterlachen lassen.“

„Oh ... entschuldige Joey. Wir wollten nicht, dass du dich schlecht fühlst.“

„Aha. Schön zu wissen.“

„Tristan und Duke tut es Leid. Und Téa und mir auch. Und Bakura ebenso.“

„Sorry, Joey. Wir wollten doch nicht bloßstellen oder so.“

„Tristan, bist du das? Bist du bei Yugi?“

„Jepp. Und die anderen auch. Nur Bakura musste schon gehen. Wir haben uns schon gefragt, wo du

bist.“

„Bei mir zu Hause.“

„Okay.“

„Tristan, jetzt belästige ihn nicht mit unnötigen Fragen.“

„Téa?“

„Hi Joey. Bitte sei uns nicht böse, wir waren nur ... na ja ... amüsiert. Aber natürlich verstehen wir dich. Es war nicht nett von Kaiba, so etwas zu dir zu sagen. Und ich fand den Anblick der jungen Robbe auch

furchtbar traurig.“

„Aha.“

„Téa, merkst du nicht, dass Joey nicht darüber reden will?“

„Duke, geh aus der Leitung.“

„Ich will mit Joey reden!“

„Tristan, du hattest ihn eben schon.“

„Ehm ... das ist mein Telefon ...“

„Yugi hat recht!“

„Téa auch.“

„Leute ...?

„Gib mal her das Ding.“

„Tristan, reiß dich zusammen. Wir wollen Joey helfen.“

„Was denkst du, was ich will, Téa?“

„He, seid mal still, ich glaube Joey will was sagen.“

„Danke. Sagt mal, kennt einer von euch Kaibas Nummer?“

„...“

„Yugi? Rufst du vom Festnetz aus an? Ist die Verbindung noch da? Ich hör dich so schlecht.“

„Das liegt daran, dass keiner von uns etwas sagt, Joey.“

„Und warum?“

„Joey, egal wie schlecht es dir geht, dass ist doch keine Lösung!!!“

„Was willst du damit sagen, Tristan?“

„Du darfst doch nicht als Vergeltung zu Telefonterror greifen!“

„Also –“

„Egal, was Kaiba auch gesagt hat, du darfst nicht zu solchen Mitteln greifen!“

„Ich hatte nie vor –“

„Ich stimme Tristan zu. Kaiba wird das gar nicht gefallen!“

„Hör mal Téa, ich wollte nie –“

„Gewalt ist keine Lösung.“

„...“

„Joey, bist du noch dran?“

„Ich weiß nicht. Bin ich?“

„Sag doch etwas.“

„Aber das tue ich doch.“

„Téa, jetzt mach den Armen nicht noch verrückt. Er hat es schon schwer genug.“

„Aber Duke, er will Kaiba terrorisieren.“

„Ja schon, aber –“

„Yugi, jetzt sag doch auch mal etwas.“

„Weißt du, Téa ...“

„Joey, bitte. Du darfst jetzt nicht übereilt handeln.“

„Das hatte ich nie vor.“

„Ach echt?“

„Ich will nur mit Kaiba reden. Ich hatte nie vor, ihn zu terrorisieren.“

„Aber du hast doch gesagt –“

„Ich wollte lediglich seine Nummer.“

„Oh ... warum hast du das nicht gleich gesagt?“ ~
 

Freunde waren kompliziert.
 

Ich starrte nun seit geschlagenen dreißig Minuten auf den Zettel in meiner Hand. Darauf stand Kaibas Firmennummer. Es war ein Schuss ins Blaue gewesen, doch Yugi hatte die Nummer tatsächlich gehabt. Wahrscheinlich hatte Kaiba sie ihm gegeben, für den Fall, dass Yugi ihn herausfordern wollte. Obwohl es eigentlich immer anders herum war. Kaiba forderte Yugi aus und ließ ihm keine Wahl. ‚Ja’ bedeutete ‚ja’ und ‚nein’ bedeutete auch ‚ja’. So waren Kaibas Regeln. Einfach und unkompliziert.
 

Meine Hand wanderte zu dem Telefon neben mir und zögernd gab ich die Nummer ein. Dann lauschte ich dem Tuten und wartete.
 

„Herzlich willkommen bei der Kaiba Corporation.“
 

Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Ein Computer. Was hatte ich denn auch bitte erwartet? Das Kaiba sich persönlich melden würde? Nicht im Traum ...
 

„Sie sind nun verbunden mit der telefonischen Information. Wünschen Sie Informationen über die Kaiba Corporation und ihre Produkte, so antworten Sie mit ja oder drücken die eins.“
 

Eine kurze Pause entstand, während der ich schwer schluckte. Dann fuhr die Stimme fort:
 

„Wollen Sie einen Termin vereinbaren, so antworten Sie mit ja oder drücken die zwei.“
 

Wieder schwieg ich. Ich wollte keinen Termin. Ich wollte mit Kaiba sprechen.
 

„Wollen Sie mit der Serviceabteilung verbunden werden, so antworten Sie mit ja oder drücken die drei.“
 

Ich öffnete den Mund. „Ja ... ja“, fügte ich etwas energischer an, da ich bezweifelte, dass meine erste Antwort laut genug gewesen war.
 

„Einen Moment bitte.“
 

Es knackte in der Leitung, dann meldete sich eine andere, dieses Mal jedoch zweifelsfrei menschliche, männliche Stimme. „Kaiba Corporation Servicezentrale, was kann ich für Sie tun?“
 

Ich zögerte, nicht wirklich sicher, ob ich es tatsächlich wagen sollte, entschied mich dann jedoch dazu, dass ich nicht so leicht aufgeben würde. Nicht, bevor ich nicht mit Kaiba gesprochen hatte.
 

„Hallo, ich möchte mit Kaiba reden.“

„Mit wem spreche ich?“

„Mit Joey Wheeler.“

„Haben Sie einen Termin bei Herrn Kaiba?“, war die kühle Erwiderung vom anderen Ende der Leitung.

„Nein, aber –“

„Dann fürchte ich haben Sie sich in Ihrer Wahl geirrt“, wurde ich unterbrochen. „Für Termine ist das Sekretariat zuständig.“

„Nein, Sie verstehen nicht“, beharrte ich. „Ich gehe in dieselbe Klasse wie Kaiba. Wir sind Schulkameraden“ – das letzte Wort würgte ich beinahe hervor.

„Nein, Herr Wheeler, ich fürchte, Sie verstehen nicht“, meinte der Mann und ich hörte deutlich seine Ungeduld. „Wenn Sie mit Herrn Kaiba reden wollen, dann brauchen Sie einen Termin und dies liegt nicht in meinem Zuständigkeitsbereich.“

Während sich meine Hand in die Bettdecke krallte verzog sich mein Mund. „Dann verbinden Sie mich halt mit ihrem Sekretariat oder sonst was“, knurrte ich missgestimmt.
 

Es knackte. Er hatte sich nicht einmal verabschiedet. Unhöflicher Kerl.
 

„Kaiba Corporation Sekretariat, was kann ich für Sie tun?“ Diesmal war es eine Frau.

„Ich möchte mit Kaiba sprechen.“

„Sie wollen einen Termin?“

Ich seufzte. „Nein, ich möchte jetzt mit Kaiba sprechen.“

Jetzt?“ Aus ihrer Stimme erklang eindeutiger Unglaube. „Nun ich fürchte, Herr ...“

„Joey.“

„Herr Joey?“

„Nein, Wheeler. Joey Wheeler.“

„Nun Herr Wheeler, ich fürchte das ist nicht machbar. Herr Kaiba ist sehr beschäftigt.“

„Ich bin ein Mitschüler. Wir gehen in dieselbe Klasse.“

„Es tut mir Leid, aber –“

„Warum kann ich nicht einfach mit ihm reden?!“ Langsam wurde ich wirklich ungeduldig.

„Er hat keine Zeit.“

„Er wird doch wohl fünf Minuten haben!“

„Herr Wheeler“ - nun wurde auch sie merklich gereizt - „ich fürchte, ich kann in dieser Hinsicht nichts für Sie tun.

„Aber – “

„Ich kann Sie lediglich weiter verbinden.“
 

Wieder ein Knacken. Unhöfliche Leute.
 

„Kaiba Corporation Servicezentrale, was kann ich für Sie tun?“

Ich stöhnte innerlich. „Sie schon wieder!“

„Herr Wheeler, was für eine Überraschung.“ Er klang wenig begeistert. Ich hatte mir aber schnell Freunde gemacht ...

Ich knurrte. „Finde ich auch.“

„Was kann ich für Sie tun?“

„Dasselbe wie eben.“

„Ich habe Ihnen vor wenigen Minuten schon gesagt –“

„Dass es nicht in Ihrem Zuständigkeitsbereich liegt, ich weiß“, grummelte ich ungehalten.

„Dann dürfte Ihr Anliegen doch geklärt sein.“

„Ist es aber nicht!“

„Das tut mir furchtbar Leid“ – elender Heuchler, es tat ihm alles andere als Leid! – „aber ich kann nicht für Sie tun.“

„Das Gefühl habe ich langsam auch.“

„Damit wäre das geklärt. Einen schönen Tag noch.“
 

Es knackte. Diesmal war die Verbindung endgültig unterbrochen, wie mir das regelmäßige Tuten unmissverständlich klar machte. Ich starrte das Telefon fassungslos an, bevor ich fluchte. „Was fällt dem eigentlich ein?!“ Aufgebracht drückte ich die Wahlwiederholung und wartete.
 

„Herzlich willkommen bei der Kaiba Corporation.“
 

Ich lauschte der Computerstimme erneut, dann drückte ich die drei.
 

„Kaiba Corporation Servicezentrale, was kann ich für Sie tun?“

„Gehen sie mit all Ihren Kunden so um?“

„Ich kann mich nicht entsinnen, dass Sie ein Kunde sind. Wenn ich es richtig verstanden habe, waren Sie ein Schulkamerad.“

Ich stockte. „Ja schon, aber ... das tut doch nichts zur Sache. Das macht es nur noch unverschämter!“

„Das sehe ich nicht so, und nun bitte ich Sie, die Kaiba Corporation nicht weiter zu belästigen.“
 

Ein Knacken. Dann regelmäßiges Tuten.
 

„Unverschämter Büroaffe!“, rief ich, doch natürlich hörte er es nicht mehr. Kochend drückte ich auf die Wahlwiederholung.
 

„Herzlich willkommen bei der Kaiba Corporation.“
 

„Ach lass mich doch in Ruhe“, zischte ich, hörte mir die Auswahlmöglichkeiten an.
 

„Für die Verbindung mit der Kundenzentrale, antworten Sie mit ja oder drücken die vier.“
 

Ich tat es.
 

„Kaiba Corporation Kundenzentrale, was kann ich für Sie tun? “ Eine junge Frau.

„Ich will mit Kaiba reden!“

„Ich ... entschuldigen Sie, aber ich fürchte, da haben Sie die falsche Nummer gewählt. Ich bin für den Verkauf der Produkte und Artikel zuständig, nicht für die Termine.“

„Oh ...“

„Für einen Termin, müssen Sie –“

„Die zwei wählen, ja ich weiß! Können Sie mir nicht weiterhelfen?“

„Ich fürchte nein. Ich kann Sie lediglich weiter verbinden.“

„Augenblick –!“
 

Es knackte.
 

„Kaiba Corporation Servicezentrale, was kann ich –“

„Nicht schon wieder Sie!“

„Herr Wheeler, ich muss doch sehr bitten!“

„Bitten Sie nicht, verbinden Sie mich mit Kaiba.“

„Unmöglich.“

„Ach kommen Sie!“

„Nein.“
 

Ein Knacken. Verbindung unterbrochen.
 

„Du kannst mich mal!“, fuhr ich das Telefon ungehalten an. Meine Hände zitterten. Kaiba konnte sich auf etwas gefasst machen. Sobald ich ihn an der Strippe hatte -! Ich drückte die Wahlwiederholung.
 

„Herzlich willkommen bei der Kaiba Corporation.“
 

„Du mich auch!“, fauchte ich und drückte die zwei.
 

„Kaiba Corporation Sekretariat, was kann ich für sie tun?“

„Hören Sie“, meinte ich ungehalten und meine Stimme bebte, „ich verlange nicht mehr als fünf Minuten.

Fünf Minuten, ist das zuviel verlangt?!“

„Herr Wheeler?!“

„Ich will nur kurz mit Kaiba sprechen, mehr nicht. Ich bin ein Schulfreund“ – das Wort Freund verlangte mir ziemlich viel Überwindung ab, aber harte Zeiten forderten harte Maßnahmen – „und möchte ihm etwas sagen.“

„Herr Wheeler, reicht es nicht, ihm etwas auszurichten?“

Mein Geduldsfaden riss ein. „Nein verdammt, ich will ihm persönlich sagen, was für ein egozentrischer Mistkerl er ist!“
 

Ein Knacken. Dann Tuten.
 

„Idioten!“, donnerte ich durch das Zimmer. „Idioten, allesamt!“ Dann hämmerte ich auf die Wahlwiederholung.
 

„Herzlich willkommen bei der Kaiba –“
 

„Schnauze!“, keifte ich die Computerstimme an und schlug auf die drei ein.
 

„Kaiba Corporation Service –“

„Kaiba - sofort!“

„Herr Wheeler! Ich werde Sie melden.“

„Das ist mir so was von egal!“
 

Knack.
 

„Kaiba ich hasse dich!“
 

Wahlwiederholung.
 

„Herzlich willkommen bei der –“
 

„Ach ja?!“ unwirsch presste sich mein Finger auf die drei.
 

„Herr Wheeler, wenn Sie das sind –“

„Und was, wenn nicht?“

„Die Servicezentrale ist kein Spielplatz!“

„Aber auch nicht das, wofür sie sich ausgibt. Ich will Service und mit Kaiba reden!“

„Ausgeschlossen!“

„Warum?!“
 

Knack. Tuten.
 

„Warum verdammt?“, schrie ich das Telefon an, obwohl es nichts für meine Rage konnte. Die Wahlwiederholung musste dafür den Kopf hinhalten.
 

„Herzlich willkommen bei d –“
 

„Von wegen!“ ich drückte die zwei.
 

„Kaiba Corporation Sekretariat, was kann ich für –“

„Bitte, bitte, bitte!“

„Nein, Herr Wheeler. Vereinbaren Sie einen Termin oder hören Sie auf uns zu belästigen.“

„Aber ich will doch nur mit Kaiba reden! Da kann von belästigen keine Rede sein!“

„Ich verbinde Sie weiter.“
 

Es knackte.
 

„Kaiba Corporation Sicherheitsdienst, was kann ich für Sie tun?“

„Wer sind Sie denn?“

„Mit wem spreche ich?“

„Joey Wheeler.“

„Nun Herr Wheeler, was ist Ihr Anliegen?“

„Ich will mit Kaiba sprechen.“

„Dafür müssen Sie einen Termin vereinbaren.“

„Ich weiß!“ Ich war kurz vorm verzweifeln. „Aber ich will jetzt mit ihm sprechen!“

„Das geht nicht.“

„Warum schafft es niemanden, seinen Vorgesetzten ans Telefon zu holen?!“ fuhr ich ihn ungehalten an.

„Herr Wheeler, zügeln sie sich.“

„Ich soll mich zügeln?“, rief ich aufgebracht. „Wissen Sie, mit wem ich schon alles gesprochen habe? Und vor allem wie oft?! Und das nur, weil alle zu inkompetent sind, mich mit Kaiba zu verbinden!“

Woher ich dieses Wort auf einmal hatte, war mir selbst schleierhaft.

„Ich verbinde Sie weiter.“

„Nein, warten Sie -!“
 

Es knackte.
 

„Kaiba Corporation, Cafeteria, was kann ich für sie tun?“

„Wer?!“ Wurde ich verrückt? Die hatten ein eigenes Telefon für die Cafeteria?!

„Entschuldigung, mit wem spreche ich?“

„Wheeler“, stammelte ich perplex. Ich konnte es nicht fassen.

„Was kann ich für Sie tun.“

„Ich ... ich ... ich wollte ... mit Kaiba reden ...“ Schlagartig hatte man mir jeden Wind aus den Segeln genommen. Wie viele Abteilungen gab es noch? Etwa auch eine für den Putzdienst?

„Nun, da fürchte ich, sind Sie falsch verbunden worden. Wir sind für das Mittagessen zuständig.“

„Ja ... ja, ich ...“

„Einen Moment, ich verbinde Sie weiter –“

Meine Starre löste sich. „Moment -!“
 

Ein Knacken. Kurze Stille.
 

„Kaiba Corporation Servicezentrale. Herr Wheeler, ich wiederhole mich nicht noch einmal.“

„Ach kommen Sie. Tun Sie mir den Gefallen.“

„Nein!“
 

Knack. Tuten.
 

„Kaiba, du elender Mistkerl, was für ein Personal hast du dir da eingestellt?!“ Ohne Rücksicht drosch ich auf die Wahlwiederholung ein.
 

„Herzlich willkommen bei –“
 

„Du kannst mich mal!“ Mein Blutdruck stieg schlagartig auf hundertachtzig. Warum war es so verdammt schwer, Kaiba ans andere Ende der Leitung zu bekommen?! Ich drückte die zwei.
 

„Herr Wheeler, ich habe sie gewarnt.“ Sie klang merklich gereizt.

„Sind sie das Sekretariat oder nicht?!“, keifte ich zurück.

„Ich verbitte mir diesen Ton!“

„Hören Sie mir mal zu, damit das klar ist. Ich war zweiter im Königreich der Duellanten und vierter beim Battle City Turnier, ich hab also ein verdammtes Recht darauf, mit Kaiba zu reden!“
 

Es knackte. Anschließend Tuten.
 

„Ihr verdammten Büroleute!“ Die Wahlwiederholung musste heute wahrlich leiden.
 

„Herzlich willkom –“
 

„Ach lass mich doch in Ruhe!“ In meiner Verzweiflung wählte ich die vier.
 

„Kaiba Corporation Kundenservice, was kann ich für Sie tun?“ Wenigstens Sie klang noch freundlich.

„Sie sind die einzige Person, dir mir helfen kann.“

„Moment, Sie ...“

„Wheeler. Joey Wheeler.“

„Herr Wheeler, ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich nicht –“

„Bitte. Abgesehen von Ihnen ... ich muss mit Kaiba sprechen!“

„Einen Augenblick ...“

Ich wimmerte. „Bitte nicht weiter verbinden!“

„Nein. In Ordnung, Herr Wheeler, ich stelle sie in eine Warteschleife.“

Warteschleife? Warteschleife?! Warum verband sie mich nicht gleich wieder mit der

Servicezentrale?!

„Nein, warten Sie, ich –“
 

Ein knacken. Dieses Mal folgte jedoch keine Stille. Musik erklang.
 

Ich stöhnte auf. „Ich hasse die Kaiba Corporation!“, rief ich frustriert und schlug mit der Faust auf das Bett ein. „Ich hasse Kaiba und ich hasse sein Personal!“
 

~ Whoa-oa-oa! I feel good, I knew that I would, now

I feel good, I knew that I would, now

So good, so good, I got you ~
 

Meine Augenbraue begann zu zucken. Alles, nur nicht das ...
 

~ Whoa! I feel nice, like sugar and spice

I feel nice, like sugar and spice

So nice, so nice, I got you ~
 

Meine Faust begann zu zittern.
 

~ When I hold you in my arms

I know that I can't do no wrong

and when I hold you in my arms

My love won't do you no harm ~
 

Meine Hand verkrampfte sich um das Telefon.
 

~ And I feel nice, like sugar and spice

I feel nice, like sugar and spice

So nice, so nice, I got you ~
 

Ich verspürte den unbändigen Wunsch, jemanden zu schlagen.
 

~ When I hold you in my arms

I know that I can't do no wrong

and when I hold you in my arms

My love can't do me no harm ~
 

Vorzugsweise Kaiba, diesen Mistkerl!
 

~ And I feel nice, like sugar and spice

I feel nice, like sugar and spice

So nice, so nice, I got you ~
 

Am liebsten sofort! Und es sollte verdammt noch mal wehtun! Wer hatte bitte einen derartigen Song in der Warteschleife? Das fiel unter die Kategorie Psychoterror!
 

~ Whoa! I feel good, I knew that I would, now

I feel good, I knew that I would

So good, so good, I got you

So good, so good, I got you

So good, so good, I got you

HEY!! ~
 

„Selber!“, gab ich zurück.
 

Es knackte. Die Schleife war beendet. Ich seufzte. Endlich ...
 

„Herzlich willkommen bei der Kaiba Corporation.“
 

Und mein Geduldsfaden riss. Meine Beherrschung ging baden. Ich sprang vom Bett auf.
 

„Ich will Kaiba und zwar jetzt sofort!!!“
 

„Aber, aber Wheeler, wer wird denn gleich ausfallend? Außerdem gibt es für derartige Wünsche spezielle Hotlines und die haben sicher nichts mit der Kaiba Corporation zu tun.“
 

Beinahe hätte ich das Telefon fallen gelassen.
 

„Kaiba?!“, keuchte ich atemlos. Ich stand in der Mitte meines Zimmers, meine Schultern hoben und senkten sich schnell unter meinem raschen Atem.
 

„Was denn Wheeler, fehlen dir die Worte? Ich dachte, du ‚wolltest mich’ - um dich zu zitieren. Obwohl ich nicht behaupten kann, dass diese Worte mir schmeicheln. Nicht bei dir.“
 

Ich war viel zu überrumpelt davon, nun tatsächlich mit ihm zu sprechen. „Aber ich ... eben noch ... und ich dachte ... man hat mir gesagt ... was willst du damit sagen?“ Endlich unterbreitete sich mir der Sinn seiner Worte und meine Wangen begannen zu brennen. „So hab ich das nicht gemeint, ich meine ... ich hatte nie vor ... ich wollte nie ...“
 

„Wheeler.“ Seiner Stimme ließ sich deutliche Ungeduld entnehmen.
 

Ich brach augenblicklich ab. „Ja?“
 

„Ich will keine billigen Erklärungsversuche von dir hören, klar? Alles was ich wissen möchte ist, was dein Motiv ist, um 18 Uhr mit mir reden zu wollen und dabei so hartnäckig zu sein, dass du bereits seit zwanzig Minuten mehrfach gemeldet wirst. Außerdem hat auch der Sicherheitsdienst eine Person gemeldet, die sich ‚verdächtig verhält und möglicherweise gefährlich ist’. Hinzu kommt eine Beschwerde wegen vorsätzlicher Beleidigung des Vorgesetzten – sprich mir – und eine weitere Beschwerde wegen Belästigung. Wheeler, du hast in zwanzig Minuten mehr geschafft, als viele in ihrem gesamten Leben.“
 

Ich schluckte schwer, da mein Hals mit einem Mal seltsam trocken war. „Also, weißt du ...“, begann ich, wurde jedoch erneut von ihm unterbrochen.
 

„Spar dir deine Bemühungen. Ich will nur eine Antwort auf meine Frage: Was willst du?“
 

„Mit dir reden.“
 

„Das habe ich bereits gehört. Von fünf Abteilungen, hinzukommend der Cafeteria. Wie hast du es bloß bis dahin geschafft?“
 

Mein Gesicht glühte mittlerweile. „Na ja ... Zufall?“
 

„Spar dir die Ausreden, Wheeler. Du hast Glück, dass es für dich keine ernsthaften Folgen haben wird. Sei froh, dass ich so gnädig bin.“
 

„Oh ja, mein Retter“, entwich es mir schnaubend. Ich schlug mir die Hand vor den Mund. Verdammt!
 

„Es freut mich, dass du es so siehst, Wheeler“, meinte Kaiba spöttisch. „Nur das nächste Mal, belasse es dabei und gebe dich mit einem einfachen ‚nein’ zufrieden. Du hast fünf Mitarbeiter von ihrer Arbeit abgehalten.“
 

„Selber Schuld“, knurrte ich und setzte mich wieder auf mein Bett. „Sie wollten mich nicht mit dir verbinden. Obwohl ich gesagt habe, ich sei ein Mitschüler.“
 

Ich konnte förmlich sehen, wie er die Augen verdrehte. „Wheeler, wenn jedes Mal die Person durchgestellt würde, die sich für einen Mitschüler von mir ausgibt, dann würde bei mir den liebenlangen Tag das Telefon klingeln.“
 

Ich schwieg für wenige Sekunden. „Hä?“, fragte ich schließlich nicht verstehend.
 

„Bist du wirklich so schwer von Begriff? Verehrer, schwärmende Schulmädchen, Stalker – soll ich noch mehr aufzählen.“
 

Der Groschen fiel. „Sag das doch gleich!“ Ein kurzes Schweigen. Dann wurde ich blass. „Heißt das etwa ... die hielten mich für einen“ – ich musste ein Würgen unterdrücken – „Verehrer?“
 

Ein abfälliges Schnauben erklang vom anderen Ende der Leitung. „So, wie du dich aufgeführt hast, Wheeler, warst du eher ein psychopathischer Stalker. Und das obwohl ich deiner Meinung nach ein ‚egozentrischer Mistkerl’ bin.“
 

Ich sog scharf die Luft ein. „Das hast du gehört?“
 

„Wheeler, ich werde automatisch benachrichtigt, sobald irgendwo in der Kaiba Corporation der Name von Muto oder einem seiner Schoßhunde fällt. Und deiner ist in den letzten zwanzig Minuten an die neunzehn Mal gefallen. Und bereits seit dem ersten Mal habe ich deine Gesprächen verfolgt.“
 

Mir brach der Schweiß aus. „Alles? Wirklich alles?“

„Ja doch.“

„Oh.“

„Ja Wheeler, ‚oh’. Fällt dir auch noch etwas anderes ein, im Anbetracht der Tatsache, dass du dir soeben sämtliche Abteilungen der Kaiba Corporation zum Feind gemacht hast?“

„Äh ... sorry?“

„Warum überrascht mich das jetzt nicht?“

Ich schwieg. Wahrscheinlich weil ich wirklich keine Antwort auf diese Frage wusste.

„Also Wheeler, machen wir es jetzt kurz: Was willst du?“

Das hatte er mich schon mal gefragt. „Mit dir reden.“

„Bitte sag mir etwas, dass ich noch nicht weiß. Warum bist du so erpicht darauf, mit mir zu reden?“

„Warum hast du es niemandem erzählt?“

Was Wheeler? Wovon sprichst du? Drücke dich bitte so aus, dass ich dir folgen kann. Das ist ja nicht zum Aushalten.“

„Gestern, in der Schule. Und heute.“

„Das ist nicht dein Ernst, Wheeler.“

„Mein voller.“

„Du hast zwanzig Minuten lang penetrant darauf beharrt mit mir zu sprechen, nur um mir eine Frage zu stellen, die ich dir bereits mehrfach beantwortet habe? Das ist wieder einmal typisch für dich.“

Ich schüttelte den Kopf, obwohl er es nicht sehen konnte. „Gar nichts hast du mir beantwortet, Kaiba.“
 

~ „Kaiba, ich muss mit dir reden.“

„Nicht jetzt Wheeler. Ich habe wichtigeres zu erledigen.“

„Doch ‚jetzt’, Kaiba. Es ist wichtig.“

„Was kann wichtiger sein, als der Kooperationsvertrag mit einer der führenden Firmenpartner in Amerika.“

„Ich.“

„Ich schätze, von jemandem wie dir darf man kein annehmbares Argument verlangen.“

„...“

„Also Wheeler, was willst du.“

„Warum hast du es niemandem gesagt?“

„...“

„Warum hast du deine Chance, mich bloßzustellen, nicht ausgenutzt?“

„Darf ich deine Worte als Aufforderung sehen, genau das zu tun?“

„Du weißt genau, wie ich sie meine, Kaiba.“

„Natürlich weiß ich es, Wheeler. Was erwartest du von mir?“

„Eine Antwort.“

„Erzähl mir bitte etwas, da sich noch nicht weiß.“

„Also?“

„Was interessiert dich mein Handlungsmotiv? Stört es dich etwa, dass es niemand weiß?“

„Nein.“

„Was beklagst du dich dann, Wheeler?“

„Ich beklage mich nicht. Ich frage mich nur, warum.“

„Schön, dann frag dich auch in Zukunft weiter.“

„He – Kaiba, warte!“ ~
 

„Du hast mir meine Frage noch immer nicht beantwortet, Kaiba“, beharrte ich.

„Du benimmst doch wie ein kleines Kind, das so lange keine Ruhe gibt, bis es das bekommt, was es will“, meinte Kaiba und klang mehr als nur missgestimmt. Mir war es egal.
 

„Und, hilft es?“, harkte ich nach.

„Du nervst.“

„Na wenigstens etwas.“

„Wheeler, du hältst mich auf.“

„Beantworte mir die Frage und ich lasse dich in Ruhe.“

„Aha. Na dann. Ich tat es, weil ich es nicht für wichtig hielt.“

„Nicht für wichtig? Sonst ist dir jedes Mittel recht, um mich fertig zu machen.“

Er gab einen abfälligen Laut von sich. „Wheeler, du hast deine Antwort bekommen und jetzt lass mich weiterarbeiten.“

„Nein warte“, brach es aus mir hervor. „Nicht auflegen!“

Ich konnte förmlich sehen, wie er in der Bewegung innehielt. „Was denn noch?“

„Warum wolltest du mich nicht fertigmachen?“

„Wheeler.“

„Das ist doch sonst auch nicht deine Art.“

„Wheeler ...“ Ich hörte ein gedämpftes Klopfen am anderen Ende der Leitung. Wahrscheinlich tippte er in seiner Ungeduld an das Telefon. Doch ich ignorierte diese Tatsache.

„Was ist los mit dir, Kaiba?“

„Wheeler, ich –“
 

„Sag schon, bist du mit dem falschen Fuß aufgestanden, oder warum bin ich dir auf einmal egal?!“
 

Die Worte verließen meinen Mund, bevor ich sie daran hindern konnte. Kaum waren sie verklungen, schnappte ich überrascht nach Luft. Über meine eigenen Worte schockiert schwieg ich.
 

Kaiba sagte zunächst überhaupt nichts. Wahrscheinlich war sogar er von diesen Worten in gewissem Maße überrumpelt. Dann erklang ein Räuspern.
 

„Ist das dein Ernst? Du rufst mich an einem Dienstagabend an, belästigst meine Angestellten und hältst mich vom Arbeiten ab, weil du dich vernachlässigt fühlst?“
 

Aus seinem Mund klangen diese Worte so seltsam verquer. Geradezu lächerlich. Das schlimmste jedoch war, das sie tatsächlich stimmten. Irgendwie.
 

„Ich – nein! So war das nicht gemeint“, protestierte ich, doch selbst mir fiel auf, das meine Stimme nicht allzu überzeugend klang. „Ich wollte nur ... ich habe mich eben gefragt -“
 

Ein Laut am anderen Ende der Leitung ließ mich schlagartig verstummen. Zunächst hielt ich es für Einbildung oder eine Störung, doch dann realisierte ich, dass es tatsächlich von Kaiba stammte. Erst leise, dann zunehmend lauter.
 

Kaiba lachte. Er lachte tatsächlich. Wegen mir.
 

Und die Hölle fror zu ...
 

„Wheeler. Es ist einfach nur unfassbar, dass es jemanden wie dich gibt. Du bist ein Einzelfall.“
 

War das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung?

Noch immer war ich zu perplex von seiner kurzen Gefühlsregung, doch so plötzlich, wie das Lachen zu hören gewesen war, war es auch wieder verklungen.
 

Ich zögerte, doch dann sprach ich meine Frage laut aus: „Hast du mich gerade ausgelacht?“
 

Er schwieg, schien seine Antwort abzuwägen, doch dann erklang seine Stimme mit dem üblichen spöttischen Tonfall: „Ja Wheeler, so gesehen habe ich dich tatsächlich ausgelacht.“
 

Ich konnte es nicht fassen. Dass meine Freunde über mich lachten war schon peinlich, doch in gewissem Sinne zu ertragen, aber nun auch noch Kaiba?! Schamesröte brannte auf meinen Wangen.
 

„Kaiba, das ist nicht witzig!“

„Aber lächerlich.“

„Ich bin nicht lächerlich!“ Meine Hand, mit der ich das Telefon hielt, zitterte.

„Wheeler, du warst schon immer eine Witzfigur.“

„Verdammt, nimm das zurück!“

„Ich soll die Wahrheit bestreiten? Nicht doch, Wheeler.“

„Kaiba, du eingebildeter, überheblicher, von dir selbst eingenommener –“

„So gerne ich auch deinen Ausführungen weiterhin lauschen würde“ – sein Tonfall strafte seine Worte Lügen –„dafür fehlt mir bei weitem die Zeit. Ich habe Arbeit zu erledigen.“

„Na und? Wage es nicht, jetzt aufzulegen.“

„Was denn, du drohst mir?“

„Ich werde noch viel mehr tun, wenn es sein muss.“

„Träum weiter, Wheeler.“
 

Ich sagte nichts. Offenbar meinte er es ernst und wollte mich tatsächlich so schnell wie möglich loswerden. Dieser Mistkerl.
 

„Wheeler? Hast du deine Zunge verschluckt?“

„Nein“, knurrte ich widerwillig.

„Schade.“

Bastard. „Du mich auch, Kaiba.“

„Heb dir deine Beleidigungen für Morgen auf, Wheeler. Ich habe zu tun.“

„Ja, verkriech dich in deiner Arbeit“, gab ich bissig zurück. Es machte mich wütend, dass ihm seine Arbeit wichtiger war. Auch, wenn ich es doch eigentlich nicht anders erwartet hatte ...

„Das werde ich wohl Wheeler. Nachdem ich mir zehn Minuten meiner kostbaren Zeit genommen habe, um mit dir ein sinnloses Gespräch ohne Inhalt zu führen.“

„He, unser Gespräch hatte einen Inhalt“, gab ich beleidigt zurück. „Mich!“

„Oh ja, ich vergaß.“ Er lachte leicht verächtlich. „Allerdings kannst du kaum als Inhalt zählen.“

„Schönen dank auch!“, fauchte ich in den Hörer.
 

Er ging nicht darauf ein. „Nun, ich hoffe, du hast bekommen, was du wolltest.“
 

Diese Worte machten mich stutzig. ‚Bekommen, was ich wollte’?
 

