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Der Drachenkrieg

von

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Das Mädchen im Wald

An den Webmaster: Ich möchte diese Fanfic unter dem Pseudonym "El Jugador" veröffentlichen. Danke.
 

Puuuhh... es wird echt immer knapper, 10 Seiten an nur zwei Tagen zu schreiben. Aber noch gehts und das nächste Kapitel geht online. Ich hab mich riesig gefreut, dass immer mehr Leute Reviews schreiben. Na ja, ich will euch nicht warten lassen... also lest. Ich hab keine Rechte an Escaflowne etc.
 


 

Der Drachenkrieg Folge 11 - Das Mädchen im Wald
 


 

Ist es nur ein Traum oder ist es Wirklichkeit? Merle findet, nachdem sie sich bei mir ausgeweint und Farnelia verlassen hat, eine Gruppe Wolfsmenschen. Zuerst hat sie große Angst vor ihnen, aber die Geschöpfe bieten ihr an, sie wegen ihrer Verbindung zu Van zu begleiten. In der Zwischenzeit müssen am anderen Ende der Welt die Hexer in Zaibach erkennen, dass sie niemals die volle Befehlsgewalt über ihre Armee haben werden: Die Drachenlenker, zwei Draconier, stellen das unmissverständlich fest. Aber auch auf unserer Seite steht es nicht besser. Als Allen in Asturia eintrifft, muss er mit ansehen, wie Prinzessin Eries stirbt. Zwar kann er den Mörder töten, aber Asturia ist nun in den Händen des Kartells. Und schon während seiner Flucht bemerkt er den ersten Drachen...
 


 

Der Stahlkoloss glitt so dicht über das Blätterdach des Waldes, dass den meisten Personen der kalte Schweiß ausgebrochen wäre, aber Van war momentan alles egal. Er lenkte Escaflowne nun schon seit einer guten Stunde quer über Wald und Feld, ohne Notiz davon zu nehmen. Sein Blick war geradeaus gerichtet und das übrige Gesicht war starr wie ein Felsblock. Er dachte an gar nichts, während er die Gegend an sich vorbeiziehen ließ. Ihm war alles egal.
 

Nein, im Grunde auch nicht. Er versuchte, alles hinter sich zu lassen, aber in Wahrheit lief er davon. Und er schämte sich nicht deswegen. Seine Wut hatte inzwischen die Grenzen des Erträglichen erreicht und sein Schmerz war bereits jenseits dieser Grenze. Wäre er wirklich noch länger in Farnelia geblieben, nachdem selbst Merle ihm ihren Verrat eingestanden hatte, dann hätte er mit Sicherheit bald nach Blut geschrieen. Also hatte er mit seinem letzten Rest klaren Denkens, nachdem er sein Zimmer völlig verwüstet hatte natürlich, Escaflowne genommen und war fortgeflogen.
 

Wo er hinwollte, wusste er selbst nicht. Er wusste nur, dass er so weit wie möglich weg von Farnelia sein wollte, wo ihn alles an seinen Schmerz erinnerte. Zweimal schon hatte er in seinem Leben solche Pein ertragen müssen, wie normale Menschen sie meist zu ihrem Glück nicht kannten. Einmal, als Farnelia von den Zaibachern zerstört worden war. Damals hatte er seine Wut gegen das Reich gerichtet und in den vielen Kämpfen seinen Schmerz abgebaut, bis er schließlich beim Wiederaufbau seiner Stadt völlig verschwunden war. Das zweite Mal war Folkens Tod gewesen. Als sein Bruder ihn verlassen hatte, hatte ihn nur der Umstand vor dem vollkommenen Wahnsinn bewahrt, dass er um sein Leben hatte kämpfen müssen. Aber auch damals wäre er beinahe zum Schlächter geworden, als er halbblind vor Zorn und Schmerz Dilandau angegriffen hatte. In diesem Moment hatte ihn Hitomi mit ihrem Liebesgeständnis gerettet.
 

Jetzt, wo er wieder diese Qualen spürte, konnte ihm selbst das nicht mehr helfen. Diesmal gab es kein Heilmittel. Hitomi erwartete ein Kind von einem anderen, einem Erdenbewohner. Sie war nur zurückgekommen, weil sie seinen Schutz brauchte, und nachher wäre sie wieder gegangen. Sie wollte ihn ausnutzen!
 

Er biss sich auf die Lippen. Ein kleiner Teil in ihm weigerte sich immer noch zu glauben, was alle Vernunft ihm zuschrie. Der Teil, der ihm eindringlich das Bild vor Augen führte, als er Hitomi im Palast wiedergesehen hatte. Die glühenden Augen, die nur auf ihn gerichtet gewesen waren. Das sanfte Lächeln. Ihre Umarmung. Ihr... Kuss.
 

Es war perfekt gewesen. Warum nur hatte sie ihm solche Hoffnungen gemacht, ihn glauben lassen, dass er der einzige war, den sie liebte? War sie einfach wegen all diesen Ereignissen verängstigt gewesen und hatte sich deshalb dazu hinreißen lassen? Oder hatte sie nur mit ihm gespielt, weil sie sich seines Schutzes sicher sein wollte? Er wusste es nicht. Im Grunde war es ja einerlei. Jetzt zählte nur noch eines: Er musste sich so schnell und so weit wie möglich von ihr entfernen. Vielleicht konnte er irgendwann nach Farnelia zurückkehren, wenn sie wieder auf dem Mond der Illusionen war. Aber im Moment war seine Stadt einfach nicht groß genug für sie beide.
 

Beinahe hätte er über all diesen Gedanken den Drachen übersehen. Verständlich, denn das Ungetüm war so grün wie der Wald neben ihm und nur die großen, dämonenroten Augen und der umherpeitschende Schweif erregte seine Aufmerksamkeit. Er machte keine Anstalten anzugreifen, allerdings warf er seinem metallenen Gegenstück, das über ihm flog, scharfe Blicke zu. Folken hatte ihm zwar einmal erzählt, dass Drachen niemanden angriffen, der unbewaffnet war... aber der Blick des Tieres brachte Van endgültig zum Überlaufen.
 

Mit einem tiefen Schrei riss er an den Drahtseilen, mit denen er Escaflowne in der Luft steuern konnte und zwang den verwandelten Guymelef damit zu einer Kehrtwendung. Gleich darauf begann er mit dem Sturzflug, der ihn direkt vor die Füße des Drachen bringen würde. Während das Adrenalin durch seinen Körper pumpte, betätigte er einige Kontrollen, die bewirkten, dass sich der Guymelef mitten im Flug wieder in seine Kämpferform zurücktransformierte. Der Drachen stieß ein lautes Fauchen aus und zuckte nervös, als Escaflowne hart auf dem Boden aufschlug, kurz in die Knie ging und dann sofort wieder aufstand. Als der Guymelef nach dem Schwert ging, regte sich das Untier. Van verzerrte die Lippen zu einem Grinsen. Hätte er geahnt, wie ähnlich sein Gesicht in diesem Moment dem von Dilandau war, wäre er erschrocken. Jetzt würde er endlich einen Teil seiner Wut verbrauchen können. Zischend fuhr das Schwert aus der Scheide.
 

