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Beat me baby!

von

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6-7

Kapitel 6
 

Das Gute an meinem Job als Arzt war, dass ich immer Kontakt zu irgendwelchen Kollegen hatte, die meist spezialisiert darauf waren, sich anderer Probleme anzunehmen. Nach der Begegnung mit Gideon hatte ich noch eine Weile rauchend im Flur gesessen und meine Gedanken kreisen lassen.
 

Während der Chefarzt uns Assistenten und jungen Fachärztre bei der morgendlichen Visite durch die einzelnen Krankenzimmer schleifte nutzte ich erneut den Moment mich mit meinem Problem auseinander zu setzen. Ich hatte meine Patienten gut vorbereitet und der adipös veranlagte, ergraute Mann mit seinem sächsischen Akzent hatte zwar mehr Dienstjahre als ich auf dem Buckel, im Endeffekt konnte er mir jedoch gerade nichts neues zu meinen Patienten erzählen.

Die Assistenzärzte kritzelten eifrig einige Notizen mit während der weiße Pulk ins nächste Patientenzimmer waberte. Ich schob meine Gedanken einen Augenblick zurück und betrachtete den Chefarzt eingängiger. Dr. Schmidt wusste sehr wohl mit unseren Neuzugängen umzugehen. Er hatte die Ruhe weg auch jede noch so simple Frage zu beantworten. Eine bewundernswerte Eigenschaft, auf die ich nicht zurückgreifen konnte. Allerdings war die Chefarztposition auch nur bedingt mein Lebensziel. Ein kleiner verängstigter Junge wurde mit warmen Worten auf seine Operation eingestimmt. Seine braunen weit aufgerissenen Augen erinnerten mich an Gideon und schmerzlich auch wieder an meine Erkenntnis der letzten Nacht.

Die Visite war beendet und die Schar weißer Kittel strömte auseinander, verteilte sich in den verschiedenen Räumen des Krankenhausflurs und ich nutzte die Gelegenheit den Kinderpsychologen zur Seite zu ziehen, der einmal die Woche die Visite beleitete.

„Wie kann ich dir helfen Alex?“ Er lächelte mich freundlich durch sein rahmenloses Brillengestell an. „Kann ich dich kurz unter vier Augen sprechen, Joe?“ Wir hatten für gewöhnlich nie sehr viel miteinander zu tun. Die meisten jungen Ärzte gingen nach einer gemeinsamen Schicht mal einen trinken, aber sowohl Joe als auch ich gehörten eher zu den Eigenbrödlern, sodass unsere Unterhaltungen meist auf Problemen von Patienten beruhten.
 

„Wenn es um den Jungen aus der 4 geht, mach ich mir keine Sorgen. Er schafft das schon.“ Joe fuhr sich mit der Hand durch sein volles dunkelbraunes Haar und verstaute seinen Notizblock in der Kitteltasche. „Nein... ich hätte da eher ein anderes Problöem.. aus dem ...näheren Freundeskreis. Ich.. wollte dich gern dazu um Rat bitten.“ Ich atmete tief aus und verfluchte mich für mein Gestottere. Der junge Psychologe hob fragend eine Augenbraue und musterte mich. „So...einen Freund also, hm?“ Ich lächelte schmal und nickte. „ Lass uns am besten in mein Sprechzimmer gehen. So zwischen Tür und Angel im Flur stelle ich ungerne Diagnosen.“ Er lachte leise und offenbarte kleine Lachfältchen in den Augenwinkeln. Es verwunderte mich etwas, da Joe nur unwesentlich älter war als ich. Während ich ihm durch den Flur folgte betrachtete ich mich in einer spiegelnden Glastür. Gott, vor dem Alter gruselte es mir wirklich! Aber keine alten zu sehen. Gut, Alex. Behalte deinen Plan im Auge!

Joes Sprechzimmer war ein lichtdurchfluteter Raum am anderen Ende der Station. Braune, einladende Ledersessel und ein antiker Schreibtisch sprachen für seinen Geschmack. Das Leder knarrte leicht, als ich mich setzte. Mein Blick streifte über die zahlreichen Bücher in dem kleinen Raum, die alle sorgfältig in die Regale einsortiert waren und keinen Platz mehr an der Wand frei ließen, als er mich aus meinen Gedanken zog. Ich war unschlüssig, wie ich beginnen sollte.

„Okay Alex, dann beschreib mal das Problem deines Freundes.“ Sein Grinsen war nun ziemlich süffisant und ich ärgerte mich, dass ich auf ihn zurück gegriffen hatte. Zugleich verlieh es seinem Gesicht etwas schelmisches und in Kombination mit seinem leichten Dreitagebart sah er gar nicht so unattraktiv aus. Genug geglotzt Alex! Zurück zum Plan! Ich räusperte mich leicht, da ich mich ertappt fühlte, beschloss aber an meiner Idee festzuhalten.
 