„Ich kann dir nur raten, in nächster Zeit – vorzugsweise in den nächsten Jahrzehnten – nicht wieder bei der Kaiba Corporation anzurufen. Du stehst seit heute auf sämtlichen schwarzen Listen.“
 

„Das –“, setzte ich an, wurde jedoch von ihm unterbrochen.
 

„Man sieht sich in der Schule, Wheeler.“
 

Es knackte. Dann erklang regelmäßiges Tuten. Wie vom Donner gerührt starrte ich auf den Hörer in meiner Hand. Er wirkte reichlich mitgenommen, speziell die Wahlwiederholung schien einen bleibenden Schaden davongetragen zu haben. Ich konnte es nicht fassen. Er hatte mich einfach so ... ohne Vorwarnung ...
 

„Was denkst du eigentlich, wer du bist?!“, donnerte ich empört und schmiss das Telefon wutentbrannt auf mein Bett.
 

‚Nun, ich hoffe, du hast bekommen, was du wolltest.’
 

Und warum hatte ich bei seinen Worten das Gefühl, als wollten sie mir sagen:

‚Na, fühlst du dich jetzt weniger vernachlässigt, Wheeler?’
 

Blut schoss mir ins Gesicht und ich konnte nicht sagen, ob vor Wut, Scham oder Empörung. Dieser

selbstgefällige Großkotz! Dem würde ich morgen was erzählen.
 

Und dann hatte er mich auch noch ausgelacht!
 

‚Nun, ich hoffe, du hast bekommen, was du wolltest.’
 

Sehr toll Kaiba, ich hatte wirklich das bekommen, was ich wollte. Zwar keine Antwort auf meine Frage, aber dafür zehn Minuten Aufmerksamkeit. Wunderbar. Und warum zum Teufel schaffte ich es nicht, den nötigen Sarkasmus in diese Gedanken zu bringen?!
 

Warum fühlte ich mich nach diesem Gespräch tatsächlich besser, als vorher, obwohl er nichts anderes getan hatte, als mich zu beleidigen und mich auszulachen?
 

Aufstöhnend ließ ich mich rücklings auf mein Bett fallen, starrte aus zusammengekniffenen Augen an die Decke. Mittlerweile war die Sonne untergegangen und es war finster in meinem Zimmer, da ich keine Lampe angeschaltet hatte. Wie lange hatte ich denn telefoniert? Ich schüttelte den Kopf. Wen kümmerte es.
 

Und das schlimmste an der ganzen Sache war, dass er Recht hatte. Ich war wirklich seltsam. Mehr als das. Ich rief Kaiba an, weil ich mich vernachlässigt fühlte. Tze, so ein Schwachsinn.
 

oOo
 

‚Das ist nicht witzig!’
 

Ha, das sollte mal jemand versuchen, Kaiba zu erklären ...
 

oOo
 

Das ist nicht witzig – es sei denn, man heißt Kaiba

Mittwoch - Kalzium

3. Auseinandersetzung: Kalzium
 

Ich hasse diese Woche. Ich hasse den Mittwoch. Und ich hasse Kaiba!
 

In meinem Zimmer ist es dunkel, lediglich gedämpftes Licht fällt durch die zugezogenen Vorhänge meines Fensters. Es ist die Straßenlaterne, die wenige Meter von meinem Fenster entfernt steht und nun ihre trüben Strahlen durch den kleinen Schlitz des Stoffes sendet und an die Wand über meinem Kopf wirft.
 

Ich seufze und drehe mich auf die Seite. Aus halbgeschlossenen Augen blicke ich in die Schwärze vor mir. Mir ist schwummrig, mein Kopf schmerzt und ich habe den dringenden Wunsch, jemandem eine zu verpassen – vorzugsweise Kaiba.
 

Knurrend ziehe ich mir die Decke über den Kopf. Die Kopfschmerzen nehmen, von dieser unbedachten Bewegung verstärkt, noch an Intensität zu und ich jammere leise.
 

Was für ein scheiß Tag. Ich hätte heute Morgen einfach im Bett bleiben sollen. Alles wäre ganz anders gekommen ...
 

oOo
 

Die Sonne schien und es war ein warmer Tag. Ein Tag, wie man ihn gerne dazu nutzte, um sich mit seinen Freunden zu treffen, im Park abzuhängen und ein Eis zu essen oder ins Freibad zu gehen und den Mädchen in Bikinis hinter zu gaffen. (Natürlich nur, wenn Téa gerade nicht hinsah.)
 

Es war ein Tag, wie er dem Traum eines jeden Schülers entsprungen war. Wenn es da nicht einen Haken gegeben hätte ...
 

„Verdammt, ich bin schon wieder zu spät dran!“
 

Es war Mittwochmorgen - viertel nach acht, um genau zu sein – und ich war auf dem allerbesten Weg, mich wiederholt in dieser Woche zu verspäten. Was für einen besseren Start konnte es geben? Vielleicht waren ja die bleierne Müdigkeit, die mich seit dem Aufstehen begleitete, und das Stechen hinter meiner Stirn ein weiterer Schicksalswink für gutes Gelingen.
 

Während ich schließlich dem befürchteten Vortrag meiner Lehrerin stillschweigend lauschte, die belustigten Blicke meiner Mitschüler ignorierend, spürte ich zusehend, wie meine Aufmerksamkeit davon driftete, zurück zu meinem gemütlichen Bett.
 

Warum war ich gleich hierhin gekommen? Ich konnte mich nicht mehr wirklich daran erinnern. Mochte an der Müdigkeit liegen.
 

„Schon gut, kommt nicht wieder vor“, murmelte ich abwesend, bemerkte nicht einmal, dass ich die Pädagogin mit diesen Worten unterbrach und schlurfte ungeachtet dieser Tatsache zu meinem Platz. Schwerfällig ließ ich mich auf den Stuhl fallen und bettete meinen Kopf auf meine Arme. Ich war so müde ...
 

Es war keine Seltenheit, dass Joey Wheeler müde war. Es war auch keine Seltenheit, dass ich hin und wieder im unterricht einschlief. (Genauso wenig war es keine Seltenheit, dass ich dabei erwischt und zur Rede gestellt wurde.)

Doch eine Situation wie die heutige hatte selbst ich vorher noch nicht in einer derartigen Konstellation erlebt.
 

Ich war müde aufgewacht (was schon des Öfteren vorgekommen war), war zur Schule gerannt, wäre an einer roten Ampel beinahe eingeschlafen (das gehörte definitiv nicht zu meinem allmorgendlichen Ritual), war auf den Stufen der Treppe in die erste Etage vor wenigen Minuten beinahe alle siebzehn Stufen wieder hinuntergefallen (was mir auch noch nie wirklich passiert war) und hatte nun nicht einmal mehr die Kraft fünf Minuten des Unterrichts mitzuverfolgen.
 

Meine Augen fielen zu und ich döste wenige Sekunden später bereits weg.
 

„Joseph!“
 

Die Stimme meiner Lehrerin - schärfer als ein geschliffenes Messer - war es, die mich aus meinem komatösen Halbschlaf riss und aufschrecken ließ.
 

„Ich hab deine Hausaufgaben nicht kopiert, Téa“, murmelte ich, nicht ganz in der Realität, bekam das Lachen meiner Mitschüler auf meiner Worte hin auch nur am Rande mit. Ich suchte mit meinem Blick nach dem Urheber des störenden Wortes und er kam auf der Person unmittelbar vor meinem Tisch zur Ruhe.
 

Ich verengte die Augen, nahm ich die Gestalt doch nur verschwommen war. Doch auch diese notgedrungene Reaktion half nicht viel und ich hob irritiert die Hand und wischte mir über die Augen. Meine Sicht verschärfte sich nur minimal.
 

„Äh“, setzte ich unbeholfen an, fehlte mir doch jegliche Orientierung.
 

„Was fällt dir ein, in meinem Unterricht zu schlafen? Nicht alleine, dass du am Montag einfach aus dem Klassenraum gestürmt bist, jetzt zeigst du auch noch allen dein offenes Desinteresse.“
 

„Also ...“, war alles, was ich dazu herausbrachte. Wir hatten Sozialkunde? Hatte ich etwas verpasst? Mir war gar nicht gut ... vielleicht hätte ich im Bett bleiben sollen. Andererseits, da gab es einen Grund, warum ich in die Schule hatte kommen müssen. Ich konnte Téas Stimme beinahe schon hören: ‚Joey, du darfst dir keine weiteren Fehlstunden mehr erlauben!’ Verdammt, sie hatte ja recht.
 

„Hörst du mir überhaupt zu?“, fuhr die Frau vor mir fort und schien gereizt.
 

„Nein“, murmelte ich, nahm ihr empörtes Schnappen nach Luft nicht wahr. Mir war schwindelig.
 

„Joseph Wheeler“, sprach sie meinen Namen in einem Unheil verkündenden Tonfall aus.
 

„Ich fühle mich nicht wirklich gut.“ Endlich hatten diese Worte meinen Mund verlassen. Ich sah zu ihr auf, allmählich wurde meine Sicht wieder klarer, doch der Schwindel blieb.
 

Sie schien durch meine Worte aus der Bahn geworfen, blickte sie mich doch nun mehr als irritiert an. „Wie darf ich das verstehen?“
 

„Mir ist schwindelig“, murmelte ich und fasste mir an die Stirn. „Ich weiß nicht wieso.“
 

„Wäre es nicht besser, wenn man ihn zur Krankenstation bringt?“, fragte Yugi, der eine Reihe hinter mir saß und mich besorgt musterte. „Ich kann das machen.“
 

„Aber natürlich Muto“, erklang eine spöttische Stimme neben mir. Kaiba. Ihn hatte ich heute Morgen überhaupt noch nicht wahrgenommen. „Und wenn Wheeler auf dem Weg dorthin zusammenklappt wirst du ihn auffangen können. Und das, obwohl er gerade einmal drei Köpfe größer ist als du.“
 

Normalerweise hätte ich Kaiba für die Beleidigung meiner Freunde die übelsten Schimpfwörter an den Kopf geworfen, doch momentan war ich dazu nicht in der Lage.
 

„Warum bringst du ihn dann nicht dorthin, Kaiba?“, stellte Yugi wenige Augenblicke später die Gegenfrage, als habe er nur auf einen derartigen Kommentar gewartet.
 

„Nicht im Traum. Wer weiß, ob der Köter ansteckend ist.“
 

Mein Kopf schnellte zu ihm herum. Den dadurch aufkommenden Schwindel ignorierend funkelte ich ihn an. „Ich bin kein Hund, Kaiba!“
 

„Aber sicher ansteckend, Wheeler.“

„Sei doch still!“
 

„Nicht in meinem Unterricht!“, fuhr die Pädagogin, die bis dahin den Gesprächen stumm gefolgt war, ruppig dazwischen. Sie schüttelte den Kopf – wahrscheinlich angesichts unseres typischen Verhaltens – dann wandte sie sich nach rechts. „Tristan, würdest du Joey bitte auf die Krankenstation begleiten?“
 

„Na klaro.“
 

oOo
 

„Kalziummangel.“
 

Kalzi-was bitte? Ich sah den Schularzt skeptisch an. Zumindest so skeptisch wie ich es konnte, während ich auf der Liege im Krankenzimmer lag und mehr oder weniger erfolgreich versuchte, nicht an Ort und Stelle einzuschlafen.
 

„Kalziummangel. Das ist der Grund für deinen Schwindel und für die Müdigkeit.“
 

Aha. Also was immer dieses Kalzium auch tat, es schien mir zu fehlen. (Der Begriff kam mir bekannt vor, hatten wir das nicht einmal im Chemieunterricht gehabt?) Wenn es so einfach war.
 

„Und was bedeutet das für mich?“, fragte ich schließlich.
 

„Wird er sterben, Doktor?“, fragte Tristan mit gespielter Panik in der Stimme und ich warf ihm für diese gekünstelte Theatralik einen halbwegs strafenden Blick zu. Er grinste mich an. Unverschämter Kerl.
 

Der Arzt schob sich seine Brille nach oben. „Natürlich wird er nicht sterben. Alles, was er braucht, ist eine Kalziumtablette, dann ist er schnell wieder fit.“
 

Die Schulkrankenschwester betrat den Raum. (Natürlich gehörte zu einem Schularzt auch immer eine Schulkrankenschwester. Der Arzt brauchte immerhin Ablenkung, damit sein trister Alltag mit jammernden Schülern wenigstens einen Lichtblick frei ließ.) Augenblicklich richteten sich drei Augenpaare auf sie. Neben Tristans träumerischem Blick, erschien meiner nicht minder angetan von ihr (auch, wenn ich momentan nicht ganz bei der Sache war, fiel mir durchaus auf, dass sie alles andere als schlecht aussah), und auch der Schularzt schien unsere Ansicht zu teilen, war sein Blick doch mehr als nur ... - ich wollte an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen. Alles, was ich dazu hinzufügen konnte, war, dass die junge – junge! – Frau einen Blickfang darstellte.
 

„Wo war ich noch gleich“, stammelte der Mann, schob sich erneut die Brille hoch, als wolle er damit seinen Ausrutscher kaschieren. Ich war zwar etwas benommen, doch so dumm war ich auch wieder nicht.
 

„Die Tablette“, half ich ihm daher auf die Sprünge.
 

„Ach ja, richtig“, er erhob sich und durchquerte den Raum, schenkte der Schwester ein charmantes Lächeln und öffnete einen Schrank am anderen Ende des Raumes. Während er mit einer Hand in dem Schrank tastete wanderte sein Blick zurück zu der Frau. Na herrlich. Ein verknallter Schularzt ...
 

„Wo habe ich denn ... ich meinte ... ah ... hier.“ Er zog seine Hand zurück, in welcher er ein kleines Fläschchen mit Tabletten hielt. Dann kehrte er zu der Liege zurück. Ich richtete mich halbwegs auf, während er mir zwei Tablette in die Hand drückte, das Fläschchen achtlos auf einen der Schränke abstellte.
 

„Hier, hier ... nimm, dann geht es“, meinte er fahrig. Machte ihn die Anwesenheit der Krankenschwester immer so wuschig? Das war ja kaum auszuhalten.
 

Ich sah ihn stumm an. Nach einigen Sekunden bemerkte er meinen Blick. „Ist etwas?“, fragte er irritiert.
 

„Wasser“, meinte ich nur. Er schien nicht zu verstehen, darum deutete ich auf die Tablette in meiner Hand. „Ich brauche Wasser.“
 

„Oh ja, natürlich. Entschuldige.“ Er wandte sich um und bat die Schwester mit leuchtenden Augen, mir ein Glas Wasser zu holen. Ich widerstand dem Drang, mir mit der Hand gegen die Stirn zu schlagen, da dies meinem Schwindel sicher einen netten Schub gegeben hätte.
 

Schließlich hatte ich mein Wasser, der Arzt war durch den Wind wie eh und je und Tristan schaffte es genauso wenig, den Blick von der Krankenschwester zu nehmen. Ich war umgeben von Liebeskranken Idioten. Na ja, ich hätte mich ihnen wahrscheinlich angeschlossen, wenn mir nicht so schwummrig gewesen wäre.
 

Minuten verstrichen, während ich auf der Liege lag und an die weiße Decke des Krankenzimmers starrte. Dann spürte ich, wie der Schwindel allmählich nachließ. Erst kaum wahrnehmbar, dann merklich und schließlich ließ er beinahe zur Gänze von mir ab. Ich fühlte mich besser.
 

Schwungvoll richtete ich mich auf. Tristan, der noch immer auf einem Stuhl neben meiner Liege saß und der Krankenschwester dabei zugesehen hatte, wie sie einige Unterlagen in den Aktenschrank einsortierte, schreckte auf. „Was? Joey, geht es wieder?“
 

Ich nickte. „Ja, alles bestens, Der Doc scheint recht gehabt zu haben. Mir ist nicht mehr schwindelig.“
 

„Sicher?“

„Klar.“
 

Ich erhob mich von der Liege. Zu meiner Freude begann der Raum nicht, sich wie ein Karussell zu drehen oder sich anderweitig zu verändern. Ein Grinsen erschien auf meinen Lippen und dies schien auch Tristan von meiner Genesung zu überzeugen.
 

„Dann lass uns mal zurückgehen. Jetzt wo du wieder ganz du selbst bist, kannst du der Standpauke wegen deiner Verspätung auch bei vollem Bewusstsein lauschen.“

Ich stieß ihm den Ellbogen in die Rippen. „Idiot.“
 

Mit einem letzten dankbaren Wink an den Doktor verließen wir das Krankenzimmer und kehrten zurück in den Klassenraum. Dort wurden Tristans Worte Realität und ich durfte mir tatsächlich die Worte meiner Lehrerin noch einmal antun und einem Vortrag über Pünktlichkeit und Verantwortungslosigkeit anhören. Vielleicht hätte ich mich doch beurlauben lassen sollen ...
 

Nein, egal was ich jetzt dachte, ich hätte es so oder so nicht getan. Der Grund, warum ich die Schule nicht schwänzen konnte, war die Tatsache, dass ich mein Pensum an möglichen Fehlstunden bereits in der ersten Woche des Schuljahres aufgebraucht hatte. Meine regelmäßigen Verspätungen fügten ihren Anteil hinzu und um es milde auszudrücken: Ich stand auf der Kippe. Und Téas Blicke waren in letzter Zeit mehr als nur Gesundheits gefährdend, wenn wir auf das Thema Fehlstunden zu sprechen kamen.
 

Seufzend ließ ich schließlich sowohl die Worte der Pädagogin, als auch den kümmerlichen Rest der Sozialkundestunde über mich ergehen. Als endlich die Pausenglocke erklang, lehnte ich mich aufseufzend auf meinem Platz zurück. Was für ein Tag.
 

„Joey?“ Yugi und die anderen hatten sich um meinen Tisch versammelt. „Geht es wieder?“, fragte Téa mit sorgenvoller Miene.
 

Ich grinste. „Aber sicher, hab mich noch nie besser gefühlt.“
 

„Das ist gut“, meinte Yugi lächelnd. Wir schwiegen. „Wie war dein Nachmittag gestern noch?“, fragte er schließlich in die Stille. „Ich meine, was hast du mit Kaibas Telefonnummer gemacht?“
 

Ich warf ihm einen schiefen Blick zu. Nur ungern erinnerte ich mich an das Fiasko mit Kaiba zurück. Es war mehr als peinlich gewesen, nicht zu vergessen stand ich nun auf der schwarzen Liste der Kaiba Corporation – einen weiteren Anruf konnte ich also in den nächsten Jahrzehnten knicken.
 

„War okay“, meinte ich schließlich mit einer wegwerfenden Handbewegung. Ich wollte ihnen wirklich nichts von meinem Aufstand erzählen, denn das sprengte wahrlich alle Grenzen. Sie hatten schon gelacht, als ich ihnen die Geschichte mit dem Heuler anvertraut hatte, da wollte ich lieber nicht wissen, was geschah, wenn ich ihnen von meinem Krieg mit Kaibas Personal berichtete. Nein, alles bloß das nicht.
 

Okay? “, echote Tristan und musterte mich skeptisch. „Es war ‚okay’?“
 

„Hast du mir nicht zugehört?“, fragte ich genervt und sah ihn an. „Ja, es war okay. Ich hatte niemanden am anderen Ende, nur eine Computerstimme, aber offen gestanden immer noch besser als Kaiba.“
 

„Ich dachte, du wolltest mit ihm reden.“

„Das hatte sich dann auch erledigt.“
 

„Was wolltest du eigentlich von ihm?“, fragte Téa interessiert. „Du hast es uns gestern nicht gesagt.“
 

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nicht mehr wichtig, es hatte sich erledigt.“
 

Sie warfen sich skeptische Blicke zu, beließen es jedoch dabei. Ich war froh, dass sie mich nicht weiter befragten. Ich log sie alles andere als gerne an, aber es musste sein. Ich tat es nur zu meinem besten, auch, wenn es egoistisch war.
 

Als es zur nächsten Stunde schellte zogen sich die anderen stumm zurück. Ihrem Verhalten nach zu urteilen glaubten sie meinen Worten nicht wirklich, wer konnte es ihnen schon verübeln? Doch ich war einfach nicht bereit, ihnen die Wahrheit zu sagen, wenn ich selbst nicht einmal genau wusste, warum ich mich zu sehr dafür schämte, sie ihnen zu erzählen.
 

Ich lehnte mich auf meinem Stuhl nach hinten und verschränkte die Arme, während ich dem Mathelehrer, der nun den Klassenraum betrat, mit meinen Blicken folgte. Vielleicht würde ich es ihnen heute Nachmittag erzählen, vielleicht auch erst morgen oder übermorgen.
 

„Schlagt eure Bücher auf, wir vergleichen die Hausaufgaben.“
 

Hausaufgaben?! Augenblicklich saß ich kerzengerade auf meinem Stuhl. Wir hatten Hausaufgaben aufbekommen? Warum hatte ich davon nichts mitbekommen.
 

„Ja Joey, gibt es etwas, dass du sagen möchtest?“
 

Offenbar hatte ihn meine plötzliche Bewegung auf mich aufmerksam gemacht. Jetzt saß ich in der Klemme. Ich hatte keine Hausaufgaben, keine Ahnung, welches Thema wir zurzeit hatten und ich musste es ihm sagen?! Wäre ich doch nur etwas weniger auffällig gewesen, dann hätte er es vielleicht nicht bemerkt. Doch alles Jammern half jetzt auch nicht mehr. Schule war hat, Schule war grausam und die Schulgrausamkeit hatte es wieder einmal auf mich abgesehen.
 

„Ich hab die Hausaufgaben nicht“, gestand ich schließlich und blickte währenddessen auf mein Mathebuch. Es war nicht gut, schon wieder Hausaufgaben zu vergessen. Auf Dauer konnte ich es mir wirklich nicht mehr leisten, Téa hatte schon Recht. Verdammt.
 

„Nachholen“, war die kalte Erwiderung des Lehrers, der mich abschätzig musterte. Ich glaube, er hatte mich noch nie sonderlich gemocht. Na klasse. „Und außerdem noch eine Extraaufgabe, die ich dir nach der Stunde mitteile.“
 

Er wandte sich um und begann an die Tafel zu schreiben. Ich ließ kaum merklich die Schultern hängen. Ganz toll, jetzt auch noch eine Extraaufgabe, als hätte ich noch nicht genug zu tun. Na wenigstens hatte ich meine Beichte getan und war fürs erste erlöst.
 

„Joey, wenn du uns dann bitte die erste Aufgabe der Hausaufgabe an der Tafel vorrechnen könntest?“
 

Ich erstarrte. Offenbar hatte ich mich geirrt. Das schlimmste kam erst noch. Panisch sah ich mich zu meinen Freunden um. Tristan betrachtete mich mitfühlend, seine Augen sagten mir Sorry Alter, immer erwischt es dich. Téa sah mich vorwurfsvoll an – ich kannte diesen Blick. Warum musstest du auch wieder die Hausaufgaben vergessen, du bist schon gefährdet genug. Das wusste ich auch so, Téa, aber danke für die Erinnerung. Langsam erhob ich mich und warf Yugi einen letzten Hilfe suchenden Blick zu.

Er bewegte stumm die Lippen: Trigonometrie.
 

Ich starrte ihn fassungslos an. War das etwa unser Thema? Falls ja, und der fremde Klang des Namens ließ mich mit einem kalten Schauer darauf schließen, war ich mehr als nur aufgeschmissen. Warum war ich nicht doch mit dem Schwindel nach Hause gegangen? Warum hatte ich auch einen auf Großer Held machen und mir vom Schularzt die Tabletten geben lassen müssen? Ich war so ein Idiot. Und Kaiba sollte gefälligst an diesem selbstgefälligen Grinsen krepieren!
 

Ich schleppte mich zur Tafel, nahm die Kreide in die Hand und starrte hilflos auf die Zeichnung eines rechtwinkligen Dreiecks und die Rechnung daneben. Was sollte ich machen? Was war Trigonometrie überhaupt? Und warum konnte ich damit nichts anfangen? Was hatte ich bitte die letzten Stunden über getan?
 

Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend erinnerte ich mich daran, dass ich in den letzten Mathestunden viel zu sehr mit dem neuesten Magazin über Duel Monsters beschäftigt gewesen war. Ich hätte vielleicht doch besser aufpassen sollen.
 

„Joey, wenn du die Güte besitzen würdest.“
 

Ich zuckte kaum merklich zusammen und warf meinem Lehrer aus den Augenwinkeln einen flüchtigen Blick zu. Er wusste genau, dass ich es nicht konnte. Sadistischer Bastard!
 

„Ja ja,“, murmelte ich, spürte die Blicke meiner Mitschüler in meinem Rücken. Es war immer wieder wunderbar, hier vorne zu stehen und sich zum Gespött der Klasse zu machen.

Ich blickte gebannt auf die Zahlen vor mir und registrierte Momente später mit verblüffen, dass sie sich zu bewegen schienen. Einige rückten etwas weiter nach links, ein Alphazeichen machte einen Satz nach oben. Ich schreckte zurück, rieb mir mit einer Hand über die Augen und starrte erneut auf die Tafeln. Alles war wie vorher, nichts rührte sich.
 

„Joey, wenn dich die Trigonometrie so verschreckt, dann sag etwas.“ Musste er so spöttisch klingen? Hatte ich bereits erwähnt, dass ich Mathe hasste?
 

Ich wandte den Kopf, noch immer aufgewühlt durch das springende Alpha und brauchte einige Sekunden, um antworten zu können. „Tut mir leid, ich verstehe die Aufgabe nicht“, meinte ich und meine Worte wirkten beunruhigend gehetzt.
 

„Dann setzt dich und pass bitte zur Abwechslung diese Stunde gut auf“, erwiderte der Mann geringschätzig. „Wir wiederholen den Stoff aus der zehnten, eigentlich sollte man von dir verlangen können, dass wenigstens noch Bruchstücke der Erinnerungen noch vorhanden sind.“
 

Normalerweise hätte ich ihm für diese Worte einen bösen Blick geschenkt, doch momentan war ich zu irritiert, um ernsthaft darauf einzugehen. Mit einem letzten Blick auf die Tafeln eilte ich zu meinem Platz zurück.
 

„Alles okay mit dir, Joey?“, flüsterte Tristan mir im Vorbeigehen zu, doch ich regierte nicht.
 

Als ich wieder saß und auf meinen Tisch starrte wurde ich mir bewusst, dass mein Atem rasch ging und mein Herz in meiner Brust hämmerte. Ich blickte nach vorne zur Tafel, nachdem nun Téa aufgefordert wurde, die Aufgabe zu lösen. Ohne wirklich etwas wahr zu nehmen sah ich ihr dabei zu.
 

Ich blickte auf meine Hände hinab und merkte, dass sie leicht zitterten. Ich krallte sie in meine Jeans, um es zu überdecken. Was war nur auf einmal los? Noch bis vor kurzem hatte ich mich wieder großartig gefühlt? Litt ich vielleicht unter Schlafmangel? Das wäre möglich. Ich nickte kaum merklich. Das musste es sein.
 

Ich öffnete mein Matheheft und begann mitzuschreiben. Bemüht konzentrierte ich mich auf die Rechnungen, versuchte, sie nachzuvollziehen und die nächste viertel Stunde verbrachte ich damit, nach Übereinstimmungen zu suchen. Irgendwo in meinem Kopf regte sich etwas, als ich mich dunkel an ein ähnliches Thema im letzten Schuljahr erinnerte.
 

Ich hob den Blick, um das Geschriebene in meinem Heft mit dem an der Tafel zu vergleichen. Ich musste mir Yugis Heft übers Wochenende ausleihen, Yugi am besten gleich mit, damit er es mir noch einmal erklärte ...
 

Ich zuckte zusammen, als die Zeichen an der Tafel unvermittelt von Neuem begannen, sich zu bewegen. Der Sinus machte einen Satz nach hinten, während der Tangens sich drehte. Schockiert hob ich die Hand, wischte mir über die Augen und blinzelte. Doch an dem Bild änderte sich nichts. Ich blickte nach links und rechts, doch niemand sonst schien davon Notiz zu nehmen.

Ich richtete meinen Blick erneut auf die Tafel und mein Atem beschleunigte sich merklich. Nun hatte das Dreieck sich gedreht und stand vollkommen anders als vorher, während Sinus und Tangens vor uns zurückpendelten. Ich schloss krampfhaft die Augen. Es lag an Übermüdung, es konnte nichts anderes sein.
 

Ich öffnete die Augen und blickte auf mein Heft. Ich versuchte verzweifelt, mich zu beruhigen, als unvermittelt auch einige Zeichen in meinem Heft begannen, ein Eigenleben zu führen. Aufkeuchend, wich ich zurück, schlug es zu.
 

„Joey, bist du mit der Aufgabe fertig?“
 

Mein Kopf schnellte in die Höhe und mein aufgewühlter Blick traf auf den meines Mathelehrers, der mich gelassen musterte. Ich schluckte schwer, kalter Schweiß war im Begriff, sich auf meiner Stirn zu bilden.
 

„Ja – ich ... ich habe die Aufgabe gelöst.“
 

Es stimmte nicht ganz, ich hatte sie nur zu drei Vierteln fertig. Man konnte von mir nicht erwarten, die Aufgabe richtig zu lösen, nachdem ich heute meine bewusste erste Stunde Trigonometrie hatte.
 

„Kannst du sie uns an der Tafel vorrechnen?“
 

„Nein!“ Dieses Wort hatte meinen Mund verlassen, bevor ich es daran hindern konnte. Zu meinem Entsetzen klang es mehr als nur panisch. Ich hustete. „Ich meine, nein, das kann ich nicht. Ich bin mir nicht sicher und ... ich bin mir nicht sicher ...“ Meine Worte wurden immer leiser, bis sie nur noch ein Murmeln darstellten. Ich spürte die Blicke meiner Mitschüler auf mir und mir wurde übel. Was war nur los?
 

„Nun gut, wenn du so denkst. Wer will die Aufgabe an der Tafel vorrechnen?“
 

Ich hörte nicht mehr zu. Viel zu sehr war ich mit der Frage beschäftigt, was hier vor sich ging. Wieso begannen die Mathesymbole mit einem Mal, sich zu bewegen? Warum nahm nur ich es war? Seit wann wirkte sich Übermüdung so aus? Ich fasste mir an die Stirn, den Blick auf meinen Tisch gerichtet. Es musste die Übermüdung sein, anders ließe es sich nicht erklären.
 

Die Minuten verstrichen, ich wagte es nicht mehr, aufzusehen, starrte stattdessen weiterhin auf mein geschlossenes Heft und lauschte den Worten, die noch gesprochen wurden. Als es schließlich zum Ende der Stunde schellte packte ich meine Sachen hastig ein.
 

„Joey, deine Extraaufgabe.“
 

Beinahe hätte ich es vergessen. Ich blieb stehen und drehte mich um. Mein Lehrer stand hinter mir und hielt mir einen Zettel entgegen. „Hier findest du eine allgemeine Zusammenfassung der Trigonometrie mit Erklärungen und Beispielen. Ich möchte, dass du es bis zur nächsten Stunde durcharbeitest und den Stoff beherrscht. Ich werde dich abfragen.“
 

Stumm nahm ich den Zettel entgegen und verließ den Klassenraum. Er hatte mir einen Gefallen mit dieser Aufgabe getan. Vielleicht konnte er mich ja doch irgendwo wenigstens ein bisschen leiden.
 

Yugi und die anderen warteten bereits auf mich. „He Alter, was war mit dir los?“, fragte Tristan und legte mir einen Arm um die Schultern. „Du hast dich benommen, als hättest du einen Geist gesehen.“
 

Ich schüttelte den Kopf. „Nichts weiter“, log ich., „Ich ... ich war nur schockiert, weil ich die Aufgaben absolut nicht verstanden hatte.“
 

„Wenn du magst, können wir uns treffen und zusammen üben“, schlug Yugi vor. Ich lächelte ihn dankbar an. „Ja, das wäre gut. Ich muss das Thema noch mal wiederholen, damit ich es verstehe.“
 

Damit gaben sie sich zufrieden und ich war erleichtert. Ich wollte sie nicht damit belasten. Wenn ich so weitermachte hielten sie mich früher oder später noch für verrückt. Allmählich beruhigte ich mich, während wir zu dem Chemiesälen gingen.
 

Wenn ich angenommen hatte, der Tag konnte von nun an besser werden, dann hatte ich mich zweifelsohne geirrt. In Chemie begann das Desaster von neuem. Teile einer mir nicht verständlichen Reaktionsgleichung begannen zu verschwimmen, anschließend schienen sie sich aufzulösen, nur um Momente später flackernd wie aus dem Nichts an einer anderen Stelle zu erscheinen. Ich begann, an meinem Verstand zu zweifeln und mir gleichzeitig nichts anmerken zu lassen. Wurde ich verrückt? Doch warum? Was war anders als sonst?
 

Abgesehen von diesen bizarren Erscheinungen spürte ich nichts. Nur mein Herz schlug durchgängig hart gegen meiner Brust, erlitt ich bei dem Anblick der Springenden, drehenden oder verblassenden Zeichen doch jedes Mal einen Schock. Schweiß stand auf meiner Stirn, während ich versuchte zusammen mit Yugi und Tristan den Versuch durchzuführen, den wir Gruppenweise aufgetragen bekommen hatten.
 

„Joey, ein Löffel.“ Yugis Stimme holte mich in die Realität zurück. Ich sah ihn konfus an, hielt den Löffel noch immer in der Hand. „Was?“, fragte ich verwirrt.
 

Mein bester Freund schüttelte den Kopf und nahm mir den Löffel aus der Hand. „Nur einen Löffel voll Magnesium. Das war bereits der dritte. Noch einen mehr und wir können den Versuch vergessen.“
 

„Oh.“ Ich senkte den Blick. „Tut mir Leid, Yugi. Ich war in Gedanken.“
 

Wie ich den Rest der Chemiestunde überstand wusste ich im Nachhinein selbst nicht mehr. Yugi hatten wir es jedenfalls zu verdanken, dass unser Versuch nicht meinetwegen ruiniert wurde und am Ende der Stunde gaben wir ein halbwegs zufrieden stellendes Ergebnis ab. Yugi hatte mal wieder meine Note gerettet.
 

