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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Kapitel 16
 

Fatil konnte es nicht verhindern.

Das Mädchen war allzu schnell wieder in der Menge verschwunden, sein König hatte den nächsten Kelch Wein vor sich stehen und noch bevor er ein vernünftiges Wort an ihn richten konnte, tauchte aus dem tanzenden Volk die Person auf, welche den Pharao so verwandelte.

In sein feierliches, rotweißes Priestergewand gekleidet, kam er mit festem Schritt näher, strich sich das Haar aus der Stirn und sah sicher eher ungewollt erotisierend aus.

Und sein Pharao nahm ihn sofort mit Blicken gefangen. Blicke, welche so eindeutig sehnsüchtig waren, dass es Fatil direkt wunderte, warum sich niemand daran störte. Doch vielleicht lag es nur daran, dass er den König von Kindesbeinen an kannte. Vielleicht konnte nur er dieses abnorme Verhalten deuten, die Trauer und den Schmerz in seinem Blick sehen ... und diese unendliche Sehnsucht. Für andere schien es wie unsichtbar, denn sein König hatte es viel zu lange geübt, seine wahren Gefühle zu verbergen - nur wer ihn bis aufs Haar kannte, der konnte sehen, dass er sich diesem Sklaven am liebsten zu Füßen werfen wollte.

Was hatte dieser gewöhnliche Mensch nur an sich, dass es den König so dermaßen süchtig machte ... was war mit ihm, dass es den König so schmerzte und vor Sehnsucht jede Nacht aus Träumen weckte?

Er sah aus wie ein ganz normaler Mann, wie ein Sklave, wie ein Priester - es war egal. Fatil erkannte an ihm nichts besonderes. Er war schön, ja. Er war wirklich schön. Kräftig und weich, so wild und zahm gleichermaßen. Doch er war nur ein Mensch - eines Königs nicht würdig. Nicht so würdig wie ihm seine Königin war.
 

„Erlaubt, dass ich vorstelle“ lächelte der alte Hohepriester, stand auf und legte seine Hand als freundschaftliche Geste an die breite Schulter des viel größeren Seth, welcher auf die unglaublichste Weise dem Pharao zulächelte und ihn entweder in eisiger Berechnung oder lieblicher Unwissenheit dahinschmelzen ließ. „Mein König, dies ist der junge Seth Chuanch Amun Sanacht. Seth, begrüße unseren Pharao.“

„Mein König.“ Er setzte einen ruhig erfreut strahlenden Blick auf und senkte seinen Kopf so tief, dass es ihm den Rücken beugte. „Es ist mir eine große Ehre, Euch gegenüber zu stehen.“

„Es ist mir eine Freude, dich hier zu haben“ lächelte er und war plötzlich wie verwandelt. Eben noch vor Sehnsucht zynisch und halb wahnsinnig, mit schwerer Zunge angehend betrunken und nun die Ruhe und Güte in Person. „Bitte setz dich doch zu uns. Beteilige dich an unserer Unterhaltung.“

„Mein König, ich hoffe, Ihr haltet mich nicht für dreist.“ Er erhob sich und glänzte ihn mit seinen unglaublich tiefgehend blauen Augen an, seine Wangen so rot wie die des Pharaos. Sicher hatte er auch schon Wein genug getrunken. „Ich möchte Euch fragen, ob Ihr mit uns tanzen möchtet.“

„Tanzen?“ Er war noch nie zum Tanz aufgefordert worden. Na ja, von Damen natürlich auf Festen unter Adeligen im Palast oder in den Häusern bei Einladungen von hohen Herren. Aber noch niemals hatte ihn ein junger Mann aufgefordert, noch niemals so formlos ... ungeadelt.

„Schickt dich ein Mädchen?“ wollte Fatil mit eindeutiger Skepsis wissen.

„Oh, nicht doch!“ lachte er und schien wirklich auch schon ganz gut einen im Tee zu haben. „Wir möchten den Karuma tanzen und uns fehlt der achte Mann. Majestät, es wäre uns eine Ehre, wenn Ihr mit uns tanzen würdet.“

„Warum nicht?“

Fatil konnte es nicht fassen!

Der König wollte Karuma tanzen!

Ohne Nachzudenken kam die Antwort viel zu schnell!

Der Karuma wurde vom Fußvolk getanzt. Jugendliche tanzten ihn oder die Proletarier im Reich, es war ein Tanz fürs niedere Volk gedacht, für junge Menschen ohne Sinn und Verstand - aber doch nicht für königliche Füße. Das Königshaus tanzte andere Tänze, aber niemals solche so gewöhnlichen, primitiven, anspruchslosen.

