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Sei nicht traurig!

Ein Wintermärchen
von

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Zusammenfügen des Puzzles

Lautes Pochen an der Zimmertür riss Lysander aus dem Schlaf. Eine kurze Verwirrung überfiel ihn, doch dann war ihm klar, wer geklopft hatte. Er erwartete ein „Das Essen ist hergerichet“ - doch es blieb aus; stattdessen klopfte es erneut.

Überrascht erhob er sich und zog sich rasch seinen Mantel über.

„Einen Moment bitte“, rief er dabei durch die Tür.

Geschwind fuhr er mit der, für ihn bereitgelegten, Bürste durch sein langes Haar und öffnete dann endlich die Tür. Kalte blau-graue Augen blickten ihn an, sodass ihm ein Schauder über den Rücken lief; Lorena hatte ihre kühle Art nicht abgestreift.

„Kann ich etwas für dich tun?“, wollte er überrascht wissen. Er konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal mit ihm gesprochen hatte – doch vermutlich war es an dem Tag seiner Ankunft gewesen; ebenfalls ein Gespräch, bei dem die Gesprächspartner auf verschiedenen Seiten von Türen gestanden hatten. Doch dieses Mal war es anders: Er selbst befand sich auf der Innenseite des Zimmers, während Lorena draußen verweilte, was ihn stärkte und Lorena gelassen empfangen ließ - trotz ihres unveränderten Gesichtsausdrucks.

„Der Herr lud Euch zum Essen und zu einer Rast ein“, begann Lorena, „Doch dies ist bereits der dritte Tag, an dem Ihr hier verweilt. Ich denke, es ist an der Zeit uns zu verlassen.“

Lysander nickte verständnisvoll; schließlich war er es selbst gewesen, der diesen Ort so bald wie möglich wieder verlassen wollte und so antwortete er: „Das denke ich auch. Doch...“ Er unterbrach sich und trat aus der Tür, um sie hinter sich zu schließen.

„Doch bedenke bitte: Mein Freund ist erkrankt. Wir wünschen nur noch diesen Tag zu verweilen; und wenn du am nächsten Morgen an unseren Zimmertüren pochst, werden wir verschwunden sein. Das ist ein Versprechen“, fuhr er etwas gedämpfter Stimme fort; er wollte nicht, dass Fynn hörte, wie er mit einer fremden Person über ihn sprach.

Lorena nickte knapp: „Das Essen ist serviert.“

Damit wandte sie sich grußlos um und schritt die Treppe hinab.

Lysander starrte ihr noch einige Sekunden nach, bis er sich ebenfalls umwandte und erneut sein Zimmer betrat.

Fynn war gerade dabei sich anzukleiden, doch Lysander hielt ihn zurück.

„Du bleibst heute im Bett!“, sagte er in befehlendem Tonfall.

Etwas sanfter setzte er hinzu: „Ich werde dir das Frühstück hochbringen.“

Fynn seufzte, doch was sollte er erwidern? Er selbst hatte sich diese Krankheit, die eigentlich gar nicht existent war, zuzuschreiben und so würde er auch mit den Konsequenzen leben müssen; auf keinen Fall könnte er nun noch alles widerrufen und gestehen, dass er völlig gesund war: er konnte es Lysander nicht antun.

So legte er sich also zurück in das Bett, dieses Bett, welches ihn so sehr an seine Kindheit erinnert hatte.
 

An diesem Tag hatte Fynn viel Zeit zum Nachdenken. Ihm war bewusst, Lysander wollte das Schloss eigentlich so schnell wie möglich verlassen – und heute hatte sich auch der Schneesturm gelegt, nur einige sanfte Flocken fielen vom Himmel hinab. Und auch wusste er, was der Grund für ihren Verbleib war: er selbst. Welche Mühe sich Lysander auch gegeben hatte leise zu Lorena zu sprechen, so hatte er es doch gehört und er fühlte sich schuldig. Doch auf der anderen Seite benötigte er diesen Aufschub, diesen einen Tag. Das Geheimnis des Schlosses war noch nicht gelöst, doch es wollte gelöst werden; sollte gelöst werden – von ihm.

So kam es, dass Fynn sich alles noch einmal vor Augen führte, alles noch einmal durchlebte. Das erste Gespräch mit Silencius beim Abendessen, die beiden Treffen mit Aydin und die Geschichte, die Silencius ihm am vorigen Nachmittag erzählt hatte. Verzweifelt versuchte er sich an jedes einzelne Wort zu erinnern, jede Andeutung könnte wichtig gewesen sein; nur noch dieser eine Tag, noch vor Tagesanbruch würden sie weitergezogen sein; dann war es zu spät.