"Na los!", brüllte er dem Drachen voller Vorfreude entgegen. "Greif mich an! Worauf wartest du noch?"
 

Aber das Monster regte sich nicht. Es stand zwar auf den Beinen, den Kopf gesenkt, die gewaltigen Muskelstränge gespannt und die beiden Augen fest auf seinen Gegner gerichtet... doch es machte keine Anstalten anzugreifen. Selbst jetzt, da Van sein Schwert gezogen hatte, tat es nichts anderes, als ihn mit roten Augen zu mustern. Auch Van war bereit, beim ersten Zucken des Gegners vorzuspringen und den Kampf zu beginnen, aber er wurde enttäuscht. Die Bestie wollte nicht kämpfen. Wieso?
 

"Na schön!", rief er und nahm das Schwert in beide Hände. Selbst diese Geste entlockte dem Drachen jedoch nur ein weiteres Peitschen des Schwanzes, welches zufällig einen Baum fällte. "Wenn du nicht angreifen willst, dann musst du dich eben verteidigen. Sterben wirst du ohnehin, du Scheusal!"
 

Damit ließ er Escaflowne einen Schritt nach vorn treten. Bevor er allerdings mit dem Schwert gegen seinen Gegner ausholen konnte, tat dieser etwas, womit Van nicht gerechnet hatte: Er zog sich zurück. Vans Hieb ging ins Leere und sägte einige weitere Baumwipfel von ihren Stämmen. Der junge König achtete jedoch nicht darauf, denn etwas hatte sich zwischen ihn und den Drachen gestellt, als dieser zurückgewichen war. Nein, nicht etwas, jemand.
 

"Mutter!", rief er völlig überrascht aus.
 

Gleich darauf erkannte er jedoch seinen Irrtum, als er genauer hinsah. Varie, seine Mutter, die vor vielen Jahren verschwunden war, hatte ihr Haar nicht auf dieselbe Weise getragen wie diese Frau. Hier war es geflochten und schimmerte außerdem etwas mehr als das seiner Mutter. Außerdem hatte diese Frau strahlend blaue Augen, nicht wie seine Mutter braune. Ansonsten glich sie Varie jedoch in erschreckender Weise. Gesichtszüge, Figur, Alter, obwohl das beim Drachenvolk nicht so einfach festzustellen war... alles schien zu stimmen.
 

"Ihr irrt Euch, Van Farnel", teilte ihm nun auch die Fremde mit. Jetzt war sich Van endgültig sicher, dass sie eine Fremde war, denn ihre Stimme war dunkler als die seiner Mutter, auch wenn sie melodisch war. "Ich bin nicht Eure Mutter Varie."
 

"Wer seid Ihr dann?", rief er hinaus, während er nervös einen Blick auf den Drachen warf, aber dieser wartete immer noch hinter der Fremden. Er schien nicht den Wunsch zu haben anzugreifen. Wieso verhielt sich dieses Biest so komisch.
 

"Jemand, der Eure Mutter gut kannte", behauptete die Frau und blickte weiterhin zum Visier des Guymelef hoch. "Ich würde gerne mit Euch darüber sprechen, aber dazu müsstet Ihr aus Eurem Guymelef herauskommen. Habt keine Angst vor Rivja dort hinten." Sie deutete mit der Hand über ihre Schulter auf den Drachen, der sich noch immer nicht rührte. "Er wird Euch nichts antun."
 

"Gehorcht Euch dieses Ungetüm etwa?", wollte Van misstrauisch wissen und fasste das Schwert wieder fester. Er warf einen weiteren Blick auf den Drachen, aber diese Frau schien ihn irgendwie unter Kontrolle zu haben. Wie war das nur möglich?
 

"Er ist kein Ungetüm", belehrte ihn die Frau sanft. "Er ist ein sehr junger Drache und wenn Ihr ihn nicht angreift, wird er uns nicht stören. Kommt Ihr nun?"
 

Van überlegte. Diese Frau war ihm irgendwie unheimlich, aber andererseits zog ihn auch etwas an ihr an und das lag nicht nur daran, dass sie seiner Mutter so sehr ähnelte. Aber in Gegenwart eines Drachen aus Escaflowne aussteigen? Das war nicht nur leichtsinnig! Dafür würde ihm Wargas mindestens 50 Stunden Nachschulung aufbrummen... wenn er überhaupt lebend zu ihm zurückkäme und Wargas noch am Leben wäre.
 

Die Frau schien zu verstehen, dass er überlegte. "Ich weiß, dass Ihr momentan eine sehr schwere Zeit durchmacht, König von Farnelia", verlautbarte sie. "Ein Mädchen hat Euch großen Schmerz zugefügt, nicht wahr? Sie hat Euch belogen und ausgenutzt. Auch darüber können wir reden, wenn Ihr aussteigt."
 

"Woher wisst Ihr das?"
 

"Ich war es, die Euch geraten hat, zu Eurem Volk zurückzukehren, Van", erklärte die Frau und streckte die Arme von sich. "Ich habe Euch gesagt, dass die Menschen Euch immer verletzen werden. Ich klärte Euch darüber auf, dass nur die Treue der Draconier echt ist." Van spürte es beinahe, bevor es geschah. Das blassviolette Gewand der Frau geriet plötzlich in Bewegung, als etwas auf ihrem Rücken den Stoff spannte. Eine Sekunde später fanden die weißen Schwingen ihren Weg durch einige Gewandfalten und umrahmten die Frau wie eine Aura. Schneeweiße Federn, wie seine eigenen, schwebten zu Boden. Der Blick der Frau war ruhig, aber hintergründig triumphierend. "Denn ich", betonte sie, "bin vom Volk des Drachengottes!"
 

Vans Hände hatten sich um die Kontrollen verkrampft. Wieder hatte er für einen Moment in dieser Frau seine Mutter gesehen, als sie ihn damals vom Sturz vom Dach gerettet hatte. Diese weißen Flügel verstärkten diesen Eindruck der Ähnlichkeit noch. "Wer seid Ihr?", hauchte er.
 

Dennoch hörte die Frau es. Entweder hatte sie sehr scharfe Ohren oder das Echo des Metalls hatte den leisen Satz hörbar gemacht. Ihre Miene wurde etwas traurig. "Ich kenne Euch schon seit Eurer Geburt, Van, auch wenn Ihr mich nicht kennt", teilte sie ihm mit. "Ich habe niemals gewagt, Euch und Eure Mutter zu besuchen, weil ich nur zu gut wusste, wie die Menschen darauf reagieren würden, aber ich habe Euch immerzu beobachtet. Seht Ihr es? Ein Band verbindet uns, Van. Ein Blutsband." Sie streckte ihm ihre Hände entgegen. "Ich kann Euch keinen Beweis erbringen, aber ich glaube, Ihr spürt, dass ich die Wahrheit sage. Eure... deine Mutter Varie war meine Schwester. Ich bin deine Tante Van. Juseela."
 

