Zum Inhalt der Seite

Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 10

Kapitel 10
 

Am nächsten Morgen versammelten sie sich alle vier um die erkaltete Asche des Nachtfeuers.

Noch etwas zerknittert waren sie aus ihren Laken geklettert und ließen sich von den ersten Sonnenstrahlen des Tages anwärmen, bevor die Wüste so heiß wurde, dass sie Tücher zum Schutz tragen mussten.

Außer etwas krustigem Brot und einem Kelch Wasser gab es nicht viel zum Frühstück. Sie waren einfach schon zu lange unterwegs, um noch große Leckereien auftischen zu können.

Während Penu ausgiebig gähnte, versuchte Faari sein wirres Haar zu einem Zopf zu flechten und Fatil fingerte ein wenig an seinem Brot herum, bis er ein Stück abbrach und es in den Mund steckte.

War der Tag noch frisch, so war die Wüste angenehm ruhig und die Augen des Pharaos versanken in dem morgendlichen Farbenspiel, welches die Sterne am Himmel vertrieb und ganz langsam in ein einheitliches Blau verwandelte.

So blau waren Seths Augen auch. Genau dieser Ton, wenn der Nachthimmel sich erhellte und noch mit seiner letzten Kraft gegen das Morgenlicht kämpfte. Wie Sterne reflektierte sich die Welt in seinem Schein und wie die Sonne sich noch ein wenig versteckte, so versteckte sich auch sein Licht hinter dem dunklen Blau der Nacht.

Noch ein einziges Mal musste die Sonne aufgehen und es war der Ehrentag des Imhotep. Dies war der letzte Tag für ihn als Sklave - wenn morgen die Sonne die Sterne vertrieb, so würde er ein Priester sein. Dann würde seine Nacht vorbei sein, der Sonnenaufgang vergangen und das Licht würde sein Leben erhellen.

Morgen würde Seth vom niederen Stand eines Sklaven bis in die Kaste eines Priesters aufsteigen.

Wie er sich jetzt wohl fühlte?

Ob er überhaupt schon wach war?

Ob auch er jetzt in diesem Moment den Sonnenaufgang sah?

Ob er an auch an ihn dachte?
 

„Mein König?“

Er blickte auf und sah, dass Fatil ihn direkt ansah. Penu und Faari schienen ihr Frühstück beendet zu haben und begannen, das kleine Zelt auszuräumen und die Pferde zu satteln.

„Hab ich dir schon wieder nicht zugehört?“ versuchte er zu lächeln und seine Gedanken wie jeden Tag ins hinterste Ecken seines Herzens zu verbannen.

„Ich habe gar nicht mit Euch gesprochen“ antwortete Fatil fast mit einer gruseligen Ruhe. „Mein König, erlaubt, dass ich Euch dies sage ... aber Ihr werdet immer von Trübsinn befallen, wenn Ihr diese Briefe lest.“

Ein Stich ging durch sein Herz. Noch niemals hatte jemand diese Briefe angesprochen. Noch niemals hatte er mit jemandem über diese Briefe gesprochen. Diese Gedanken waren nur für ihn und sein sehnsüchtiges Herz. Er würde alles ertragen, auch ein Leben in ungestillter Liebe, wenn dafür sein Seth nur frei sein durfte.

„Welche Briefe?“ Er tat so ahnungslos er konnte. Vielleicht konnte er Fatil auf ein nicht zu eindeutiges Gespräch einladen, in welchem er nicht darüber reden musste.

„Mein König, wer ist Seth?“

Ein zweiter Stich trieb sich wie ein Blitz durch sein Mark.

Seth?

Sein Geheimnis?

Niemand durfte es jemals erfahren.

Niemand!

Niemals!

„Der Gott der Wüste“ lenkte er freundlich ab. „Du fragst aber merkwürdige Sachen heute Morgen, Fatil. Hast du schlecht geschlafen oder gestern vergessen, zu beten?“

„Ich denke da nur an Euch“ sprach er langsam weiter. „Ist Seth für euch wirklich der Gott der Wüste? Oder vielleicht ganz jemand anderes?“

Konnte es sein?

Der Brief ...?

Nein! Nicht Fatil! So etwas würde er niemals tun!

Und wenn doch?

Nein ... und wenn doch?

Sein Trübsinn!

Der Brief!