Zu meinem Glück hatten wir anschließend eine Frühstückspause. Während wir uns gemeinsam auf unserem Stammplatz lümmelten und unsere Pausenbrote aßen hatte ich Zeit, mich zu sammeln. Ich hatte mich mit dem Rücken an die Holzbank gelehnt und die Augen geschlossen, während Yugi sich mit Téa über Geschichte unterhielt und Tristan und Duke eine Runde Duel Monsters spielten.
 

Mein Frühstück lag unbeachtet neben mir. Ich hatte keinen Hunger.
 

„Joey, du isst ja gar nichts.“
 

Yugis Stimme brachte mich dazu, die Augen zu öffnen. Er und Téa hatten ihr Gespräch unterbrochen. Sie musterten mich sorgenvoll. „Du benimmst dich schon die letzten Stunden so anders. Geht es dir nicht gut? Du warst zwar beim Schularzt, aber vielleicht solltest du besser nach Hause gehen.“
 

Einige Momente war ich ernsthaft versucht, ihnen zuzustimmen, doch dann regte sich etwas in meinem Hinterkopf. „Nein“, meinte ich und lächelte schwach. „Ich bin nur müde, mehr ist es nicht.“
 

„Aber du isst nicht einmal dein Frühstück.“
 

„Oh“, meinte ich und tat überrascht. „Das habe ich vor lauter Müdigkeit ganz vergessen.“ Ich griff nach meinem Brot. Mein Magen zog sich bei seinem Anblick zusammen doch ich zwang mich, abzubeißen und zu kauen. Es ist grauenvoll etwas zu essen, wenn der Magen sich dagegen wehrte. Ich unterdrückte ein Würgen und schluckte. Nun war mir wirklich übel.
 

Natürlich hätte ich mich von einem der Lehrer beurlauben lassen können. Hätte ich mein Befinden offen auf den Tisch gelegt, hätte man mich nach Hause geschickt, doch es gab ein Problem. Zum einen meine bisherigen Fehlstunden, die ich auch mit einer Krankheit nicht noch bereichern konnte und zum anderen mein Dickkopf. Joey Wheeler ließ sich nicht einfach von einer Übermüdung unterjochen. Ich hatte bis jetzt noch jede Krankheit überstanden, war sogar einmal mit Fieber in der Schule erschienen, weil Kaiba behauptet hatte, ich besäße kein Durchhaltevermögen. Schlafmangel wäre der letzte Grund, Zuhause zu bleiben. Nicht für Joey Wheeler.
 

Es bestand nämlich durchaus ein Unterschied, ob man zuhause blieb und eine Krankheit vortäuschte oder ob man zuhause blieb, weil eine Krankheit einen dazu zwang. Eine von beiden Möglichkeiten war geradezu ehrenhaft, die andere dagegen schändlich. So sah es aus, und ich würde nicht zu letzterem gehören – auch wollte ich Kaiba nicht die Genugtuung gönnen, dass er sah, wie ich wegen einiger Kleinigkeiten klein bei gab.
 

Abwesend ließ ich meinen Blick über den Schulhof schweifen, bis etwas meine Aufmerksamkeit erregte. Kaiba saß wie in jeder Pause auf der Bank neben der großen Eiche und arbeitete an seinem Laptop, doch noch nie hatte ich ihn im T-Shirt gesehen, noch dazu ein grünes. Überhaupt, müsste er nicht die Schuluniform tragen?
 

„Leute“, meinte ich und richtete mich an die anderen, die die Blicke hoben. „Seit wann trägt Kaiba grün?“
 

Sie wandten die Köpfe, blickten zu Kaiba, bevor sie sich wieder mir zuwandten. Sämtliche Alarmglocken begannen zu schrillen, als ich die Verwirrung auf ihren Gesichtern registrierte.
 

„Grün?“, wiederholte Yugi. „Er trägt das, was er den ganzen Morgen schon getragen hat.“

„Seine Schuluniform“, fügte Téa hinzu. „Und die ist zweifellos blau.“
 

Ich sah zu Kaiba. Nein, er trug definitiv grün. Ich wusste, was ich sah, doch offenbar sah ich etwas anderes als Yugi und Téa. Sollte ich nun Angst bekommen? Was ging hier vor sich? Spielte mit einem Mal die ganze Welt verrückt?
 

„Ja klar, ihr habt recht. Natürlich, blau.“ Ich lachte und es klang schrecklich gekünstelt. „Muss am Licht gelegen haben. Ich glaube, ich habe eben in die Sonne gesehen ...“
 

Etwas lief hier eindeutig schief.
 

oOo
 

Der Tag wurde zu einem Desaster.
 

In der Pause zeigte sich deutlich, dass etwas anders war. Ich wusste nicht warum und ich konnte nichts dagegen tun. Ich stand kurz vor einer Panikattacke, doch in der nächsten Stunde überfiel mich eine angenehme Ruhe.
 

Während ich der Stimme unserer Geschichtslehrerin folgte, spürte ich eine beruhigende Wärme, die meinen Verstand zu umhüllen schien. Meine Augen fielen zu, während ich in weiter Ferne Worte verklingen hörte.
 

„Und so kam es, dass die französische Revolution ...“
 

Als ich meine Augen wieder aufschlug, war die Stunde beendet. Ich richtete mich auf und stellte zu meiner Zufriedenheit fest, dass mein Herzschlag sich beruhigt hatte, genauso wie mein Atem. Ich fühlte mich wieder gut und streckte mich zufrieden.
 

„Joey, kommst du?“ Es war eindeutig Yugi, der nach mir rief. Wir hatten jetzt Sportunterricht. Ich packte meine Sachen zusammen und stand auf, bevor ich mich umdrehte.
 

„Klar komme ich, bin schon –“ Ich brach ab, starrte Yugi und die anderen geschockt an. „Was ... was ist denn mit euch?!“
 

Yugi war nicht mehr der Zwerg, den ich gekannt hatte. Er war nun mindestens so groß wie Kaiba, während Tristan und Téa in Gegensatz dazu klein wie Grundschüler waren. Ich starrte sie fassungslos an.
 

„Was ist los, Joey?“, fragte Téa besorgt, da ihr mein Blick nicht entgangen war. Ich öffnete meinen Mund, doch kein Ton entwich meiner Kehle. Ich war außer Stande einen halbwegs anständigen Satz zu formulieren. Mein Verstand suchte nach einer Lösung für den Anblick, der sich mir bot, doch er fand keine. Ich war ratlos.
 

„Jetzt komm schon Joey, oder wir kommen nicht mehr in die Halle.“ Klein-Tristan schien mein Verhalten weniger zu beunruhigen, als Ungeduldig zu machen. Er bedachte mich mit einem auffordernden Blick und nickte mit dem kleinen Kopf Richtung Tür. Eine Welle der Übelkeit stieg in mir auf, doch ich kämpfte sie erfolgreich nieder.
 

Das hier war nichts weiter als ein schräger Traum. Einen Traum, den ich wahrscheinlich gerade im Geschichtsunterricht hatte und der aufgrund meines Schlafmangels dementsprechend schräg war. Es gab keinen Grund jetzt schon aufzuwachen, denn dann müsste ich versuchen, mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Ich brauchte nur darauf zu warten, dass Yugi oder einer der anderen mich am Ende der Stunde weckte oder im schlimmsten Fall eben meine Lehrerin.
 

Ich könnte einfach dem Traumgeschehen und meinen vertauschten Freunden folgen und so tun als sei nichts und später aufwachen. Dann würde es mir besser gehen und ich würde auch nicht mehr unter diesen Mathe-Halluzinationen leiden. Das klang gut. Es war ein wirklich guter Plan, das musste ich zugeben.
 

Warum konnte ich in einem Traum logisch denken?
 

Diese Frage hätte mich stutzig machen müssen. Doch das tat sie nicht.
 

oOo
 

Der Weg zur Umkleidekabine der Sporthalle verlief beunruhigend Ereignislos. War es in Träumen nicht die Regel, dass der Himmel grün gepunktet oder Lila war, der Boden seltsam verzerrt oder der Tag urplötzlich zur Nacht wurde? In meinem Traum war es nicht so. Der Himmel war blau, der Boden platt und die Sonne stand hoch am Himmel. Hinter der Ecke zur Sporthalle wartete kein zotteliges Monster darauf, uns der Reihe nach zu verspeisen und der Boden tat sich auch nicht auf, um uns alle zu verschlucken.
 

Yugi, Tristan und Téa waren die einzigen, die nicht in das Bild passten, doch sie selbst schienen das Ungewöhnliche an ihrem Äußeren entweder nicht wahrzunehmen oder nicht als etwas Ungewöhnliches wahrzunehmen.
 

Ich schwieg, ließ dem Traum seinen vorbestimmten Lauf nehmen. In den Umkleidekabinen zog ich mich um. Zwar wunderte ich mich, dass ich meine Sportkleidung dabei hatte, denn in meinen Träumen machten meine Schulsachen für Gewöhnlich immer einen unvermittelten Abgang, doch ich wollte nicht damit anfangen, mich zu beschweren. Nach diesem Traum würde alles besser werden.
 

Der Sportunterricht nahm seinen gewohnten lauf. Er begann mit fünf Runden warmlaufen und ich folgte dieser Aufforderung protestlos. Ich konnte meinen Blick dabei jedoch nicht von Yugi, Téa und Tristan nehmen. Ihr Erscheinungsbild war so bizarr, in keinem meiner bisherigen Träume waren sie mir so erschienen. Wäre dies nicht ein Traum gewesen, ich hätte begonnen, an meinem Verstand zu zweifeln.
 

Die erste Sportstunde verbrachten wir mit Bockspringen, Ich hatte es immer gehasst und es wunderte mich nicht, dass wir es in meinem Traum wieder taten. Beim Bockspringen legte ich für gewöhnlich herrliche Bruchlandungen hin und auch dieses Mal würde es nicht anders werden – schon gar nicht in einem Traum wie diesem.

Argwöhnisch betrachtete ich den Bock und als ich an der Reihe war, zögerte ich merklich. Ich wollte nicht springen. Ich wollte ganz und gar nicht springen.
 

„Joey, was ist los?“ Mein Sportlehrer stand neben dem Bock und betrachtete mich über den Rand seiner Brille irritiert. „Stimmt etwas nicht oder warum springst du nicht?“
 

„Wheeler traut sich wahrscheinlich nur nicht.“ Nun hatte Kaiba gesprochen, der gelassen auf einer der Bänke am Hallenrand saß und mich abschätzig musterte. Er nahm nicht am Sportunterricht teil, weil er nächste Woche ein wichtiges Meeting im Ausland hatte und „darum eine mögliche Verletzung im Sportunterricht nicht riskieren kann“. Wahrscheinlich war er sich einfach zu fein fürs Bockspringen.
 

Ich starrte Kaiba aus schmalen Augen an. „Halt die Klappe Kaiba. Du liegst voll daneben. Natürlich traue ich mich. Wer sitzt den bitte auf der Bank? Du bist von uns derjenige, der zu viel Schiss davor hat. Für mich ist das eine Leichtigkeit.“ Ich verzog meine Lippen zu einem hämischen Grinsen, dann drehte ich den Kopf und fixierte den Bock.
 

Du schaffst das, Joey, feuerte ich mich innerlich an. Vergiss, dass das hier nur ein Traum ist. Auch ein Traum-Kaiba wird merken müssen, dass er nicht so mit dir reden darf. Der wird sich wundern!
 

Ich straffte die Schultern und lief los. Ich spürte die Blicke seiner Klassenkameraden auf mir - etwas, dass ich noch nie am Sportunterricht gemocht hatte, auch wenn ich nur im Bockspringen und nirgendwo sonst die Probleme hatte. Diese Tatsache ignorierend konzentrierte ich mich einzig auf das Springen. Der Bock kam stetig näher und ich wünschte mir, endlich aufzuwachen. Vielleicht reichte es, sich an dem Bock zu stoßen, dann würde ich sicherlich aufwachen.
 

Doch nun war es zu spät. Schneller als erwartet hatte ich das Gerät erreicht und während sich meine Augen voller Panik weiteten handelte mein Körper wie aus einem Reflex heraus. Ich sprang, doch weder hoch noch elegant, blieb mit einem Bein am Bock hängen und spürte noch, wie ich nach vorne flog, bis der Aufprall auf den Matten mir sämtliche Luft aus den Lungen presste. Schwärze umhüllte mich für wenige Momente, dann öffnete ich blinzelnd die Augen und ich wurde geblendet von dem grellen Licht der Lampen an der Hallendecke.
 

Ich wollte fluchen, doch kein Wort kam über meine Lippen. Mir fehlte jeglicher Atem, nicht einmal zum Stöhnen hatte ich genug Luft. Ich lag auf dem Rücken wie eine hilflose Schildkröte, benommen von meinem Sturz. Schwindel nahm von meinem Bewusstsein Besitz, als sich schließlich schemenhafte Gesichter in mein Blickfeld schoben.
 

„Joey?“
 

Ich verengte die Augen und die Konturen klärten sich. Durch meinen Rücken zog sich ein dumpfer Schmerz und ich begann zu realisieren, dass ich in meinen Träumen bisher immer im letzten Moment vor dem Schmerz aufgewacht war. Und während ich zu der Hallendecke hinaufblickte, die schemenhaften, unverkennbaren Gesichter meiner Freunde im Blickfeld, begann ich zu begreifen, dass es sich bei all dem nicht, wie angenommen, um einen Traum, sondern um die Realität handelte.
 

„Joey, alles in Ordnung?“

„Sag doch was!“
 

Eine beunruhigende Realität.

Eine äußerst beunruhigende Realität.

Ich blinzelte, während mir das Ausmaß dieser Erkenntnis allmählich bewusst wurde. Wenn dies hier die Realität und kein von meinem Unterbewusstsein geschaffenes Paralleluniversum war, dann war es unmöglich, dass Yugi, Tristan und Téa –
 

Ruckartig setzte ich mich auf und währe beinahe mit meinem Kopf gegen die meiner Freunde geknallt. Überrascht wichen sie zurück. Ich schnappte nach Luft, als die plötzliche Bewegung mir einerseits ermöglichte, wieder frei atmen zu können und andererseits scharfe Schmerzwellen durch meinen Rücken sandte.

Meine Umgebung begann sich zu drehen, als ich versuchte, mich zu orientieren und bittere Übelkeit stieg in mir auf, als mich das Gefühl überkam, auf einem zu schnellen Karussell zu sitzen. Ich presste mir eine Hand auf den Mund.
 

„Joey, sag was.“

„Komm schon, rede mit uns. Kannst du atmen?“

„Wie viele Finger siehst du?“
 

Offenbar wusste niemand in dieser Klasse, wie man mit einem Sturz-Opfer umzugehen hatte, denn die Aufforderung zu reden, in einer Situation, in der sich eben jenes Opfer verkrampft die Hand vor den Mund presste und unter größten Anstrengungen versuchte ihnen nicht sein mageres Frühstück zu Füßen zu legen, erwies sich lediglich als hilfloser Versuch, das erdrückende Schweigen in der Halle mit sorgenvollen Worten zu füllen.
 

Ich zog es vor, auf die Frage nach der Anzahl der Finger nicht zu antworten, da ich weder den Sprecher dieser Worte, noch irgendwelche Finger erkennen konnte.
 

Arme schlangen sich um meine Schultern und halfen mir, aufzustehen. Zittrig stand ich auf den Beinen, hatte noch immer das Gefühl, in der falschen Attraktion eines Rummelplatzes gelandet zu sein.
 

„Ruhig atmen, Joey.“

„Hast du etwas gebrochen? Tut etwas weh? Deine Arme oder Beine?“
 

Ich schüttelte den Kopf und bereute es augenblicklich, da diese Bewegung den Schwindel ansteigen ließ.
 

„Tja Wheeler, soviel zu der Leichtigkeit. Hast regelrecht leichtfüßig gewirkt, während du einen Vorwärtssalto gemacht hast.“
 

Kaiba. Natürlich hielt ihn meine Benommenheit nicht davon ab, auf meine Kosten abfällige Kommentare von sich zu geben. Arroganter Mistkerl. Und ich hatte alles tatsächlich für einen Traum gehalten?
 

„Sei still Kaiba“, murmelte ich, zu leise, als dass er mich wirklich hören konnte.
 

„Du solltest dich setzen, Joey.“ Ich sah neben mich und erblickte meine Klassenkameraden, die sich mit neugierigen und besorgten Blicken um mich scharten - ein Unfall im Sportunterricht, wann gab es das schon? Nicht so häufig, wie erwartet – und nicht zuletzt meine besten Freunde, die nun keinesfalls anders, geschweige denn unnormal erschienen. Sie sahen aus, wie sie in den letzten Jahren ausgesehen hatten, ihre Größe entsprach der, die ich in Erinnerung hatte.
 

Wäre ich in dem Augenblick nicht so benommen gewesen, ich hätte meinen Verstand infrage gestellt, doch ich ließ mich stumm von Tristan zur Bank bugsieren. Die Frage meines Sportlehrers, ob ich lieber auf die Krankenstation wollte, verneinte ich mit einer nachlässigen Handbewegung.
 

„Du solltest dich sehen, Wheeler. Jetzt weiß jeder, dass du zu nichts zu gebrauchen bist, nicht einmal zu einer derart simplen Aufgabe wie Bockspringen.“
 

Zorn benebelte meinen Verstand, mein Gesicht war eine Maske der Wut, als ich mich von Tristan losriss und zu Kaiba herumwirbelte. „Jetzt halt verdammt noch mal endlich deine Klappe, Kaiba! Mein Rücken tut schon genug weh, da kann ich deine wenig bestärkenden Worte erst recht nicht gebrauchen!“
 

Schwer atmend starrte ich geradeaus und erst Sekunden später wurde ich mir der erdrückenden Stille in der Halle bewusst.
 

„Wheeler, nur so am Rande bemerkt, ich stehe hinter dir.“
 

Ich blinzelte, rührte mich jedoch nicht. Hinter mir? Ich hatte ihn doch eben noch –

Ein flüchtiges Reiben meiner Augen, gefolgt von erneutem irritierten Blinzeln und ich musste schwer schlucken als ich erkannte, dass Kaiba tatsächlich nicht vor mir stand. Wie konnte das sein? Wie bei allen nichtvorhandenen Göttern war das möglich?!
 

Langsam drehte ich den Kopf nach rechts und meine Augen weiteten sich, als ich Kaiba für wenige Sekunden am anderen Ende der Halle zu erkennen meinte.
 

„Nicht rechts Wheeler. Hat der Sturz dich auch noch dein allerletztes Stück Verstand gekostet oder leidest du an akuten Wahrnehmungsstörungen?“
 

Langsam wurde ich nervös. Ich verstand nicht, was los war. Das war doch nur ein einfacher Sturz gewesen, nicht weiter von Bedeutung. Ich hatte mir nicht einmal den Kopf gestoßen, ich war nur auf dem Rücken gelandet. Hatte der Sturz eine Nervenbahn blockiert oder beschädigt und ich wurde nun mit den Konsequenzen konfrontiert?
 

Gehetzt blickte ich von einer Seite zur anderen. Kalter Schweiß bildete sich auf meiner Stirn, während mein Herzschlag sich beschleunigte. Dort hinten, vor dem Geräteraum, war das nicht Kaibas Umriss? Oder hinter den Fenstern, durch die mattes Licht fiel - sah das nicht aus wie Kaibas Silhouette?! Meine Hände begannen zu zittern.
 

„Wheeler.“ Eine Hand schob sich in mein Sichtfeld und ein Schnippen holte mich in die Realität zurück. Mein Atem ging stoßweise, während ich mich zur anderen Seite drehte und Kaiba atemlos anstarrte. Er war aufgestanden und befand sich nun unmittelbar vor mir. In seinem blick lag Argwohn. „Hat der Sturz dich erblinden lassen?“
 

„Joey ist blind?“, hörte ich Téa von irgendwo her entsetzt keuchen und ein Getuschel zog sich durch die Reihen meiner Mitschüler.
 

„Ich bin nicht blind“, entgegnete ich wenige Momente später und funkelte Kaiba – zumindest hoffte ich, dass es dieses mal der echte Kaiba war – finster an. Er erwiderte meinen Blick ohne mit der Wimper zu zucken und verdoppelte sich ohne das geringste Geräusch.
 

Nach Luft schnappend wich ich vor ihm zurück. Sämtliches Blut wich mir aus dem Gesicht und ich starrte ihn voller entsetzten an. „K-kaiba, du ... du ...!“ Ich hob eine Hand und deutete mit zitternden Fingern auf ihn. Der Schwindel kehrte zurück und schwer atmend sank ich auf den Boden. Ich zitterte unkontrolliert.
 

„Joey!“

„Hey, Alter, was ist bloß los mit dir?“

„Was ist mit ihm?“

„Holt doch jemanden!“
 

„Joey.“ Yugi war irgendwo ganz in meiner Nähe, ich hörte seine Stimme. Oder bildete ich es mir ein, wie schon so vieles an diesem Tag? Ich wusste nicht mehr, was real war.
 

„Ich werde verrückt“, keuchte ich und meinen Blick unfokussiert auf den Boden der Sporthalle gerichtet. „Ich drehe durch. Kaiba, er ... alles ... was ist bloß los ...?“
 

„Seid ruhig!“ Das war unser Sportlehrer, der die panischen Mädchen zu beruhigen versuchte. Seine Stimme war scharf. „Kaiba, geh mit Joey zur Krankenstation. Du nimmst ohnehin nicht am Unterricht teil.“
 

„Aber das ist verantwortungslos!“, hörte ich Téa protestieren. „Joey weiß nicht, was er redet, er ist vollkommen weggetreten. Wir sollten einen Krankenwagen –“
 

„Nein, er wirkt eher, als leide er unter akutem Schlafmangel und Panikattacken. Ich bin hier bereits seit fünfzehn Jahren Lehrer an dieser Schule, diese Symptome tauchen nicht zum ersten Mal bei einem Schüler auf.“
 

„Kann ihn nicht einer von uns begleiten?“, wandte Tristan aufgebracht ein. „Warum muss Kaiba das tun?“
 

„Wir werden den Unterricht wie gehabt fortsetzen. Ich muss eure Zwischennoten festlegen, besonders ihr könnt euch keine Verzögerung mehr leisten. Kaiba, Joey muss auf die Krankenstation.“
 

Ich nahm all diese Worte wie durch einen dichten Schleier wahr. Alles, was mir auffiel war, dass Kaiba nicht ein einziges Mal protestierte. Stattdessen spürte ich unvermittelt einen festen Griff um meinen Oberarm, dann wurde ich ruckartig hochgezogen. Die Welt drohte erneut zu kippen und ich versuchte halbherzig, mich aus Kaibas Griff zu befreien. „Nein ... es geht mir ... lass los ...“
 

„Mach dich nicht lächerlich, Wheeler“, hörte ich ihn dicht neben mir. „Du kannst kaum gerade stehen, geschweige denn laufen. Und jetzt komm mit, bevor die Putzkräfte dich vom Boden wischen müssen.“
 

Knurrend ließ ich mich von ihm mitziehen, während die anderen uns teils sorgenvoll, teils belustigt hinterher sahen. Ha ha, sehr witzig, wirklich. Ich hätte gelacht, hätte ich mich nicht so verdammt scheiße gefühlt.
 

An den Weg zum Krankenzimmer erinnere ich mich kaum. Alles, was mir später noch in Erinnerung war, war Kaibas finstere Miene, seine flüchtigen Blicke und seine bestimmten Schritte. Erst, als die Tür des Krankenzimmers hinter uns zufiel schien es, als würde ich zurück in die Realität geholt. Ich stand neben Kaiba, der noch immer meinen Oberarm fest hielt und der irritierte Blick des Schularztes hätte mir ein Lächeln entlockt, wenn die Situation nicht so absurd gewesen wäre.
 

„Was kann ich für euch tun?“ Die Augen des Arztes ruhten auf mir. „Wir kennen uns doch. Du warst vorhin schon einmal hier.“
 

„Er dreht durch“, bemerkte Kaiba knapp und stieß mich unsanft von sich. „Und er redet noch mehr Unsinn, als er es in normalem Zustand schon tut. Was haben sie ihm vorhin gegeben? Er benimmt sich, als hätte er Drogen genommen.“
 

„Sei still, Kaiba!“, fauchte ich ihn an. „Ich nehme keine Drogen, damit du es nur weißt.“
 

Er lächelte mich schmal an. „Dafür hast du auch nicht den Mut, Wheeler.“
 

Ich biss mir auf die Lippen, um einen weiteren bösen Kommentar zu verschlucken und wandte mich stattdessen hastig wieder dem Arzt zu, denn Kaiba machte erneut Anstalten, sich zu verdoppeln.
 

„Ich halluziniere“, stieß ich so schnell hervor, als hoffte ich dadurch, dass die abstrusen Bilder und Geschehen vor meinen Augen verblassten. „Oder zumindest hoffe ich, dass es nur Halluzinationen sind. Ich dachte erst, es ist nur ein Traum, dann bin ich eben im Sportunterricht gestürzt und dann habe ich Kaiba doppelt gesehen und überhaupt habe ich ihn überall gesehen, wo er eigentlich nicht sein sollte, denn er stand eigentlich hinter mir und –“
 

„Bitte, bitte“, der Arzt hob abwehrend die Hände. „Nicht alles auf einmal. Setzt dich erst einmal.“
 

Widerstrebend folgte ich der Aufforderung und ließ mich auf einen der Hocker sinken, dabei den Blick bewusst nicht auf Kaiba richtend, aus Angst, ihn wohlmöglich wieder zweimal zu erblicken.
 

„Du bist gestürzt?“, wiederholte der Mann und betrachtete mich eingehend. Ich nickte und er faltete die Hände. „Und du hast doppelt gesehen?“ Erneut nickte ich, woraufhin sich seine Lippen zu einem geradezu väterlichen Lächeln verzogen. „Dein Sturz hat deine Wahrnehmung beeinträchtigt. Du musst mit dem Kopf gegen etwas geschlagen sein und –“
 

„Das bin ich nicht!“, protestierte ich. „Ich bin auf den Rücken gefallen.“
 

„In den meisten Fällen können die Betroffenen sich nicht mehr daran erinnern, was geschehen ist, weil der Schock die Erinnerung zunächst beeinträchtigt“, fuhr der Arzt erklären fort, doch ich schüttelte den Kopf.
 

„Er hat sich nicht gestoßen“, mischte sich zu meiner größten Überraschung nun Kaiba ein, der neben der Tür stand und abweisend die Arme verschränk hatte. Sein Blick war gelangweilt. „Er hat sich in der Luft gedreht und ist auf den Rücken gefallen. Nur Wheeler schafft es, sich bei einem derart vermasselten Sturz nicht das Rückgrad zu brechen. Unkraut vergeht eben nie.“ Er zuckte abwertend die Schultern.
 

Ich war viel mehr darüber überrascht, dass er für mich Partei ergriff, als dass ich wirklich realisierte, dass er mich gerade beleidigt hatte. Kaiba unterstützte mich? Halluzinierte ich etwa schon wieder?
 

„Tatsächlich.“ Der Arzt schien überrascht und betrachtete mich nachdenklich. „Dann liegt das Problem woanders.“ Sein Blick wurde streng. „Hast du in einer der Pausen etwas Verbotenes geraucht? Du weißt hoffentlich, was auf das Einnehmen von Drogen steht?“
 

Warum dachten alle, ich hätte Drogen geschluckt? Sah ich in ihren Augen aus wie ein Junkie?!
 

„Ich nehme keine Drogen!“, zischte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen und stierte den Mann vor mir düster an. „Und ich habe auch nicht vor, sie irgendwann einmal zu nehmen.“
 

Mein Kopf ruckte herum und ich fixierte Kaiba wutentbrannt. „Das kannst du dir auch schon mal merken, bevor du mich das nächste Mal wieder mit Drogen in Verbindung bringst! Ich fasse es nicht, dass du arroganter Mistkerl echt geglaubt hast, ich würde Drogen nehmen!“
 

Ich war gekränkt und in meinem Stolz verletzt, doch ich wollte nicht, dass er es sah. Stattdessen wandte ich mich rasch ab und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den Mann in dem Arztkittel. „Ich habe diese Symptome nicht erst seit dem Sturz. Ich sehe Kaiba zwar erst seit dem Zeitpunkt doppelt, aber davor hatte ich auch schon seltsame Erscheinungen. Im Matheunterricht und später auch, als ich mit meinen Freunden geredet habe und“ – ich senkte den Blick, starrte stur auf den grauen Fußboden – „werde ich jetzt verrückt? Was ist los mit mir? Ich kann doch noch klar denken, mir ist nur schwindelig und schlecht und ich bin furchtbar müde, aber ich habe in den letzten Tagen ausreichend geschlafen. Unser Sportlehrer meint, ich leide unter Schlafmangel und Panikattacken, aber ich hatte noch nie in meinem Leben eine Panikattacke. Erst eben, als ich dachte, ich würde verrückt. Und Prüfungen haben wir momentan auch kaum und ... ich will nicht durchdrehen!“
 

Meine Stimme war zum Ende hin immer schneller geworden und nun überschlug sie sich beinahe. Ich sah den Mann an und Verzweiflung breitete sich in mir aus. Was, wenn er mir nicht helfen konnte? Er musste mir helfen, was sollte ich denn sonst machen?!
 

„Du warst heute Morgen schon einmal hier. Du warst benommen und dir war übel“, meinte er nachdenklich und fasste sich mit einer Hand abwesend ans Kinn. „Es war Kalziummangel und du hast Tabletten bekommen. Du bist nicht allergisch gegen Kalzium, oder?“
 

„Ich weiß nicht“, gestand ich und Hoffnung keimte in mir auf. Wurde ich vielleicht doch nicht verrückt und es war nur eine allergische Reaktion?
 

„Aber die Dosis war zu gering, um allergische Reaktionen hervorzurufen. Nicht bei Kalzium.“
 

Und nur Augenblicke später war meine Hoffnung zerplatzt wie eine Seifenblase. Meine Haltung sank in sich zusammen.
 

„Ich werde die Zusammensetzung der Tablette überprüfen müssen“, fuhr er fort und erhob sich. „Wo habe ich nur die Packung hingelegt?“ Er öffnete einige Schränke, wurde jedoch nicht fündig. „Schwester?“, rief er schließlich und man hörte, wie sich im Nebenzimmer etwas regte.
 

„Ja?“
 

„Wo ist die Packung Kalziumtabletten, die heute Morgen auf der Anrichte lagen?“
 

„Kalziumtabletten?“ Die Tür ging auf und die Krankenschwester warf einen Blick in das Krankenzimmer. Sie lächelte mich freundlich an, dann wurde ihr Blick nachdenklich, als sie mich erkannte. „Oh, du warst doch heute schon einmal hier. Geht es dir etwa nicht besser?“ Sie richtete sich an den Arzt, der sich dieses Mal nicht von ihrem Äußeren ablenken ließ. „Welche Kalziumtabletten meinen Sie? Sie haben heute keine verwendet.“
 

„Doch, habe ich. Ich habe dem Jungen heute Morgen noch zwei gegeben, gegen seinen Kalziummangel. Anschließend habe ich das Fläschchen auf diesen Schrank gestellt.“ Er deutete neben sich.
 

Die Schwester schüttelte den Kopf. „Da müssen Sie sich irren. Alles, was heute Morgen an Fläschchen hier stand, waren die Schmertabletten und die –“ Sie stockte. Ihr Blick richtete sich auf mich und der Schularzt schien denselben Gedanken zu haben. Auch ich wusste, was sie dachten. Es war nicht schwer zu erraten.
 

Schmerzmittel?
 

„Sagten Sie zwei Tabletten?“, fragte die Schulkrankenschwester.

Der Arzt nickte und schluckte schwer.

„Oh.“
 

Nun waren ausnahmslos alle Blicke auf mich gerichtet. Ich spähte vorsichtig zur Seite und zu meinem Schrecken sah selbst Kaiba mich mit einem seltsamen Ausdruck an. Ich schüttelte den Kopf und sah den Schularzt Hilfe suchend an. „Und jetzt? Ich meine, dass kann doch nicht so bleiben. Und das erklärt auch nicht, warum Kaiba sich vor meinen Augen immer wieder verdoppelt.“
 

Ich hörte ein überrumpeltes Räuspern von Kaiba.
 

„Nein, das tut es in der Tat nicht“, stimmte der Mann mir zu. Er wirkte beunruhigend blass um die Nase. „Die einzige Erklärung ist eine mögliche Unverträglichkeit des Mittels. Eine allergische Reaktion – zwar schwach, denn ansonsten würdest du nun kaum mehr in der Lage sein, zu stehen - aber dennoch vorhanden. Hinzu kommt die Dosierung des Mittels. Die allergische Reaktion ist zwar schwach, aber ausreichend um dir Halluzinationen zu bereiten.“ Er schob sich mit gewichtiger Miene die Brille hoch.
 

Ich starrte ihn an. „Und das ... haben sie in einer halben Minute diagnoziert?“
 

Er blinzelte irritiert. „Bitte was?“
 

„Diagnostiziert, Wheeler. Es heißt diagnostiziert, nicht diagnoziert. Was lernst du ihn dieser Anstalt eigentlich?“
 

Ich sah ihn finster an. „Die Schule ist keine Anstalt, Kaiba. Denn sonst würdest du auch in diese Anstalt gehen, schon vergessen und ich nehme an ein Kaiba würde sich niemals diese Blöße geben.“
 

Warum verdrehte dieser Typ jetzt die Augen? Was hatte ich denn gesagt?
 

„Muss man dir auch noch erklären, dass man eine Schule auch Lehranstalt nennt? Was weißt du eigentlich, Wheeler? Bist du sogar zu beschränkt, um das zu wissen?“
 

„He, komm mal wieder runter, Geldsack! Wer von uns hat hier eine allergische Reaktion? Mir geht es beschissen, ich hab Kopfschmerzen, mir ist schwindelig und je länger ich dich hören und sehen muss, desto übler wird mir! Ich bin in der Unterzahl, weil du dich dauernd vor meinen Augen verdoppelst also nimm gefälligst mal ein bisschen Rücksicht!“
 

Er bedachte mich mit einem abfälligen Blick. „Dein Verhalten ist kaum anders als sonst. Du benimmst dich doch eigentlich immer so verpeilt, nicht wahr, Heuler?“
 

„Sei doch still!“ Ich sprang auf, ignorierte den zunehmenden Schwindel und machte Anstalten, auf Kaiba zuzustürmen. Doch ich kam nicht einmal drei Schritte weit, bevor mein Kreislauf versagte und meine Beine unter meinem Gewicht nachgaben.
 