"Tante?", krächzte Van. "Das ist..." Aber er sprach das "unmöglich" nicht aus. Die Ähnlichkeit war einfach zu groß, außerdem hatte diese Frau dieselbe Art zu reden wie seine Mutter.
 

"Bitte glaub mir, Van, ich will dir nichts Böses", beschwor ihn Juseela eindringlich. Stummes Flehen lag in ihrem Blick. "Ich möchte dir helfen, dich von deinem Schmerz zu befreien. Komm mit mir."
 

Einige Sekunden lang tat sich überhaupt nichts, nur die Geräusche des Waldes und die tiefen Atemzüge des Drachen waren zu hören. Dann entwich zischend die Luft aus der Kabine des Guymelef und Van Farnel trat heraus. Juseela gestattete sich ein leichtes Lächeln. Endlich kam ihr Neffe dorthin zurück, wo er hingehörte. Zum Volk des Drachengottes.
 


 

Zunächst sah Chid gar nicht auf, als sich die Tür zu seinem Arbeitszimmer öffnete. Er hatte Vicozar erst vor kurzem losgeschickt, um ein Dokument für ihn zu holen, also dachte er, der bullige Mann wäre zurückgekommen. Es gab ohnehin nicht viele Leute in Freid, die es wagen würden, das Arbeitszimmer des Herzogs ohne Klopfen zu betreten. Allerdings waren die leichten Schritte, welche auf dem Edelholzboden zu hören waren, nicht die des muskulösen Kriegers. Chid hob den Kopf.
 

"Eure Hoheit", grüßte Serena artig und machte einen fast richtigen Knicks. Immerhin das beherrschte sie schon, auch wenn ihre Neugier der Privatsphäre anderer Leute immer wieder dazwischenkam. "Ich wollte fragen, ob wir heute nicht etwas unternehmen könnten. Mir ist langweilig."
 

Chid seufzte. Da hatte ihm Allen etwas Schönes eingebrockt. Irgendwann würde Chid sich dafür rächen müssen. "Es tut mir Leid, Lady Serena", bedauerte er und deutete auf die Papiere vor ihm. "Aber wie Ihr seht, habe ich alle Hände voll zu tun. Ein Herzogtum zu regieren, verlangt einiges ab."
 

Er sah schnell wieder auf ein Papier, als Serena ihre Leidensmiene aufsetzte. Dieses kindische Getue auf einem erwachsenen - und nebenbei bemerkt attraktiven - Gesicht zu sehen war für jeden Widerstand tödlich. Dennoch hatte er Glück, auch wenn er es nicht wusste. Denn wäre er bereits in der Pubertät gewesen, hätte er der jungen Frau nichts entgegensetzen können.
 

"Aber was soll ich dann machen?", jammerte Serena. "Seit Allen und Hitomi weg sind, kann ich nichts anderes tun, als im Garten spazieren gehen oder lernen. Und auf Lernen habe ich keine Lust."
 

Sie setzte einen Schmollmund auf, bei dessen Anblick Chid seine Augen kurz gen Himmel drehte. Bei Atlantis, ihm ging es doch auch nicht besser. Der einzige Unterschied war, dass Serena nicht genug Arbeit und er nicht genug Freizeit hatte. Er konnte sich jetzt unmöglich auch noch um sie kümmern. Nicht jetzt, wo Freid sich in der schwierigsten Lage seit dem Großen Krieg befand. Aber das würde die junge Frau wahrscheinlich nicht verstehen.
 

"Habt Ihr denn keine Freundinnen, zu denen Ihr gehen könnt, Serena?", seufzte Chid und sah sie wieder an. Er wurde langsam müde. Wie schon so oft wünschte er, sein Vater würde noch leben, damit er ihn in Situationen wie dieser beobachten konnte. "Es muss doch irgendetwas geben, was Euch interessiert."
 

"Doch, schon", gab diese zu und kam etwas näher, damit sie die Papiere betrachten konnte, die Chid gerade bekommen hatte. "Aber Allen hat mir aufgetragen, dass ich auf Euch aufpassen soll, Eure Hoheit." Sie grinste übers ganze Gesicht. "Und ich habe vor, mich genau daran zu halten."
 

"Gütiger Himmel." Chid legte eine Hand über die Augen. "Das hat Ritter Allen doch nicht so ernst gemeint, Serena. Er wollte Euch doch nur etwas aufheitern, weil Ihr nicht nach Farnelia mitfliegen durftet."
 

Serena zuckte mit den Schultern und setzte sich unaufgefordert auf den Stuhl, in dem vorher Vicozar gesessen war und seinen Herzog unterstützt hatte. Wieder warf sie einen Blick auf die Dokumente, die weniger Worte als Landkarten darstellten. Sie schien davon fasziniert zu sein. "Egal", verkündete sie. "Wenn Ihr keine Zeit habt, mit mir zu kommen, dann werde ich eben bei Euch bleiben, Herzog." Sie schenkte Chid eines ihrer Lächeln, die es ihm so schwer machten, böse auf sie zu sein. "Wenn ich Euch bei Eurer Arbeit helfe, seid Ihr schneller fertig und wir können etwas unternehmen."
 

"Glaubt mir, Lady Serena, diese Arbeit würde Euch nicht gefallen", wehrte Chid mit düsterem Blick auf die Karten ab. "Das sind leider nicht die normalen Bittschriften von unzufriedenen Untertanen. Diese Sache ist sehr ernst."
 

"Das ist die Grenze von Freid und Asturia, nicht?", fragte Serena, ohne auf ihn zu hören und deutete auf einen Landstrich der vordersten Karte. Chid hatte sie vorhin eben bearbeitet. "Und diese rote Linie zeigt den Weg, den Wanderer nehmen müssten, um nach Freid zu kommen, oder?"
 

"Ja, so ist es", bestätigte Chid überrascht. Woher wusste Serena das? Geographie war eigentlich nicht so sehr ihr Lieblingsfach. Warum wusste sie dann so genau darüber Bescheid, wo der Weg verlief, den ein Guymelef nehmen musste, um von Asturia nach Freid zu gelangen? "Woher wisst Ihr das?"
 

"Und diese schwarzen Figuren, die Ihr aufgemalt habt?", meinte die junge Frau, ohne auf ihn einzugehen. Ihr neues Spielzeug schien sie völlig gefesselt zu haben. "Die einen sind ziemlich klein... das sind wahrscheinlich Menschen, oder? Und die großen sind Guymelefs. Und die langen, komischen Dinger... nein, sagt nichts, das sind Luftschiffe! Ich bin gut!" Das Mädchen schien sich riesig zu freuen. "Und Ihr wollt bestimmt die diesen Figuren in Freid die aus Asturia zurückhalten, nicht wahr? Weil die nicht nach Freid kommen sollen? Dann solltet Ihr die Guymelefs und die Menschen da zum Pass bringen", beriet sie und deutete auf eine Stelle der Karte, "und die Luftschiffe über den restlichen, kleinen Wegen fliegen lassen. So habt Ihr eine gute Verteidigung."
 