„Hast du etwa meine Post gelesen?“ fragte er und drohte schon allein durch seinen Blick. „Ich habe dir vertraut, Fatil. Wie kannst du nur so etwas tun? Wie kannst du nur?“

„Ich habe Eure Post nicht angesehen“ antwortete er noch immer so ruhig, als würde er trotzdem etwas Faules riechen. „Ich habe nur festgestellt, dass Ihr immer etwas eigenbrödlerisch werdet, wenn Ihr einen Brief aus dem Tempel bei Heromat erhaltet. Und in der letzten Nacht habt Ihr im Schlafe gesprochen. So laut, dass wir davon aufgewacht sind. Ihr spracht von Gras, von einer Sekunde des Herzensfriedens und ihr nanntet immer wieder den Namen Seth. Ihr habt geweint im Schlaf, mein Pharao. Ihr äußertet keine ganzen Sätze, immer nur Bruchstücke und habt aufgehört, bevor wir Euch wecken konnten.“

„Ich ... also ...“ Er erinnerte sich an nichts davon. Sicher träumte er häufig von Seth. Von der einen einzigen gemeinsamen Nacht, die sie hatten. Davon, wie er seine Hand hielt und sie gemeinsam über das mondbeschienene Gras wanderten. Er wusste, dass er häufig von Seth träumte - aber für die letzte Nacht erinnerte er sich nicht an einen Traum.

„Ich mache mir Sorgen um Euch“ sprach Fatil weiter und änderte seinen Blick von forschend in besorgt und fürsorglich. „Majestät, Ihr seid für mich wie ein Bruder und wir haben immer offen über alles gesprochen. Und doch habe ich das Gefühl, Ihr verbergt etwas vor mir und der Welt. Und wenn es Euch so sehr quält, dass Ihr im Schlafe weint, so solltet Ihr dem Abhilfe schaffen, bevor es Euch zerfrisst.“

„Lieber es zerfrisst mich als jemand anderen“ entgegnete er und schaute voll beschämter Trauer in das klare Wasser, welches den Morgenhimmel in seinem Kelch einfing. „Fatil, bitte sprich mit niemandem darüber. Wenn du mein brüderlicher Freund bist, so bitte ich dich darum, über nichts dergleichen zu sprechen.“

„Ich würde Euch niemals verraten, das wisst Ihr“ versprach er und rückte einen Meter zu ihm auf bis er neben ihm im kalten Sand saß. „Mein Pharao, ich weiß nicht, was es ist, dass es Euch so quält und ich weiß auch nicht, was es mit diesen Briefen auf sich hat. Mein Vater hat mir damals nur gesagt, ich soll Euch niemals danach fragen. Aber um unserer Bruderschaft willen, bitte ich Euch, meine Sorge ernst zu nehmen. Ich möchte Euch niemals schaden oder Euer Glück auf wackligen Boden stellen.“

„Ich weiß es doch. Danke, Fatil“ versuchte er ihn anzulächeln. „Aber ich kann nicht darüber sprechen. Nicht meinetwegen, sondern wegen jemand anderem. Bitte versteh das.“

Fatil sah ihn durchdringend an und fragte dann mitten in den schmerzenden Punkt hinein. „Liebt Ihr ihn noch immer?“

Ob Atemu jetzt puterrot oder leicheblass wurde, wusste er selbst gar nicht.

Er fühlte nur, dass sein Herz einen Sprung tat und dann für einen Schlag aussetzte.

„Getroffen?“ fragte Fatil noch mal einfühlsam hinterher.

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“ beschloss er und leerte seinen Kelch in einem so großen Zug, dass er sich fast daran verschluckt hätte.

„Ich spreche von dem Sklaven, den Ihr damals zurückgeholt und dann fortgeschickt habt.“

„Hat ... dein Vater ...?“ Oh bitte! Der Alte hatte seinem Sohn doch hoffentlich nichts gesagt. Der alte Fatil war der einzige, der sein Geheimnis kannte. Nicht einmal seine eigene Frau, die Königin Ägyptens kannte seine stille Sehnsucht. Wenn Fatil ihn verraten hatte, so würde es für Seth mehr als gefährlich werden! Und für ganz Ägypten, denn wenn herauskam, dass der Pharao selbst die Stände unterwanderte und einen Lustsklaven zum Priester machte, so würde ein Bürgerkrieg ausbrechen. Und gerade jetzt, wo die politische Lage auch zu den Nachbarreichen so angespannt war, würde das den möglichen Untergang bedeuten!