Fynn wusste nicht warum, doch das Geheimnis um dieses Schloss schien von äußerster Wichtigkeit zu sein, dieses Gefühl drängte sich ihm zusehends auf und setzte ihn unter Zeitdruck. Die Lösung lag so nah...

Lysander betrat den Raum und riss Fynn aus seinen Gedanken.

„Wie fühlst du dich? Du hast am Mittag kaum etwas gegessen“, fragte er besorgt und ließ sich auf der Bettkante nieder.

„Mach dir keine Sorgen, ich fühle mich gut“, war Fynns aufmunternde Antwort, doch sein Freund beäugte ihn misstrauisch.

„Du bist ganz blass.“

Fynn lächelte matt – wenn Lysander wüsste, woran das lag... Er würde es dennoch nicht glauben, da war Fynn sich sicher.

„Mach dir keine Sorgen“, begann er erneut, „Ich...“

Lysander legte eine Hand auf Fynns Stirn und brachte ihn damit zum Verstummen. Wieso verspürte er dieses drückende Gefühl in der Herzgegend? Warum schien sich diese Art der von Lysander ausgehenden Fürsorge nicht zu schicken?

Verwirrt und verlegen wandte Fynn den Kopf zur Seite, doch Lysander hatte genau in diesem Moment die Hand weggezogen und bemerkte es nicht: „Fiber scheinst du keines zu haben... Vielleicht solltest du mehr schlafen.“

Fynn nickte ergeben; es war eine gute Idee. Tatsächlich zerrten die nächtlichen Treffen mit Aydin an seinen Kräften, er schlief nicht mehr genug.

So rollte er sich ein, sobald Lysander das Zimmer erneut verlassen hatte, und versuchte die Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen – doch es gelang ihm nicht. Er musste erst Ordnung in das entstandene Durcheinander aus Gefühlen gegenüber Lysander und Eindrücken von dem Geheimnis dieses Schlossen bringen. Während er dies angestrengt versuchte, erkannte er das, was ihm schon lange hätte klar sein müssen. Die fehlende Verbindung zwischen Aydin, Silencius und der alten Geschichte über die Jahreszeiten; so lange hatte er sie nicht gefunden, obwohl sie so nahe lag: Silencius war der Magier Winter. Erschreckt von diesem Gedanken sponn Fynn die Fäden weiter: Aydin, eine Lumiére, die Trauer und Verzweiflung bringt; auf Personen mit magischen Kräften hatte ihre Macht eine größere Wirkung; sie hatte erwähnt, dies wäre gerade bei Silencius der Fall. Ein klarer Hinweis darauf: er ist ein Magier. Und der Winter ist nicht vergangen, da die goldenen Vögel, aus Lebensfreude gefertigt, nicht fliegen konnten; und das, da Silencius tief traurig war: durch Aydins Anwesenheit.

Fynn wollte aufspringen und das Geheimnis endgültig lösen, doch da sein Kopf nun endlich frei von diesen Gedanken war, schlief er einfach, ganz ohne es zu wollen, ein.
 

Als Fynn erwachte, war es bereits tiefe Nacht. Er spürte einen warmen Körper neben sich auf der Matratze: Lysander. Langsam setzte er sich auf und wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und er die Umrisse seines Freundes erkennen konnte. Fast wie von selbst streckte sich seine Hand aus und fuhr Lysander durchs Haar – als er dies realisierte zog er die Hand halb erschreckt wieder zurück; sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Doch hatte er keine Zeit über sein Verhalten nachzudenken, er musste die Nacht nutzen, um noch einmal mit Aydin zu sprechen; musste erfahren, wieso sie hier war.

Schnell und leise schlüpfte Fynn aus dem Bett. Zu seinem Glück schien Lysander sehr fest zu schlafen, sodass er ohne ihn zu wecken durch den Türspalt auf den Flur verschwinden konnte.

Dort angekommen blickte er sich wie jede Nacht nach einem Lichtschein um, der durch einen Türspalt hervorglomm; und er entdeckte ihn auch sogleich: wieder das selbe Zimmer.

Rasch trat er heran, klopfte kurz und drückte die Tür, ohne eine Antwort abzuwarten auf. Eine Gestalt, die in der Zimmermitte stand, wandte sich um, sobald sich die Tür öffnete. Durch das grelle Licht geblendet, konnte Fynn im ersten Moment niemanden erkennen, doch schien ihm die Gestalt ungewöhnlich groß. Kaum eine Sekunde später erkannte er, wer vor ihm stand; und es war nicht Aydin.

Silencius blickte ihn aus intensiv blauen Augen an, die nicht mehr so klar, wie bei ihrem letzten Treffen waren. Sie schienen in die Ferne zu blicken, in eine Welt, die nur Silencius sehen konnte und in ihrem Blick lag Trauer.

„V...Verzeiht, ich...“, begann Fynn stockend.

Erst hatte er „Ich wollte zu jemand anderen“ sagen wollen, doch kam es ihm jetzt in den Sinn: Silencius wusste vermutlich gar nichts von Aydins Anwesenheit und so sagte er: „Ich wollte nur etwas trinken, ich muss mich in der Tür geirrt haben.“, wich zurück und schloss die Tür rasch wieder.

Erneut in der Dunkelheit des Flurs, lehnte er sich erst einmal erschöpft gegen die Zimmertür; sein Herz raste. Hatte er doch zuletzt Silencius erwartet. Fynn hatte sich doch noch nicht einmal angekleidet; steckte noch in seinem Nachtgewand. Peinlich berührt atmete er ein paar mal tief durch.

Wenn Aydin nicht hier war, wo konnte sie dann sein? Er hatte in Silencius' Blick gelesen: Sie konnte nicht weit sein. Er musste mit ihr sprechen, er musste. Die Mensch- und Pflanzenwelt würde diesem ewigen Winter nicht mehr lange Stand halten können.

Er musste an sein Dorf denken; an die friedliche Atmosphäre, an den Zusammenhalt, wenn im Frühjahr die Felder bestellt wurden, an die fröhlichen Lieder bei der Ernte im Herbst; und an Lysanders friedlichen Gesichtsausdruck, wenn er in der drückenden Hitze des Sommers im Gras lag und auf die himmelblaue Oberfläche des Sees blickte.

'Aydin...', dachte Fynn verzweifelt und löse sich nun endlich von der Tür in seinem Rücken los.

„Aydin“, flüsterte er, nach dem kleinen Mädchen rufend.

Jäh erstrahlte ein weiterer Türspalt; so eben mussten in diesem Raum die Kerzen entzündet worden sein. Schnell trat Fynn an die Tür heran und lauschte. Als er kein Geräusch ausmachen konnte, klopfte er – doch dieses Mal wartete er länger, bevor er zu dem Schluss kam, nur Aydin würde auf ein Pochen an der Tür nicht reagieren, und die Tür öffnete.

Tatsächlich saß das rothaarige Mädchen auf einem Bett, welches aussah, als hätte noch niemals jemand darin geschlafen.

„Guten Abend“, grüßte es leise und nickte zu einem Stuhl nahe der Tür hinüber.

Fynn verstand und ließ sich nieder, verwundert über die Begrüßung. Scheinbar hatte die kleine Lumière ihm nun endlich ihr Vertrauen geschenkt, nachdem er ihr Geheimnis niemandem verraten hatte.

„Du hast nach mir gerufen..:“, sagte sie erklärend und blickte Fynn offen an, als erwartete sie nun den Grund für diesen Ruf zu erfahren.

Fynn nickte zunächst nur schlicht und überlegte, wie er das, was er von ihr wissen wollte, wohl am besten und unverfänglichsten in Worte kleiden konnte. Es dauerte eine gute Minute, bis er sich endlich klar wurde, dass es nicht möglich war. Dann fragte er: „Aydin... Wieso bist du hier, in diesem Schloss? Ich weiß, du bist noch nie zuvor um diese Zeit hier gewesen.“

Das kleine Mädchen erbleichte und wandte den Blick von Fynn ab, um ihn auf ihre Finger zu lenken.

Eine tiefe Stille folgte und Fynn fürchtete schon, Aydin würde ihm nicht antworten, da hob sie den Kopf: „Jedes Jahr besuche ich dieses Schloss... Seit je.“

Erneut machte sie eine Pause, doch Fynn konnte in ihrem Blick lesen: Sie suchte nur nach den richtigen Worten, um zu erklären, was ihr auf dem Herzen lag.

Schließlich fuhr sie fort: „Bin ich hier, überfällt den Schlossherrn die Schwermut; ich kann nichts dagegen tun, es haftet an mir, dieses negative Gefühl!“ Den letzten Satz hatte sie laut ausgerufen, als sei sie zornig auf sich selbst. „Ich mühe mich, ihm nicht zu nah zu kommen – und dennoch...“ Sie schüttelte traurig den Kopf. „Zu stark ist seine Magie... Doch kann ich nicht fortbleiben, ich muss ihn sehen! Wenigstens einmal im Jahr, nur ein Mal...“

Fynn hatte dem Mädchen aufmerksam zugehört und es absichtlich kein einziges Mal unterbrochen, denn das, was es zu sagen versuchte, schien ihm sehr schwer zu fallen. Nun konnte er sehen, wie Aydins Augen feucht wurden.