Ein unnachgiebiger Griff um meinen Arm verhinderte meinen Sturz. Voller Entsetzen sah ich zu Kaiba hoch, der meinen Blick düster erwiderte. „Musst du eigentlich immer Probleme machen, Wheeler? Kannst du zur Abwechslung nicht mal unproblematisch sein?“
 

Diese Worte waren ... unschön. Irgendwie zumindest bescherten sie mir Unbehagen. Sah Kaiba mich tatsächlich als solche Plage?
 

Widerstandslos ließ ich mich von ihm zurück auf den Stuhl bugsieren. Als er mich losließ sah ich ihn wütend an. „Musst du eigentlich immer mit Beleidigungen um dich schmeißen? Wenn du so weiter machst, brauchst du dich nicht wundern, wenn irgendwann der reihe nach alle um dich beschließen, einen Abgang zu machen.“
 

„Sprichst du von dir, Wheeler?“, fragte er desinteressiert und brachte wieder Abstand zwischen uns.
 

„Nein, ich bin nicht irgendjemand. Und irgendwann haben wir auch nicht. Noch nicht“, fügte ich leiser und mehr zu mir hinzu. Kaiba hatte es echt drauf, einen zu entmutigen. Egoistischer Mistkerl.
 

„Du brauchst Bettruhe“, meinte der Schularzt und betrachtete mich ernst. „Du solltest so schnell wie möglich nach Hause. Den Rest des Tages wirst du dich auskurieren und sollte dien Zustand sich nicht bessern, bleibst du morgen auch zuhause.“
 

Mein Blick wanderte zu Kaiba. Es war also passiert, was ich hatte verhindern wollen. Ich wurde von einer Krankheit Schachmatt gesetzt und Kaiba bekam alles aus erster Hand mit. Auch, wenn ich es dem Arzt zu verdanken hatte, dass es mir so mies ging ...
 

„Wie kommst du nach Hause?“

Ich knurrte und bedachte den Mann mit einem düsteren Blick. „Ich laufe.“

„Das wirst du in deinem Zustand kaum können.“

„Na und? Ich werde es schon irgendwie schaffen.“
 

Der Mann nahm in einer Geste der Hilflosigkeit die Brille ab und musterte mich müde. „Junge, du hast zwei Schmerztabletten genommen, normalerweise würdest du jetzt schlafen wie ein Stein, lediglich die allergische Reaktion sorgt dafür, dass du wach bleibst und beschert dir stattdessen die Halluzinationen.“
 

„Ich werde es doch wohl schaffen, nach Hause zu laufen“, beharrte ich fest.

Kaiba gab einen abfälligen Laut von sich. „Wheeler, ich bitte dich, du konntest eben nicht einmal mehr stehen.“

„Das lag daran, dass ich einen Sturz hinter mir hatte und noch unter Schock stand!“, giftete ich zurück.
 

„Der Sturz kommt noch erschwerend hinzu. Wahrscheinlich wäre es sogar besser, wenn du dich im Krankenhaus untersuchen lässt.“

„Ein Joey Wheeler muss nie ins Krankenhaus. Außerdem hab ich überhaupt keine Möglichkeit, dorthin zu kommen.“ Dafür musste er erst einmal eine Lösung finden und die gab es nicht.
 

Der Blick des Schularztes richtete sich auf Kaiba. Er kannte Kaiba – natürlich kannte er ihn, niemand kannte ihn nicht - und sah ihn durchdringend an. „Fahren Sie ihn.“
 

oOo
 

Natürlich fuhr Kaiba mich nicht.
 

Was hatte der Arzt denn bitte erwartet? Versprechungen, Drohungen, ja selbst der anstehende Untergang der Welt hätten Kaiba nicht dazu gebrach, mich auch nur irgendwo hinzufahren.
 

Die Lösung ergab sich schließlich, als der Schularzt – offenbar getrieben von seinem schlechten Gewissen – in meiner Klasse nach jemandem suchte. Ich hatte mich geweigert, von einem Krankenwagen mitgenommen zu werden, in der stillen Hoffnung, dass er dann den Versuch aufgeben würde, mich irgendwie in das städtische Krankenhaus zu bringen.
 

Derjenige, der mir jedoch in den Rücken fiel war Tristan. Ich weiß nicht, was verquerer war: Die Tatsache, dass wir beide für den Rest des Tages vom Unterricht befreit wurden, oder dass Tristan mich kurzerhand auf seiner Honda im Highspeed zum Krankenhaus kutschierte.
 

Wie wir es bei seinem selbstmörderischen Fahrstil überhaupt bis zum Stadtzentrum, geschweige denn zum Krankenhaus selbst schafften, ist mir bis heute noch ein Rätsel. Nach einer langen Wartezeit und einer schnellen Untersuchung stellte sich jedoch rasch heraus, dass ich keine bleibenden Schäden erleiden würde – Kaiba würde enttäuscht sein, wenn er das hörte – kein von Sturz gebrochenes Rückgrand hatte, ebenso keine Gehirnerschütterung davontrug, unter einer leichten Unterernährung litt – wie ging denn das, wo ich laut Téa so viel aß, wie ein ausgehungerter Schakal? - die Blutgruppe B hatte und erstaunlich viele roten Blutkörperchen besaß.
 

Letzteres hatte ich nicht gewusst und es wäre mir egal gewesen, hätte man mir nicht die Wahl zwischen einer Blut- oder Prostatauntersuchung gelassen. Keines von beiden war meiner Meinung nach notwendig, doch im Krankenhaus wurde darauf bestanden, wenigstens eine der beiden Untersuchungen an mir durchzuführen. Wahrscheinlich war den Ärzten dort schlichtweg langweilig.
 

Rückblickend stellte ich fest, dass der Besuch im Krankenhaus sinnlos gewesen war und ich mir mindestens zwanzig Minuten hinter Tristan auf seinem Bike hätte sparen können. Mein Tag konnte besser nicht werden, als ich mit einem flauen Gefühl in der Magengegend von Tristan Zuhause abgesetzt wurde.
 

oOo
 

Und nun liege ich mit Kopfschmerzen und Übelkeit im Bett und das einzige, das mir dieser Tag gebracht hat, ist die Erkenntnis, dass alles Kaibas verdammte Schuld ist!!
 

Egal was andere sagen würden, es ist und bleibt seine Schuld, dass es mir so mies geht und dieser egoistische Mistkerl war sich sogar zu fein, um mich zu fahren. Geht es überhaupt arroganter?
 

‚Ich brauche keinen verwahrlosten, halluzinierenden Heuler auf meinem Rücksitz.’
 

Mein Blick wandert zu dem Telefon, das verloren auf dem Fußboden liegt. Die Wahlwiderholung ist kaum noch zu erkennen. Kaiba hat seine Strafe bekommen. Telefonterror.
 

Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen, als ich mir in Erinnerung rufe, dass ich ihn nie persönlich an der Leitung hatte, lediglich sämtliche seiner Abteilungen, von denen mich kaum jemand vergessen hatte. Es kümmerte mich nicht wirklich, welche Konsequenzen es für mich haben würde, Hauptsache ich habe Kaiba gezeigt, dass man einen Joey Wheeler nicht so herablassend behandeln darf.
 

Denn meine Mitteilung an jeden, den ich mit dem Telefon erreicht hatte, war unmissverständlich gewesen:

‚Sagen Sie Ihrem Mitkerl von einem Chef, dass Heulern verdammt scharfe Zähne wachsen!’
 

Kaiba denkt, er wäre schlagfertig, aber da kannte er mich nicht gut genug. Mit einem Seufzen vergrabe ich mich in der Decke.
 

oOo
 

Téa hat gesagt, das Kalzium nicht gefährlich war. Schön, dass ich es jetzt weiß, wo es mir ohnehin nichts bringt. Im Krankenhaus habe ich erfahren das es tatsächlich noch einige wenige Schmerzmittel gibt, die bei einer seltenen allergischen Reaktion Halluzinationen hervorriefen.
 

Und natürlich bin ich einer von den drei Prozent, auf die das zutrifft. Ein Joey Wheeler fällt schon immer aus jeglicher Statistik. Schön, zu wissen.
 

Und alles habe ich Kaiba zu verdanken. Es ist seine Schuld, dass ich es nicht früher an diesem Tag bemerkt habe, denn ich war den ganzen Tag nur wütend auf ihn. Danke Kaiba.
 

oOo
 

Kalzium ist ungefährlich – es sei den man verwechselt es und sieht dann nur noch Kaiba

Donnerstag - Zeitlimit

Dankeschön für das Feedback vom letzten Kapitel =) Dieses ist wesentlich kürzer, ich hatte ein kreatives Tief und zu mehr war ich nicht imstande. Ich hoffe trotzdem, dass es nicht enttäuschend ist.
 

4. Auseinandersetzung: Zeitlimit
 

„Wheeler.“

Ich drehe mich um. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Yugi und die anderen es mir gleichtun. Kaiba steht vor mir. Sein Blick ist undurchdringlich, seine Miene ausdruckslos. Er greift in die Innentasche seiner Schuluniform und hält mir einen blütenweißen Umschlag entgegen. Ich starre auf das Papier, dann schaue ich auf. „Was ist das?“
 

„Ein Schreiben von meinen Anwälten. Ich verklage dich, Wheeler.“
 

Téa keucht entsetzt auf. Tristan schnappt nach Luft. Yugi schweigt. Ich stehe da.
 

Es ist Freitag. Die Schule hat noch nicht begonnen. Wir stehen vor dem Schultor. Kaiba verklagt mich.
 

oOo
 

„Tristan“, jammerte ich mit leidendem Gesichtsausdruck und lehnte mich an meinen Kumpel. „Welcher Tag ist heute? Ich hab das Gefühl, sämtliche Erinnerungen der Woche sind mir letzte Nacht abhanden gekommen ...“
 

„Du hättest heute einfach zuhause bleiben sollen“, bemerkte Téa und sah dabei nicht einmal von ihrem Aufsatz für Biologie auf. Ich wandte den Kopf und starrte sie empört an. Sie nahm es nicht einmal wahr. Frechheit.
 

„Donnerstag.“ Tristan schob mich bestimmt von sich. „Joey, wenn es dir noch nicht gut geht, dann geh wieder. Téa hat Recht.“
 

„Warum hat Téa immer Recht?“, maulte ich und ließ mich neben ihr auf die Bank fallen. Ich sah mich um. „Und warum ist Yugi noch nicht da? Das ist normalerweise sein Spruch.“
 

„Yugi hat einen Arzttermin und kommt erst ab neun Uhr“, erklärte Téa und sah mich noch immer nicht an.
 

„Warum erfahre ich so was immer als letzter?“, beschwerte ich mich und versuchte einen Blick auf Téas Unterlagen zu erhaschen. „Warum ließt du eigentlich freiwillig etwas für Biologie?“
 

Endlich sah sie mich an, doch angesichts der Schärfe in ihrem Blick wünschte ich mir, sie hätte es nicht getan. „Ich habe das Fach im Gegensatz zu dir gewählt. Ich mag es nun mal.“
 

„Aha. Verstehe nicht, was man daran mögen soll. Pflanzen und Tiere, mehr brauch man nicht wissen.“
 

„Vergiss es“, fauchte sie und vertiefte sich wieder in ihren Aufsatz.
 

Ich wechselte mit Tristan einen unserer Typisch-Mädchen-Blicke und beließ es dabei.
 

oOo
 

In der Klasse wurde ich von meinen aufgeregten Mitschülern erwartet, die allesamt auf mich einstürmten und mich mit Fragen überschütteten. Was genau gestern mit mir los gewesen wäre, was der Auslöser für mein noch schrägeres Verhalten gewesen wäre, was im Krankenhaus diagnostiziert – ja, ich hatte Kaiba gestern trotz meiner Halluzinationen zugehört – hatten und noch viele andere Fragen, die ich jedoch in dem ganzen Stimmengewirr um mich herum nicht verstehen, geschweige denn beantworten konnte.
 

Das Etikett auf den Tabletten hat nicht gestimmt. Anstatt von Kalzium hat man mir Opium gegeben, davon habe ich dann eine allergische Reaktion erlitten.
 

Obwohl es nicht an dem Etikett gelegen hatte, wollte ich den Schularzt nicht durch einen Fehler in Verruf bringen. Er hatte sich bereits gestern ausgiebig bei mir entschuldigt, bevor Tristan mich mitgenommen hatte und ich war nicht der Typ Mensch, der lange nachtragend war. Ich hieß auch nicht Kaiba.
 

„Sieh an Wheeler, du hast uns also nicht den Gefallen getan, das Zeitliche zu segnen?“
 

Wo man gerade an den Teufel dachte ...

Selbst die Tatsache, dass ich gestern einen allergischen Schock erlitten hatte und im Sportunterricht über den Bock gestürzt war, hielt Kaiba nicht davon ab, mich zu tyrannisieren. Wahrscheinlich würde lediglich mein frühzeitiges Ableben ihn davon abhalten.
 

Die anderen Schüler zerstreuten sich allmählich und ich warf Kaiba im Vorbeigehen einen hasserfüllten Blick zu. „Der Tag, an dem ich dir einen Gefallen tue, muss erst noch erfunden werden.“
 

Ich warf meine Schultasche auf meinen Platz und ließ mich gekonnt auf meinem Stuhl nieder. Bequem lehnte ich mich zurück und bedachte Kaiba weiterhin mit finsteren Blicken. Er beachtete mich nicht einmal. Mistkerl.
 

Die erste Stunde verlief ereignislos. Verglichen mit gestern erschien nun alles ereignislos, was nicht annähernd mit Halluzinationen, Kalzium oder Bockspringen zu tun hatte. Die Schulglocke läutete, in der Pause versuchte ich Kaiba zu provozieren, dann begann die zweite Stunde. Hatte ich mit einer friedlichen Politikstunde gerechnet, so wurde ich allerdings enttäuscht.
 

„Wir werden uns heute in einem Rollenspiel versuchen.“
 

Lehrer waren Sadisten und ließen sich auch durch das akkurate Aufstöhnen sämtlicher Schüler - mir inbegriffen - nicht aus der Ruhe bringen. „Jetzt habt euch nicht so. Wir befassen uns derzeit mit dem Rechtswesen, darum werden wir heute eine Situation in einem Gerichtssaal nachstellen.“
 

Gelangweilt saß ich auf meinem Platz, den Kopf auf die Hand gestützt und sah aus dem Fenster, während ich die Worte meiner Lehrerin nur am Rande mitbekam. Stattdessen schien der blaue Himmel mit einem Mal geradezu lächerlich faszinierend. Der Versuch, mich von dem Geschehen um mich herum abzukoppeln wäre auch beinahe gelungen, hätte nicht ein einzelnes Wort seinen Weg in mein Bewusstsein gefunden, und mich aus meinem Tagtraum gerissen.
 

Gerichtsverhandlung.
 

Im ersten Moment hatte ich das irritierende Gefühl, auf den Arm genommen zu werden, doch als ich meine Aufmerksamkeit auf die Worte der Lehrerin richtete, wurde mir klar, dass das Wort keinesfalls meiner Fantasie entsprang.
 

„.... werden wir unser bereits erlangtes Wissen noch einmal zusammenfassen und auf die Probe stellen. Ich werde euch gleich in Gruppen aufteilen und jede Gruppe bekommt eine andere Rolle innerhalb einer Gerichtsverhandlung zugeteilt. Ihr werdet euch innerhalb der Gruppen beraten, des weiteren werde ich euch einen Zettel mit den Informationen über den Gerichtsfall verteilen, damit ihr wisst, wofür ihr Argumente – und noch viel wichtiger – welche Argumente ihr sammeln müsst. Anschließend wird aus jeder Gruppe ein Vertreter gewählt, welcher an einer gespielten Gerichtsverhandlung teilnimmt. Ihr werdet also im Verlauf der Stunde einen Eindruck vermittelt bekommen, wie eine Gerichtsverhandlung verlaufen kann.“
 

Als sie endete herrschte in der Klasse betretenes Schweigen. Niemand wagte etwas zu sagen, geschweige denn eine Frage zu stellen. Auch schien keiner angetan von dem Gedanken, möglicherweise an einer geschauspielerten Gerichtsverhandlung teilnehmen zu müssen.
 

„Na gut ... ich sehe, ihr scheint skeptisch.“ Wie recht sie doch damit hatte. „Ich werde jetzt die Zettel verteilen und die Gruppen einteilen. Am besten wir losen aus.“
 

Auslosen war eine einfache Methode, komplizierte und sich hinziehende Verfahren zu verkürzen. Als schließlich jeder einer Gruppe zugeteilt wurde, war der Klassenraum erfüllt von Stimmengewirr, während die Schüler sich in ihren Gruppen zusammenfanden.
 

„Na das nenne ich einen Zufall“, bemerkte ich grinsend und setzte mich zu Bakura, welcher mit einem Lächeln antwortete.
 

„Joey, bist du auch Staatsanwalt?“

„Sieht ganz so aus.“

„Gehört außer uns niemand in die Gruppen?“ Ich blickte mich irritiert um. Abgesehen von uns beiden hatten sich in der Klasse ausschließlich Dreiergruppen gebildet.

Bakura tat es mir gleich und zuckte anschließend die Schultern. „Scheint so, als wären wir das einzige Duo.“

„Na mir soll’s recht sein.“
 

Ich warf einen Blick auf die Informationszettel über den Fall. „Und, was erwartet uns in dieser spannenden Gerichtsverhandlung?“ Meine Stimme war getränkt von Sarkasmus. „Ich hoffe doch, Mord und Totschlag und eine Verfolgungsjagd mit gehörigem Blechschaden“
 

Bakura verzog belustigt die Lippen, schüttelte jedoch den Kopf. „Ich fürchte, ich muss dich enttäuschen, Joey. Allerdings beinhaltet die Anklage versuchten Mord und außerdem Belästigung.“
 

Ich verengte nachdenklich die Augen. „Wie darf ich das jetzt verstehen? Versuchter Mord und Belästigung? Wie passt denn das eine zum anderen. Ist versuchter Mord nicht schon Belästigung genug?“
 

„Fast“, stimmte Bakura zu und beugte sich vor. Er deutete Auf einen Abschnitt auf dem Zettel. „Hier steht, dass der Angeklagte, das Opfer vor seinem Versuch per Telefon Drohungen übermittelt hat. Er hat das Opfer massiv belästigt, auch mit Briefen und E-Mails.“
 

„Also ein Stalker?“
 

„Nicht unbedingt. Wäre aber möglich.“
 

„Wir sind die Staatsanwälte, das heißt wir müssen Argumente für die Schuld des Angeklagten sammeln.“
 

„Zum einen ja. Auf dem Zettel steht aber auch, dass es einen Zeugen gibt, das heißt, wir dürfen offenbar auch jemanden befragen. Also sollten wir nicht nur Argumente sammeln, sondern auch Fragen aufschreiben.“
 

„Schreiben?“, entfuhr es mir. „Reicht es nicht, sie sich zu merken.“ Bakuras Blick sagte mehr als Worte. Seufzend schlug ich meinen Block auf und begann zu schreiben.
 

„Ich gehe nie ins Rechtswesen!“, stöhnte ich Minuten später frustriert und vergrub meinen Kopf in den Armen. „Was muss ein Staatsanwalt denn noch alles beachten? Reicht es denn nicht, ein paar dumme Fragen zu stellen und das war’s? Schuldig und fertig?“
 

„Deinen Worten entnehme ich, dass du dich freiwillig meldest?“ Die Stimme meiner Lehrerin ließ mich hochfahren. Entsetzt starrte ich sie an, konnte mir ihr unerwartetes Erscheinen nicht erklären. „Nein, das hab ich nicht so gemeint! Was ich sagen wollte, war –“
 

Ich konnte mir jedes weitere Wort sparen, denn es war überflüssig. Ich fand mich schließlich in einem provisorischen Gerichtssaal, bestehend aus den Tischen und Stühlen der Schüler, wieder. Die einzige Ausnahme bildete der Tisch des Richters, das Lehrerpult. Mit finsterer Miene stand ich im Klassenraum, spürte die Blicke derjenigen, die der Auswahl entronnen waren auf mir und verfluchte innerlich sämtliche Personen, mich, meine Lehrerin und denjenigen, der für all dies verantwortlich war – wenn es denn eine höhere Macht gab.
 

„Ihr könnt anfangen.“ Ich verbiss mir einen beißenden Kommentar, der mir angesichts dieser überflüssigen Worte auf der Zunge lag und wandte mich Yugi zu, der hinter dem Lehrerpult saß, einen provisorischen Hammer in der Hand – wir hatten nichts Besseres als Tristans halbvolle Wasserflasche auftreiben können, aber immerhin war sie relativ gut zu hören, wenn man nur fest genug mit ihr auf den Tisch schlug – und warf ihm einen fragenden Blick zu. Er erwiderte ihn nicht minder hilflos. Das sah ich als Bestätigung und nickte ihm zu.
 

„Nun, wir habe uns heute hier versammelt“, begann ich, wurde jedoch von Kaiba unterbrochen, der auf einem Stuhl ganz in meiner Nähe saß und mich abfällig musterte.
 

„Wheeler, der Richter eröffnet die Verhandlung, nicht der Staatsanwalt. Außerdem sind wir hier in einem Gericht und nicht bei einer Hochzeit.“ Er schien gereizter als sonst. (Ich konnte es ihm zugegebenermaßen nicht wirklich verübeln ...)
 

Ich gab mich gelassen und sah mich demonstrativ in der Klasse um. „Also wie ein Gerichtssaal wirkt das hier nicht wirklich auf mich. Ich glaube, der wäre weitaus sauberer.“ Vereinzeltes Lachen folgte und zufrieden funkelte ich Kaiba an.
 

„Gut, dann erkläre ich die Verhandlung dann wohl für eröffnet“, lenkte Yugi zögernd ein und berührte mit der Flasche zaghaft den Tisch. Man hörte lediglich das Wasser in ihr plätschern. „Joey – ich meine, Herr Staatsanwalt, verlesen Sie die Anklage.“
 

Anklage verlesen? Ich blickte hilfesuchend zu Bakura. Anklage verlesen? Niemand hatte mir etwa davon gesagt. Ich war nicht vorbereitet! Ich räusperte mich, um Zeit zu gewinnen, blickte auf meine Notizen hinab und setzte zum Sprechen an:
 

„Äh ja, die Anklage. Der Angeklagte wird angeklagt“ – ich suchte nach Worten, fand keine, wiederholte mich und begann von neuem. „Kaiba – ich meine der Angeklagte“, fügte ich hinzu, als Kaiba mir einen warnenden Blick zuwarf, „soll angeblich das Opfer in der Nacht vom ...“, eine Pause entstand, während der ich feststellte, dass es besser gewesen wäre, die Informationszettel gründlich zu lesen, „in einer Nacht das Opfer überfallen und schwer verletzt haben.“ Ich kam mir vor wie der letzte Idiot. Was sollte uns dieses lächerliche Schauspiel bitte bringen? „Außerdem soll er dem Opfer bereits Wochen zuvor mehrfach gedroht haben, in Form von Briefen, Anrufen und, äh, E-Mails.“
 

Ich sah mich um, wartete auf eine Reaktion und als keine folgte, beschloss ich, meine Aufgabe als erledigt zu sehen.
 

„Dann wäre das geklärt“, sagte Yugi und richtete sich an Kaiba, welcher auf einem Stuhl wenige Meter neben mir saß. „Bekennt sich der Angeklagte für schuldig?“
 

„Nicht schuldig“, knurrte Kaiba mit finsterer Miene. Ihm missfiel die Situation in etwa so sehr wie mir. Auch er war gegen seinen Willen in dieser Verhandlung. So paradox es auch klang, wir waren Leidensgenossen.
 

„Aha, dann hätten wir das auch.“
 

Ich seufzte und schloss die Augen. Ich hätte heute Morgen einfach im Bett bleiben sollen.
 

Dieselbe Ansicht vertrat ich auch noch zehn Minuten später, nachdem die Zeugen – es hatte sich herausgestellt, dass es ganze drei Zeugengruppen gegeben hatte – befragt worden waren, ein Profilbild des Täters (es hatte keine Ähnlichkeit mit Kaiba) vorgestellt worden war und das Opfer selbst – vertreten durch einen fabelhaft schauspielernden Duke - ausgesagt hatte. Meine Nerven waren gespannt wie selten zuvor, als Kaiba, der Angeklagte, in den Zeugenstand musste.
 

Ich griff zum ersten Mal nach dem Mathebuch neben mir und hielt es ihm entgegen. „Schwörst du die Wahrheit zu sagen, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit?“, zitierte ich den bekannten Spruch aus zahllosen Filmen und grinste dabei gehässig. Sein Blick, düsterer als ein Himmel bei bevorstehendem Gewitter, war Antwort genug.
 

Ich legte das Buch beiseite. „Jegliche Lüge kann dich strafbar machen, ich hoffe, das weißt du, Kaiba.“ Er knurrte. Allmählich fand ich Gefallen an der Situation. Kaiba musste auf meine Fragen antworten. Ich begann auf dieselbe Art und Weise, wie bei den anderen und stellte dieselben Fragen.
 

‚Wie ist dein Name?’, ‚Wo warst du in der Nacht ...?’ und alle wichtigen Fragen, die ich mich zusammen mit Bakura notiert hatte. Kaiba antwortete monoton und je länger die Befragung dauerte, desto mehr schwand meine Motivation. Es machte keinen Spaß, wenn Kaiba so reserviert antwortete. Ich musste andere Methoden finden, um ihn aus dem Konzept zu bringen.
 

„Welche Beziehung hattest du zum Opfer?“, las ich von meinem Zettel ab.
 

„Wir kannten uns flüchtig“, antwortete Kaiba ohne aufzublicken.
 

Ich beschloss, gegen meine Notizen zu fragen. Ich ließ den Zettel sinken und sah Kaiba direkt an. „Hattet ihr ein Verhältnis?“
 

Kaiba hatte tatsächlich nicht mit dieser Frage gerechnet, denn nun sah er auf. „Was?“
 

„Hattest du ein Verhältnis mit dem Opfer?“, wiederholte ich die Frage. Überhaupt war dieser Aspekt in der gesamten „Verhandlung“ kein einziges Mal berücksichtigt worden. Seltsam, denn in Filmen war es das erste, wonach gefragt wurde.
 

„Nein“, erwiderte Kaiba kalt, als er sich wieder gefasst hatte. Ich ließ nicht locker.
 

„Bestand kein engeres Verhältnis?“

„Wir kannten uns kaum.“

„Der Telefonliste nach hast du das Opfer mehrfach angerufen. Eine flüchtige Bekanntschaft zeichnet sich durch wenig Kommunikation miteinander aus.“

„Es ging um eine Frage, die ich hatte.“

„Konnte diese Frage nicht anders beantwortet werden? Musste dafür achtzehn Mal bei dem Opfer angerufen werden? Noch dazu am Tag, bevor die Tat geschah? Für mich ist das ein eindeutiger Beweis.“

„Es beweis nichts.“

„Hast du das Opfer achtzehn Mal angerufen.“

„Ja.“

„Ist das ein Geständnis?“

„Nein.“

„Aber du gibst zu, das Opfer mehr als nur flüchtig gekannt zu haben?“

„Nein.“
 

Wir starrten uns an, beide nicht bereit, unseren Standpunkt aufzugeben. Es ging nicht mehr um den eigentlichen Fall. Es ging vielmehr darum, wer Recht hatte. Ich verzog die Lippen zu einem Grinsen und wagte einen Angriff nach vorne.
 

„Warum hast du auf keinen der Anrufe reagiert?“
 

Ich sprach von gestern, als ich durch meinen erneuten Telefonterror stumme Rache an Kaiba geübt hatte. Rache dafür, dass er sich geweigert hatte, mich ins Krankenhaus zu fahren. Obwohl ich mir einredete, dass es mich nicht störte, von ihm ignoriert worden zu sein, war da doch dieses Gefühl der Empörung darüber, dass er tatsächlich die Frechheit besessen hatte, meine Anrufe nicht zu beachten. Zu meiner eigenen Überraschung schien er dem Sprung meiner Gedanken mühelos folgen zu können.
 

„Warum hätte ich reagieren sollen?“

„Weil du verdammt noch mal dazu verpflichtet bist, darauf zu reagieren!“

„Nicht dass ich wüsste.“

„Es ist deine Firma!“

„Ich habe Angestellte dafür.“

„Na und? Kannst du zur Abwechslung nicht auch ein bisschen mehr Einsatz zeigen?“

„Ich habe deine Nachricht erhalten, wenn es das ist, worauf du anspielst, Wheeler.“
 

‚Sagen Sie ihrem Mistkerl von einem Chef, das Heulern verdammt scharfe Zähne wachsen!’
 

Sekundenlang lag dieser Satz zwischen uns, als hätte ich ihn tatsächlich wiederholt. Sekundenlang starrten wir uns stumm an, sekundenlang herrschte bedrückende Stille im Klassenraum. Jedem musste mittlerweile klar geworden sein, dass die gestellte Verhandlung nicht mehr das Thema unseres Gesprächs darstellte, doch niemand wagte es, sich einzuschalten.
 

„Warum hast du dich gestern geweigert, mich ins Krankenhaus zu fahren, Kaiba?“, fragte ich leise und ließ ihn dabei nicht aus den Augen. „Warum hast du dich geweigert?“
 

„Ich habe keinen Grund gesehen, gegenteilig zu handeln.“

„Ich habe halluziniert, verdammt! Was, wenn ich etwas Ernsthaftes gehabt hätte?“

„Und?“

„Was und?!“

„Was willst du mir damit sagen? Denkst du allen Ernstes, ich wäre dazu verpflichtet gewesen, dich zu fahren?“

„Nein, aber das nennt man Selbstverständlichkeit!“

„Davon weiß ich nichts.“

„Du scheinst vieles nicht zu wissen!“, zischte ich und wurde noch eine Spur leiser. „Worte wie Hilfeleistung und Menschlichkeit sind fremd für dich, du kennst sie wahrscheinlich nur aus einem Wörterbuch, findest aber nie Verwendung für sie, habe ich Recht?“
 

„Wheeler.“ Seine Worte waren mahnend, sein Gesichtsausdruck mehr als ernst.
 

„Es ist ja nicht so, als ob es das erste Mal wäre, dass es dir egal wäre, was mit mir ist. Gib es zu, wenn es nach dir gegangen wäre, hätte ich gestern überhaupt nicht ins Krankenhaus kommen dürfen oder? Höchstens in eine Tierklinik, weil du mich ja seit jeher nur mit Tieren gleichsetzt!“
 

Wheeler. “ Sein Tonfall wurde schärfer.
 

Doch ich achtete nicht darauf. Ich hatte Kaiba vor mir, er musste mir zuhören, endlich konnte ich meiner Empörung Luft machen. Ich beugte mich weiter vor. „Aber auch das ist dir egal, nicht wahr, Kaiba? Weißt du, dass mich deine ganze Einstellung tierisch nervt? Immer bist du etwas Besseres, immer bin ich nicht mehr als ein störender Klotz am Bein, weil es deiner Meinung nach so gehört. Weißt du eigentlich, dass selbst deine Angestellten diese Einstellung vermitteln? Wahrscheinlich hast du es ihnen so eingebläut und wenn sie sich nicht daran halten, dann werden sie gefeuert und durch jemanden ersetzt, der nur darauf wartet, den Job zu bekommen, weil die ganze Welt ja so heiß darauf ist, sich für dich wund zu arbeiten!“
 

„Wheeler!“ Er hatte sich erhoben, stand nun vor mir und zum ersten Mal schienen die wenigen Zentimeter, die er mich überragte wirklich von Bedeutung zu sein. Seine Augen waren schmal, seine Augenbrauen unheilvoll zusammengezogen. Unmissverständlicher Zorn schlug mir entgegen, als er mich direkt ansah, alle Gleichgültigkeit aus seinem Gesicht gewichen war. „Pass auf, was du sagst.“ Seine Stemme bebte vor zurückgehaltener Wut.
 

„Warum?“, entgegnete ich kampflustig und reckte mich ein Stück, um den Größenunterschied zu kaschieren. „Weil du mich dann zum Schwiegen bringen wirst, wie alle anderen, die es wagen, den Mund in deiner Gegenwart aufzumachen?!“
 

„Wheeler“ – nicht mehr als ein Grollen – „ich warne dich!“
 

Du warnst mich? Das ich nicht lache! Kaiba, du hast mir schon so oft gedroht und habe ich mich je einschüchtern lassen? Nicht, dass ich wüsste.“
 

„Du scheinst noch immer nicht ganz auf der Höhe zu sein, Wheeler“, bemerkte Kaiba kalt. „Andernfalls wärst du nie so leichtsinnig, wie im Moment.“
 

„Ach, jetzt bin ich also nicht ganz auf der Höhe?“, höhnte ich. „Klar Kaiba, in Wahrheit halluziniere ich noch und sehe gerade Tristan vor mir. Sicher, man kann sich alles schönreden. Hast du noch mehr solche einzigartigen Diagnosen – ja Kaiba, stell dir vor ich habe mir das Wort gemerkt! – für mich?“
 

Er hatte mich schneller am Kragen gepackt, als ich reagieren konnte. Bevor ich protestieren konnte hatte er mich ruckartig zu sich gezogen und blickte mir eindringlich in die Augen „Jetzt bist du zu weit gegangen, Wheeler.“
 

Hinter uns versuchte Tristan, dem die Rolle des Verteidigers aufgezwungen worden war, die Situation mit einem ‚Einspruch!’ vor einer Eskalation zu bewahren. Er kam zu spät, denn sie war bereits eskaliert. In dem Moment, als ich Kaiba dazu gebracht hatte, seine Gleichgültigkeit zu vergessen, war es zu spät gewesen. Auch Yugis beherztes Klopfen mit der Plastikwasserflasche schien nun viel mehr lächerlich, denn nachdrücklich.
 