Chid fasste sie sanft, aber bestimmt am Arm und sah ihr ernst in die Augen. "Serena, ich frage Euch noch einmal", beschwor er sie eindringlich, "woher wisst Ihr das? Truppensymbole und Marschbewegungen dürftet Ihr doch überhaupt nicht kennen. Das haben wir im Unterricht nie besprochen."
 

Jetzt erst schien Serena aufzufallen, was sie gesagt hatte. Bestürzt runzelte sie die Stirn und dachte nach. Ja, woher hatte sie das eigentlich gewusst? Sie war sich sicher, dass sie diese Symbole auf der Karte nicht kannte... auch die Grenze von Freid und Asturia konnte sie mit Sicherheit nicht so genau aufsagen. Aber woher...?
 

Dann fiel es ihr ein und sie wurde etwas blass. Sie selbst kannte all diese Dinge nicht, das stimmte. Aber der Dilandau Albatou, den Allen ihr beschrieben hatte, war Anführer und Krieger gewesen. Er hatte über derartige Dinge mit Sicherheit Bescheid gewusst. Und er hatte, obwohl er wohl eher den Kampf als die Planung liebte, sicher auch die taktische Finesse, um eine Verteidigung zu planen.
 

Was aber die Frage aufwarf, wieso sie, Serena, nun plötzlich auf Dilandaus Wissen zugreifen konnte. Bisher hatte sie nur von anderen erfahren, dass jemand anders für lange Zeit lang ihren Körper bewohnt hatte, aber sie hatte das niemals nachprüfen können. Wenn sie jetzt auf die Kenntnisse dieses Mannes zugreifen konnte... wie lange würde es dann dauern, bis sie auch seine Erinnerungen sehen konnte? Oder seine Gefühle spürte?
 

"Serena?", fragte Chid beunruhigt und fasste sie an der Schulter. "Ist alles in Ordnung? Geht es Euch nicht gut?"
 

"Das darf nicht...", hauchte Serena und starrte an Chid vorbei. "Nein, das..."
 

"Serena!" Chid packte sie nun an beiden Schultern und schüttelte sie. "Bitte sagt mir, was los ist. Habe ich etwas Falsches gesagt?"
 

"Ich... ich werde... ein Ungeheuer", stammelte die junge Frau und ihre Stimme wurde schrill. Sie riss sich los und sprang panisch auf. "Fasst mich nicht an! Sonst... sonst... tue ich Euch vielleicht weh!" Damit wandte sie sich um und rannte aus dem Raum.
 

Chid sah der jungen Frau bestürzt nach. War seine Frage daran Schuld, dass Serena so in Panik geraten war? Aber wieso? Er konnte es sich nicht erklären. Kurz fragte er sich, ob er Serena nachlaufen sollte, entschied sich aber dagegen. Seine Wachen hatten bereits den Befehl, die junge Frau im Auge zu behalten, weil ihr Geist eben nicht dasselbe Alter hatte wie ihr Körper. Wenn sie sie so aufgelöst sahen, dann würden sie ihr folgen und sie beschützen. Chid würde sie dann später aufsuchen und in aller Ruhe mit ihr reden.
 

Jetzt allerdings musste er dieses Problem noch völlig lösen. Serena hatte, woher auch immer, eine einigermaßen gute Strategie aufgezeigt, wie die Grenze nach Asturia gesperrt werden konnte. Wenn die Luftschiffe, die Freid besaß, über den Bergen patrouillierten und der Hauptteil der Streitmacht den Pass bewachte, über den die Händler in das Herzogtum kamen, dann konnte man ihn vermutlich einige Zeitlang sichern. Selbst eine große Armee würde es sehr schwer haben, einen so engen Pass zu erobern.
 

Chid erlaubte sich ein zufriedenes Lächeln. Egal, was Serena da durchlebt hatte... sein Problem hatte es beinahe gelöst. Jetzt musste er nur noch überlegen, wie viele Truppen er an die Front verlegte und wie viele er zum Schutz der Stadt hier behielt. Dann würde sein Land zumindest einigermaßen vor dem drohenden Krieg geschützt sein. Er wusste allerdings nicht, dass für die Gegner, mit denen er es zu tun hatte, derartige Hindernisse nicht galten.
 


 

"Herein", sagte Hitomi lustlos, als es an der Tür zu ihrem Zimmer klopfte. Seit gut einem Tag hatte sie jetzt keiner besucht. Wahrscheinlich hatte Millerna den anderen davon abgeraten. Ihr war es eigentlich ganz recht so gewesen. Sie wollte mit niemandem über Van sprechen, schon deshalb, weil sie selbst nicht wusste, was mit dem jungen König los war. Aber dass alle anderen von ihr erwarteten, es zu wissen, machte sie fast rasend.
 

Sie sah auch nicht zu dem Besucher hin, sondern starrte wie schon fast zwei Stunden lang von ihrem Fenster auf die Stadt hinunter. Farnelia war noch immer schön, so neu und voller Leben, ganz anders als die ausgebrannte Ruine, die es einmal gewesen war. Aber jetzt schien es den Glanz verloren zu haben, den es bei ihrer Ankunft ausgestrahlt hatte. Vermutlich war es wirklich so: Die Umgebung eines Menschen veränderte sich mit seinem Gemütszustand.
 

"Hitomi, ich muss mit dir etwas Wichtiges besprechen."
 

Das ließ das Mädchen aufhorchen. Dryden? Wieso er? Sie hatte Millerna erwartet, vielleicht Allen oder auch Crine, aber ausgerechnet der Kaufmann? Deshalb drehte sie sich um. Der Regent von Asturia sah ziemlich ernst aus.
 

"Was gibt es?", fragte sie herausfordernd. "Wenn du mit mir über Van sprechen willst, vergiss es. Ich habe dir nichts zu sagen."
 

"Warum?", wollte er wissen. "Ich kann es nämlich nicht verstehen. So weit ich von einigen Bediensteten erfahren habe, wart ihr am Tag deiner Ankunft nicht dazu zu bewegen, etwas anderem auch nur Beachtung zu schenken. Ich hörte sogar, dass einige Leute einen Drachenmenschen zu Escaflowne haben fliegen sehen. Und plötzlich dreht Van durch, schickt Leute in den sicheren Tod, verbannt Merle aus Farnelia und verschwindet dann. Und du sagst, du hast mir nichts zu sagen?"
 

Die Stimme des Kaufmanns war im Lauf seiner Predigt kräftiger geworden und er hatte sich aufgerichtet. Hitomi erwiderte seinen Blick jedoch stählern. Verdammt noch mal, egal, ob er über ein Reich regierte oder nicht, sie war sich keiner Schuld bewusst! Er hatte kein Recht, sie einfach so anzuschreien!
 

"Was zwischen uns passiert ist, geht dich nichts an, Dryden!", verkündete sie schneidend. "Wenn du nur hier bist, um mir Vorwürfe zu machen, dann geh wieder! Die kann ich nämlich am allerwenigsten gebrauchen!"
 