„Ich befürchte... meine Freund hat eine Art Agressionsproblem. Du musst wissen, er war nie ein Mensch großer Bindungen, aber ein One-Night-Stand lässt ihn nun nicht mehr locker...“ Joe blickte mich an, als ich anfing meine Geschichte als eine Fremde zu verkaufen. Eine Blickweise, mit der ich mich die Gesamte nacht abgemüht hatte. Er legte dabei langsam seinen Kittel ab, hing ihn an einem Haken, der an einem der Regale befestigt war und setzte sich dan in den Stuhl hinter dem Schreibtisch. Seine gepflegten Hände platzierte er gemächlich auf seinem Schoß als er ein Bein überschlug und sich zurück lehnte.

„Gut, aber wenn es sich um einen Stalker handelt ist vielleicht die Polizei ein besserer Ansprechpartner.“ Ich winkte ab und wandte den Blick wieder den Bücherregalen zu. „ Nein... soweit ich weiß, hat er mit allen Mitteln versucht, das Problem zu lösen. Letztendlcih sogar gewaltsam. Dieser One-Night-Stand bringt ihn wohl auch regelmäßig zur Weißglut und diese Aggression lässt er dann auch an dem Menschen wieder aus.“ Ein kleiner Seufzer meinerseits brachte Joe dazu, sich interessiert zu mir vorzubeugen.

„Ich meine... er hat mir da von ein paar wirklich abartigen Gewaltausbrüchen erzählt, aber je mehr er den anderen verletzt, desto schlimmer wird es. Es erregt ihn, obwohl er es gerne loswerden würde.“ Joe rieb sich leicht das Kinn als er mir zuhörte. Sein Blick war nichtssagend. Ich war mir unsicher, ob ich nicht doch einen Fehler begangen hatte.
 

„Das ..Opfer...dieser Gewaltausbrüche, also der Stalker in dem Sinne...“ Er gestikulierte leicht mit den Händen und sah mich etwas fragend an. „ ...er erduldet diese Behandlung?“ Ich nickte leicht. „Soweit ich weiß ja. Er wurde wohl auch vorgewarnt, scheint aber alles auf sich zu nehmen um in der Nähe meines Freundes bleiben zu können. “ Als sich Joe in seinem Sessel zurück lehnte und für einen Augenblick nachdenklich aus dem Fenster schaute, hatte ich das Gefühl meine Geschichte glaubhaft als die eines Fremden verkauft zu haben.

„Weißt du Alex... Das ist nicht mein Spezialgebiet, aber auf Anhieb würde ich ein größeres Beziehungsproblem vermuten. Ich meine, dein ...Freund... scheint sich in einer sehr starken Dominanzrolle zu befinden. Dominanz hat durchaus einen sexuellen Aspekt. Für Unabhängigkeit aber auch Führung. Nicht umsonst gibt es unzählige Menschen mit betsimmten Fetischen.“ Er griff nach einem Bleistift und tippte leicht auf der Schreibtischunterlage herum.

„Das Ausleben von Dominanz ist nicht unbedingt etwas schlimmes. Voraussetzung ist jedoch, das sowohl der dominante als auch der unterwürfige Part einer Beziehung sich dessen bewusst sind und es klare Grenzen gibt. Auch wenn es noch so erregend sein kann, die Oberhand zu haben und sie auch zu behalten, irgendwann ist es dann doch Körperverletzung, wenn es zu weit geht, verstehst du?“ Wieder sah er mich über seine Brille hinweg an. Er schien das Thema ernst zu nehmen. Sein Lächeln war nur flüchtig. Ich räusperte mich kurz und kratzte mich verlegen im Nacken als in meinen Gedanken die Aktionen mit Gideon wie kleine Kurzfilme an mir vorbei rauschten.
 

„Was kann mein Freund machen, wenn er nicht mehr will? Wenn er sich von dem Menschen trennen will?“ Eine Mischung an Gefühlen durchfuhr mich, als ich versuchte die Bilder zu verdrängen. Sowohl Scham als auch Erregung ließen mich nervös auf dem Sessel hin- und herrutschen.

„In erster Linie würde ich spontan sagen, er sollte den Kontakt abbrechen. Komplett. Wenn Menschen sich starken Misshandlungen aussetzen haben sie oftmals schon früher solche Erfahrungen gemacht und leiden unter einem gestörten Selbstwertgefühl. Die Erniedrigung ist manchmal für sie die einzige Form der Zuneigung. Aber letzten Endes ist es gerade das nicht. Und mit einem gewaltsamen Verhalten fördert man nur das gestörte Selbstbild.“ Wieder fuhr seine Hand durch sein Haar. Das Thema schien schwierig. Auch für ihn. Er atmete mit einem leichten Seufzer aus und sah mich an.