Ich blickte Kaiba offen an, sah mich mit einem paar durchdringender blauer Augen konfrontiert und musste feststellen, dass ich ihn noch nie so aus der Fassung erlebt hatte, wie in diesem Moment. Vielleicht, schoss es mir bei diesem Anblick durch den Kopf, obwohl ich wusste, dass diese Einsicht zu spät kam, vielleicht habe ich doch übertrieben.
 

Das unwohle Gefühl in meiner Magengegend erschien wie eine unmissverständliche Bestätigung.
 

oOo
 

Ich war zu weit gegangen. Mehr ließ sich zu meinen Worten im Klassenraum nicht sagen.
 

Der restliche Schultag verstrich ohne einen weiteren Zwischenfall. Eine Wolke der schlechten Stimmung hing über mir und Kaiba, wir würdigten uns keinen weiteren Blick mehr. Genauso schwiegen wir uns an. Wir zeigten mit keiner Regung, dass wir Notiz vom jeweils anderen nahmen, doch die Tatsache, dass ich über unser beider Verhalten bescheid wusste zeigte bereits mehr als deutlich, dass ich mich oft und mit beunruhigender Regelmäßigkeit dabei erwischte, wie mein Blick zu Kaiba wanderte, wie ich nach einer Regung in seinem Gesicht suchte. Etwas, dass ich nicht fand.
 

Ich hatte den Bogen überspannt. Und er war zweifellos gebrochen. Ich wusste nicht genau welche Worte es gewesen waren, die bei Kaiba den sprichwörtlichen Schalter umgelegt hatten, doch umgelegt worden war er, soviel stand fest.
 

Irgendwann war ich es leid, mir Fragen und Vorwürfe von Téa bezüglich meines unmöglichen Verhaltens bei der Gerichtsverhandlung anhören zu müssen und nach der Schule verabschiedete ich mich mit einem knappen Gruß von meinen Freunden, lehnte selbst Tristans Angebot ab, mich auf seinem Motorrad nach Hause zu fahren.
 

Eigentlich hätte ich mich darüber freuen müssen, Kaiba aus der Reserve gelockt zu haben. War es nicht immer mein Ziel gewesen, ihn so weit zu provozieren, bis er die Beherrschung verlor? Warum freute es mich dann nicht, dass er genau das getan hatte? Ich war mir sicher, hätte ich vorher gewusst, wie mies ich mich danach fühlen würde, ich hätte es nie zu meinem Ziel erklärt. Doch nun war es zu spät.
 

Selbst die Frage, warum ich mich so schlecht fühlte, war im Nachhinein leicht zu beantworten: Ich war einfach nicht wie Kaiba. Ich hatte im Gegensatz zu ihm ein Problem damit, andere durch meine Worte nieder zu machen. Auch wenn ich Kaiba nicht wirklich ‚nieder gemacht’ hatte, so hatten meine Worte doch etwas ausgelöst. Etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte und das so gar nicht zu ihm passte. Und genau das war es, was mich dazu brachte, mich schlecht zu fühlen. Womit ich wieder am Anfang wäre.
 

Das skurrilste an der gesamten Situation war jedoch, dass ich mir vor drei Jahren ein Zeitlimit gesetzt hatte. Ein Limit von genau diesen drei Jahren. Ich hatte mir geschworen, als ich Kaiba zum ersten Mal begegnet war, dass ich es schaffen würde, ihn wenigstens ein einziges Mal aus der Reserve zu locken. Ihn ein einziges Mal dazu zu bringen, die Fassung zu verlieren. Und ich gab mir drei Jahre dafür Zeit.
 

Die Frist war vor zwei Wochen abgelaufen. Nannte man das Ironie des Schicksals?
 

oOo
 

Das alles war gestern und heute steht Kaiba vor mir und verklagt mich. Wenn das keine Ironie des Schicksals ist, dann weiß ich auch nicht weiter.
 

Danke Kaiba. Hättest du mich nicht vor zwei Wochen verklagen können? Dann hätte ich wenigstens mein Ziel erreicht und müsste mich nicht ganz so miserabel fühlen. Aber das hat dich ja noch nie gekümmert, stimmt’s?
 

oOo
 

Zeitlimit – bedeutungslos, wenn es auf Kaiba trifft.

Freitag - Retter der Witwen und Waisen

5. Auseinandersetzung: Retter der Witwen und Waisen
 

Im Namen von Seto Kaiba wird der Zivilist Joey Wheeler, wohnhaft und gebürtig in Japan, der Rufschädigung und Missachtung von Autorität angeklagt.
 

Des Weiteren wird erlassen, dass Joey Wheeler nicht befugt ist, sich Seto Kaiba ab dem heutigen Tag ohne Zustimmung weiter als zehn Meter zu nähern. Davon ausgeschlossen ist der Unterricht von Montag bis Freitag, in dessen Zeitraum sich der Mindestabstand auf zwei Meter beschränkt. Außerhalb der Schulzeit ist es Joey Wheeler im Namen von Seto Kaiba untersagt, ihn unaufgefordert anzusprechen, ebenso besteht das Verbot, die städtische Filiale der Kaiba Corporation, sowie den amerikanischen, europäischen oder chinesischen Hauptsitz aufzusuchen.
 

Sollte Joey Wheeler gegen eine der oben genannten Erlasse verstoßen, drohen ihm weitere Zivilklagen und Geldstrafen.
 

Heute Nachmittag um 15.30 Uhr findet im städtischen Gericht die Verhandlung gegen Joey Wheeler statt. Dazu soll der Angeklagte sich in Begleitung eines Anwalts im Verhandlungsraum 13 einfinden. Bei Verspätung oder Nichterscheinen muss mit Geldbußen gerechnet werden.
 

Mit freundlichen Grüßen
 

PR-Abteilung der Kaiba Corporation
 

Hochachtungsvoll
 

Seto Kaiba, CEO
 

oOo
 

Das war ein Witz. Ein schlechter, geschmackloser, billiger Kaibawitz. Anders konnte ich diesen Fetzen blütenweißen Papiers in meiner Hand nicht interpretieren.
 

Ich hockte auf dem Klodeckel in einer Kabine des Jungeklos und starrte fassungslos auf den Brief in meinen Händen. Kaiba konnte das unmöglich ernst meinen. Er konnte mich nicht ernsthaft anklagen. Je länger ich darüber nachdachte, je länger ich die Worte in dem Schreiben auf mich wirken ließ, desto wütender wurde ich.
 

Wie konnte dieser egoistische Mistkerl von einem Pinkel es wagen, mich zu verklagen und noch dazu auf so eine feige, hinterhältige und unverschämte Art und Weise! In dem Brief wurde ich kein einziges Mal direkt angesprochen, man behandelte mich wie einen Gegenstand, ein nichtswürdiges, lästiges Objekt mit keiner Berechtigung zur Existenz! Noch dazu – und das war die schlimmste aller Unverschämtheiten – hatte Kaiba mich einfach so der Berechtigung beraubt, ihm auch nur ansatzweise nahe zu kommen.
 

Zehn Meter. Zehn Meter! Lächerlicher konnte es nicht mehr werden!
 

Dafür würde Kaiba büßen. Ich würde ihn bereuen lassen, mich jemals verklagt zu haben. Sobald dieser Schultag zu Ende war, würde er sich wünschen, niemals gedacht zu haben, mich zu verklagen.
 

Ruckartig erhob ich mich und zerknüllte den Brief achtlos. Zu meinem Glück war noch immer Pause und ich hatte die erste Möglichkeit, Kaiba bereuen zu lassen!
 

Die Toilettentür fiel knallend hinter mir ins Schloss und im Umkreis mehrerer Meter richteten sich sämtliche Blicke auf mich, als ich mich mit entschlossenen Schritten Kaibas Standort näherte. In meiner Rechten hielt ich noch immer das Klageschreiben, das momentane Zentrum meiner Wut, mein Blick richtete sich auf Kaiba und ich ignorierte die Fragenden und besorgten Rufe meiner Freunde, die vor der Toilette auf mich gewartet hatten – ich hatte es kaum wahrgenommen – und nun darum bemüht waren, mit mir Schritt zu halten.
 

Mehr als zehn Meter von Kaiba entfernt blieb ich stehen, den Blick unablässig auf den Urheber meines Hasses gerichtet, den Partner dem Teufels, Satans Gehilfen, dem Halter der eisigen Vorhölle oder kurz – Kaiba, der Schreckliche!
 

Ich war mir bewusst, dass meine Freunde unmittelbar hinter mir standen, dass der Schulhof voller Schüler war, doch diese Tatsachen kümmerten mich nicht halb so sehr, wie Kaiba, der mich noch immer nicht bemerkt hatte. Den Mund vor Abscheu verziehend holte ich mit dem rechten Arm weit aus, zielte und warf.
 

Rein statistisch und physikalisch konnte der zerknüllte Brief Kaiba nie treffen. Er war viel zu leicht, als dass er weit zu werfen war und dennoch, eine Fügung des Schicksals musste es gewesen sein – oder schlicht und ergreifend eine starke Windböe von hinten, kombiniert mit einem starken Wurfarm – wodurch die Papierkugel rasch an Geschwindigkeit gewann und in hohem Bogen über sämtliche Schülerköpfe hinweg, genau auf Kaiba zuflog und ihn noch genauer traf, als irgendein Mathematiker es hätte vorausberechnen können.
 

Ich hörte Téas ersticktes Keuchen hinter mir, ebenso Dukes ungläubigen Ausruf, doch der Großteil meiner Aufmerksamkeit ruhte auf Kaiba, dessen Kopf hoch ruckte, während seine Hände auf der Tastatur seines Laptops verharrten. Sein Blick suchte nach dem Schuldigen und mir war klar, dass er mich inmitten der vielen Schüler zwischen uns und um mich herum kaum würde wahrnehmen können.
 

Ich erhob die Stimme. „He, Kaiba!“. Rief ich über den Lärm des Schulhofs und seine Augen richteten sich augenblicklich auf mich, ebenso sämtliche Blicke der umstehenden Schüler, denen ich jedoch keine Beachtung schenkte. „Kann es sein, dass der Müll dir gehört?“
 

Der Lärmpegel auf dem Schulhof im Umkreis einiger Meter senkte sich merklich, als weitere Schüler auf mich aufmerksam wurden. Verwirrung verbreitete sich, weil niemand wusste, warum ich Kaiba über eine Entfernung von mehr als zehn Metern regelrecht anbrüllte, damit er mich verstand.
 

„Ich schätze, der Abstand ist angemessen, findest du nicht auch?! Das dürften gut elf Meter sein, ich hab dir sogar einen Meter gut geschrieben, bin ich nicht großzügig?“ Ich konnte auf die Entfernung nicht erkennen, ob er erstaunt, wütend oder fassungslos war, doch ich sah, wie seine Lippen sich bewegten und zweifellos meinen Namen formten.
 

„Aber sein wir doch mal ehrlich, wenn es nach dir ginge, dürfte ich nicht einmal dieselbe Luft atmen wie du, nicht wahr?! Ich frage mich, wie du es nur mit mir in einem Raum aushältst, rein mathematisch müsste ich dir dich einen ganz schönen Teil der kostbaren Luft wegatmen. Und bevor ich es vergesse“ – ich hob den Arm und winkte übertrieben hektisch, um seine Aufmerksamkeit noch länger auf mich zu richten – „zählt es eigentlich zu Vertragsbruch, wenn ich von nun an Duke oder Tristan in meinem Namen mit dir sprechen lasse?! Wobei ich ja hier in der Schule durchaus die Erlaubnis dazu habe. Wenn ich es mir recht überlege“, meine Tonlage wurde noch eine Spur lauter, begleitet von deutlich mehr Spott als noch zuvor, „dann darf ich mich dir eigentlich auch auf bis zu zwei Metern nähern, war es nicht so? Na wenn das kein Privileg ist?“
 

Lachend setzte ich mich in Bewegung, mir der Tatsache bewusst, dass sämtliche Anwesenden auf dem Schulhof mich mittlerweile unverhohlen anstarrten, während der Lärmpegel einen nie da gewesenen Tiefpunkt erreichte. Als ich gut zwei Meter von Kaiba entfernt war, blieb ich stehen. Schritte dicht hinter mir verdeutlichten, dass Yugi, Téa, Tristan und Duke mir gefolgt waren.
 

Endlich konnte ich Kaibas Gesichtszüge deutlich erkennen und ihnen stand unverhohlener Zorn. „Wheeler, was in Teufels Namen ist in dich gefahren? Hast du soeben den letzten kümmerlichen Rest deines kaum existenten Verstandes verloren oder was tust du gerade?!“ Seine Worte waren nicht mehr als ein um Beherrschung ringendes Zischen und mit einer raschen Bewegung klappte er seien Laptop zu. Das Geräusch, welches entstand, hallte seltsam dumpf in meinen Ohren nach.
 

Seine Worte schüchterten mich nicht im Geringsten ein. Stattdessen verschränkte ich überlegen die Arme vor der Brust und blickte selbstsicher auf ihn herab. „Ich tue nur das, was mir noch erlaubt ist. In dem Abklatsch von einer Anklage oder was auch immer dieser Müll sein sollte“, ich machte eine wegwerfende Handbewegung in die Richtung, in die der zerknüllte Brief gerollt war, nachdem er Kaiba getroffen hatte, „stand nicht, dass ich während der Schulzeit, nicht mit dir reden darf. Außerdem“, nun verzogen sich meine Lippen zu einem gehässigen Grinsen, „war von reden die tatsächliche Rede und nicht von schreien. Du siehst also, ich verstoße gegen keine meiner Auflagen. Selbst wenn du wolltest, könntest du mir augenblicklich nichts anhängen, da ich dich lediglich“ – und nun erhob ich erneut die Stimme – „nett anschreie!
 

„Du bist verrückt, Köter. Geh mir aus den Augen, dein Anblick ist eine Beleidigung.“

„Du willst nicht wissen, was dein Anblick jedes Mal bei mir auslöst, Kaiba.“

„Und trotzdem zieht es dich immer wieder zu mir, Wheeler“, bemerkte er scharf. „Da stellt sich mir die Frage, welch eine Faszination ich auf dich ausüben muss, dass du einfach nicht ohne mich zu können scheinst. Ist es die Tatsache, dass ich im Gegensatz zu dir ein Gewinner bin, mein Geld oder meine Ausstrahlung?“
 

Ich musste den Drang niederkämpfen, zu knurren. „Weder noch. Es ist der Drang, dir zu beweisen, dass auf diesem Planeten nicht jeder bereits ist, alles zu tun, damit du dich am Ende gut fühlst. Leute wie du und gerade du müssen lernen, dass sie nicht das Zentrum des Universums sind, sondern nur ein kleiner, unbedeutender Teil davon, wie alle anderen.“
 

„Nett gesagt Wheeler und wenn die Worte nicht von dir kommen würden, würde ich mir sogar die Mühe machen, einige Sekunde über ihre Wertlosigkeit nachzudenken, doch nun entschuldige mich.“ Er erhob sich, den Laptop unter dem Arm. Als er an mir vorbeiging, schnellte meine Hand nach vorne und ich packte ihn am Arm. Stechend richtete sich sein Blick auf mich, doch ich war schneller, bevor er sprechen konnte.
 

„Es könnte mir nicht gleichgültiger sein, ob ich hiermit gegen einen deiner absolut lächerlichen Erlasse verstoße, meinetwegen tue ich es auch noch zehn Mal, aber merk dir das, Kaiba: Du hast mich nicht umsonst verklagt.“ Meine Stimme war nicht mehr als ein Knurren, sodass nur Kaiba mich verstand.
 

Er zeigte sich mit keiner Regung von meinen Worten beeindruckt. „Damit wären wir bei der ersten Geldbuße, Wheeler.“ Dann riss er sich von mir los und ging, ohne mich weiter zu beachten.
 

Als Kaiba verschwunden war, wurde ich mir der Aufmerksamkeit bewusst, die sich nun auf mich richtete. Ich blickte mich um, wunderte mich über die Stille auf dem Schulhof und zuckte die Schultern. „Habt ihr nichts zu tun? Wenn es euch dann besser geht, tut einfach so, als habe das hier nie stattgefunden.“
 

Nie wieder im Verlauf der zukünftigen Schulgeschichte würde die erste Pause an diesem Freitag auch nur eine Erwähnung finden.
 

oOo
 

„Ich habe mich entschieden - diese Anklage soll Kaiba nicht ungestraft gemacht haben. Sie ist ein Aufmarschbeispiel für all die, die Kaiba schon zu unrecht verklagt hat und –“

„Paradebeispiel“, unterbrach Téa mich genervt und ich stockte.

„Wer?“

„Es heißt Paradebeispiel, nicht Aufmarschbeispiel. Wo hast du das nun wieder aufgeschnappt?“
 

„Ist doch auch egal. Ich werde jedenfalls dafür sorgen, dass Kaiba den Tag noch verfluchen wird, an dem er mich, Joey Wheeler, verklagt hat.“ Theatralisch legte ich eine Hand auf die Brust, dann beugte ich mich verstohlen zur Seite und raunte Tristan zu: „Heute ist nicht zufällig der dreizehnte? Dann könnte ich Kaibas eindeutigen Fehler noch durch Pech begründen und würde dazu Ausstrahlungspunkte sammeln können.“
 

„Nee, Alter, heute ist der siebte.“

„Verdammt.“

„Du willst dich echt zum Rächer machen?“

„Nicht Rächer, Tristan. Ich bin ein Retter!“

„Ein Retter der Witwen und Waisen, was?“, spottete er. „Nimm dich vor den Witwen in Acht.“

„Ach quatsch.“
 

„Komm mal wieder runter, Joey“, holten Téas mahnende Worte mich schmerzhaft in die Realität zurück. „Dir scheint nicht ganz klar zu sein, in welcher Lage du momentan steckst!“
 

„Wieso? Ich habe Kaiba genau da, wo ich ihn haben will. Er sitzt jetzt wahrscheinlich in der Schulbibliothek und kann sich vor Angst nicht mehr halten.“ Diese Worte waren lachhaft, aber die Vorstellung, sie könnten in einer Parallelwelt möglicherweise zutreffen, war es einfach wert.
 

Téa schien anderer Meinung zu sein. Ein schmerzhafter Griff an meinem Ohr holte mich rasch auf den Boden der Tatsachen zurück. „Du hast heute Nachmittag eine Vorladung ins Gericht und hast keinen Anwalt! Wie willst du auch nur eine Minute gegen Kaiba und seine millionenteuren Staranwälte bestehen, wenn du dich nicht einmal ein bisschen verteidigen kannst?!“
 

„Au, au, au, au, – Téa, lass los, ich – au!“ Ich heulte auf, als ihr Griff eine Spur fester wurde. „Daran hab ich nicht gedacht – au! – tut mir – au, au! – leid, ich dachte, ich könnte – Téa, mein Ohr stirbt ab!“ Endlich ließ sie los und ich wich einige Schritte zurück, mir murrend und jammernd das malträtierte, pochende Ohr reibend.
 

Seufzend ließ sie sich auf einen Stuhl im leeren Klassenzimmer fallen und warf einen Blick auf dir Uhr an der Wand. „Joey, die Freistunde dauert noch zwanzig Minuten, wenn wir bis dahin keine halbwegs brauchbare Lösung haben, wir Kaiba dich heute Nachmittag so hoch verklagen, dass dir Hören und Sehen vergeht!“
 

Ich schluckte schwer. In einem Anflug destruktiven Pessimismus bemerkte ich: „Das kann er nicht. Er weiß, dass es bei mir nicht viel zu holen gibt.“ Ich lachte wenig überzeugend. „Oder kann er?“, fügte ich unsicher hinzu. Téas Blick war Antwort genug und ich wurde blass. „Scheiße.“
 

„Schön, dass dir das auch endlich bewusst wird.“

„Aber Kaiba kann unmöglich vorhaben, mich hoch zu verklagen!“, warf ich ein und erkannte im Moment des Aussprechens die Lächerlichkeit meiner Worte.
 

„Na und? Dann fordert er eben eine Zivilstrafe, Sozialstunden oder was weiß ich?! Willst du am Ende den Grünstreifen der Autobahn abklappern und Müll aufsammeln?“
 

Bei dem alleinigen Gedanken daran wurde mir ganz anders. „Nein“, gab ich kleinlaut zu und senkte den Blick.
 

„Du könntest dich bei Kaiba entschuldigen.“ Es waren die ersten Worte, die Yugi seit langem sprach und ich stellte fest, dass er von mir aus noch gut weitere Minuten hätte schweigen können, wenn er dadurch niemals diese Worte ausgesprochen hätte.
 

„Auf keinen Fall!“
 

„Joey, sei nicht albern!“, wies Téa mich scharf zurecht. „Wenn du es nicht wenigstens versuchst, dann kannst du gleich den Eimer und das Kehrblech holen!“
 

„Na und? Das wäre noch immer besser, als sich bei Kaiba zu entschuldigen!“, protestierte ich. „Ihr wisst doch, wie er ist! Er würde mich auslachen, dann würde er über mich herziehen und die Anklage trotzdem nicht fallen lassen. Das ist Kaiba, ich könnte ihm Rosen und Pralinen schenken und er würde erst nach dem Preis fragen, dann lachen und sie schließlich in den Müll werfen, ohne etwas an seiner Meinung zu ändern!“ Ich starrte sie wütend an und brauchte Sekunden, um die bedrückende Stille zu realisieren. „Was ist?“
 

„Das war ein sehr“, Duke räusperte sich unangenehm berührt, „blumiger Vergleich, wenn du verstehst, was ich meine.“
 

„Hä?“
 

Zweideutig“, fügte er erklärend hinzu und verdrehte angesichts meiner Ratlosigkeit die Augen. „Joey - Kaiba, Rosen und Pralinen in einem Satz von dir. Noch dazu dein seltsames Verhalten und ...“ Er brach ab und zuckte hilflos die Schultern.
 

„Ihr denkt ... ich will Kaiba Rosen und Pralinen schenken?“, fragte ich fassungslos. „Aber warum sollte ich so was absolut wahnsinniges tun?!“
 

„Das ist es ja“, meinte Tristan und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „In den letzten Tagen verhältst du dich im Bezug auf Kaiba mehr als nur schräg. Und wir meinen richtig schräg, nicht das übliche.“
 

Ich schwieg und Téa fuhr fort: „Du stürmst am Montag mitten im Unterricht aus dem Raum und verbarrikadierst dich im Jungenklo und kommst erst raus, nachdem Kaiba bei dir war. Am Dienstag willst du plötzlich seine Telefonnummer haben, am Mittwoch halluzinierst du von ihm und gestern“, sie machte eine bedeutungsschwere Pause, „du hast keine Ahnung, was für einen Eindruck euer Dialog im Gerichtsrollenspiel auf alle gemacht hat, oder?“
 

Ich schüttelte hilflos den Kopf. „Ich dachte, das wäre klar. Ich hab ihn zur Rede gestellt und bin zu weit gegangen, woraufhin er die Beherrschung verloren hat.“
 

„Schon, aber du klangst, als ob es dir sehr sehr ernst wäre und offen gesagt“, sie sah mir fest in die Augen, „schien es beinahe wie ein Beziehungsstreit.“
 

Und endlich verstand ich das seltsame Verhalten meiner Freunde. Was mir allerdings nicht auffiel, war, dass ich nicht widersprach, sondern einfach nur schwieg und sie anstarrte, bis das Läuten der Schulglocke das Ende der Freistunde verkündete.
 

oOo
 

Beziehungsstreit. Beziehungsstreit. Das konnten sie nicht ernst meinen. Sie irrten sich und hatten zu viel in die Situation hineininterpretiert. Das musste es sein. Es konnte nicht ... die Welt konnte nicht auf einmal derart Kopf stehen. Ich konnte nicht einfach so ohne Vorwarnung Kopf stehen.
 

Es war eine Phase, diese Woche hatte mich körperlich wie geistig stark gestresst, alles resultierte daraus. Dennoch konnte ich es nicht verhindern, dass sich vor meinem inneren Auge Abbilder von Kaiba und mir manifestierten, beleuchtet von den glimmenden Buchstaben des Schriftzugs Beziehungsstreit.
 

~ „Wheeler, ich habe das sagen, keine Widerrede.“

„Kaiba, sieh es ein! Ich bin derjenige, der mehr Erfahrung in Sachen Beziehung hat.“

„In welcher alternativen Welt ist das der Fall, Köter?“

„In der alternativen Realität, Großkotz und jetzt akzeptiere es. Ich hab nicht vor, mich von dir herumkommandieren zu lassen!“

„Hast du Angst, vernachlässigt zu werden? Armer Wheeler, ich werde dir eine Hundehütte bauen lassen und mit einem besonders liebevollen Namensschild verzieren.“

„Dann schenke ich dir bei Gelegenheit einen Kratzbaum, damit du deine Krallen daran wetzen kannst!“

„Dafür hast du sicherlich nicht annähernd genug Geld.“

„Ich hasse dich, Kaiba!“

„Ich dich auch, Wheeler!“ ~
 

„Großer Gott, nein“, entwich es mir voller Verzweiflung und ich vergrub das Gesicht in meinen Händen, dabei ignorierend, dass um mich herum Unterricht stattfand.
 

Die folgenden Schulstunden verbrachte ich in einem Zustand zwischen Apathie und einem Delirium, unansprechbar für meine Freunde und jeden Lehrer. Während der Mittagspause holte Téa mich in die Realität zurück (sie hatte wahrlich einen mädchenuntypischen, schmerzhaften Griff!) und zwang mir das Versprechen ab, mich bei Kaiba zu entschuldigen. Die Mittagspause war keine fünf Minuten alt, da stand ich in ihrer Schuld und sah mich mit dem Problem konfrontiert, Kaiba zu finden, und mich bei ihm zu entschuldigen.
 

In der schuleigenen Cafeteria zu suchen war lachhaft, sie wäre der letzte Ort, an dem Kaiba sich aufhalten würde, darum suchte ich instinktiv zunächst in der Bibliothek nach ihm, und anschließend, nachdem er dort nicht auffindbar war, in dem Aufenthaltsraum der oberen Jahrgänge. Auch hier war er nicht und ich überlegte bereits, ob ich es wagen konnte, Téa ohne Erfolg unter die Augen zu treten, doch eine Vision von ihr, umgeben von einer roten Aura und einem Blitzen in den Augen, lenkte meine Beine automatisch in die entgegengesetzte Richtung.
 

Ausgelaugt, frustriert und mehr als nur wütend auf Kaiba fand ich mich schließlich vor dem unbenutzen Klassenzimmer wieder und verspottete meine Naivität, während ich die Tür aufschob. Kaiba wäre überall, nur ... hier!
 

Tatsächlich sah er an seinem Platz, den Rechner vor sich auf dem Tisch und arbeitete. Es war nicht zu fassen, verbrachte der Wahnsinnige jede Mittagspause hier?! Ich zögerte, bevor ich eintrat und die Tür hinter mir schloss. Er musste mich längst bemerkt haben, schenkte mir jedoch keine Beachtung. Zwei Meter von ihm entfernt griff ich nach einem leeren Stuhl, setzte mich verkehrt herum und stützte mich mit den Ellbogen von der Lehne ab.
 

„Was gibt es, Wheeler?“, fragte Kaiba, ohne mich anzusehen. Er unterbrach seine Arbeit nicht und ich musste zugeben, dass es mich beeindruckte, wie er mit mir sprach und gleichzeitig regelrecht auf seine Tastatur einschlug. Erst dann erinnerte ich mich wieder daran, weswegen ich überhaupt hier war.
 

„Weißt du, es heißt Mittagspause, weil man in dieser Stunde eine Pause macht, Kaiba?“ Das war nicht das, was ich ursprünglich hatte sagen sollen, aber die Worte hatten meinen Mund verlassen, bevor mein Verstand mir Téas Befehl in Erinnerung hatte rufen können.
 

Kaiba verharrte mitten in der Bewegung, hatte das Wort, an welchem er in diesem Moment saß, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht fertig geschrieben und richtete seinen Blick auf mich. „Könntest du das wiederholen, Wheeler?“
 

„Nein“, erwiderte ich selbstbewusst und stützte meinen Kopf auf meine Handflächen, Kaiba dabei provozierend ansehend.
 

„Du erkennst rhetorische Fragen nicht, wenn man sie ausspricht, habe ich Recht?“

„War die Frage jetzt rhetorisch?“

„Gibt es einen Grund, der es auch nur ansatzweise rechtfertigt, weswegen du meine Zeit raubst, Wheeler?“
 

„Wenn es nach mir ginge, nein“, nuschelte ich mehr zu mir selbst und setzte übergangslos und lauter an: „Ja, den gibt es.“
 

„Aha.“ Seine Augenbrauen hoben sich und der Laptop beschien sein Gesicht geradezu gespenstisch.
 

„Entschuldigung.“
 

Sekunden verstrichen, dann hob er die Hand, strich beiläufig über den oberen Rahmen des Laptops als entferne er nicht vorhandenen Staub und richtete anschließend desinteressiert den Blick wieder auf mich. „War das alles?“
 

„Ich denke, das reicht allemal aus!“, protestierte ich empört.
 

„Wenn du es so siehst, Wheeler“, bemerkte er nun eine Spur abweisender und brach den Blickkontakt. „Fühle dich frei, zu gehen.“
 

Ich blieb sitzen, den Blick unverwandt auf Kaiba gerichtet. „Und? Was ist jetzt? Lässt du die Anklage fallen?“
 

„Nein.“
 

Ich spürte, wie mir die Gesichtszüge entglitten. „Bitte?! Wie darf ich das jetzt verstehen? Ich habe mich entschuldigt, zeig ein bisschen mehr Dankbarkeit!“
 

Seine Hand fuhr knallend auf den Tisch hinab, als er sich ruckartig erhob und mich scharf ansah. „Dankbarkeit für was, Wheeler? Dafür, dass du mich seit Tagen belästigst, meine Firma terrorisierst und letztendlich mein Ansehen in der Schule ernsthaft beschädigt hast? Wenn du für diese Verdienste Dankbarkeit suchst, dann in einem Mindestabstand von zehn Metern bei jemand anderem und nirgendwo sonst, hat dein überfordertes Kleinhirn das verstanden?!“
 

„Hat man vergessen, deine Batterien aufzuladen, Mr. Selfmade-Firmenboss, oder sind deine Schaltkreise gerade durchgebrannt?! Was für einen Mist redest du da? Wer terrorisiert hier bitte wen?! Und inwiefern habe ich dein Ansehen beschädigt?! Die Kids aus der unteren Stufe fürchten dich immer noch wie den Vorboten des Bösen und selbst die Schüler aus unserer Stufe wagen sich keinen Meter an dich heran! Bist du so paranoid oder tust du nur so?!“
 

„Damit hast du ein weiteres Bußgeld heraufbeschworen, Wheeler.“

„Na und, was kümmert es mich?! Ich hab von Anfang an gewusst, eine dämliche Entschuldigung wäre eine Verschwendung an dir und es stimmte!“

„Wenn du fertig bist, dann geh.“

„Geh doch selber!“

„Wenn du es darauf anlegst, Köter.“
 

Er klappte den Laptop zu und machte Anstalten, den Klassenraum zu verlassen.
 

„Du läufst echt weg?“, entwich es mir fassungslos.

Kaiba erstarrte. „Weglaufen?“ Er drehte sich zu mir um. „Wer hat etwas von Weglaufen gesagt?“

„Ich.“

„Dann kann ich es nicht ernst nehmen.“

„Du läufst weg, Kaiba.“

„Mach dich nicht lächerlich, Wheeler. Wenn von uns beiden jemand wegläuft, dann du.“

„Aber du stehst vor der Tür.“
 

Diesem Argument hatte der mächtige Seto Kaiba nichts entgegenzusetzen. Mich mit verächtlichen Blicken strafend setzte er sich auf den Platz, der ihm am nächsten war. „Ich laufe nicht davon, Wheeler. Das war bis jetzt deine beste Eigenschaft.“
 

Ich schwieg und musterte ihn lange, versuchte die Erinnerung an das geistige Zwiegespräch, welches Stunden zuvor in meinem Kopf zwischen Kaiba und mir stattgefunden hatte, zu verdrängen. Beziehungsstreit. Lächerlich.
 

„Was ist Wheeler. Wird es heute noch etwas?“ Er deutete auffordernd auf die Klassentür. Ich folgte dem Wink, jedoch lediglich mit meinen Augen und schenkte Kaiba ein ernst gemeintes, mitleidiges Lächeln. „Du hast dich gerade selbst ins Aus manövriert. Ich kann nicht raus, ohne den geheiligten Zwei-Meter-Radius zu durchbrechen.“
 

„Dann tu es von mir aus, wenn du dann endlich verschwindest.“
 

Ich zuckte die Achseln und stand auf. Unberührt, ging ich an ihm vorbei, überschritt die unsichtbare Grenze, besann mich eines Besseren und machte kehrt, bis ich unmittelbar vor ihm stand. Argwöhnisch und abweisend blickte er zu mir hinauf. „Wheeler, verschwinde.“
 

In einer Anwandlung absoluter Todessehnsucht beugte ich mich vor, bis unsere Gesichter auf derselben Höhe waren, dann sagte ich mit einem zuversichtlichen Grinsen auf den Lippen: „Du wirst die Verhandlung heute Nachmittag nie vergessen, dafür werde ich Sorge tragen, Kaiba. Denn ich bin der Retter der Witwen und Waisen!“
 

Welcher Teufel mich ritt, diese vollkommen zusammenhangslosen und unpassenden Worte auszusprechen, wusste ich nicht zu sagen, Tatsache war jedoch, dass ich mich im Nachhinein wesentlich besser fühlte als vor dem Gespräch und am Nachmittag mit ungerechtfertigter Gelassenheit das Gerichtsgebäude betrat.
 

oOo
 

Im Fernsehen wurden Verhandlungen immer als spannend dargestellt. Die Geschworenen saßen rechts oder links neben dem Richtertisch auf ihren Bänken, hatten einen eigenen Bereich für sich und der Richtertisch selbst thronte über denen der Anwälte. Der Zeugenstand war ein kleines Gefängnis für sich, umgeben von Holz und nur durch eine taillenhohe Pforte zu betreten.
 

