Zum Inhalt der Seite

Coming Closer

Wer sagt, dass Liebe einfach ist?
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

~On The Way~

Coming Closer

Wer sagt, dass Liebe einfach ist?
 

Prolog: ~On the Way~
 

„Wah! Da ist es! Da ist Amerika!“, kreischte Nina wild mit den Armen fuchtelnd.

Seit etlichen Stunden saßen sie, Christin und Annina, nun schon in diesem Flugzeug. Beide waren aufgeregt und vollkommen aufgelöst in ihrer Nervosität, aber Nina war am schlimmsten. Sie allein schon in den Flieger zu bekommen war eine einzige Katastrophe gewesen, gerade bei ihrer ausgeprägten Flugangst. Es gab wirklich nicht viel, wofür sie freiwillig in einen eisernen Vogel gestiegen wäre, doch nun schwebten die beiden Freundinnen über dem Ozean, Amerika, ihre Zwischenstation, fest im Blickfeld. Auch Chrissie sah dieses Land zum ersten Mal. Geflogen war sie ja schon öfters, ganz im Gegenteil zu Nina, aber noch nie so weit und schon gar nicht über den Ozean. Nina, die wie angeschweißt an dem kleinen, runden Fenster zu ihrer Rechten klebte, konnte es noch gar nicht richtig fassen. Bis vor einem Monat lag ihr Traumland, also Japan, noch in unerreichbarer Entfernung, nur über das Fernsehen oder Bücher war es zu bewundern. Nie hatte sie wirklich geglaubt, dass sie jemals die Gelegenheit bekommen würde, tatsächlich einmal dorthin zu gelangen. Das alles hatte sie unter anderem Chrissie zu verdanken. Angefangen hatte alles vor etwa einem Jahr, also 2004...
 

„Hast du die schon mal die Werbung mit dem Japan-Preisausschreiben im TV gesehen?“

Nina sah mit großen Augen und kauend von ihrer Reisschale auf.

„Mou, habsch nisch.“, sprudelte es aus ihrem vollen Mund.

„Ey, lass deine Reiskörner bei dir, ich hab genug eigene.“, sagte Chrissie mit einem Anflug von einem Grinsen im Gesicht.

Genau wie sie erwartet hatte, begann Nina zu lachen. Sie hielt sich verzweifelt mit beiden Händen den Mund zu und lief rot an, vor lauter Lachen blieb auch Chrissie bald die Luft weg.

Nachdem sich Chrissie wieder beruhigt hatte und das Atmen wieder aufnahm, war es auch Nina endlich möglich gewesen, zu schlucken und sich wieder zu akklimatisieren.

„So, jetzt aber!“, japste Nina mit Lachtränen in den Augen.

„Du hast die Werbung also noch nicht gesehen?“

Ihre größere Freundin schüttelte den Kopf und leerte nebenbei noch schnell vorsorglich ihre Schale.

„Ich hab in letzter Zeit nur noch das geguckt, was ich auch sehen wollte. Die Werbung hab ich dabei wahrscheinlich verpasst, oder mit Quietschanfällen übertönt.“

„Ah ja, warum das schon wieder?“

Nina begann verlegen zu grinsen.

„Och... Ich hab nur mal wieder an meiner FF getüftelt.“

„An Welcher?“, fragte ihr rotblondes Gegenüber fordernd.

„Mensch! An welcher wohl?!“

Genau in diesem Moment klingelte das Telefon und Chrissie unterbrach das Gespräch. Nina stand derweilen von ihrem Holzhocker auf und trollte sich schon mal in das Zimmer ihrer älteren Freundin.

„War nur meine Mutter. Nun aber zu diesem Preisausschreiben.“

Nina lehnte sich am Boden gegen den Sitzsack mit dem Leopardenmuster und lauschte gespannt.

„Also, die suchen da für irgend so ein Dings ein Maskottchen, mitmachen dürfen alle, die bis zur Bekanntgabe der Gewinner 18 Jahre alt geworden sind, das wäre gegen Ende März nächsten Jahres."

„Du mit deinem Dingsisch... Und worauf willst du hinaus?“

„Aber du mit deinem Mou, oder wie? Nun, das Maskottchen kann sein was es will, aber es muss zu dem vorgegebenen Thema passen...“

Chrissie erzählte Nina von dem Thema und der Idee, dass sie beide doch eines entwerfen könnten, was Nina dann zeichnen könnte und unter Chrissie's Namen einschicken würden. Nina war natürlich Feuer und Flamme, immerhin wurde dem Gewinner eine zweiwöchige Reise nach Japan finanziert, Begleitpersonen waren erlaubt, allerdings musste man die Planung vollständig selbst in die Hand nehmen.

Noch am selben Abend stellten sie die ersten Skizzen des Maskottchens fertig, es handelte sich um ein unheimlich niedliches Mädchen in einem rosafarbenen Lolita-Outfit.

Noch in der nächsten Woche stellten sie dann endlich eine passable Reinzeichnung fertig, die mit viel Geduld am Computer chloriert wurde, bevor sie dann endgültig im Briefkasten landete.

„So, ab jetzt heißt es abwarten und Tee trinken!“

Nina faltete die Hände.

„Und nebenbei Gackt und Hyde gucken und hören.“

„Mou! Hai! Gackto! Gackto!“, quietschte Nina vergnügt und fing schon wieder an, vor Begeisterung zu hüpfen.

„Hoffentlich haben wir eine Chance! Wah! Ich sterbe, wenn ich nur daran denke!“

„So oft, wie du stirbst, wird das langsam langweilig.“, gab ihr Chrissie sarkastisch zurück.

„Danke! Du mich auch!“, maulte Nina vorwurfsvoll.

„Nee, dann doch lieber Hyde.“

Sie grinsten sich an, die Leute schauten bereits belustigt, doch wen störte das? Die beiden Mädchen anscheinend kein Bisschen.
 

Tja, so verstrichen nun die Monate und der Wettbewerb geriet langsam, aber sicher in Vergessenheit. Auch die Zeichnung lag irgendwo vergraben unter einem Haufen anderer Blätter in einer von Nina's Schubfächern.

Doch gegen Ende März veränderte sich alles schlagartig. Annina saß zum ersten Mal wieder zu der Zeit vor dem Fernseher, wo eigentlich gar nichts Interessantes lief und löffelte genüsslich in ihrem Vanilla. Ein hübsches Lied ließ sie aufschauen, mit einem Mal fiel ihr der Löffel aus der Hand und die Kinnlade bis in den Schoß. Gebannt starrte sie auf die Figur, die mit einer Fahne für irgendein Produkt in der Hand, fröhlich zur Musik tanzte.

„Ich glaub mich latscht ein Pferd... WAAH!“

Mit einem Satz sprang sie von ihrer Couch und stolperte durch ihr Zimmer bis in den Flur, wo ihr Telefon stand. Mit zitternden Händen wählte sie eine Nummer.

„Geh schon ran!“

Endlich hob sich am anderen Ende der Hörer. Noch ehe überhaupt jemand etwas sagen konnte, brüllte Nina unkontrolliert ins Telefon.

„MACH DEN FERNSEHER AN!!!“

Chrissie entfernte den Hörer sofort geschockt um eine Armlänge von sich.

„Bitte was?“, fragte sie vorsichtig zurück.

„Scheiß egal! Mach einfach! Der Sender mit der Dauerwerbung!“

Genervt schlenderte sie nachgiebig ins Wohnzimmer ihrer Eltern und bat ihre Schwester darum, den Sender zu wechseln.

„Fertig?“, hakte Nina am anderen Ende nervös nach.

„Ja, ja, Moment.“

STILLE

Das Einzige, was Nina noch hören konnte, war die ausklingende Musik des Werbespots.

„Mou... Chrissie?“

„Scheiße...“

„Was?“

„Scheiße!“

„Nani?“

„SCHEIßE!!!“

„Ist ja gut! Ich hab's kapiert!“

„Das, das ist sie! Ich meine, das ist unser...!“

Nina grinste sich am Hörer einen ab, den Gesichtsausdruck ihrer Freundin konnte sie sich lebhaft vorstellen.

„Nina, lass alles stehen und liegen, beweg deinen Hintern auf der Stelle hier her und versuch gar nicht erst mir zu widersprechen!“

Dut, Dut, Dut...

„Als ob ich das machen würde...“, murmelte Nina noch in den Hörer und stürmte dann zurück in ihr Zimmer, um den Fernseher auszuschalten und sich ihre Tasche zu schnappen. Ein Glück war sie vor Kurzen bei ihren Eltern ausgezogen, da sie keinerlei Ambitionen hatte, mit ihnen in das Ödkaff Zepernick zu ziehen. Daher wohnte sie nun unmittelbar bei Chrissie in der Nähe.

Aufgeregt bearbeitete Nina die Klingel von Chrissie, bis endlich das Türzeichen erklang und die sonst so verhassten Stufen bis in den fünften Stock von ihr zu erklimmen galten.

„Die Zeit hätte man stoppen sollen.“, begrüßte sie ihre kleinere Freundin schmunzelnd im Türrahmen.

„Warte, ich geh noch mal zurück und komm dann wieder.“, keuchte Nina schwer atmend.

„Untersteh dich!“, drohte ihr Chrissie zischend und zerrte sie an einem Arm in die Wohnung.

Den restlichen Tag über telefonierten sie mit der Werbeagentur und legten das Datum der Reise fest, unterhielten sich über ihre Pläne und malten sich die tollsten Erlebnisse aus.

„Das Datum ist ideal! Stell dir nur mal vor, wir würden die Gelegenheit bekommen, Gackt's neue Tour zu sehen!“, jubelte Nina.

„Oder ein Konzert von L'Arc~en~Ciel!“, fügte Chrissie feierlich hinzu.

Nina's Herz klopfte laut und wild, dass es schmerzte. Ihr kamen schon fast die Tränen bei dem Gedanken Gackt hautnah mitzuerleben, wenn es denn klappen sollte. Chrissie ging es im Bezug auf Hyde ganz ähnlich, doch war sie viel zu aufgeregt um überhaupt klar denken zu können. Es gab noch so viel zu tun, sie mussten ihre Eltern aufklären, eine Fluggesellschaft buchen usw...
 

Macht euch auf eine Geschichte gefasst, die es so noch nie gegeben hat!

Erlebt mit, wie sich die Beziehungen zwischen ziemlich unterschiedlichen Menschen entwickeln können.

Lacht mit, fiebert mit, weint ruhig wenn es dramatisch wird, erlebt auch den Herzschmerz der Protagonisten am eigenen Leibe und lasst auch die Romantik auf euch wirken…

Bitte vergesst dabei nicht, dass sich nicht immer alles zum Guten wenden muss, denn das Leben ist kein Spiel. Bleibt aber bitte dennoch immer voller Hoffnung und drückt die Daumen.

Marmelade

01 Marmelade
 

****Plötzlich… die Ahnung einer wunderbaren Begegnung. Auch jetzt springt mein wild schlagendes Herz noch.

Die Worte für dieses Gefühl, kann ich nicht finden, können nicht gefunden werden. Ich kann nichts sagen außer, jetzt will ich dich… so ansehen.

Ob wir uns wiedertreffen können? Dich wieder sehen wollend, suche ich dich. Damit es nicht nur eine flüchtige Begegnung war, suche ich dich.****
 

„Verdammt, wenn ich doch nur nicht solchen Hunger hätte…“, jammerte Nina.

„Och, ich spür meinen Magen schon gar nicht mehr.“, gab Chrissie dazu.

Eine Stewardess näherte sich den Beiden, da ihr der Schrei nach Essbarem nicht verborgen geblieben war.

„Kann ich den Damen was zu Essen anbieten?“, fragte die junge Frau freundlich.

„Nur wenn sie Sushi im Angebot haben, für alles andere ist uns unser Geld zu schade.“, antwortete ihr das dunkelhaarige Mädchen ohne dabei ausfallend zu wirken.

„Dann wünsche ich ihnen noch einen angenehmen Weiterflug.“

Chrissie sah der Frau noch kurz hinterher bevor sie Nina einen mitleidserregenden Blick zuwarf.

„So teuer ist das Zeug hier doch gar nicht.“

„Mag sein, aber ich hab mir in den Kopf gesetzt, dass, wenn ich Geld für Essen ausgebe, dann nur für was original Japanisches.“

„Dann musst du aber noch knapp fünf Stunden warten.“

Das Gespräch wurde unterbrochen, da Nina auf einmal von einem eingewickelten Salamibrötchen am Kopf getroffen wurde. Ein Käsebrötchen verfehlte sie nur knapp und wurde von der haltlos lachenden Chrissie aufgefangen.

„Kommt ein Brötchen geflogen, knallt voll gegen meinen Kopf! La la la la la…“, fing Nina beleidigt an zu singen, so dass auch sie sich nicht mehr beherrschen konnte und in Chrissi’s inzwischen lautloses Lachen mit einsetzte.

„Von wem kam denn die unverhoffte Luftpost?“

Schon spähte sie in die Sitzreihen hinter ihrer Freundin, etwa zwei Reihen hinter ihr saßen zwei Japaner und winkten ihnen grinsend zu.

„Anscheinend haben wir so was wie Fans.“, flüsterte sie Nina zu.

Diese lugte über die Schulter und schenkte den beiden Kerlen ein gekünsteltes Lächeln.

„Scheiße, sehen die scheiße aus!“, gab sie der Älteren zu verstehen, als sie sich ihr wieder zuwendete.

„Egal, Hauptsache wir haben was zum Essen.“, faxte Chrissie und begann ihr Brötchen zu entpacken.

Nina spähte abermals nach hinten, die beiden Männer waren wohl kaum älter als sie selbst, allerdings gefiel ihr deren dreckiges Grinsen überhaupt nicht.

„Ich sag dir was Chrissie, sobald wir hier raus sind schnappen wir uns unsere Taschen und machen uns aus dem Staub. Die beiden Kerle sind mir nicht ganz geheuer.“

Chrissie nickte unauffällig und schluckte genüsslich den ersten Bissen hinunter. Seufzend biss auch Nina in ihr Brötchen und konzentrierte sich wieder auf die Aussicht.

„Ich bin ja mal auf unser Hotel gespannt.“, fügte sie noch abschließend hinzu.

„Hm…“

Plötzlich fing ihre blauäugige Freundin an zu husten.

„Was? Hast du dich verschluckt?“, fragte Nina besorgt.

Chrissie nickte, während sie versuchte ihren Bissen wieder in die richtige Röhre zu husten.

>>Oh verdammt! Ich hab’s total verplant! Das kann ich ihr doch unmöglich erzählen! Was mach ich denn jetzt?<<
 

„Wow! Schau dir das an! Die hohen Gebäude da vorne!“, jubelte Nina.

Es waren inzwischen über fünf Stunden vergangen, endlich steuerten sie ihre Landebahn an.

„Die Sonne geht gerade auf, Wahnsinn!“

Beide starrten gen Himmel, sofern es ihnen möglich war und betrachteten die roten Sonnenstrahlen, die die hohen Gebäude in angenehm warme Farben tauchten.

„Wir bitten sie, sich wieder an ihre Plätze zu begeben und die Gurte anzulegen, wir werden in Kürze landen.“, hallte die freundliche Stimme der Stewardess durch den Lautsprecher.

Sie wiederholte denselben Satz noch einmal auf Englisch und Japanisch, ruhig zu bleiben war den Freundinnen eigentlich fast unmöglich. Völlig aufgekratzt rutschten sie in ihren Sitzen hin und her. Als das Flugzeug unsanft aufsetzte, quietschte Nina kurz, ihre Flugangst hatte sie bis eben noch so wunderbar vergessen können, wie gesagt, bis gerade eben.

„Mou! Und das muss ich auf dem Rückflug auch noch mal durchstehen!“, maulte sie betreten.

„Jetzt hab dich nicht so! Wir haben’s überlebt und nun machen wir uns zwei wunderschöne Wochen in Japan!“, ermunterte sie Chrissie wieder.

Sie hatte sich den Rest des Fluges über in Schweigen gehüllt, sie hatte noch immer keine Idee, wie sie Nina beibringen sollte, dass es kein Hotel gab und sie sich jetzt erst durch die Stadt kämpfen müssten, um noch irgendwo was Freies zu finden.

„Wir hoffen, sie hatten einen angenehmen Flug!“, verabschiedete sich draußen das Fugpersonal von den Passagieren.

Übermütig stürmten die beiden Mädchen von den Gates zu ihren Reisetaschen, luden sich Diese auf und verließen aufgekratzt die überfüllte Halle. Wo sie auch hinsahen waren dunkelhaarige Japaner, von denen mindestens 70% kleiner als sie waren. Sie vielen also richtig auf. Gerade Chrissie mit ihren rotblonden Haaren und den blauen Augen. Nina vielleicht höchstens durch ihre Größe und denen zur Hälfte ausgewachsenen Haaren. Vielleicht wurden die beiden aber auch wegen ihrer Kleidung genau gemustert. Sie sahen nicht eine Frau, die wie sie, in Jeans durch die Halle streifte.

„Anou… Chrissie, wie kommen wir jetzt hier weg?“

„Öhm, gute Frage, nächste Frage…“, antwortete sie mit einem Stimmungsschwanken im Satz.

Verloren standen sie mit ihren großen Taschen vor den Toren des Flughafens und sahen neidisch den Leuten zu, die von ihren Liebsten abgeholt wurden.

„Ich hab keinen Plan, wie wir hier an ein Taxi kommen.“

Chrissie hüstelte wieder künstlich, immerhin musste sie Nina ja noch eine unangenehme Überraschung offenbaren.

„Nina?“, begann sie schüchtern.

„Ja?“

„Hello girls!“, ertönte hinter ihnen eine schräge Männerstimme, überrascht drehten sich die Mädchen um.

Sie erstarrten, da waren die beiden Männer aus dem Flugzeug wieder. Sie waren nur ganz knapp größer als sie selbst und entsprachen genau dem Gegenteil eines jeden Schönheitsideals.

„Hello…“, würgte Nina abgeneigt hervor.

„Are you from Amerika?“, fragte der größere Kerl mit der Sonnenbrille.

„No, from Germany.“, antwortete Chrissie.

Die Kerle warfen sich überraschte Blicke zu, doch dann grinsten sie mit einem eindeutigen Funkeln in den Augen. Sie hatten natürlich nicht die geringste Ahnung, dass die beiden Mädchen durchaus auch imstande waren, Japanisch zu sprechen.

„Well, we would like to bring you in your hotel.“

Langsam fingen Chrissie und Nina an zu schwitzen, was sollten sie in so einer Situation machen? Die anderen Leute warfen ihnen schon seltsame Blicke zu.

„Nina, lass uns abhauen.“, flüsterte Chrissie nervös.

„What?“, fragte der Kleinere skeptisch.

„Nothing! She is a little bit nervous, maybe… AUTSCH!“

Chrissie hatte Nina ihren Ellenbogen in die Seite gerammt und zottelte sie ein Stück weiter weg.

„Was soll das?! Bist du noch ganz dicht?“, schimpfte sie leise.

„Menno! Sei nicht immer so grob! Vielleicht lassen wir uns einfach mal ein Stück weit mitnehmen.“

„Spinnst du?! Hast du nicht selber gesagt, dass dir die Beiden nicht geheuer sind?“

„Pst! Nicht so laut!“, ermahnte sie Nina.

Sie sah sich kurz nach den beiden Männern um, die ihnen scheinheilig winkten.

„Wir wimmeln sie in der Stadt einfach ab.“

Chrissie verschränkte die Arme und setzte ihren sturen Gesichtsausdruck auf.

„Ich habe auch ein verdammt ungutes Gefühl dabei, aber wenn die uns an die Wäsche wollen, können die was erleben! Hast du dir diese Hämpflinge mal angesehen? Kaum größer als wir, dürr und nur minimale Ansätze von Muskulatur, die haben noch nie Bekanntschaft mit meinen Waden geschlossen!“

Chrissie schmunzelte.

„Na was soll’s…“, gab sie sich geschlagen.

„Fein!“, freute sich ihr Gegenüber.

Selbstbewusst schritten sie wieder zu ihren vermeintlichen Fahrern hinüber. Der eine schob seine Brille etwas weiter nach vorn, um mit Nina festen Augenkontakt zu schließen.

„Are you ready?“

„Yes, let’s go.“

Chrissie schüttelte im Geheimen schmunzelnd den Kopf.

„Du und Englisch.“, ließ sie mit spielerischem Unterton verlauten.

„Also bisher hat es doch ganz gut funktioniert, oder siehst du das anders?“

„Warts ab, spätestens wenn sich die Konversation zuspitzt hinkst du wieder hinterher.“

„Genau dafür hab ich ja dich, außerdem haben wir doch Japanisch gelernt, das mir in Englisch die Vokabeln fehlen, ist nicht meine Schuld.“

„War auch nur zur Hälfte ernst gemeint.“

Inzwischen hatte man sie zum Auto der Beiden geleitet. Höfflich baten die Mädchen darum, ihre Taschen auf ihrem Schoß behalten zu können, auch wenn in dem Kofferraum noch soviel Platz war. Anscheinend konnten die beiden Männer ihren Begleiterinnen diese Bitte nicht abschlagen, allerdings wurde es ihnen verwehrt, dass sie sich nebeneinander auf den Rücksitzen platzierten. So landete Nina vorne neben dem Sonnenbrillenträger und Chrissie hinter ihr neben dem kleineren Typen.

„Chrissie, wo ist das Hotel?“

Ihre Freundin zuckte bei dieser Frage zusammen.

„Also…“

Schon drückte der Fahrer aufs Gaspedal und reihte sich in den relativ flüssigen Verkehrsstrom ein. Nina und Chrissie schlug das Herz bis zum Hals, die Tatsache, dass man sich nicht nach ihrem Ziel erkundigte, verstärkte ihren Verdacht, dass sie gerade dabei waren verschleppt zu werden.

>>Na das fängt ja gut an!<<, dachte Chrissie bei sich.

Etwa eine halbe Stunde lang fuhren sie durch die noch schwach beleuchteten Straßen Kyoto’s, schweigend, nicht mal das Autoradio lief. Die beiden Mädchen hatten eine solche Angst, dass sie überhaupt keinen Blick auf die Plakate oder Gebäude warfen. Doch dann zündete sich der Fahrer eine Zigarette an, argwöhnisch begutachtete Nina den qualmenden Glimmstängel.

„Ähm, sorry, but I don’t like the smoke. Can I open the window, please?”

Der Kerl nickte nur, das Lächeln war längst aus den Gesichtern der beiden Kumpels gewichen. Nina zwinkerte Chrissie im Seitenspiegel beruhigend zu und öffnete das Fenster bis zum Anschlag. Erst jetzt realisierten sie beide ein wenig von dem, was draußen so geschah. Chrissie las von ihrem Handy die Uhrzeit ab, hier war es schon gegen sechs Uhr, daheim gingen sie wahrscheinlich gerade alle schlafen. Nina ließ sich den Wind durch die Haare fahren und überlegte krampfhaft, wie sie sich und ihre Freundin aus dieser pikanten Situation befreien könnte. Langsam hörte sie, wie sich eine Melodie näherte, das Lied wurde immer deutlicher.

>>Kommt mir bekannt vor…<<

Schließlich wurde sogar der Text wahrnehmbar, Chrissie trat ihr bereits aufgeregt gegen ihren Sitz.

>>Hm… Moment… Boku wa kimi no…!<<

„VANILLA!!!“, kreischte Nina plötzlich.

Ihr aprubbtes Hochfahren und Kreischen brachte ihren Sitznachbarn vollkommen aus dem Konzept. Schlingernd raste er auf den Stehstreifen zu, überfuhr die Bordsteinkante und bremste schließlich unsanft. Nina überlegte nicht lange und riss die Autotür auf, um anschließend dem Griff des Japaners auszuweichen und ihre Freundin aus dem Auto zu ziehen. Da lagen die beiden Männer nun unkoordiniert auf ihren Sitzen und sahen sie perplex an. Die Mädchen setzten sich ein belustigtes Grinsen auf und winkten.

„Bye, bye!“

Den Kerlen schien ihr Verhalten allerdings gar nicht zu gefallen, ihre Mienen verfinsterten sich und sie machten Anstalten, sich von ihren Gurten zu befreien.

„Schnell!“, trieb Chrissie Nina an und zerrte sie hinter sich her.

So schnell sie konnten flüchteten sie durch die sich langsam füllenden Bürgersteige und Straßen. Immer wenn sich dachten, sie wären endlich in Sicherheit, tauchten ihre Verfolger hinter irgendeiner Hausecke wieder auf.

„Verdammt! Wenn wir doch nur unsere Taschen nicht hätten!“, fluchte Nina außer Atem.

„Spar dir deine Luft! Da! Schnell runter in die U-Bahn!!!“

Der Anblick der vielen Stufen war grausig, da sollte Nina mit ihren hohen Sohlen runterstürmen? Beide übersprangen einfach mehrere Stufen gleichzeitig, nebenbei entschuldigten sie sich bei jedem zweiten Japaner der ihnen entgegen kam. Einer nach dem anderen wurde umgerannt oder zumindest angerempelt. Die letzte Hürde stellten die Bahnsteigsschranken für sie da, die zur Vermeindung von Schwarzfahrern gebaut waren. Mit einem Satz sprangen die verängstigten Mädchen über sie hinweg. Ihre Unerlaubte Tat ging zu ihrem Glück in der Menge unter. Eine U-Bahn fuhr ein, sofort drängten sie beide in den Menschenstrom und setzten alles daran, noch hinein zu kommen.

„Sie sind hinter uns!“, schrie Nina ihrer Freundin zu.

Mit einem lauten Quietschen schlossen sich endlich die Türen der überfüllten Bahn und ihre Verfolger drückten sich die Nase an den Scheiben platt.

„Wir… wir haben’s geschafft!!!“, jubelte die Jüngere mit Tränen in den Augen.

„Scheiße! Mann haben wir ein Glück!“, fügte sie noch hinzu und umarmte ihre kleinere Freundin, die nicht weniger erleichtert war.

„Tut mir leid, ich wollte uns nicht so tief in Schwierigkeiten bringen.“

„Wir leben noch, sehen wir lieber zu, dass wir an der nächsten Haltestelle wieder rauskommen, immerhin fahren wir gerade schwarz.“

Nina nickte und versuchte sich wieder zu beruhigen, so was war ihnen noch nie passiert.
 

„Mir ist schlecht…“, beklagte sich Chrissie als sie wieder das Tageslicht erblickten.

„Glaub ich dir, wie spät haben wir es denn jetzt?“

Chrissie grinste ihre Freundin an.

„Wir sind jetzt hier in Japan, wie sagt man das hier?“

Nina grinste zurück.

„Ano~… Ima nanji desu ka?“

Chrissie begann zu lachen, Nina hatte das mit einem herrlichen Gesichtsausdruck gefragt, sie setzte jetzt ebenfalls ins Gelächter mit ein. Plötzlich verstummte die Größere wieder und starrte gebannt hinter Chrissie.

„Was ist denn?“

Stumm zeigte Nina auf ein riesiges Plakat an dem Gebäude hinter ihr. Es war ein Werbeplakat, ganz eindeutig, wieder hörten sie Vanilla.

„Vanilla, Gackt… GACKT!“

„Ein Werbeplakat von seiner neusten Tour!“, stellte Chrissie freudig fest.

Beide rätselten einen Moment, was noch mal die Zeichen auf dem Plakat für eine Bedeutung hatten.

„Heute hat er wieder einen Gig!“

„Wo? Wo Chrissie, WO?“, fragte Nina ungeduldig.

Beide lasen weiter, ihre Augen fielen ihnen beinahe aus den Köpfen, aber zuerst gesellten sich ihre Unterkiefer zu ihren Knien.

„HIER!!!“, brüllten sie beide ungehalten.

Verlegen lächelten sie den Passanten zu, die sie schon mit hochgezogenen Augenbrauen musterten.

„Lass uns woanders weiterreden.“, schlug Chrissie vor.

Nina nickte zustimmend, schnappte ihre Tasche und ging voraus.

„Ich verhungere eh gleich…“

Bestätigend knurrte ihr Magen die Umgebung von drei Metern zusammen, Chrissie grinste breit.

„Nein, ich sag jetzt nichts dazu.“
 

Geschlagene drei Stunden verbrachten sie in einem recht einfachen Café am anderen Ende der Straße, allerdings deckten sie sich in dieser Zeit großzügig mit sämtlichen japanischen Speisen ein, die sie sich leisten konnten, ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu bekommen. Während sie aßen unterhielten sie sich aufgeregt über den Tour Gig von Gackt, der noch am Abend in einer großen Halle hier in der Nähe stattfinden sollte.

„Das Hotel ist nicht zufällig hier in der Nähe?“, fragte Nina nachdem sie auch endlich mit ihrem Dessert fertig geworden war und sich genüsslich streckte.

„Ähm, nicht wirklich…“, brabbelte Chrissie in ihr Colaglas hinein.

>>Vielleicht sollte ich langsam mal die Worte finden, ihr die freudige Nachricht zu beichten.<<

„Und? Wann machen wir uns auf um Karten zu kriegen?“

Chrissie warf einen Blick auf ihr Handy.

„Wir haben es gerade kurz vor zehn, am besten demnächst. Ich habe keinen Plan, wie hoch die Rate der bereits verkauften Karten ist, vielleicht kriegen wir gar keine mehr.“

„Beschwöre es mal noch herauf! Ich krieg einen Schreikrampf, wenn dieser Fall eintrifft!“, jammerte sie vorwurfsvoll.

„Den bekommst du doch so oder so.“, meinte sie ungerührt.

Beide rafften sich auf, zahlten und verließen anschließend das Café wieder.

„Hattest du nicht den Stadtplan eingesteckt Nina?“

„Nicht das ich wüsste, aber ich kann dir einen Reiseführer anbieten.“

Sie stoppte um ihre große Tasche zu öffnen, zu ihrem Vorteil hatte sie das handliche Heft zuoberst eingepackt. Ihre ältere Freundin ließ sich nicht lange bitten und forschte sogleich in ihm nach. Plötzlich schlug sie sich ihre Hand vor die Augen.

„Was denn? Sag nicht, das wir am ganz falschen Ende der Stadt sind!“

Nina rutschte schon wieder das Herz in die Hose, das war in diesem Moment das Schlimmste, was sie sich vorstellen konnte. Doch Chrissie schüttelte aufgeregt den Kopf.

„Quatsch! Dreh dich doch mal um, da! Unter dem riesigen Plakat!“

Nina neigte ihren Kopf in diese Richtung, verstand aber nicht ganz, was ihre Freundin ihr damit sagen wollte.

„Geiles Pic, würde ich gerne mit nach Hause nehmen, aber ich bezweifle, dass du das damit gemeint hast.“

Chrissie seufzte entnervt.

„Nein, ich meinte etwas weiter unten.“

Ihr Ton war schon ein wenig gereizt, also spurte Nina und tat so, als würde sie mit großem Interesse die unter dem Plakat liegenden Läden begutachten. Da sprang ihr auf einmal eine Schlange von etwa zwanzig Mann ins Auge.

