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Entwicklungen

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Entwicklungen

Seit ich das Schreiben in der Schule gelernt habe, habe ich immer gerne geschrieben. Warum das so ist, weiß ich nicht. Ich tue es einfach gerne. Auf einmal konnte ich all die Gedanken zu Papier bringen, die mir im Kopf rumspukten. Geschichten und Träume aufschreiben.

Meine Mutter hielt das immer für überflüssig. Wir waren damals nicht besonders reich und eine Neunjährige, die dauernd nach Stiften verlangte und Papier brauchte, kam ihr natürlich nicht gerade gelegen...

Aber irgendwie kam ich immer an Stifte. Ich habe mir welche in der Schule geliehen oder meine Oma hat mir welche geschenkt. Denn im Gegensatz zu meiner Mutter liebte sie meine Geschichten. Sie ließ sich gerne vorlesen, was ich geschrieben hatte und verbesserte mich. Immer wieder und unermüdlich.

Sie und der Drang schreiben zu müssen gaben mir die Kraft, es immer wieder aufs Neue mit meiner Mutter aufzunehmen und weiterzuschreiben. Selbst dann, wenn sie wieder durch mein kleines Dachbodenzimmer tobte und alle Papiere durch die Luft warf, zerriss und dabei häufiger auch meine Hausaufgaben erwischte.

Sie sagte immer, dass Schreiben doch nur sinnlos sei. Dass ich etwas tun sollte, anstatt irgendwelche Erfindungen niederzuschreiben. Dass ich gar nicht anders konnte, verstand sie nicht. Wenn ich einmal nicht schrieb, weil mir das Papier ausgegangen war und ich sie irgendwie von einem neuen Schulheft überzeugen musste, war das die Hölle. Ideen taumelten durch meinen Kopf. Geniale und weniger geniale Geschichten wechselten sich ab, doch ich konnte sie nicht aufschreiben, nicht festhalten und nicht verbessern und perfektionieren... Und ich vergaß sie dann irgendwann wieder. Aber das Schlimmste war, dass ich ja nicht aufhören konnte zu denken. Und meine Gedanken waren immer in irgendwelchen Geschichten.

In der Hoffnung, dass ich einmal „Etwas werden würde“ schickte meine Mutter mich dann doch aufs Gymnasium. Das Geld reichte zwar vorne und hinten nicht, aber sie hatte sich in diese Idee verbissen und so war ich nun auf dieser Schule. Es machte mir eigentlich Spaß. Meine Noten waren auch meistens sehr gut, lernte ich doch gern. Auch wenn ich immer im Hinterkopf behielt, wie ich eine Sache, die ich in der Schule gelernt hatte, in eine Geschichte einbauen konnte. Zum Beispiel aus Chemie die Sache mit dem Knallgas. Eine Mischung aus einem 2:1-Verhältnis von Wasserstoff zu Sauerstoff ergibt Knallgas, das wirklich herrlich Krach macht, wenn man es anzündet. Oder die Tatsache, dass nur Königswasser als einzige Säure – oder genauer: Säuremischung – in der Lage ist, Gold aufzulösen. In Geschichte faszinierten mich die ganzen Zusammenhänge der Welt, die historischen Schlachten, Kriegshelden und Heerführer genauso wie Bauern und Arbeiter...

In Erdkunde lernte ich fremde Länder kennen, über die ich dann schreiben konnte.

Ja, und dann war irgendwann die Zeit des Abiturs gekommen. Ich bestand – zur Freude meiner Mutter – problemlos mit einer 2,0. Mein bestes Fach war im Übrigen Deutsch, worin ich meinen Lehrer immer mit schrecklich langen Klausuren gequält hatte – unter 10 Seiten habe ich keine einzige Deutscharbeit in meinem Leben geschrieben.

Und während der ganzen Zeit habe ich weiter Geschichten geschrieben. Geschrieben, geschrieben und geschrieben. Und meine Mutter hat weiter getobt. Immer weiter. Und es einfach nicht lassen können... Nie konnte ich sie davon überzeugen, dass die Geschichten gut waren und dass sie ihr gefallen würden, wenn sie sie doch nur einmal lesen würde... Nein, lesen kam für sie nie in Frage... Sie hielt es für eine reine Zeitverschwendung, wenn es keine Kochrezepte oder Beipackzettel waren. Nun gut in eine Zeitung schaute sie mal hinein, aber das war es auch schon...