"Vorwürfe?" Jetzt explodierte der Mann förmlich. Er machte einen Schritt auf sie zu und packte sie an der Hand. "Ich mache dir keine Vorwürfe, Hitomi! Vorwürfe machte man jemandem, der willens ist, sich zu bessern! Ich zweifle ernsthaft an deinem Verstand, das tue ich!" Er ignorierte Hitomis wütendes Einatmen, sondern fuhr fort: "5 Jahre lang welkt der Junge dahin, weil du nicht bei ihm bist, und jetzt, als du endlich wiederkommst, lebt ihr euch innerhalb weniger Tage so sehr auseinander, dass er Farnelia verlässt. Im Grunde wäre mir das ja egal, glaub mir, ich habe selbst genug mit meinen Gefühlen für Millerna zu tun. Aber Gaia steuert möglicherweise auf einen Krieg zu und Van ist nicht da, um Farnelia zu beschützen! Was ist, wenn es hineingezogen wird? Willst du dann verantworten, dass die Menschen hier keinen König haben, der sie führt?"
 

"Lass mich los, Dryden!", schrie Hitomi und riss sich von ihm los. Sie konnte nicht verhindern, dass sie zu zittern anfing und eine Träne ihre Wange herunterlief. Gleichzeitig biss sie jedoch die Zähne zusammen. Keine Schwäche. Nicht jetzt. "Glaubst du denn, das habe ich mir gewünscht, als ich nach Gaia zurückgekommen bin? Ich weiß nicht, was mit Van los ist, hörst du? Ich weiß es nicht!" Sie drehte sich um und krallte ihre Hände in den Fensterrahmen, als sich weitere Tränen in ihren Augen sammelten. "Er hat mir vorgeworfen, dass ich ihn mit dem erstbesten Kerl betrügen würde, Dryden! Es ist mir völlig egal, was mit ihm passiert!"
 

Jetzt blieb es einige Augenblicke still hinter ihr. Dann trat der Kaufmann noch einen Schritt näher und legte ihr die Hand auf die Schulter, diesmal allerdings sanft und tröstend. Hitomi wusste nicht, wie lange sie sich das Heulen noch verkneifen konnte. Ihr Körper zuckte bereits krampfhaft und sie war sich auch sicher, dass Dryden das bemerkt hatte.
 

"Du tust mir Leid, Hitomi", gestand er. "Davon wusste ich nichts. Aber ich hatte gehofft, du könntest uns wenigstens sagen, warum Van so wütend auf dich ist." Noch einmal machte er eine kurze Pause und als er wieder sprach, war seine Stimme leise. "Sag, wäre es dir wirklich egal, wenn ihm etwas zustoßen würde?"
 

Hitomi konnte nicht antworten. Sie bohrte ihre Fingernägel so fest ins Holz, dass einige abbrachen, nur um eine Ausrede für die Tränen zu haben, die nun daneben tropften. Wenn sie jetzt den Mund aufmachte, dann würde nichts mehr das Weinen zurückhalten können, das wusste sie.
 

"Du musst mir nicht antworten, wenn du nicht willst", teilte ihr der Kaufmann mit. "Eigentlich bin ich gar nicht gekommen, um mit dir über dieses Thema zu reden. In Wahrheit wollen Millerna und ich mit dem Crusado losfliegen, um nach Van zu suchen. Hier können wir ohnehin nichts tun. Ich wollte dich fragen, ob du uns begleiten willst. Ich... hatte gehofft, dass du seine Nähe erspüren könntest, aber mir ist natürlich klar, dass das nun etwas viel verlangt wäre."
 

Er erwartete eigentlich gar keine Antwort, als er die Hand von ihrer Schulter nahm und sich umdrehte. Erst als er die Tür öffnete, hielt ihn ein raues "Dryden!" zurück. Hitomi stand immer noch verkrampft da und sie sah weiterhin stur nach draußen. Allerdings klang die Stimme wieder fest, auch wenn sie beinahe etwas krächzte. Es musste ihr sehr schwer fallen, so ruhig zu sprechen.
 

"Wann fliegt ihr?", wollte das Mädchen wissen.
 

"So bald wie möglich", teilte er ihr mit. "Der Crusado ist bereits startklar und Gardes trommelt gerade seine Leute zusammen. In ungefähr einer Stunde könnten wir bereits starten."
 

"Dann komme ich in einer Stunde zum Landeplatz", entschied sie. Die Emotionslosigkeit, die aus dem Ton herausklang, in dem sie sprach, störte Dryden etwas, aber er war zu froh, dass sie mitflog, um das entsprechend zu würdigen. "Ich fliege mit euch. Geh jetzt bitte, damit ich meine Sachen packen kann."
 

Nachdem der Kaufmann genickt und die Tür geschlossen hatte, sackte Hitomi in sich zusammen und ließ ihren Tränen freien Lauf. Es tat immer noch weh, über Van zu sprechen, selbst jetzt, wo sie geglaubt hatte, sich nach außen hin abgehärtet zu haben. Sie begriff nicht, warum er so wütend auf sie war, und das machte es so schmerzhaft. Aber das durfte sie vor den anderen nicht zeigen.
 

Nach einigen Minuten erhob sie sich schließlich und ging mit steifen Schritten zum Schrank. Sie nahm ohne Worte einige Kleider hervor, die Serena ihr geschenkt hatte und hängte die meisten von ihnen nach einigen Sekunden Zögern wieder zurück. Sie würde sie auf dieser Reise ohnehin nicht anziehen können... und danach würde sie die Kleidungsstücke nicht mehr brauchen. Statt dessen nahm sie die Sachen heraus, mit denen sie auf Gaia angekommen war und packte sie in eine kleine Tasche.
 

Sie wünschte sich in diesem Moment fast, dass sie das Tarotkarten-Set noch bei der Hand hätte. Es hätte sie wirklich interessiert, wenn sie jetzt voraussagen hätte können, was passieren würde. Aber andererseits... vielleicht hätte das wieder ihre Ängste beschworen, so wie damals. Falls das nicht bereits geschehen war. Sie war sich ohnehin sicher, dass sie den "Turm" gezogen hätte - Zerstörung. Aber es hätte sie auch nicht davon abgehalten, jetzt mit Millerna und Dryden mitzufliegen.
 

Sie war sehr wortkarg, als sie durch die Gänge des Palastes ging. Sie ließ sich Zeit und sah sich die Einzelheiten noch einmal ganz genau an, mit denen die Baumeister das Gebäude versehen hatten. Vermutlich würde sie das nie wieder tun können. Die Bediensteten, denen sie begegnete, gingen schnell an ihr vorbei und versuchten nicht sie anzusprechen. Vermutlich sagte ihre düstere Miene genug über ihren Zustand aus. Es war ihr ganz recht so. Sie hätte die Leute ohnehin nur angeschnauzt und das verdienten sie nicht.
 