„Dein Freund sollte vielleicht umziehen, wenn er den Kontakt nicht anders beenden kann. Und sein...Gespiele sollte sich vielleicht einen guten Therapeuten suchen.“ Da grinste er schon wieder leicht. „ Mehr kann ich dir erstmal dazu nicht sagen, für alles andere bedürfte es genauerer Informationen, Einzelgespräche und so weiter.“ Joe lachte leise das Lachen mit den kleinen Fältchen am Auge. „Du möchtest sicherlich nicht, dass ich anfange dir eine Rechnung auszustellen.“
 

Meine Sitzhaltung verkrampfte etwas bei diesen Worten. „Tut mir leid, dich mit diesem Thema aufgehalten zu haben...“ Ein kurzes Räuspern von mir. „ Ich werde es meinem Freund ausrichten. Kann ich mich für den Rat etwas revangieren?“ Mein Blick war fragend. Ich versuchte meine innere Nervosität zu überspielen. Wenn Joe diese Geschichte auf mich zurück führte, dann wüsste er, dass ich homosexuell bin. Eine Tatsache, die ich bisher gut vor meiner Arbeit geheimhalten konnte. Ich biss mir leicht auf die Unterlippe bei dem Gedanken daran, dass ich mich hier womöglich gerade selbst verraten hatte.

Mein Gegenüber erhob sich, immernoch lächelnd, kam um den Schreibtisch rum und lehnte sich dagegen. Die Hände auf der Tischplatte abgestützt lehnte er sich zurück , neigte den Kopf und sah mcih ruhig an. „ Wie wärs, wenn du mich mal auf einen Drink einlädst dafür?“ Ich war auf diese Antwort nicht gefasst und schüttelte leicht den Kopf. „ Was hast du gesagt?“ Wieder dieses leise Lachen. „ Einen Drink. Oder bin ich nicht dein Typ?“ Ich rutschte bei diesen Worten beinahe aus dem Sessel. Die Rollen an dessen Füßen machten es mir nicht leichter, den Schock abzufangen. Joe hielt mich und den Stuhl leicht fest. „ Wie kommst du auf diese Idee?“ Ich wehrte mich immer noch gegen ein Outing auf Arbeit. Bisher hatte ich einen recht guten Stand beim restlichen Personal.
 

„Ach komm schon Alex. Ich bin doch nicht blind. Wir arbeiten seit Jahren hier zusammen und nie sehe ich dich mit einer Freundin. Die Schwestern sehnen sich umsonst nach dir und mit den anderen jungen Ärzten treibst du dich auch nie rum. Wenn dass deine Taktik ist, es zu verheimlichen, kannst du dir auch gleich eine Leuchtreklame auf den Rücken binden.“ Er kicherte vergnügt und drehte mich und den Sessel leicht her. Eine kindliche Geste, die zu seinen ernsten Worten von eben nicht passte. Ich fühlte mich ertappt und unwohl. Bisher war ich mit meinem Auftreten ganz zufrieden gewesen. „ Jetzt schau nicht so toternst. Die Leuchtreklame würde auch nur einem Schwulen auffallen.“ Er zwinkerte mir zu und zog sich wieder hinter den Schreibtisch zurück. Ich nutzte den Augenblick mich zu sammeln.
 

/Unglaublich Alex, du hast diesem Menschen grad Einblick in deine abartigen Neigungen gegeben und er fragt dich tatsächlich nach einem Date!/ Ich lachte innerlich auf und auch gegenüber Joe fand ich ein triumphierendes Grinsen. Mein Sexappeal ließ mich anscheinend nie im Stich. „Okay, einen Drink, sag mir nur wann und wo und ich bin da.“ Meine Haltung lockerte sich wieder. Ein Date war immer eine Bezahlung nach meinem Geschmack. Und Joe war optisch nicht zu verachten. Muskulöser als Gideon oder gar Lukas. Beim Gedanken an Letzteren bekam ich irgendwie ein schlechtes Gewissen. Er wollte doch, dass ich mein Leben auf die Reihe bekomme. Ein Date mit einem Psychiater konnte man doch dazu zählen, oder?

„Welche Schicht hast du morgen?“ Ich musste kurz überlegen. Nicht , dass mir mein Dienstplan noch einen Strich durch die Rechnung machen sollte.

„Bin in der Frühschicht.“ Er schnipste mit den Fingern.