„Sag bloß, die Kasse ist der kleine Stand da drüben!“, sagte sie verblüfft.

„Das und gleichzeitig ist hinter diesem riesigen Plakat auch die Halle versteckt.“

Nina verschlug es im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache, überall hätte sie die Halle vermutet, aber doch nicht hier, an diesem unscheinbaren Ort!

„Das ist mal wieder typisch Gackt!“

„Nein Nina, das bist typisch du, Gackt sucht sich immer kleinere Hallen aus. Du hast einfach mal wieder kein Gedächtnis.“, widersprach sie sarkastisch klingend.

„Oder keinen Orientierungssinn.“, fügte Nina verlegen grinsend hinzu.

Beide lachten kurz auf und flitzten dann geradeaus zur Schlange, um sich ebenfalls anzustellen. In ihren Mägen machte sich ein unbekanntes Gefühl breit, außerdem fühlte es sich so an, als könnten sie jeden Moment vor Freude und Anspannung weinen.
 

„Ich kann es noch gar nicht glauben…“, murmelte Nina als sie ihre eigene Karte in den Händen hielt.

Wie apathisch starrte sie auf das kleine Stück Papier in ihren Händen, welches sie nebenbei kurzer Hand etwa 7000 Yen gekostet hatte.

„Ich brauche dringend Knuddeleinheiten und zwar auf der Stelle.“

„Ooh, du bist doch nicht etwa aufgeregt?“, zog sie Chrissie auf, während sie ihre Arme um die größere Freundin schlang und ihr beruhigend über den Rücken streichelte.

„Überhaupt nicht, wie kommst du nur darauf?“, stammelte Nina ironisch klingend in ihre rotblonden Haare hinein.

„Suchen wir vorher unser Hotel auf? Ich habe keine Lust, die Taschen mitzunehmen.“

Schon ließ Chrissie wieder von Nina ab und wich ihren Blicken aus.

„Sag mal, stimmt irgendwas nicht? Jedes Mal, wenn ich dich auf unser Hotel anspreche wirst du plötzlich ganz still und stammelst vor dich hin.“

„Ach was, das bildest du dir ein!“

Nina zog eine Augenbraue hoch und verschränkte ihre Arme.

„Ist es Absicht, dass du dich so ironisch anhörst?“

„Lass uns unsere Taschen in Schließfächern verschanzen gehen, eh wir im Hotel sind, uns fertig gemacht haben und dann wieder hier sind, hat das Konzert schon längst angefangen.“

„Hey! Versuchst du mir auszuweichen?“

Chrissie hakte sich bei ihr ein und suchte die nächste Gelegenheit auf, wo sie ihre Taschen abgeben konnten. Nina hakte nicht weiter nach, es war eigentlich unmöglich, dass ihrer eigentlich immer gewissenhaften Freundin ein Fehler unterlief, sie vertraute ihr da einfach blind.
 

Die folgenden Stunden taten sich schwer zu vergehen, immer wenn den Beiden der Gesprächsstoff ausging, zeichnete Nina oder tüftelte in ihrem roten Schmierheft an einer Fanfiction weiter. Chrissie vertrieb sich die Zeit entweder ebenfalls damit an einer Fanfiction zu schreiben, oder spielte Game Boy. Sie hatten sich an die Stufen zur U-Bahn hin platziert und brutzelten in der Sonne nun so vor sich hin.

„Ich hätte es wissen müssen, warum habe ich meine Sonnenbrille nicht aus der Tasche genommen? Kannst du mir das mal bitte erklären?“

„Keine Ahnung, hast wahrscheinlich nicht dran gedacht. Sei lieber froh, dass du eine Bluse anhast, ein Sonnenbrand wäre, glaube ich, wesentlich unangenehmer für dich.“

Chrissie warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu, doch Nina war so in ihre Zeichnung vertieft, dass ihr das gar nicht auffiel.

„Pass auf das du keinen bekommst, zumindest dein Nacken und deine Schultern sind in akuter Gefahr.“

„Ach was, ich verbrenne nicht so schnell. Ich werde meistens erst ein wenig rot und dann schließlich braun. Ist zwar auch nicht unbedingt das, was ich so toll finde, aber was soll’s.“

Chrissie nickte desinteressiert und widmete sich wieder ihrem Spiel. Erst als nach einigen Stunden ihre Batterien den Geist aufgaben, schaute sie wieder auf und prüfte die Uhrzeit.

„Nina! Es ist schon 18 Uhr 45! Pack deine Handtasche zusammen und beeil dich, die stehen da alle schon, anscheinend ist gerade Einlass.“

Nina’s weiße Handtasche war schnell eingepackt, außer ihrem Skizzenblock, ihrem Portmornaie mit dem Ausweis und der EC-Karte und ihrem Handy, hatte sie ja nicht mehr dabei. Sie sprangen von einem Bein aufs andere als sie inmitten der Schlange standen und warteten. Rund 80% der anderen waren Japanerinnen, die ihnen argwöhnische Blicke zuwarfen, aber auch einige Männer waren dabei, wenn auch Teilweise wahrscheinlich nur als Begleiter ihrer Freundin. Dem Duo blieb nicht verborgen, dass sie mal wieder im Mittelpunkt standen.

„So wie die gucken, komme ich mir wie ein Staatsfeind vor, warum musst du auch so auffällige Haare und Augen haben?“

„Du bist doch auch nicht viel besser, allein dein Größe spricht für sich!“, konterte Chrissie.

„Und ich hielt mich in Deutschland immer für etwas klein geraten.“

„Falls du es nicht bemerkt haben solltest, wir sind hier nicht in Deutschland. Alles was hier weiblich ist und die 160cm Grenze überschreitet, ist hier ein Sonderfall.“

„Mou, ich wusste ja schon immer, dass ich nicht normal bin.“

Sie grinste und Chrissie grinste zurück. Endlich war es soweit und sie wurden in die Halle hineingelassen. Ohne Rücksicht auf Verluste drängten die beiden Mädchen Händchen haltend nach vorne in die ersten Reihen. Es erschien ihnen wie ein Wunder, als sie sich in der Mitte der ersten Reihe platziert fanden.

„Kneif mich mal Chrissie, ich krieg hier gleich einen mittelschweren Herzkasper!“, quietschte Nina mit Schweißperlen auf der Stirn.

„Aua!“

„Du hast mich aufgefordert.“, meinte Chrissie grinsend.

Sie konnten die neidischen Blicke ihrer Hintermänner förmlich durch ihre Brust bohren spüren. Die Bühne war ihnen so nah, sie war höchstens zwei Meter von ihnen entfernt. Das Schlagzeug stand in der Mitte aufgebaut, umgeben von einzigartigen Bühnenbildern. An der Decke waren haufenweise Lichtspots angebracht, alles in Einem schien das wie gewohnt, eine einzigartige Show zu werden und sie waren zum ersten Mal in ihrem Leben hautnah dabei!

„Ein hoch auf die Kontaktlinsen!“, freute sich Nina.

Schlagartig wurde es stockfinster und alle begannen zu grölen, die Luft war heiß von der riesigen Spannung. Immer wieder schrieen die Leute seinen Namen. Dominierend kreischten die Frauen nach ihm.

„GACKT-SAN!!!“

Chrissie und Nina konnten nicht anders und stimmten mit ein. Die Spots schalteten sich ein und Rauchschwaden vernebelten ihre Sicht, es wurde leiser. Ein Schrei durchbrach die andächtige Stille mit einem Schlag, alles schrie. Wieder forderte seine Stimme nach mehr, sie alle schrieen lauter als zuvor. Dasselbe Spiel wiederholte sich noch einige Male, voller Anspannung fieberten die Mädchen seinem Erscheinen entgegen. Musik setzte ein und das Licht ging an, ein Schwall von unbändiger Begeisterung flutete die Halle, das Konzert begann. Es war unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen, so laut sie nur konnten sangen Nina und Chrissie jedes Lied mit, dessen Text sie auch nur ansatzweise mächtig waren, sprich also alle.

Wie erwartet wurde zur Halbzeit Mirror gespielt, in dessen Pause Gackt von der Bühne sprang und an seinen Fans vorüber zog. Das war der Augenblick, wo beide regungslos an ihren Plätzen verharrten.

>>Er kommt her, er kommt tatsächlich auf uns zu!!!<<, jagte es Nina durch den Kopf.

Gackt lächelte geschafft als er näher rückte, so wirklich schien er sich nicht auf seine Fans zu konzentrieren. Das war ihm allerdings keineswegs zu verübeln, die atemberaubende Performance, die er bisher geliefert hatte, konnte ihm einfach nur wahnsinnige Kräfte gekostet haben. Mit einer Handbewegung fuhr er sich durch seine dunkelbraunen Haare, sein Atem hallte in seinem Mikro wieder, so dass es Chrissie und Nina eiskalt über den Rücken lief.

„Nina! Nina er kommt!“, kreischte ihr ihre Freundin ins Ohr um die anderen zu übertönen.

Sie fassten sich fest an den Händen und ließen einender nicht los, die nächsten Sekunden spielten sich vor ihnen wie in Zeitlupe ab, sämtliche Geräusche blendeten sie einfach aus. In aufrechter Haltung und mit einem natürlichen Lächeln auf dem Gesicht, trat er schließlich vor sie. Nein! Er konnte doch unmöglich vorhaben, genau vor ihrer Nase weiter zu singen, oder etwa doch?! Beide hatten mit ihren Hintermännern zu kämpfen, alle versuchten an ihnen vorbei zu greifen und an Gackt zu kommen, etliche Bodyguards stemmten sich gegen das Geländer um den Gegendruck aufrecht zu erhalten. Langsam ging den Freundinnen die Luft aus, es war eine regelrechte Tortur! Doch auf die Idee, selber nach Gackt zu greifen, kamen sie nicht, irgendwie würden sie sich albern dabei vorkommen. Es war doch nichts Besonderes, sich der Masse anzuschließen, immerhin waren sie Individuen, sie vergötterten Gackt auf ihre Weise. Seine Stimme erhob sich und er begann Mirror weiter zu singen. Just in diesem Moment blickte er zu ihnen hinab. Ihnen blieb das Herz für einen Schlag lang stehen, doch noch bevor sie es richtig realisiert hatten, wendete er sich auch schon wieder ab und ließ sich zurück auf die Bühne helfen.

Der Rest des Konzertes entschädigte sie für ihre erlittene Atemnot mehr als genug, mit Tränen in den Augen sahen sie ihm nach als er nach seinem letzten Song von der Bühne verschwand. Der Blick, den er ihnen aber während Mirror geschenkt hatte, war fest in ihren Köpfen eingebrannt. Langsam leerte sich die Halle wieder, wie hypnotisiert verharrten sie beide jedoch noch immer an ihren Standort.

„Es… es war einfach genial… So fantastisch…“, murmelte die Dunkelhaarige unter ihnen.

„Unbeschreiblich…“, war das Kommentar, was Chrissie dazugeben konnte.

Da fiel ihr Nina um den Hals und schluchzte leise, Chrissie fragte nicht weiter nach und streichelte ihren Rücken. Wem war denn in dieser Situation nicht zum Heulen? Da trifft man zum ersten Mal in seinem Leben den Menschen, der einen ganz besonderen Wert für einen hat und dann verschwindet er einfach wieder und zurück bleibt nur die Erinnerung.

„Leave the hall right now, please!“, forderte eine tiefe Stimme hinter ihnen in einem unfreundlichen Tonfall.

Überrascht drehten sie sich langsam um. Da stand ein gewaltiger Mann vor ihnen, schwarz gekleidet, mit Sonnenbrille und mindestens so groß wie ein Schrank. Ihnen war gar nicht aufgefallen, dass sie die Letzten in der Halle waren, wie lange hatten sie denn noch hier gestanden? Fünf Minuten? Zehn Minuten, oder vielleicht sogar Fünfzehn?

„Ähm, I’m sorry.“, versuchte sich Nina zu entschuldigen.

Chrissie ahnte, dass dies der Moment war, wo sie Nina wohl aufklären musste. Der große Kerl packte Nina grob am Arm, so dass sie aufstöhnte.

„Ouch! That hurt’s!“, beschwerte sie sich.

„Please let her go!“, bettelte Chrissie mit einem sachlichen Blick.

Doch der stämmige Typ ignorierte ihre Bitte und packte schließlich auch sie.

„SAG MAL BIST DU TAUB?! DU TUST UNS WEH!“, keifte Nina ihn aus vollem Leibe an, dass es noch lange in seinen Ohren hallen würde.

„You are only little brat’s! Go home!“, schrie der Mann zurück, wenn auch bei Weitem nicht so laut wie Nina.

„Then let us go alone! We aren’t to week to walk the way out of this hall!“, beschwerte sich nun auch Chrissie eindringlich.

„Mann! Wie ich solche Typen hasse! Der kapiert es anscheinend einfach nicht!“

„Don’t speek in a another language!“

Grob zottelte er an ihren Armen, so dass ihnen langsam bange wurde. War es denn normal, dass man so mit treuen Anhängern seines Vorgesetzten umging? Auf einmal hörten sie Schritte hinter sich.

„Koko ni nan da yo?“, fragte eine angenehm tiefe Stimme.

STILLE

Mit einer ruckartigen Bewegung fuhren ihre Köpfe herum, sie trauten ihren Augen nicht.

„Ga- Gackt?!“

Dears

02 Dears
 

****Und auch, wenn dieses Leben verbraucht ist, gibt es Wertvolles, das man nicht vergessen kann. Die Zeit, für die wir gemeinsam gekämpft haben.

Auch wenn diese Stimme dich nicht erreicht, auch wenn wir nie mehr dorthin zurückkehren, ich werde da sein und weiter rufen.

„Ja, eines Tages wird der Regen enden, nicht wahr…“***
 

„Oh… mein… Gott…“, waren die letzten Worte, die Chrissie noch mit halber Intensität aussprechen konnte.

Da kam er, der Mann, der noch vor einer halben Stunde hunderte von Menschen um den Versand gesungen hatte, unter anderem sie beide. Nina konnte es gar nicht fassen, sie war regelrecht einer Ohnmacht nahe! Gackt kam verschwitzt, ohne ein Oberteil an sie herangetreten. Vereinzelte Strähnen seiner dunkelbraunen Haare hingen über seine faszinierenden, ausdrucksstarken Augen.

„Gackt-sama…“, antwortete der große Mann überrascht und ließ sogleich von den Mädchen ab.

Diese standen da wie überfahren, stillschweigend und scheinbar ohne jegliche Atemzüge zu vollziehen. Gackt blieb fragend vor den Dreien stehen, in der einen Hand eine Flasche Volvic haltend.

„Nan da yo?“, wiederholte er, nachdem er keine Antwort erhalten hatte.

Grummelnd schubste der Schwarze die beiden Mädchen von sich.

„Ey, wir sind kein Spielzeug!“, maulte Chrissie angesäuert, während Nina sich immer noch in Schweigen hüllte und ihren Blick zu Boden wendete.

Ihrer Freundin blieb nicht verborgen, dass sie verdächtig rot geworden war und nervös an ihren Fingern knibbelte. Gackt schaute verdutzt drein als er hörte, wie Chrissie ihren Satz in einer ihm nun vollkommen fremden Sprache sagte. Er schaltete jedoch gleich und wechselte ins Englische.

„What’s the matter?“

Nina warf Chrissie Blicke zu, die sie sofort richtig deutete. Gackt warf in den nächsten Augenblicken noch mit weiteren Sätzen um sich, allerdings taten sich beide Mädchen äußerst schwer, seine Aussprache zu verstehen.

>>Warum ausgerechnet Englisch?<<, fragte sich Chrissie, die Nina eben kurz zur Seite nahm, um Gackt und den anderen Mann ungestört ihrem Gespräch zu überlassen. Schon nach wenigen Augenblicken wechselten sie wieder die Sprache und unterhielten sich dann fortan auf Japanisch. Das blauäugige Mädchen schwenkte ihre Hand vor der Nase ihrer Freundin.

„Hey, lebst du noch?“

Nina starrte sie mit aufgerissenen Augen an, sie bewegte ihren Mund zwar, aber die Worte hatten ihr momentan entsagt.

„Gackt… Das da ist Gackt…!“, betonte sie, nachdem sie sich langsam wieder gefangen hatte.

„Haben wir ein Glück Nina! So was passiert unter 100 Menschen nur 0,5%!“

Wie erhofft schmunzelte Nina endlich wieder, sie hatte schon die Befürchtung gehabt, dass ihr jüngerer Schützling jetzt ernsthaft einen psychischen Knacks weg hatte.

„Entweder einem halben Menschen, oder zwei durchgeknallten Fangirls wie uns.“, fügte Nina lächelnd hinzu.

„Schau ihn dir an! Er steht vielleicht zwei Meter von uns weg, halbnackt und ist zum Greifen nahe!“

Sie fixierten ihn, beobachteten jede Regung in seinem Gesicht und jede typische Haltung oder Bewegung entlockte ihnen ein weiteres, freudiges Grinsen oder gar ein kurzes Freudenquietschen. Plötzlich aber wichen sämtliche Gesichtsausdrücke aus ihren Mienen und sie wurden kreidebleich. Gackt hatte sich zu ihnen umgedreht und musterte sie genau, er atmete noch etwas geschafft. Dann kam er auf sie beide zu, sein leicht schwankender Gang unterstrich seine Müdigkeit.

„Scheiße, soviel zum Herzkasper!“, flüsterte Nina Chrissie hektisch zu.

Sie krallte sich in ihrem rechten Arm fest, sicherlich war er inzwischen grün und blau.

„Where are you from?“

„Wow, man kann’s verstehen!“, freute sich Chrissie mit einem Hauch von Sarkasmus in ihrer Stimme.

Nina warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Ist ja gut, aber ist doch wahr…“, nuschelte sie geknickt.

Gackt’s Blicke wechselten zwischen den beiden Mädchen, fragend zog er eine Augenbraue hoch. Der Gedanke, dass die Zwei vielleicht der englischen Sprache gar nicht mächtig waren, drängte sich ihm langsam auf, auch wenn er das für ziemlich unwahrscheinlich hielt.

„Parler vous francé?“, fragte er höfflich nach.

Ihm war klar, dass auch das nicht die Sprache sein konnte, welche die Beiden, ihn ignorierend, die ganze Zeit über sprachen. Allerdings empfand er den aufgeregten Wortwechsel inzwischen als doch recht amüsant anzusehen und ließ sich auf das kleine “Ratespiel“ ein. Vor allem, weil ihn die größere junge Frau wohl gerade verstanden hatte und verlegen lächelte. Sie wiederholte den Satz noch einmal und hing, so vermutete er, die Übersetzung hinten ran.

„Aber Gackt müsste doch merken, dass wir nicht Französisch sprechen.“

„Wetten, er weiß schon längst von wo wir sind? So fremd wird ihm Deutsch ja wohl kaum sein.“

Nina nickte.

„Atashi wa doitsu-jin desu.“, begann Chrissie optimistisch.

„Atashi mo.“, schloss sich Nina an.

Gackt’s Gesichtsausdruck war sichtlich verblüfft, er grinste und Nina musste sofort wieder ihren Blick abwenden, um nicht unkontrolliert aufzuquietschen.

„Ah, ihr könnt also Japanisch?“

Sie nickten bestätigend, ihre Herzschläge hallten in ihren Ohren wieder, Gackt hatte ja nicht die geringste Ahnung, wie aufgeregt die Beiden vor ihm waren und was er allein schon mit seiner bloßen Anwesenheit in ihnen anrichtete.

„Hai, so desu!!“, antworteten sie ihm gleichzeitig.

Er verschränkte die Arme.

„Sagt mal, ihr habt vorhin nicht zufällig in der ersten Reihe gestanden? Die kleine Blonde hier kommt mir doch recht bekannt vor.“

Chrissie schnaubte beleidigt, Nina klopfte ihr tröstend auf den Rücken.

„Ja, das sind dann wohl wir gewesen, Deutschland ist übrigens das unscheinbare Fleckchen neben Frankreich, welches sie bisher immer verdammt geschickt ignoriert haben.“

Nina musste sich auf die Unterlippe beißen um sich ihr Grinsen zu verkneifen, da war wohl gerade Chrissie’s sarkastische Ader zum Durchbruch gekommen.

>>Autsch! Wenn das mal nicht zuviel des Guten war…<<, befürchtete sie.

Gackt schmunzelte und kratzte sich am Hinterkopf, die junge Frau vor ihm war auf keinen Fall auf den Mund gefallen.

„Nun, wie auch immer. Tut mir leid, wenn euch mein Bodyguard etwas zu hart angefasst hat, aber es ist nun mal sein Job darauf zu achten, dass auch wirklich alle die Halle wieder verlassen, wenn das Konzert beendet ist. Merkt es euch fürs nächste Mal.“

„Toll, als ob wir hier Dauerurlaub machen würden…“, konterte Chrissie bissig.

„Na ja, ich muss wieder hinter zum Staff. Ich hoffe, es hat euch wenigstens ein wenig gefallen.“

Er winkte ihnen und machte Kehrt, lässig lief er die Treppen hinunter, für einen Moment lang waren die beiden Mädchen sprachlos.

„Ob es uns gefallen hat?! Das war doch sicherlich nicht ernst gemeint!“, rief ihm die Kleinere nach.

Tatsächlich drehte er sich noch einmal zu ihnen um.

„Es war fantastisch!“, bestärkte Nina ernst.

Dankbar lächelte er nochmals, doch dann verschwand er endgültig hinter der Bühne und ließ die Beiden zurück.

„Aber das war jetzt auch kein Traum, oder Chrissie?“

Noch immer mit ihrem Blick auf der Stelle ruhend, wo Gackt soeben verschwunden war, schüttelte Diese ihren Kopf. Doch dann begann sie ihre Zeigefinger gegeneinander zu tippen und setzte eine mitleidserregende Miene auf.

„Du Nina…“

„Hm? Ja?“

Sie war noch etwas in Trance.

„Wegen dem Hotel…“, führte Chrissie ihren Satz fort.

Verträumt schenkte ihr ihre größere Freundin ihre Aufmerksamkeit.

„Tja, also…“

Langsam verfinsterte sich Nina’s Blick.

„Es gibt keins.“

Mit erhobenen Händen und gekünstelt grinsend machte sie sich auf das demnächst folgende Donnerwetter gefasst. Momentan verfolgte sie jedoch noch das interessante und aufschlussreiche Spiel von Nina’s Gesichtzügen. Wie sich ihre Augenbrauen langsam hoben, ihre Augen sich weiteten und hervortraten, ihr Unterkiefer sich langsam aber bestimmt verselbstständigte und wie ihr das Blut ins Gesicht schoss.

„WAS?! WAS SOLL DAS HEIßEN?!“, brüllte sie schließlich los.

Chrissie zog sie an ihrem Arm nach draußen, als sie den Schwarzen wieder in Erscheinung treten sah.

„Reg dich ab.“

„ABREGEN?! ICH BIN GRAD BESTER LAUNE!“

„Ich merk es schon…“

Nina starrte sie verständnislos an, es verschlug ihr die Sprache, so aufgebracht war sie. Wild gestikulierend stampfte sie auf dem Bürgersteig unter ihren Füßen herum.

„Oh, ich könnte dich…!“, fluchte sie bedrohlich.

„Sorry, ich habe es in der ganzen Aufregung einfach vergessen! Es tut mir leid, ganz ehrlich!“

Wild nach Luft schnappend versuchte sich die Jüngere zu beruhigen.

„Gut, dann sag mir, was wir jetzt machen werden.“

„Ähm, als erstes mal unsere Taschen abholen.“, sagte sie kleinlaut und blickte sie entschuldigend an.

Wieder konnte sich Nina nicht halten und begann zu lachen, als sie ihrer Freundin um den Hals fiel. Lange böse zu sein war nicht ihre Stärke, aber das änderte leider rein gar nichts an ihrer Situation.
 

Als sie ihre schweren Taschen wieder auf ihren Schultern trugen, war es bereits halb elf, bedröppelt zogen sie ihre Kreise vor dem Eingang zur U-Bahn.

„Toll, dann verbringen wir die erste Nacht wohl unfreiwillig im Freien…“, beschwerte sich Nina müde.

Sie warf ihre Tasche zu der von Chrissie und setzte sich neben sie auf die niedrige Mauer.

„Och, nicht unbedingt. Vielleicht werden wir vorher von der Polizei aufgegabelt. Die quartieren uns dann entweder in ihren gemütlichen Zellen ein oder sind bestenfalls so freundlich, dass sie uns an ein Hotel vermitteln, wo wir noch Zimmer mieten können.“

„Dein Sarkasmus hilft uns im Moment auch nicht weiter…“

„So? Ich dachte…“

„Chrissie!“, mahnte sie vorwurfsvoll.

„Tschuldige...“

Sie schwiegen für einige Augenblicke, ratlos baumelten ihre Beine in der Luft. Der Wind war angenehm kühl, wann immer er ihnen auch durch die Haare fuhr.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir heute auf einem Konzert von Gackt gewesen sind… Und noch weniger, dass wir mit ihm gesprochen haben.“, sagte Nina, als ihre Augen den letzten Rest Licht nutzten, um wieder einmal über das übergroße Plakat zu wandern.

„Ja! Das war einfach unglaublich! Ich hätte mir einen abquietschen können, als er so vor sich hin gegrinst hat!“

Die Stimmung unter ihnen hob sich schlagartig.

„Mou! Das war wirklich voll süß, oder als er das letzte Mal zu uns aufgesehen hatte, da hat er so richtig liebenswürdig gelächelt!“

Nina hätte schmelzen können, wenn sie daran dachte. Gackt war ja schon auf Bildern oder in Videos ein Schönling gewesen, aber in Natura war er mehr als das! Er war nicht einfach nur sexy und gut anzusehen! Seine Aura war natürlich, man hatte das Bedürfnis noch viel mehr über diesen Menschen wissen zu wollen.
 

So verstrichen die Stunden, in denen sie sich über alles unterhielten, was nur irgendwie mit dieser Tour und ihm zu tun hatte. Man hätte das Spektakel filmen sollen, sie lachten, quietschten oder erröteten, während sie immer wieder ihre Gliedmaßen zur Untermalung ihrer Gesprächsthemen nutzten.

„So, ab jetzt rühre ich mich nicht mehr von deiner Seite, meine Nachtblindheit schlägt gerade zu.“

„Die Laternen sind doch an, es ist doch genug Licht da.“, antwortete Chrissie verwundert.

„Dann eben nicht meine Nachtblindheit, sondern meine Angst vor dunklen, menschenleeren Straßen.“

„Wenn ich fies wäre, würde ich dir jetzt sagen, dass wir es gerade 24 Uhr haben und somit die Geisterstunde begonnen hat.“

„Hör doch auf! Geister schrecken mich nicht, ich hab nur keine Lust, in der Nacht von irgendwelchen Krabbelviechern angefallen zu werden!“, maulte Nina argwöhnisch und suchte ihre nächste Umgebung nach Insekten ab.

Ihre Freundin zuckte verdächtig mit einer Augenbraue.

„Du steigst in das Auto zweier Kerle, von denen dir von Anfang an klar ist, dass sie nichts Gutes im Schilde führen und lässt dich davon nicht weiter beeindrucken, aber sobald allein das Wort Spinne fällt, wirst du kribbelig und bekommst Panik. Sollte uns das zu denken geben? Ich glaube nein…“

Nina zuckte verdächtig, auch Chrissie’s Mundwinkel verzogen sich bereits ankündigend. Schon warfen sie sich nach hinten und lachten lauthals los. Nina hatte allerdings zu viel Schwung gehabt und kippte kurzerhand rückwärts von der Mauer. Wie sie da nun so ihre Arme von sich gestreckt auf den Taschen lag, die Beine immer noch senkrecht an der Mauer lehnend, konnten sie vor Lachen kaum mehr atmen.

„Ich sterbe! Aua!“, jammerte Chrissie während sie sich krampfhaft den Bauch hielt.

Nina kreischte auf vor Lachen, Chrissie’s Kommentar veranlasste sie dazu, das Atmen noch weiter zurückzustellen.

„Du, du… du bist doch schon scheintot!“, versuchte sie krampfhaft zu antworten.

Das Gelächter, oder zumindest die kurzen, aber lauten Atemzüge, hallten durch das gesamte Viertel, aber noch niemand sah aus seinem Fenster oder schrie zu ihnen herunter. Dafür aber hörten sie das leise Brummen eines Autos, welches sie veranlasste ihre Lachorgie abrupt abzubrechen. Scheinwerfer bogen um die Ecke der Halle, ein sportliches Auto parkte direkt davor. Ein großer Mann im Anzug stieg heraus und verschwand in der Halle.

„Sag mal, war das nicht unsere unangenehme Bekanntschaft von vorhin?“, flüsterte Nina leise ihrer älteren Freundin zu.

„Keine Ahnung, ich hab meine Brille nicht auf, aber ich würde es doch mal ganz stark annehmen. Zwei von der Sorte und die Welt würde zugrunde gehen.“

Im nächsten Moment kam der Bodyguard wieder heraus, einen etwas kleineren und wesentlich schmaleren Mann neben sich.

„Chrissie! Das ist Gackt!“, sprudelte es aufgeregt aus ihrem Mund.

Nina fuhr entgegen ihrer Unsportlichkeit hoch, packte ihre rotblonde Freundin am Arm und zerrte an ihr herum. Diese hatte allerdings überhaupt nicht mit ihrem Ausraster gerechnet und leistete so keine Gegenwehr. Noch bevor sie reagieren konnte, hatte Nina sie zu sich heruntergerissen. Quer lag sie nun bäuchlings auf der Größeren.

Anscheinend hatten die beiden anderen sie wohl gehört, da sie inne hielten, ihre Köpfe nach rechts wanden und zu ihnen hinüber sahen.

„Toll gemacht Nina, verschaff uns ruhig einen Ruf als Stalker…“, stöhnte Chrissie halblaut.

Gackt nahm seine Sonnenbrille ab und fixierte beide Mädchen, oder zumindest das abstrakt zusammen gewürfelte Gebilde aus zwei nicht deutlich identifizierbaren Körpern.

„Du kannst Feierabend machen Mike, ich fahre heute alleine nach hause. Wir sehen uns dann.“

Sein Leibwächter stutzte zuerst ein wenig, doch dann nickte er und schüttelte seinem Vorgesetzten die Hand um sich anschließend zurückzuziehen. Chrissie und Nina schauten noch immer zur Seite und beobachteten Gackt’s Handlungsweise. Dieser drehte sich jetzt zu ihnen um und bewegte sich kontinuierlich auf sie zu.

„Chrissie, du wirst auf Dauer schwer…“, jammerte Nina.

Seine Schritte näherten sich ihnen, plötzlich verstummte ihr Hallen.

„Ist es bequem da unten?“

Über Nina war es kurz dunkel geworden, eisblaue Augen trafen auf ihre Grünbraunen. Belustigt schauend beugte er sich genau über die Beiden, da Nina nicht imstande war zu antworten, übernahm Chrissie diesen Part. Zuerst jedoch stützte sie sich mit einem Arm ab, während sie mit der anderen Hand ihren Kopf hielt, von dem Sturz drehte sich kurz alles vor ihren Augen.