Auch als sie das Tor des Palastes passierte und die Wachen Haltung annahmen, tat sie nichts anderes, als wortlos an ihnen vorbeizugehen. Es war ihr egal, was sie von ihr hielten, aber als "Seherin vom Mond der Illusionen" genoss sie ohnehin einen geheimnisvollen Ruf. Sollte er ruhig für sie arbeiten, wenn er ihr jetzt die Menschen vom Hals hielt. Einige davon sahen sie neugierig an, als sie durch die Straßen ging, den Blick auf den Boden gerichtet, die Gesichtszüge verbittert und die Hände um ihre Tasche gekrampft. Aber offenbar sahen sie, wie es ihr ging, denn auch hier wagte es niemand sie anzusprechen. Allerdings fingen sie hinter ihr meist zu tuscheln an. Es war ihr egal.
 

Es dauerte nicht sehr lange, bis sie den Landeplatz des Crusado erreichte, an dem sie vor einigen Tagen noch die glücksstrahlende Merle empfangen hatte. Sie lächelte bitter. Damals hatte sie noch gedacht, alles Glück dieser Welt würde über dieser Begegnung schweben... und jetzt? Merle war aus der Stadt verbannt worden, in der sie die meiste Zeit ihres Lebens verbracht hatte, Van hatte sie verlassen und sie selbst ging so traurig wie noch nie von dannen. Offenbar brachte ihr Gaia wirklich nur Unglück.
 

Oben erwarteten sie bereits Dryden und Gardes, die allerdings gerade miteinander sprachen. Sie waren über eine Karte gebeugt, also planten sie anscheinend gerade den Kurs. Nun, sie würde sie nicht dabei stören. Sie kam mit und sie würde auch versuchen, Van aufzuspüren. Aber nicht vor allen Leuten, wo alle sehen konnten, sie sehr sie das schmerzte. Auch Millerna hatte bereits nach ihr Ausschau gehalten und kam lächelnd auf sie zu.
 

"Schön, dass du doch noch mit uns kommst", meinte die Prinzessin und fasste Hitomis Hand an. "Du wirst schon sehen, wenn wir Van gefunden haben, dann kommt schon alles wieder ins Lot, Hitomi."
 

Als Hitomis Gesichtsausdruck jedoch düster blieb, verschwand auch ihr Lächeln. "Das glaube ich nicht, Millerna", widersprach diese mit kalter, leiser Stimme. "Ich komme mit euch und ich werde versuchen, Van zu finden, damit er Farnelia beschützen kann. Aber dann werde ich Gaia für immer verlassen und zur Erde zurückkehren. Es tut mir Leid, aber hier gibt es nichts mehr, das mich hält."
 

Damit ließ sie die bestürzte Regentin Asturias stehen und ging auf die Einstiegsrampe des Crusado zu. Sollten sie davon halten, was sie wollten. Sie war jedenfalls fest entschlossen, den Planeten, der ihr so viel Unglück beschert hatte, für immer hinter sich zu lassen. Auch wenn das bedeutete, ihr Leben mit einem gebrochenen Herzen beenden zu müssen.
 


 

Er flog. Endlich. Es war zwar auch schön, auf Escaflowne durch die Welt zu fliegen, sodass einem der Wind über den Körper strich, aber auf den eigenen Flügeln ohne Beschränkungen herumschweben zu können, war einfach unvergleichbar. Die Sonne schien sein Gesicht zu streicheln und wenn die Flügel seiner Begleiterin kurz die seinen streiften, fühlte es sich an, als ob sich Fingerspitzen ganz sanft berührten. Zum ersten mal seit einigen Tagen fühlte sich Van Farnel wieder glücklich.
 

"Nun, Van", wollte Juseela wissen, die neben ihm herglitt, allerdings nicht mit entblößtem Oberkörper wie er, "fühlst du nicht auch, wie sehr es befreit, wenn man nicht verleugnen muss, wer man ist?"
 

Er antwortete nicht. Zu sehr genoss er das Gefühl, sich von der Luft tragen zu lassen, leicht zu sein wie ein Vogel und gleichzeitig so stark wie ein Mensch. Er fühlte sich großartig. In Farnelia flog er nie mit seinen eigenen Flügeln... außer das eine Mal mit Hitomi. Schnell schloss er die Augen und verbannte das Bild aus seinem Gedächtnis. Dennoch konnte er das Gefühl, das er bei ihrem ersten Kuss empfunden hatte, nicht ganz aus seinen Gedanken streichen. Es tat weh.
 

"Du denkst wieder an sie, nicht wahr, Van?", fragte seine Tante, die seinen Gefühlswechsel natürlich verfolgt hatte. Sie beobachtete ihn ständig, fiel ihm auf. Als erwartete sie etwas Bestimmtes von ihm. "An das Mädchen."
 

"Ich will nicht darüber sprechen", gab er zur Auskunft und schwang sich statt dessen noch weiter empor. Ihm war klar, dass das eine weitere Flucht war. Aber er hatte jetzt lange genug Schmerzen gehabt... jetzt wollte er das Hochgefühl genießen, endlich er selbst zu sein. Ein Nachkomme vom Volk des Drachengottes.
 

"Wie du willst", antwortete sie und schloss mühelos zu ihm auf. Obwohl sie natürlich älter war als er, hielt sie mühelos mit ihm mit. Vermutlich war sie das Fliegen einfach besser gewöhnt als er. Er hatte seine Flügel ja schließlich erst bei einer Handvoll Gelegenheiten offenbart. Zugeben wollte er es nicht gern, aber seine Muskeln begannen am Rücken bereits zu schmerzen. Bisher war er immer nur kurze Strecken geflogen, jetzt war er schon über eine halbe Stunde in der Luft.
 

"Du musst nicht über sie reden, wenn du nicht willst. Du darfst sie völlig vergessen, wenn dir danach ist. Niemand wird sie jemals wieder erwähnen." Sie machte einen großen Schwung, der sie vor ihren Neffen brachte und winkte ihm spielerisch zu. "Ich kann dir vieles zeigen, was dich vergessen lassen wird."
 

Van blickte grimmig und schlug trotz seiner schmerzenden Muskeln heftiger mit seinen Flügeln, um zu ihr aufzuschließen. Sie lachte, als sie seine gespannten Sehnen sah und hielt im Flug inne, woraufhin sie langsam wieder nach unten zu gleiten begann.
 

"Lass uns etwas ausruhen, Van", schlug sie vor, wobei sie taktvoll überging, dass sie nicht sehr angestrengt aussah. "Ich bin sicher, dass du gerne einiges über mich erfahren möchtest."
 

Das ließ sich Van nicht zweimal sagen. Er fühlte sich langsam, als würden in seinem Rücken ein Haufen tollwütiger Zwerge herumhacken. Dennoch versuchte er, so würdevoll wie möglich aufzusetzen, auch wenn seine Flügel sofort verschwanden, als er den Boden auch nur berührt hatte. Auch den erleichterten Seufzer verkniff er sich und setzte sich sofort hin. Nur ein amüsiertes Schmunzeln zeugte davon, dass Juseela wusste, wie es um ihn stand. Sie ließ nun ebenfalls ihre Flügel los und sie vermischten sich auf dem Boden mit den seinen, bevor sie langsam verschwanden.
 