Dann starb meine Großmutter und ich, ich war auf einmal allein mit meinen Geschichten, dem Wunsch zu Schreiben, einer Mutter, die mich nicht verstand, und dem Gefühl „Was mache ich denn nun?“
 

Der Reporter las mir diesen Teil aus meiner eigenen Kolumne vor.

„Stimmt das so?“ Er lehnte sich in seinem bequemen Stuhl zurück und zog an seiner Zigarette. Ich verzog das Gesicht, da ich Zigarettenqualm nicht ausstehen konnte.

„Hat Ihre Mutter Ihre Schreiberei wirklich so abgelehnt?“

„Ja, das hat sie...“ Ich musste lächeln. „Erst als mein erster Roman auf den Markt kam und direkt in die Bestsellerliste eingestiegen ist, hat sie verstanden, dass Schreiben auch mehr sein kann... Dass Schreiben nicht nur sinnlos ist, sondern auch Geld einbringen kann. Man muss sie verstehen, wir waren nicht gerade reich...“

„Ja, aber wo ist Ihre Mutter heute? Wie verstehen Sie sich mit ihr?“ hakte der Reporter wieder nach. Ich musste leicht seufzen. Mit dem Erfolg kam auch der Ruhm und damit wiederum nervige Reporter, die immer wieder die gleiche Fragen stellten, auf die ich immer wieder die gleichen Antworten gab. Nur diesmal...

„Ich hatte in den letzten Jahren ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Mutter. Wir haben uns nach „Atlantis“ wunderbar verstanden und ich glaube, sie hatte auch endlich verstanden, wie es mir ging. Dass mein Kopf einfach voller Geschichten ist und ich die zu Papier bringen muss. Dass ich eigentlich gar keine andere Wahl habe...“

„Sie sprechen in der Vergangenheitsform von Ihrer Mutter?“ Der Reporter sah nicht mehr so gelangweilt aus. Er witterte offenbar eine Schlagzeile.

Hm, eigentlich war er eine interessante Figur für einen neuen Roman... In Gedanken machte ich mir Notizen. Zitternd und nervös wirkte er. Angespannt wie ein Rennpferd vor dem nächsten Lauf. Unruhig zog er an seiner Zigarette und knetete immer wieder die Armlehnen des Stuhls durch. Dennoch wirkte er gelangweilt...

„Ja... Sie ist vor zwei Wochen gestorben.“ Ich seufzte leise. „Auch wenn wir es nicht sehr leicht miteinander hatten, fehlt sie mir... Gerade in den letzten Jahren war sie mir eine wunderbare Stütze. Ohne sie hätte ich meinen aktuellen Roman gar nicht fertig geschrieben...“

„Nun, wo Sie es schon ansprechen: Reden wir über Ihren neuen Roman 'Sieh es endlich ein'...“

Der Reporter unterbrach mich. Also wohl doch keine Schlagzeile. Nein, für meine Mutter wohl nicht... Ich verdrehte leicht die Augen und spulte das Übliche über den Inhalt von 'Sieh es endlich ein' ab, während ich gleichzeitig meinen Gedanken nachhing.

Nein, meine Mutter war keine Schlagzeile... Sie war einfach meine Mutter gewesen und hatte mich auf ihre eigene Art geliebt: Sie hatte halt ihre Vorstellungen für mein Leben gehabt, damit ich es einmal besser haben würde... Ich hatte lange gebraucht, um das einzusehen. So lange, wie sie gebraucht hatte, um einzusehen und zu verstehen, dass Schreiben nun einmal für mich mein Leben war...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Himeka
2007-03-15T17:45:32+00:00 15.03.2007 18:45
schön^^
eine geschichte über das schreiben XD
Irgendwie hat mir sowas noch gefehlt *lach*
aber es ist wirklich Klasse. ich kann dir nur immer wieder sagen, wie sehr ich deinen Schreibstil doch mag ^-^
ich kann dir sagen, dass ich es bisher noch nicht bereut habe, alle deine geschichten zu lesen *lach*
und einen großteil hab ich ja schon geschafft!


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