„Ausgezeichnet! Dann sage ich morgen 20 Uhr U-Bahnhof Warschauer Straße. Und wehe du bist zu spät!“ Ich hob verteidigend die Hände.

„Oh nein!“ Mein Lachen klang unbeschwert. „Drohst du mir sonst mit einer Tiefenanalyse meiner Psyche?“ Er grinste ind neigte den Kopf hin und her. „ Wer weiß, dass oder ich erforsche dich ganz heimlich von innen bis ich jeden Schwachpunkt kenne.“ Aus dem Mund eines Psychologen konnten die Worte einen schon ängstigen. Meine Libido war jedoch gerade wach geworden, und statt seine Worte richtig zu verarbeiten musste ich mich eher darum kümmern, ihm nicht zu sagen, dass ich ihn wohl auch gründlich von innen untersuchen würde. Auf meine Art.
 

Ich erhob mich und ging zur Tür. Joe begleitete mich bis auf den Krankenhausflur. Er legte seine Hand auf meine Schulter zum Abschied. Sie war unerwartet kühl. „ Also dann, bis morgen Abend!“ Ein kurzer freunschaftlicher Wink, der wie die Berührung an der Schulter niemanden ahnen ließ, was wir planten. Ich atmete erleichtert auf. Das Gespräch war befreiend, sowohl für meine Libido als auch für mich selbst. Ein Blick zur Uhr verriet mir, dass meine Schicht noch gut acht Stunden dauern würde. Ich ging ins Schwesternzimmer und holte mir die Akte meines nächsten Patienten. The show must go on!

Kapitel 7
 

Auf dem Heimweg kreisten meine Gedanken darum, wie ich Gideon am besten los werden konnte. Ein Umzug kam für mich eigentlich nicht in Frage, immerhin liebte ich sowohl meinen Stadtteil als auch meine Wohnung. Außerdem konnte ich allein nicht schnell genuug alle Sachen beiseite schaffen und irgendwie würde dieser kleine Mistkerl meine neue Adresse sowieso ausfindig machen. Ich schüttelte leicht den Kopf bei diesem Gedanken. Warum nur musste ich immer so abfällig von Gideon denken? Immerhin, wenn Joe Recht hatte, war dem kleinen Kerl schon so einiges Schlimmes widerfahren, was ich durch mein Verhalten nicht verbessern würde.
 

Meine Schicht war hart gewesen und das sanfte Schaukeln der S-Bahn machte mir die Augenlieder schwer. Einer meiner Patienten war heute verstorben. Für den Jungen eine Erlösung, mit Sicherheit, aber keinem Kind wünschte man einen bösartigen Tumor der es zu Tode quält. Vor einigen Tagen noch hatte ich ihm versprochen, ihm eines der kleinen Schmuddelblätter ins Krnakenhaus zu schmuggeln. Sechzehn Jahre war er. Immer diese Hilfe suchenden Rehaugen...
 

„Hey , lass die Finger von ihm!“ Ich schrak auf als ich die laute Stimme vernahm. Benommen blinzelte ich durch die Gegend und sah nur einen kleinen dünnen Kerl davon laufen. Sofort packte es mich und panisch klopfte ich meine Jacke ab, tastete nach Geld und Handy. Einschlafen in der Bahn kam in Berlin nicht gut. Auch nicht tagsüber. „Scheiße!“ Ich friemelte noch an meinem Mantel, der zu gut gepolstert war, als dass ich ohne weitreres alles hätte erfühlen können.

„Du solltest wirklich aufpassen wo du einschläfst Alex. Langsam komm ich mir schon vor wie dein Ritter in goldener Rüstung.“ Es kicherte aus dem Hintergrund und im nächsten Augenblick saß Lukas neben mir.

„Man man, erst in der Kneipe und nmun in der Bahn. Du solltest mehr schlafen.“ Für einen kurzen Augenblick streichelte er über meine Wange und lächelte sanft. „Keine Sorge, ich hab nicht zugelassen, dass er dir etwas klaut.“ Seine Hand verschwand von meinem Gesicht. Kälte ließ mich kurz erzittern. Doch war es nicht die Kälte von außerhalb. Die Bahn war gut beheizt. Die Kurze Berührung von Lukas war es, die mir die Wärme nahm. Ich schob mir ein paar haarsträhnen aus dem Gesicht und seufzte leicht.
 

„Danke... heute ist nicht wirklich mein Tag...glaube ich...“ Im Hinterkopf erschienen Erinnerungsfetzen von meiner kleinen Unterhaltung mit Joe. Schlechter Tag? Ich hatte ein Date abgestaubt und durch Zufall mal wieder Lukas getroffen. Nein mein Bester, schlecht ist was anderes. „Ich meine...ich ...Arbeit lief heute nicht so.“ Das war nicht gelogen. Ich fühlte mich wie ein alter Mann und streckte mich leicht. Lukas Hand drückte sich warm gegen miene Stirn.

„Du solltest dich ins Bett packen und ausruhen.“ Seine Hand verschwand und ein neuer Schauer durchzog mich. Er hatte mir jedoch eben eine gute Vorlage gegeben.

„Nur wenn du dich dazu packst.“ Ich grinste ihn süffisant an.
 

„Verdammte Schwuchteln!!!“ plärrte es mit einem mal aus dem Hintergrund. Ein alter Mann, gut über die siebzig blickte uns verachtend an. Berlin war eine tolerante Stadt, aber immer wieder mal, überkam es den ein oder anderen Menschen seiner Abneigung gegen Homosexualität kund zu tun. Die jüngere Dame neben dem Alten nestelte beschämft in ihrer Handtasche rum. „Opa, sowas sagt man nicht!“ Sie verzog ihr Gesicht zu einer entschuldigenden Grimasse während der alte Mann weiter vor sich hin tatternd seinen Blick wieder aus dem Fenster wandte. Lukas blinzelte etwas perplex über dieses Erlebnis, lächelte dann aber verständnisvoll der jungen Frau zu und widmete sich wieder mir. „ Wo waren wir? Ah du willst mich als menschliche Wärmflasche gebrauchen?“ Ich ergriff seine ungegipste Hand und zog ihn leicht an mich. „ Wieso nicht?“flüsterte ich ihm leise ins Ohr. Lukas lachte warm auf und entzog sich sowohl meiner Berührung als auch meiner sonstigen Nähe. „Zwei mal hab ich dich schon gerettet und du Schuft verlangst immer mehr !“ Er grinste breit und schob sich die Brille zurecht. „ Aber leider wartet ein vierpfotiges Ungeheuer in meiner Wohnung auf mich und wenn ich es nicht füttere wird es einer unglaublichen Zerstörungswut erliegen.“ Ich erinnerte mich schwach an seinen Kater und schmunzelte über Lukas ausdrucksweise. Dieses Ritterding schien ihm zu gefallen.
 

Die freundliche Stimme der S-Bahn machte mich darauf aufmerksam, dass die nächste Station Schönhauser Allee war. Ich hatte nun also die Wahl entweder meinen Heimweg anzutreten oder konnte versuchen doch etwas Zeit mit Lukas zu verbringen. Ich war von mir selbst überrascht, nach dem heutigen Tag diesen Wunsch überhauot noch zu hegen.

„Ähm, eigentlich müsste ich nun aussteigen.“ Ich blinzelte zur Anzeige und blickte dann Lukas an, der recht entspannt neben mir saß, die Beine übereinander geschlagen. Auch er blickte kurz hoch zur Anzeige. „ Dann kann ich wohl nur hoffen, dass du es heil bis nach Hause schaffst, hm?“ Seine Körpersprache war seltsam. Obwohl er für mich auf den ersten Blick immer so unglaublich zerbrechlich aussah, wirkte er nun völlig unnahbar. „Soll ich dich denn vielleicht noch ein Stückchen begleiten und bei der Raubtierfütterung assistieren?“ So stark er eben noch wirkte, das Lächeln auf meine Frage löste diesen Eindruck wieder auf.

„Gerne doch. Dann versorge ich dich eben mit einer heißen Schokolade.“
 

Während die S 8 langsam gen Pankow gondelte unterhileten wir uns über das Nachtleben von Berlin. Es war ungewohnt so normal neben jemanden zu sitzen. Wenn ich meine letzten Jahre rückblickend betrachtete ließ ich das Reden gern direkt weg und konzentrierte mich auf den interaktiven Part. Zugegeben, die meisten meiner Betthäschen besaßen auch nicht sonderlich viel Intelligenz für ein änger anhaltendes Gespräch. Das Besondere am Umgang mit Lukas war seine unglaublich ruhige Art zu reden. Nicht einschläfernd, sondern solide und fesselnd. Man könnte die Augen schließen und einfach seiner Stimme lauschen. „ So, hier müssen wir raus.“ Er stand nur langsam auf und mir wurde bewusst, was er vor kurzem erst mitgemacht hatte. Er verzog leicht das Gesicht dabei und ich fragte mich , ob der Schmerz von geprellten Rippen gerrührte. Obwohl ich ihn damals gefunden hatte, war ich mir über seinen Zustand nicht im Klaren. „Alles okay?“ Ich umfasste mit einem Arm vorsichtig seine Schultern und versichte ihm in der wackeligen Bahn halt zu geben. Irritiert blickte er auf meine Hand. „Schon.. schon okay.“ Auch wenn ich mit blöd vorkam, musste ich grinsen. Ich war mir nicht sicher, aber diese Geste schien Lukas zu verunsichern.
 

Als die Bahn hielt, ließ ich die Hand langsam seinen schlanken Rücken hinabgleiten. Er lief vor mir aus der Bahn und zog an der frischen Luft fröstelnd seine Lederjacke enger um sich. „Ich hasse den Herbst“ schimpfte er , blickte sich kurz orientierend um und stapfte los. Ich war überrascht, dass er nicht wirklich auf mich zu warten schien, schob dies aber auf die Kälte und lief ihm nach.
 

Das bereits einmal gesehene Straßenschild begegnete mir nach einigen Minuten. Borkumstraße. Ich hatte den Namen beinahe vergessen und wollt ihn mir nun genauer einprägen. Nebst Hausnummer und Lukas Nachnamen. Es handelte sich um Altbauten. Ich konnte mich nicht erinnern durch diesen dunklen Flur gegangen zu sein, aber mein erster und einziger Besuch bisher war eine Weile her und ich wahrlich nicht in bester Verfassung. Mit leichtem Ruckeln öffnete Lukas die schwere Doppeltür zu siener Wohnung. Lichtdurchflutet und von wohliger Wärme erfüllt empfing sie mich ein zweites Mal. Ich schmunzelte darüber, dass ich im Grunde nichts von meinem ersten Besuch behalten hatte un fragte mich , ob meine Betthäschen mein Inventar auch so gern verdrängten. Schließlich war der Wer zum Bett der einzig interessante für sie gewesen. Zugegeben, auch für mich.
 

Ich hatte so lange rumgehurt, dass die jetzige Situation für mcih ungewohnt war. Etwas verloren stand ich im Flur und betrachtete Lukas, wie dieser Lederjacke und Schal ablegte. „Willst du nicht auch den Mantel ablegen?“ Seine Brille war von der Kälte beschlagen. Er nahm sie ab und blinzelte etwas unbeholfen, während er sie an seinem schwarzen Rollkragenshirt trocknete. Einige blonde Strähnen fielen ihm dabei ins Gesicht. /Eigentlich nicht mein Typ.../ Ich schüttelte den Gedanken aus dem Kopf.
 

„Nicht ablegen? Nunja, scheint ein kurzer Besuch zu werden, hm?“ Er grinste , die Brille wieder auf der Nase, und wurde dann von mir abgelenkt, als ein dickes Etwas um die Ecke kam und ein lautes Geschrei veranstaltete. „Oh! Doch, so war es nicht gemeint!“ Ich zog etwas verdutzt den Mantel aus und hing ihn an die kleine Flurgarderobe. Das Geschrei von Lukas Katzentier erschütterte mich.
 

„Klingt als hättest du ihn Wochen nicht gefüttert“, merkte ich trocken an und wich leicht zurück, als das fellige Ungetüm auf mich zu kam. Katzen waren nicht mein Ding.

„Och das täuscht. Er versteht sich nur darin, so zu tun als ob. Nicht umsonst ist er so schlank gebaut.“ Seine Stimme verebbte am schluss etwas, als er mühsam den Kater auf den Arm hob und mit ihm in die Küche verschwand. „Ich glaub, wenn du ihn nicht tragen würdest ,würde das schon helfen!“ Während ich ihm dies nachrief zog ich meine Chucks aus. Sein weicher Teppich umfing einladend meine Füße. Auch dieser Teil von Lukas Wohnung war mir beim ersten Besuch entfallen.
 

„Bist du im Flur angewachsen, oder traust du dich nicht zu mir in die Küche?“ Er blickte hinter dem Türrahmen der Küche hervor und lächelte sein unglaublich freundliches Lächeln. „Nein, ich hab nur gerade deine Einrichtung etwas bewundert“. Um nciht ganz zu lügen ließ ich den Blick weiter schweifen während ich langsam Richtung Küche tapste. Helle Wände, heller flauschiger Teppich. Als Kontrast schwarzbraune, zum Teil antike Möbel und eine beige Couch zeichneten Flur und Wohnzimmer aus. Ein großes dunkles Bild hing über dieser und erfüllte damit den Ruam bis zur Decke. Alles sehr stilvoll, aber auch etwas steril. Auf Höhe des Türrahmens zur Küche drehte ich bei und erinnerte mich, wie Lukas bei der ersten Begegnung desinteressiert am Küchentisch saß, Kaffee trank und seine Zeitung las.
 

Jetzt werkelte er an einer dieser Kaffeepadsmaschinen rum und zeigte wedelnd Richtung Küchenstuhl. „Setz dich. So wie du hier rumgeisterst machst du mich nervös.“ Zwei Tassen wurden unter der Maschine platziert. Ein lautes Surren versprach baldigen Kaffeegenuss. Der Kater schmatzte in einer Ecke über sienen Napf gebeugt. Ich betrachtete das Tier eindringlich, starrte es quasi an. In seiner Leibesfülle erschien es so dekadent, dass es durchaus in diese Wohnung passte. Nur Lukas, mit den blauen Flecken und dem Gipsarm passte hier nicht so ganz rein. Dieser Gedanke lenkte meinen Blick wieder zum blonden jungen Mann. Es war ungewohnt. Normalerweise stürzten sich die Kleinen auf mich. Kaum war eine Tür hinter mir zu, öffnete sich in der Regel die zum Schlafzimmer. Aber Lukas werkelte einfach da rum, als ob es ihm gleich gewesen wäre, dass ich hier war. Diese Erkenntnis kratzte meinen Stolz an. Während er noch kleine Kekse auf einen Teller drapierte erhob ich mich und stellte mich lautlos hinter ihn. Er hielt in seiner Bewegung inne als ich meine Arme um seinen Bauch legte, nicht zu fest, wegen der Rippen, und meinen Kopf auf seiner Schulter ablegte. „Mach dir nicht zu viel Mühe. Kekse interessieren mich nicht so.“ Ich verleihte dem Satzende eine verruchte Tonlage und küsste Lukas leicht am Hlas. Schmuseleien waren weniger meine Art, aber bei ihm hielt ich diese angebracht. Noch immer bewegte er sich nicht. Nur das Schmatzen der Katze und die letzten Kaffeetropfen, die in die Tassen vielen erfüllten die Stille.
 

„Lass das lieber, Alex.“ Er atmete schwer und drehte sich zu mir um, schob mich zugleich etwas weg. „Ich hab keine Ahnung, wie du dich sonst so durchs Leben bewegst, aber als ich neulich sagte, dass du es ordnen solltest, bevor du mich darin unter bringst, meinte ich das ernst.“ Er holte erneut Luft. Für einen Augenblick befürchtete ich eine Heulattacke ala Gideon, merkte dann aber, dass seine Rippen ihm das atmen erschwerten. Ich schalt mich innerlich selbst und zog mich auf den Küchenstuhl von eben zurück.
 

„Offensichtlich hat dein kleiner Freund nämlih nicht verstanden, dass ihr kein paar seid. Oder ihr habt eine wirklich seltsam innige Freundschaft.“ Lukas wandte sich kurz von mir ab, holte eine Milch aus dem Kühlschrank und hellte seinen Kaffee auf. Es wirkte etwas unbeholfen. Der Gips behinderte ihn. „Soll ich dir helfen?“

„Nein danke, geht schon. Auch Milch?“

„Ähm, ja.. ist nicht der erste heute, etwas gestreckt ist er sicher verträglicher.“ Milchbutte und Kaffeetasse Nummer zwei landeten vor mir auf dem Küchentisch. Lukas Stuhl scharrte lautstart über den Fliesenboden, dann gesellten sich auch sein Kaffee und der kleine Keksteller auf den Tisch. Schwarzes Geschirr auf weißen Küchenmöbeln. Er schient diesen Kontrast zu mögen.
 

„Gideon ist einfach etwas aufdringlich. Ich arbeite an dem Problem.“ Leicht lächelnd winkte Lukas meine Worte beiseite. „Was du mit dem kleinen Kerl machst, ist absolut deine Sache. Ich halte mich nur grundsätzlich aus Beziehungen raus. Das gibt nur Ärger.“ Eben war ich noch verwundert, wieso ich mich so bereitwillig verteidigte, jetzt erfüllte mich das tiefe Bedürfnis danach, die Sache klar zu stellen.

„Gideon ist nicht mein Partner. Wir leben in keiner... nicht in dieser Form der Beziehung! Eigentlich ist er nur ein kleiner One-Night-Stand, der sich beharrlich an meine Fersen gehängt hat!“ Wut kochte in mir auf und meine Stimme wurde zum Ende des Satzes ungewollt lauter. Ich biss mir auf die Lippe. Lukas anzuschreien verbesserte hier gar nichts.
 

