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Sei nicht traurig!

Ein Wintermärchen
von

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Front aus Kälte

Strahlend weiße Wogen aus Eiskristallen stürzten auf die weite Ebene hinab, verschleierten den Blick. Inmitten der aufgetürmten Puderhügel kämpften sich zwei verschwommene Gestalten ihren Weg gen Horizont. Sie schienen nicht in diese kalte Welt zu gehören, wobei sie doch in dicke Mäntel gehüllt waren – bewegten sich zu unnatürlich, verzweifelten, rasteten.

„Ich kann keinen Zentimeter weiter weitergehen. Meine Glieder sind wie erfroren, ganz taub“, rief die kleinere Gestalt unter ihrer Kapuze hervor, während sie sich keuchend auf ihren Knien abstützte.

Ihr Begleiter blieb einige Meter weiter vorn stehen, wandte sich langsam um. Langes schwarzes Haar wehte ihm ins Gesicht und nahm ihm die Sicht, doch in diesem Schneetreiben machte es kaum einen Unterschied.

„Niemand hat dich gezwungen mich zu begleiten“, antwortete er harsch.

Seufzend richtete sich die Kapuzengestalt auf und blickte gegen den undurchdringlichen Vorhang aus Schnee: „Ich fürchte, das ist nicht der rechte Weg. Wir hätten das Dorf längst erreichen sollen, schon vor Stunden. Wir haben uns verlaufen, nicht wahr? Sag es mir ruhig.“

Die gebrochene Stimme der Gestalt war so schwach, sie erreichte gerade noch den Dunkelhaarigen, bevor sie vom Wind verschluckt wurde.

„Wir gehen weiter“, war dessen klare Anweisung..

Langsam kämpften sich die beiden Gestalten weiter voran, die kleinere etwas mühevoller, als die größere, in verzweifeltem Glauben die richtige Richtung ausgewählt zu haben.

Doch das Glück war den beiden hold, der freudige Ausruf der Kapuzengestalt tat es kund: „Sieh nur, Lysander! Dort, am Horizont!“

Der Angesprochene strich sich das Haar aus der Stirn und spähte angestrengt durch das langsam abschwächende Schneetreiben. Schnell kam er zu dem Schluss, sein Begleiter habe Recht. Zwar war es nicht das erhoffte Dorf, das sich dort mit dunklen Türmen den Wolken entgegenstreckte, doch zumindest ein Ort, an dem man sich wärmen konnte, der einen vor dem Erfrieren wahren würde..

Ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf dem geröteten Gesicht Lysanders aus und er reichte der kleinen Kapuzengestalt die Hand, welche diese sogleich ergriff.

„Komm“, sagte er wohlwollend, „Es ist nicht mehr weit.“
 

Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis die beiden Gestalten das Tor des dunklen Schlosses erreicht hatten. Im Windschutz der massiven Mauern zog die kleinere Gestalt ihre Kapuze vom Kopf, unter der kurzes goldblondes Haar zum Vorschein kam.

„Hoffentlich ist es in dem Schloss nicht so kalt, wie es von außen wirkt“, sagte der blonde Junge mehr zu sich selbst als zu seinem Begleiter.

„Bitte sei höflich“, ermahnte Lysander ihn, während er den Türklopfer betätigte.

Das laute, dumpfe Pochen ließ den Blonden unwillkürlich zusammenzucken: „Hoffentlich...“

Mit einem lauten Knarren, welches den Jungen verstummen ließ, wurde das Tor aufgezogen. Hinter ihm stand eine junge Frau mit dunkelblondem Zopf auf dem alten Parkett, in schlichtes Braun gekleidet; über ihrem Arm war ein weißes Tuch ausgebreitet. Ihre barsche Begrüßung trug zu der Vermutung bei, sie sei die Dienerin des Hauses: „Ihr wünscht?“

Der kleinere Junge tat einen fragenden Blick in Richtung Lysander, welcher sich räusperte: „Das ist Fynn“, er wies auf seinen Begleiter, „Und mich nennt man Lysander, wir kommen aus dem kleinen Dorf GoldenSun.“

Da sich die Bedienstete mit dieser Antwort nicht zufrieden zu geben schien, fuhr er fort: „Wir waren auf der Reise in das nächst größere Dorf, als wir in diesen Schneesturm gerieten. Es scheint...“ Er brach ab und warf Fynn einen kurzen Seitenblick zu,.bevor er schloss: „Es scheint als hätten wir uns verirrt; und bitten um einen Rastplatz.“

Höflich senkte er sein Haupt, erwartete die Antwort, die allerdings einige Sekunden auf sich warten ließ.

„Bitte kommt herein, ich werde mich bei dem Herrn erkundigen, ob Euer Einlass seinem Willen entspricht“, sprach die kalte Stimme aus dem lieblich anmutenden Mädchenmund.

Die Bedienstete trat zurück, ließ die beiden Fremden ein und entschwand durch eine der vielen Türen, die von der Eingangshalle abgingen.