Der Richter repräsentierte das Gesetz, der Eid, den man schwören musste, die Ehre. Ich war enttäuscht, dass es bei mir nicht so war. Keine Geschworenen, kein Eid, nichts. Niente.
 

Das amerikanische Fernsehen vermittelte uns leichtgläubigen Ausländern viel zu viel Schein. Der Richter, in meinem Fall die Richterin, war in Wirklichkeit gelangweilt, wenn nicht genervt und erpicht darauf, diesen Fall so rasch wie möglich zu beenden. Meine Freunde hatte ich nicht mit hineinbitten dürfen, obwohl Angehörige für gewöhnlich das Recht hatten, dabei zu sein. (Ich wettete, dass Kaiba bei dieser Fügung des Schicksals seine manipulierenden Finger im Spiel hatte!)
 

Spannung fand sich in der Verhandlung nirgendwo. Ich war gelangweilt. Seit zehn Minuten ratterte Kaibas Anwalt (ein äußerst teuer aussehender Krawattenträger mit aristokratischen Zügen und monotoner Stimme) meine Scheinvergehen herunter und selbst die Richterin wirkte seit den letzten fünf Minuten als betete sie innerlich für ein Ende des sich stetig zu wiederholen scheinenden Mantras. Wahrscheinlich hatte die arme Frau einen harten Tag hinter sich.
 

Endlich endete Kaibas Anwalt, schob sich überflüssigerweise die Brille zurecht und setzte sich selbstzufrieden lächelnd auf seinen Platz. Noch immer spürte ich kalte Wut in mir aufwallen, sobald ich zur Seite blickte und mir der leere Platz neben ihm ins Auge fiel. Kaiba hatte es nicht einmal für nötig gesehen, zu erscheinen. Dieser arrogante Bastard!
 

„War es das?“, fragte die Frau und Erleichterung zeichnete sich tatsächlich für wenige Augenblicke auf ihren Zügen ab. Mitgefühl überkam mich, verdrängte die Wut auf Kaiba, als mir klar wurde, dass diese Art von ermüdenden, eintönigen Vorträgen zu ihrem Alltag gehörten. Ich würde lieber schmerzloser sterben, als zu Tode genervt von derartig schmierigen Gestalten wie Kaibas Anwalt.
 

„Ja, euer Ehren.“
 

Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf mich. Ich sah alleine, ohne Anwalt, und fühlte mich mies, angesichts der perfekt zurecht gelegten Anschuldigungen von Kaibas Anwalt gegen mich. Dennoch erschien es mir, als läge ein flüchtiges, mitfühlendes Lächeln auf ihren Lippen. „Hat der Angeklagte noch etwas zu seiner Verteidigung zu sagen?“
 

Ich konnte reden oder für immer schweigen, ganz wie es dem Klischee der Hochzeitsrede entsprach. Doch ich hieß nicht umsonst Joey Wheeler. Ich hatte schon genügend Probleme, da kam es auf eins mehr oder weniger auch nicht an.
 

Ich nickte und stand auf. Mit selbstsicherer Miene und aufrechter Haltung lächelte ich die Richterin in typischer Manier an. Reiß dich zusammen, erklangen Téas eindringliche Worte in meinem Hinterkopf, aller Wahrscheinlichkeit nach mein verzweifelte Akt des kleinen Funkens Vernunft in mir. Sei respektvoll und in Gottes Namen – halte deinen vorlauten Mund im Zaum!
 

Entschuldige Téa, aber dies hier musste einfach sein. „Zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, dass Kaiba und sein Schatten von einer Bulldogge“ – ich machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung des Anwalts – „sich nicht so anstellen sollen. Seien wir doch mal ehrlich, kein Mensch, der halbwegs bei Verstand ist, würde wegen diesen Kleinigkeiten jemanden anklagen, abgesehen von Kaiba. Nur weil er reicher ist, als die meisten in diesem Land muss er nicht denken, dass alles um seinetwillen stattfindet und zu seinen Gunsten endet. Irgendjemand muss ihn doch auf den Boden der Tatsachen zurückbringen, bevor er mit dem Kopf durch die Decke geht!“
 

Ich redete mich in Rage, dennoch nahm ich wahr, dass die Richterin sich stellenweise das Schmunzeln kaum verkneifen konnte, während Kaibas Anwalt neben mit vor Empörung rot anlief.
 

„Und nebenbei bemerkt“, fügte ich hinzu, „wo kämen wir denn hin, wenn stinkreiche Leute mit zu viel Geld alles kontrollieren würden?“
 

Ich sah mich um, nickte zufrieden über das Resultat meiner Worte und setzte mich. Ein um Beherrschung ringendes Räuspern neben mir kündigte den nächsten Angriff der Killerdogge an: „Ich muss doch sehr bitten. Euer Ehren, bitte berücksichtigen Sie in ihrem Urteil, dass der Angeklagte meinen Mandanten beleidigt hat.“
 

Ich verzog das Gesicht. Doch zu meinem Erstaunen reagierte die Frau unwesentlich ähnlich. „Stellen Sie sich nicht so an. Außerdem dürfte es Herrn Kaiba nicht interessieren, was sein Nichterscheinen mehr als nur bestätigt.“
 

Ungläubig blinzelte ich, dem Anwalt fehlten die Worte. Ungeachtet dessen fuhr die Richterin nun an mich gewandt fort: „Offen gesagt, bin ich einer Meinung mit Herrn Wheeler. Unglücklicherweise wird das städtische Gericht nicht unwesentlich von Herrn Kaiba durch großzügige Spenden unterstützt.“
 

Damit gestand sie indirekt ein, dass das Gesetz in dieser Stadt korrupt war. Ade, ihr lieben Träume von einer heilen Welt. Danke Kaiba.
 

„Doch unglücklicherweise“, fuhr sie fort und lächelte, „ist nirgendwo das Maß der Strafe in einem derartigen Fall festgelegt. Herr Kaiba ist zweifellos für eine Verurteilung und er wird sie bekommen. Allerdings lasse ich mildernde Umstände walten. Herr Wheeler, ich erteile ihnen ein Bußgeld von 8.000 Yen und eine Verwarnung. Die Erlasse, welche Seto Kaiba verordnet hat, kann ich nicht gutheißen. Hiermit hebe ich das Verbot der Annäherung auf, was jedoch das Hausverbot seiner Firma betrifft, so ist dies seine Entscheidung, der ich nicht entgegenwirken kann. Die Verhandlung ist geschlossen. Einen schönen Tag noch.“
 

Der richterliche Hammer schlug mehrfach und beendete die Qual. Ich sprang auf, neben mir protestierte Kaibas Anwalt, stieß jedoch bei der Richterin auf taube Ohren. Voller Dankbarkeit lächelte ich ihr zu und sie erwiderte es kurz mit einem Nicken, bevor sich umwandte und den Saal verließ.
 

oOo
 

In meinem Leben lief eindeutig etwas schief. Dieser Fakt wurde mir mehr als nur bewusst, als ich auf den Fluren des Gerichtsgebäudes Kaiba begegnete. Kaiba. Einfach nur lachhaft.
 

„Was tust du hier?!“
 

Er trug einen dunklen Anzug und einen silbernen Koffer bei sich. Bei meinem Anblick hatte er merklich gestutzt und nun verzogen seine Lippen sich spöttisch. „Ich hatte ein Meeting, Wheeler. Ich hatte zwar angenommen, die Verhandlung ging rasch von statten, aber so rasch?“ Seine Augenbrauen wanderten skeptisch in die Höhe.
 

Ich grinste ihn überlegen an. „Tja Kaiba, du bist nicht so einflussreich und mächtig, wie du zu glauben scheinst. Es gibt auch Menschen in dieser Stadt und in diesem Land die nicht korrupt sind.“
 

„Wheeler, dein Wortschatz ist heute überraschend ausgeprägt. Hast du heimlich geübt oder versteckt Garnder sich irgendwo hier und spielt Souffleuse?“
 

Wenn er dachte, er könnte mich jetzt noch reizen, dann hatte er sich sehr tief geschnitten. „Nein Kaiba, ich muss dich enttäuschen. Und es kommt noch besser – ich bin einfach so davongekommen. Ohne Folgen, nur mit einer Verwarnung.“ Das Bußgeld musste ich ihm nicht unter die Nase reiben, davon würde er früher oder später ohnehin erfahren, doch meinen Sieg musste ich auskosten. „Außerdem existiert ab sofort kein magischer Radius mehr, wie du vielleicht daran erkennen kannst, dass ich einen Meter vor dir stehe.“ Feixend verschränkte ich die Arme. „Na, wie schmeckt dir das?“
 

Er zeigte sich unbeeindruckt. „War das alles? Beeindruckend, Wheeler, dieser Sieg, denn nichts anderes scheint dieser für mich unbedeutende Zwischenfall für dich zu sein, geht dir offenbar sehr nahe.“ Seine Stimme ertrank regelrecht in mitleidigem Spott. „Entschuldige, dass ich mich nicht länger mit dir befassen kann, aber ich habe weitaus wichtigere Dinge zu erledigen, als mich mit den Pfotenabdrücken zu befassen, die du in meinem geordneten Leben hinterlässt.“
 

Bevor er sich abwenden konnte, stellte ich die Frage, die meiner Meinung nach angesichts seiner Worte mehr als berechtigt war: „Warum bist du dann gekommen, Kaiba?“
 

Er verharrte in der Bewegung und schenkte mir ein herablassendes Lächeln. „Ursprünglich, um dich verlieren zu sehen aber heute schient nicht der Tag dafür zu sein. Wie dem auch sei, es gibt andere Tage, Wheeler.“
 

Er wandte sich ab und ging. Ich sah ihm nach. „Billige Ausrede“, murmelte ich und war sicher, dass er meine Worte gehört haben musste, doch er reagierte nicht. Als er gegangen war entwich ein frustriertes Seufzen meiner Kehle, bevor ich den Kopf schüttelte und meine Haltung straffte. Kaiba konnte sagen was er wollte.
 

Pfeifend verließ ich das Gerichtsgebäude, traf draußen auf meiner Freunde, welche sich in der Zwischenzeit ein Eis gegönnt hatten – ein wirklich netter Beistand auch wenn Tristan mir versicherte, sie hätten die ganze Zeit über nur an mich gedacht. Sie lachten, als ich ihnen von der Power-Richterin erzählte, doch Yugi wurde stutzig, als ich von Kaibas Auftauchen berichtete. Während Tristan und Duke sich hinter uns um eine Kugel Schokolandeneis kabbelten, fragte Yugi nachdenklich:
 

„Hat er gesagt, bei welchem Meeting er war?“
 

Ich warf meinem besten Freund einen Seitenblick zu. „Natürlich, und danach hat er seinen Koffer geöffnet, die Picknickdecke ausgebreitet und wir haben gemeinsam ein Tässchen Tee getrunken.“
 

„Schon gut, ich meine nur, weil heute Morgen im Radio gesagt wurde, dass heute Nachmittag die Leiter der Führenden Firmen der Stadt zusammenkommen würden, um über zukünftige Planungen und Finanzierung zu beraten.“
 

Ich starrte ihn an. Yugi sah dies als Aufforderung, weiter zu sprechen: „Ich meine damit, dass Kaiba bei diesem Treffen mit inbegriffen gewesen sein muss, weil die Kaiba Corporation einen wesentlichen Beitrag für diese Stadt leistet.“ Noch immer starrte ich ihn wortlos an. „Was ich damit sagen will ist, dass es mich nicht wundert, dass er während deiner Verhandlung nicht anwesend war.“
 

„Du hörst Radio?“, brachte ich schließlich nach weiteren Sekunden der unangenehmen Stille, einzig unterbrochen durch Téas zurechtweisende Worte im Hintergrund, die essentielle Frage zustande.
 

Yugi erlitt einen plötzlichen Anfall von Gleichgewichtsverlust und taumelte. Als er sich wieder gefasst hatte, sah er mich empört an. „Ist das, alles, was dich beschäftigt?! Hast du mir überhaupt zugehört?“
 

„Sorry, Yugi.“ Ich lächelte verlegen und er seufzte.
 

„Worauf ich eigentlich hinauswollte, Joey, ist die Tatsache, dass Kaiba jetzt gerade eigentlich im Rathaus sitzen und sich mit wichtigen Persönlichkeiten treffen sollte. Stattdessen taucht er hier auf. Das ist mehr als nur verdächtig.“
 

„Die haben wahrscheinlich einfach eher Schluss gemacht“, bemerkte ich trocken. „Oder Kaiba hat einen dramatischen frühen Abgang gemacht, das würde zu ihm passen.“
 

„So oder so“, warf Yugi leise ein, „eigentlich hätte er überhaupt nicht hier sein dürfen.“
 

„Und du hast mir das heute Vormittag nicht schon in der Schule gesagt, weil ...?“

„Weil du nie erst zu der Verhandlung erschienen wärst, wenn du gewusst hättest, dass Kaiba nicht kommt.“
 

Verdammt, Yugi kannte mich einfach viel zu gut!
 

oOo
 

Ich sitze in meinem Zimmer und höre Radio. Ich hatte Yugi nicht wirklich geglaubt, doch nun muss ich im zugestehen, dass er tatsächlich recht hatte. Kaiba hätte nie in diesem Gebäude sein dürfen. Dem Radioreporter zufolge hatte das Treffen noch bis in den frühen Abend stattgefunden.
 

Verdammt, was bei allen Duel Monsters hatte Kaiba dann dort gewollt?! Das ergab keinen Sinn!
 

Aufstöhnend lasse ich mich rücklings auf mein Bett fallen, das leise Murmeln des Radios ignorierend und schließe die Augen. Kaiba war ein Buch mit neunundvierzig Siegeln – wer immer einst von sieben Sprach, hatte Kaiba nicht gekannt! Ich würde ihm morgen einen netten Besuch abstatten und eine Antwort verlangen. Kaiba darf damit nicht durchkommen – nicht mit mir!
 

Hinzu kommt, dass für das Bußgeld mein gesamtes Monatsgeld draufgehen wird. Danke Kaiba, es ist zwar ein vergleichsweise geringer Preis, aber dennoch unverzeihlich!
 

oOo
 

Retter der Witwen und Waisen.
 

Eine wahrlich zutreffende Bezeichnung für mich. Zum Sterben schön. Nennt mir eine Witwe und eine Waise, die mehr gestraft sind als ich mit Kaiba.
 

Retter der Witwen und Waisen – nicht, solange Kaiba ein Wort mitzureden hat

Samstag - Paradox

6. Auseinandersetzung: Paradox
 

„Yugi?“

Er Knacken, gefolgt von einem langen, monotonen Laut. Ich presse mir das Gerät fester ans Ohr, warte auf eine Antwort.

„Hallo? Yuuugi ?“

Nichts, abgesehen von dem gleichbleibenden Geräusch. Ich schwanke, lehne mich an die Laterne neben mich und drücke blind auf die Tasten, warte und lauschte benommen. „Yugiiie“, jammere ich leise, „hörst du mich?“ Es tutet, doch niemand meldet sich. Fluchend lasse ich die Hand sinken, unfähig die Verbindung zu trennen. „Scheiß Festnetz.“

Ich rutsche an der Laterne hinab, bleibe auf dem kalten Bordstein sitzen. Tristans Fahrrad liegt bewegungslos neben mir. Ich mustere es und es verschwimmt vor meinen Augen. „Du bist mir auch keine Hilfe“, beklage ich mich. Zu meiner Verwunderung antwortet es nicht.
 

oOo
 

Wenn man mich fragte, so würde ich keinen Moment zögern, zu behaupten, dass Kaibas Verhalten mich in keinstem Maße verwirrte. Nein, mir, Joey Wheeler, bereitete es keine Verwirrung. Ich kannte Kaiba, ich war geradezu ein Experte auf dem Gebiet der Kaibalogie – ich war sogar ihr Mitbegründer. Zusammen mit Kaiba, versteht sich.
 

Natürlich würde ich lügen. Ich würde nur allzu bereitwillig Lügen, wenn ich dadurch der Schmach entgehen könnte, zuzugeben, dass Kaiba mich über alle Maßen verwirrte, regelrecht wahnsinnig machte, mit seinem rationalen, stringenten und dennoch durch und durch unberechenbaren Handeln.
 

Es zählte nicht, dass ich ihn nun jahrelang zu kennen glaubte, dass ich ihn – filmreif – zu meinem Erzfeind erklärt hatte und dass zwischen uns seit jeher Fetzen, Beleidigungen und andere Dinge flogen. ( Wobei ich zugeben musste, dass ich damals im ersten Oberstufenjahr nicht ernsthaft vorgehabt hatte, mit Téas Geschichtsbuch nach ihm zu werfen, ehrlich, es war eine Kurzschlussreaktion!)
 

Es war so verdammt frustrierend, zu wissen, dass diese ganzen Jahre der Demütigungen, erniedrigenden Kommentare und noch schmachvolleren Spitznamen keine sichtbaren Erfolge hinterließen. Es bedurfte nur einer Anklage Kaibas, einer folgenden Anhörung und sein unerwartetes Auftauchen um mich haltlos aus der Bahn zu werfen, sodass ich mich nun wieder dort befand, wo alles begonnen hatte: Am Ende.
 

Es mochte verrückt klingen, aber bei einem Menschen wie Kaiba, begann man nicht am Anfang. Nein, der Anfang war das Ziel, jede Person, die Kaiba begegnete, stand, ob sie wollte oder nicht, am Ende und hatte die Wahl, ob sie den beschwerlichen Weg zum Anfang auf sich nehmen oder kehrt machen wollte und es dabei belassen würde, dass Kaiba nicht zu lesen war.
 

Ich hatte zusammen mit Yugi den Fehler gemacht, der ersten Möglichkeit zuzustimmen, doch während Kaiba es geschafft hatte, die anderen mit der Zeit davon abzubringen – dabei besonders auf Yugi fixiert – und ihnen die Motivation zu rauben, so hatte ich nach und nach das Bedürfnis entwickelt, weiter zu gehen, ganz gleich wie unverschämt und hassenswert Kaiba sich verhielt. Nicht einmal ich wusste, warum ich diesem Wahnsinn verfallen war, doch mit den Jahren hatte ich ein Teil der Strecke hinter mich gebracht und musste feststellen, dass ich Kaiba weniger mochte, je weiter ich kam.
 

Und nun stand ich wieder am Ende. Ein netter Ausblick, wenn man außer Acht ließ, dass ich Jahre dafür aufgeopfert hatte, mich von diesem Punkt zu entfernen. Und wer war bitte für diese beschissene Metaphorik (danke Téa für dieses unheimlich wichtige Wort, als ob ich nichts Besseres zu tun hätte, als in Lexika zu schmökern!) verantwortlich? Der Weg, Kaiba zu erreichen – wie überaus schnulzig klang denn das?! War ich ein Schulmädchen?!
 

Ich mochte bei dem Anblick eines Heulers geflennt haben, aber ich ging nicht so weit, Teile meines Lebens in Kapitel zu unterteilen und zu betiteln. Nicht mit mir. Ich würde von Kaiba eine Antwort verlangen und ich würde so lange darauf beharren, bis ich sie bekam. Wenn es sein musste, würde ich mich an die Kaiba Corporation ketten, ich war zu allem bereit.
 

Es gäbe vielleicht kein ernsthaftes Bild ab, würde ich mich einem Greenpeace Mitglied gleich an die Kaiba Corporation fesseln, aber es würde meinen Willen und meine Entschlossenheit repräsentieren. Kaiba sollte nur versuchen, mich entfernen zu lassen. Wenn ich dieselben Ketten verwenden würde, mit denen Yugi sein Millenniumspuzzle sicherte, könnte nicht einmal Brechstangen oder Feuer etwas nützen.
 

Natürlich war es lächerlich, diese Illusion tatsächlich in die Realität umzusetzen, aber Kaiba durfte mir nicht verbieten, zu träumen. Dann würde ich eben auf primitiverem Wege zu ihm gelangen.
 

oOo
 

Ich stand vor der Kaiba Corporation, kam nicht umhin, der Größe beeindruckt zu sein und verfluchte Kaiba im selben Moment dafür, dass er der Leiter einer derart imposanten Firma sein musste. Er hatte es nicht verdient, sein Ego hatte es nicht verdient. Es gab so viele Menschen, denen eine Firma viel eher zustehen würde. Mir zum Beispiel.
 

Ich schüttelte diesen Gedanken ab und schob mein Fahrrad über die Straße, den Blick unablässig auf das Hochhaus gerichtet. Wie viele Stockwerke es wohl hatte. Zwanzig? Dreißig? Ich konnte es nicht einschätzen.
 

Das plötzliche Quietschen von Bremsen und wildes Hupen ließ mich zusammenzucken und zur Seite sehen. Ich hätte vor Schreck beinahe mein Fahrrad fallen gelassen. Unmittelbar vor mir stand ein teures Auto, hatte offenbar soeben eine Vollbremsung hingelegt, als ich ohne zur Seite zu blicken über die Straße gegangen war. Der Fahrer des Wagens schüttelte wütend die Faust und ich hob beschwichtigend einen Arm, dabei mehrmals laut um Entschuldigung bittend.
 

Passanten auf dem Bürgersteig waren stehen geblieben und zahllose neugierige Blicke lagen auf mir, während ich mich beeilte und die Straße verließ. Ausatmend blieb ich auf dem Fußweg stehen, hörte das Auto hinter mir vorbeifahren und zog es vor, mich nicht nach ihm umzudrehen. Das war nicht die Art von Auftritt gewesen, die ich mir vorgestellt hatte. Nicht im Geringsten.
 

„Unfassbar.“

„Hat einfach nicht zur Seite gesehen.“
 

Ich folgte den Stimmen und erblickte zwei ältere Damen, die leise tuschelten und mich zwischendurch streng musterten.
 

„Diese Jugend.“

„Immer muss es schnell gehen.“

„Keine Geduld.“
 

Ich verzog den Mund. „Entschuldigung“, begann ich empört und die Frauen sahen mich irritiert an. „Aber ich habe zufällig eine Firma zu stürmen!“ Ich ignorierte die entrüsteten Blicke, das aufgeregte Getuschel und wandte mich ab.
 

Vor der sich automatisch bewegenden Drehtür blieb ich stehen. Ich sah auf mein Fahrrad hinab, zuckte mit den Achseln und lehnte es an die Wand neben dem Eingang. Ich schloss es ab, dann betrachtete ich mein Werk zufrieden und drehte mich um.
 

Ich hatte erwartet, dass die Kaiba Corporation auch im Inneren meine Erwartungen übertreffen würde, aber die Realität ließ mir für wenige Momente den Atem stocken. Wenn die Eingangshalle schon so groß war, wie fand sich in dem Gebäude dann Platz für die Büros? Hatte man die Kaiba Corporation betreten, fiel der erste Blick auf eine lebensgroße Statue des Weißen Drachens. Er hatte das Maul bedrohlich aufgerissen und schien die Eintretenden mit seinem Blick zu taxieren, als wöge er ab, ob sie es wert seien, das Gebäude zu betreten. Wenn ich es nicht wert war, nach allem, was ich in den letzten Tagen durchgemacht hatte, dann würde ich zu Kaibas ganz persönlichem Drachentöter!
 

Ich ließ meinen Blick in die Höhe wandern und stellte fest, dass die Eingangshalle bis in die obersten Stockwerke des Gebäudes reichte. Sie zog sich durch alle Stockwerke, rund herum sah man die Flure der Büros in den einzelnen Etagen, die Aufzüge zogen sich schmalen gläsernen Säulen gleich an ihren äußeren Rändern in die Höhe. Ich bezweifelte nicht, dass ein Blick aus den obersten Etagen in die Halle hinab mehr als nur imposant sein musste. Unbewusst schauderte es mir bei dem Gedanken, dass ein falscher Schritt an den Geländern ab dem dritten Stock fatale Folgen haben könnte und fragte mich, ob es innerhalb der Kaiba Corporation nicht bereits zu Todesfällen gekommen war.
 

„Wie kann ich Ihnen helfen?“
 

Die freundliche Stimme erklang wie aus dem Nichts neben mir und ich fuhr herum, unterdrückte einen überraschten Aufschrei, als ich eine junge Frau erblickte, die mich aus runden Brillengläsern aufmerksam musterte. Ich öffnete den Mund, suchte nach Worten: „Äh ... nein, danke. Ich werde erwartet.“
 

„Sie haben einen Termin? In welcher Abteilung? Sind Sie der Praktikant für die Medienforschung?“
 

Ich blinzelte, dann nickte ich, erst langsam, schließlich bestimmt und mit Nachdruck. „Ja, genau der bin ich.“ Ich musste diese Chance beim Schopf packen, wenn sie sich mir so verführerisch anbot. „Ich bin der Praktikant.“ Was für seltsame Zufälle es doch gab. Manchmal war ich selbst davon überrascht.
 

„Sehr gut. Sie müssen in den siebten Stock, auf den erster Flur. Hier ist ihr Besucherschild.“ Sie händigte mir ein ansteckbares Schild mit der Aufschrift Besucher aus und ich nahm es mit einem kleinen Stich von Schuld entgegen. Es war nicht richtig, was ich tat. Aber es war für ein höheres Ziel, rief ich mir in Erinnerung. Ein wichtiges Ziel! Ich verwarf die Reue und zwang mich zu einem Lächeln. „Danke.“ Mein Gewissen zwang mich dazu, hinzuzufügen: „Sind alle hier so nett, wie Sie?“
 

Die junge Frau errötete und versuchte, mich strafend zu mustern. „Ich muss doch sehr bitten.“ Dennoch kam sich nicht umhin, verlegen zu lächeln. „Gehen Sie lieber, bevor man Sie noch vermisst.“ Sie war ganz anders als all die unverschämten Personen, die ich am Telefon gehabt hatte. Zum Glück kannte niemand von denen mein Gesicht ...
 

Ich nickte ihr ein letztes Mal zu, dann befestigte ich das Schild an dem Kragen meiner Jacke, drehte ich mich um und durchquerte die Halle. Mein Blick wanderte zu dem Weißen Drachen und ich musste angesichts dieses offensichtlichen Fanatismus unwillkürlich den Kopf schütteln. Kaiba war verrückt, da konnten Medien, Fans und Experten behaupten, was sie wollten. Das war nicht mehr normal.
 

Die Türen des Aufzugs schlossen sich hinter mir und ich drückte die oberste Taste, denn ich ging davon aus, dass Kaibas Büro sich im höchsten Stockwerk befand. So, wie ich Kaiba kannte, konnte es nirgendwo anders sein. Der Aufzug setzte sich in Bewegung und durch das Glas beobachtete ich, wie der Boden der Halle sich mehr und mehr entfernte. Ein sanfter Laut gab mir kurze Zeit später zu erkennen, dass ich mein Ziel erreicht hatte. Ich verharrte noch weitere Momente an Ort und Stelle, erst dann realisierte ich, dass ich mich nicht mehr bewegte. Zu gefesselt war ich von dem Anblick des Hallenbodens so weit unter mir. Mir wurde schwindelig.
 

Schnell riss ich sich von dem Bild los und verließ raschen Schrittes den Aufzug. Ich trat auf den Flur hinaus und brauchte keine Sekunde, um zu realisieren, dass ich definitiv falsch war. Man konnte behaupten, was man wollte, aber ich war mir sicher, dass Kaibas Büro sich nicht in der Cafeteria befand. Es sei denn, er besaß Neigungen, von denen ich nichts wusste. Meine Augen lagen auf dem Schild vor mir, welches mit schwungvollen Lettern jenen Ort ankündigte und ich machte reflexartig einen Schritt zurück in den Aufzug.
 

Lautlos schlossen sich die Türen hinter mir und ich drückte abwesend eine Taste auf der Anzeige. Leise Musik spielte im Hintergrund wie mir erst jetzt bewusst wurde, doch ich hatte keine Zeit, mich auf sie zu konzentrieren, da ich erneut hielt und die Türen beiseite glitten. Ich trat nach draußen und suchte nach einem Schild, das mir meinen derzeitigen Standpunkt benannte. Erfolglos.
 

„Warum schildern die ihre Cafeteria aus, aber nichts anderes?“, murmelte ich und wandte mich nach rechts. „Was für eine Logik ist das bitte?“ Ich folgte dem Flur, hielt mich mit einer Hand an dem Geländer fest, während meine Augen zwischenzeitlich über die Brüstung und nach unten wanderte. Der Boden war für meine Verhältnisse noch immer viel zu weit weg. Ich zwang den Blick vor mir auf den Boden und ging weiter. Menschen kamen mir entgegen, gewöhnliche Büroleute, doch sie nahmen keine Notiz von mir. Viele telefonierten, andere trugen Stapel von Zetteln mit sich, wieder andere wirkten so mit sich selbst beschäftigt, dass ich befürchtete, sie würde mich umrennen.
 

„Entschuldigung“, wagte ich schließlich den Versuch und sprach einen jungen Mann an, der soeben ein Telefonat beendet hatte. „Welche Abteilung ist auf diesem Stockwerk?“
 

Ein irritierter Blick folgte meiner Frage, dann antwortete der Mann kurz angebunden: „Kommunikation.“ Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen ging er weiter. Offenbar waren nicht nur die Leute am Telefon unfreundlich, es musste das gesamte Personal sein! Oder Kaiba hatte einen derartigen Einfluss auf seine Angestellten, dass jeder von ihnen zu einem kleinen Abbild von Kaiba selbst wurde. Mir behagte dieser Gedanke ganz und gar nicht, ungeachtet dessen, wie man ihn betrachtete.
 

Die Kaiba Corporation war groß. Sie war bei weitem noch größer, als ich befürchtet hatte. Sie war genau genommen so groß, dass man sich auf einem Stockwerk restlos verlaufen konnte. Oder mein Orientierungssinn war noch schlechter, als ich angenommen hatte.
 

Ich irrte verloren durch die Flure, wunderte mich mehrfach, wie viele Büros sich auf einer Etage befanden und mir wurde ganz anders, wann immer ich versuchte, diese Zahl auf das Gebäude hochzurechnen. Kaiba war wahnsinnig, anders konnte man es nicht erklären. Alleine die grobe Menge Angestellter, die in der Firma arbeiteten überstieg meine Vorstellungskraft, wie würden sich dann der Produktionsbereich und alle anderen Menschen, die Kaiba außerhalb dieses Gebäudes noch unterstellt waren, auf die Zahl auswirken?
 

Es mussten Stunden gewesen sein, die ich ziellos durch das Gebäude geirrt war, bis zwei Schatten sich in meinen Weg schoben und mich am Weitergehen hinderten. Ich blickte auf und sah mich den bedrohlichsten Wesen gegenüber, die ich seit langem gesehen hatte. Gekleidet in schwarze Anzüge und Sonnenbrillen, die die Augen verdeckten, hielt ich sie im ersten Moment voller Schrecken für Yakuza, dann fiel mein Blick auf die Schilder, die an den Brusttaschen ihrer Anzüge hingen: Security.
 

„Wir müssen Sie bitten, das Gebäude umgehend zu verlassen.“ Verwirrt schwieg ich, konnte meinen Blick nicht abwenden. Es war, wie bei einem Horrorfilm – auch wenn man wegsehen wollte, es tatsächlich zu tun war unmöglich. Ich blinzelte, brauchte Sekunde, um zu realisieren, dass einer der beiden mit mir gesprochen hatte, dann deutete ich perplex auf mein eigenes Schild. „Ich bin Praktikant.“
 

„Seto Kaiba hat Sie als nicht zugelassenes Subjekt identifiziert. Es wird verlangt, dass Sie die Kaiba Corporation umgehend verlassen.“
 

Ich hörte ihm nicht mehr zu, bereits bei der Bezeichnung Subjekt hatte sich meine Rationalität mit einem furiosen Schrei verabschiedet. Wenn ich vorher wütend auf Kaiba gewesen war, dann übertraf das, was ich in diesem Moment verspürte, jede Gefühlsebene. Wütend war kein Ausdruck mehr, ich war rasend. Ich ballte die Fäuste und wünschte mir nichts mehr, als Kaiba die Überheblichkeit aus dem Gesicht zu schlagen.
 

Er musste mich auf den Überwachungskameras gesehen haben, wurde mir erst Momente später bewusst und ich war angenehm überrascht, dass ich trotz all der Rage noch immer in der Lage war, logische Schlussfolgerungen zu ziehen. Es erleichterte mich, war doch durch diese Tatsache die Möglichkeit eines unkontrollierten Amoklaufs zunehmend in die Ferne gerückt. Ich verzog die Lippen zu einem höhnischen Lächeln.
 

„Richten Sie Kaiba aus, dass das Subjekt nicht bereit ist, sich kampflos zu ergeben.“ Bevor die beiden Männer etwas entgegnen konnten, hatte ich mich umgedreht und rannte los. Ich konnte schnell rennen, wenn es darauf ankam, ich konnte sogar schneller als Téa laufen, wenn sie eine Spinne gesehen hatte. Ich war der Schnellste in meiner Stufe, sobald etwas auf dem Spiel stand, und in Augenblicken wie diesen war meine Schnelligkeit mehr als vorteilhaft.
 

Ich blickte nicht zurück, rannte, rannte, bis ich endgültig die Orientierung verloren hatte, jedoch sicher war, dass niemand mir gefolgt war. Natürlich hatte es Aufsehen erregt, dass ich wie vom Teufel persönlich gejagt durch die Flure gehetzt war, doch niemand hatte versucht, mich aufzuhalten.
 

Schwer atmend lehnte ich mich an die Wand hinter mir und fühlte mich unweigerlich wie in einem schlechten amerikanischen Film, der keinen guten Produzenten besaß und dementsprechend nicht genügend Geld für eine Verfolgungsjagd mit teuren Schlitten hatte. Anstelle von Straßen mussten Büroflure herhalten, ich war der stromlinienförmige Jaguar und die Männer vom Security waren die schwarzen ausländischen Wagen, die mich von der Straße drängen wollten.
 

Ich schüttelte den Kopf, als mir die Lächerlichkeit meiner Gedanken bewusst wurde. Ich sah eindeutig zu viele Actionfilme. Ich musste aufpassen, dass Téa davon nichts mitbekam, sonst würde sie mir, um mich zu läutern, kurzerhand einen Liebesfilm aufzwingen. Alles, bloß das nicht - dann doch lieber hundert Paare von herzerweichenden Heuleraugen!
 