„Wie gesagt, mein Vater sagte mir nur, ich solle Euch niemals danach fragen. Weder nach diesem Sklaven, noch nach den Briefen. Und doch mache ich mir Sorgen um Euch, mein König. Was immer es ist, Ihr könnt es mir anvertrauen. Ich möchte Euch helfen, bei was immer Ihr auch tut. Und ich habe das Gefühl, Ihr habt Euch in den Sklaven von damals verliebt.“

„Ich ...“

„Aber wenn Ihr ihn liebt, warum schickt Ihr ihn dann fort? Ihr hättet ihn behalten können. Als Euren Gespielen oder auch als Euren Geliebten. Warum quält Ihr Euch selbst, indem Ihr ihn fortschickt?“

„Fatil, bitte hör auf damit!“ flehte er und musste seine Tränen mit vollster Kraft zurückhalten. Er wollte nicht danach gefragt werden.

Es tat so verdammt weh!

„Was habt Ihr mit diesem Sklaven gemacht, wenn Ihr ihn doch liebt? Oder hat er Eure Gefühle nicht erwidert und Ihr habt ihn in die Wüste verbannt, wo er nun den Priestern dient? Wolltet Ihr ihn verbannen und doch in ein gutes Haus geben? Was bewegt Euch zu so einer Tat, Pharao?“

„FATIL! HÖR AUF!“ schrie er laut durch die ganze Wüste.

Erschrocken blickten sich auch Penu und Faari um, aber als sie sahen, wie die beiden sich nur in die Augen starrten, taten sie lieber als sei nichts gewesen und falteten das Zelt zusammen, damit sie gleich aufbrechen konnten. Sie wussten ganz genau, wann sie einschreiten durften und wann Fatil mit dem Pharao Dinge zu besprechen hatte, die nicht für fremde Ohren waren.

„Mein König, was ist es, das Euch so verletzt?“ fragte Fatil ruhig weiter. „Ich möchte Euch helfen. Bitte. Ihr seid mein Bruder und ich liebe Euch. Zu sehen, wie Ihr Euch quält, tut auch mir weh.“

„Fatil, ich kann nicht darüber sprechen. Bitte! Ich kann es nicht! Bitte hör auf, mich danach zu fragen. Bitte, Fatil. Wenn du mich liebst, dann sprich nicht mehr darüber.“

„Lasst uns nach Heromat reiten“ bat Fatil und griff seine Hand. „Ich weiß nicht, was los ist, aber ich glaube, Ihr solltet den Tempel dort besuchen.“

„Nein ...“

„Pharao, doch. Bis zum nächsten Dorf ist es drei Tagesreisen entfernt. So lange kommen wir mit unseren Vorräten nicht aus. Der Tempel bei Heromat jedoch, liegt nur eine Tagesreise weit fort und wir könnten bis heute Abend dort sein, wenn wir nicht in einen Sandsturm geraten.“

„Aber, Fatil, ich kann nicht ...“

„Wir müssen aber, sonst bekommen wir Probleme. Mal davon abgesehen, wäre es doch schön, wenn wir den Tag des Imhotep in einem Tempel begehen könnten. Ich weiß zwar, dass die Priester in diesen Tempel nicht jeden hereinlassen, aber Hilfsbedürftige und Pharaonen wurden niemals des Tores verwiesen. Lasst uns dorthin reiten. Oder ist es Euch eine solche Qual, dass Ihr dort nicht eintreten könnt?“

„Dann lasst uns sofort los.“ Er wusste selbst nicht, woher diese Worte und dieser Wille so plötzlich kamen. Er erkannte sich kaum wieder.

Er stand auf, wickelte seinen Kelch ein, steckte sich das letzte Brot in den Mund, packte seine Satteltasche aufs Pferd, stieg auf und blickte seine Begleiter herrschend an.

„Wir reiten in Richtung Heromat. Zum Wüstentempel“ befahl er fest. „Wir machen keine Pause, denn wir wollen noch heute Abend dort ankommen. Los, kommt!“

Er drehte sein Pferd um und ritt los. Sollten die anderen ihm doch hinterherkommen.

„Mein König! Heromat liegt in dieser Richtung!“ zeigte Fatil lächelnd nach rechts.

Er schaute zurück, wendete sein Pferd und trabte eben in die gewiesene Richtung. Zeit sich zu bedanken, hatte er später noch.

Jetzt musste er endlich los in Richtung Heromat.
 

Er wusste nicht, warum er das tat.

Er durfte Seth nicht sehen.

Er durfte ihn nicht in Gefahr bringen.

Er durfte Ägypten nicht in Gefahr bringen.

Er durfte eigentlich gar nichts anderes als zum Palast zurückzureiten.
 

Aber morgen war der Tag des Imhotep.

Morgen würde aus seinem Sklaven ein Priester werden.

Und er wollte bei ihm sein. Wollte ihn sehen. Wollte ihn berühren.

Er durfte seiner Sehnsucht nicht nachgeben.

Sein Kopf hielt ihn zurück.
 

Aber sein Herz war stärker.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück