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Ein Traum

Eine Kurzgeschichte
von

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Ich hatte vor Jahren einen Entschluss gefasst. Seitdem hatte ich immer darauf gewartet, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Und endlich war es soweit. Endlich hatte ich die Gelegenheit bekommen, fortzuziehen aus meinem Elternhaus. Für mich stand fest: Wenn ich erst einmal fort war, würde ich so schnell nicht mehr zurückkehren. Selbstständig zu sein, mir von niemandem etwas sagen zu lassen, meinen eigenen Weg zu gehen und zu tun, was ich für richtig hielt – das war es, was ich mir gewünscht hatte und nun erreicht zu haben schien. Fernab meines Geburtsortes fühlte ich mich nun freier denn je und wenn auch nur mit einem geringen Budget ausgestattet, war ich dennoch glücklich über meine kleine Unterkunft nahe der Küste. Ich würde es ganz allein schaffen, mir mein Leben aufzubauen, angefangen bei der Arbeit, selbst wenn ich noch nicht wusste, was genau ich machen wollte. Mir standen alle Möglichkeiten offen, deshalb war ich mir sicher, ich würde es schaffen.

Eines Abends im Sommer, es waren vielleicht zwei Wochen seit meinem Einzug vergangen, setzte ich mich nach draußen an den Strand. Die Sonne war bereits untergegangen, aber kalt war es nicht. Ich hatte mir eine Decke mitgenommen, welche ich in den Sand gelegt hatte, um mich auf ihr niederzulassen. Ich genoss die Stille, welche durch den sanften Wellengang untermalt wurde und es beruhigte meine Gedanken, meine Sinne. Irgendwann ließ ich mich auf meine Decke zurückfallen und beobachtet den Himmel, lauschte dem Meer. Dunkelheit umfing mich, angenehme, warme Dunkelheit, und trug mich weit, weit fort, durchquerte mit mir die Zeit und brachte mich zurück in meine Kindheit. Ich sah Leute, die ich von früher kannte und die längst schon vergessen geglaubt hatte. Ich durchreiste ferne Orte meiner Vergangenheit; mal glitt ich rasend schnell vorbei, doch manchmal verweilte ich auch eine zeitlang, den Moment genießend, um dann im nächsten Augenblick wieder an einen anderen Ort getragen zu werden.

Und dann stand ich plötzlich am Meer. Endlose Weite breitete sich vor mir aus. Freiheit und Leere, nichts als Luft, Wasser und Sand vor mir, hinter mir, um mich herum, tausend Eindrücke und doch war mein Verstand frei von jeglicher Sorge. Ich lief einige Schritte aufs Meer zu und sah, dass es tief schwarz war und sich auf eine ungewöhnlich weiche Art und Weise kräuselte. Dabei gab es nicht ein Geräusch, nicht einmal ein kleinstes Plätschern. Ich wollte meine Hand hineintauchen, doch im nächsten Augenblick spürte ich einen Luftstoß gegen meinen Rücken. Ich wollte mich umdrehen, in die Richtung blicken, aus der der Wind kam, doch er war so stark, dass Tränen in meine Augen traten. Indem ich sie schloss und mich wieder dem Meer zukehren wollte, verlor ich plötzlich das Gleichgewicht, Oben und Unten wurden eins. Ehe ich mich wieder fangen konnte, befand ich mich unter Wasser, um mich herum drückende Stille und Dunkelheit, doch ich verspürte keine Angst. Stattdessen erfasste Freude mein Herz, ließ es schneller schlagen, Triumph stieg in mir auf, je weiter ich auf den Grund sank. Ich atmete bewusst, war es auch Wasser, welches ich in meine Lungen sog, es ließ mich dennoch überleben! Ich hatte gesiegt über die Vernunft, über die Natur, mich ihr widersetzt. Was auch immer kommen möge – ich fühlte mich, inmitten dieser Dunkelheit und Einsamkeit – stärker und größer als je zuvor.

Meine Füße kamen auf dem Boden auf, versanken leicht im weichen Sand. Der Meeresgrund, so weiß und makellos, wie er sich vom Dunkel des Wassers abhob, schien ein sanftes Licht auszustrahlen, doch bot die Umgebung keine Fläche, an der es reflektieren konnte.

Plötzlich erblickte ich eine Gestalt, einige Schritte von mir entfernt. Reglos stand sie da, dunkel und starr. Ich ging auf sie zu, streckte die Hand nach ihr aus, wollte sie an der Schulter berühren, doch meine Finger stießen kurz vor ihr auf kaltes, festes Glas. Ich näherte mich mit meinem Gesicht der durchsichtigen Wand, bis meine Nasenspitze dagegen stieß. Meine Hände, mein Körper, alles drängte gegen das Glas, wollte es bewegen, durchbrechen, so nah wie irgend möglich zu der Person auf der anderen Seite vordringen, doch vergebens. Erst mein Rufen, das Klopfen und Scharren am Glas brachte die Gestalt dazu, sich umzudrehen. Langsam, als wenn die Zeit für sie in einer anderen Geschwindigkeit lief, wandte sie sich mir zu. Gespannt, beinahe wie erfroren, starrte ich auf ihren Kopf; ich wollte ihr Gesicht sehen, wissen, wer diese Person war, wie sie aussah. Zu langsam! Sie bewegte sich zu langsam! Ich nahm ihre Haare wahr, sanft bewegt wie durch Zauberhand, die Nase sah ich, das Profil, endlich das Gesicht, erkannte und kannte doch nicht die Person, die dort stand.