Fynn schüttelte seinen blonden Schopf, um die Schneeflocken, die in seinem Haar haften geblieben waren, abzuschütteln und wandte sich dann mit vorwurfsvollem Blick in den grünen Augen zu Lysander um: „Haben wir uns also doch verlaufen!“

Dieser zuckte die Achseln, ohne zurückzublicken.

Eine tiefe Stille legte sich über die Eingangshalle des Schlosses, die aus Marmor gefertigt und bis auf einige Türen und alte Gemälde völlig leer war; eine Stille, die auch das Herz der beiden Gäste zu erfüllen schien.

Ein eisiger Schauder fuhr Fynn über den Rücken, als sich endlich an den Wänden widerhallende Schritte nährten. Eine Tür wurde aufgestoßen; im Rahmen stand erneut die Dienerin.

„Der Herr wünscht, Euch zum Essen zu laden“, rief sie durch die Halle, „Bitte die Herren mir zu folgen.“

Und genauso schnell wie sei erschienen war, verschwand sie auch wieder. Fynn und Lysander hatten Mühe ihr zu folgen, mussten sie doch zunächst die ganze Eingangshalle durchqueren.

An die Eingangshalle schloss ein zwielichtiger Gang an, in dem nichts mehr von dem Mädchen in der ausschließlich praktisch gearbeiteten Kleidung zu sehen war. Irritiert blieben die beiden Gäste stehen; blickten sich um – doch da erschien die Bedienstete schon wieder aus einem der abzweigenden Gänge. Sie war nicht angetan von den zurückgebliebenen Gästen, ihr kalter Blick und ihre gerunzelte Stirn verrieten es, und als sie die Beiden erblickte, bog sie schon erneut um die Ecke.

Nach einem komplizierten Weg durch die alten Gemäuer des Gebäudes schien man nun endlich am Ziel zu sein. Zumindest klopfte das Mädchen höflich an eine Flügeltür, bevor sie diese aufstieß.

Der Raum, welcher sich hinter der Tür verbarg, glich in seiner Schlichtheit dem Gang, an den er mündete. Karge marmorne Wände, das einzige Mobiliar eine lange Tafel – wohl aus Mahagoni gefertigt – und ein Dutzend passender Stühle mit hohen Lehnen. Ganz am anderen Ende des Raumes saß ein mittelalter Mann am Tisch, in Schwarz gekleidet und den Kopf auf die Hände gestützt. Sein silbernes Haar verschleierte ihm die Sicht und er hob nicht einmal den Kopf, als die Bedienstete den Raum betrat.

„Setzt Euch“, wies das blonde Mädchen Fynn und Lysander an.

Ein kurzer Blickwechsel zwischen den beiden Jungen erfolgte, bevor sie zögerlich den Raum betraten und sich dem silberhaarigen Mann gegenüber niederließen; Lysander als erster, Fynn zurückhaltend, ihm folgend.

„Ich werde noch zwei Gedecke bringen“, sagte die Bedienstete wohl eher zu dem Mann als zu Fynn oder Lysander, ruckte kurz mit dem Kopf und verließ eilig den Raum, die Tür hinter sich schließend.

Eine unangenehme Stille senkte sich über den weißen Raum. Da der fremde Mann, der hier Schlossherr zu sein schien, nach einigen Sekunden immer noch keine Notiz von seinen Gästen genommen hatte, räusperte sich Lysander.

Langsam hob der Mann den Kopf und richtete sich zu voller Größe auf, während er weiterhin stumm seinen Gästen entgegen starrte. Seine wunderlich blauen Augen schienen verschleiert, als wäre er mit den Gedanken in einer anderen Welt.

„Es ist sehr großzügig von Euch uns Einlass zu gewähren“, ergriff nun Fynn das Wort.

Überrascht von der jähen Selbstsicherheit seines Freundes, blickte Lysander ihm verdutzt entgegen. Ein gleichgültiges Schulterzucken war die Antwort.

Zur Überraschung der beiden schüttelte der silberhaarige Mann nur den Kopf: „Nein, nicht doch. Ich weiß, wieso ihr hier seid und ich muss gestehen, es ist meine Schuld.“

„Ihr wisst...?“, entfuhr es Lysander erstaunt.

Dieses Mal nickte der Mann, ein trauriges Lächeln auf den Lippen: „Die goldenen Vögel sind nicht gekommen.“

Nun wandte sich Lysander verwirrt an Fynn, der seinen Blick nicht minder verwirrt erwiderte. Dieser Mann sprach in Rätseln.

„Aber ich habe mich noch nicht vorgestellt, mein Name ist Silencius“, er neigte den Kopf leicht zur rechten Seite. Immer noch wirkte sein Blick fern und in seiner Stimme schwang Trauer, schon seit er zu sprechen begonnen hatte.