"Nun?", fragte sie erwartungsvoll. "Gibt es etwas, das du wissen möchtest?"
 

Er schwieg einen Moment lang und betrachtete sie einfach. Sie sah seiner Mutter wirklich ähnlich, strahlte sogar dieselbe Art von Ruhe aus... aber irgendetwas an ihr kam ihm falsch vor. So als würde sie etwas verbergen.
 

"Wieso weiß ich nichts von dir?", wollte er wissen. "Wenn meine Mutter eine Schwester hatte, wieso hat sie dann nie etwas davon erzählt?"
 

Nun sah er, was sie versteckt hatte. Das sanfte Lächeln fiel von ihrem Gesicht ab und machte dem ernsten Gesicht alten Kummers Platz. Sie sah von ihm weg zum Waldrand, wo der Drache noch immer auf sie wartete. Er ertrug sogar die Nähe von Escaflowne, um bei seiner Herrin sein zu können. Erstaunlich.
 

"Varie und ich hatten... unterschiedliche Meinungen darüber, wie sich unser Volk verhalten sollte", gab sie schließlich zu. "Sie hatte eine Vision, in der sie sich selbst mit einem Menschen zusammensah, deshalb dachte sie, es wäre ihr bestimmt, das Bindeglied zwischen Menschen und Draconiern zu sein. Sie war bereit, alles aufzugeben und ihre Flügel für immer zu verbergen, um unter Menschen versteckt leben zu können."
 

"Und was dachtest du darüber?", hakte Van nach. Diesen Aspekt über das Leben seiner Mutter hatte er niemals gehört.
 

"Ich wollte ihr diese Qual ersparen", behauptete Juseela und schloss die Augen. "Ich wusste, dass es schwer ist, sein eigentliches Ich so lange zu verbergen. Wenn es zu lange wärt, kann es einen in den Wahnsinn treiben. Also haben wir uns gestritten und Varie lief davon, um deinen Vater zu suchen, Van."
 

"Und seitdem habt ihr nie wieder miteinander gesprochen?", fragte Van sanft. Ihm war bewusst, dass diese Frage seine Tante schmerzen würde, aber er musste unbedingt darüber Bescheid wissen.
 

"Nein." Nun senkte sie den Kopf und öffnete die Augen wieder. Aber ihr Blick war voller Trauer. Ungewollt kam Van das Bild in den Kopf, als seine Mutter um Folken getrauert hatte. Damals hatte sie denselben Ausdruck gehabt. "Das ist es, was am meisten weh tut... dass wir uns im Streit getrennt haben. Ich wartete lange und beobachtete sie. Ich wusste, irgendwann würde sie das Leben unter den Menschen nicht mehr ertragen. Dann sollte sie zurückkommen und ihren Fehler eingestehen, damit wir wieder in Frieden leben konnten." Sie holte tief Luft und sah Van bitter lächelnd an. "Aber es kam ja anders, wie du weißt. Als dein Vater starb und dein Bruder verschwand, zog sie sich zurück. Ihr wurde klar, dass das Volk sie nicht allein auf dem Thron akzeptieren würde... ein Monster, eine Verfluchte. Also ging sie fort. Aber nicht zu mir zurück. Und dann starb sie."
 

"Wo ist sie gestorben?", drängte Van sie.
 

"Ich weiß es nicht", antwortete sie kopfschüttelnd. "Aber ich spürte es, als sie starb, weil sie mir ein letztes Mal im Traum erschien. Seitdem hasse ich die Menschen, Van. Hätten sie Varie akzeptiert, wäre sie zwar nicht zu mir zurückgekommen, aber sie wäre wenigstens nicht einsam gestorben."
 

"Aber sie ging doch nur fort, um Folken zu suchen", begehrte Van auf. "Das hat mir Wargas erzählt. Und Wargas lügt... log nicht. Er war ein ehrenhafter Mensch."
 

"Ich weiß", sagte sie. "Ich habe ihn einige Male gesehen, wenn ich euch von fern beobachtet habe. Wären mehr Menschen so wie er, dann wäre alles in Ordnung. Er misstraute meiner Schwester anfangs zwar, aber er erkannte im Gegensatz zu vielen anderen, dass sie keine bösen Hintergedanken hegte und akzeptierte sie als seine Königin. Aber der Aberglaube der anderen Menschen war es, der Varie schließlich forttrieb." Sie sah Van nachdenklich an. "Sag, Van... hat sie dir nicht selbst geraten, deine Flügel niemals zu zeigen?"
 

Darauf konnte Van keine Antwort geben. Es stimmte. Seine Mutter hatte ihn gebeten, seine Flügel niemals vor anderen Menschen zu zeigen, als sie ihn damals bei seinem Sturz vom Dach gerettet hatte. Sie hatte Angst davor gehabt, dass die Menschen ihn nicht akzeptieren würden, wenn er eines Tages den Thron übernehmen müsste. Plötzlich spürte er die Hand seiner Tante auf seiner. Er sah zu ihr hoch.
 

"Du siehst, Van, wir sind gezeichnet", sagte sie mitfühlend. "Wenn wir zeigen, wer wir wirklich sind, werden uns die Menschen immer verfolgen, auch wenn seit dem Fall von Atlantis schon Jahrtausende vergangen sind. Wenn wir überleben wollen, müssen wir uns entweder unter ihnen verstecken oder ihnen fernbleiben. Fällt es dir nicht auch schwer, deine Flügel so lange nicht zu zeigen?"
 

"Ja", antwortete er sofort. "Manchmal, wenn ich nachts draußen lag... dann habe ich mir gewünscht zu fliegen. Ich habe mir gewünscht..." Er biss sich auf die Lippe. "Ich habe mir gewünscht, zum Mond der Illusionen fliegen zu können, um Hitomi zu mir holen zu können."
 

Sie legte ihm den Arm um die Schultern, setzte sich neben ihn und drückte ihn sanft an sich. Er ließ es geschehen, während er düster vor sich hin blickte.
 

"Und dann musstest du erfahren, dass auch sie, der du all dein Vertrauen geschenkt hast, dir nicht treu ist", vervollständigte Juseela seinen Satz. Sie fuhr ihm durchs Haar. "Es tut mir Leid, dass du das erleiden musstest, Van. Aber wenn ich dich früher vor den Menschen gewarnt hätte, hättest du mir nicht geglaubt. Vermutlich wurde ihr auf der Erde unter all diesen Normalsterblichen klar, dass du eben anders bist als sie. Sie bekam Angst vor dir und schließlich wandte sie sich von dir ab und suchte sich einen anderen."
 

Van kniff die Augen zusammen. "Sprich nicht darüber, bitte!", bat er sie inständig. "Ich will nicht darüber reden! Ich will sie einfach nur vergessen, genauso wie alles andere."
 