Die folgenden Minuten verbrachte ich damit, mich unauffällig zu verhalten, schlich durch die Gänge, suchte mir die verlassenen unter ihnen aus und versteckte mich bei einem verdächtigen Geräusch augenblicklich hinter der nächsten Gabelung. Es war nicht immer notwendig. Ein Mal hörte ich beispielsweise schnelle Schritte hinter mir, machte einen Hechtsprung zur Seite, bei dessen Anblick mein Sportlehrer vor Freude in Tränen ausgebrochen wäre, nur um anschließend festzustellen, dass ein gewöhnlicher Büroangestellter über den Flur eilte, einen Stapel Akten in den Armen und einem Ausdruck auf dem Gesicht, bei dem ich mich unwillkürlich fragte, ob sein Job noch menschenwürdig war.
 

Ich arbeitete mich voran, mied die Aufzüge und folgte den Treppen, durchstreifte Stockwerk um Stockwerk, nur um letztendlich resignierend einzusehen, dass die Chancen Kaibas Büro zu finden verschwindend gering waren. Ich konnte genauso gut umkehren und mich freiwillig den Sicherheitsleuten stellen.
 

„Kaiba!“ Ich sah mich um, auf der Suche nach einer Kamera, fand jedoch keine. Beinahe konnte ich mir Kaiba an seinem Schreibtisch vorstellen, wie er mein zum Scheitern verurteiltes Vorhaben verfolgte und sich hämisch ins Fäustchen lachte, angesichts meiner Naivität. „Ich weiß, dass du mich hörst! Das hast du nicht umsonst gemacht!“
 

Ich konnte regelrecht die trocken gesprochenen Worte ‚Was habe ich nicht umsonst gemacht, Wheeler?’ hören und hob die Faust. „Man hält mich nicht einfach zum Narren! Dafür wirst du noch büßen, hörst du! Und noch was – die dumme Statue passt kein bisschen in deine dumme Eingangshalle. Sie sieht einfach nur kitschig aus – ja, kitschig, Kaiba!“
 

Irgendwo war eine Kamera, ich wusste es und den Beweis bekam ich, als mich wenige Minuten später Mitglieder des Sicherheitsdienst in Gewahrsam nahmen und anschließend der Firma verwiesen. Ich musste mein Besucherschild abgeben und bekam Hausverbot. Wenigstens waren sie so gnädig, mich nicht anzuzeigen, eine weitere Klage konnte ich nicht gebrauchen. Man begleitete mich nach draußen und mit Schrecken stellte ich fest, dass mein Fahrrad sich nicht mehr dort befand, wo ich es zurückgelassen hatte.
 

„Was ist mit meinem Fahrrad?“, fragte ich den Mann neben mir und er taxierte mich unbewegt, durch seine dunklen Brillengläser. Sah ich da einen Kopfhörer in seinem Ohr? Fehlte nur noch, dass sie auch Waffen – oder viel schlimmer – Handschellen trugen. Kaiba hatte eine eigene kleine Polizeiwache in seiner Firma. Unfassbar.
 

„Wir haben es entfernen lassen. Es stand im Halteverbot.“
 

„Halteverbot?!“, wiederholte ich fassungslos, durch diese Antwort unsanft aus meinen Gedanken gerissen „Das war ein Fahrrad, kein Auto! Sind in dieser Firma eigentlich alle von irgendeinem wahnsinnigen Teufel besessen?!“ Der Mann räusperte sich und ich erinnerte mich daran, woran ich war. Kaibas Firma, Kaibas Angestellte. Kaiba gleich Wahnsinn. Ich hatte meine Erklärung.
 

„Vergessen Sie’s“, murmelte ich und ging. Es war erschreckend, wie gefasst ich dieses Wissen jetzt schon aufnahm. Es war erschreckend, wie wenig es mich in diesem Moment berührte. Es war jedoch nicht verwunderlich, dass es meine Wut auf Kaiba und die Verwirrung nur noch verstärkte.
 

oOo
 

Stunden später, die Sonne war bereits untergegangen, die Nacht war eingebrochen, fand ich mich benommen auf einem fremden Fußweg wieder. Ich blinzelte gegen das stechender Licht einer Laterne und schüttelte benommen den Kopf.
 

Langsam kehrte die Erinnerung zurück, jedoch nur bruchstückhaft und verschwommen, einem beschädigten Film gleich, der vor meinem inneren Auge abgespielt wurde. Ich war nach Hause gegangen, hatte Yugi angerufen und ihm eine Stunde lang einen Vortrag über Kaibas Angestellte und den absoluten Wahnsinn, der in seiner Firma vorherrschte, gehalten. Dann, nachdem Yugi mich mit einer freundlichen Entschuldigung abgewimmelt hatte – als würde er aushilfsweise in einem Lebensmittelladen arbeiten, er kam doch kaum an die obersten Regale! – hatte ich mich auf den Weg zu Tristan gemacht.
 

Dort hatte ich ihm mein Elend vor Augen gehalten und so lange darauf beharrt, es sei alles Kaibas Schuld, bis er Mitleid mit mir bekam und vorschlug, sich gemeinsam mit mir zu betrinken. Ich hatte das Angebot dankend angenommen und die folgende Zeit Kaiba und die Ungereimtheiten, die ihn umgaben, vergessen. Es war ein gleichsam angenehmes wie beunruhigendes Erlebnis. Als es schließlich drohte, sehr spät zu werden, hatte ich mich losreißen können.
 

Tristan war kaum noch zurechnungsfähig gewesen und hatte mir mit Begeisterung sein Fahrrad überlassen, im selben Atemzug hatte er mir versichert, dass er mir als Blutsbruder sämtliches Vermögen – was er nicht besaß – vererben würde, sollte er irgendwann das Zeitliche segnen. Außerdem hatte er mir seinen Toaster geschenkt, den ich jedoch nicht auf den Gepäckträger bekommen hatte. Dennoch hatte ich festgestellt, dass ich mich in Zukunft öfter gemeinsam mit Tristan betrinken sollte, so würde ich meine Wohnung rasch füllen können.
 

Die darauf folgenden Minuten verschwammen hinter einem perfiden Glücksgefühl, schlingernden Bewegungen und Wind in meinen Haaren, mein Verstand setzte erst in dem Moment wieder bewusst ein, in dem ich mich unter der Laterne wiederfand, nichtwissend, wo ich war. Ich griff nach dem Handy in meiner Jackentasche und wählte fahrig Yugis Nummer. Ich brauchte mehrere Anläufe, verwählte mich mehrfach und klingelte alte Damen und Mütter aus dem Bett, die mich für einen Perversen hielten und schimpfend auflegten, nachdem ich nur bewegungslos in die Sprechmuschel geatmet hatte.
 

Beim vierten Mal hörte ich endlich Yugis vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung. „Yugi? He, Yugiiie, mein bester Kumpel unter den besten“, lachte ich.
 

„Joey, bist du das?“
 

„Duu, ich fürchte, ich hab da ’n kleines Problem.“ Ich kratzte mich abwesend am Kopf. „Hast du zufällig ’ne Ahnung, wo ich gerade bin?“
 

„Was ist das für eine Frage? Joey, bist du betrunken?“
 

„Quatsch“, widersprach ich abwinkend. „Nur angeheitert. Nichts weiter. Aber ich weiß nicht, wo ich bin.“
 

Für Sekunden herrschte Stille, dann hörte ich regelrecht, wie Yugi eine Hand in die Hüfte stemmte. „Joey, das ist absolut verantwortungslos. Ist Tristan dafür verantwortlich? Sag mir, dass es ein Witz ist, du musst doch wissen, wo du bist!“
 

„Nö. Ich hab keinen Plan.“ Ich kicherte. „Du hörst dich genauso an wie Téa.“
 

Yugi schnappte empört nach Luft. „Joey, so kommen wir zu keiner Lösung! Siehst du irgendwelche Schilder?“
 

„Äh“, ich sah mich um, „nicht wirklich. Ich glaub, ich bin nicht mal mehr in Domino. Ich kenn das alles hier nicht.“
 

Yugi stöhnte hörbar. „Joey, du bringst mich eines Tages noch um den Verstand.“
 

„Weißt du, dass das paradox ist?“

„Wie bitte?!“

„Ich meine, du hast doch schon einen unsichtbaren Freund, den Pharao, heißt das nicht, dass du zumindest einen kleinen Teil von deinem Verstand –“

„Joey!“

„Was’n?“

„Ich dachte, wir reden darüber, dass du nicht weißt, wo du dich gerade befindest, nicht über den Pharao. Und nur so nebenbei, er ist keine Einbildung, ihr habt ihn auch gesehen. Überhaupt, warum lasse ich mir von einem Betrunkenen Vorträge über den Geisteszustand halten? Das ist paradox, Joey.“

„Ich komm nicht mehr ganz mit ...“

„Vergiss es.“

„Yugi, ich –“ Ein Rauschen in der Leitung ließ mich innehalten. „Yugi?“ Ein Knacken, gefolgt von einem langen, monotonen Laut. Die Verbindung war unterbrochen.
 

oOo
 

Und nun sitze ich hier, betrunken, nicht wissend, wo ich mich befinde und spüre, wie der kümmerliche Rest meines gebliebenen Verstandes vom Alkohol übernommen wird. Einem unbestimmten Drang folgend, greife ich nach dem Lenker des Fahrrads, richte es auf und schwinge mich auf den Sattel. Schwankend fahre ich über die Straße, kann von Glück reden, dass um diese Uhrzeit so gut wie keine Autos mehr unterwegs sind. Ich passiere mehrere Straßen, dann wird mir langsam bewusst, dass meine Befürchtungen unbegründet waren.
 

Ich befinde mich noch in Domino. Genau genommen befinde ich mich im Zentrum von Domino, nur war ich in einer teuren Wohnsiedlung gewesen, die ich vorher kaum als Teil der Stadt wahrgenommen hatte. Die Umgebung wird vertrauter, je weiter ich fahre. Um diese Uhrzeit sind kaum Menschen auf der Straße, die wenigen, denen ich begegne, nehmen mich belustigt zu Kenntnis und rufen mir spöttische Kommentare hinterher oder sind selbst zu betrunken, um mich zu bemerken.
 

Ich fahre ungerührt weiter, bis die kurzzeitige Kraft, die mir der Alkohol verliehen hat, nachlässt und der Müdigkeit weicht. Ich trete langsamer, rolle aus und bleibe schließlich stehen. Ich blicke zur Seite und stöhne frustriert, als mir bewusst wird, wo ich mich befinde. Es war so klar. In diesem Moment wäre mir lieber gewesen, ich würde meinen Standort nicht kennen. Jetzt ist es zu spät. Ich lege das Fahrrad auf die Seite und setze mich im Schneidersitz auf den Fußweg.
 

Mein Blick richtet sich auf den Eingang zur Kaiba Corporation und ein kleiner Funken Hoffnung keimt in mir auf. Hoffnung, dass Kaiba vielleicht Überstunden gemacht hat und irgendwann das Gebäude verlässt. Dann könnte ich ihn zur Rede stellen, wenn möglich eine Antwort erzwingen, aber ich würde ihm endlich begegnen. Dann wird mir bewusst, dass heute Samstag ist und Kaiba bestimmt nicht mehr arbeitet.
 

Ich bleibe sitzen und warte. Warte, darauf, dass irgendetwas passiert, während die kühle Nachtluft an meiner Jacke zerrt. Ich niese, bewege mich jedoch immer noch nicht. Ich werde nicht aufgeben, selbst in betrunkenem Zustand bin ich nicht bereit zuzulassen, dass Kaiba wieder gewinnt. Ich bin hartnäckig, würde wenn nötig darauf warten, bis Kaiba morgen früh in die Firma kommt. Ich würde seinen Gesichtsausdruck mit Genugtuung in meinem Gedächtnis verewigen.
 

Meine Augen werden schwerer und fallen mir kurzzeitig zu, mein Kopf neigt sich zur Seite, doch ich werde wieder wach, als ein Auto hinter mir vorbeifährt. Ich möchte nicht wissen, was ich für einen Anblick biete. Es ist mir auch egal. Ich gähne, fahre mir mit einer Hand über die Augen, doch sie fallen mir immer wieder zu.
 

„Geh woanders betteln“, reißt eine genervte Stimme mich aus dem Dämmerzustand. Sie ist unverkennbar und im ersten Moment glaube ich zu träumen, dann erkenne ich Kaiba vor mir. Er selbst scheint im selben Moment wie ich zu realisieren, wen er vor sich hat. Es war nicht der Gesichtsausdruck, den ich mir vorgestellt hatte, aber Fassungslosigkeit steht ihm genauso gut wie Schock.
 

„Wheeler“, seine Züge entspannen sich und er verschränkt die Arme. „Ich hatte Annahmen, wie schlecht es um dich steht, aber dass du wegen einer Strafe von 8.000 Yen auf die Straße musst hätte ich nicht erwartet.“
 

Es vergehen Sekunden, bevor ich den Inhalt seiner Worte verarbeitet habe, dann verzieht sich mein Gesicht vor Zorn. „Sag das noch mal!“
 

Er verzieht angewidert den Mund. „Wheeler, dich umgibt eine Wolke aus Alkohol. Ich möchte lieber nicht wissen, welche Flöhe du dir nebenbei eingefangen hast.“
 

Ich starre ihn wütend an. „Ich bin nicht deswegen hier.“
 

„Nein, sondern weil du keinen anderen Ort hast, wo du hingehen kannst.“

„Ich bin hier, weil ich eine Antwort will!“

„Und worauf? Warum ich im Gegensatz zu dir wohlhabend bin? Die Antwort ist simpel, ich bin einfach besser.“

„Verdammt, das ist es nicht!“
 

Es muss etwas in meinem Tonfall gewesen sein, dass ihn dazu bringt, mir tatsächlich seine Aufmerksamkeit zu schenken. Ich starre weiterhin zu ihm auf. „Warum bist du gestern gekommen? Ich weiß, dass du ein Meeting gehabt hast, also warum bist du im Gericht aufgetaucht?“
 

„Du bist betrunken, Wheeler.“

„Ja und? Das heißt nicht, dass ich nicht in der Lage bin, wahrzunehmen, dass dein Verhalten in den letzten Tagen nicht nur vollkommen absurd, sondern noch dazu untypisch ist! Warum bist du so empfindlich?“

„Du nennst mich empfindlich?“

„Du bist mir in der Scheinverhandlung im Unterricht fast an die Kehle gegangen. Verdammt Kaiba, du hast mich verklagt! Wie lächerlich ist das?!“

„Sieh dich doch an, Wheeler. Du sitzt vor meiner Firma, du bist betrunken und stinkst. Wie lächerlich ist das? Nimm dir bitte die Minuten, vielleicht auch Stunden, die du jetzt brauchst, um meine folgenden Worte zu verstehen. Ich versuche, mich so simpel wie möglich auszudrücken: Du bist es, der spinnt. Du hast dich heute in meine Firma geschlichen, du hast diese Woche mein Personal am Telefon belästigt, du bist es, der mir keine Ruhe lässt. Du bist der immer wieder auftretende Störfaktor in meinem Leben, in der gesamten letzten Woche!“
 

Ich starre ihn an, dann öffne ich den Mund und sage langsam: „Du wusstest, dass ich früher oder später wieder hier auftauche.“
 

Er wirkt, als wolle er mir im ersten Moment widersprechen, dann sinken seine Schultern kaum merklich hinab. Ich nehme es trotzdem wahr. „Ja.“ Er sieht mich unbewegt an.
 

Ich gehe einen Schritt weiter und sage: „Du hast auf mich gewartet.“
 

Er verengt die Augen, seine Lippen sind im Licht der Laternen um uns herum nur noch ein schmaler Strich inmitten des blassen Gesichts. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen, dann teilen sich seine Lippen: „Verdammt, ja.“
 

Es ist das erste Mal, dass ich ihn fluchen höre. Und es ist so paradox, die gesamte Situation, der Tag, Kaiba und einfach alles ist so verflucht paradox, so verrückt und einfach nur bizarr, dass ich nicht anders kann und lachen muss.
 

oOo
 

Paradox ist es, Kaiba zu kennen und dabei nicht wahnsinnig zu werden.
 


 

Nachwort(e): Ihr habt es geschafft. Ich hoffe, es hat euch wenigstens etwas gefallen und ihr seid nicht allzu sehr enttäuscht. Ich weiß, es gab nicht viel Spannung in dem Kapitel. Das nächste Kapitel ist das Letzte, der Finale Showdown findet schon bald statt!

Solltet ihr auf Rechtschreibfehler gestoßen sein, Zögert nicht, mich scharf zurecht zu weisen ^ ^ Keine Macht den Fehlern! Ich bedanke mich fürs Lesen ; )
 

Zusatzfrage: Ich weiß, es passt nicht in den Kontext, aber die Frage (vielmehr die Antwort) interessiert mich. Wer Lust hat, sich zu äußern, darf es gerne machen: Sieht jemand von euch One Piece? Welches Pairing bevorzugt ihr? Das interessiert mich wirklich, aber ihr müsst natürlich nicht antworten = )

Sonntag - An der langen Leine

Liebe Leute, die einfach genannt werden müssen:
 

blutfish, wheinachtsmann, Gizzy, _Nessi_, SatoRuki, Nurja, Friends, Iliahna, killerniete21, xXxSweetyxXx, Schreiberling, melody_neko, Kitty1985, Schokopudding, azure_sea, Rina-, BlackPanther1987, Woflu, blazingangel, Shakti-san
 

Danke für Kommentare, deren Inhalt und Länge mich wieder begeistert und geplättet haben ; ) Das hier ist für euch.
 

@ Kommischreiber: Ich hab den Rechtschreibfehler behoben. Es stimmt, wenn Kaiba schon Frucht im Blick hat und keine Furcht, dann ist er entweder stoned oder die Autorin hat Mist gebaut ; ) Also danke für den Hinweis *kicher*
 


 

7. Auseinandersetzung: An der langen Leine
 

Seto Kaiba ist ein egozentrischer Mistkerl. Diese Erkenntnis darf mich nicht überraschen und genau das tut sie auch nicht, aber rückblickend kann ich behaupten, dass ihre Wiederholung sie bereits oft erträglicher gemacht hat. Es geht mir nicht darum, mir etwas einzureden, das eigentlich nicht stimmt - das nicht - ich versuche lediglich, mir die Realität - die Fakten - soweit vor Augen zu halten, dass ich am Ende nicht enttäuscht bin.
 

Das ist wahrscheinlich der eine Aspekt, der Yugi und mich am meisten unterscheidet. Während er jedes Mal darum bemüht ist, die Tatsachen zu vergessen und an das zu glauben, was er für richtig hält, dabei oftmals den Bezug zur Realität verliert (er ist nicht verrückt, aber doch gutgläubig), ziehe ich es vor, mich manchmal selbst zu ernüchtern, bevor es jemand anderes tut. Ich bin kein Realist - ich heiße nicht Kaiba - und ich bin auch kein Pessimist, ich bin durchaus optimistisch und gebe auch nicht leicht auf, doch wenn es um Kaiba, eben dann, wenn es nur um Kaiba geht, höre ich auf, mir die Wahrheit schön zu reden und sehe ihn als das, was er ist.
 

Es liegt nicht nur daran, dass ich Kaiba nicht mag. Dass ich ihn nicht ausstehen kann. Es liegt an Kaibas Art, einfach daran, wie und noch viel wichtiger wer er ist. Er besitzt die Gabe, jedem diese Umstände zu jeder Zeit und an jedem Ort vor Augen halten zu können. Ganz gleich ob man im Königreich der Duellanten Zeuge davon wird, wie er kläglich gegen Pegasus verliert, man beobachtet, wie er seinen kleinen Bruder wieder in die Arme schließt oder auch wenn er von seinem Stiefbruder in einer virtuellen Welt versteinert wird, ja sogar dann, wenn Kaiba in der Schule im Unterricht sitzt und die Arbeitstexte studiert. In jedem dieser Augenblicke ist einem bewusst, wer er ist, welchen Status er besitzt und noch viel wichtiger - dass man in jedem einzelnen dieser Momente in seinen Augen weniger Wert ist als er.
 

Es ist diese Eigenschaft, dieses Gehabe, das ich an Kaiba am meisten hasse. Es ist dieser Zustand der permanenten Arroganz, die sogar dann zum Ausdruck kommt, wenn er einen nicht beachtet. Er muss niemanden ansehen, er muss nicht einmal wissen, dass man da ist und dennoch scheint es, als fühlte er sich dauerhaft überlegen, als wäre er mehr wert, als besäße er im Gegensatz zu jedem anderen das Vorrecht, da zu sein.
 

Ich kenne keinen Menschen, der Kaiba an dieser Hinsicht auch nur annähernd nahe kommt. All die Psychopaten, denen wir uns gemeinsam mit Yugi hatten entgegenstellen müssen - Pegasus, Marik, Dartz, Bakura - jeder von ihnen war auf seine eigene Art verrückt und sogar arrogant, aber sie alle wirken klein und unbedeutend, vergleicht man sie mit Kaiba. Es ist nicht die offene Bosheit, die einen Menschen gefährlich macht, es ist das, was er verbirgt. Und Kaiba - mag er auch noch so viel Hassenswertes nach außen hin zeigen - scheint, als habe er tief in sich etwas, das niemand erahnen kann.
 

Vielleicht irre ich mich. Kaiba hat in der vergangen Woche mehr Unerklärliches getan, als in den vergangenen Jahren.
 

Am Montag hat er keinen Nutzen aus meiner offensichtlichen Schwäche gezogen.

Am Dienstag habe ich mit ihm telefoniert und er hat gelacht.

Am Mittwoch habe ich von Kaiba halluziniert und er hat mich auf die Krankenstation gebracht.

Am Donnerstag hat er in der Scheinverhandlung die Beherrschung verloren.

Am Freitag hat er mich verklagt und ist trotz eines zweifellos wichtigen Meetings im Gerichtsgebäude erschienen.

Am Samstag hat er auf mich gewartet.
 

Und heute ...
 

„Sag, dass das nicht wahr ist!“
 

oOo
 

Kaiba war ein Mysterium für sich, doch manchmal, in seltenen Fällen wie jetzt, überraschte ich mich selbst mehr, als jeder andere es hätte tun können. Die plötzliche Erkenntnis, die unerwartete Erleuchtung, die mich ohne Vorwarnung überkam, all dies schien Kaiba vielleicht zu irritieren - mir machte sie Angst.
 

Es war mir nie so einfach gefallen, Kaiba zu lesen, wie in dem Moment, als er vor mir stand, mitten in der Nacht, vor der Kaiba Corporation. Es schien ihm selbst nicht bewusst gewesen zu sein und diese Lächerlichkeit, dieser Wahnsinn der Situation hatte mich regelrecht dazu gezwungen zu lachen.
 

Kaibas Blick konnte man mit recht als befremdlich bezeichnen. In seinen Augen musste ich vollkommen wahnsinnig erscheinen - betrunken, nach Alkohol riechend, vor seiner Firma hockend und lachend. Doch die Schwere der Worte, der Wahrheit, die ich wenige Momente zuvor ausgesprochen hatte lastete auf ihm und hinderte ihn daran, seinen Eindruck laut auszusprechen. Er wusste, dass ich Recht hatte, hatte mir selbst zugestimmt, konnte sich nun nicht mehr widersprechen, alleine aus Prinzip. Kaiba widersprach sich nie.
 

Wäre ich in diesem Moment etwas nüchterner gewesen, hätte ich diesen Umstand schamlos ausgenutzt. Ich tat es nicht. Weder mich noch ihn würde es im Nachhinein wundern.
 

Es mochten Sekunden, Minuten vielleicht sogar Stunden vergangen sein, bis mein Lachen langsam erstarb. Die Laternen flackerten kurzzeitig, tauchten Kaibas Gesicht in dunkle Schatten, erhellten es schließlich wieder. Er wirkte seltsam steif und unbeweglich. Ich kicherte noch immer, machte Anstalten aufzustehen. „Weißt du was?“. Ich wartete nicht auf eine Antwort. „Wenn du schon den ganzen Tag auf mich gewartet hast“ - seine Mundwinkel zuckten kurz, er sagte jedoch nichts - „obwohl du mich heute Mittag aus deiner Firma geworfen hast, finde ich, dass ich es verdient habe, mit dir zu reden.“
 

Ich richtete mich auf und sah ihn mehr oder weniger entschlossen an. Die Wirkung des Alkohols schien nachzulassen, die Situation brachte mich dazu, klarer zu denken. „Denn falls es dir selbst nicht aufgefallen ist, es ist verdächtig, dass du wusstest, dass ich kommen würde und trotzdem gewartet hast.“ Ich erzählte ihm nichts Neues, gerade ihm musste all dies mehr als bewusst sein, doch durch das Aussprechen dieser offenen Geheimnisse nahm ich ihm die Möglichkeit, sie doch noch zu bestreiten.
 

„Wobei“, setzte ich an, brach jedoch ab. Endlich wurde mir bewusst, wie bedeutungsschwer seine wenigen Worte tatsächlich waren. In meinem Kopf begann alles, mit einem Mal Sinn zu ergeben. Perfiden Sinn. Und nicht nur das.
 

Joey - Kaiba, Rosen und Pralinen in einem Satz von dir. Noch dazu dein seltsames Verhalten und ...
 

Schon, aber du klangst, als ob es dir sehr sehr ernst wäre und offen gesagt schien es beinahe wie ein Beziehungsstreit.
 

Du wusstest, dass ich früher oder später wieder hier auftauche.

Ja.

Du hast auf mich gewartet.

Ja, verdammt.
 

Und endlich verstand ich. Ich verstand, was Téa gemeint hatte und ich verstand, was sie mir damit noch hatte klarmachen wollen. Und Kaibas Worte ergaben plötzlich einen Sinn. Einen gefährlichen Sinn.
 

„Du bist in mich verknallt“, entfuhr es mir in einer Mischung aus Erkenntnis und Unglaube. Kaibas Gesichtszüge entglitten seiner Kontrolle, seine ganze Haltung zuckte, als hätte man sie für einen Moment stark unter Strom gesetzt, dann verengte er die Augen und er öffnete den Mund. Die folgenden Worte würden mich noch Jahre später verfolgen.
 

„Der Tag, an dem ich auch nur ein Photon mehr Sympathie für dich empfinde, als in der vergangenen Zeit, die ich gezwungen war, dich zu kennen, Wheeler, wird der sein, an dem ich von deinem verfrühten Ableben höre.“
 

Er hatte mir eben noch zugestimmt, jetzt widersprach er mir so stark, dass sein Verhalten mit einem Mal nicht mehr nachvollziehbar war. Meine Behauptung war waghalsig, an den Haaren herbei gezogen und dennoch die einzig logische, die mir in diesem Moment einfiel. Kaiba war verwirrend, seine Worte waren zu erahnen gewesen, früher oder später hatte er etwas Derartiges sagen müssen, aber nicht so. Nicht so.
 

Das waren harte Worte. Verdammt harte Worte. Geschmacklos, unverschämt und verletzend. Taktloser, als ich es Kaiba jemals zugetraut hätte. Dass er mir den Tod wünschte, hätte ich nicht erwartet. Es machte mich nicht einmal mehr wütend. Ich konnte nicht glauben, dass Kaiba das gesagt hatte. Dass er die Unverschämtheit besaß, diese Worte auszusprechen.
 

„Weißt du eigentlich, was du gerade gesagt hast?“, fragte ich leise. „Ist dir klar, was du von dir gegeben hast?“
 

„Ist dir bewusst, was du mir vorher unterstellt hast?“
 

Ich schüttelte den Kopf. Das Gespräch entwickelte sich in eine andere Richtung, als ich angenommen hatte. „Du verstehst es nicht, Kaiba. Ich rede davon, was du gesagt hast. Ich meine, verdammt -!“ Ich spürte sie, die Wut, den Zorn über Kaibas Dreistigkeit, die Rage darüber, dass er mich weniger mochte, als ich befürchtet hatte. „Weißt du, was solche Worte in einem Menschen auslösen? Willst du echt, dass ich sterbe?“
 

„Wheeler, du unterliegst der Fehlannahme, dass es mich kümmert, was aus dir wird. Natürlich nimmst du es wieder zu wörtlich.“
 

Ich wusste nicht, ob ich hysterisch lachen oder schreien sollte. „Ich nehme es zu wörtlich? Wie kann ich das nicht wörtlich nehmen?! Hast du überhaupt einen blassen Schimmer, was solche Worte anrichten?“
 

„Ich sehe es an dir“, entgegnete er. Er schien sich gefasst zu haben, die Sicherheit war zu ihm zurückgekehrt zu sein. Das ist falsch, durchfuhr es mich. So sollte es nicht sein! „Nein, Kaiba“, spuckte ich zurück. „Da liegst du falsch.“
 

„Ach ja?“
 

Ich war es, der die Richtung dieses Gesprächs bestimmte, Kaiba war derjenige, der mir Rede und Antwort stehen sollte. „Ich zeig dir eine angebrachte Reaktion auf deine Worte.“
 

Und dann tat ich etwas, das Kaiba wahrscheinlich in seinem ganzen Leben nie würde vergessen können. Ich ging auf ihn zu, holte mit der rechten Faust aus und schlug ihn. Es war ein sauberer Kinnharken, höchstwahrscheinlich der erste, den Kaiba jemals zu spüren bekam. Es steckte viel Kraft in dem Schlag, ebensoviel Wut wie Frustration und sogar eine kleine Spur Freude, angesichts dieser Möglichkeit, wenigstens etwas Rache an Kaiba zu nehmen.
 

Ich kümmerte mich nicht um die Folgen, die meine Gewalt nach sich ziehen könnte, ich beschränkte mich einzig auf das Hier und Jetzt, auf diesen einen Moment, in dem Kaibas Blick meinen streifte, gefüllt mit Schmerz, Entsetzen und - zum ersten Mal, seit wir uns kannten - Furcht.
 

Er stolperte zurück, ich ließ meine geballt Faust sinken. Es war lange her, dass ich zum letzten Mal jemanden geschlagen hatte. Die Zeit, in der ich mich regelmäßig geprügelt hatte, lag Jahre zurück. Meine Hand schmerzte, es hatte mehr Kraft in dem Schlag gelegen, als ich vorgehabt hatte. Kaiba stand einige Meter von mir entfernt, hielt sich das Kinn, die Haltung seltsam verzerrt. Der Anblick hatte etwas Befremdliches, niemals hatte ich Kaiba vorher so gesehen, ich war nicht einmal wirklich sicher, ob ich ihn jemals wieder so würde sehen wollen.
 

Ich wusste, dass ich schnell handeln musste, bevor Kaibas Wut Überhand gewann und ihn wohlmöglich dazu bringen würde, sich zu vergessen. Niemand wusste, was für Folgen das für mich haben würde. Mit wenigen Schritten war ich bei ihm und packte ihn fest bei den Schultern. Ein Ruck ging durch seinen Körper, er versuchte, sich loszureißen, seine Stimme nicht mehr als ein Grollen, als er sprach: „Wheeler, ich schwöre dir, dafür wirst du teuer bezahlen!“
 

Meine Hände krallten sich in den Stoff seines Mantels, ich wusste, dass mein Griff schmerzhaft war, doch Kaiba war viel zu sehr auf mich konzentriert, um den zusätzlichen Schmerz wahrzunehmen. „Du kannst froh sein, dass ich aus der Übung bin“, entgegnete ich und gab mich unbeeindruckt von seiner Drohung. Das entsprach nicht den Tatsachen, sie beunruhigte mich zunehmend, ich zweifelte an der Klugheit meines Handelns, doch es war zu spät, es rückgängig zu machen.
 

„Hier hast du deine Reaktion, Kaiba“, sagte ich leise. „Ich wette, damit hast du nicht gerechnet. Wahrscheinlich hat sich noch nie jemand getraut, das zu tun, aus Angst, dafür auf dem Grund eines Flusses oder in einer verlassenen Lagerhalle zu landen. Ich würde sogar wetten, dass du Männer für Angelegenheiten hast, wenn jemand aus dem Weg geräumt werden muss.“ Ich meinte diese Worte nicht so ernst, wie ich sie aussprach und versuchte es Kaiba zu zeigen, indem ich mehr oder weniger überzeugend grinste. Es passte nicht, aber das war nebensächlich. „Ist dir jetzt klar, dass deine Worte weh tun? Es kümmert dich nicht, ich weiß, aber wenn es dir niemand bewusst macht, wie kannst du es dann wissen?“
 

Kaiba versuchte noch immer, sich zu befreien. Sein Gesicht war verzerrt von Wut und Hass, sein Kinn gerötet. „Wheeler, niemand hat es je gewagt -“
 

„Ich weiß, in dieser Hinsicht haben alle viel zu viel Angst vor den Folgen. Natürlich besitzt du Geld, Macht und Einfluss, aber nicht auf meine Überzeugung und meine Einstellung. Willst du mich verklagen, weil ich dich geschlagen habe? Denk mal genau darüber nach, überlg’ mal, wie lächerlich das wäre, wie feige du dadurch aussehen würdest.“
 

Seine Bewegungen wurden langsamer, er schien über meine Worte nachzudenken. Ich bekam nach und nach mehr Aufmerksamkeit. „Sei doch mal ehrlich“, fuhr ich rasch fort, bevor ihm bewusst wurde, was ich vorhatte, „ich nerve dich zwar, ich bin penetrant und aufsässig, aber einer der wenigen, der keine Angst vor deinem Ego hat. Ich habe auch keine Angst vor deiner Macht, es ist mir offen gesagt scheiß egal, wer du in der Firmenwelt bist. Ich krieche nicht vor dir auf dem Boden, das weißt nicht nur du, das wissen alle, meine Freunde, die Lehrer, die Schule. Vielleicht könntest du mir vieles nehmen, Geld, meinen Schulplatz - ich weiß nicht, wie weit dein Einfluss wirklich reicht - aber du hast es bis heute nicht getan. Das kannst du nicht bestreiten.“
 

Er rührte sich nicht mehr, aber sei Körper war angespannt, ich spürte es unter meinen Händen, mit denen ich noch immer seine Schultern hielt.
 