Mit Priestern zu tanzen war okay - aber doch nicht Karuma!

„Herzlichen Dank“ lächelte Seth und schon stand der Pharao an seiner Seite, schaute mit strahlenden Augen an ihm herauf und viel zu schnell verschwanden sie gemeinsam in der singenden Menge.

>Spinnt der denn jetzt total?< war der einzige Gedanke, der Fatil noch schnell durch den Kopf schoss. Wenn sein Vater herausbekam, dass er den König einen Karuma tanzen ließ, würde er ganz schön was zu hören bekommen. „Faari! Penu!“ Er wies in die Richtung des Königs und schon sprangen die zwei aus der Menge und folgten dem Pharao.

Aufhalten konnten sie ihn nicht, aber sie mussten auf ihn achten. In der Menge war es gefährlich. Sollte hier doch jemand sein, der ein Messer in der Tasche hatte und ihn angriff oder selbst, wenn ihn nur ein Betrunkener rempelte und zu Boden stieß, wäre das Skandal genug. Sicher waren unter den Tempelbewohnern keine Attentäter oder unvorsichtige Menschen, aber als Leibwächter mussten sie selbst dem besten Freund mit Skepsis begegnen. Der Schutz des Pharaos war ihr höchstes Ziel.

Selbst wenn sie in hundert Jahren nur ein Mal durch Unaufmerksamkeit einen Fehler machten, so war das ein Fehler zu viel.
 

Fatil sah von seinem etwas erhöhten Punkt aus genau, wie sich der stämmige, kräftige Penu zwischen den feiernden Menschen hindurchkämpfte und Faari ihm immer wieder die Richtung weisen musste, da er mit seiner Größe viel besser über die Köpfe der Leute hinwegblicken konnte.

Seth mit dem Pharao im Schlepptau hatte da weniger Probleme durch die Massen zu kommen. Jeder lächelte ihn an und verneigte sich vor dem König. Sie wichen vor ihnen zurück und machten von sich aus Platz. Trotz der aufgeheizten Stimmung fanden sie genug Respekt, ihren Herrscher nicht zu berühren oder ihn zu drängen. Sie verbeugten sich und erhoben sich erst als er vorbei war.

„Und so jemanden empfehlt Ihr für den Palast, Chaba?“ fuhr Fatil ihn wütend an. „Er fordert den König zum Karuma auf! Hat er denn kein Benehmen?“

„Ich glaube, so dumm ist er gar nicht“ beruhigte er und nickte nach vorne, wo die beiden soeben bei den anderen sechs Tänzern ankamen und die jungen Männer sich tief vor dem Pharao verneigten.

Der König lächelte sie beschwichtigend an und sprach den Jugendlichen ein paar ruhige Worte zu, welche sie zum Lachen brachten. Vielleicht hatte er einen Witz gemacht, denn er selbst musste dann auch mitlachen.

Als wäre er einer von ihnen.

Er begab sich tatsächlich auf das Niveau des Volkes herab!

Zwei der Männer fassten den König an den Armen, hoben ihn ohne Probleme in die Höhe und drehten ihn andersherum, bevor sie ihn wieder absetzen.

Erst dann kamen Faari und Penu bei ihnen an und stellten sich dazwischen.

Wortlos beobachtete Fatil, wie sie dem König eindringlich zusprachen, aber nur ein paar beschwichtigende Gesten bekamen. Er brauchte kein Lippenleser zu sein, um zu erraten, was der Pharao ihnen sagte. Sie diskutierten einen Moment, doch als das Lied endete und ein neues aufgespielt wurde, wichen sie dann doch ein paar Schritte zurück und stellten sich beobachtend an den Rand, wo schon ein kleiner, freier Platz entstanden war, um der Gruppe genügend Luft zum Tanz zu geben.

Ganz schnell hatten die anderen sieben sich um den König herumdrapiert, sich vor, hinter und neben ihn gestellt und Seth natürlich ganz dicht neben ihm.

Der König ließ ihn nicht aus den Augen und glühte im ganzen Gesicht.

Er sah aus wie ein kleines Kind, welches vor einem großen Berg Geschenken saß. Ob es der Alkohol war, der ihn so ausgelassen machte oder diese verrückte Liebe, in die er sich verrannte ... so sehr hatte er noch niemals gestrahlt. Nicht mal bei seiner Hochzeit sah er so glücklich aus wie in diesem Moment, wo er zwischen diesen jungen Männern stand und den ersten Tanzschritt nach vorne setzte.

Der Karuma war nicht schwer zu tanzen. Er folgte immer einem gleichbleibenden Rhythmus und die Schrittfolge wiederholte sich auch nach einer Weile. Man musste nur aufpassen, dass man sich nicht verhaspelte, was nicht geschah, wenn man Übung hatte.

Umso erstaunlicher war es, dass der König sich die Schritte nur ein/zwei Mal ansehen musste und sie sofort mittanzte. Viel zu häufig hatte er sie gesehen, wenn er mit seinem Gefolge über Volksfeste ritt und doch niemals vom Pferd abstieg. Es waren nur Höflichkeitsbesuche, um dem Volk Präsenz zu zeigen, doch wirklich mitgefeiert hatte er nur in Adelskreisen. Und Adelige tanzten niemals Karuma.

Erst einen Schritt vor mit links, den rechten Fuß nachstampfen. Links nach links, rechts nach links. Rechts nach rechts, links anheben, im Viertelkreis herumdrehen und breitbeining aufstampfen. Einen Hüpfer zurück, einen Hüpfer nach vorn. Arme ausstrecken, zwei Mal schnell in die Hände klatschen, Hände in die Hüften und von vorne. Immer kreisherum, immer im Takt gemeinsam mit den anderen Tänzern.

Eigentlich konnte man den Karuma auch mit hundert Leuten oder alleine tanzen, aber der Tanz zu acht war zweifelhafte Tradition im Volke.

Dem König würdig war das hier sicher nicht, aber er schien es zu genießen.

Gemeinsam mit den anderen befolgte er immer dieselben Schritte, genau zum Schlag der großen Trommel und bewegte sich wie eine Schlange zu den Flöten und der zitternden Stimme der Sängerin.

Gemeinsam lachten die Männer ausgelassen, als sie abermals in die Hände klatschten und diese albernen Hüpfer vollführten. Vor allem dann, als dem König seine zu weite Krone ins Gesicht rutschte und er sie lachend festhalten musste.

Und er sah so glücklich aus.

Die Krone auf seinem Haupt war kaum mehr als eine goldene Mütze und sein Körper, seine Bewegungen nicht mehr als die eines gewöhnlichen Mannes. Kein Anzeichen mehr von Stolz oder Macht - albern sah er aus.

Ein König, der Karuma tanzte, war in etwa so würdevoll wie ein Löwe, welcher sich krause, bunte Locken in die Mähne flechten ließ.

Und er wurde von den Leuten, welche drumherum standen, auch noch kreischend und jubelnd angefeuert. Sie klatschten gemeinsam im Takt, jauchzten und frohlockten. Wie eine Horde betrunkener Halbstarker und die Majestät mittendrin.

Seine Augen strahlten, wenn er sie nicht gerade geschlossen hielt, sich in den Takt vertiefte oder einen Mittänzer neben ihm zurückrempelte, als der in die falsche Richtung sprang und ihn fast umgerissen hätte.

Aber sie lachten, brüllten und klatschten in die Hände, hüpften und stampften.
 

„Fatil, seht ihn Euch doch an“ sprach der graue Hohepriester, welcher nur Fatils ungläubigen Blick beobachtete und weniger Augenmerk auf die Querelen des Königs wand.

„Ich sehe es, aber ich will es nicht glauben“ sprach er tonlos. „Wenn das am Hofe zum Gespräch kommt, wird sich der Pharao einigen Gerüchten und Lästereien ausgesetzt sehen. Er verliert an Würde und an Glaubwürdigkeit.“

„Aber es ist nicht verboten. Der König hat es Adeligen doch offiziell erlaubt - auch wenn sie es wohl niemals tun. Doch verboten ist es nicht. Habt Ihr schon mal Karuma getanzt?“ fragte er ernst und bekam einen mehr als ungläubigen Blick von dem jungen Mann.

„Chaba, bei mir ist das etwas anderes. Ich bin nicht der König! Ich bin zwar adelig, aber nicht die Majestät!“

„Aber Ihr seid ein junger Mann“ erwiderte er ruhig und schaute zurück auf den lachenden, ausgelassenen Pharao, der sich scheinbar so wohl fühlte wie niemals zuvor. „Fatil, Ihr seid dem Pharao ein guter Freund. Ihr seid ihm wie ein Bruder und man sieht, wie sehr er Euch schätzt. Unser König ist ein weiser Mann für sein Alter, er ist vernünftig, beherrscht und ruhig. Aber er ist auch ein junger Mann, genau wie Ihr einer seid und wie ich einer war. Junge Menschen wollen tanzen. Sie wollen trinken und singen. Sie wollen mit ihresgleichen zusammensein und fröhlich in den Tag hineinleben. Aber für den König gibt es so etwas wie Seinesgleichen nicht. Er ist nicht nur der Herrscher unseres Reiches und trägt große Verantwortung auf seinen Schultern, sondern er hat im Palast auch zwei kleine Kinder und eine Königin, welche viel von ihm erwarten. Von morgens bis abends ist er den Zwängen der Gesellschaft ausgesetzt, viel fesselnder als jeder Sklave es kennt. Und er versucht uns allen ein gütiger, wohlbesonnener Herrscher zu sein - sein Volk zu Wohlstand und Ruhm zu führen und ich möchte fast sagen, er hat in seiner kurzen Regentschaft mehr erreicht als seine Väter vor ihm. Man hört nur Gutes über ihn und das Volk liegt ihm zu Füßen. Man liebt ihn. Aber Fatil, glaubt Ihr, es macht ihn glücklich?“

„Woher wollt Ihr wissen, was einen König glücklich macht?“ bemerkte er traurig. Er wusste um die Zwänge und die schwere Last auf den Schultern des Königs. Doch es war sein Schicksal, das alles zu tragen, wenn er nicht ein ganzes Volk enttäuschen wollte.

„Ich weiß nicht, was einen König glücklich macht“ antwortete er ehrlich. „Aber ich weiß, was ein junger Mann braucht. Wenn ihr dort hinüberseht, Fatil, was seht Ihr? Ihr seht keinen König - Ihr seht einen jungen Mann. Einen Mann, der ausgelassen tanzen und lachen möchte. Er weiß sehr genau um seine Pflichten, er weiß um seine Position, um die Erwartungen, die er erfüllen will. Aber Fatil, wenn Ihr ihn liebt, dann seid nachsichtig mit ihm. Macht den Käfig, in dem er sitzt, nicht noch beengter. Er wird Ägypten nicht davonfliegen, denn dazu liebt er sein Volk zu sehr. Aber lasst ihn ab und an seine Flügel ausstrecken, damit sie ihm nicht abfallen und er vielleicht vergisst, was die Menschen niemals verlieren dürfen. Lasst ihn nicht vergessen, wie man fliegt.“
 

In diesem Moment war aber der Tanz auch schon beendet. Kurz war er, aber dafür umso intensiver. Vor allem, wenn man lieber lachte, anstatt ans Atemschöpfen zu denken.

Und Applaus gab es für den König, der sich bei seinem ersten Karuma gar nicht so furchtbar schlecht geschlagen hatte. Natürlich bräuchte er noch ein bisschen Übung, aber da seine Mittänzer auch bereits angetrunken waren, fiel seine Unerfahrenheit über die Tollpatschigkeit der anderen auch gar nicht weiter auf.

Spaßhaft verbeugte er sich vor seinem Publikum und strahlte noch immer übers ganze Gesicht, seine Augen waren so hell von Freude erfüllt, dass man nicht anders konnte als mit ihm zu lächeln.

Die anderen hatten ja gar keine Ahnung davon, was für einen gehegten Traum sie ihrem Herrscher hiermit erfüllt hatten. Ein Mal in seinem Leben hatte er sich tatsächlich zugehörig gefühlt. Er hatte das Selbe getan wie alle anderen, die selben Schritte, das selbe Lachen, das selbe Klatschen. Für einen kurzen Moment hatte er sich nicht von den Menschen unterschieden ... und er tanzte den selben Tanz, wie sein Seth, der nun neben ihm stand und seinem Strahlen mit einem Blick entgegnete, von dem Atemu sich einfach einbilden wollte, dass es ein liebevoller Blick war. Sein Lächeln war nicht so laut wie das Jubeln um sie herum. Seths Lächeln war ruhig, seine Augen so glänzend, seine Wangen rot. Wie ein Pol der Ruhe inmitten dieser ausgelassenen Meute Feiernder. Seth unterschied sich scheinbar nicht von den anderen, er stach nicht aus der Menge heraus ... er war für den König wie die Malereien in der Haupthalle. Sie waren da, bunt, ein einmaliges Kunstwerk und wunderschön und doch ging jeder an ihnen vorbei, betrachtete sie als normal. Und ebenso war Seth. So wunderschön und doch wurde er als normal empfunden - während nur das Auge des Königs genug Zeit und Muße hatte, seine Schönheit zu bewundern, in sich aufzusaugen und für immer in seinem Herzen einzuschließen.

Die Tänzer verbeugten sich tief vor dem König, während Seth an ihn herantrat und zu ihm herunter lächelte.

„Majestät, habt Dank für diesen Tanz.“ Seine Stimme war so weich, so melodisch und samtig, dunkel und doch so herzlich. So unvergleichlich wunderschön.

„Gerne“ hauchte er und war sich nicht sicher, ob Seth seine Stimme überhaupt gehört hatte. Aber selbst wenn nicht, so schien sein zufriedener Ausdruck wohl alles ohne Worte zu sagen. Auch Seth senkte seinen Kopf zum Dank ... aber fortgehen sollte er jetzt nicht mehr. Atemu hatte schon mal eine Chance verschenkt und ihn nicht festgehalten, als er die Gelegenheit dazu hatte. „Setzt du dich noch zu mir?“ fragte er kühn heraus, bevor sich sein Angebeteter wieder auf den Weg machen konnte, um mit anderen Freunden diese Feier zu genießen.

Jetzt sollte er bei ihm bleiben.

Nur diesen Abend.

Nur diesen kleinen Moment noch.

„Es wäre mir eine Ehre, mein König.“

Und im selben Moment hatte er sich ohrfeigen können. Was fiel ihm überhaupt ein? Natürlich würde niemand die Einladung des Königs ablehnen, allein schon um ihn nicht zu beleidigen - aber was war mit dem, was Seth wollte? Vielleicht wollte er lieber noch einen Kelch Wein kippen, mit seinen Freunden tanzen und ausgelassen sein! Und nun zwang der König ihm ein langweilig trockenes Gespräch mit den Priestern auf, zu denen er zwar nun vom Rang her gehörte, aber vom Alter her noch bei Weitem nicht.

Wie konnte er Seth nur seine eigene Feier verderben und ihn so an sich fesseln?

Das war so unfair von ihm!

„Du musst nicht, wenn du nicht möchtest“ sprach er ihm möglichst leise zu, als er sich in seiner Begleitung zu seinem Tisch zurückführen ließ. „Ich kann’s verstehen, wenn du lieber mit den anderen feiern möchtest.“

„Ich sagte doch, es ist mir eine Ehre“ erwiderte er und warf ihm einen kleinen Seitenblick zu. „Es sei denn, Ihr möchtet mich wieder ausladen.“

„Nein, nein, nein! So was das nicht gemeint!“ Herrje! Was er auch sagte, es würde garantiert IMMER das falsche sein! Er konnte alles sagen und nichts würde wirklich etwas von dem ausdrücken, was er eigentlich sagen wollte ... was er wollte. Konnte ein redegewandter König wirklich so hilflos sein? Sich so klein und dumm fühlen?

Und es war nur diese eine kleine Satz, den er ihm gedanklich so laut schickte und doch niemals aussprechen durfte.

>Ich liebe dich ...<

„Wenn Ihr meine Anwesenheit nicht wünscht, so braucht Ihr es nur zu sagen. Ich werde es verstehen, mein König. Jedoch ... verzeiht, wenn ich das so frei heraus sage, aber ... ich wäre gern noch einen Moment in Eurer Nähe.“

War das ernst gemeint? Sagte er das wirklich ernst? Nicht nur, um dem König zu schmeicheln? Um ihm nicht unhöflich zu begegnen? Weil er die Zustimmung des Pharaos nötig hatte, um unbehelligt weiterleben zu können?

So viele Gedanken rasten ihm durch den Kopf und doch war keiner laut genug um das freudige Schlagen seines Herzens zu übertönen. Sein Kopf riet ihm, diesen Mann schnell zu verlassen, bevor ein Unglück geschah. Aber sein Herz ... sein Herz war der stärkere Kämpfer und hielt in diesem Moment alle Trümpfe in seiner Hand.

„Es wäre mir eine Ehre“ antwortete er ihm dann leise und selbst in Seths Augen stahl sein ein kurzes Funkeln ... oder war es nur der Schein der Fackel, an welcher sie eben vorbeigegangen waren?
 

„Majestät! Das war ja nicht schlecht für Euer erstes Mal!“ lachte der Hohepriester ihn an und wies ihm freundlich den Weg auf sein Sitzkissen zurück.

„Ja, finde ich auch. Danke, Chaba“ lächelte er, setzte sich und fand vor sich schon den nächsten Kelch, welchen Fatil aber sogleich gegen einen Goldkrug aus Wasser tauschte, bevor sein Pharao noch beschwipster wurde.

Seth nahm leider nicht direkt neben ihm Platz, denn die Kissen zu seinen Seiten waren von Fatil und dem Hohepriester belegt, sodass er in kurzer Entfernung neben Chaba sitzen konnte und ebenfalls von einem eiligen Dienstmädchen einen Wasserkrug gereicht bekam. Denn trank der König Wasser, so tranken auch alle anderen Wasser und keinen Wein. Selbst hier mitten in der Wüste wurde auf strenge Etikette geachtet ... kein Entkommen.

Doch das störte ihn jetzt gerade nicht. Zu sehen, wie Seth seinen Kelch anhob, ihn an seine Lippen setzte und den ersten kühlen Schluck tat, war unbezahlbar. Wie erotisch sich sein Kehlkopf hob und senkte, er den Kopf zurücklegte und selbst seine Augen vor Genuss schloss ...

„Majestät, etwas Obst?“ Damit riss Fatil ihn glücklicherweise sofort aus seiner Träumerei, bevor die anderen noch bemerkten, wie sehr er den jungen Priester anstarrte - und aus der Träumerei schon wieder ein Tagtraum werden konnte.

Er hielt ihm ein kleine Schale mit frischen Früchten vor die Nase, welcher der Pharao aber nur desinteressiert von sich fort drückte und somit eindeutig ablehnte.

„Majestät, dass man Euch den Karuma tanzen sieht, hätte ich niemals gedacht“ eröffnete der glatzköpfige Priester ein neues Gespräch. „Schade, dass ich ein Rückenleiden habe, sonst hätte ich zu gerne mitgetanzt.“

„Das es so viel Spaß macht, hätte ich niemals geglaubt“ lächelte er zurück und hatte plötzlich mehr als gute Laune. Er wusste Seth in seiner Nähe und das machte ihn beschwingt - vielleicht auch deshalb, weil es ihn äußerst nervös machte.

Es war ihm als würde er beobachtet, so dumm es war, aber er hätte es zu gerne, wenn er dem neuen Priester imponieren könnte, wenn er Gefallen an ihm fand ... ein König sollte solche Gefühle eigentlich nicht haben, aber er konnte nicht anders. Er wollte den Kelch elegant halten, sich gewählt ausdrücken, ihm zeigen, welch ein edler Geist im ihm herrschte. Hatte ein König es wirklich nötig, sich vor einem solchen Mann anzustrengen? Nein, eigentlich nicht ... aber ihm sollte doch wenigstens kein Ungeschick geschehen, über welches Seth vielleicht verständnisvoll lächeln würde, aber innerlich die Augen verdrehte. Wenn Seth ihn für dümmlich hielt, selbst wenn er es niemals sagen würde, wäre das das schlimmste Unglück dieser Erde!

„Dann hatte es ja wirklich etwas gutes, dass Ihr dem Adel diesen Tanz geöffnet habt“ nickte er hagere Priester freundlich. „Ich finde es bemerkenswert, dass Ihr Eure Gesetze mit eigenem Haupt vorantreibt. Viele Könige haben schon Richtlinien erlassen, welche sie selbst niemals befolgt haben. Aber Ihr lebt Eure eigenen Gesetze und Erlasse, was Euch große Glaubwürdigkeit verleiht. Ihr seid so edel wie niemand vor Euch, mein Pharao.“

„Ich danke für das Kompliment“ lächelte er geschmeichelt zurück und so ein Lob war doch besonders vor Seth eine stolze Sache. „Aber ich kann es zurückgeben. Dass hier im Tempel so mutige Priester sind, welche jemanden wie mich zum Volkstanz auffordern, verleiht Euren Lehren hier ebenfalls Glaubwürdigkeit und hinterlässt einen starken Eindruck, den ich gern im Gedächtnis behalte.“

Fatil hielt zwar loyal seine Meinung zurück, aber er konnte sich da nicht so wirklich mit anfreunden. Natürlich hatte der König es auch sich selbst erlaubt, Volkstänze zu tanzen, als er sie dem Adel gestattete. Aber niemand hätte es sonst gewagt, diese eigene Gesetzestreue auch herauszufordern. Bei einem anderen hätte der König es vielleicht als Provokation aufgefasst, was ihm umso mehr ein Indiz dafür war, dass diese blauen Augen den König nicht liebevoll, sondern berechnend anblickten. Vielleicht hatte dieser verleugnete Sklave es längst gemerkt, welche tiefen Gefühle ihm entgegengebracht wurden und nutzte sie schamlos für seine Zwecke aus. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand den König für seine Absichten zu missbrauchen versuchte - er würde das streng im Auge behalten müssen, wenn die Augen des Pharao vor Liebe verklärt waren.

„Vielleicht ist es doch etwas Gutes, dass Chaba sich entschlossen hat, unseren Seth so früh zu weihen“ eröffnete der Glatzkopf stolz. „So ein junger Priester bringt vielleicht frischen Wind in die verstaubte Priesterkaste.“

„Ihr kommt mir hier aber nicht verstaubt vor“ erwiderte der König freundlich. „Ich bin schon in einigen Tempeln gewesen, aber hier scheint mir alles sehr jung und belebt. Selbst Chaba als weiser Hohepriester scheint mir im Herzen jung geblieben. Eine ehrlich Herzlichkeit wie hier habe ich selten erfahren.“

„Eure Worte ehren uns, Majestät“ dankte Chaba und lüpfte anerkennend seinen Kelch ein wenig in die Höhe. „Zugegeben, als Ihr ankamt, waren wir ein wenig nervös. Ihr habt sicher mitbekommen, dass wir ein wenig in Meinungsverschiedenheiten mit dem Südtempel liegen. Der dortige Hohepriester schätzt nicht unbedingt alle unsere Lehrmethoden und wir haben für einen Moment geglaubt, Ihr kämet seinetwegen zu uns.“

„Nein, das wirklich nicht“ lachte der Pharao. „Der Hohepriester Djoser Ka Cheti hat mich zwar schon zwei Mal um ein Gespräch diesbezüglich ersucht, jedoch sah ich keinen weiteren Anlass dafür. Über den roten Tempel habe ich außer von Djoser immer nur Gutes gehört und selbst der Großteil meiner Palastpriester haben mir dies bestätigt. Seid also unbesorgt, Chaba. Eure Lehrmethoden sind dem Palast ebenfalls wie ein frischer Wind im Reiche.“

Und da der König seinen Kelch anhob, taten es ihm alle gleich.

„Habt Dank, Pharao“ seufzte Chaba nun doch etwas erleichtert.

„Auf den frischen Wind der Wüste“ prostete der König und blickte Seth mit seinem erhobenen Becher zugewandt an.

„Auf den frischen Wind der Wüste“ wiederholten die Priester und tranken gemeinsam einen Schluck auf diesen Toast.

Ein solches Lob und schon direkter Zuspruch des Königs war viel wert und versicherte ihnen, dass sie vom Palast nichts zu befürchten hatten. Es war immer schwer, wenn sie alte Gebote aufrollten und auf ihre zeitgemäße Umsetzung prüften - besonders vor dem Süden des Landes, welcher einem äußerst konservativen Hohepriester unterstand. Schön zu hören, dass der König die Ansichten des Südens nicht in allen Bereichen zu teilen schien.

„Nun, Majestät, dürfen wir Euch noch etwas anbieten?“ fragte der hagere Priester mit dem zippeligen Haar ihn freundlich. „Vielleicht noch etwas Brot oder eine kleine Delikatesse aus unserer Tempelküche?“

„Danke, ich bin zufrieden“ nickte er, zumal auch sein Magen sich ziemlich zusammengezogen hatte, seit Seth mit am Tisch saß. Er sprach zwar weiter nichts, nicht ein Wort, aber allein seine Anwesenheit reichte aus, um das königliche Blut schneller fließen zu lassen und ihm den Appetit zu rauben. „Und wie geht es deiner Schulter, Seth?“ sprach er ihn möglichst beiläufig an.

„Danke, ich bin hart im Nehmen, mein König“ lächelte er mit den sinnlichsten Lippen, welche es im ganzen Reiche geben konnte. „Und Ihr? Habt Ihr Euch von Eurer schweren Reise ein wenig erholen können?“

„Ich habe heute Morgen ausgeschlafen und endlich wieder gebadet“ sprach er dankend zurück. „Das ist unbezahlbar und ihr stellt hier wirklich sehr wohlriechende Öle her, Seth.“

„Es sind die Frauen, welche in dieser Kunst Könnerinnen sind“ lächelte er. „Wir genießen es eher nur. Schön, wenn es Euch gefällt.“

„Seth kann so was aber auch sehr gut“ warb Chaba gleich wieder für ihn. „Er ließ sich sogar extra Rosensamen aus dem Osten anliefern, um hier die Pflanzen für Öl zu ziehen. Selbst in Künsten, welche eher den Frauen liegen, steht er ihnen in nichts nach, Majestät.“

„Rosenöl also, ja?“ Er musste sich ein Grinsen und ein Zwinkern verkneifen. Seth wusste ja gar nicht, dass er bei seinem Gespräch heute Mittag in der Halle belauscht worden war. „Rosenduft ist mein liebster Geruch.“

„Welch ein Zufall. Wenn Ihr mögt, werde ich Euch etwas davon zukommen lassen. Es wäre mir eine Ehre, würdet Ihr es ausprobieren.“

„Nichts lieber als das, Seth. Das würde ich gern tun.“

„Ihr seid freundlich, Majestät“ dankte er mit nickendem Kopf. „Vielleicht, bevor ich die Gelegenheit verpasse, Euch zu fragen, mein Pharao. Ich würde Euch gern etwas zeigen. Wenn ich darf, Chaba.“

„Natürlich, tu das nur“ lächelte er. „Ich bin mir sicher, dass es des Königs Gefallen finden wird.“

„Was denn?“ fragte der interessiert nach. „Was könnte mir gefallen, Seth?“

„Ich würde Euch gern einen Moment entführen, wenn Ihr die Zeit entbehren könnt“ bat er. „Es dauert nicht lang und wäre mir eine große Freude.“

„Du willst mich entführen?“ schmunzelte er in freudig nervöser Erwartung.

„Und bringe Euch selbstverständlich sicher wieder zurück“ lächelte er. „Würdet Ihr mir die Ehre erweisen und mir einen Moment schenken?“

„Auch zwei Momente. Einen für dich, einen für mich.“ Und den dritten für sie beide gemeinsam dachte er sich im Sinn.

Er erhob sich als auch Seth sich erhob und ihm bittend in eine Richtung wies.

Aber als auch Fatil sich erhob, bat der König doch: „Bitte, du brauchst nicht mitzukommen. Ich bin ja gleich wieder da.“

„Wo bringst du den König hin?“ fragte er stattdessen skeptisch zu dem verschwiegenen Sklaven, dem er noch immer nicht so ganz trauen wollte.

„Auf den Hof hinter der Haupthalle. Es ist nur ein kurzer Weg, Majestät“ bat er und gab ihm Geleit von dem kleinen Hügel herunter und machte sich auf den Weg, ihn am Rande des Festplatzes entlang zu führen, während Fatil einfach stehen gelassen wurde und seinem König nach einer solchen Bitte nicht direkt folgen durfte, wenn der sein Geleit ablehnte.

Jedoch konnte er sein Misstrauen nicht besiegen, wenn er die beiden so dicht zusammen verschwinden sah.

„Penu“ rief er nur kurz und innerhalb weniger Sekunden tauchte der auch schon neben ihm auf und schaute ihn fragend an. „Folge dem König“ flüsterte er ihm ruhig zu. „Pass auf, dass ihm nichts geschieht. Aber störe ihn nicht.“

„Gut.“ Ohne noch weiter zu fragen folgte er seinem Herrscher in sicherem Abstand, hatte sein Schwert parat, falls Fatils Misstrauen sich bestätigen sollte. Dass dem Pharao seine Leibwächter überall hin folgten, war durchaus gangbar und wunderte somit auch keinen von den Priestern, welche ihre Kelche nun auch nur wieder mit Wein füllten und ihre Unterhaltung unbehelligt fortsetzen.

Nur Fatil überlegte, wie er seinen Pharao hier heil wieder rausholen konnte.

Wenn er sich weiter in diese Situation verstrickte, würde ihm früher oder später ein Unglück geschehen. Und er wollte nicht, dass sein königlicher Bruder sich eines Tages entscheiden musste.
 

Ein Leben, welches dann vielleicht verloren war?

Oder Liebe, welche vielleicht niemals erwidert wurde?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -Fynnian
2008-08-07T14:28:37+00:00 07.08.2008 16:28
Dieses Kapitel ist bisher das schönste *.*
Man lächelt direkt mit, wenn man es liest.
Ich kann mir das alles so gut vorstellen, wie du es beschreibst!


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