„Och, klar ist es bequem hier unten! Am liebsten würde ich den ganzen Tag hier verbringen, willst du auch mal?“, maulte Chrissie in ihrem altbekannten, sarkastischem Ton.

Nina horchte auf, was hatte ihre Freundin da eben gesagt? Gackt grinste kurz verschmitzt.

„Gerne.“

Mit einem ähnlichen Tonfall spielte er das kleine Spiel mit.

„Hey! Moment mal, hab ich da vielleicht auch noch ein Wörtchen mitzureden? Nicht das ich was dagegen hätte… ABER DOCH NICHT HIER!“, beschwerte sich Nina auf deutsch und errötete, während sie krampfhaft versuchte sich unter ihrer Freundin hervorzuziehen.

Gackt ging grinsend in die Hocke und half der Rotblonden von Nina herunter, er hätte zu gern gewusst, was die andere da gerade gesagt hatte. Chrissie lachte leise für sich.

„Was hat sie gesagt?“, fragte er höfflich nach.

Nina lief hochrot an und versuchte aus ihrer Position heraus Chrissie den Mund zuzuhalten, was ihr allerdings nicht gelang, da Diese sich schnell aus ihrer Reichweite bewegte. Stattdessen lag sie nun bäuchlings auf dem Bürgersteig, sie war erfolgreich von den Taschen heruntergepurzelt. Chrissie bekam einen Lachkrampf, auch Gackt versuchte erfolglos seine gehobenen Mundwinkel hinter seiner Hand zu verstecken. Gott, war das Nina peinlich! Ihre Freundin bekam Mitleid und versuchte ihr aufzuhelfen, doch vor Lachen war sie so geschwächt, dass sie ihre Hand wieder losließ und sich auf den Hosenboden setzte, um mit Tränen in den Augen weiter zu lachen. Schließlich griffen zwei große Hände unter Nina’s Achseln und richteten sie auf, vor lauter Scham traute sie sich nicht in Gackt’s Gesicht zu sehen, welcher sich als Helfer herausstellte.

„Arigatou…“, nuschelte sie sehr leise.

„So sieht man sich wieder, was macht ihr beiden denn eigentlich um diese Uhrzeit noch hier vor der Halle?“

Sie klopften sich den Staub von den Klamotten und schnappten nach Luft.

„Tja, eigentlich nichts Besonderes…“, beantwortete die Ältere seine Frage.

Gackt sah die beiden mit fragenden Blicken an.

„Wir sind aber keine Stalker, falls sie das jetzt vielleicht denken sollten.“, fügte sie noch hastig hinzu.

Er hob beschwichtigend seine Hände und nickte.

„Lasst doch bitte dieses alberne sie weg.“, meinte er verlegen.

„Das ihr mich nicht krankhaft verfolgt, dachte ich mir schon. Trotzdem weiß ich noch nicht, warum ihr hier so verloren mitten in der Nacht herumsitzt.“

Die beiden Freundinnen sahen sich kurz an, Nina warf Chrissie einen Giftblick zu.

„Verloren ist das richtige Wort, meine Freundin hier war der Meinung, vergessen zu müssen, ein Hotel für uns zu buchen, wir sind momentan also ziemlich obdachlos.“

Sie klang dabei verhältnismäßig schlecht gelaunt, Chrissie wurde verlegen. Gackt machte große Augen.

„So was gibt’s?“

„Sehen wir so aus, als würde es uns Spaß machen hier abzuhängen?“, fragte Chrissie.

STILLE

Der Dunkelhaarige verschränkte die Arme.

„Ihr macht doch sicher Urlaub hier, wie lange soll der Aufenthalt denn dauern?“

Überrascht sahen sie sich an, warum wollte er das wissen?

„Ähm, ab heute zwei Wochen.“, murmelte Nina.

„Habt ihr irgendwelche Veranstaltungen geplant?“

„Nein, selbst wenn, müssten wir sie jetzt über den Haufen werfen. Wahrscheinlich werden wir morgen durch die Stadt touren und nach einem Hotel für uns suchen.“, antwortete Chrissie diesmal ein wenig betreten.

Verlegen kratzte Gackt sich am Hinterkopf.

„Nun, das könnte schwer werden, ich will ja nicht voreingenommen oder so klingen, aber ich habe noch ein paar Auftritte hier, deswegen sind sämtliche Hotels hier in Kyoto wahrscheinlich ausgebucht.“

Nina schlug die Hände vors Gesicht, das konnte doch nicht wahr sein! Nicht das sie das nicht verstehen konnte, aber warum passierte so etwas immer nur ihnen?

„Tja, dann blieben nur noch die Optionen, dass wir uns morgen wieder in den Flieger setzen und die Heimreise antreten…“

„Vergiss es!“, warf Nina dazwischen.

„…oder wir schlagen uns die Nächte im Freien um die Ohren.“, führte sie den Satz, Nina ignorierend, weiter.

Wieder schmunzelte Gackt, diese beiden deutschen Frauen waren weiß Gott nicht langweilig.

„Oder ich nehme euch mit zu mir.“

Nina’s Unterkiefer verselbstständigte sich schlagartig.

„Wäre auch noch eine Möglichkeit…“, philosophierte Chrissie unberührt weiter.

Es wurde still und Chrissie schien zu versteinern, als sie Gackt’s Satz noch einmal durchging und ihn wirken ließ.

„Moment! Nee jetzt, das war doch jetzt nicht ernst gemeint, oder?!“

Ihre Stimme zitterte aufgeregt, Nina’s Blick wechselte immer wieder hektisch zwischen Gackt und Chrissie.

„Eigentlich schon, aber ich will euch ja nichts aufdrängen.“, antwortete Gackt verunsichert über Chrissie’s Reaktion.

STILLE

Gackt beobachtete, wie sich die Kinnlade der Blauäugigen zu der ihrer Freundin gesellte und sich die Augen beider weiteten.

„Das, das können wir doch nicht, ich meine… Du bist doch… und wir sind…!“

Nachdem Nina den letzten Satz mehr als nur gestottert hatte, versuchte sie ruhig zu bleiben und einen vernünftigen Anfang zu finden.

„Wir können uns doch unmöglich bei dir einquartieren! Du bist doch sicherlich geschafft von deinem Auftritt und willst deine Ruhe haben. Nebenbei kannst du doch nicht einfach wildfremde Menschen, vor allem Fans, wie uns, mitnehmen! Das widerspricht doch außerdem sämtlichen Prinzipien… Wir können dir doch unmöglich auf der Pelle hängen!“

Gackt lachte leise für sich.

„Ihr braucht euch wirklich nicht zu genieren oder irgendwelche Bedenken zu haben. Ich habe auch wirklich kein Problem damit. Ich nehme zwar wirklich nicht jeden Tag Fans von mir mit, aber ihr seid ja auch nicht normal.“

„Danke, dass wussten wir auch, ohne das man uns das so direkt sagt.“

Nina biss sich bei Chrissie’s Spruch auf die Unterlippe, Gackt hingegen schmunzelte wieder, so häufig kamen ihm so lustige Menschen wirklich nicht unter, so oft wie sich seine Mundwinkel heute schon verselbstständigt hatten.

„So meinte ich das eigentlich nicht. Die meisten Fans lassen es sich nicht nehmen, mich sofort anzuspringen und mich mit ihren Liebeserklärungen zu überhäufen. Als ihr während des Konzertes die Gelegenheit gehabt habt, wart ihr auch die Einzigen, die nicht krampfhaft versucht haben, an mich heranzukommen, auch jetzt nicht.“

Die Angesprochenen sahen sich verdutzt an, darüber hatten sie so genau noch gar nicht nachgedacht.

„Na kommt, springt über euren Schatten.“

Als ob die Mädchen nicht am liebsten sofort zugestimmt hätten. Immerhin bekam man nicht jeden Tag die Gelegenheit bei einem der genialsten Künstler Japans unterzukommen. Er konnte doch unmöglich denken, dass es sie stören würde, ihn zu begleiten.

„Aber nur, wenn es auch wirklich kein Problem für dich darstellt!“, bestärkte Nina noch einmal ihre Bedenken.

Ihnen war unglaublich warm, es konnte sich doch nur um einen Traum handeln! Ein Traum, der bitte nicht so schnell enden sollte.

„Gut, dann wäre doch jetzt alles geklärt. Kommt, steigt ein.“, sagte er zufrieden, lief zu seinem Wagen vor und winkte sie zu sich heran.

Die Freundinnen waren sprachlos, mechanisch luden sie sich ihre Taschen auf und marschierten ihm hinterher.

Mizérable

03 Mizérable
 

****I see the leaves rustle in the wind, but no sound is to be heard. “It’s just a sweet time’s mischief”, I whispered to the sky.

Go round and round, within this abandoned time, now I am les misérables. My exceeded loved one, you are smiling gracefully beyond the wall.****
 

Die Metallic Lackierung des Wagens schimmerte verführerisch im Licht der Laternen.

>>Ich kann es immer noch nicht fassen, das ist zu schön um wahr zu sein!<<, dachte Nina bei sich als sie vor dem Auto stehen blieben.

Chrissie stieß sie unauffällig mit ihrem Arm an, als Gackt auf die andere Seite lief und den Schlüssel ins Türschloss steckte. Nina klammerte sich daraufhin aufgeregt an ihrem Arm fest, so dass Chrissie’s Blutzufuhr beinahe drohte, unterbrochen zu werden.

„Ich würde euch ja fragen, ob einer von euch vorne sitzen möchte, aber ich sehe schon, ich kann euch wohl nicht trennen, oder?“

Chrissie blickte beiläufig auf ihr Anhängsel.

„Nee, ich glaub nicht.“, sagte sie gespielt genervt.

Sie glaubte noch zu sehen, wie ein weiteres Grinsen sein Gesicht zierte als er einstieg. Ruppig befreite sie sich aus Nina’s Klammergriff und stieg samt ihrer Tasche ins Auto, ihre Freundin im Schlepptau. Gleich drinnen im Wagen bekamen sie den nächsten Schock. Feinstes Leder, Klimaanlage, ein modernes Armaturenbrett und lauter kleine Luxuriösitäten, deren Anzahl sich auf Anhieb gar nicht überblicken ließ. Gackt beobachtete im Rückspiegel, wie interessiert die Beiden seine Innenausstattung begutachteten.

„Vergesst das Anschnallen nicht.“, sagte er belustig.

Er hörte das Einrasten der Gurte. Nun drehte er den Schlüssel um und fuhr aus der Parklücke heraus, langsam begannen Nina und Chrissie zu realisieren, was hier eigentlich überhaupt passierte.

„Chrissie, ich sterbe gerade! Ich sterbe!“, quiekte Nina so leise, dass Gackt sie nicht hören konnte.

Mal abgesehen davon, dass er ihre Sprache gar nicht verstanden hätte, war sie froh, allein ihr Gequietsche hätte sie im Erdboden versinken lassen. Chrissie zitterte am ganzen Körper, ob nun ihre Müdigkeit, oder die Anspannung daran schuld waren, konnte sie nicht definieren. Wenigstens schien Gackt gerade das Autoradio anschalten zu wollen. Chrissie lehnte sich müde an Nina, die versuchte sich damit abzulenken, indem sie aus dem Fenster schaute. Ruhig spielte ein Lied nach dem anderen, es waren sowohl japanische, wie auch westliche Songs vertreten. Schon bald wurde eine vertraute Melodie hörbar.

„I feel so unsure, as I take your hand and lead you to the dance floor…”, waren die ersten Zeilen, die leise an ihre Ohren drangen.

Nina blickte auf die in ihrem Arm liegende Chrissie, gerade machte sich ein seliges Lächeln in ihrem Gesicht breit.

„Haido…“, flüsterte sie mit beherrscht ruhiger Stimme.

Gackt hatte das durchaus gehört und sah deswegen überrascht in den Rückspiegel.

„Hyde?“, fragte er vorsichtshalber nach.

Das breite Lächeln wollte einfach nicht aus Chrissie’s Gesicht verschwinden, Nina grinste in Gackt’s Richtung.

„Ja, Hyde. Beachte sie nicht weiter, das hat sie immer, wenn sie Careless Whisper hört.“

Der Dunkelhaarige verstand nicht recht, aber als er einen Blick auf die Uhr warf, beschloss er, dass es einfach zu spät war, um sich jetzt darüber zu unterhalten. Dennoch hätte er jetzt gerne gewusst, ob sie den Hyde meinten, an den er gerade denken musste.
 

„Wir sind da, macht euch doch schon mal fertig.“

Übermüdet hoben sich die Lider der beiden Freundinnen. Sie fühlten sich wie gerädert, alle Glieder taten ihnen weh und ihre Augen fühlten sich an, als hätte man ihnen Zement in die Tränensäcke gefüllt.

„Chrissie, mein Arm ist ganz taub.“, maulte Nina müde und mit unintensiver Stimme.

Sie ruckelte ein wenig an ihrer kleinen Freundin herum, bis Diese endlich, aber mit bitterer Miene, von ihrem Arm abließ. Noch fuhren sie eine Auffahrt hoch, allerdings hatten sie keinerlei Interesse an der Aussicht, sondern hatten nur noch das Schlafen im Kopf.

„Ich bin weggepennt, oder?“, fragte Chrissie müde an Nina gewand.

„Kann sein, ich aber auch.“, antwortete Nina und gähnte.

Als der Wagen zum Stillstand kam, ruckelte es kurz, unsanft kehrten ihre Sinne wieder zu ihnen zurück. Gackt stieg aus und öffnete eine der hinteren Türen, schon hatte er sich die beiden Taschen geschnappt. Ruckartig war Nina wach und kletterte an Chrissie vorbei nach draußen, um zu Gackt zu eilen, damit sie ihm die Taschen wieder abnehmen konnte.

„Lass nur, die Taschen bekommen wir auch selber bewältigt!“, sagte sie besorgt und verlegen zugleich.

Hinter der Sonnenbrille blitzten kurz zwei Augen auf, Gackt übergab die schweren Taschen dem Mädchen vor sich und ging in die Hocke.

>>Was macht er denn jetzt?<<, wunderte sie sich.

Hinter ihr stieg auch Chrissie endlich aus und warf die Autotür zu.

„Ist nett von dir, dass du dir Sorgen machst, aber ich zerbreche nicht so schnell.“, sagte er so freundlich, dass man das Grinsen heraushören konnte.

„Ähm, ich wollte doch nur…“, stammelte Nina mit hochrotem Kopf, als er sich wieder aufrichtete und vorging.

„Hab ich was verpasst?“

Nina zuckte fürchterlich zusammen, Chrissie feixte.

„Nein! Hier bitte!“, fauchte Nina zur Antwort.

Ruppig drückte sie ihr ihre Tasche in die Hand und stapfte Gackt hinterher.

>>Ich hasse die Dunkelheit, vor allem dann, wenn es nicht mal Laternen gibt!<<, schmollte sie, als sie ihn endlich wieder eingeholt hatte.

Chrissie grinste immer noch und schüttelte den Kopf, als sie wieder zur Jüngeren Aufschloss. Schon im nächsten Augenblick erlitten die beiden Mädchen den nächsten Schock. Gackt hatte das Licht in seiner Eingangshalle angeschaltet, wie erblindet standen sie im Türrahmen und blinzelten argwöhnisch. Das Stechen hinter ihren Augen, das sich als quälender Schmerz bis hinter in die Schläfen zog, war nur schwer zu ertragen. Gackt beobachtete sie belustigt durch seine dunklen Gläser.

„Ich liebe so was!“, beschwerte sich die Größere.

„Dann weiß ich ja, was ich immer mit dir machen werde, wenn wir wieder in Deutschland sind.“, kommentierte Chrissie.

„Mach das und es gibt wieder einen Menschen weniger auf dieser Welt!“

Nina war angesäuert, Chrissie beschloss also für sich, nicht weiter ihre sarkastische Ader auszuleben und ihre Freundin in Ruhe zu lassen. Ihr Gastgeber derweilen, wusste gar nicht mehr wohin mit seinem angeheiterten Gesichtsausdruck. Er überlegte sogar schon, ob sich in Anwesenheit der beiden jungen Frauen nicht ein Dauergrinsen lohen würde.

„Ich bring euch am besten gleich in euer Zimmer, alles Weitere können wir ja dann morgen abklären.“

Eine Antwort wartete er gar nicht erst ab, schon war er ins geradezu liegende Wohnzimmer gegangen, dann nach links in einen kleinen Zwischenraum und hatte dann auch schon die ersten Stufen nach oben auf der Treppe überwunden. Müde schlichen Chrissie und Nina hinterher. Oben angekommen, machte der große, schlanke Mann schon wieder Halt und wies mit einer Hand auf das erste Zimmer von rechts.

„Das ist euer Zimmer, ich hoffe, es macht euch nichts aus, zusammen in einem Bett schlafen zu müssen.“

„Nein, warum sollte es? Wir schlafen eigentlich eh immer zusammen.“, antwortete ihm die Rotblonde irritiert.

Gackt enthielt sich seines Kommentars, es waren ja schließlich Freundinnen. Im Auto hatten sie sich ja auch schon in den Armen gelegen. Nina wurde skeptisch, die Pause erschien ihr doch schon als recht lang.

„Wir sind anständige Mädchen.“, meinte sie schließlich kleinlaut.

Gackt schien aus seinem Tagtraum wieder zu erwachen, müde griff er sich in den Nacken.

„Ja, ja… Das war jetzt eigentlich nicht… Na egal. Links daneben ist mein Arbeitszimmer, daneben mein Schlafzimmer und hier außen links daneben ist schließlich noch ein kleines Bad. Ich wünsche euch dann ein angenehme Nacht.“

„Schlaf auch gut.“, antwortete Chrissie höfflich.

„Ja! Und nicht vergessen die Kontaktlinsen herauszunehmen.“, mahnte Nina schüchtern.

Er blickte sie verdutzt an.

„Sicher…“, war alles, was ihm dazu einfiel.

Sie sahen ihm noch so lange hinterher, bis er schließlich in seinem Schlafzimmer verschwunden war und sie stillschweigend im Flur zurückblieben. Mechanisch drückte Chrissie die Klinke zu ihrem Zimmer herunter und schliff Nina hinter sich her. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, war es aus mit der Beherrschung. Sie ließen achtlos ihre Taschen fallen, sprangen sich in die Arme und quietschten das Zimmer zusammen. Kreischend folgte ein vor Freude sprudelnder Satz dem Nächsten.

„Das ist ein Traum, oder? Das kann doch nur ein Traum sein!!! Ich glaube, ich sterbe gleich wieder!“

„Wenn das ein Traum ist, dann will ich aber nicht wieder aufwachen! Nina!!! Wir sind in seinem Haus! In seinem Haus!!!“

Übermütig rannten sie auf das geradezu gelegene Kingsize Bett zu und warfen sich in den Haufen aus lauter schneeweißen Kissen.

„Ist das schön weich! Erinnere mich daran, das ich mir zu hause auch so viele Kissen zulege!“

„Ich könnte pennen…“, nuschelte Chrissie in eines der Kissen.

„Nichts da! Vorher ziehen wir uns um, waschen uns bei Gelegenheit noch und dann können wir schlafen.“
 

Gesagt, getan. In einer viertel Stunde brachten sie es fertig, sich soweit zu restaurieren, dass sie sich wieder halbwegs wohl fühlten und sich ins Bett fallen ließen.

„Ich kann doch jetzt nicht einfach schlafen! Gackt ist nur zwei Zimmer weiter!“, quiekte Nina mit einem verdächtigen Funkeln in den Augen.

„Denk du lieber daran, ebenfalls deine Kontaktlinsen raus zu nehmen.“

„Oh… Wäre keine schlechte Idee.“

„Na dann, o yasumi nasai.“
 

„…a! …ina!! NINA!!!“

Zu Tode erschrocken fuhr die Dunkelhaarige hoch.

„Chrissie?! Sag mal, geht’s dir noch gut? Warum schreist du so?“, blaffte sie die Kleine an.

Diese stupste ihre Zeigefinger aneinander und setzte einen mitleidserregenden Hundeblick auf.

„Ich bin mal wieder zu früh aufgewacht. Normalerweise hätte ich dich ja schlafen lassen, aber unter diesen Umständen…“

Nina setzte sich gerade auf und rieb sich den Schlafsand aus den Augen. Ihre Freundin kniete inmitten von zahlreichen Kissen. Die Sonne schimmerte hinter ihnen ankündigend am Horizont. Alles in dem Zimmer war irgendwie weiß, die Betten, Schränke, Kommoden und Wände. Nur der Teppich war leicht pfirsichfarbend und hier und da waren auch die Griffe der Möbel anders. Es roch häuslich, aber so, als wäre schon lange niemand mehr hier gewesen. Langsam dämmerte Nina wieder, wo sie sich aufhielten, das erkannte Chrissie an ihren, sich weitenden Augen.

„Wir sind tatsächlich hier, oder?“, fragte Nina ungläubig.

„Langsam solltest auch du es begriffen haben.“

„Tu nicht so erwachsen, gestern Abend bist du es doch gewesen, die mir das Ohr abgequietscht hat.“

„Ach! Aber du, oder wie?“

Sie schmunzelten sich an um anschließend miteinander zu knuddeln.

„Wie spät?“

„Als ich das letzte Mal auf mein Handy gesehen habe, war es kurz nach halb fünf.“

Nina seufzte, da hatten sie gerade mal erfolgreiche vier Stunden geschlafen, wenn überhaupt.

„Hast du Hunger? Mein Magen hat sich heute Morgen so seltsam angehört.“

„Schwer zu sagen, ich bin doch gerade erst meinen Träumen entstiegen. Außerdem ist es fraglich, ob Gackt schon wach ist.“

Chrissie grinste breit, Nina zog eine Augenbraue hoch, was heckte ihre ältere Freundin da wohl schon wieder aus.

„Und wenn wir einfach Frühstück machen würden?“

„Das können wir doch nicht…!“, protestierte sie mit großen Augen.

„Warum denn nicht?“

Nina fiel kein geeignetes Argument ein, also nickte sie schließlich einfach besiegt.

„Aber lass uns vorher im Badezimmer verschwinden, wenigstens meine Haare möchte ich heute waschen.“

„Dann mach das aber unten, sonst wird er noch wach.“

Sie rutschten von ihrem Bett herunter, Nina steuerte zielstrebig ihre Tasche an und kramte ihre Waschtasche heraus. Anschließend öffneten sie vorsichtig die Tür und lugten in den Gang. Es war totenstill, also schlichen sie los, die Stufen der Treppe hinunter und dann um die nächste Ecke. Währendessen knackte immer wieder irgendein Gelenk von einem der Beiden.

„Mensch Nina!“

„Kann ich was dafür? Es beweißt wenigstens, dass ich noch lebe und auch nicht träume.“, versuchte sie sich zu rechtfertigen.

„So kann man es auch sehen…“, flüsterte Chrissie unhörbar leise vor sich hin.

Sie staunten nicht schlecht, dafür, dass in diesem Haus ein Superstar wohnte, war die Einrichtung doch relativ schlicht. Nicht viel anders vom Stil her, als in anderen Häusern. Mal abgesehen davon, dass die meisten Möbel weiß waren. Der Fußboden hingegen war aus dunklerem Holz gemacht, hier und da lag auch mal ein Teppich.

„Sympathisch, gefällt mir gut.“

„Wie man’s nimmt. Ist mir persönlich zu eintönig.“

„Ach Chrissie… Ich finde den Kontrast zwischen den Möbeln und dem Fußboden genial. Außerdem ist es garantiert leichter sauber zu halten.“

Nach einer Weile schienen sie endlich die Küche gefunden zu haben, sie war mit Lenolium ausgelegt und ebenfalls weiß. Momentan jedoch war sie in ein zartes Orange getaucht.

„Ok, ich schau mal, was Kühlschrank und Schränke so hergeben. Du kannst ja in der Zwischenzeit nach dem großen Badezimmer Ausschau halten.“

„Mach ich, aber ich könnte wetten, dass ich mich wieder verlaufe.“

„Nina, das hier ist ein Haus. Nicht der Alexanderplatz, wo du Schwierigkeiten haben könntest, den Fernsehturm zu finden.“

Chrissie machte es sichtlich Spaß, Nina mit dieser Geschichte aufzuziehen, doch Nina ließ sich davon nicht weiter provozieren. Sie wusste, dass ihr Orientierungssinn so ausgeprägt war, wie Schildkröten sprinten konnten.

„Stimmt schon, aber kannst du dich noch daran erinnern, als wir das erste Mal bei Sanna und Ina daheim waren? Hätte mir Sanna damals nicht gezeigt, wo die Toilette ist, würdet ihr heute noch nach mir suchen.“

„Als ob nach dir jemand suchen würde.“, gab sie sarkastisch zurück.

„Ich hab dich auch lieb!“, zeterte Nina vorwurfsvoll klingend.

„Jetzt mach endlich, wenn wir heute noch was Gescheites schaffen wollen, sollten wir nicht weiter trödeln.“

„Ja, ja, ist ja gut…“, maulte die Jüngere betreten und machte sich auf die verzweifelte Suche nach dem richtigen Raum.
 

Chrissie sah ihre Freundin erst nach einer dreiviertel Stunde wieder um die Ecke biegen. Ihre Haare waren noch nass, aber sie lächelte zufrieden.

„Ich dachte, du wärst endlich abgesoffen.“, meinte Chrissie, die gelangweilt auf einem Stuhl saß und den Tisch mit ihren Fingerkuppen bearbeitete.

„Nein, da muss ich dich enttäuschen. Nachdem ich das Bad hier unten endlich gefunden habe, musste ich mich erst einmal beruhigen. Es ist ein richtig schöner Raum; weiße und blaue Fliesen, eine ummantelte Wanne und eine durchsichtige Dusche. Die habe ich dann gleich noch voll ausgekostet.“, antwortete sie weiterhin mit einem fröhlichen Gesichtsausdruck.

Als sie aber schließlich realisierte, dass ihre Freundin nicht gerade einen begeisterten Eindruck machte und auch noch alles ziemlich leer aussah, wich ihre fröhliche Miene schließlich und sie begann einen fragenden Blick aufzusetzen.

„Was ist denn los? Wolltest du nicht eigentlich schon ein paar Sachen rausstellen?“

„Och ja, eigentlich schon. Dazu müsste es aber erstmal etwas geben, was man rausstellen könnte.“, erwiderte sie kratzbürstig.

„Heißt das, es herrscht Ebbe in seinen Schränken?“, hakte Nina ungläubig nach.

„Nicht ganz, ich habe eine Packung mit Instant Miso Suppe gefunden. Davon wird der Kohl aber auch nicht fett.“

Es wurde still unter ihnen. Doch Chrissie schien eine Idee zu bekommen.

„Rein Theorätisch gibt es hier überall 24 Stunden-Shops. Einer von uns könnte ja mal eben Ausschau nach so einem Laden halten, das Nötigste einkaufen und dann wieder zurückkommen.“

„Können wir das nicht zusammen machen?“

Chrissie warf Nina einen eindringlichen Blick zu. Ihre Freundin zuckte unschuldig mit den Schultern.

„Wenn du mir verraten kannst, wie wir dann wieder ins Haus kommen, gerne.“

Da ging Nina ein Licht auf und sie kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

„Sorry, mein Gehirn arbeitet noch auf Sparflamme.“

„Ist das nicht dein Dauerzustand?“

„Treib es nicht zu weit Chrissie.“, mahnte Nina eindringlich, ohne ihrer Freundin jedoch wirklich böse zu sein.

„Sorry, ich würde vorschlagen, dass ich mich auf den Weg zum nächsten Shop mache, das ist bei deinem Orientierungssinn wahrscheinlich das Beste. Halt du die Stellung solange.“

Die Größere Nickte zustimmend.
 

Nachdem sie sich beide wieder vernünftig angezogen hatten, entließ Nina ihre blauäugige Freundin über die Terrasse nach draußen und ließ sich wartend auf der gemütlichen Ledercouch nieder. Inzwischen war es halb sechs geworden, hoffentlich hatte Chrissie schnell Erfolg, allzu lange würde ihr Gastgeber sicherlich nicht mehr so ungerührt schlafen. Doch schon nach nur knapp einer halben Stunde klopfte Chrissie wieder gegen die Glastüren, aufatmend ließ Nina sie wieder herein.

„Das ging ja sogar recht schnell.“

„Ich sag doch, solche Läden gibt es fast an jeder Ecke. Allerdings war es gar nicht so einfach, das ganze Zeug auch auseinander zu halten. Die Produkte sind alle so dermaßen mit Etiketten zugekleistert, da bekommt man doch ne Klatsche!“

Nina nahm ihr grinsend die Tüte ab und trug sie in Richtung Küche.

„Am besten, ich mach mich jetzt auch mal fertig mit duschen und so weiter und du fängst einfach schon mal an, hier was hinzukriegen.“

„Hast du Brötchen?“

„Ja, irgendwo in so einer blauen Dose. Ich verschwinde dann mal.“

Schon war ihre Freundin um die Ecke gebogen.

>>In einer Dose?<<, dachte Nina für sich, als sie die Tüte durchforstete und nacheinander alles auspackte.

>>Tatsächlich, eine Dose…<<

Stillschweigend stellte sie die vermeintliche Brötchendose neben zwei Packungen Milch, Kakaopulver, einem Glas Marmelade und einem anderen mit Nutella, einem Paket Bismati Reis, einer Packung Eier, drei großen Flaschen Volvic, Nudeln in verschiedenen Variationen, Saucen, und schließlich noch Obst und Gemüse. Vorsichtshalber hatte Chrissie noch Kaffe und Tee mitgebracht.

>>Noch ein wenig mehr und sie hätte gleich einen Großeinkauf starten können… So, was mach ich jetzt am besten?<<

Etwas unsicher suchte sie in den Schränken nach Töpfen, die Auswahl war etwas karg. Klar, wenn man alleine lebte brauchte man nicht so viel an Geschirr, aber ein wenig mehr hätte nun wirklich nicht den Weltuntergang bedeutet, dachte sie sich im Stillen und stellte einen Topf mit Wasser auf die Cerankochplatte. Nebenbei breitete sie die sechs Brötchen zum Aufbacken auf dem Backblech aus, schob sie in den Ofen, schaltete den Wasserkocher an und setzte in einem anderen Topf Reis auf. Mit der ganzen Vorbereitung verbrachte sie etwa 20 Minuten. Hinter sich hörte Nina tapsende Schritte.

„Und? Wie weit bist du schon?“, fragte Chrissie, die ein Handtuch um ihre Haare gewickelt hatte.

Ihre Freundin verstaute den Rest, abgesehen von ein bisschen Gemüse, in den leeren Schränken.

„Die Möhren und eine halbe Zwiebel müssten noch klein geschnitten werden, alles andere wird langsam von selber fertig.“

Prüfend lugte Chrissie über die Töpfe und in den Ofen, am Ende schien sie aber sehr zufrieden.

„Fein, dann mach ich jetzt noch das mit dem Kleinschneiden.“, sagte sie begeistert und machte sich sofort ans Werk.

Kopfschüttelnd stand Nina neben ihr und schaue auf ihre Finger. So begannen sie bald ein kleines Gespräch, in dem sie ihre Umgebung einfach ausblendeten und sie sich wie zu hause fühlten. An den Gedanken, dass sie sich in Gackt’s Haus befanden, hatten sie sich endlich gewöhnt, dass er sie aber nicht lange alleine lassen würde, hatten sie schon längst vergessen.
 

Schlaftrunken hoben sich seine Lider, nach mehrfachen Blinzeln nahm er seine Umgebung wieder deutlich war, sein Wecker zeigte es kurz vor acht Uhr. Ein angenehmer Geruch reizte seine Sinne und veranlasste ihn dazu, sich aufzusetzen. Ein leichter Muskelkater lag noch schwer in seinen Gliedern, aber der war nach einigen leichten Dehnungsübungen längst wieder verschwunden. Was blieb war allerdings der Duft von frischen… Brötchen? Langsam dämmerte es dem Dunkelhaarigen wieder.

>>Ach ja, ich habe ja gestern Nacht spontan zwei junge Frauen aufgegabelt… Ich muss sehr fertig gewesen sein. Da hab ich ja was angestellt.<<

Aus einem seiner Schränke holte Gackt eine helle, violettfarbene Hose aus Satin, und ein legeres, weißes Hemd. Schnell griff er noch nach seinen Kontaktlinsen, sein nächster Gang führte ihn ins kleine Bad neben seinem Zimmer, um seine Gäste machte er sich vorerst noch keine Sorgen. Erst als er frisch geduscht in seine Sachen schlüpfte und wieder in den Flur hinaus trat, machte er erste Überlegungen, ob es gescheit war, zwei fremde Leute unten in seiner Küche werkeln zu lassen. Kurzum, er schritt seine Treppe hinunter und schmulte in die duftende Küche. Da standen die Beiden und unterhielten sich eifrig in ihrer Sprache. Die Rotblonde trug eine hellblaue Jeans und ein asiatisches Oberteil, rosa und mit Kirschblütenmuster, welches ihr fast bis in die Knie ging. Die Größere hingegen hatte eine schwarze Hose und ein schwarz-rosafarbenes Oberteil mit offenen, kurzen Ärmeln an. Eine von ihnen hatte wohl das Fenster geöffnet, so dass ein angenehmes Raumklima herrschte und das Zwitschern der Vögel zu hören war. Gackt beschloss, die Beiden einfach noch solange im Auge zu behalten, bis sie ihr unangemeldetes Werk vollendet hatten. Allzu viel konnte er aus seinem Blickwinkel leider nicht erkennen.

„So, rein theoretisch müssen nur noch die Brötchen aus dem Ofen. Der Reis ist fertig, die Miso Suppe hat auch gezogen, Möhrchen und Zwiebeln sind hinzugefügt, das Obst ist in einer Schale aufgestapelt und die Teller stehen auch.“, fasste Chrissie stolz zusammen.

„Genau, heiß Wasser für Tee steht auch bereit. Hol schon mal den kleinen Korb her.“

Chrissie tat wie ihr geheißen und brachte ihrer jüngeren Freundin das kleine Körbchen, in den Nina ein heißes Brötchen nach dem anderen vom Blech schob.

„AUTSCH! Argh! Die Handschuhe sind nicht richtig dicht! Verdammt!“, fluchte Nina plötzlich.

Sich beherrschend schob sie noch eiligst das letzte Brötchen vom Blech, um Dieses Anschließend grob wieder im Ofen zu versenken, sich die Handschuhe von den Händen zu reißen und die betroffenen Stellen dann am Waschbecken unter einen kalten Wasserstrahl zu halten. Chrissie lachte herzlich über Nina’s Gesichtsausdruck, aber auch sie selbst konnte nicht anders als zu schmunzeln. Gackt verschränkte ebenfalls grinsend seine Arme im Türrahmen. Ihm tat es schon ein wenig leid, dass er sie nicht vor den abgenutzten Handschuhen gewarnt hatte, aber sie schien die Situation ja ohne großen Jammer, sondern mit viel Humor zu nehmen.

„Mensch, ich würde ja glatt behaupten, dass wir stolz auf uns sein können! Na Nina, willst du Gackt wecken gehen?“, fragte sie mit einem breiten Grinsen auf den Lippen und mit einem ganz bestimmten Blick.

Wie sie erwartet hatte, legte sich sofort dezentes Rot auf Nina’s Wangen und sie sah sie mit großen Augen an.

„Ich glaube, dass bring ich nicht übers Herz. Mal abgesehen davon, dass ich außerdem an einem Herzkasper sterben würde, kann ich doch nicht einfach in seine Privatsphäre eindringen.“

Während Nina krampfhaft versuchte, nach irgendwelchen Ausflüchten zu suchen, hatte Gackt durchaus seinen Namen wahrgenommen. Er brannte darauf zu erfahren, worüber sich die Beiden denn so eifrig unterhielten, doch wie sollte er es unauffällig anstellen, sich zu ihnen in die Küche zu gesellen, ohne das sie sofort bemerken würden, dass er sie die ganze Zeit über beobachtet hatte? Genau in diesem Moment drehten sich Chrissie und Nina in seine Richtung, schnell hatte er sich zurückgezogen und lief wieder einige Schritte die Treppe hinauf. In der Mitte etwa drehte er sich wieder um, holte tief Luft und versuchte so normal zu wirken, wie nur irgendwie möglich. Genau wie erwartet, bogen sie um die Ecke und schauten überrascht nach oben. Sie waren sofort damit beschäftigt, ihre eben gefallenden Kinnladen wieder an Ort und Stelle zu rücken. Gackt kam ihnen mit glitzernden, nassen Haaren, in dieser legeren Hose, mit einem nicht zugeknöpften Hemd und nach Platinum Egoisté duftend die Treppe herunter. Mit einer Handbewegung strich er sich ein paar vereinzelte, tropfende Strähnchen aus dem Gesicht. Schließlich blieb sein Blick an den verlegenden Mädchen hängen, sie konnten ihre Augen einfach nicht von ihm nehmen. Schnell zog sich Chrissie das Handtuch vom Kopf. Natürlich trimmte er seinen Gesichtsausdruck auf überrascht.

„Oh, guten Morgen die Damen.“

Sie hüllten sich in Schweigen, dieser Anblick hatte sie für einen Moment in einen Trancezustand versetzt, dessen Nachwirkungen vollkommene Sprachlosigkeit und geweitete Augen waren. Gackt brauchte nicht lange um zu begreifen, dass er gerade angestarrt wurde und musste deswegen verlegen schmunzeln. Er griff sich in den klammen Nacken und nahm die letzten Stufen bis zu ihnen hinunter.

„Gu-Guten Morgen…“, stammelten beide schließlich enorm verspätet.

„Riecht ja sehr appetitlich hier unten, mit so etwas habe ich gar nicht gerechnet, freiwillige Köche hat man ja schließlich nicht alle Tage.“, sagte er fröhlich und betrat seine Küche.

Er staunte nicht schlecht, da war ja eine reichliche Auswahl an Essbarem gewesen. Da fiel ihm auf einmal etwas ein, missmutig drehte er sich zu den beiden Freundinnen um.

„Da fällt mir ein, ich habe doch gar nichts da gehabt. Seid ihr etwa extra einkaufen gegangen?“, meinte er leicht besorgt.

Verlegen lächelnd winkten die Beiden beschwichtigend ab und schüttelten die Köpfe.

„Lass nur, das geht für das eine Mal schon in Ordnung. Als kleines Dankeschön dafür, dass wir hier übernachten durften sozusagen.“, erklärte die Ältere ruhig.

Gackt lächelte kurz und setzte sich anschließend an den Tisch.

„Dann wollen wir es mal nicht kalt werden lassen.“

Chrissie und Nina sahen sich zufrieden an und gesellten sich dann dazu. Während Gackt sich Reis in ein Schale schaufelte, seine Suppe umrührte und sich Tee aufgoss, blieben sie beide bei dem, was sie kannten. Genüsslich schnitten sie sich jeweils ein Brötchen auf, beschmierten die Hälften mit Marmelade oder Nutella und rührten sich in einer Tasse kalten Kakao an. Eine längere Zeit über aßen sie alle schweigend und versuchten, sich auf ihre eigenen Teller, bzw. Schalen zu konzentrieren. Doch Gackt ließ es sich nicht nehmen, hin und wieder zu seinen Gästen hinüber zu schmulen. Chrissie war nicht ganz so konzentriert gewesen wie Nina, daher fiel ihr sein Blick auf die Brötchen und die Marmelade durchaus auf, sie grinste.

„Möchtest du vielleicht auch ein Brötchen?“, fragte sie, nachdem er aufgegessen hatte und seine Blicke dennoch nicht abreißen wollten.

Verdutzt sah er sie an, auch Nina blickte interessiert von ihrem Teller auf, gerade war sie mit ihrem ersten Brötchen fertig geworden.

„Ähm, ich weiß nicht so recht…“, begann er unentschlossen.

Gott fanden sie dieses zurückhaltende Verhalten niedlich! Am liebsten hätten sie wieder gequietscht. Vor allem weil sie wussten, warum er so zögerlich dem Angebot gegenüber stand.

„Deine Figur ist perfekt, da tut dir ein Brötchen auch keinen Abbruch. Außerdem stehen doch noch ein paar Auftritte an, oder? Da sind die paar Kalorien schneller wieder weg, als sie überhaupt je drauf gewesen sind.“

Er starrte Chrissie zuerst überrumpelt an, dann legte er verlegen schmunzelnd seine rechte Hand an sein Kinn und flüchtete seine Blicke gen Boden. Auch Nina hatte Mühe gehabt, nicht zu lachen und hustete nun fürchterlich.

„Was denn?“, fragte Chrissie unschuldig tuend.

Sie hatte ja Recht gehabt mit dem was sie sagte, aber Gackt war es doch irgendwo unangenehm, wenn er feststellte, dass wildfremde Menschen ihn durchschauten. Damit musste er sich aber wohl langsam mal abfinden. Als er ihnen dann endlich wieder in die Augen sah, beschloss er, seine Vorsätze über den Haufen zu werfen und griff genüsslich in den Brötchenkorb.

„Ok, warum eigentlich nicht?“, sagte er selbstzufrieden.

Froh, ihn dazu bewegt zu haben, langten auch Nina und Chrissie noch einmal hinein.
 

Das restliche Frühstück verlief belanglos, aber wesentlich entspannter also zuvor. Pappsatt lehnten sie sich schließlich Luft holend zurück.

„Das war hervorragend, dürfte ich nun vielleicht auch die Namen meiner charmanten Köchinnen erfahren, bei denen es sich zu bedanken gilt?“, schmeichelte er ihnen freundlich.

Verdutzt sahen sich die beiden Freundinnen an.

„Wir haben ihm noch gar nicht unsere Namen gesagt?“, fragte Nina an Chrissie gewand.

„Sieht nicht so aus. Daran würde ich mich wahrscheinlich noch erinnern.“, beantwortete sie ihre Frage.

Peinlich berührt knibbelten sie an ihren Fingern herum. Gackt wartete geduldig auf eine Antwort.

„Ihr müsst nicht immer in eurer Sprache sprechen, wenn euch etwas unangenehm ist.“

Diese Aussage, auch wenn sie nicht im Geringsten böse gemeint war, ließ sie nur noch verlegender werden.

„Ano~…, ich heiße Annina…“, antwortete sie schließlich als Erste.

„Ich bin Christin.“, schloss die Ältere halblaut an.

Gackt stutzte und Chrissie wusste ganz genau warum.

„Kuris… Kurizu… Kurizuchin?“, versuchte er verzweifelt nachzusprechen.

Nina versuchte sich das Lachen zu verkneifen, ihre Freundin machte einen verzweifelten Eindruck.

„Chris – tin“, wiederholte sie noch einmal vorsichtig.

„Kurisutin…“, versuchte er es nochmals, jedoch ohne richtigen Erfolg.

Chrissie ließ ihren Kopf auf der Tischkante nieder, Nina lachte tonlos, nur ihre Zuckungen machten einem klar, das sie nicht an einem Erstickungsanfall litt. Gackt setzte eine entschuldigende Miene auf, mit Namen hatte er noch nie so arge Probleme gehabt.

„Ist schon in Ordung… Lassen wir das fürs Erste.“, meinte Chrissie schließlich aufmunternd und haute Nina ihren Ellenbogen in die Seite, dass diese sich lautstark beschwerte und Gackt wieder auflachte.

Beleidigt warf sie ihrer älteren Freundin vorwurfsvolle Blicke zu, doch Diese wurden einfach geschickt ignoriert.

„So, nun erzählt mal was von euch. Was hat euch denn nach Japan verschlagen?“
 

Sie begannen abwechselnd zu erzählen, wie sie zu der Reise gekommen waren und wie ihr erster Abstecher durch die Stadt für sie ausgesehen hatte. Gackt staunte, wie locker die beiden Frauen diesen Schock weggesteckt hatten, doch lachte er, als er hörte, wie sie sich hatten retten können.

„Tja, nachdem sie nun Vanilla geschrieen hatte, konnten wir aus dem Auto flüchten, haben eine Hetzjagd durch das gesamte Viertel veranstaltet und sind dann schließlich in der U-Bahn entkommen.“

„Ich hatte ja keine Ahnung, dass Lieder von mir auch solche Wirkungen haben können.“, meinte er belustigt.

„Die haben auch nur bei Nina solche Wirkungen…“, sagte sie mit einem unterschwelligen, sarkastischen Tonfall.

Nina nahm ihr diese Aussage übel, sie wurde mit jeder Berichterstattung immer verlegender. Musste Chrissie denn immer so ins Detail gehen? Schließlich waren sie bei seinem Konzert angekommen, wonach es ja nicht mehr viel zu erzählen gab.

„Da habt ihr ja schon allerhand erlebt.“

Sie seufzten geschafft vom vielen Reden, der Dunkelhaarige ordnete noch ein wenig das Gespräch.

„So, das war dann erstmal das Wichtigste. Aber sag mal, was war das gestern im Auto noch gleich? Hast du da Hyde gesagt?“, fragte er an Chrissie gewand.

Nina war damit beschäftigt, bereits abzuräumen, horchte aber mit einem Grinsen auf den Lippen auf. Chrissie bekam wieder ihren Grinsekrampf und begann nach einem Anfang zu suchen.

„Nun, Careless Whisper wurde auch mal von ihm gesungen. Seitdem schwirrt mir immer das Video mit ihm im Kopf rum, wenn ich es höre.“

„Ah ja… Davon wusste ich gar nichts.“

Hatte er sich also nicht geirrt, das Grinsen in seinem Gesicht wurde immer breiter, tatsächlich versuchte er, es hinter seiner Hand zu verstecken. Dieses Verhalten erschien Chrissie doch etwas auffällig. Plötzlich klingelte es an der Tür, erschrocken drehten sich die Mädchen um.

„Wer ist denn das?“, fragte Chrissie skeptisch nach.

Gackt tat unwissend und zuckte mit den Schultern. Es klingelte noch mal.

„Sollten wir nicht aufmachen?“, fragte Nina.

Gackt nickte nur, seine Miene wollte einfach nicht mehr ernst werden.

„Bitte, du kannst ruhig aufmachen gehen.“, sagte er an Chrissie gewand.

„Soll ich wirklich? Darf ich das denn?“

„Aber sicher, mach nur.“

Er hörte sich schon beinahe drängelnd an, also stand Chrissie verunsichert auf und verschwand aus der Küche. Nina sah ihr noch kurz hinterher, bis sie zufällig auf Gackt’s Blick traf, der ihr wieder das Blut in den Kopf steigen ließ. Schnell wand sie sich wieder der Spüle zu.

„Ähm, wer soll das denn an der Tür sein?“

Gackt stand auf und trug die letzten Teller zu ihr hinüber.

>>Oh mein Gott!<<, schoss es ihr durch den Kopf, als sie im Augenwinkel seine helle Haut schimmern sah und ihr sein Parfüm in die Nase stieg.

„Wirst du gleich sehen.“, antwortete er ihr, nichts von ihrer Reaktion merkend.

Nina drehte sich um und griff in ihre noch ungeordneten, klammen Haare. Sie und Gackt warteten darauf, dass endlich ein Zeichen vom anderen Ende des Hauses kam, vergeblich. Selbst Gackt wurde langsam ungeduldig.

„Soll ich vielleicht mal nachsehen gehen?“, fragte Nina schließlich schüchtern.

„Ja, wäre vielleicht besser.“, antwortete er ihr.

Schon flitzte Nina durch die Küche bis ins Wohnzimmer, wo sie dann aus Gackt’s Blickfeld verschwand. Gespannt wartete er ab.

>>Mal sehen, was jetzt passiert.<<, dachte er vorfreudig.

Noch einen Moment lang blieb es still, doch dann…

„MAY-CHAN!!!“

Sekiray

04 Sekiray
 

****Ich habe die Stimme des Windes gehört. Ich will wissen, wie der Traum weitergeht. Niemand kann es mir sagen.

Wie eingehüllt in diesen kleinen Körper, bin ich umarmt von der Freundlichkeit der Bachstelze.****
 

Sein vorfreudiges Grinsen entglitt ihm, genau wie sämtliche andere seiner Gesichtszüge auch.

>>May-chan?<<, wiederholte er in Gedanken.

Einen Moment lang wartete er noch weitere Reaktionen ab, doch nach diesem lauten Freudenschrei blieb es verdächtig still. So entschloss sich Gackt, seinen Standpunkt zu verlassen und sich zügig in den Eingangsbereich zu bewegen. Bereits als er um die Ecke spähte, zeichnete sich ein interessantes Bild ab. Chrissie war anscheinend drei Schritte zurückgegangen und starrte wie gebannt auf einen kleineren Mann, der in einer weiten Jacke mit Kapuze vermummt im Türrahmen stand und in seinen Händen jeweils eine Tragebox mit einem Tier drinnen hielt. Seine Augen waren im Schatten der Kapuze versteckt, doch anhand seines leicht geöffneten Mundes konnte man erkennen, dass er ziemlich überrascht, oder zumindest verdutzt sein musste. Nina rutschte währendessen vergnügt und vor Freude quietschend am Boden herum, direkt vor einer der Transportboxen.

„Eine Katze! Eine Katze! May-chan!“, quietschte sie übermütig, öffnete die soeben abgestellte, große Box und wartete darauf, dass sich die große Maine Coon trauen würde, sie zu verlassen und ihr angestammtes Heim wieder zu betreten.

Immer noch irritiert rührte sich der Vermummte kein Stück, jedoch erkannte er nicht weit hinter der starrenden Rotblonden Gackt, der ihm schmunzelnd zuwinkte. Chrissie fixierte ihr Gegenüber ganz genau, ihr drängte sich der starke Verdacht auf, dass sie diese Person verdammt gut kannte, zumindest vom Sehen her.

>>Ich glaub es nicht, das kann doch gar nicht sein! Er kann es doch nicht tatsächlich sein!<<, schoss es ihr immer wieder durch den Kopf.

Gleich als sie die Tür geöffnet hatte, war ihr diese verblüffende Ähnlichkeit aufgefallen. Von Ähnlichkeit konnte gar nicht die Rede sein, so konnte einfach nur diese eine Person aussehen! Es bestand eigentlich kein Zweifel mehr, er musste es einfach sein! Nina begann schließlich auch irgendwann zu realisieren, dass es um sie herum verdächtig still geworden war. Dem starren Blick ihrer Freundin folgend, blieb auch sie schließlich an der im Türrahmen stehenden Person hängen. Einen Moment brauchte sie noch, doch dann begannen auch ihre Augen ungeahnte Ausmaße zu bekommen. Gackt beobachte alles sehr interessiert, der Kleinere im Türrahmen räusperte sich lautstark an ihn gewand. Im der anderen Box begann nun Belle sich lautstark zu melden, so dass alle Anwesenden kurz zusammenzuckten. Gackt’s Mundwinkel schmerzten bereits vom vielen Grinsen, sich am Hinterkopf kratzend, schlängelte er sich an den beiden erstarrten Frauen vorbei, bis hin zu dem vermeintlichen Gast. Dieser schien ihn noch durch die Kapuze hindurch mit seinen Blicken zu strafen.

„Schön, dass du hier bist. Danke, dass du dich meiner Tiere angenommen hast, ich hätte sonst ehrlich nicht gewusst, wohin mit ihnen.“

Noch während er das sagte, nahm er ihm die zweite Box mit Belle ab und befreite sie. Natürlich war das Erste, was sie tat, wie eine Wilde um ihr Herrchen zu toben, an seinem Bein hochzuspringen, vor Freude zu kläffen und mit dem Schwanz zu wedeln.

„Kein Problem, der Kleine hat sich gefreut.“, antwortete der Vermummte.

Chrissie und Nina schlugen sich ihre Hände vor den Mund, um sich jegliche Laute zurückzuhalten. Diese Stimme war einzigartig! Ein Lächeln tat sich unterhalb der Kapuze auf, kurz spähte der kleinere Mann zu ihnen an Gackt vorbei.

„So, was würdest du davon halten, wenn ich dich jetzt bitten würde, diese Situation mal aufzuklären? Stell mir doch mal deinen netten Besuch vor.“

Bei dieser Aussage wurden die beiden Gemeinten verlegen und sahen sich unsicher an. Ihr Gastgeber drehte sich seufzend zu ihnen um, ließ seinen neueren Gast eintreten und schloss die Tür hinter sich. Chrissie spähte immer wieder heimlich unter die weite Kapuze, dunkelbraune, fast schwarze Strähnchen lugten immer wieder hervor.

„Gut, darf ich vorstellen?“, begann Gackt vorbereitend.

Herzrasen stellte sich bei den Freundinnen ein, aber besonders verstärkt bei Chrissie. Sie wussten ja schon ganz genau, wer sich da jetzt innerhalb der nächsten Augenblicke vor ihnen zu erkennen geben würde. Noch ehe sie ihren Gedankengang beendet hatten, schlug er die Kapuze zurück und lächelte sie zur Begrüßung freundlich an.

„Das ist Hyde, was ihr sicherlich schon geahnt habt. Er hat sich um meine Tiere gekümmert, als ich in entfernteren Gegenden auf Tour war.“

STILLE

Sie waren sprachlos, nicht mehr fähig irgendwelche geordnete Gedankengänge zu tätigen. Hyde trug seine Haare schulterlang, durchgestuft und fransig geschnitten. Sein Gesicht zeigte, dass er in letzter Zeit nicht allzu viel Stress gehabt haben konnte, er wirkte nämlich recht erholt. Wie er jetzt da so vor ihnen stand, in diesen übergroßen Klamotten, in dieser legeren Haltung, mit dieser frechen Frisur und dem niedlichsten Lächeln überhaupt auf den Lippen, hätten sie ihn am liebsten einfach nur umgeknuddelt. Gespannt musterte Hyde die beiden Maiden und sah hin und wieder zu Gackt auf, der krampfhaft versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken.

„Nun, es freut mich euch kennen zu lernen.“, sagte Hyde, während er skeptisch zu Gackt sah.

>>Was hat er da nur wieder angestellt?<<

Die beiden Mädchen nickten und verbeugten sich kurz. Verzweifelt versuchten sie ihre Sprache wiederzuerlangen, doch bisher scheiterte diese Mission bisher immer schon am ersten Wort.

„Hyde, diese beiden Damen habe ich gestern Abend aufgegabelt. Sie waren auf einem Konzert von mir gewesen und danach hat sich das dann einfach so ergeben. Es ist doch eine recht komplizierte Geschichte.“

„Ja, ja, das ist es bei dir ja immer. So was ist dir allerdings noch nie passiert. Wie auch immer, verratet ihr mir vielleicht eure Namen?“

Chrissie sah Nina schmerzlich an, sie wusste, was demnächst folgen würde.

„Ähm, mein Name ist Annina…“, flüsterte sie leise.

Hyde nickte lächelnd und wendete sich anschließend der Blauäugigen zu, die ihre Hände in den Rücken legte und zögerte, mit ihrem Namen herauszurücken. Gackt wand sein Gesicht ab, er wollte sie nicht noch verlegender machen. Immerhin wusste er genau, wie kompliziert ihr Name auszusprechen war.

„Ich… Ich heiße Christin…“, murmelte sie schließlich halblaut.

Genau wie erwartet wich das Lächeln aus Hyde’s Gesicht, er versuchte angestrengt diesen Namen und seine Aussprache zu verarbeiten.

„Kurisutin?“, fragte er unbeholfen nach.

Chrissie schlug die Hand vor die Augen, immerhin hatte Hyde im Gegensatz zu Gackt sofort die korrekte, japanische Aussprache ihres Namens gefunden, aber es hörte sich so furchtbar an. Doch sie gab beiden Japanern noch eine zweite Chance.

„Und wie ist es mit Chrissie?“

Die Männer sahen sich kurz an, es klang ein wenig amerikanisch. Doch ob ihnen das gelingen sollte? Tatsächlich versuchten sie es auszusprechen, mit verzerrter Miene vergrub die Kleinere ihr Gesicht an der Brust der Größeren, es war hoffnungslos. Schmunzelnd klopfte Nina ihrer Freundin auf den Rücken. Gackt und Hyde sahen beschämt zur Seite, so eine Pleite zu erleben war doch peinlicher, als sie je vermutet hätten.

„Nimm es nicht so schwer Enah-chan.“, tröstete Nina.

Plötzlich wurden die beiden Beschämten hellhörig.

„Enah?“, wiederholten sie gleichzeitig.

Die Freundinnen sahen sich verdutzt an, gleich danach warfen sie Hyde und Gackt ebenfalls solche Blicke zu. Chrissie nickte stockend.

„Wie kommt ihr denn auf diesen Namen?“, fragte Hyde interessiert.

Da Chrissie sich sofort wieder damit beschäftigte, Hyde’s Antlitz zu bewundern und keine Sekunde von seinen Lippen zu weichen, übernahm Nina das Antworten.

„Enah ist ihr Künstlername auf einer Internetseite bei uns. Ich heiße da zum Beispiel Nea-chan. Da wir unsere Namen generell überall benutzen, wo einer gebraucht wird, nennen wir uns manchmal auch privat so.“

Ein Strahlen machte sich in den Gesichtern der beiden Musiker breit, so, als würden die Sterne gerade aufgehen.

„Ja, könnten wir dich dann nicht auch eventuell Enah nennen? Der Name ist nicht schlecht und wesentlich leichter auszusprechen.“, meinte Gackt bittend.

Chrissie brauchte nicht lange zu überlegen, sie mochte diesen Namen und es machte ihr nicht im Geringsten etwas aus, auch so genannt zu werden. Schon gar nicht von ihren zwei Lieblingsstars! Lächelnd nickte sie ihnen zustimmend zu. Erleichtert atmeten die beiden anderen aus.

„Wie es aussieht, ist das Gröbste dann wohl geklärt. Was haltet ihr davon, wenn wir es uns jetzt ein wenig im Wohnzimmer gemütlich machen und uns ein wenig besser kennen lernen?“, fragte Gackt schließlich Hände reibend.

„Gerne, ich muss dringend aus diesen Klamotten raus, draußen herrscht eine Hitze, davon träumt ihr nur.“, antwortete Hyde.

„Außerdem interessiere ich mich brennend für die Geschichte eures Zusammentreffens, ich bezweifle nämlich, dass du, Gackt, irgendwelche Groupies mitnehmen würdest. Und euch beiden traue ich nicht zu, dass ihr zu dieser Sorte von Fans gehört.“, fügte er noch hinzu.

Sie liefen rot an, nein, Groupies waren sie ganz bestimmt nicht. Gackt schmunzelte noch einmal und lief dann vor in Richtung Stube. Belle wich keinen Moment von seiner Seite und gab erst Ruhe, als ihr Herrchen sich niedergelassen hatte und sie sich auf seinem Schoß breitmachen konnte. Hyde pellte sich im Flur noch schnell aus seiner Übergroßen Jacke und einem dicken, wollenden Pullover, der seinen geringen Körperumfang vertuschen sollte. Zum Vorschein kam ein rotes, ärmelloses, anliegendes Shirt mit einem verzwirbelten, schwarzen Muster darauf. Seine Hose war olivgrün, dunkel und schlackerte ein wenig an seinen Beinen. Die Mädchen wurden bald nicht mehr, sie waren völlig aus dem Häuschen! Gerade Chrissie musste nach Luft ringen und sich jegliches Quietschen verkneifen. Er sah nicht nur ansehnlich aus, an den Schultern lugten unter dem Shirt die Spitzen seiner Flügel heraus. Beide krallten sich aneinander fest, liefen vor Sauerstoffmangel bereits rot an und drucksten nur noch vor sich hin. Schließlich aber nahmen sie das Atmen doch wieder auf und gesellten sich zu Gackt und Hyde um den Marmortisch. Sie saßen den Beiden gegenüber und sahen sich eine Weile lang stumm an. Nina schmulte immer wieder unauffällig zu Belle hinüber, die sich genüsslich in Gackt’s Schoß suhlte. Irgendwie beneidete sie die kleine Hündin. Schnell war sie jedoch wieder abgelenkt, May schlängelte sich durch ihre Beine und sprang neben sie auf die Couch. Freudig piepste Nina ihren Namen und kraulte die große Katze hinter den Ohren. Diese ließ es sich gerne gefallen und rollte sich schon bald schnurrend zusammen. Chrissie grinste, als sie beobachtete, wie verwundert Gackt und Hyde Nina und May musterten.

„Nicht weiter beachten, Nina hat einen totalen Fable für Katzen. Sobald sie eine sieht, setzt bei ihr alles aus, aber den Katzen scheint das ja zu gefallen.“, meinte Chrissie monoton klingend und winkte desinteressiert ab, immer mit einem verhaltenden Grinsen auf den Lippen.

Nina hörte nicht hin, sie war zu sehr mit dieser edlen Katze beschäftigt, die natürlich sofort ihr Herz erobert hatte.

„Dann hat sie sicherlich auch Eigene, May ist nämlich eigentlich eher zurückhaltend Fremden gegenüber.“, erwiderte Gackt, als er sich wieder Chrissie zuwendete.

Diese schüttelte den Kopf, Hyde und Gackt zogen jeweils eine Augenbraue hoch.

„Ich glaube, sie hat wohl mal als Kind eine gehabt, die dann aber wegen Altersschwäche und Nierenversagen eingeschläfert werden musste. Danach durfte sie wegen Ihrer Familie keine mehr halten. Die sind wohl alle allergisch oder Asthmatiker.“

„Oder beides.“, mischte sich Nina auf einmal ein.

Sie hatte die letzten beiden Sätze zufällig doch aufgeschnappt und ließ nun von der schlummernden May ab.

„Ich wohne zwar inzwischen alleine, aber es hat sich einfach nicht ergeben. Zulegen möchte ich mir aber unbedingt noch eine, wahrscheinlich aus einem Tierheim. Momentan leistet mir also noch weiterhin mein Kaninchen Gesellschaft.“

„Du meinst die kleine beißwütige Ratte?“, fragte Chrissie spöttisch nach.

„Mou! Mucki ist nicht beißwütig, aber ja, ich meine mein kleines Killerkaninchen.“, giftete Nina zurück.

Schon verfielen sie in ein kleines, aber harmloses Streitgespräch, in der sie allerhand Wörter um sich warfen, auf die ein Normalsterblicher wahrscheinlich nie kommen würde. Chrissie schöpfte nebenbei ihr gesamtes Dingsisch aus, während Nina jede Gelegenheit wahrnahm, sich an ihrem Miepisch zu versuchen. Plötzlich unterbrach ein leises Lachen ihre Konversation, irritiert wanden Chrissie und Nina ihre Gesichter wieder den beiden Männern zu. Sie saßen da und versuchten sich zu beruhigen, doch je mehr sie es versuchten, desto lauter wurde ihr Gelächter. Gackt stütze seine Arme auf seinen Knien ab und vergrub sein Gesicht in seinen Händen, während er lachte. Belle war dabei unsanft von seinem Schoß gerutscht und saß nun beleidigt auf dem Boden. Hyde hatte sich in die weiche Lehne geworfen und lachte beinahe tonlos. Die beiden Freundinnen kamen sich ziemlich blöd vor, sie wurden ganz klein und verlegen. Doch sie fanden es unheimlich süß, wie die beiden lachten. Sie dankten Gott dafür, dass sie das hier wirklich erleben durften.

„Ach ja… So fängt ein Tag doch gut an. Ihr seid interessant, von wo seid ihr denn? Amerika?“, fragte Hyde interessiert, nachdem er und Gackt sich wieder halbwegs gefangen hatten.

„Nein Hyde, ob du es glaubst oder nicht, sie sind aus Deutschland.“, beantwortete Gackt die Frage.

Die Augen des Kleineren weiteten sich, staunend sah er von Gackt zu den jungen Frauen.

„Ihr seid tatsächlich aus Deutschland? Das ist ja am ganz anderen Ende der Welt! Was hat euch denn hierher verschlagen? Seid ihr hier wohnhaft, oder macht ihr Urlaub?“

Eine Frage nach der anderen sprudelte aus Hyde’s Mund. Die beiden Freundinnen blinzelten aufgeregt, so schnell konnten sie ja kaum eine Frage abspeichern, wie er schon die Nächste stellte. Gackt lehnte sich zurück und wischte sich ein paar Lachtränen aus den Augenwinkeln.

„Wir, wir machen hier für zwei Wochen Urlaub…“, stammelte Chrissie, doch auf einmal sprang ihr Belle auf den Schoß und begann sie abzuschlecken.

Nina feixte, wie auch die beiden anderen.

„Ey! Nicht doch! Ich mag das nicht! Aufhören! Belle!“, jammerte die Rotblonde verzweifelt, während ihr das Lachen hochkam, da es kitzelte.

Kaum hatten sich die beiden Sänger von ihrem ersten Lachkrampf erholt, bahnte sich ein Neuer an, in dem auch Nina eifrig mitwirkte, tonlos, aber aktiv. Chrissie fand das Geschlabber absolut eklig, oder zumindest unangenehm, auch wenn diese kleine Minidachshündin noch so niedlich war.

„Nina~“, flehte sie leiernd, fast herzerweichend.

Ihre jüngere Freundin ließ sich erweichen und nahm die quirlige Hündin an sich. Doch schnell hatte sich Belle wieder aus ihrem Griff entzogen und machte es sich schwanzwedelnd zwischen ihnen bequem, ihren Kopf legte sie dabei wieder auf Chrissie’s Schoß und wartete darauf, gestreichelt zu werden. Pikiert wischte sie sich die Sabber aus dem Gesicht.

„Ich weiß, warum ich mir keine Tiere zulege…“, meinte sie bitter.

„Ach hör doch auf, klar magst du Tiere. Du magst nur ihr Geschlabber nicht.“

Derweilen schnappten Gackt und Hyde erneut nach Luft, sie hatten richtigen Muskelkater vom Lachen.

„Also, ich glaube, ich an deiner Stelle hätte sie auch mitgenommen.“, sagte Hyde an Gackt gewand, der immer noch mit seinem Grinsekrampf zu kämpfen hatte.

„Tja, ich habe sie zwar mitgenommen, weil sie so ziemlich obdachlos sind, beziehungsweise waren, aber egal. Das Lachen ist ein positiver Nebeneffekt.“

„Obdachlos?“, fragte Hyde sich wundernd.
 

Gackt gab an seine beiden Gäste ab und ließ sie die Story von Anfang an noch einmal aufrollen. Wieder musste Nina sich den detailreichen Schilderungen ihrer Freundin stellen und versuchen, einen kühlen Kopf bewahren. Sie wechselten sich mit der Erzählung hier und da ab, gegen Ende mischte sich auch Gackt noch mit ein. Wie er sie beide während des Konzertes empfunden hatte, wie er sie vor seinem Bodyguard gerettet hatte und wie er sie schließlich draußen vor der Halle vorfand. Das war die Stelle, wo sie erneut verlegen wurden, aber Hyde lachte nur kurz.

„Wow, das war ja ein ereignisreicher Tag für euch gewesen. Was war denn der Ausschlaggebende Grund dafür, dass ihr ausgerechnet nach Japan gekommen seid?“

„Also, erstens, wir lieben dieses Land. Zweitens, wir interessieren uns schon seid Jahren für Manga, Anime und die Musik…“

„Und drittens, wir wollten unbedingt einmal in unserem Leben auf ein Konzert von Gackt und L’Arc~en~Ciel gehen!“, führte Chrissie den Satz ihrer Freundin mit Begeisterung weiter.

Hyde war doch ein wenig überrascht, damit hatte er nicht gerechnet. Da waren die Beiden doch tatsächlich auch noch Fans von seiner Gruppe und nicht nur von Gackt. Ein wenig verlegen griffen sie sich in den Nacken oder schmunzelten kurz wegsehend. In den Mädchen verstärkte sich wieder der Drang, hemmungslos zu quietschen, warum mussten die Beiden auch immerzu so niedlich sein?

„Das ist schön zu hören… Jetzt erzählt doch mal ein Wenig was von euch, ich glaube, weitestgehend seid ihr über uns ja informiert.“, sagte Gackt schließlich.

„Als ob wir alles glauben würden, was irgendwo geschrieben steht…“, murmelte Nina leise vor sich hin.

Chrissie nickte zustimmend. Sie beide dachten, dass ihre beiden Lieblingsstars sie nicht gehört hatten, doch da irrten sie sich.

„Was sollen wir denn über uns erzählen?“, fragte die Ältere nach.

„Es gäbe viel zu erzählen, aber das ist alles recht belanglos.“, hing Nina hinten ran.

„Nun, zum Beispiel wie ihr euch angefreundet habt. Ihr seid doch recht ungewöhnliche Freundinnen.“, sagte Gackt.

„Warum das denn?“

„Du und Enah scheint euch blendend zu verstehen, ihr seid auf derselben Wellenlänge und das, obwohl ihr euch manchmal… nun ja… anzickt sag ich mal.“, antwortete er der Dunkelhaarigen.

Chrissie grinste.

„Och, wir kennen uns so lange, da ist sie das inzwischen von mir gewohnt.“, faxte sie.

„Außerdem weiß ich ganz genau, wann sie es ernst meint und wann einfach mal ihre sarkastische oder sadistische Ader mit ihr durchgeht.“, äußerte sich Nina dazu, ebenfalls faxend.

„Dann erzählt mal.“, forderte sie Hyde gespannt auf und lehnte sich zurück.

Sie sahen sich an, lächelten dann und begannen.
 

Sie fingen damit an, wie sie sich in der Oberschule getroffen hatten. Wie sie beide zu der Sorte von Schülern gehörten, die nicht freiwillig auf andere zugingen und deshalb meistens außerhalb standen. Wie Nina es ihrer Cousine zu verdanken hatte, dass sie in kürzester Zeit mehr als nur unbeliebt war, wie sie beide in ihrem Kurs immer zusammenarbeiten mussten, obwohl sie sich wie die Pest hassten. Chrissie, weil sie dachte, dass Nina nicht anders sei, als ihre inzwischen ungeliebte Cousine und Nina, weil Chrissie sie immerzu angezickt hatte und sich mit auf die Seite der anderen geschlagen hatte, die ebenfalls nie wirklich mit ihr geredet hatten und sich ihr Bild aus eingebläuten Vorurteilen gebildet haben. Und schließlich davon, wie sie in einer Kursarbeit wieder mal zusammenarbeiten mussten, dabei aber gezeichnet werden sollte, Chrissie Nina’s Manga mäßiger Zeichenstil auffiel und sie dann schließlich ins Gespräch kamen. Natürlich konnte Nina es sich nicht verkneifen, zu schildern, wie niedlich es war, als Chrissie schüchtern auf sie zugekommen war und sie fragte, ob sie jetzt wohl Freundinnen seien. Dann kamen nur noch grobe Schilderungen der fortlaufenden Ereignisse, ihre prägenden Momente und wie sie charakterlich gereift waren, bis sie sich schließlich so aneinander angeglichen hatten, dass sie, wie jetzt, auf einer Wellenlänge schwebten und sich mit Recht die besten Freunde nennen konnten. Hyde und Gackt staunten nicht schlecht, aber gerade Gackt fühlte sich sehr an sich selbst erinnert. Er und You hatten ihre Freundschaft auf ähnlichem Wege geschlossen. Er begann ein wenig davon zu erzählen und obwohl Chrissie und Nina diese Story schon kannten, hörten sie aufmerksam zu. Hier und da gab es sogar etwas, worüber sie lachen konnten, außerdem erzählte er Details, die sie nirgendwo jemals zu lesen bekommen würden. Natürlich hatte er immer im Hinterkopf, dass die Beiden auch nur Fans waren und seine Geschichte durchaus an die Öffentlichkeit bringen könnten, doch irgendwie vermittelten sie ihm das Gefühl, dass er ihnen in dieser Hinsicht vertrauen konnte. Selbst, wenn dies nicht der Fall sein sollte, es war ja nun keine schlimme Geschichte oder etwas, was ihn in Verruf bringen konnte.

„Tja, aber ich glaube, wenn Freundschaften mit Turbulenzen entstehen, werden sie umso fester.“, schloss Gackt endlich ab.

„Ja. Wenn man sich dann mal streitet merkt man, wie viel einem dieser Freund bedeutet und nach der Versöhnung ist diese Freundschaft inniger denn je.“, sagte Nina verträumt dazu.

Jeder sprach hier aus eigener Erfahrung, beide fanden die Feststellungen des anderen jedoch noch beeindruckend.

„So, wir haben ja jetzt ganz schön lange miteinander geplaudert, wir haben es jetzt halb eins. Ihr habt doch inzwischen alle ziemlichen Hunger, oder?“, fragte Gackt, als er aufstand, sich kurz streckte und durch die Runde schaute.

„Sag nicht, dass du versuchen willst, uns etwas zu kochen.“, ließ Hyde leicht, aber gespielt, panisch verlauten.

Gackt ließ kurz den Kopf hängen, dann legte er eine Hand auf seine Hüfte und zeigte mit dem Finger der anderen auf Hyde.

„Ich versuche es wenigstens und bin allgemein Alleinverpfleger, du hingegen lässt dich ja immer bekochen.“, konterte er mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht.

>>Was geht denn hier ab?!<<, schoss es den Freundinnen durch den Kopf, als sie abwechselnd sich und dann wieder die beiden Männer ansahen.

„Ich bin auch manchmal allein daheim, da muss ich mir auch selber etwas machen.“, erwiderte Hyde gespielt kalt.

„Ich wette, du lässt dir dann immer etwas kommen.“, führte Gackt das Spiel fort.

Den Beiden machte diese gekünstelt ernste Situation offensichtlich Spaß, immerhin war das Grinsen in ihren Gesichtern einfach nicht wegzukriegen. Belustigt beobachteten Nina und Chrissie weiter, sie waren gespannt, wohin diese Sticheleien wohl führen sollten.

„Tja, vielleicht lasse ich mir ab und an was kommen, aber ich möchte ja auch nicht, wie du, vier Tage lang in der Küche stehen und Curry kochen.“

Da wurden die Mädchen hellhörig, von dieser Geschichte hatten sie auch schon gehört. Gackt hatte mal in einem Utaban Interview angegeben, dass er vier Tage braucht, um ein Curry zu kochen. Dabei wäre er die ganze Zeit angeblich nackt und lese ein Buch. Bei diesem Gedanken schoss ihnen das Blut in Kopf. Hoffentlich hatten die beiden Diskutierenden nicht vor, dieses Thema auseinander zu nehmen!

„Ano~, was wäre, wenn wir auch das Mittagessen übernehmen würden?“, fragte Nina vorsichtshalber.

„Das kann ich doch nicht von euch verlangen, ihr habt doch schon das Frühstück gemacht.“, protestierte Gackt.

„Mal was Neues. Jetzt habt ihr nicht nur das Talent, uns zum Lachen zu bringen, ihr könnt auch noch kochen. Raus mit der Sprache, was für verborgende Talente habt ihr noch?“

Hyde drehte sich auf der Couch wieder zu ihnen um, auch Gackt ließ die Arme an sich herunterhängen und ließ sich vorerst wieder neben ihm fallen.

„Och, öhm…“, begann Chrissie ankündigend.

Nina stieß ihr in die Seite und setzte einen drohenden Blick auf.

„Untersteh dich!“, raunte sie gefährlich.

„Was denn? Gibt es etwa Dinge, die wir nicht wissen dürfen? Was soll Enah denn nicht sagen?“, fragte Gackt neugierig und starrte Nina in die Augen, so dass sie wegsehen musste.

„Och, ich soll nur nicht sagen, dass sie Hobbyautorin ist und nebenbei sehr gerne zeichnet.“, antwortete Chrissie, Nina absichtlich ignorierend.

Nina schlug die Hände vor ihr Gesicht, sie wusste, dass ihre Freundin das nur gesagt hatte, weil ja wirklich nichts Schlimmes daran war, aber es war ihr so schrecklich peinlich! Gackt und Hyde sahen sie verwundert an.

„Und was ist daran so schlimm?“, fragte sie Gackt.

„Nichts, aber dieser Knall ist ihr nicht abzugewöhnen.“, antwortete Chrissie an Nina’s Stelle.

„Es interessiert die Meisten gar nicht und wenn doch, dann stellen sie immer so viele neugierige Fragen, die ich nicht so gerne beantworte. Viele finden es auch albern, von daher behalte ich es eigentlich für mich.“, gab Nina dann beschämt dazu.

Es wurde ruhig unter ihnen. Doch Gackt brannte noch eine Frage auf der Zunge.

„Und was schreibst du so?“

„Wir sollten jetzt lieber mal sehen, dass wir was zu Essen auf den Tisch bekommen!“, warf Chrissie plötzlich ein.

Sie war direkt nach Gackt’s Satz aufgesprungen und enthusiastischer denn je.

„Vorher müssten wir natürlich noch einkaufen gehen, den Rest können wir doch dann gemeinsam machen.“, schlug sie vor Energie sprudelnd vor.

Hyde kam ihr Verhalten nicht seltsamer vor als Gackt, doch er verstand schnell, dass sie ihn nur von seiner Frage ablenken wollte. So schlug er sich auf ihre Seite und stand ebenfalls auf.

„Zum Einkaufen brauchen wir aber nicht vier Leute, wer von uns würde freiwillig gehen?“, fragte er Gackt mit einem bestimmten Blick, der ihn endlich auch verstehen ließ.

„Nun, einer von uns sollte auf jeden Fall mitgehen.“, begann Gackt.

„Am besten die Person, die den Laden auch kennt, das wärest du.“, führte Hyde fort.

„Und eine von uns beiden sollte auch dabei sein, wegen der Geschmäcker.“, gab Nina dazu.

„Da würde sich die anbieten, die den Laden noch nicht kennt, in dem Falle du.“, schloss Chrissie ab.

STILLE

„Moment, das würde ja heißen, dass ich und Gackt…!“, sagte Nina peinlich berührt und lautstark zu ihrer Freundin, die sich, was das Grinsen betraf, einig mit Hyde war und ihre Arme verschränkte.

Gackt kam sich ebenfalls recht überrumpelt vor, doch ihn störte die Vorstellung, mit der deutschen Dame einkaufen zu gehen, keineswegs. Sicher würde sich ein nettes Gespräch zwischen verschiedenen Völkern ergeben und sie könnten ein wenig über ihre Kultur reden. Nina hingegen hatte enormes Herzrasen. Mit Gackt einkaufen zu gehen, war sonst nur in den heikelsten Träumen möglich!

„Dann halten wir hier die Stellung, ich bin mir sicher, dass ihr das auch alleine hinbekommt.“, meinte Hyde sehr optimistisch.

>>Einen Augenblick mal… DANN BIN ICH JA MIT HYDE ALLEINE!!!<<, jagte es Chrissie auf einmal durch den Kopf, der schlagartig eine einheitlich rote Farbe annahm.

„Ihr habt gewonnen, spätestens in einer halben Stunde sind wir wieder da, also stell mir nicht das Haus auf den Kopf Hyde.“

Hyde schlug freundschaftlich ins Gackt’s Hand ein und schüttelte sie kurz, beide grinsten sich an.

„Ich habe wochenlang auf deine beiden Tiere aufgepasst, da werde ich in einer halben Stunde wohl kaum dein Haus auseinander nehmen, außerdem habe ich ja noch weiblichen Beistand. Enah wird schon auf mich aufpassen.“

Die Angesprochene steigerte ihren Teint gleich um noch ein paar weitere Nuancen. Hinterhältig grinste Nina ihr zu, das geschah ihr recht. Obwohl man hier eigentlich keineswegs von Bestrafung reden konnte, wer würde sich nicht wünschen, eine halbe Stunde lang allein mit seinem absoluten Favoriten verbringen zu dürfen? In den nächsten Augenblicken wurden Gackt und Nina zur Tür gedrängt, wo sich Gackt halbwegs vermummte und dann gemeinsam mit ihr nach draußen geschoben wurde.

„Bis gleich Chrissie.“, verabschiedete sich Nina mit weichen Knien.

„Bye bye.“, erwiderte ihre ältere Freundin und winkte ihr gespielt mitleidig.

Schon fiel die Tür vor ihr ins Schloss und es wurde still. Langsam drehte sie sich zu Hyde um, der ihren Blick erwiderte.

„Und was machen wir nun?“, fragte er sie ganz unschuldig

Chrissie zuckte mit den Schultern, einerseits, weil sie wirklich keine Ahnung hatte, was sie nun mit ihren 30 Minuten anfangen sollten und andererseits, weil ihr wieder die Worte entsagten.

>>Verdammt! Da fallen einem immerzu ein Haufen Fragen ein, die man aber bedauerlicher Weise wohl nie fragen könnte, da steht diese Person nun doch plötzlich vor einem und das Gehirn ist wie leer gepustet!<<

„Jetzt ist deine Freundin von uns mit ungekämmten Haaren losgeschickt worden.“, durchbrach er als Erster die Stille.

Wie aus einem Tagtraum gerissen, blinzelte sie kurz irritiert.

„Was? Ähm… Ja, stimmt…“

„Deine Haare und die von Gackt sind ähnlich wirr, was habt ihr heute Morgen gemacht? Eine Wasserschlacht?“

„Nein, zu unterschiedlichen Zeiten Haare gewaschen, Frühstück gemacht, gegessen und anschließend wegen deinem Auftauchen einen Herzkasper bekommen.“

Hyde schmunzelte.

„Ich habe auch eigentlich nicht damit gerechnet, dass mir eine junge, deutsche Frau die Tür öffnet.“

Chrissie errötete.

„Aber warum hier zwischen Tür und Angel reden? Auf der Terrasse ist es sehr schön und vor allem schattig. Wollen wir uns dort auf die Bank setzen?“, fragte er freundlich und trat einen Schritt beiseite, um sie vorzulassen.

Chrissie nickte lächelnd und schritt mit Herzrasen an ihm vorüber. Draußen atmete sie tief die warme Luft ein. Von der kleinen Bank aus sah sie auf den azurblauen Pool, die vielen tropischen Pflanzen, den grünen Rasen und die hohe und blickdichte Hecke.

„So, du und deine Freundin seid also Fans von Gackt und L’Arc~en~Ciel, wenn ich mich recht entsinne. Nebenbei seid ihr aber aus Deutschland und dort auch wohnhaft. Wie kommt man als Deutsche dann dazu, sich für japanische Musik zu interessieren?“, begann Hyde eine Konversation.

„Eigentlich haben wir uns zuerst nur für die Musik von Anime interessiert, doch irgendwie kommt man dann auch mal auf die Interpreten und so zu der richtigen J-Music. Über eine andere Freundin habe ich mich dann mit Gackt zudröhnen lassen, habe angefangen mich im Internet zu belesen und schließlich auch Nina damit angesteckt. Dann kam natürlich Moon Child und mit Moon Child kamst dann du ins Spiel. Mit dir dann natürlich auch deine Musik. Wir waren so von euch begeistert, dass wir alles andere zurückgestellt haben. Bei uns gibt es einen extra Laden, der sich Neo Tokyo nennt, der verkauft alles, was sich das Herz eines J-Music Liebhabers nur wünschen kann. Tja, nebenbei kann man das Ein oder andere auch mal aus dem Netz downloaden.“

„Ja, ja, das Internet…“, schmunzelte Hyde.

Chrissie schmunzelte mit, ihr seliges Lächeln machte sich wieder in ihrem Gesicht breit. Wo Hyde das Internet erwähnt hatte, fiel ihr doch gleich wieder der Videoclip mit Careless Whisper ein. Verwundert nahm er ihren Gesichtsausdruck wahr.

„Was ist denn? Du siehst auf einmal so fröhlich aus.“

„Ach, ich muss nur gerade an etwas denken.“, antwortete sie selig klingend.

Jetzt war Hyde’s Neugierde geweckt.

„An was denn?“

Chrissie sah ihn kurz an, sie überlegte, ob sie ihn wirklich darauf ansprechen sollte. Er könnte es als nervendes Fangefasel empfinden und das wollte sie verhindern. Sie wollte um keinen Preis, als so ein normaler Durchschnittsfan abgestempelt werden.

„Nein, ist nicht so wichtig. Es ist etwas, was ich einfach nicht mehr aus meinem Kopf bekomme, aber ich glaube, dass dich das nicht wirklich interessiert.“

Hyde drehte sich auf der Bank zu ihr um und fixierte sie. Die erfrischende Briese, die aufzog, ließ vereinzelte Strähnen ihrer Haare im Wind wallen.

„Erzähl es mir, dann kann ich dir sagen, ob es mich interessiert, oder nicht. Du kennst mich noch zu flüchtig, als das du mich in dieser Hinsicht schon richtig einschätzend könntest.“

Hyde’s Worte waren überzeugend, freundlich und ernst gemeint gewesen. Nachdem Chrissie sich gesammelt hatte, beschloss sie ihm doch zu antworten.

„Nun, du hast in einer Show einmal Careless Whisper gesungen. Seit dem habe ich einen totalen Narren an dem Lied gefressen. Allerdings bevorzuge ich deine Version.“, erzählte sie zurückhaltend.

Hyde sah verlegen lächelnd zu Boden.

„Ach das wolltest du mir nicht erzählen.“, äußerte er sich dazu.

„Ich fand es einfach umwerfend! Deine Interpretation war meiner Meinung nach viel Gefühlvoller, als die von George Michael! Außerdem passt deine Stimme viel besser dazu.“, bestärkte Chrissie schwärmend.

Jetzt war es Hyde noch peinlicher gewesen, zum ersten Mal kreischte einer seiner Anhänger nicht einfach nur nach ihm, sondern begründete auf vernünftiger Basis seine Bewunderung.

„Danke…“, meinte er lächelnd.

Chrissie wurde rot.

„Du und Gackt, ihr beiden habt etwas, das einen einfach in den Bann zieht. Mal abgesehen davon, dass ihr ständig einfach nur niedlich seid.“

„Niedlich?“, wiederholte Hyde verdutzt.

„Ihr habt so eine natürliche Ausstrahlung, das kommt sehr gut an.“, überging sie seine letzte Aussage.

Ohne sich dafür zu schämen, lächelte sie ihn stolz an. Warum nicht das sagen, was bisher irgendwie jeder fand? Hyde lachte kurz leise auf.

„Ihr seid wirklich keine normalen Fans.“, sagte er, während er versuchte, sich wieder zu fangen.

Jetzt hatte er sie wieder in Verlegenheit gebracht.

„Seid ihr in Deutschland alle so?“, fragte er noch hinterher.

Wegsehend schüttelte sie den Kopf.

>>Jetzt bloß nicht die Fassung verlieren!<<, redete sie sich ein, um ja einen kühlen Kopf zu bewahren.

„Nina und ich unterscheiden uns ja auch ein wenig voneinander.“

„So?“

„Ja, sie bevorzugt in allen Kategorien Gackt, während ich eher zu dir und L’Arc~en~Ciel tendiere. Dennoch schwärmen wir in Gesprächen für beide Parteien gleich.“

>>Hilfe! Ich rede mit ihm, als würden wir uns schon ewig kennen!<<

Das die Rotblonde nervös an ihren Fingern spielte, hatte sie selber noch gar nicht realisiert, Hyde dafür schon. Allgemein war ihm aufgefallen, dass sie noch recht schüchtern ihm gegenüber war, jedoch frei mit ihm redete. Das zauberte wieder ein Lächeln auf sein Gesicht, er freute sich immer wieder, wenn er das Glück hatte, solche Menschen kennen zu lernen. Chrissie und Nina waren für ihn und Gackt die ersten Deutschen gewesen. So wie er Gackt kannte, wusste er, dass es ihm wahrscheinlich genauso ging. Plötzlich hörte Hyde das Klappern eines Schlüssels und erhob sich von der Bank.

„Wir sind wieder da! Hyde? Enah?“, drang Gackt’s Stimme durch die gesamte untere Etage bis zu ihnen auf die Terrasse vor.

„Wir kommen schon!“, rief ihm Hyde zu, der gerade Chrissie wieder rein gelassen hatte und die Terrassentür hinter sich verschloss.

Er und Chrissie konnten Belle aufgeregt bellen hören. Als sich die Blauäugige dem Flur näherte, kam ihr Nina entgegen. Ihr Gesicht war rot und das Haar immer noch wirr und ungekämmt. Zielstrebig steuerte sie das Badezimmer an, in dem sie anschließend verschwand. Verwundert blickte Chrissie wieder nach vorn und suchte nach Gackt. Als sie ihn sichtete, war er gerade auf dem Weg nach oben, anscheinend ebenfalls darauf bedacht, kurz im Badezimmer zu verschwinden. Zurück blieb Hyde, beladen mit zwei vollen Einkaufstüten.

„Was ist denn mit den Beiden passiert?“, fragte sie Hyde, als sie ihm eine der Tüten abnahm und mit ihm zusammen in die Küche trottete.

„So wie ich Gackt kenne, hat er sich mal wieder nicht unauffällig genug verhalten. Wahrscheinlich mussten die Beiden vor einer Horde Fans flüchten, das ist bei der Hitze nicht ganz unbeschwerlich.“

Auf dem Küchentisch begangen sie die Tüten auszupacken. Da kam allerhand an Lebensmitteln zum Vorschein.

„So, bin wieder da.“, sagte Nina hinter ihnen.

Sie hatte sich abgekühlt und endlich ihre Haare durchgekämmt. Hinter ihr tauchte nun auch Gackt auf, ebenfalls zurechtgemacht.

„Würdet ihr kurz ohne uns zurecht kommen?“, fragte er mit pfeifender Lunge.

Verwundert, aber zustimmend nickten die beiden Mädchen. Gackt machte eine herbeifordernde Handbewegung zu Hyde, der schmunzelnd spurte.

„Gackt und ich verschwinden mal kurz auf die Terrasse, wir sind gleich wieder da.“

Chrissie sah Nina fragend an.

„Sie wollen rauchen gehen.“, antwortete sie auf ihren Blick.

„Aber Gackt raucht doch bekanntlich immer in seinem Haus.“, erwiderte sie irritiert.

„Wir haben uns ein wenig unterhalten und da sind wir auf das Thema gekommen. Ich habe ihm erzählt, dass wir den Geruch überhaupt nicht leiden können und da meinte er, dass er ja auf der Terrasse rauchen könnte. Er raucht außerdem nicht in allen Zimmern.“

„Ah ja, sonst noch was?“, fragte Chrissie mit einer hochgezogenen Augenbraue.

„Momentan nicht.“, gab sie mit einem Grinsen auf dem Gesicht zurück.
 

Nachdem Gackt und Hyde sich wieder zu ihnen gesellt hatten, schlugen ihnen Nina und Chrissie vor, dass sie sich doch zu viert daran machen könnten, sich um ein Mittagessen zu kümmern. Zuerst standen die beiden Männer dieser Idee skeptisch gegenüber, doch nachdem ihre neuen Bekanntschaften mit einem Hundeblick zu betteln anfingen, stimmten sie schließlich zu. Nach einem kurzen Gespräch einigten sie sich auf eine Nudel-Brokkoli-Käse Lasange. Noch während der Vorbereitung gab es viele lustige Zwischenfälle. So wollte es Gackt z.B. einfach nicht gelingen, den Hartkäse mit der Käsereibe geraspelt zu kriegen, was aber daran lag, dass er sie verkehrt herum hielt. Oder Hyde war auf der Küchentheke eine der Fläschchen mit Schlagsahne zerbrochen, woraufhin er und Chrissie im Gesicht weiß gesprenkelt waren. Nina und Chrissie hingegen war es mehrmals gelungen, die Lasangeplatten mitten in der Mitte durchzubrechen, obwohl sie es eigentlich auf die Ecken abgesehen hatten. So hatten sie also viel in dieser Zeit zu lachen und nach und nach verloren sie auch endlich ihre Schüchternheit gegenüber den beiden Stars. Diese begannen sich mit der Zeit auch immer besser mit den Maiden zu verstehen und gaben sich ganz natürlich. Es kam ihnen wie eine Ewigkeit vor, als sie endlich die große Schale mit der Lasagne vor sich stehen hatten und sich reichlich auftaten. Immer wieder lobten sie sich gegenseitig für ihr gelungenes Erzeugnis, das sie trotz der kleinen Zwischenfälle geschaffen hatten. Als sie nun aufgegessen hatten und auch May und Belle versorgt waren, zeigte die Uhr es inzwischen kurz vor halb vier. Gemeinsam machten sie sich dann noch daran, dass Geschirr abzuräumen und setzten sich dann wieder zusammen an den Tisch.

„Da ist der Tag ja fast schon wieder vorbei, wie sehen eure Pläne für heute denn noch aus?“, fragte Gackt mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck.

„Wahrscheinlich werden wir uns wieder in unser Zimmer zurückziehen und dort noch ein wenig über alles fachsimpeln.“, antwortete Chrissie müde.

„Und vielleicht ein wenig am Laptop arbeiten.“, fügte Nina hinzu.

„Ihr habt einen Laptop mitgenommen?“, fragte Hyde.

„Zwei, jeder seinen eigenen.“, meinte Nina, ein wenig verlegen darüber.

„Heutzutage ist so ein tragbarer Laptop unverzichtbar, gerade für Hobbyautoren, oder?“, gab Gackt belustigt und ihnen zuzwinkernd dazu.

„Eben, irgendwie müssen wir unsere Zeit doch vergeuden, wenn wir schon nicht draußen rumtoben.“, ließ Chrissie sarkastisch verlauten.

„Und du lässt die beiden jetzt die ganzen zwei Wochen bei dir wohnen Gackt?“, fragte der Kleinere an den Gastgeber gewand.

„Sieht ganz danach aus.“

„Wir können uns auch weiter nach einem Hotel umsehen, wenn wir dir zur Last fallen!“, mischte sich die Ältere ein.

„Ach was, ich finde es ganz angenehm, wenn ich mal wieder Leute bei mir habe. Belle und May scheinen euch auch zu mögen, also bleibt ruhig hier.“

„Ich habe Gackt nur danach gefragt, weil es eigentlich so geplant war, dass ich für eine Woche bei ihm bleibe. L’Arc~en~Ciel hat hier demnächst einen Gig und da hat sich das angeboten.“

Chrissie und Nina sahen sich mit großen Augen an, hatte Hyde da eben gesagt, dass er hier demnächst auftreten würde und dass er bei ihnen übernachten wollte?

„Ist aber kein Problem, ich schlafe dann einfach auf der Couch.“, endete er.

„Aber das geht doch nicht! Du brauchst doch deinen Schlaf, die Couch ist doch nichts für dich, da können doch auch wir schlafen!“, protestierte Chrissie aufgeregt.

„Nein, kommt ja gar nicht in Frage. Ihr konntet es ja nicht wissen und so schlimm ist die Couch doch gar nicht.“

„Jetzt bleibt mal alle ganz ruhig.“, warf Gackt beschwichtigend ein.

„Ihr beide bleibt in eurem Zimmer, daran gibt es nichts zu rütteln. Hyde kann auch bei mir schlafen, mein Bett ist groß genug.“

Hyde nickte zustimmen, an diese Möglichkeit hatte er noch gar nicht gedacht. Plötzlich drucksten die beiden jungen Frauen vor ihnen seltsam herum, wurden rot und grinsten sich zweideutig zu. Gackt und Hyde verzogen ihre Mienen.

„Was habt ihr denn auf einmal?“, fragte Hyde unschuldig.

Gackt konnte es sich schon fast denken, verdächtig hoben sich seine Mundwinkel immer weiter und er versuchte es hinter seiner Hand zu vertuschen, vergeblich.

„Och… Nur so.“, grinste Chrissie über beide Ohren.

„Wir haben bei uns daheim einfach zu viel von bestimmten Sachen durchgelesen, ignoriert uns einfach.“, grinste Nina munter mit.

„Oder teilweise selber geschrieben.“, fügte ihre Freundin noch hinzu.

„Psst!“, versuchte die Jüngere ihr Einhalt zu gebieten.

Gackt und Hyde sahen immer wieder zwischen ihnen umher. Gackt behielt seine leise Ahnung für sich, auch Hyde dämmerte es langsam, was denn wohl gemeint sein konnte.

„Wie auch immer, wir ziehen uns dann jetzt zurück, in Ordnung?“, fragte Chrissie, der inzwischen die Mundwinkel schmerzten und erhob sich.

„Spätestens heute Abend sehen wir uns hier wieder.“, sagte Gackt ihnen zum Abschied und sah die beiden Freundinnen aus der Küche um die Ecke biegen.

Tsuki no Uta

05 Tsuki no Uta
 

****Ich gebe dir mein Herz da mir niemand näher ist. Auch jetzt an diesem Ort, sehe ich nur dich. Wenn das nur ein unwiederbringlicher Traum ist, zerstöre ihn. Ich kann dich nicht vergessen und ich will dich wieder sehen.

Die Fata Morganas mehren sich. Ich sammle deine Schatten.****
 

Nina bewegte ihre Waden auf und ab, verträumt lauschte sie der Musik aus ihrem CD-Player und zeichnete dabei ein wenig in ihr rotes Schmierheft. Chrissie, die neben ihr auf dem Bett lag, ebenfalls auf den Bauch gerollt, bettete ihren Kopf in ihre verschränkten Arme und seufzte. Ihre jüngere Freundin hatte sie ausgeblendet, nur das Kratzen des Druckbleistiftes war im Raum zu hören. Pikiert piekte Chrissie Nina mit ihrem langen Fingernagel in die linke Seite. Sie quietschte entrüstet auf und zog aus Versehen einen langen Strich über ihr Blatt, Chrissie grinste.

„Hey! Was soll das denn?“, maulte Nina und versuchte verzweifelt den langen Strich wegzuradieren.

„Du sprichst nicht mit mir.“, antwortete Chrissie und rollte sich auf den Rücken.

Schweigend und ein wenig verdutzt, blickte sie die Größere an. Schließlich seufzte sie, klappte ihr Heft zusammen und drehte sich ebenfalls auf den Rücken.

„Worüber soll ich denn mit dir sprechen?“, fragte sie und versuchte den Punkt ausfindig zu machen, den ihre Freundin so eindringlich zu fixieren schien.

„Weiß ich nicht, aber es ist so still hier. Es wird draußen schon dunkel, was meinst du, was machen die Zwei wohl gerade?“

Nina schmunzelte und zog ankündigend tief Luft ein.

„Daran denkst du also die ganze Zeit?“

„Du nicht?“

Ertappt wurde Nina rosa um die Nasenspitze.

„Ähm… Nun… Ja, schon, aber ich lenke mich ja ein wenig mit meiner Zeichnerei ab. Wo wir gerade bei ihnen sind, worüber hast du dich eigentlich mit Hyde unterhalten?“

„Über so Manches…“

Ein imaginärer Tropfen rollte Nina’s Stirn hinunter.

„Ach nee! Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen!“, jammerte sie gespielt vorwurfsvoll.

„Was anderes habe ich von dir auch nicht erwartet.“, konterte Chrissie sarkastisch.

Ihre Freundin drehte sich zu ihr um, ihre eine Augenbraue zuckte verdächtig.

„Ist ja gut. Er hat mich nur gefragt, wie wir denn als Deutsche an das ganze Zeug aus Japan kommen.“

„Mehr nicht?“, hakte Nina ungläubig nach.

Chrissie schüttelte den Kopf, sie wusste genau, dass Nina ihr den Kopf abreißen würde, wenn sie ihr berichtet hätte, dass sie außerdem noch mehr oder weniger ausführlich ihren Favoriten preisgegeben hatte. Es bestünde ja die Gefahr, dass Hyde Gackt davon erzählen könnte, Nina würde dann vor Scham mal wieder sterben. Insgeheim hoffte Chrissie, dass, wenn dieser Fall tatsächlich eintreten sollte, Gackt jegliche Anspielungen unterlassen würde. Das restliche Gespräch behielt sie so oder so für sich.

„Und was ist euch beiden passiert?“

Nina blinzelte verwundert.

„Na, ihr seid total rot im Gesicht gewesen, als ihr wieder heim gekommen seid. Nebenbei auch noch vollkommen durchgeschwitzt.“

Genervt schloss Nina ihre Augen und ließ sich wieder auf die Seite rollen.

„Ach so… Da war ja was… Also, nachdem wir die Kaufhalle wieder verlassen hatten, sind wir eigentlich wieder schnurstracks Richtung Haus gewetzt. Es war ja irre heiß und Gackt musste sich doch noch so vermummen, damit er nicht erkannt wurde.“

Chrissie nickte gespannt und wartete auf die Fortsetzung.

„Tja, da sind wir dann an einer Gruppe Visu’s entgegengelaufen, die haben Gackt schon die ganze Zeit über so seltsam gemustert, wegen dem Mantel halt. Da ist es dann passiert, er hat niesen müssen, seine Sonnenbrille hat sich dabei verabschiedet und schon haben sie sich wie die Geier auf ihn gestürzt.“

Ihre rotblonde Freundin hatte schon die ganze Zeit über schmerzlich gegrinst.

„Oh weh, dass da noch jemand in seiner Begleitung war, ist natürlich überhaupt nicht aufgefallen.“

„Doch, das war ja das Schlimme! Allerdings habe ich mir sofort die Einkaufstüten geschnappt und bin geflüchtet, ehe ich’s mich versah, war er mir auch schon rennend gefolgt. Um der kreischenden Meute zu entkommen, sind wir mehrmals um den Block gerannt.“

„Geil, vor allem bei deiner Ausdauer.“

„Ausdauer? Welche Ausdauer denn?!“

„Eben.“

Sie grinsten sich kopfschüttelnd an. Nina klappte ihr Heft zu, es hatte ja doch keinen Sinn mehr. Plötzlich fiel ihr etwas ein, etwas, dass von mehr oder weniger großer Wichtigkeit war; was war mit dem Abendessen?!

„Chrissie, das Essen!“

Sie sah sie verwundert an.

„Was für ein Essen?“

Ihre Freundin rutschte vom Bett und huschte zur Tür.

„Das, was es eben noch nicht gibt!“, antwortete sie und war auch schon aus dem Türrahmen verschwunden.

Chrissie hatte es inzwischen auch verstanden und folgte ihr so schnell es ging, doch kaum hatte sie die Tür hinter sich zu gemacht, sah sie Nina an der Treppe stehen.

„Was machst du da?“

„Psst! Komm her und hör mal zu!“, flüsterte Nina ihr zu und zog sie am Ärmel zu sich heran.

Beide lauschten gespannt. Man konnte hören, wie Gackt und Hyde abwechselnd immer wieder zu lachen schienen.

„Die sind beide in der Küche, oder? Was machen die denn da bloß?“, tuschelte Nina verheißungsvoll.

„Och, wer weiß… In einer Küche kann man so Einiges machen“, antwortete die Ältere mit ihrem typischen Grinsen auf den Lippen.

„Meine Güte, ich glaube nicht, dass Hyde lachen würde, wenn Gackt gerade versuchen würde, ihn zu vernaschen. Lass uns mal nachsehen.“

Sie schlichen sich Stufe für Stufe nach unten, Nina verfluchte sich bei jeder Zweiten für ihre Gelenke.

„Wenn das so weiter geht, kann ich dich bald auf der Müllkippe entsorgen.“, flüsterte Chrissie irgendwann.

„Wie jetzt? Warum? Wegen meiner knackenden Gelenke?“

„Nein, wegen deiner sinnlosen Nachfragen du Dussel.“

Beleidigt boxte ihre Freundin sie in die Seite, natürlich ließ sie das nicht auf sich sitzen und fuhr ihre Krallen aus, mit denen sie dann nach der Jüngern ausholte. So ging das im Wechsel kurz hin und her, doch irgendwann beendete Nina das Spiel, indem sie ihren Zeigefinger auf die Lippen legte. Sofort herrschte Stille, erst nach einer kleinen Weile hörten sie wieder Gemurmel aus der Küche. Die beiden Freundinnen nahmen noch schnell die letzten Stufen und schmulten dann in die Küche hinein. Die beiden schmucken Sänger standen mit dem Rücken zu ihnen, sie fummelten an irgendwas herum, was vor ihnen auf der Theke liegen musste. Die beiden Mädchen holten ihre Köpfe wieder ein und sahen sich schulterzuckend an.

„Vielleicht hätten wir sie vorher fragen sollen, was, wenn sie das gar nicht essen?“, drang Hyde’s Stimme zu ihnen heran.

Schon lugten sie wieder um die Ecke.

„Ich denke schon, dass sie das essen. Wenn nicht, dann wissen sie aber, dass wir es in guter Absicht gemeint haben.“

„Oh, so tiefsinnig heute Ga-chan?“, sagte Hyde mit einem Grinsen auf dem Gesicht.

„Nenn mich nicht Ga-chan!“

„Ok Ga-chan.“

„Hyde!“

Der Kleinere fing an zu lachen, Gackt setzte einen beleidigten Gesichtsausdruck auf, aber dahinter konnte man deutlich ein ankommendes Lachen erkennen. Auch Chrissie und Nina versuchten verzweifelt jegliche Geräusche zu vermeiden, aber das war schwerer, als sie es sich vorgestellt hatten. Angestrengt pressten sie ihre Hände gegen ihre Münder.

„Und wer von uns holt die Mädchen nun?“

Schlagartig war den beiden Lauschern das Lachen vergangen und sie wurden kreidebleich.

»Kein Problem Nina, es besteht kein Grund zur Panik!«

„Das mache ich.“, antwortete Gackt spontan.

»Ok, vielleicht besteht ja doch einer!«

Ein schneller und verzweifelter Blickwechsel fand zwischen den Freundinnen statt, was sollten sie jetzt so schnell machen? Chrissie packte ihre Freundin am Schlafittchen und wollte sie wieder schnell die Treppe hoch zerren, doch da hatte sie die Rechnung ohne Nina’s Füße gemacht.

RUMMS

Gackt, der gerade dabei war aus der Küche zu treten, blieb wie angewurzelt stehen uns sah sich noch mal zu Hyde um, der ihn nicht minder fragend ansah. Schnell gesellte sich Hyde zu dem Größeren und sah mit ihm gespannt um die Ecke. Ihre Augen wurden immer größer und ihr Gesichtsausdruck immer interessanter mit anzusehen. Nina lag längs ausgestreckt auf der Treppe, Chrissie saß ziemlich verhakelt zwischen ein paar Stufen und dem Geländer mit dem Rücken zu ihnen. Noch bevor überhaupt einer was sagen konnte, kam Belle angerannt und begann aufgeregt zu bellen.

„Es war so klar… es war so klar…“, murmelte Chrissie in ihren nicht vorhandenen Bart.

Plötzlich zuckten die Mädchen fürchterlich zusammen, sogar Belle stellte eingeschüchtert ihr Gekläffe ein. Die beiden Männer waren kurz davor, am Boden zusammenzubrechen! Das Schlimme war, dass jeder der Beiden immer noch über das Gelächter des anderen lachen musste, wenn er gerade dabei war sich zu beruhigen. Gackt gab es auf, seinen amüsierten Zustand hinter seiner Hand, oder anderem verstecken zu wollen, stattdessen hielt er sich den Bauch und krümmte sich. Hyde legte einen Arm auf Gackt’s Rücken, um sich selbst abzustützen und sein Gesicht darin zu vergraben. Sein ganzer Körper zuckte, es war einfach nicht zum aushalten mit ihren Gästen, wie konnte man nur so sein, wie diese Beiden? Nina ließ sich auf ihre Knie nieder und schmulte beschämt zu ihren Lieblingssängern, die sie gerade haltlos auslachten. Auch die Rotblonde drehte sich wieder richtig rum und blieb bedröppelt auf den Stufen sitzen. Die Situation war für die Beiden ja so was von peinlich! Sie wurden nicht nur beim Lauschen erwischt, nein, sie wurden auch noch so auf der Treppe aufgefunden!

„Ist ja gut, kriegt ihr euch auch mal wieder ein?“, maulte Nina vorwurfsvoll.

Das Gelächter der beiden Sänger wurde nur noch lauter. Nina stand beleidigt auf und hielt sich kurz ihre Knie, sie schmerzten böse. Chrissie richtete sich ebenfalls auf, bei ihr hatten mehr die Ellenbogen gelitten.

„Ihr zwei seid herrlich! Wirklich, seid ihr Deutschen alle so?“, fragte Hyde mit geschaffter Stimme, nachdem er sich wieder gefangen hatte.

Die Kleinere sah erst ihn, dann Gackt an und bleib mit ihrem Blick an ihm hängen.

„Tja, ihr hättet es ja beide austesten können und nicht einfach nur heimlich mal kurz bei uns reinschnallen, ein Video drehen und dann wieder verschwinden.“

Der Schlag hatte gesessen, beide Männer wurden ganz still und räusperten sich. Chrissie stupste Nina an und gebot ihr mit einer Handbewegung, ihr, an den Männern vorbei, in die Küche zu folgen.

STILLE

„Sushi?!“, meinten beide verdattert wie aus einem Mund.

Hyde und Gackt waren es diesmal, die sich über zwei gewisse Personen einen Grinsekrampf holten. Vor den beiden Freundinnen offenbarte sich eine üppige Platte mit an die 48 verlockend aussehenden Sushi.

„Was… warum?“, stammelte Nina.

Sie drehten sich zu ihren Gastgebern um, die locker angelehnt im Türrahmen standen.

„Ich wollte euch eine kleine Freude machen und mich für das Frühstück revanchieren.“

„Ihr wisst ja, Gackt kann in etwa so gut kochen, wie Pinguine fliegen können.“

„Hyde, denk daran, dass du heute Nacht in meinem Bett schlafen wirst“, konterte Gackt bedrohlich.

Imaginär bekamen Nina und Chrissie gerade heftiges Nasenbluten, ihre immerzu zweideutig denkenden Gehirne arbeiteten auf Hochtouren.

„Nein, ich sag jetzt nichts dazu.“, sagte die Ältere mit einem eindeutig zweideutigem Grinsen im Gesicht.

„Ich auch nicht, ich denk mir meinen Teil dazu.“, fügte Nina hinzu.

Nun begann auch Hyde dreckig zu grinsen, Gackt biss sich auf die Unterlippe und sah schmunzelnd zu Boden.

„Na ja, aber wie auch immer… Es wäre doch gar nicht nötig gewesen, sich bei uns zu revanchieren.“, sagte Nina leicht verlegen zu Gackt.

„Stimmt, eigentlich wissen wir gar nicht, wie wir uns bei dir bedanken sollen.“

„Hm? Warum?“

Die beiden Mädchen sahen sich an, sollten sie auf so eine Frage wirklich noch antworten?

„Gackt, es ist doch nicht selbstverständlich, dass Leute wie wir einfach so wildfremde Fans bei uns einquartieren.“, beantwortete Hyde die Frage.

„Ach so, nun… Lassen wir das Sushi nicht warm werden.“

Alle schüttelten über ihn noch mal ihren Kopf, doch dann griff sich jeder munter einen Teller und tat sich seine Portion auf. An diesem Abend setzten sie sich zum essen alle mal ins Wohnzimmer. Nina war natürlich wieder gleich damit beschäftigt May zu kraulen. Viel zu erzählen hatten sie sich in der ersten Zeit nicht, Chrissie und Nina trauten sich nicht, ihren beiden Lieblingen Fragen zu stellen und die beiden Stars waren momentan ziemlich unkreativ, was das Fragenstellen betraf. Doch nachdem sie alle fast fertig waren, meldete sich Hyde zu Wort.

„Ich muss morgen um fünf aus dem Bett, lässt sich das einrichten?“

„Sicher, ich muss da auch in etwa raus.“, antwortete der Jüngere.

„Wo wir gerade dabei sind, was mache ich dann mit euch beiden? Ich kann euch ja wohl schlecht den ganzen Tag über hier einsperren.“

Chrissie schluckte ihr letztes Sushi herunter und wand sich dann an ihre dunkelhaarige Freundin.

„Was meinst du?“

Nina zuckte mit den Schultern und tunkte noch mal in ihrer Sojasoße herum.

„Na ja, wenn ihr wollt könnte ich euch zwei ja morgen noch mal mit zu meinem Konzert nehmen. Ihr könnt euch ja backstage mal alles ansehen, aber nur, wenn ihr mir versprecht nicht zu stören, oder dem Staff im Weg zu stehen.“

Nina hätte ihre Sushirolle fast in die Schale mit der Soße fallen lassen. Auch bei Chrissie war für einen Moment völliger Atemstillstand eingetreten. Der kleinere Sänger musterte seinen Kollegen prüfend.

„Ist heute der dritte Juli?“, fragte Chrissie halb traumatisiert.

Hyde schmunzelte, er konnte sich schon denken, worauf die junge Frau vor ihm hinaus wollte.

„Ja, ziemlich sicher sogar.“, antwortete Gackt.

„Ist das Tour Final morgen?“, fragte Nina mit großen Augen.

„Nein, erst übermorgen.“

Die Mädchen sahen sich an, ganz offensichtlich heckten sie gerade etwas aus.

„Wäre es schlimm, wenn wir nicht mitkommen würden?“, fragte Chrissie schließlich.

Ehrlich gesagt war Gackt ziemlich überrascht, auch an Hyde ging diese Antwort nicht ganz spurlos vorbei.

„Wir wollten morgen nämlich eine kleine Shopping Tour unternehmen, aber bei dem Tour Final wären wir schrecklich gerne dabei!“, übernahm die Jüngere.

Hyde und Gackt sahen sich irritiert an.

„Nun… Nein, ich bin deswegen nicht böse, es war ja nur ein Vorschlag. Ihr wollt wirklich den ganzen Tag shoppen gehen?“

„Nicht wirklich, irgendwann wollten wir auch wieder in Haus rein, aber wir können uns ja auch nach einem Hotel umsehen, wir wollen ja niemanden stören.“

„Ach was! Ihr bleibt einfach, außerdem brauche ich jemanden der sich um die Tiere kümmert, wenn Hyde und ich nicht hier sind. So müsste ich erst jemanden dafür einstellen. Würdet ihr Belle morgen mitnehmen?“

Freudig nickten die zwei Freundinnen.

„Gut, dann wäre das ja auch geklärt. Lasst einfach die Terrassentür auf, ich kann euch keinen Schlüssel geben, das versteht ihr ja hoffentlich. Ich muss euch schon so mein Haus anvertrauen.“

Wieder kam eifriges Nicken von den Beiden.

„Warum musst du eigentlich morgen früh auch raus?“, fragte Chrissie Hyde.

„Ich muss zur Probe.“

In den Köpfen der Beiden ratterte es plötzlich, Probe? Hatte er da was von einer Probe gesagt?

„Probe?“, fragten sie wieder gleichzeitig.

„Ja, am Donnerstag hat L’Arc~en~Ciel hier einen Gig.“

„Ich glaub’s nicht… Chrissie ich heul gleich!“, sagte Nina auf deutsch zu ihrer kleineren Freundin und klammerte sich mit gespielt bebenden Lippen an ihren Arm.

„Jetzt nicht, ich bin grad am sterben…“, antwortete sie monoton klingend.

„Olle Nachmacherin…“

Gackt versuchte angestrengt herauszuhören, was sie wohl gerade zueinander sagten. Hyde lauschte indessen interessiert dieser fremden Sprache.

„Was habt ihr denn?“, fragte er irgendwann.

Nina und Chrissie hoben ihre Hände und begannen ihre Zeigefinger gegeneinander zu tippen. Ihre Mienen wirkten schüchtern, bittend und traurig zugleich.

„Mou… Laruku… sehen will desu…“

„Hai, atashi mo…“

Verdutzt wurden sie von ihren Gegenübern angesehen.

„Ihr wollt uns sehen?“

„Schrecklich gerne! Das hatten wir uns eh fest vorgenommen! Tetsu, Ken, Yukihiro… Alle mal live erleben, wow…“, schwärmte Chrissie benebelt.

„L’Arc~en~Ciel können wir uns einfach nicht entgehen lassen!“

Die beiden Sänger bewunderten momentan nur die reibungslose Aussprache der beiden. Nicht mal sie selbst konnten ihre Namen so hervorragen aussprechen. Wenn die Japaner L’Arc~en~Ciel aussprachen, wurde daraus eigentlich immer ein Laruku~en~Chiel. Bei Gackt war es ähnlich, er selbst sagte ja auch nicht Gackt, sondern Gackto, während ihn die Amerikaner Gäckt nannten.

„Ok, ich habe kein Problem damit, wenn ihr am Donnerstag mitkommt. Die Jungs freuen sich bestimmt über Fans wie euch.“

„Das kann ich mir lebhaft vorstellen.“, gab Gackt schmunzelnd hinzu.
 

Der Abend ging ruhig zu Ende, nach dem Essen sprachen sie nur noch ein paar kleine Einzelheiten durch. Anschließend trennten sie sich alle voneinander und suchten ihre Schlafzimmer auf.

„Das war vielleicht ein Tag… Irre!“, sagte Nina und warf sich auf das Bett.

„Und das Beste liegt noch vor uns! Was meinst du, ob uns das jemand glauben würde, wenn wir das erzählen würden?“

Nina rollte sich auf den Rücken und setzte sich auf.

„Glaub ich nicht, aber ich habe auch nicht vor, das hier auszuplaudern. Das wäre nicht fair, wo sie uns doch so viel Vertrauen entgegenbringen.“

„Schade eigentlich, das wäre bestimmt ein interessanter Weblog geworden.“

„Ich bezweifle, dass ich so viel in einen Weblog schreiben könnte. Dann wohl doch eher als eine Fanfiction. Ist ja auch egal, es sollte auf jeden Fall unter uns bleiben.“

Chrissie nickte und zog sich ihr Nachthemd an, auch Nina pellte sich nun aus ihren Klamotten und schlüpfte in ihren rosafarbenen Pyjamer.

„Und wonach wollen wir morgen so suchen Nina?“

„Gackt hat doch morgen Geburtstag, das ist wahrscheinlich die einzige Gelegenheit in unserem Leben, ihm etwas zu schenken. Ich hab auch schon eine Idee, aber dafür brauche ich Kohle und rote Farbe, einen dünnen Pinsel und einen A3 großen Bogen Zeichenkarton. Ein Bilderrahmen wäre sicherlich auch nicht schlecht…“

„Ist ja gut Nina, sag mir lieber, was du machen willst.“

„Verrate ich dir nicht, das wirst du schon noch sehen.“

Ihre rotblonde Freundin verschränkte pikiert die Arme und trat immer wieder mit dem einen Fuß auf.

„Was hast du denn vor?“

Unwissend zuckte Chrissie mit den Schultern und schlüpfte unter die Bettdecke.

„Keine Ahnung… Wenn Hyde Geburtstag hätte wüsste ich was, aber bei Gackt…“

„Was würdest du Hyde denn schenken?“

„Einen blauen Glasgegenstand, er sammelt so was doch.“

„Ich weiß…“

Nina gähnte, die letzte Nacht hatte sie nicht wirklich viel geschlafen.

„Ich glaube, ich schenke ihm einfach eine Karte und einen Blumenstrauß… Das muss reichen, ich bin einfach zu unkreativ für was anderes.“

„Dir ist klar, dass hier in Japan die Blumen ein Vermögen kosten?“

„Eben, dann kann es wenigstens keiner als billiges Geschenk abtun.“

Nina schüttelte schmunzelnd den Kopf, schaltete dann das Licht aus und legte sich zurück ins Bett.
 

„Chrissie? Bist du wach?“

„Jetzt schon…“, kam eine nölende Stimme von der Seite.

„Sorry, aber irgendwie bin ich es heute, die nicht richtig schlafen kann.“

„Kann ich vielleicht was dafür?“

Chrissie drehte sich mit zusammengekniffenen Augen zu ihrer munteren Bettnachbarin um.

„Wie spät ist es jetzt?“

„Kurz nach vier.“

„Ich bring dich um…“, murmelte sie in ihr Kissen hinein.

„Verschieben wir das auf nach dem Frühstück? Überleg doch mal, Hyde und Gackt stehen in etwa einer Stunde auf.“

„Ist ja gut…“

Nina hüpfte total aufgedreht aus dem Bett, griff sich eine schwarze Schlaghose und eine weiße Bluse aus ihrem Koffer und verschwand anschließend aus dem Zimmer. Chrissie wollte eigentlich noch solange dösen bis ihre Freundin wieder aus dem Bad kam, aber sie merkte, wie die Müdigkeit immer wieder zuschlug, sie wäre also nur wieder eingeschlafen. So mühte sie sich also auch aus dem Bett, kramte nach ihrer blauen Jeans und einem rotem Oberteil und schlurfte los. Gerade als sie ins Bad wollte, kam ihr auch schon Nina entgegen.

„Heute mal mit Pferdeschwanz?“

„Ja, es ist einfach zu warm für offene Haare.“

„Aha…“

„Ich geh schon mal runter und fang schon an, lass dir einfach Zeit.“

Irgendwas murmelte Chrissie noch, als sie die Tür hinter sich schloss, aber Nina verstand es nicht. Sie hopste die Stufen hinunter, verabreichte May einen Guten Morgen Knuddler und suchte nach Futter für die anscheinend ebenfalls sehr muntere Hundedame und die große Katze. Irgendwann kam dann auch Chrissie die Stufen heruntergeschlendert.

„Ich dachte, du wolltest schon mal anfangen?“

„Wollte ich eigentlich auch, aber die Tiere müssen ja auch mal was essen und eh ich das Futter und die Näpfe gefunden hatte… Na ja, du siehst ja, wie weit ich gekommen bin.“

„Noch so ein Grund, warum ich mir keine Tiere anschaffe… Wir haben es jetzt halb fünf, wir sollten uns langsam ranhalten. Eins sag ich dir, sobald die Kerle aus dem Haus sind pack ich mich wieder hin.“

Nina umarmte ihre kleine Freundin, Chrissie täuschte vor zu schnarchen, Nina lachte kurz auf und ließ dann wieder von ihr ab. Beide machten sich jetzt daran, Teller und Besteck rauszustellen und die nötigen Nahrungsmittel zusammenzusuchen. Sie waren gerade dabei Obst zu zerschnippeln, da schreckten sie plötzlich auf.

RUMMS

Sie hielten Inne und sahen sich an, dann sahen sie zur Decke auf.

„Was war das?“

„Keine Ahnung.“

Nun hörten sie immer wieder ein dumpfes Geräusch über sich, so als würde jemand laut auf den Boden aufstampfen. Außerdem wurden zwei Stimmen deutlich lauter. Sie dachten nicht lange nach, ließen alles stehen und liegen und stürmten aus der Küche heraus um die Treppe hinaufzusehen.

„Ich glaub es nicht! Wie kann man nur so… so… argh!“, wetterte Hyde’s Stimme laut.

Tatsächlich kam er jetzt auch oben aus dem Zimmer. Den Mädchen schoss das Blut in den Kopf. Er trug ausschließlich eine lockere Hose die sehr tief auf seinen Hüftknochen saß. Nichts weiter! Träumten sie vielleicht noch? Dafür war aber sein Gesichtsausdruck gar nicht begeistert und er hielt sich verkrampft den Kopf.

„Es tut mir leid Hyde! Wirklich!“

„Ach lass mich! Ich schlafe nie wieder neben dir!“

„Hyde, da war doch keine Absicht!

„Du bist so ein Trampel! Das ging wirklich zu weit Gackt!

Hyde drehte sich wieder zum Zimmer um, Gackt konnten sie nicht sehen, aber dafür hatten sie beide jetzt den wohl schönsten Ausblick aller Zeiten, nämlich direkt auf Hyde’s blanken Rücken, direkt auf seine Flügel! Chrissie und Nina drohten zu hyperventilieren! Das sich Gackt und Hyde eben mit sehr zweideutigen Aussagen anschrieen, hatten sie für einen Augenblick lang ausgeblendet. Imaginäre Sabber tropfte aus ihren Mündern.

„Ich hab geschlafen! Ich hab es doch gar nicht mitbekommen!“

„Sehr schön, ich dafür umso mehr! Die ganze Nacht schon hab ich es über mich ergehen lassen, aber das war ja jetzt wohl die Krönung!“

„Komm schon Hyde! Beruhig dich wieder, wir sind hier nicht alleine!“

„Jetzt komm mir nur nicht so!“

Hyde drehte sich mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht wieder um und trottete die ersten Stufen hinunter. Erste jetzt bemerkte er die beiden Mädchen, schlagartig wurde er verlegen.

„Ihr, ihr seid schon auf?“

Sie nickten nur, ihre Münder waren wie eingefroren, so schnell würden sie sie nicht wieder zubekommen.

„Hyde, was ist…?“

Gackt kam jetzt im selben Outfit aus seinem Zimmer und sah überrascht zu seinen Gästen hinunter.

„Ich kollabiere gleich…“, flüsterte Nina.

„Was ist denn mit euch los?“, fragte Chrissie und musterte die beiden Männer noch mal ausgiebig.

Hyde warf einen abfälligen Blick zu Gackt hoch und rieb sich noch mal seinen Hinterkopf.

„Fragt das am besten unseren Gastgeber.“

Gackt räusperte sich verlegen.

„Nun, ich hab da so eine schlechte Angewohnheit, für die ich aber nichts kann.“

„Das sagt er zumindest.“, fiel ihm Hyde ins Wort.

„Ich schlafe ziemlich unruhig…“

Nina und Chrissie verstanden nicht richtig, worauf Gackt denn nun hinaus wollte und zogen jeweils eine Augenbraue hoch.

„Er schlägt im Schlaf um sich, aber nicht nur das, nein, der Herr kann auch seine Beine nicht still halten!“

„Hyde!“

„Wie jetzt? Hat Gackt dich die ganze Nacht über bearbeitet?“, hinterfragte Chrissie neugierig und auch etwas verwirrt.

„Das ist noch harmlos ausgedrückt!“

„Jetzt übertreibst du aber Hyde!“, versuchte sich Gackt zu verteidigen.

„Damit konnte ich aber noch leben, ich bin halt bis auf die äußerste Kante des Bettes gerutscht.“

„Und was war dann dieser dumpfe Rumms von vorhin?“, fragte diesmal Nina, die aber mit ihren Blicken irgendwie an Gackt’s Oberkörper zu hängen schien.

Gackt hielt sich die Hand vor seine Augen, die Situation war ihm peinlich.

„Er hat mich aus dem Bett getreten! Natürlich hat er friedlich weitergeschlafen, so als wäre nichts gewesen, dass ich beim Fallen noch den Nachttisch mitgenommen habe, hat ihn nicht mal gekratzt!“

Jetzt wurde es ganz still, doch schon im nächsten Moment gingen die beiden Freundinnen auf die Knie und kugelten sich bald vor Lachen. Sie konnten sich die Situation lebhaft vorstellen! Und dann noch Hyde’s Miene dazu! Das war einfach zu köstlich! Das hielt man doch im Kopf nicht aus! Das war einfach knuffig ohne Ende! Gackt und Hyde waren wie geplättet. Doch irgendwo fanden sogar sie es lustig, also lächelten sie bald auch.

„Und was macht ihr beiden schon um diese Uhrzeit hier? Ihr hättet doch noch schlafen können.“, fragte Gackt, als er mit Hyde zusammen die Treppe herunter gekommen war.

Diesmal warf Chrissie Nina einen bösen Blick zu.

„Och, Nina war der Meinung, nicht mehr schlafen zu können, von daher…“

„Dafür hast du mich gestern aus dem Bett geworfen!“, beschwerte sich Nina vorwurfsvoll und machte einen Schmollmund.

„Tja, also haben wir Frühstück gemacht, wir sind aber mit dem Obst noch nicht fertig.“

„Egal, Hauptsache Essen.“, kommentierte Hyde hungrig klingend und setzte sich auf einen der Stühle.

Die Hose war ihm wirklich viel zu groß, aber es sah sehr süß und auch irgendwo sexy aus.

„Die Hose ist von mir, Hyde’s Sachen kommen erst heute mit seinem Staff.“

„Hä?!“, quiekten die beiden.

Gackt grinste, er hatte sie ertappt.

„Ihr begutachtet ihn doch schon die ganze Zeit über.“

„Wäh, das ist fieß…“, jammerte Nina hochrot.

„Hyde bekommt man halt nicht jeden Tag so hautnah zu Gesicht.“, verteidigte sich Chrissie peinlich berührt.

Hyde grinste vor sich hin, er hatte ganz offensichtlich seinen Spaß.
 

Nach dem Frühstück warfen sich die beiden schmucken Kerle noch in Schale und verabschiedeten sich dann. Gackt hatte ihnen zuvor noch eine Leine für Belle anvertraut und seine Tiere noch mal gestreichelt. Natürlich konnten sich Nina und Chrissie bei diesem Anblick nur schwer ihr Quietschen verkneifen, Gackt’s Gesichtsausdruck war so friedlich und liebenswürdig dabei gewesen!

„Dann sehen wir uns also heute Abend, stellt keinen Blödsinn an und passt mir gut auf Belle auf.“

„Ist klar, wird gemacht.“, antwortete Chrissie optimistisch.

„Dafür dürft ihr euch aber nicht übernehmen, ok?“

Die beiden Stars lächelten die beiden jungen Frauen an und gingen dann.

„Sie haben uns angelächelt… Sie haben uns angelächelt!!!“, stellte Nina überglücklich fest und hüpfte im Pentagramm durch das Haus.

„Reg dich wieder ab, wir haben noch viel zu tun.“

„Ich dachte, du wolltest noch eine Weile dösen?“

„Hat doch jetzt eh keinen Sinn mehr, wir sollten uns lieber was für Gackt überlegen. Er wäre doch sicher überrascht, wenn ihn hier irgendwas Tolles erwarten würde, oder?“

„Klar, aber was willst du denn machen? Die Geschäfte haben noch lange nicht offen, außer natürlich die 24h Shops.“

„Kannst du backen?“

„BACKEN?! Ich?! Meinst du wegen einem Kuchen? Gackt ist doch eh nur ungern Süßes, er könnte ja zunehmen…“

„Das habe ich bis zu dem Geburtstags Special von der 2003 Tour auch noch gedacht.“

„Stimmt, er hat ja von der Torte zu seinem 30. Geburtstag auch genascht. Aber selbst wenn, er wird doch von seinem Staff heute bestimmt auch wieder eine riesige Torte bekommen.“

„Hast Recht… Was war noch mal sein Lieblingsessen?“

„Pasta!“, antwortete Nina wie aus der Pistole geschossen.

„Nur Pasta?“

„Nein, aber ich finde Sachen wie Eiersalat wenig feierlich. Außerdem kann ich nur Pasta. Ich schaffe höchstens noch einen Kartoffelsalat.“

„Nee, lass mal gut sein. Pasta ist schon ok.“
 

Nachdem sie das unter sich ausgemacht hatten, machten sie es so, wie es ihnen Gackt gesagt hatte und ließen die Terrassentür offen. Schnell waren die richtigen Nudeln und Soße eingekauft, warum hatten sie auch ausgerechnet das beim Großeinkauf vergessen müssen? Als sie wieder daheim ankamen, war es bereits halb sieben. So entschlossen sie sich, ihr Zimmer wieder aufzuräumen, den Abwasch zu erledigen und noch ein paar andere Kleinigkeiten in Ordnung zu bringen. Erst um halb acht suchten sie die kleine Dackelhündin auf und schnallten sie an die Leine. Belle ließ sich anstandslos von Chrissie an die Leine nehmen, doch wechselten sie sich bei der Leinenführung immer ab.

„Was meinst du, ob wir hier richtig sind?“, fragte Nina, als sich vor ihnen eine lange Allee mit unheimlich vielen Läden auftat.

„Sicher, na dann mal los.“

Sie schauten interessiert in jeden Laden hinein, überall wimmelte es nur so von Japanern. Natürlich konnte Chrissie nicht an den CD Läden vorbeigehen, Nina dafür nicht an den Comicläden. Hier und da ließ sich schon der ein oder andere Leckerbissen erstehen, erst später kamen sie zu den Shops, die sie eigentlich gesucht hatten.

„Warte mal, ich muss mal kurz in die Drogerie.“

„Warum das denn?“, fragte Chrissie fast schon ein wenig genervt.

„Ich will mir Haarfarbe kaufen.“

„Haarfarbe? Willst du dir deine Haare jetzt doch wieder bleichen?“

„Um Gottes Willen! Bloß nicht! Nee, ich will sie mir wieder schwarz färben.“

„Du wolltest doch unbedingt wieder blond sein.“

„Schon, aber sieh mich doch mal an, ich laufe rum wie sonst irgendein Abschaum. Und das, was bei mir eigentlich blond sein sollte, nennt sich doch wohl eher Straßenköterblond. Schwarz passt einfach am besten zu mir.“

„Ja, hast ja Recht.“

Also kaufte sich Nina zwei Packungen mit schwarzer Haarfarbe in dem Laden. Chrissie schüttelte den Kopf, wie konnte man nur so unsicher sein, wie ihre Freundin? Anschließend fanden sie endlich einen Laden für Zeichenmaterial. Nina gingen die Augen über als sie die vielen Copic Marker, Rasterfolien, Federn und Liner sah, doch sie musste sich beherrschen, immerhin musste ihr Geld noch für Gackt’s Geschenk reichen. Zufrieden, aber pleite, verließ sie den Laden wieder. Belle jaulte betreten, immer wieder wurde sie draußen angebunden, während ihre zwei Dogsitter ihre Einkäufe erledigten.

„Tut uns leid Belle, aber du willst doch sicher auch, dass sich dein Herrchen freut, oder?“, sagte Nina tröstend und kraulte die Kleine hinter den Ohren.

„So, Blumen wären jetzt nicht schlecht, eine Karte hab ich ja jetzt.“

„Da drüben sehe ich einen Laden mit einer grünen Markise, vielleicht haben wir ja da Glück.“

Chrissie nickte, hakte sich bei Nina ein und überquerte mit ihr die befahrende Straße. Tatsächlich hatten sie Glück, aber die Preise hatten sich wirklich gewaschen. Chrissie schluckte schwer, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Nachdem sie mit Nina viel gerätselt hatte, welche Blumen man einem Mann in dem Alter zum Geburtstag schenkt, ohne dabei kitschig oder übertrieben zu wirken, entschied sie sich für einen Strauß mit rotem Mohn, denn der Mohn passt zu Menschen mit Phantasie.

„Irgendwie blöd einem Mann Blumen zu schenken, oder?“

„Na ja, es ist vielleicht nicht üblich, aber solange du ihm nur harmlosen Mohn und keine roten Rosen schenkst…“

„Nein, die roten Rosen überlasse ich dir.“

„Ich mag aber lieber weiße Rosen.“

Chrissie verdrehte die Augen.

„Ich meine doch nicht für dich! Du sollst ihm welche schenken!“

„Spinnst du?!“

„Ach ja, du verschenkst ja lieber Bilder.“

„So war das nicht gemeint!“

„Weiß ich doch, fahr doch nicht gleich aus der Haut.“

Chrissie grinste ihre verlegende Freundin an.

„Na komm, ab nach Hause.“
 

Daheim schleifte Nina ihre Freundin sofort mit ins Bad und überließ ihr ihre Haare. Vorne alles mit Farbe einzuschmieren war nicht schwer, doch hinten kam sie niemals alleine zurecht. Am Ende hatten sie es zu zweit doch vernünftig hinbekommen und Nina hatte nun endlich wieder einheitlich schwarzes Haar.

„Besser kann es selbst der Friseur nicht, danke Mausi.“

„Kein Problem, sieh lieber zu, dass du mit deinem Bild noch fertig wirst, bevor Gackt zurückkommt.“

Nina sah auf die Uhr, es war kurz nach 14 Uhr, sie musste sich also wirklich ranhalten.

„Ich lasse das Mittagessen heute wegfallen, kommst du damit zurecht? Du kannst dir auch gerne selber was machen.“

„Nein, ich bin müde, ich leg mich hin.“

„Ok, ich platziere mich dann auf dem Fußboden.“

Keine fünf Minuten später schlummerte Chrissie friedlich, nur ihr Atmen und das Kratzen von Nina’s schwarzem Kohlestift auf dem Zeichenkarton erfüllte den Raum. Sie war eifrig dabei, immer mehr grobe Linien auf den Bogen zu zeichnen und nach und nach nahm das Bild Gestalt an. Die Stunden verstrichen, doch sie bemerkte es gar nicht. Je besser das Bild in ihren Augen wurde, desto größer wurde auch der Ergeiz, der sie packte. Als Nina endlich zu dem Schluss kam, dass das Bild fertig wäre, schraubte sie die Tube mit der roten Farbe auf und tunkte ihren feinen Pinsel in dem intensiven Farbton. Vorsichtig, aber mit schnellen Zügen, setzte sie an manchen Stellen feine, rote Linien zwischen die groben Schwarzen. Erst als sie das Bild fixiert hatte und es in dem Glasrahmen weilte, war sie zufrieden mit sich. Seufzend drehte sie zu Chrissie um, die noch immer zu schlafen schien. Nina packte das Bild in weißes Geschenkpapier, an den Ecken schnürte sie es mit dunkelblauem Geschenkband ein.

„Bist du fertig?“

Die Dunkelhaarige zuckte fürchterlich zusammen.

„Wow! Erschrick mich doch nicht so!“

„Sorry… Zeig mal.“

„Ich hab es schon eingepackt.“

„Döspaddel…“

„Wie spät?“

„Halb sieben.“

Nina stand auf, mitsamt dem Geschenk und trat in den Flur hinaus. Chrissie war ihr gefolgt und sah sie nun fragend an.

„Was hast du denn vor?“

„Ich falle in Ohnmacht, wenn ich ihm das hier persönlich geben muss, ich denke, dass ich es ins Schlafzimmer stelle.“

„Gut, dann stelle ich meinen Blumenstrauß dazu.“

Optimistisch zwinkerten sie sich zu. Chrissie holte noch schnell die Vase mit dem Mohn und überließ dann alles ihrer Freundin.

„Ich setze unten schon mal Wasser auf, langsam wird unsere Zeit knapp.“

„Mach das, ich komme gleich nach.“

Schon war ihre ältere Freundin die Treppe hinunter gegangen und nach rechts in die Küche eingebogen. Nun stand Nina ganz alleine da, vor der Tür zu Gackt’s Schlafzimmer. Vor der Tür zu dem Zimmer, in dem der Mann Nacht für Nacht nächtigte, den sie am aller meisten bewunderte, den sie verehrte und dem sie so viel sagen könnte, aber doch nie die richtigen Worte dafür finden würde. Sie schluckte kurz, doch dann drückte sie die Türklinke herunter und öffnete die Tür. Das Schlafzimmer war harmonisch eingerichtet. Geradezu war ein Balkon über dessen Türen lange, cremfarbene Gardinen hingen, die leicht durchschimmernd waren und wie Seide im seichten Wind wehten. Der Ausblick war sehr romantisch, besonders weil gerade die Sonne unterging und alles in warme Rottöne tauchte. Das stimmte Nina schon fast ein wenig melancholisch. Auf der linken Seite lief eine weiße, weich geformte Flachstrecke an der Wand entlang. An den Seiten und Kanten lief immer eine hauchdünne, goldene Ader entlang, das veredelte das Möbelstück gleich noch mehr. Der Teppich war weich und passend zu den Gardinen ebenfalls cremefarben. Sie sah nach rechts, dort ging der Raum tiefer hinein, dort stand auch das große Doppelbett. Nina war überrascht, noch nie hatte sie Ecknachttische gesehen, doch Gackt hatte welche. Sie waren vom gleichen Stil wie die Flachstrecke, sie wirkten wie Dreiteiler, nur in einem Stück. Die Wände waren weiß, aber wenn man genau hinsah konnte man erkennen, dass ein ganz dezentes Muster in die Tapete eingestanzt war. An den Wänden neben dem Bett hingen Bilder. Auch sie passten perfekt in das Ambiente des Zimmers, ruhig, aber nicht langweilend. Sie hatte sich sofort in dieses Zimmer verliebt, es war wirklich wunderschön und bestach in seiner Schlichtheit. Das passte irgendwie gar nicht zu dem Rest des Hauses und erwartet hatte sie das von gackt auch nicht, vielleicht war es verkehrt hier einfach reinzugehen und somit seine Privatsphäre zu stören, aber nun war es zu spät. Inzwischen stand Nina vor dem Bett, sie musste jetzt nur noch herausfinden, auf welcher der beiden Seiten Gackt wohl schlief. Das war allerdings nicht schwer herauszufinden, zerwühlt waren beide Seiten, doch auf der von ihr aus rechten Seite lag die Zudecke auf dem Fußboden. Dort musste zweifellos Hyde aus dem Bett gefallen sein. Sie musste schmunzeln, doch dann legte sie das Geschenk und die Blumen beiseite und machte das Bett wieder ordentlich. Jetzt nahm sie das Bild wieder auf, stellte es auf Gackt’s Nachttisch und lehnte es dort gegen die Wand. Nun stellte sie noch Chrissie’s Blumenstrauß daneben und platzierte die Karte noch hübsch dazwischen.

»Wenn das nicht gut ankommt, dann weiß ich auch nicht.«

Sie strich noch mal verträumt über das weiße Geschenkpapier, doch plötzlich schreckte sie zusammen. Hinter ihr war gerade die Tür aufgegangen.

Fragrance

06 Fragrance
 

****Mein Ziel selbst nicht findend. Der dünne Faden einer im Wind verschwindenden Erinnerung, zieht mich langsam.

Ich lausche der Stimme meines rauschenden Herzens, „Für was bin ich… geboren worden…“ so fragt es.

Der Mond sieht mich stetig an, aber bis jetzt habe ich noch keine Antwort bekommen.

Nur die Liebe allein wird größer, obwohl ich mich nicht einmal mehr an den Namen der Vergangenheit erinnern kann. Ich kann nichts tun.****
 

„Da kommt jemand!“, kreischte Chrissie ins Zimmer hinein.

Nina stand noch völlig perplex und zusammengezuckt da. Sie schnallte im Moment die Situation einfach nicht. Ihre blauäugige Freundin sah sie mit weit aufgerissenen Augen an und wartete auf eine zügige Reaktion.

„Mensch! Hörst du schlecht?! Komm und beeil dich!“, fuhr sie Nina noch einmal eindringlich an und verschwand dann wieder aus dem Türrahmen.

Langsam begriff Nina und wurde leicht panisch. Jetzt von Gackt überrascht zu werden, war wohl das Schlimmste, das ihr in dieser Situation passieren konnte! Sie überflog noch einmal flüchtig ihre Zusammenstellung und floh dann eilig aus dem Zimmer.

„Nina?“, rief plötzlich eine Stimme von der Treppe zu ihr hinauf.

»SCHEIßE!«, schoss es ihr durch den Kopf.

Ganz langsam drehte sie sich zum Ursprung der Stimme um und erblickte Hyde, der sie prüfend musterte.

„Was hattest du denn gerade in Gackt’s Zimmer zu suchen?“, fragte er mit strengem Blick und fordernder Stimme.

„Ich… Ich hab nur was…“

Sie begann nervös an ihren Fingern zu knibbeln, das war wirklich eine verdammt verzwickte Situation, alles sprach für ein Verbrechen ihrerseits. Nun kam Hyde die letzten Stufen zu ihr hinauf.

„Das sieht jetzt alles bestimmt ziemlich blöd in deinen Augen aus, aber es ist bestimmt nicht so, wie du vielleicht denkst!“, versuchte Nina Hyde zu beruhigen.

Hyde sah sie nur kurz an, dann machte er entschlossen wirkende Schritte auf die Schlafzimmertür zu und trat hinein. Nina folgte ihm etwas verlegen, weil sie wusste, was Hyde jeden Moment sehen würde. In diesem Moment schmulte auch Chrissie um die Ecke.

„Schön dich auch mal wieder zu sehen!“, fauchte Nina im leisen Flüsterton.

Chrissie überging diese Äußerung einfach und beobachtete Hyde’s Verhalten. Er stand etwas überrascht im Zimmer und begutachtete den kleinen Aufbau.

„Siehst du, das war das, weswegen ich in diesem Zimmer war…“, rechtfertigte sich Nina noch mal vorsichtig.

„Ach je… und ich hab schon gedacht… Tut mir leid, aber es sah so verdächtig aus.“

Die beiden Freundinnen schüttelten ihre Köpfe.

„Ist schon ok, ich hätte wahrscheinlich das Gleiche gedacht.“

„Vielleicht hätten wir es vorher auch bei dir anmelden sollen.“, fügte Chrissie noch hinzu.

Hyde ging näher an die Sachen heran und prüfte noch ein wenig weiter.

„Ich bin mir eurer guten Absichten durchaus bewusst und Gackt würde sich auch sicher über die Sachen freuen, aber habt ihr nicht was Wichtiges vergessen?“

Die Mienen der Beiden sprachen Bände, ihnen war quasi ein Fragezeichen ins Gesicht gedruckt worden. Hyde schmunzelte, er hatte auch nicht damit gerechnet, dass die zwei jungen Frauen in ihrem Übereifer diese gewisse Kleinigkeit mitberechnet hatten.

„Ich mache es euch einfach. Also, ihr habt doch sicher sämtliche Touren von Gackt gesehen, oder?“

Sie nickten eifrig.

„Dann nehme ich an, dass ihr auch wisst, wo jedes Mal das Tourfinal stattfindet.“

„Yokohama Arena“, kam es wie aus einem Mund von ihnen.

Noch hakte es in ihren sonst so aktiven Hirnen, also gab Hyde den letzten Anhaltspunkt frei.

„Gut. Und wo sind wir jetzt?“

Sie sahen sich ahnungslos an, was wollte Hyde eigentlich von ihnen? Was hatte das Tourfinal mit ihren Geschenken zu tun?

„Wir sind in Gackt’s Haus, oder?“, antwortete Nina zweifelnd.

Genau jetzt schlug sich Chrissie die Hand vors Gesicht.

„Was’n jetzt los?“, hinterfragte Nina erschrocken und auf Deutsch.

„Denk nach! Wir sind in Kyoto! Das Tourfinal ist aber in Yokohama!“

„Aha, hast du mal einen Atlas für mich?“

Ihre ältere Freundin stöhnte entnervt, Hyde wartete geduldig ab.

„Du weißt doch sicher, wie weit Kyoto von Nagoya weg ist.“

„Ja.“

„Yokohama ist doppelt so weit von hier entfernt.“

Nina’s Kinnlade verflüchtigte sich schlagartig.

„Ist nicht dein Ernst…“

„Aber auf jeden Fall die Realität.“

STILLE

„Und was bedeutet das jetzt im Klartext für uns?“, begann Nina nach einer kurzen Schweigepause wieder und sah dabei Hyde verzweifelnd an.

„Gackt wird sehr spät erst wieder hier sein, wahrscheinlich erst nach Mitternacht. Morgen früh müsst ihr dann gemeinsam mit ihm noch früher raus als heute, ihr wolltet ja das Final sehen. Ihr habt eine sehr lange Fahrt vor euch.“

„Ach so, Gackt wird also kaum den Nerv haben, noch groß ein Drama aus seinem Geburtstag zu machen… Schade eigentlich…“, fand Nina.

Auch Chrissie bedauerte es sehr, sie hatte sich schon so auf Gackt’s Reaktion gefreut.

„Nehmt euch das doch nicht so zu Herzen, morgen ist doch auch noch ein Tag. Das trifft sich dann doch eh besser.“

Jetzt dachten sie schweigend darüber nach, trotzdem fanden sie ihren ersten Plan besser. Sie würden zwar morgen in den exklusiven Genuss von You, Chachamaru, Ju-Ken und Ryu kommen, aber leider würden sie sich bei der Geschenkübergabe wahrscheinlich auch zum Apple vor ihnen machen. Nebenbei würde Nina schon vorher bei dem Konzert zig Male aus dem Leben scheiden, so wie immer halt.

„Ich brauch jetzt Knuddeleinheiten…“, murmelte Nina vor sich hin.

Chrissie machte sich schon bereit und schloss die Augen, doch irgendwie blieb die erwartete Knuddelattacke aus.

„Hä?“, sagte sie verdutzt, als sie feststellen musste, dass ihre Freundin nicht mehr im Raum war.

Hyde zeigte stumm auf die Schlafzimmertür, bzw. auf den dahinter liegenden Flur. Beide verließen den angenehmen Raum, lange brauchten sie allerdings nicht, um die Schwarzhaarige auszumachen. Sie kuschelte nämlich am Fuße der Treppe mit der neuerdings verschmusten Maine Coon. Chrissie verschränkte gespielt beleidigt ihre Arme.

„Treulose Tomate!“

Hyde grinste.

„Mou, net “Treulose Tomate“, “Katzenfanatiker“ bitte schön!“, konterte Nina selig klingend und schmuste sich noch enger an die große Katze, die leise zu Schnurren angefangen hatte.

„Treulose katzenfanatische Tomate…“

Chrissie schüttelte schmunzelnd den Kopf und schlenderte dann die ersten Stufen zu ihr hinunter, doch dann drehte sie sich noch einmal um und sah zu Hyde hoch.

„Kommst du morgen eigentlich auch mit?“, fragte sie ihn freundlich.

Hyde war ein wenig über diese Frage überrascht, er kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf und löste kurz den Blickkontakt.

„Nun, ich weiß noch nicht, vielleicht.“

Chrissie sah kurz auf ihre Füße, sie dachte offensichtlich kurz nach. Schließlich sah sie ihn wieder an, Hyde wirkte etwas ratlos über ihren Gesichtsausdruck.

„Ich würde mich aber sehr freuen, wenn du auch mitkommen würdest.“

Mit diesem Satz drehte sie sich schnell wieder um und gesellte sich zu Nina, die von dem kurzen Wortwechsel nichts mitbekommen hatte. Hyde blieb oben zurück und starrte Löcher in die Luft. Irgendwie kam ihm das eben nicht wie ein ganz gewöhnlicher Wortaustausch vor, doch was war daran jetzt anders gewesen? Nachdenklich drehte er sich um und ging zurück ins Schlafzimmer.

„Nina?“

„Ja?“

„Ich bin blöd.“

„Nani?“

Nina kapierte Chrissie grad nicht, aber sie sagte auch nichts weiter dazu und widmete sich nun auch Belle, die schwanzwedelnd zu ihnen gewetzt kam. Die Rotblonde lehnte ihren Kopf an ihre angezogenen Knie und dachte nach.

»Na toll! Ich hab es doch tatsächlich mit “Ich“ betont! Und dann hab ich bestimmt total verpeilt ausgesehen! Voll peinlich…«
 

„Tinchen?“

„Nenn mich nicht so…“, kam eine bedrohliche Stimme unter der benachbarten Bettdecke hervor.

„Du bist also auch wach?“

„Nein, wie kommst du darauf?“, antwortete sie sarkastisch.

„Ich muss auf Klo.“

„Schön für dich, schick mir ne Postkarte…“

„Hör auf damit! Ich wollte eigentlich fragen, ob du mitkommen würdest.“

Es raschelte neben ihr, Chrissie musste sich gerade zu ihr umgedreht haben.

„Jetzt hör mal, ich hab ja nun wirklich alles Mögliche mit dir zusammen gemacht, aber mit dir gemeinsam auf Klo gehen? Ich weiß ja nicht…“

Ein imaginärer Tropfen rollte Nina’s Stirn herunter.

„Ich meinte eigentlich eher, dass du mich nur bis dahin begleiten sollst. Ich bin doch Nachtblind und kenne mich hier überhaupt nicht aus. Ich sehe doch die Hand vor Augen nicht.“

„Stimmt, nur lauter schwarze Löcher im Boden, die sich bewegen…“

„Das ist kein bisschen lustig!“, maulte Nina vorwurfsvoll und überlegte bereits, ob sie ihrer Freundin ihr Kissen auf die Nuss hauen sollte.

„Ist ja schon gut… Wie spät ist es eigentlich?“

„Weiß ich nicht und ich schau auch nicht nach. Wenn ich nämlich feststelle, dass mir nur noch eine Stunde zum Schlafen bleibt, schlafe ich nie wieder ein.“

„Ist doch eh Wurst, was wir in den letzten Nächten an Schlaf versäumt haben können wir eh nie wieder aufholen. Wir können ja im Auto schlafen.“

„Kommst du nun mit raus?“, fragte Nina nochmals hoffnungsvoll.

„Nein.“

Klare Antwort, Nina seufzte resignierend. Sie schlug bitter ihre Bettdecke um und richtete sich auf. Obwohl ein wenig Mondlicht ins Zimmer fiel, erkannte sie nur sehr spärlich die gröbsten Umrisse und tastete sich deswegen ihren Weg auf den Flur. Doch bereits als sie die Tür hinter sich wieder geschlossen hatte, verfiel sie in leichte Panik. Alles war schwarz, nicht mal die lustigen und beweglichen Löcher wuselten über den Boden. Nina verfiel nun in einen Anflug von Zynismus.

»Toll! Ist ja wirklich reizend! Es würde mich nicht wundern, wenn ich mich morgen früh in Timbuktu wiederfinden würde…«

Sie streckte ihre Arme aus und kam sich dabei unheimlich albern vor. Sie setzte einen Fuß vor den Anderen, irgendwo musste ja auch die Treppe sein, auf der sich in der kurzen Zeit, in der sie hier waren, schon allerhand abgespielt hatte, doch im Moment wusste sie nicht einmal, ob sie in die richtige Richtung lief. Plötzlich knarrte eine Türklinke. Nina ließ augenblicklich Panik und Zynismus hinter sich und erreichte Stufe drei, völlige Verzweiflung angesichts einer peinlichen Begebenheit und unüberlegte Hektik. Sie drehte sich also auf dem Hacken um und wollte ihr Heil in der Flucht suchen.

»Nicht noch so ein peinliches Desaster! Nicht wieder ich!«

Schon im nächsten Augenblick wünschte sie sich, sie hätte diesen Gedanken nie gehabt, sie rammelte mit voller Geschwindigkeit gegen eine Kommode, die an der Wand entlang stand.

„Autsch! Verflucht noch mal! Kuso!“, fluchte sie laut, hielt sich mit beiden Händen die linke Seite ihres Beckens und stolperte unbeholfen nach rechts.

„Nina?“, erklang Gackt’s Stimme hinter ihr.

Sie drehte sich überrascht zu ihm um und stellte fest, dass er aus seinem Arbeitszimmer gekommen war, in dem noch Licht brannte. Seine Haare waren noch klamm und er trug ein zusammengerolltes Handtuch in seinem Nacken. Sein Oberkörper wurde von einem ganz normalen Unterhemd bedeckt, doch er schien noch seine schwarze Lederhose zu tragen. Und sie stand jetzt natürlich in ihrem Schlafanzug auf der Treppe, von ihrer Freundin allein gelassen und von Gackt’s tiefer Stimme eingeschüchtert.

„Ähm… Du schläfst noch nicht?“, fragte sie stammelnd.