„Wenn es zu schlimm wurde, wenn meine Anwesenheit zu sehr an seinen Kräften zehrte, habe ich diesen Ort verlassen, ihn zu schonen“, flüsterte Aydin nun nur noch, „Doch... Doch dieses Jahr war es mir nicht genug, ich wollte bleiben, bei ihm sein...“

Sie unterbrach sich selbst: „Sag mir, wie geht es ihm?“

Fynn zuckte zusammen; er hatte nicht erwartet von ihr angesprochen zu werden. Aus diesem Grund brauchte er auch eine kurze Zeit, bis er sich besann und ihr antwortete: „Nicht sehr gut, fürchte ich. Und der Welt geht es auch nicht gut – wenn Silencius betrübt ist, herrscht Winter auf der Welt. Herrscht diese kalte Jahreszeit noch länger, wird das Leben dieser Welt zu Grunde gehen.“

Er hatte langsam und bedacht gesprochen, wollte er doch auf keinen Fall dem kleinen Mädchen die Schuld für den langen Winter geben, doch fürchtete er, es könnte es so verstehen.

Doch dem war nicht so. Aydin wischte sich die Tränen aus den Augen und nickte langsam: „Ich verstehe... Es ist Zeit, zu gehen. Werde ich doch nie hier verbleiben können, werde ich ihm doch nie näher kommen dürfen; selbst wenn ich bliebe.“ Sie nickte überzeugt.

„Ich werde diesen Ort verlassen, morgen werde ich in meine Heimat zurückkehren und erst in fast einem Jahr wieder in dieses Schloss einkehren – so, wie es immer war, so, wie es am besten ist.“

Sie wandte sich zum Fenster um und blickte in die Dunkelheit hinaus: „Ich danke dir... Doch bitte ich dich: vergiss mich nicht, du warst mir ein guter Gesprächspartner und ein noch besserer Freund.“

„Du bist eine gute Seele“, beendete Fynn das Gespräch.

Aydin tat ihm Leid und er wollte sie trösten, doch konnte er sie nicht berühren und selbst wenn er es gekonnt hätte, könnte er ihr doch niemals den Schmerz nehmen.

Kurz fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf, wie es wäre, könnte er Lysander nicht mehr nahe kommen. Bei diesem Gedanken schien sich eine eiserne Faust um sein Herz zu ballen und er seufzte.

Als er sich aus seinen Gedanken losriss, war Aydin bereits verschwunden. Nur die Kerzen hatte sie für ihn brennen lassen. Dankbar lächelte er matt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Teilchenzoo
2011-08-11T11:04:17+00:00 11.08.2011 13:04
Arme Aydin. Ihre Sehnsucht wird wohl nie gestillt werden. Sie tut mir Leid.

Endlich ist Fynn auf des Rätsels Lösung gekommen. Und jetzt wird es Frühling werden.

Lg
Von: abgemeldet
2007-07-13T21:46:53+00:00 13.07.2007 23:46
Ein hübsches Ende, besonders den Brief finde ich wirklich gelungen!
Allerdings kam mir das Ende etwas zu plötzlich.
Im einen Moment verschwindet Aydin und schon im nächsten Moment kommen die goldenen Vögel und der Frühling?
Ich hätte es besser gefunden, wenn zumindest noch ein Tag dazwischen gelegen hätte...
oder dass keine Stürme mehr kommen und eines Morgens als sie gerade im Dorf ankommen oder sonstwie zum Himmel blicken, dann eben die Szene mit den goldenen Vögeln ^^
Das hätte einfach "realistischer" (sofern ein Märchen eben realistisch sein kann) gewirkt und hätte das ganze "runder" wirken lassen.
So fand ich die szene zwar schön, aber mir persönlich kam sie einfach zu schnell und zu plötzlich.

Insgesamt war es aber ein schönes Märchen, dass für mich durchaus Erinnerungen an alte "echte" Märchen geweckt hat - und dafür danke ich dir ^---^

Nocturn
Von:  Evidenz
2007-02-11T02:53:13+00:00 11.02.2007 03:53
-YEAH-
Cool...genauso hab ich mir es doch gedacht *freuz*
Ich mag es wenn ich recht behalte -XD-
-hihi-


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