„Alles, was ich von dir haben wollte, war ein Grund. Nicht mehr als das. Ich hätte mich nicht darum gekümmert, wenn du diese Woche nicht so verdammt seltsam gewesen wärst. Vielleicht hätte ich nie Verdacht geschöpft, wenn du gestern nicht ins Gerichtsgebäude gekommen wärst. Das hat dich verraten Kaiba.“ Ich machte eine kurze Pause, um Luft zu holen. Die nächsten Worte waren zwar kein Schuss ins Blaue, aber ich lehnte mich damit weit aus dem Fenster. Zu weit. Kaiba würde mich gnadenlos raus stoßen.
 

„Du weißt, zu welcher Erkenntnis ich gekommen bin. Du musst in mich verknallt sein, Kaiba, anders lässt sich dein Verhalten nicht erklären.“
 

Diese Worte waren falsch, das wusste ich, das wusste Kaiba. Kaiba war nicht verknallt, wenn ihm selbst das Wort Sympathie fremd war. Seto Kaiba liebte nichts, vielleicht seinen Bruder, aber es blieb bei dieser beschränkten Familienliebe. Alleine die Annahme, die lächerliche Behauptung, Kaiba würde irgendetwas neben Ekel und Abscheu für mich empfinden war abwegig, aber ich musste es aussprechen, denn entweder würde ich endlich erkennen, dass sie von Grund auf falsch war oder Kaiba würde sich um 180 Grad drehen und mir ein klischeehaftes Liebesgeständnis machen.
 

Bei dem alleinigen Gedanken an letzteres wurde mir schlecht. Das war nicht mehr nur falsch, das war weltfremd. Ich war Joey Wheeler - Kaiba verabscheute mich - ich war ein anderer Mensch - Kaiba hasste Menschen - und ich war ein Mann - Kaiba hatte wahrscheinlich noch weniger für Männer übrig als für Frauen. Es war eine simple Rechnung, die noch einfacher zu beantworten war und dennoch war ich nicht imstande, sie für mich zu beantworten. Das konnte nur Kaiba.
 

Ich wartete auf eine Erwiderung, auf die Verneinung meiner Behauptung, doch Kaiba schwieg. Mein Weltbild begann zu brechen, doch ein Blick in Kaibas Gesicht rettete die Situation. Er schien nach Worten zu ringen, er war schlicht und ergreifend sprachlos. Zorn und Empörung kämpften um die Vorherrschaft, schienen sich nicht einig zu werden. Ich hatte Kaiba mit meiner waghalsigen Theorie aus der Bahn geworfen. Er hatte sie durch den Wahnsinn, der in ihr innewohnte wahrscheinlich noch nicht einmal zur Gänze realisiert.
 

„Ich bin nicht ... verknallt “, stieß er schließlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Es schien ihn alle Überwindung zu kosten, das Wort auszusprechen, es widersprach mit Sicherheit sämtlichen seiner Prinzipien, das Wort überhaupt zu denken. „Du - Wheeler - ist dir jetzt der etwa der letzte Funken deines Restverstandes abhanden gekommen?“
 

Es konnte ihm nicht wirklich schlecht gehen, wenn er schon wieder in der Lage war, mich zu beleidigen. Was mich jedoch am meisten irritierte, was die Tatsache, dass seine Worte mich störten. War ich etwas so krank, dass ich mir irgendwie gewünscht hatte, Kaiba würde mir zustimmen? War ich wirklich so masochistisch?!
 

„Alleine für den Stumpfsinn dieser Frage sollte man dich wegsperren.“
 

Du wusstest, dass ich früher oder später wieder hier auftauche.

Ja.

Du hast auf mich gewartet.

Ja, verdammt.
 

Meinte er das ernst? Was für eine ungewohnte Wortwahl. Ich musste ihn mit der Behauptung wirklich getroffen haben. Es gefiel mir immer noch nicht. Es deckte sich nicht mit seinem Verhalten. Warum hatte er eben noch nachgegeben und widersprach mir jetzt so bestimmt? Das war skurril.
 

„Du streitest es also ab?“, fragte ich provozierend. Kaibas Haltung versteifte sich. „Wheeler, sag mir nicht, dass du auch nur für einen Moment geglaubt hast, ich könnte diesem Unsinn zustimmen.“
 

Natürlich hatte ich es nicht. Nein, ich hatte es nicht. Und dennoch ... störte Kaiba mich. Es erklärte sein Verhalten nicht. Wenn es nicht das war, was war es dann? „Mach dich nicht lächerlich, Kaiba, ich hab es nicht ernst gemeint“, log ich und schluckte die Bitterkeit dieser Worte. Es störte mich noch immer. Ich hasste es, aber es störte mich wirklich. Maßlos. Verdammt, was dachte ich mir eigentlich dabei?! Ich war weder schwul, noch stand ich plötzlich auf Kaiba. Ich wollte nicht, dass er in mich verknallt war, noch viel weniger wollte ich, dass ich mich in seiner Gegenwart unvermittelt so schlecht fühlte.
 

Verfluchte Mädchen mit ihrem kitschigen, dummen Gerede über Liebe und tiefe Gefühle. Tiefe Gefühle hatte ich für meine kleine Schwester, sie war meine Familie. Gefühle hatte ich für meine Freunde. Ich fühlte auch etwas für Kaiba, doch es war immer negativ gewesen. Selbst jetzt war es noch negativ, ich konnte ihn ansehen und denken Was für ein Arsch! und dieser Gedanke entsprach der Wahrheit, dennoch war ich im selben Moment enttäuscht, dass er nichts an mir fand, dass es vielmehr ins Gegenteil von etwas finden ging. Das war nicht nur paradox, das war wirklich krank. Krank und unerklärlich.
 

Noch dazu kam es so plötzlich, so ohne Vorwarnung, dass es noch abwegiger klang. Ich konnte nicht von einem Moment auf den anderen auf Kaiba stehen. Er war nicht attraktiv, zumindest in meinen Augen nicht, ich war ein Kerl, Kaiba auch, Männer fanden andere Männer nicht attraktiv. Ich war auch keines der geifernden Schulmädchen, die Kaiba hinterher lechzten. Es stimmte nicht, diese Situation, diese Gefühle - verdammt, es waren noch nicht einmal Gefühle! - dieses Etwas war so falsch, einfach nicht richtig, nicht angebracht und unpassend, dass ich nicht anders konnte, als den Griff um Kaibas Schultern zu lösen, eine Faust voll seiner Haare zu greifen und ihn zu küssen.
 

Es war keine naheliegende Lösung, offen gesagt war sie nicht einmal eine zur Option stehende Lösung, doch ich erklärte sie durch mein Handeln unweigerlich zur einzigen Option. Natürlich hatte Kaiba nicht damit gerechnet. Er stand so starr, so bewegungslos, dass ich einen Moment lang fürchtete, sein Geist hätte seinen Körper verlassen. Dann spürte ich raschen, abgehackten Atem, der sich mit meinem vermischte. Kaiba lebte noch. Kaiba war mehr als lebendig.
 

Es war noch nicht einmal wie in einer dummen Verfilmung einer kitschigen Liebesgeschichte. Kaiba machte keine Anstalten sich zu wehren, im Gegenteil, obwohl ich das Gefühl hatte, dass er nichts lieber täte als mich von sich zu stoßen und in Grund und Boden zu verklagen, hoben sich seine Hände nicht, um sich um meinen Hals zu legen und zuzudrücken, stattdessen packte er nun meine Schultern und zog mich zu sich.
 

Diese Geste, diese unerwartete Reaktion schockierte mich mehr, als der von mir ausgehende Kuss. Kaiba küsste mich zurück, er wurde tatsächlich fordernder. Das passte nicht, so ging es nicht, das konnte einfach nicht sein. Kaiba würde mich nie freiwillig küssen und doch tat er es. Ich verspürte keinen Triumph, weil meine Behauptung nicht so falsch gewesen sein konnte, wie er mir glauben hatte machen wollte. Obwohl die Enttäuschung, die ich bis zu diesem Moment verspürt hatte nun langsam verschwand, fühlte ich mich nicht gut. Ganz im Gegenteil. Mit wurde übel.
 

Ich riss mich abrupt von Kaiba los und stemmte die Hände gegen seine Brust, um ihn von mir zu drücken. Ich wollte so viel Abstand wie möglich zwischen uns bringen. Ich war verwirt, verunsichert, entsetzt und maßlos wütend. „Was denkst du eigentlich, was du da tust?!“, fuhr ich ihn an.
 

Auf Kaibas Gesicht lag Verwirrung, er schien von seinem eigenen Handeln überrascht, dann entspannten sich seine Züge und zu meinem Missfallen breiteten sich Gelassenheit und sogar Gleichgültigkeit dort aus. „Ausgerechnet du fragst mich das, Wheeler?“
 

Warum war er so ruhig, er sollte genauso fühlen, wie ich es momentan tat. Er sollte genauso aufgewühlt sein, genauso wütend, doch er gab sich wieder so verdammt unbeteiligt, dass mein Magen nun noch mehr rebellierte. „Ich ... du - warum hast du -? Zur Hölle, tu doch wenigstens so, als ob es dich stören würde!“, stieß ich aufgebracht hervor und starrte ihn wütend an. Mein Atem ging schnell und stoßweise, meine Wangen waren gerötet vor Zorn und Scham.
 

Kaiba atmete langsam ein und dann realisierte ich schlagartig, dass er zitterte. Nicht stark, doch spürbar. Er atmete zitternd ein, sein Körper war bis aufs Äußerste angespannt. Es ließ Kaiba nicht so kalt, wie er mir Glauben machen wollte. Er war genauso aufgewühlt wie ich. Er war auch nur ein Mensch. Verdammt, wir hatten uns geküsst! „Erwecke ich in deinen Augen den Eindruck, als wäre ich begeistert?“, fragte er und seine Augenbrauen zogen sich bedrohlich zusammen. Ich konnte nur erahnen, wie wütend er war. Ob auf mich oder seine eigen Reaktion auf den Kuss wollte ich nicht wissen.
 

Ich biss mir auf die Lippen, doch ich musste es aussprechen, sonst würde es immer zwischen uns stehen: „Du schienst auch nicht abgeneigt, Kaiba. Das ist dir genauso klar wie mir.“
 

Seine linke Augenbraue zuckte bei meinen Worten, eine Reaktion, die ich bei ihm noch nie hervorgerufen hatte. Ich befürchtete, dass es ein schlechtes Zeichen war. „Es war ein Affektverhalten“, entgegnete Kaiba so sachlich, als würde er tagtäglich die Schwere unzähliger Vergehen durch derart wenige Worte erklären und somit weitere Fragen aus der Welt schaffen. Vielleicht funktionierte es bei seiner Firma, aber ich war weder ein Angestellter, noch ein Geschäftspartner. Ich gab mich nicht damit zufrieden, im Gegenteil, Kaiba provozierte mich mit solchen Worten.
 

„Ein Affektverhalten?“, echote ich. Gab es das Wort überhaupt oder nutzte Kaiba nur die Tatsache aus, dass ich wusste, dass sein Vokabular meins übertraf, um mich zu verwirren? Meine eigenen Gedanken verwirrten mich. „Hast du noch mehr von diesen billigen Ausreden?“ Hohn lag in meiner Stimme, ich brauchte eine aufrichtige Reaktion von Kaiba, nicht dieses geschauspielerte Gehabe.
 

„Ja Wheeler, und ich versichere dir, sollte irgendjemand jemals davon erfahren, wirst du auf unerklärliche Weise einen finanziellen Zusammenbruch erleiden.“
 

Er drohte mir? Nach allem besaß Kaiba die Dreistigkeit, mir zu drohen? Nicht so!
 

„Affektverhalten“, zischte ich voller Abscheu, dann beugte ich mich vor und presste meine Lippen erneut auf seine. Ich überraschte ihn mit diesem Handeln jetzt wahrscheinlich sogar mehr als beim ersten Mal, denn er hätte nie damit gerechnet, dass ich den Mut besaß, ihn zwei Mal zu küssen. Wieder hatte Kaiba mich unterschätzt.
 

Im ersten Moment verspannte er sich. Ich machte Anstalten, mich zurückzuziehen und er folgte instinktiv der Bewegung, um den Lippenkontakt aufrecht zu erhalten. Im selben Moment wurde ihm sein Fehler bewusst, doch ich war schneller und löste mich mit einem triumphalen Laut von ihm. „Affektverhalten“, spöttelte ich und hob bedeutungsschwer die Augenbrauen. „Du mich auch, Kaiba.“
 

Er presste die Lippen aufeinander und wirkte alles andere als begeistert. Ich hatte ihn, er konnte sich nicht rausreden, sein Körper hatte ihn verraten. Seto Kaiba, bezwungen von seinem Körper. Wenn das nicht unerwartet kam. Offenbar hatte selbst seine Beherrschung Grenzen.
 

„Ich nehme an, wir haben uns einiges zu sagen“, bemerkte ich trocken. „Wie wäre es, wenn du anfängst, Kaiba.“
 

Er schwieg, wich meinem Blick aus. Es war seltsam, dass er so defensiv sein konnte und dennoch nicht schwach erschien. Trotz allem wirkte er, als wäre er mir noch immer überlegen. Wie ich das hasste. „Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig“, sagte er schließlich.
 

Ich ließ die Arme sinken und machte einen Schritt zurück. „Das ist kindisch, Kaiba“, sagte ich und sein Blick fixierte mich stechend. „Wem willst du etwas vormachen? Du bist doch nicht dumm, du weißt, was hier los ist.“
 

„Es ist nichts los, Wheeler.“

„Wir haben uns geküsst.“

„Niemand hat es gesehen. Vergiss es wieder.“

„Was ist dein Problem, Kaiba?“

Du bist das Problem!“
 

Ich starrte ihn an. Er erwiderte den Blick. „Du bist die ganze Zeit mein Problem! Ich verstehe nicht, was dich dazu bringt so derart penetrant zu sein. Jeder andere hätte eingesehen, dass er es nicht mit mir aufnehmen kann, aber du versuchst es wieder und wieder. Ist es deine Dummheit, die dich nicht akzeptieren lässt, dass es sinnlos ist? Ich kann dich nicht ausstehen Wheeler, ich konnte es nicht nie und trotzdem ...“ Er brach ab, nicht gewillt weiterzusprechen. Es war besser, dass er es nicht tat. Ich wollte nicht wissen, was es war. Es machte mich unsicher.
 

„Das ist doch verrückt“, sagte ich schließlich leise. „Wir sind all die Jahre so ausgekommen und von einem Moment auf den anderen kann es doch nicht einfach anders sein.“
 

„Wem sagst du das, Wheeler. Egal, was ich versuche, ich komme zu keiner Lösung. Ich halte immer noch nichts von dir.“
 

„Ich auch nicht.“ Es stimmte. Auf überzogene Art und Weise log ich ihn nicht einmal an. Redete ich mir zumindest ein.
 

„Das müssen die Hormone sein.“ Ich musterte ihn aus den Augenwinkeln. Er blickte zurück. „Was?“

„Das ist noch billiger als die Affektausrede.“

„Hast du eine bessere?“

Ich grinste falsch. „Ich bin betrunken. Ich habe meine Ausrede.“

„Du machst keinen betrunkenen Eindruck auf mich.“
 

Ich machte nicht einmal mehr einen betrunkenen Eindruck auf mich selbst, aber Kaiba konnte es nicht beweisen. Wenn ich mir einredete, es läge an dem Alkohol, vielleicht war es dann tatsächlich so. Es erklärte jedoch nicht Kaibas Verhalten.
 

„Ich kann dir nicht so egal sein.“
 

Er schwieg. Dann sagte er ohne Scham und ohne die Spur von Unsicherheit: „Ich habe nie gesagt, dass du mir egal bist, Wheeler.“
 

Mein Mund fiel auf. Kaiba wirkte so über alle Maßen selbstüberzeugt, dass es mir die Sprache verschlug. Jetzt widersprach Kaiba sich doch. Er hatte mir doch vor wenigen Minuten noch auf „nichtwörtliche“ Art und Weise den Tod gewünscht. Ich brauchte Sekunden, bevor ich fassungslos keuchte: „Sag, dass das nicht wahr ist!“
 

oOo
 

„Sieh mich nicht so an. Dass du mir nicht egal bist, bedeutet nicht, dass ich dich mag, Wheeler.“
 

Ich weiß das, dennoch klangen seine Worte wie ein dummes, albernes Geständnis. Von Kaiba. Will er mir damit etwas sagen? Nicht er.
 

Ich werfe einen Blick auf meine Uhr, ein verzweifelter Versuche, etwas Normalität in die absurde Situation zu bringen. Es ist zehn nach zwölf. Wir haben Sonntag. Kaiba hat es geschafft, die gesamte Woche zur verrücktesten in meinem ganzen Leben zu machen. Vielleicht sollte ich ihm wirklich Blumen und Pralinen ... Unsinn, das ist albern!
 

Wir schweigen für weitere zwei Minuten, dann wird mir klar, dass Kaiba nichts mehr sagen wird. Er ist der Ansicht, dass alles gesagt wurde, wobei seine letzte Aussage die Fragen nur verdoppelt hat, die bis dahin in meinem Kopf spukten. Ich hasse ihn für dieses Talent, mich mehr und mehr zu verwirren, selbst dann, wenn er etwas offenbart, was eine Frage beantwortet.
 

„Ich glaube dir nicht, Kaiba“, sage ich schließlich und sehe ihn fest an. „Du kannst behaupten, was du willst, ich glaube dir nicht.“
 

Er fährt sich mit einer Hand abwesend über das Kinn, sein Mund verzieht sich für einen Moment kaum merklich. „Glaub was du willst Wheeler, niemand sonst wird es tun.“
 

Damit hat er Recht. Wenn er sagt, dies alles hat nie stattgefunden, dann wird ihm jeder glauben. Niemand wird denken, dass etwas so Verrücktes wirklich zwischen uns vorgefallen ist. Er ist so ein Arsch. So ein verfluchter, ekelhafter Mistkerl, dass ich nicht anders kann, als ihn wieder zu küssen.
 

Ich weiß nicht, wieso ich perfiden Gefallen daran gefunden habe, Kaiba zu küssen. Entweder ich bin verrückt oder ich bin doch schwul - oh Gott, wie soll ich das Tristan beibringen?! - vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich mir in diesem Moment einbilden kann, ich wäre Kaiba tatsächlich etwas überlegen. Er erwidert den Kuss, ich bin überrascht, dass Kaiba so viel davon versteht, habe ich ihn doch nie mit einem Mädchen gesehen. Aber nur weil in der Schule oder in den Medien nichts ersichtlich scheint, heißt es nicht, dass hinter den Türen seiner Villa nichts passiert. Was mache ich mir überhaupt Gedanken darüber, während ich Kaiba küsse?
 

Ich weiß nicht wie viel Zeit vergeht, ich weiß nur, dass ich ungeduldiger werde, je länger es dauert. Es ist das dritte und letzte Mal, dass ich Kaiba küsse, das letzte Mal, dass ich diesen Triumph in mir fühlen werde und dieser Gedanke macht mich krank! Es ist nicht fair, dass ich eine Möglichkeit gefunden habe, ihm zumindest ebenbürtig zu sein und sie beinahe im selben Moment wieder aufgeben muss.
 

Als wir uns voneinander lösen und ich ihn direkt ansehe, ist mir klar, dass dieses Treffen nie stattgefunden hat. Kaiba und mir ist etwas bewusst geworden, doch er ist nicht bereit, es zu akzeptieren. Mir fällt es auch schwer, aber ich bin im Gegensatz zu ihm bereit, es als tatsächlich vorgefallenes Erlebnis anzusehen. Er ist wesentlich sturer als ich, wer hätte das gedacht.
 

„Ich hoffe, wir sind uns einig Wheeler“, sagt er schließlich. „Das hier ist nie vorgefallen.“
 

Er klingt, als hätten wir Sex gehabt. Wenn es nur so weit gekommen wäre, vielleicht wäre es interessant gewesen. Das sollte ich eigentlich nicht denken. Verdammt, Tristan würde mich enterben, wenn er davon Wind bekam, dass ich über Sex mit Kaiba nachdachte.
 

„Was immer du sagst, Feigling“, entgegne ich und schaffe es nicht, die Bitterkeit ganz aus meiner Stimme zu verbannen. Natürlich entgeht es Kaiba nicht. „Sag nicht, dass du enttäuscht bist, Heuler“, höhnt er, wartet jedoch nicht auf eine Antwort und wendet sich ab. „Dinge, die niemand gesehen hat, haben nie stattgefunden.“
 

Wenige Meter von uns entfernt fährt eine Limousine vor. Ich weiß nicht wann und vor allem wie Kaiba sie hierher bestellt hat, es ist unheimlich, sich darüber Gedanken zu machen, also beobachte ich mit gemischten Gefühlen, wie er sich abwendet und wortlos einsteigt. Ich komme mir verarscht vor. Stehengelassen. Ich bin doch kein Ding, dass man ein Mal benutzt und dann wegwirft. Und wieder ist da diese Sex-Assoziation. Verdammt, ich sollte besser dafür beten, das Tristan niemals etwas davon erfährt. Es ist schon für mich zu viel.
 

Die Limousine fährt an und ich sehe zu, wie sie sich entfernt und schließlich aus meinem Blickfeld verschwindet. Nachdenklich starre ich auf die Straße, bin irgendwie wütend darüber, dass kein Auto vorbeigefahren ist, als Kaiba und ich uns geküsst haben. Hätte es jemand gesehen, hätte Kaiba es nicht einfach für nichtig erklären können. Sein Image wäre vielleicht dahin gewesen, aber das ist mir egal. Scheiß auf sein Image.
 

Ich stehe minutenlang einfach nur da, meine Gedanken kreisen um Kaiba. Es ist erschreckend, wie viel ich an ihn denke. Wie kann aus einem taffen Hetero-Oberschüler ein Kaiba-Kussfanatischer Verrückter werden? Das ist nicht normal, stelle ich zum wiederholten Mal an diesem Abend fest.
 

Kaiba hat mich verdammt noch mal wieder wie einen Hund behandelt. Jahrelang hielt er mich an der langen Leine und dann, mit einem Mal in dieser Woche fängt er an, sie nach und nach einzuholen, mir die Bewegungsfreiheit zu nehmen, bis er mich heute Nacht regerecht am Halsband gepackt hat. Das ist ein bescheuerter Vergleich, ich hasse ihn ebenso wie ich Kaiba in diesem Moment hasse, aber er ist mehr als zutreffend. Und schlagartig wird mir bewusst, dass ich das nicht mit mir machen lassen will.
 

Wie konnte ich es zulassen, dass Kaiba die Regeln festlegt? Wie konnte ich ihn gehen lassen, wie konnte ich auch nur einen Moment lang zögern, wenn ich in den vergangenen Jahren niemals einen Rückzieher gemacht habe, sobald es um Kaiba ging? Nur weil er feige ist, heißt es nicht, dass ich mich genauso verhalten muss!
 

Ich greife nach Tristans Fahrrad und schwinge mich auf den Sattel. Kaiba hat mich falsch eingeschätzt, als er gedacht hat, ich würde seine lächerliche Forderung einfach so akzeptieren. Ich habe mich nicht jahrelang mit ihm angelegt, nur um innerhalb einer einzigen Nacht von ihm derart vorgeführt zu werden.
 

Ich bin froh, dass ich weiß, wo Kaiba wohnt. Tristan und ich haben uns seine Villa vor Jahren schon angesehen, nur um zu wissen, ob die Gerüchte tatsächlich stimmten, die um Kaibas Haus kursierten. Es lag im teuersten Viertel der Stadt und das Grundstück war so groß, dass wir es von Zaun aus nicht annähernd hatten ausmachen können. Ein alarmgesichertes Tor hinderte Unbefugte am Zutritt, öffnete sich nur mit einem Code oder der Zulassung von Kaiba selbst.
 

Ich brauche eine viertel Stunde, bis ich es erreiche. Ich stehe vor dem Eisentor und blicke in die Höhe. Es ist unmöglich zu umgehen, Klettern scheidet ebenso aus und ich möchte nicht wissen, ob auf der anderen Seite wohlmöglich hungrige Dobermänner lauern.
 

Ich klingele. Nichts rührt sich. Ich klingele erneut, dann, als wieder keine Reaktion erfolgt, werde ich unruhiger. Mein Finger drückt in unregelmäßigen Abständen auf den Knopf. Eine Lampe leuchtet auf, als sich die Sprechanlage einschaltet.
 

„Lass mich rein“, fordere ich, bevor er etwas erwidern kann. Sekunden verstreichen, doch ich werde nicht unsicher. Ich bin fest entschlossen, das hier durchzuziehen. „Kaiba“, sage ich schließlich eindringlicher. „Lass mich rein.“
 

Ich bin nicht in der Position um Forderungen zu stellen. Er weiß es, ich weiß es und dennoch erklingt ein monotones Summen. Die Torflügel öffnen sich. Ich schiebe das Fahrrad die Auffahrt hinauf. Die Tür zur Villa steht offen, ich lehne das Rad an eine der Steinsäulen neben dem Eingang - frage mich kurzzeitig, ob es dort wirklich sicher ist - dann sehe ich Kaiba an. Er hat die Arme verschränkt und mustert mich lange. Sein Kinn ist nicht geschwollen, ich sollte froh darüber sein, dass es nur rot ist.
 

Ich erwidere seinen Blick, gehe langsam auf ihn zu. Ich zeige ihm, dass ich weiß, was ich tue, dass ich mir bewusst bin, was ich will und dass ich nicht hinnehme, was er vorschreibt. Kaiba ist nicht wütend, er wirkt nicht einmal verärgert, aber auch nicht begeistert. Kein Wunder, immerhin habe ich ihn beleidigt, geschlagen und geküsst. Wir haben uns geküsst. Sekundenlang starren wir uns an, dann, ganz unerwartet, zucken seine Mundwinkel für einen Moment in die Höhe.
 

Er hat es selbst gesagt: Was niemand sieht, ist niemals geschehen. Doch genauso hat er damit zugegeben - ich weiß ganz einfach, dass er es so gemeint hat - dass es auf verquere und eigenwillige Art vertretbar ist.
 

Offenbar kennt Kaiba mich besser als erwartet. Er hat gewusst, dass ich kommen würde. Er hat gewusst, dass ich mich ihm widersetzen würde. Es muss ihm bewusst gewesen sein. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass er so durchtrieben ist.
 

Vielleicht ging es ihm wie mir. Vielleicht ist es ihm auch erst im Verlauf unseres Gesprächs ganz bewusst geworden. Vielleicht hat mein Schlag ihm Klarheit verschafft. Es ist eine perfide Ironie, wenn ich ihn erst schlagen muss, um ihn die Wahrheit erkennen zu lassen. Vielleicht liege ich auch falsch und es ist ganz anders gewesen. Ich weiß es nicht und er wird es mir nie sagen.
 

Es geht mir nicht um die Folgen von alldem, es geht mir nicht um die Meinung anderer, sollte jemals irgendwer hiervon erfahren, in diesem Moment geht es mir um die Gegenwart. Ich lebe im Jetzt, ich handele im Jetzt.
 

Er wendet sich ab. Ohne einen Blick zurückzuwerfen folge ich ihm ins Haus. Das Triumphgefühl kehrt zurück, zum ersten Mal in dieser Woche weiß ich, dass ich richtig gehandelt habe. Und zum ersten Mal seit ich Kaiba kenne sind wir einer Meinung.
 

oOo
 

An der langen Leine - nicht, wenn es ein einziges Mal nach mir geht!
 

oOo
 

Am Sonntagmittag ist Tristans Fahrrad nicht mehr da. Ich weiß es, weil ich Roland aus einem der Fenster in Kaibas Schlafzimmer dabei beobachte, wie er es wegbringt. Dieses Mal stört es mich nicht.
 

∼ Anfang ∼
 


 

Nachwort(e): Es ist beendet. Ich hoffe, niemand ist enttäuscht, ich habe für mich das aus der Story rausgeholt, was rauszuholen war. Kaiba bleibt Kaiba, Joey bleibt Joey - das war es, was ich versuchen wollte. Sie haben sich keine Liebe gestanden, das finde ich gut so, aber nichts spricht gegen etwas körperliche Anziehung ^_∼

Danke an alle Leser und Kommentarschreiber, ich hoffe, es hat euch gefallen und danke für eure Unterstützung. Ihr seit alle natürlich willkommen, meine anderen KaibaxWheeler-Fanfics zu lesen, wenn ihr Lust habt.
 

Unwichtiger Nachruf: Und an all die, die meine Frage im letzten Kapitel beantwortet haben - auch ein liebes Danke. Ihr habt es euch wahrscheinlich schon gedacht, dass es ein Vorbote von Schleichwerbung war. Ich hab eine One Piece Fanfic hochgeladen, sollten vereinzelte Menschen von euch nicht schon alleine von der Schleichwerbung vertrieben worden sein, dann werft doch mal einen Blick hinein ; ) Wer nicht will, einfach ignorieren *lach* Das würde ich auch machen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (154)
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Von:  lilac
2013-10-02T20:58:06+00:00 02.10.2013 22:58
Also das war mit Abstand meine lieblingsFF von dir (neben Epilogue, hoffe da svhreibst du noch weiter).
Mir gefällt sie so gut weil Kaida einfach Kaiba ist und Joey eibfach Joey ist, wie du zum schluss selber erwähnt hast.
Das Ende ist dir auch gelungen.
Wow.
Von:  lilac
2013-10-02T19:34:36+00:00 02.10.2013 21:34
Joey ist widermal so herlich getroffen in diesem kapitel.
Scher schön geschrieben.
Von:  lilac
2013-10-02T14:55:30+00:00 02.10.2013 16:55
Man ...endlich mal meine Reaktion von Kaiba.
Ich hab mich schon gefragt ob das echt shonen ai ist ....da kaiba fast nur eisig war.
Aber sein Auftauchen ...ach wie süß.
Bin schon gespannt.
Von:  lilac
2013-10-02T14:08:13+00:00 02.10.2013 16:08
Herliches kapitel.
Sehr amüsant.
Von:  lilac
2013-10-01T22:17:24+00:00 02.10.2013 00:17
Dieses kapitel war echt der Hammer. Man hab ich mich bepisst vor lachen ...
Joeys eskapaden durch die ganzen Abteilungen ...wow.
Seto hast du auch sehr autentisch dargestellt ....
Bin total begeistert ....
Von:  lilac
2013-10-01T21:36:16+00:00 01.10.2013 23:36
"Echte Männer weinen nicht – es sei denn, sie kennen Kaiba" guter Abschluss.
Wiedermal eine gelungene ff.
Das du schreiben kannst hab ja schon ein pasr mal erwähnt.
Bin schon gespannt wie es weiter geht.
Von:  Lunata79
2012-08-15T20:21:25+00:00 15.08.2012 22:21
Ich hab mich jetzt durch deine Kapitel gekämpft und muss sagen, deine Ff ist eigentlich ganz gut, aber ... vom Ende war ich schon etwas enttäuscht. Hatte mir etwas mehr erwartet bzw. erhofft. Deine Absicht in allen Ehren. Und genauso ist es dir auch gelungen. Nur schade, dass man nicht erfährt, wies weitergeht.

Lg
Lunata79
Von:  Silvagravia
2012-01-24T21:55:36+00:00 24.01.2012 22:55
Ich bin baff. Das ist eine der besten FF, die ich seit langem gelesen habe. Leider habe ich sie erst jetzt entdeckt.
Es war durchgehend spannend und du hast es in jedem Kapitel geschafft mich zu überraschen. Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll, so toll fand ich die Story.

Der Schluss hat mir sehr gut gefallen. Vor allem da die Protagonisten sich nicht großartig ändern. Sie sind und bleiben so wie sie sind. Du hast da echt was Gutes draus gemacht.

Du hast ein umwerfendes Talent mit den Worten zu spielen und einen solchen Text hervorzubringen, Gedanken zu übermitteln, dass ich nur denken kann "Er hat Recht". Soll heißen, ich fühle mich in die Story geworfen und kann alles nachvollziehen und mitdenken, als wär ich dabei. ^^ Echt super.
Von:  Pluesch-Pueppie
2010-12-13T02:42:28+00:00 13.12.2010 03:42
Ich bin maßlos, über alle Erwartungen hinaus begeistert.

Ich habe noch nie zuvor eine Fanfiction gelesen, in der die Protagonisten nicht ANSATZWEISE aus ihrer angestammten Rolle schlüpfen und doch eine Zusammenkunft möglich ist.

Mir fehlen die Worte um ein gerechtes Lob zu verfassen.

Ich weiß nur, dass diese FF mein Favorit ist. Nicht ein Favorit auf irgendeiner Favoliste sondern DER Favorit.

Habe mich schon lang nicht mehr mit Yugioh beschäftigt und bin nur durch Zufall und ein akutes Schlafproblem auf deine Story gestoßen und das war DER Glückstreffer schlechthin!

Mach weiter so!
Du bist wirklich der Wahnsinn!

Libste Grüße
Plüschi
Von:  _pineapple_
2010-10-16T17:12:57+00:00 16.10.2010 19:12
Soooo *fertig gelesen*

Ich glaube ich habe bis jetzt noch keine FF gelesen, die die "Hassliebe" so gut verdeutlicht und auch so wortwörtlich rüber bringt, wie man sich das halt vorstellt.
Beim Schluss hätte ich noch auf ein bisschen mehr Schnulze gehofft~ *grins* aber ich denke das würde auch einfach nicht zu der Geschichte passen^-^~
Dafür bleibt ja immer noch die Fantasie was passiert sein könnte...nach dem Blick aus dem "Schlafzimmerfenster"
(theheheh)
nja...
*hust*

Das ist wirklich ein sehr sehr gelungenes Werk! Mit seiner eigenen Art!
Auf der einen Seite so realistisch geschrieben aber dann doch wieder nicht...irgendwie...also...~ (eh...hä?)
Wie auch immer, das ist jedenfalls toll :D

Und ein besonderes Plus auch noch mal an Joeys Telefonterror in der Firma. Also das war ja mal wirklich GEIL XD
Interessiert mich auch, wie der in der Cafe gelandet is o.O

weiter sooo ^0^/

lg
Peko


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