"Gut, ich werde dich nicht weiter bedrängen, Van", versprach sie. "Du bist jetzt bei deinem Volk und ich verspreche dir, dass dich hier niemand verletzen wird. Ich werde dir die Familie sein, die du verloren hast, ebenso wie du für mich ein Teil von Varie sein wirst, die ich verloren habe. Komm mit mir, Van. Lass diese grausame Welt hinter dir und komm mit zu denen, die dich wirklich verstehen."
 

Sie stand auf und reichte Van die Hand. Er zögerte noch einen Augenblick. Wenn er das jetzt tat, dann würde er alle Brücken zu seinem bisherigen Leben abbrechen. Aber als ihm die Bilder der letzten Zeit wieder in Erinnerung kamen, entschied er sich. Er ergriff ihre Hand und ließ seine Flügel wieder wachsen. Auch ihre weißen Schwingen flossen wieder aus ihrem weiten Gewand hervor und strahlten im Licht der Sonne. Fast so wie ihr glückliches Lächeln.
 

"Endlich sind wir vereint, Van", sagte sie leise. "So lange musste ich auf dich warten."
 

"Wo lebt dein... unser Volk überhaupt?", fragte er sie.
 

"Nicht weit entfernt", behauptete sie. Ihr Gesicht wurde wieder ernst. "Aber bevor wir dorthin können, solltest du noch etwas tun... einen Vertrauensbeweis, wenn du so willst, obwohl ich es nicht von dir verlange."
 

"Was?", wollte Van wissen. Was war denn jetzt noch?
 

Sie deutete auf Escaflowne. Der Guymelef stand noch immer dort, wo Van ihn vorhin verlassen hatte und strahlte auch jetzt noch eine Aura der Macht aus. Neben ihm wirkte selbst der grünschimmernde Drache, der in seiner Nähe lag, klein. Da stand der berühmte Guymelef aus Ispano, der Schutzgott von Farnelia, der über jeden Feind triumphiert hatte.
 

"Escaflowne", antwortete sie. "Verstehst du, Van, unser Volk liebt die Technologie der Menschen nicht. Wir leben in Einklang mit den Drachen und diese hassen diese Waffen ebenso. Wenn du mit mir kommen willst, musst du Escaflowne zurücklassen."
 

Van blickte die Maschine, mit der ihn so viel verband, an. Zurücklassen? Escaflowne und er waren doch eine Einheit. Gemeinsam hatten sie über jeden triumphiert, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte. Aber... waren das nicht alles Menschen gewesen? Waren es nicht die Kriege der Menschen gewesen, die Escaflownes Einsatz nötig gemacht hatten? Dennoch war es fast so, als müsste er einen Vertrauten, einen Freund töten.
 

"Van", flüsterte ihm Juseela von hinten ins Ohr. "Solange Escaflowne noch mit dir verbunden ist, wird er dich immer in die Welt der Menschen zurückziehen. Er wird verhindern, dass du bei uns wirklich glücklich werden kannst. Ich bitte dich, vertrau mir und entsage der Technik. Gib mir eine Chance, deine Wunden zu heilen und befreie dich von ihm."
 

Das gab den Ausschlag. Van breitete seine Flügel aus und landete nach einigen kräftigen Schlägen damit auf dem Unterarm des Guymelef. Ihm war zwar noch immer etwas unwohl dabei, schließlich warf man einige Jahre seines Lebens nicht einfach so weg. Aber er hatte sich entschieden. Langsam, zögernd, fast als erwartete er, dass Escaflowne sich wehren würde, griff er in den rosa Energisten auf der Brust der Kampfmaschine. Nichts. Seine Hand glitt hindurch wie früher. Und bekam den Energiestein zu fassen. Das Herz eines Drachen, das er auf der Erde erbeutet hatte. Es schien zu pulsieren, als er es angriff. Dann gab er sich einen Ruck und zog es heraus.
 

Escaflowne sackte zusammen. Die Energie, die den Guymelef nun schon seit Jahren durchströmte, verließ ihn. Nun war er nur noch ein totes Stück Metall, kein beinahe-lebender Kampfkoloss mehr, der Van schon so oft beschützt hatte. Van hielt das Drachenherz, das nun auch kalt in seiner Hand lag, hoch und hob es seiner Tante entgegen. Sie nickte zufrieden und stieg ebenfalls hoch. Sie landete neben ihm.
 

"Jetzt hast du es geschafft, Van", behauptete sie stolz und legte ihm den Arm auf die Schulter. "Jetzt gehörst du wahrhaft zu uns. Gib mir das gefangene Herz, damit wir es zu seinen Drachenbrüdern bringen können. Gemeinsam."
 

Gemeinsam. Dieses Wort wärmte Van, als er mit seiner Tante abhob und über den Wald davonflog. Es vermittelte ihm ein Gefühl, dass er verloren zu haben glaubte, als er Hitomis Geständnis hörte: Zugehörigkeit. Nun war er sich wirklich sicher, endlich ein Zuhause gefunden zu haben.
 


 

In der nächsten Folge...
 

Millerna und Dryden versuchen, Hitomi von ihrem Wunsch abzubringen, aber sie bleibt hart... der Crusado wird von der Ispano-Werkstatt angegriffen und wird gefangen genommen... die Botschafter erklären ihnen, dass Vans Tante die Menschheit aus Rache versklaven will und Van soeben auf ihre Seite zieht... gleichzeitig wird Freid von Asturias Drachen überrannt und Chid muss in die Wälder fliehen... Serena, die ihn beschützen will, trifft eine folgenschwere Entscheidung und ruft Dilandau herbei...
 


 

Titel: Die Rückkehr von Dilandau



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2002-09-29T18:31:26+00:00 29.09.2002 20:31
Tut mir Leid, aber dieses Wochenende schaff ich's nicht mehr, die nächste Folge hochzuladen. Meine Entschuldigung deswegen. Aber ich verspreche, sie nächsten Samstag reinzustellen, solange nichts Gravierendes dazwischenkommt, okay? Tut mir Leid für alle, die schon auf Dilandau warten, aber ich brauch einfach eine kreative Pause zum Erholen.

El Jugador
Von:  Kawari
2002-09-28T12:42:51+00:00 28.09.2002 14:42
Wann kommt der nächste Teil??? Deine FF ist echt klasse. Mir gefällt wie du die verschiedenen Sichtweisen der Personen darstellst und auch zeigst, was andernorts passiert.
Bitte schreib schnell weiter und lade bald möglichst den nächsten Teil hoch.

cu MT
Von: abgemeldet
2002-09-23T11:31:01+00:00 23.09.2002 13:31
ja also eine echt tolle FF und ich hoffe doch das ich bald den nesten teil lesen kann, also schreib bitte bite ganz schnell weiter.


viele liebe grüße peggi
Von: abgemeldet
2002-09-22T14:29:23+00:00 22.09.2002 16:29
HI!
Bin ich froh, dass du die ff doch noch dieses weekend hochgeladen hast! Freu mich schon auf die nächste Folge
suane


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