Leise klirrte sein Löffel als er den Kaffee umrührte. Der Blick mit dem er mich bedachte verwirrte mich. Ich hatte jetzt mit Wut gerechnet oder Eifersucht, aber in Lukas Augen sah ich nur Bedauern. „Oh Alex...wenn ich dich so reden höre, bezweifle ich grade, ob es überhaupt einen Menschen gibt, den du schätzt.“ Für den Augenblick war ich mir unklar, ob Lukas Worte oder seine unglaubliche Gelassenheit mich mehr verletzten. „ Ach komm, als ob du Mutter Theresa wärst!“ Er schmunzelte bei diesem Vergleich, der zugegeben, sehr passend für einen Schwulen war. Dieses Lächeln brachte mich noch mehr auf die Palme. Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme. Der Wunsch etwas zu Kleinholz zu verarbeiten kam in mir auf, aber andererseits wollte ich mir die Sache mit Lukas nicht verscherzen. /Kein Blasehase, kein kleines Toy./
 

„Ich bin vielleicht keine Heilige, aber ich geb den Menschen eine volle Chance. Immerhin hab ich auch dir eine gegeben, als ich dich damals vom Toilettenboden aufhob und mit nach Hause nahm wie ein Kätzchen. Ja genbau, das bist du. Mein keines Straßenkätzchen.“ Er kicherte triumphierend über seine Erkenntnis und streckte mir die Zunge entgegen. Sein Zungenpiercing kam dadurch zur Geltung. Bisher war es mir nicht aufgefallen,aber bei Lukas war ich eh nicht der Blitzmerker und spätestens bei etwas französischer Action wäre es mir wohl aufgefallen. Dennoch schaffte er es mich mit seinem Verhalten in eine größere Trotzphase zu bringen. Für gewöhnlich gab ich hier die Spitznamen. Lukas lächelte mich weiter an und nippte zwischendurch an seinem Kaffee.
 

„Hab ich dich gekränkt?“ Eine Augenbraue wanderte hoch über den Brillenrand hinaus. Wieder warf er mcih aus meinem Gleichgewicht. Hatte ich mich doch ebend im schönsten Schmollmodus befunden, den ich übrigens seit Jahren nicht mehr wirklich anschmeißen musste, so warf mich seine Frage da auch wieder hinaus. Es war keine spöttische Frage. Sie klang tiefgehend und ernsthaft. Seine schmale ungegipste Hand wanderte über den Tisch und streichelte mir leicht über den Unterarm. Sein Blick war ruhig, das Lachen verschwunden. „Ich wollte dich nicht kränken, Alex, ich kann nur nie meine Klappe halten.“ Er kicherte leicht, zog die Hand zurück und wedelte mit beiden Händen kurz in der Luft. „Manchmal gehen eben meine verrückten Gedanken mit mir durch!“ Etwas unwohl rutschte er nun auf seinem Stuhl hin und her, blickte mich ruhig an und wartete wohl auf eine Antwort.
 

Solche Gespräche lagen mir nicht. Ich hasste es über Gefüle oder ähnlichen Kram zu reden. Das war es, weswegen ich meine One-Night-Stands so mochte. Ein guter befreiender Fick und tschüssikowski. Alle Emotionen abgebaut ohne unnötig den Mund dafür auf zu machen. Meine verschränkte Haltung löste sich etwas. Meine Finger trippelten auf den Tisch ein, während ich mit mir selbst rang. Ich blickte Lukas kurz ins Gesicht. Sein Ausdruck schmerzte mich innerlich. Ich beschloss, dass dieser kleine blonde Kerl Gift für mich war. Zumindest mental. Körperlich wollte ich noch klären, vielleicht. Auf jedenfall würde ich ihm jetzt nicht meine Gefühlswelt offenbaren. Seine silbergrauen Augen ruhten auf mir. Ich fühlte mich in die Enge getrieben, denn in diesem Momant hatte ich die Oberhand verloren. Ein letztes Mal klopfte ich auf den Tisch, dann erhob ich mich. „ Ich glaub, ich gehe besser nach Hause. War’n langer Tag.“
 

Ich schaffte es stolperfrei in den Flur zu meinen Schuhen. Chucks ließen sich bequem auch mal halb im Laufen aunziehen. Das erleichterte meine Flucht. Lukas sagte nichts mehr. Er stand wortlos gegen die Wand im Flur gelehnt und betrachtete meinen total verrückten Abgang. Als ich nach der Türklinke griff, stoppte ich. Lukas hatte sich nicht bewegt. Sein Gesichtsausdruck war schmerzlich. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn gerade enttäuschte oder mit meiner Art verletzte. „ War nett zu plaudern.“ Ich hob kurz die Hand zum Abschied, öffnete die Tür und entschwand in den dunklen Hausflur. Die Tür fiel laut knarrend ins Schloss. Drinnen hörte ich nur das lauthalsige Mauzen des fetten Katers. Dann betrat ich die Straße. Berlins Lärm umfing mich. Die Kälte umfing mich und betäubte meine Gefühle. Hier draußen fühlte ich mich frei.



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