„Wer bist du?“

Hatte ich diese Frage gestellt?

Kurz schien es dunkler zu werden, meine Augen zuckten umher und als sich mein Blick wieder an die Person heftete, erkannte ich mein Gesicht, erkannte mich in der fremden Person, von mir getrennt durch das kalte, klare Glas. Ich stürzte zurück, fort von der Wand, wollte fliehen, alles zog mich weg von ihr, von der Gestalt, doch wieder stieß ich nach wenigen Schritten auf Glas. Ich wich nach links aus – kein Ausweg – ich wollte nach rechts heraus, doch nirgends fand ich einen Durchgang. Überall Glas! Vorgetäuschte Weite – ein Gefängnis mittendrin und um mich herum. Kein anderer Ausweg als zurück nach oben, doch ich war zu kraftlos, kam nicht hinauf und fiel in all der Verzweiflung hinab in den Sand. Ich wollte weinen, doch meine Tränen vermischten sich mit dem Meerwasser, wurden eins mit meinem Gefängnis.

Plötzlich fand ich mich am Strand wieder, atmete die frische, kühle Luft, spürte den Wind und das wiederkehrende Glück in mir. Fernab der Dunkelheit, umgeben von Leichtigkeit und wahrer Endlosigkeit. Ich hörte das entfernte Schreien der Seemöwen. Sonnenstrahlen umtasteten mein Gesicht, der Wind strich über meine Haut. Ich blinzelte und schlug die Augen auf. Ich lag noch immer am Strand, wo ich mich gestern Abend niedergelegt hatte, doch nicht mehr auf meiner Decke, sondern im bloßen, warmen Sand.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  lomelinde
2008-06-02T11:24:46+00:00 02.06.2008 13:24
Das habe ich ja jetzt erst gesehen, wie kommt das??? Dabei ist es doch schon ne Weile oben. Ah siehste du hast es überarbeitet, daher!

Naja mein Leseeindruck zu der kleinen Geschichte ist kurz gesagt: Genial!!! Du kannst wundervoll die Situation des Protaonisten beschreiben, so das es einen fesselt. Man hat selbst das Gefühl auf dem Meeresgrund zu sein.
Naja aber etwas fehlt mir bei der Geschichte. Ich finde eben, dass es kein richtiges Fazit gibt. Das liegt daran, dass du am Anfang groß beschreibst wie der Protagonist aus seiner alten starren Welt ausbricht um sein eigenes Leben zu leben, das ist ja schön und gut und lässt mir die Person nicht mehr nur als plastische Figur ohne Inhalt erscheinen sondern als einen Menschen mit Gedanken und Gefühlen, Problemen und Freunden etc. Dann kommt dieser mystische Unterwassertraum in dem der Protagonist mit seiner eigenen Persönlichkeit und seinem eigenen Gefängnis konfrontiert wird. Auch das ist wundervoll beschrieben und kann einem einen kleinen Schauer über den Rücken jagen. Naja aber nach dem erwachen aus der Traum fehlt einfach was. Und zwar die Deutung, die Deutung des Protagonisten. Was denkt er über den Traum? Worauf bezieht sich der Traum und was sind die Kosequenzen, die er daraus für sich zieht?
So wie die Geschichte jetzt ist bleibt sie unkommentiert im Raum stehen, aber wenn ich so einen Traum habe dann grüble ich doch weiter darüber nach un wenn mein Grübeln darin besteht, dass ich mich frage was für einen Mist ich denn nun wieder geträumt habe. Das fehlt hier und lässt mich irgendwie unbefriedigt zurück.
Wenn du das Ende aber noch etwas ausbaust, dann kann diese kleine Geschichte verdammt gut werden, noch besser als sie es jetzt schon ist.

Liebe Gruß
Deine lomeli <3

Von:  RaMonstra
2007-08-04T19:23:31+00:00 04.08.2007 21:23
Wirklich schön^^
Hat mir sehr gut gefallen, vorallem, dass du immer verschiedene Worte für gleiche Sachen benutzt hast, also Synonyme^^'' Das hat die Geschichte noch schöner gemacht.

Man konnte sich die Panik gut vorstellen, als die Person von Glas eingekesselt war.^^

Auszusetzen habe ich nichts, tolle Arbeit.

lg Sei




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