„Ich hoffe wirklich, sie treffen bald ein. Ich weiß, wie es um euer Dorf bestellt ist; wie es um alle Dörfer bestellt ist, sowie die Tiere. Der Winter rafft sie dahin“, sprach Silencius weiter und seufzte.

Wieder wechselten Fynn und Lysander Blicke. Er hatte vollkommen Recht; waren sie doch ausgezogen um im Nachbardorf um Vorräte und Brennmaterialien zu bitten. War es doch wirklich der Winter, die kalte Zeit, die dieses Jahr ungewöhnlich lange andauerte und auf die sie nicht vorbereitet gewesen waren.

Doch bevor einer der beiden etwas fragen konnte, wurde die Flügeltür erneut aufgestoßen und die Bedienstete trat herein, zwei Gedecke auf dem Tablett, welche sie vor den beiden Gästen auslegte.

„Vielen Dank, Lorena“, wehte die leise Stimme Silencius' zum anderen Tischende hinüber.

„Es wird sofort serviert“, war die Antwort der Dienerin, bevor sie den Raum erneut verließ.

Durch diese kleine Störung schien der Gesprächsfaden zerschnitten und das Ende verloren. Weder Fynn noch Lysander wussten, wie sie ihn erneut ergreifen konnten, und so wiegten auch sie sich – genau wie Silencius -. in Schweigen, bis das Essen serviert und verzehrt war.

Die beiden hatten schon lange kein so köstliches Mahl mehr zu sich genommen; die Vorräte ihres Dorfes waren fast zur Gänze aufgebraucht, nur noch Gerste war übrig geblieben. Doch hier wurden Kartoffeln serviert, Gemüse und sogar ein gebratenes Huhn. So kam es, dass beide Gäste nach dem Essen erschöpft in ihre Stühle zurücksanken.

„Ich hoffe es hat gemundet“, sagte Silencius leise.

Er wirkte auf Fynn noch trauriger als zuvor. Doch wieso nur?

Während er den silberhaarigen Mann betrachtete, schreckte er auf. Da stand ein kleines Mädchen schräg hinter Silencius' Stuhl. Wie war es so schnell dort hingelangt, wieso hatte er es nicht bemerkt? Doch schon einen Lidschlag später war es verschwunden, ohne jegliche Spur.

Verdutzt wandte sich Fynn an seinen Begleiter.

„Hast du es gesehen?“, flüsterte er.

„Was meinst du?“, fragte Lysander mit gerunzelter Stirn zurück.

Doch Fynn schüttelte nur den Kopf: „Ist schon gut, ich scheine mich geirrt zu haben."

Noch einige Sekunden starrte er dem Gastgeber entgegen, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches feststellen und gab schließlich auf; gerade als die Bedienstete Lorena erneut den Raum betrat.

„Lorena, sei so nett und führe unsere Gäste auf ihre Zimmer“, wies Silencius sie an.

Als hätte diese Anweisung Fynn und Lysander gegolten, standen die beiden auf und folgten der Bediensteten aus dem Zimmer.

„Wünsche eine angenehme Nacht“, wehte ihnen noch die Stimme des Schlossherren nach, bis die Flügeltür hinter ihnen ins Schloss fiel.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Teilchenzoo
2011-08-11T09:48:11+00:00 11.08.2011 11:48
Hui, eine schöne, melancholische Geschichte. Da habe ich ja das richtige für einen Tag wie diesen gefunden.

Der Schlossherr scheint kein Mensch zu sein, wohl der Winter selbst?
Lorena ist auch außergewöhnlich kalt für ein offenbar ja liebreizendes Ding.
Und was hat es mit dem kleinen mädchen auf sich? Ich bin gespannt.

Lg
Von:  Evidenz
2007-02-11T00:28:08+00:00 11.02.2007 01:28
Schon die ersten Sätze haben mich mal wieder in ihren Bann gezogen.....
Du schreibst so unglaublich toll!
Da fühlt man sich mitten in der Geschichte drin *g*
(in die nachfolgende Klammer kannst du bitte mein überaus begeistertes Geschwafel reinsetzten, ich wiederhole mich sonst immer nur [..........................])
Ich lese deine FFs mit sehr viel Vergnügen und es macht sooo viel Spaß sie zu lesen!^___^
(gehört eigentlich auch schon in die Klammer, aber das musste ich so noch mal erwähnen *g*)

Bitte mehr *g*
die anderen Kapitel werde ich gleich wahrscheinlich auch noch lesen ;>
LG Eneco
Von: abgemeldet
2007-02-10T20:08:23+00:00 10.02.2007 21:08
Das Kapitel scheint viel versprechend zu sein ^^
Nur leider konnte ich es mir gerade nicht in Ruhe durchlesen, tut mir Leid, aber das war gerade unmöglich.
Jedenfalls gefällt es mir und ich werde es mir noch einmal ansehen um dann einen ausführlicheren Kommentar zu schreiben.
Nur jetzt ist gerade schlecht ^^"


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