»Blöde Kuh! Du stehst hier wie ein Spitzel auf dem Flur, lieferst zuvor noch einen megapeinlichen Auftritt und dann fällt dir kein besserer Spruch ein?«

„Hat keinen Sinn mehr, ich muss noch Einiges wegen morgen vorbereiten, ich kann im Bus schlafen. Und du? Was machst du denn um diese Uhrzeit hier auf dem Flur? Und warum wolltest du gerade flüchten? Du hast dir doch jetzt sicher wehgetan.“

„Ich wollte eigentlich…“

»Wehe du sagst jetzt, dass du auf Toilette wolltest!«, mahnte sie sich selbst.

„…nur ein Glas Wasser trinken gehen.“

»Gut gemacht!«

Gackt nahm eine legere Haltung ein und stützte eine Hand auf seine Hüfte.

„Und was machst du hier draußen?“, fragte sie, um diese unangenehme Stille zu durchbrechen.

„Ich dachte, ich hätte etwas knacken gehört.“

»Vielen lieben Dank auch Gelenke!«

„Och, das war nur ich. Ich roste wohl langsam ein.“

Gackt musste gerade schmunzeln, aber sie sah es nicht, immerhin stand er mit dem Rücken zum Licht. Nina hoffte, dass er auch sie nicht besonders gut sehen konnte, was wohl ein vergeblicher Wunsch war.

„Nun, so groß ist mein Durst nun auch wieder nicht. Ich werde dann wohl wieder Schlafen gehen.“

Noch während sie das sagte wollte sie sich umdrehen, doch sie musste zu ihren Ungunsten feststellen, dass ihr linker Fuß von der obersten Stufe der bisher unrealisierten Treppe rutschte. Sie war im Begriff das Gleichgewicht zu verlieren.

„VORSICHT!“

Nina kniff die Augen zusammen, doch da wurde sie straff an den Armen gepackt und mit einem Ruck zurückgezogen. Jetzt waren ihre Augen wieder offen, weit offen.

„Na das wäre ja was geworden! Stell dir vor, du hättest dir jetzt etwas gebrochen! Ist mit deinem Fuß alles in Ordnung?“

Nina atmete aufgeregt, das war nah, sehr nah, zu nah! Für einen kurzen Augenblick hatte sie in seinen Armen gelegen, sein Parfum gerochen und seine Wärme gespürt, ja sogar seinen Herzschlag hatte sie wahrnehmen können!

„Da- danke…“, war das Einzige, was sie noch zu Stande brachte.

Sie versuchte ihr Gesicht immer gen Boden zu richten, sie konnte förmlich spüren, wie das Blut durch ihre Wangen schoss. Dementsprechend intensiv und schnell war auch ihr Herzschlag.

„Mein Fuß ist ok, ich bin einfach ein ungeschicktes Ding.“

Das war natürlich eine glatte Lüge, ihr Fuß pochte unangenehm und schmerzte, aber damit konnte sie leben. Sie war mehr als ausreichend entschädigt worden. Erst jetzt ließ Gackt ihre Arme los.

„Hast du dir die Haare gefärbt?“

Nina sah ihn verdutzt an.

„Es riecht zumindest danach.“, fügte er noch ganz eilig hinzu.

Er fand diese Frage jetzt ziemlich unpassend und wusste auch nicht genau, wie er auf sie gekommen war, aber ihre Haare hatten ihn gestreift und sie rochen angenehm. Nina nickte nur perplex.

„Nun gut, geh besser wieder schlafen. Wir sehen uns ja morgen früh.“

Wieder nickte sie nur. Gackt lief ein paar Schritte zögerlich rückwärts, erst nach einem kurzen Moment steuerte er entschlossen sein Arbeitszimmer an und verschwand schließlich darin. Nina blieb verwirrt und mit Herzklopfen zurück.
 

Ring-Ring, Ring-Ring, Ring-Ring…

Zwei bleierne Lider hoben sich mühselig. Mürrisch knurrend fixierte das darunter liegende Augenpaar den nervenden Apparat auf dem Nachtisch neben sich. Fest entschlossen, das Geklingel zu ignorieren, zog er die Decke über seinen Kopf.

Ring-Ring, Ring-Ring, Ring-Ring…

Es klingelte unaufhörlich weiter und es erschien ihm, als wurde es immer lauter und eindringlicher. Neben ihm regte es sich inzwischen knurrend, also beschloss er schweren Herzens, seinen schweren Arm doch anzuheben und nach dem Telefon zu langen. Nach einigen Versuchen, sich ja nicht zu sehr anzustrengen, gelang es ihm schließlich den Hörer an sein müdes Ohr zu platzieren, ohne dabei aus dem Bett zu krauchen oder seine Haltung zu verändern.

„Hm?“, murmelte er als Begrüßung hinein.

Eine aufgebrachte Stimme am anderen Ende der Leitung keifte für ihn momentan wirr klingendes Zeug in den Hörer. Es wurde viel zu schnell geredet, seine Schläfen schmerzten.

„Hmh… ja… ok… ja, ja…“, brabbelte er hier und da mehr oder weniger interessiert.

Die Stimme am anderen Ende wurde ruhiger, klang aber immer noch besorgt.

„Hm…“, murmelte er noch immer weggetreten zurück und legte endlich wieder auf. Für einen kurzen Moment wurde es sehr still. Abwartend drehte sich sein Bettnachbar zu ihm um und musterte ihn fragend.

„Schön’ juten morschen…“, blubberte es zwischen seinen Lippen hervor.

Der andere ignorierte ihn und sah stattdessen verstohlen auf seine Uhr.

„IIE! KUSO!!!“, brüllte Gackt plötzlich los, sprang auf und riss noch halb die andere Decke samt Hyde mit sich aus dem Bett.

Unbeholfen stolperte er zu seinen Kommoden und begann panisch nach Sachen zu suchen. Hyde saß mit zerzauster Frisur und verrutschtem Shirt in der Mitte des Bettes und starrte seinen jüngeren Kollegen fassungslos an.

„Sag mal, was ist in dich gefahren?! Bist du jetzt von allen guten Geisern verlassen?“

„Verdammt nein! Hyde, ich hab verschlafen!!!“
 

„Wacht auf… Kommt schon, wir müssen uns beeilen!“

Beide Mädchen öffneten ihre Augen und sahen auf, sofort standen sie im Bett und sahen Hyde verstohlen mit perplexen Mienen an.

„Bitte beeilt euch, Gackt’s Wecker ist stehen geblieben, wir haben alle mächtig verschlafen. Zieht euch einfach schnell an, werft von mir aus schnell ein paar Sachen in eine Tasche und kommt dann runter. Erklärungen gibt es später.“

Schon flitzte der zierliche Laruku-Sänger wieder aus dem Zimmer. Chrissie und Nina sahen sich an, reagierten dann aber schnell und warfen sich in die Klamotten vom Vortag.

„Mein Gott, wie spät ist es denn?“, fragte Nina, die noch eben ihr Geschenk, einen Fotoapparat, ihr Schmierheft und eine Federtasche in ihre größere, blaue Tasche warf.

„Kurz nach fünf oder so…“, antwortete sie entnervt, als sie ihren CD-Player verstaute und nun verzweifelt nach einer geeigneten Transportmöglichkeit für ihren Mohnstrauß suchte.

Nina erkannte schnell Chrissie’s Problem, suchte daraufhin nach dem Rest von dem Geschenkpapier und drückte ihr ein Taschentuch in die Hand.

„Was soll ich damit?“

„Nassmachen, das hält die Blumen länger frisch.“

Ihre ältere Freundin marschierte eilig aus dem Zimmer und landete schlussendlich in der Küche. Alle anderen Wasserhähne waren besetzt. Nina wickelte unterdessen den Strauß in das Papier ein. Als dann Chrissie mit dem nassen Taschentuch zurückkam, wickelte sie es noch um die Stiele.

„So, das müsste bis Yokohama halten.“, meinte Nina zufrieden.

„So ein Strauß ist auch gar nicht auffällig.“, sagte die Kleinere pikiert.

Ihr Blick wanderte dabei über den durch das Geschenkpapier gewaltig aussehenden Strauß.

„Gackt hat jetzt bestimmt keine Augen für so was, lass uns mal schnell in die Küche huschen und die Nudeln und das ganze Zeug einpacken. Ich bin der Meinung, dass ich irgendwo so was wie Tupperware in seinen Schränken gesehen habe.“

„Das ist natürlich noch unauffälliger…“

„Jetzt sei doch nicht so pessimistisch!“, maulte Nina vorwurfsvoll.

„Ich bin realistisch…“, konterte sie teilnahmslos und trottete mitsamt ihrem Rucksack und ihrem Strauß aus dem Zimmer, dicht gefolgt von Nina.

Auf beiden Stockwerken herrschte hektisches umher Gerenne, gerade Gackt, der immer mal wieder vom Schlafzimmer ins Bad und andersrum huschte, schien ziemlich in Eile zu sein. Unten tobte Hyde zwischen Wohnzimmer und Badezimmer hin und her, dazwischen immer wieder eine entnervte Katze, oder eine nervöse Hündin. Interessiert beobachteten die beiden Freundinnen das Spektakel kurz, doch schließlich machten sie sich doch ans Einpacken der Nahrungsmittel. Weil sie beide natürlich noch jede Menge Zeit hatten, bis die Männer endlich mit Aufstylen und Einpacken fertig waren, ließen sie Belle noch mal raus, füllten ihre Näpfe bis zum Überquellen auf und machten noch schnell ein paar provisorische Brote für unterwegs.

„Eine Hektik ist das hier…“, flüsterte Chrissie leise, damit auch ja nur Nina sie richtig verstand.

„Wem sagst du das… Hoffentlich können wir uns noch die Zähne putzen, ehe wir los müssen.“

Just in diesem Moment standen Hyde und Gackt vor ihnen. Frisch herausgeputzt und jeweils in einem hellem Hemd und einer anliegenden Jeans, wie immer nicht zu toppen. Nina und Chrissie hatten den Eindruck, dass die beiden Männer wohl in allem noch eine gute Figur machen würden. Doch dann fielen ihnen wieder gewisse Bilder von Gackt ein, die sie als ziemlich abartig empfunden hatten und ihre Traumwölkchen verpufften.

„Ich habe gerade ein Taxi gerufen, ihr habt noch etwa zehn Minuten Zeit, wenn ihr die brauchen solltet. Hyde und ich gehen noch mal schnell raus zum Rauchen.“

Sie nickten ihnen zu, drückten ihnen beim Vorbeigehen noch schnell eine Stulle in die Hand und flitzten dann die Treppe hinauf ins Bad, um sich wenigstens noch die Zähne zu putzen, sich die Haare zu kämmen und sich vielleicht noch schnell mit dem Lappen übers Gesicht zu fahren. Das Taxi kam dann pünktlich zehn Minuten später. Flüchtig überfolg Gackt noch mal sein Haus und überlegte, ob er auch ja nichts vergessen hatte. Auch Belle war nun wieder im Haus und sah ihn betreten mit ihren schwarzen Hundeaugen an.

„Wer kümmert sich jetzt eigentlich um den Hund?“, fragte Hyde, während Belle jaulend um Gackt herumhüpfte.

„Ich habe die Terrassentür offen gelassen, sie wird mir schon nicht wegrennen.“, antwortete Gackt ruhig.

„Na du bist ja mutig!“, meinte der Kleinere erstaunt bei dieser Antwort.

„Ich kann so kurzfristig niemanden auftreiben, der sich um die Beiden kümmert, du wolltest ja unbedingt mitkommen.“

Hyde sah verstohlen zur Seite und räusperte sich unbewusst. Gackt sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Hyde beobachtete die beiden jungen Frauen, die gerade das Gepäck verstauen, unter anderem auch heimlich ihre Geschenke und anschließend ins Taxi stiegen.

„Hyde, was ist los?“, fragte Gackt misstrauisch.

„Was, ich? Nichts, wieso fragst du?“

Gackt sah Hyde an der Nasenspitze an, dass er etwas vor ihm verheimlichte. Fordernd verschränkte er die Arme, Hyde musste resignieren.

„Hach… Eigentlich hat mich Enah dazu überredet mitzukommen.“

„Überredet?“

„Sie hat mich lieb darum gebeten.“

„Das nennst du überredet?“

„Schluss jetzt damit! Die Zwei warten schon und du hattest es doch bis eben auch noch so eilig!“, versuchte er Gackt zerstreut abzuschütteln.

Das hatte Gackt tatsächlich schon beinahe wieder vergessen. Wie begast schnellte er ins Auto neben den Fahrer. Hyde setzte sich direkt hinter ihn, während Chrissie sich in die Mitte gezwängt hatte und Nina an der linken Fensterscheibe klebte.

»Hyde sitzt neben mir! Er sitzt tatsächlich neben mir!«

Endlich mal wieder ein neues Highlight, welches die Rotblonde in vollen Zügen genoss. Inzwischen war der Wagen losgefahren.

„Hyde, kann ich meine Rückenlehne etwas zurückschrauben? Ich bin doch noch ziemlich müde, ich weiß nicht mal, wie ich in der Nacht noch ins Bett gekommen bin.“

„Mach nur, ich habe noch reichlich Platz.“

Nina musste grinsen, Chrissie strafte sie dafür mit ihren Blicken.

„Denk dran, es ist bei mir nur ein Zentimeter mehr!“, zischelte sie teuflisch durch ihre gefletschten Zähne und ließ die Dunkelhaarige erschaudern.

Nina verteilte die Decken im Auto und lehnte sich wie besprochen zurück.

„So, was ist denn nun eigentlich los? Wir haben verschlafen, aber wie geht es jetzt weiter?“, fragte Chrissie noch schnell, bevor Gackt wirklich noch einschlief.

„Ach… Ich bin heute Morgen angerufen worden, wo ich denn bliebe. Der Tourbus hat feststehende Abfahrtszeiten und wenn sie mit dem ganzen Stuff auf mich gewartet hätten, wären wir nach Ewigkeiten noch nicht wieder aus der Rush Hour heraus gekommen und der ganze Zeitplan wäre durcheinander. Das hätte ein wahnsinniges Dilemma gegeben und tolle Schlagzeilen in der Zeitung: Superstar Gackt verschläft sein Tourfinal – Werden ihm seine Fans langsam egal? Oder so in etwa…“

Zustimmend nickten seine weiblichen Zuhörer und warteten mit ernsten Mienen auf eine Fortsetzung.

„Ich habe also ausgemacht, dass ich mit einem Taxi nachkomme, damit kommen wir etwa zeitgleich an, weil wohl kaum jemand vermutet, dass ich- dass wir in einem Taxi kommen. Der Bus wird meistens immerzu irgendwo aufgehalten und muss auch öfter tanken.“

„Schon klar, dann geht ja doch noch mal alles gut… Warum macht ihr das nicht einfach immer so?“, fragte Nina unschuldig.

Gackt richtete sich noch mal auf und drehte sich zu ihr um.

„Weißt du, normaler Weise werden während der Fahrt noch einige Einzelheiten durchgesprochen bevor es zur Generalprobe geht, es ist immerhin das Final. Das fällt jetzt weg, also wird das nachher sehr stressig.“

Er klang genervt, Nina fühlte sich sogleich eingeschüchtert und daran schuldig. Gackt bemerkte, dass sie gleich ganz still wurde und versuchte sich wieder zu entspannen.

„Tut mir leid, aber meine Nerven…“

„Schon in Ordnung.“, fiel ihm Nina ins Wort um ihn zu beruhigen.

Gackt ließ sich erleichtert wieder zurückfallen, Nina hingegen wurde jetzt auf ganz gewisse Art und Weise von ihrer Freundin angegrinst. Sie wurde rot und wäre am liebsten im Boden versunken, Hyde hatte zu ihrem Glück nichts mitbekommen, er hatte seine Augen bereits geschlossen, schlief aber noch nicht. Es wurde ruhig im Wagen, also kramte Chrissie ihren CD-Player hervor, gab Nina den rechten Ohrstöpsel und sich selber den Linken und schaltete ihn an.
 

Eine ganze Weile war nichts weiter zu hören gewesen, als die Musik, die leise durchs Auto schallte. Hyde hatte nur kurz geschlummert und kam dadurch wieder zu sich, weil der Fahrer durch ein Schlagloch gefahren war. Er realisierte die Musik neben sich, sie war doch relativ laut. Neugierig schmunzelnd langte er um Chrissie’s Kopf herum, zog der Schlafenden den Stöpsel aus dem Ohr und hörte selber mal rein. Ruckartig wich sein Lächeln einer entsetzten Miene und großen, überraschten Augen. Den Ohrstöpsel hatte er reflexartig wieder von sich fern gehalten.

„Was ist denn?“, drang Gackt’s Stimme von vorne zu ihm hinter.

Er hatte Hyde eben im Beifahrerspiegel über der Armatur beobachtet, auch er war wieder aufgewacht, als der Wagen unsanft geruckelt hatte.

„Diese Musik…“, flüsterte er leise und näherte sich wieder zaghaft dem Stöpsel.

Gackt sah interessiert in Hyde’s kritischen Gesichtsausdruck. Er war nun so neugierig geworden, dass er sich fast verrenkte, als er zu Nina’s Ohr langte und ihr ihren Stöpsel klaute. Nicht minder entsetzt hörte sich Gackt diese Musik an. Mal abgesehen davon, dass sie viel zu laut war, war es auch noch harter, japanischer Rock, der sich eigentlich so gar nicht zum Schlafen eignete! Es handelte sich um das Album “Private Enemy“ von Pierrot und wie es der Zufall so wollte, hörten sie gerade das 10. Lied – Follower, das wahrscheinlich härteste Lied, auf der ganzen CD.

„Wie können die denn dabei schlafen?“, fragte Hyde ratlos.

„Funktioniert nur bei uns…“, murmelte Chrissie mit geschlossenen Augen neben ihm auf einmal.

Blind schnappte sie nach ihrem Stöpsel, steckte ihn sich wieder ins Ohr und pennte ungerührt weiter. Noch ehe die beiden Sänger zu einer Reaktion fähig waren, richtete sich auch Nina mehr schlafend als wach auf, holte sich Ihren von Gackt wieder und ließ sich dann wieder zurückfallen.

„Klappt prima…“, nuschelte sie noch in ihre Decke hinein und schlief dann ebenfalls selig weiter.

Mit halb geöffneten Mündern starrten sie Chrissie und Nina an, die anscheinend wirklich wieder schliefen, der Fahrer amüsierte sich derweilen prächtig.
 

„Nyo~ Ich halt es ja im Kopf nicht aus…“, nuschelte Nina, als sie nach einer halben Ewigkeit wieder aufwachte. Der Grund war, dass sie keine Musik mehr hörte, der Player war ausgegangen. Chrissie schlief noch, ihr Kopf lag auf ihrer rechten Schulter. Nina verhielt sich ruhig, sie wollte niemanden hier in seiner Ruhe stören. Ihr Blick wanderte nach draußen, es war inzwischen Taghell, doch wie spät es war wusste sie nicht.

»Wenn wir in Yokohama sind muss ich Kathi, Steffi und den Tenshi’s unbedingt Karten schicken! Die rasten bestimmt aus, wenn sie erfahren, dass wir uns zweimal Gackt’s Tour angesehen haben und auch noch Laruku live erleben dürfen!«

Während Nina sich also selig freute und ihren Blick fest nach draußen richtete, fuhr das Taxi einfach weiter… Schon bald war sie wieder eingeschlafen. So als hätte der Fahrer auf diese Gelegenheit gewartet, steuerte er mit angezogenem Tempo auf eine Ausfahrt mit scharfer Linkskurve zu. Mit nur kaum gedrosselter Geschwindigkeit raste er durch diese Ausfahrt. Nach den Gesetzen der Fliehkraft drückte sich also alles, was bisher noch links saß, nach rechts. Nina gegen ihre kleinere Freundin Chrissie, Chrissie mit Nina gegen den zierlichen Hyde und dieser mitsamt Nina und Chrissie gegen die leider überhaupt nicht nachgiebige Autotür. Die Kurve war überstanden, alle saßen wieder auf ihrem Platz, Hyde war natürlich als Einziger aufgewacht. Er hatte sich den Kopf an der Glasscheibe gestoßen und musterte nun beleidigt den Fahrer, der verlegen eine entschuldigende Handbewegung machte. Plötzlich und unerwartet rutschte auf einmal etwas an seiner Schulter vorbei und blieb in der Höhe seines Brustkorbes hängen. Es war Chrissie, die nach der Kurve wohl die Position ihres Kopfes von Nina’s Schulter auf seine verlagert hatte und nun durch die fehlenden sieben Zentimeter abgerutscht war. Sie hing jetzt mit dem Kopf an seiner Brust, gehalten vom Sicherheitsgurt. Hyde war zunächst etwas perplex, doch dann schob er vorsichtig seine Hände unter ihren Kopf und ihren Arm und richtete sie sachte wieder auf. Anstatt ihren lockigen Kopf jedoch wieder an die Schulter ihrer größeren Freundin zu legen, lag der schon bald wieder auf der von Hyde. Er lächelte, irgendwie fand er es süß, also ließ er sie gewähren, bis zum Ende der Fahrt…
 

„So, da wären wir.“

Alle schlugen fast zeitgleich die Augen auf. Das Taxi fuhr gerade durch ein prachtvolles Tor, direkt auf eine akkurat bepflanzte Einfahrt und auf ein sehr großes, vornehm wirkendes Hotel zu. Gackt und Hyde schienen weniger beeindruckt, doch den beiden Mädchen raubte es den Atem. Das war doch nicht nur einfach ein Hotel, so wie es aussah, konnte es doch nur ein Palast sein! Die Fahrt bis zum Empfang spielte sich vor ihnen wie in Zeitlupe ab, es war wirklich atemberaubend! Der Taxifahrer zerstörte ihre Harmonie jedoch, als er Gackt den Fahrpreis auftischte. Sie schluckten schwer, doch Hyde klopfte ihnen gleich beruhigend auf die Schulter und schob sie aus dem Auto. Sofort kam ein ganzer Haufen Personal und auch Mike, der schwarze Bodyguard von Gackt, nahm sich sofort seiner an. Hyde wurde ebenfalls freundlich von allen begrüßt, nur die Mädels wurden ein wenig ignoriert, das war aber auch gut so. Es reichte ihnen schon, dass Mike sie skeptisch anschielte.

„Kommt mit, wir gehen zur Rezeption und melden uns an, euch müssen wir auch noch unterbringen.“, sagte Gackt und winkte sie zu sich heran.

Während sie ihm die Stufen rauf bis zum Eingang hinterher gingen, unterhielten sich die beiden VIPs eifrig mit vielen wichtig aussehenden Leuten, die ihnen permanent Fragen zu stellen schienen, unter anderem auch zu ihnen beiden. Mit erneut großen Augen betraten sie die Eingangshalle, die Decke war sehr hoch und endete in einer Kuppel, die man von außen gar nicht gesehen hatte. Beleuchtet wurde die Halle von einigen Kronleuchtern aus geschliffenen Bernsteinen. Alles war in mildes, kerzenähnliches Licht getaucht. Die kleine Horde steuerte zielstrebig die Rezeption an, doch als sich alle an dem großen Pult angesammelt hatten und Nina mit Chrissie wieder mal weiter abseits stand, in der Nähe der Treppe, wurden sie plötzlich ganz still. Wie gebannt sahen die Beiden die Treppe hinauf. Ihre Augen weiteten sich, ihre Pupillen wurden immer kleiner und ihre Münder öffneten sich langsam. Vier ganz bestimmte Personen kamen erleichtert und freudig lachend die Stufen zu ihnen herunter gelaufen.

„Oh Gott, oh Gott, oh Gott… Ich sterbe… Chrissie ich sterbe!“, stammelte Nina mit halbberaubter Stimmer.

Ihre ältere Freundin verkrallte sich in ihrem rechten Arm und wusste selber nicht, was sie sagen sollte.

„You… Chachamaru… Ju-Ken… Ryu… Nina, kneif mich…“

„Geht nicht, mein Arm ist grad abgestorben…“

Gackt-Job zog an ihnen vorbei und einer nach dem anderen umarmte den umschwärmten Sänger, überrascht, aber erfreut, schüttelten sie auch Hyde die Hand. Aus dem Augenwinkel heraus sah Gackt, wie seine Begleiterinnen mit faszinierten Gesichtern zu ihnen herübersahen. Er machte sich also frei von seinen Leuten und stellte sich lächelnd hinter die Mädchen, die nun an einem Herzkasper zu sterben drohten.

„Ich möchte euch jemanden Vorstellen. Das sind Enah und Annina, zwei wirklich reizende Damen aus meinem Fankreis und, stellt euch vor, sie sind aus Deutschland! Fragt mich jetzt bitte nichts zu ihnen, ich erkläre euch alles später, aber ihr könnt ihnen ruhig vertrauen.“

Jetzt wurden sie beide verlegen und zwar mächtig! Sie waren bestimmt ganz rot um die Nasenspitze, doch als jeder von ihnen seine Hand zur Begrüßung hinhielt, drohten sie zu kollabieren! Am Anfang hatten sich die Vier noch irritiert angesehen und mit den Schultern gezuckt, doch jetzt waren sie ganz freundlich und aufgeschlossen ihnen gegenüber.

„Ich bin You.“, begann er zuvorkommend.

„Wissen wir.“, kam es wie aus einem Munde, alle mussten kurz lachen.

Schnell war die Anspannung gelöst und die Freundinnen stellten fest, bei diesen vier VIPs war es wesentlich schneller gegangen, als bei Gackt und Hyde. Sie schüttelten also jedem mal die Hand und machten sich kurz miteinander bekannt, jeder fand den anderen gleich sympathisch. Am liebsten hätte Gackt-Job seinen Gästen aus Deutschland noch einige Fragen gestellt, aber Gackt machte ernste Blicke auf seine Uhr und ließ seine Freunde eindeutig verstehen, dass dafür absolut keine Zeit mehr war.

„Hier habt ihr eure Key-Card, wir müssen jetzt wirklich los.“

Er drückte Nina eine kleine, leichte Key-Card mit einer schwarzen Zahl drauf in die Hand und ging dann, gefolgt von seinem Bodyguard und den anderen, wieder in Richtung Ausgang.

„Ach Mensch… Er hat es wirklich nicht leicht, hoffentlich klappt er diesmal nicht wieder zusammen…“, sagte Nina leise, als sie ihm mit ihren Blicken nach draußen folgte.

„Du machst dir doch nicht etwa Sorgen?“, sagte Chrissie und grinste dabei verstohlen.

„Natürlich mach ich mir Sorgen! Sieh ihn dir doch an, er gehört ins Bett und nicht auf die Bühne!“

„Psst! Nicht so laut!“

„Die verstehen doch hier alle eh kein Deutsch!“, beschwerte sich Nina beleidigt.

„Eben! Wenn du so bitter klingst denken die hier noch, du hast was an ihnen auszusetzen!“

„Oh… Gomen…“

Chrissie schmunzelte und klopfte Nina tröstend auf den Rücken. Hyde gesellte sich jetzt zu ihnen.

„Ist irgendwas? Ich habe euch eben reden hören.“

Nina sah ihre ältere Freundin kopfschüttelnd an, beinahe bettelnd, doch Chrissie schien sich genau daraus einen Spaß zu machen.

„Och, Nina hat sich nur gerade Sorgen um Gackt’s Gesundheit gemacht.“, antwortete sie ganz gelassen und beschwingt und lächelte dabei fröhlich vor sich hin.

Nina rollte mit den Augen, nahm eine purpurne Färbung an und drehte sich peinlich berührt von ihnen weg, währenddessen zog Hyde eine Augenbraue hoch, legte seine rechte Hand nachdenklich an sein Kinn und musterte Chrissie eingehend. Und sie hätte schwören können, hätte er sie noch länger so angesehen, wäre auch sie vor ihm im Boden versunken oder gar geschmolzen! Nina wartete mit zugekniffenen Augen auf irgendeine Bemerkung seinerseits, aber Hyde fehlten dazu irgendwie die Worte. Auf einer Seite hätte er ihre Besorgnis gerne unterstützt, doch auf der anderen Seite konnte es doch unmöglich ohne Gackt’s Zustimmung machen! Womöglich würde sich dann das Gerücht breitmachen, dass er seine Karriere seiner Gesundheit wegen beenden würde.

„Sag ihm das mal, vielleicht nützt es was.“, sagte Hyde schließlich und beließ es dabei.

Mit dieser Antwort war er zufrieden, so hatte er sich nicht direkt auf eine der beiden Seiten geschlagen. Nina war ungemein erleichtert, dass das alles gewesen war, auch wenn es sie irritierte.

„So, und was machen wir jetzt? Ich meine, wie sieht der Plan für den Tag jetzt aus?“, fragte Chrissie an Hyde gewandt.

„Nun, ich denke mal, dass ich mich noch mal aufs Ohr hauen werde, damit ich für heute Nachmittag dann auch zu gebrauchen bin.“

Hyde sah kurz auf die Uhr und überlegte dann.

„Wir haben noch reichlich Zeit bis wir los müssten. Wenn ihr Lust habt, könnt ihr euch ja die Stadt ein wenig ansehen, aber vergesst nicht eure Key-Card vorher an der Rezeption abzugeben. Ich schlage vor, dass ihr euch spätestens wieder gegen 17 Uhr hier einfindet, dann fahren wir direkt dahin. Wäre das ok für euch?“

Die beiden Freundinnen wechselten schnell einen Blick miteinander und erklärten sich dann damit einverstanden. Natürlich ließen sie sich noch schnell ihre Sachen aushändigen und stiegen dann die Treppe hoch zu ihren Zimmern. Sogleich fiel ihnen auf, dass an vielen der Türen Namenszüge standen.

„Anscheinend ist der gesamte Stuff hier untergebracht. Schau mal, da sind auch die Zimmer von You und den anderen!“

Chrissie sah begeistert in die Richtung, in die Nina’s Finger ausgerichtet war. Sie liefen an den Zimmern der Vier vorbei und landeten irgendwann am Ende des Flurs, wo noch einige Zimmer ohne Namensschild versehen waren.

„Die Tür hier hat unsere Nummer…“

Nina zog das Kärtchen durch den Schlitz neben dem Türschoss und schon war sie offen. Beide bestaunten die Suite und deren luxuriöse Einrichtung noch schnell, fanden sie aber bei weitem nicht so interessant wie Gackt’s, sammelten ihre wichtigsten Sachen aus ihren Taschen zusammen und ließen sie wieder in Nina’s kleinere, weiße Handtasche wandern. Anschließend gab es noch eine kleine Absprache, was sie denn jetzt genau machen wollten und fanden sich nach einer halben Stunde wieder unten an der Rezeption wieder.

„Ich rufe jetzt mal schnell die Firma an, die unseren Urlaub hier gesponsert hat. Immerhin haben wir ja jetzt ein Hotel und ich fände es unfair, wenn wir die durch uns anfallenden Kosten wieder Gackt überlassen würden.“, sagte Chrissie, als sie gerade ihre Key-Card abgegeben hatte.

„Finde ich auch gut, ich staune ja nur, dass du die Nummer hast… Aber ob die bei so einem teuren Hotel nicht misstrauisch werden?“

Chrissie zuckte unwissend mit den Schultern.

„Ich kann es ja wenigstens versuchen.“

Ihre größere Freundin nickte ihr zu und ließ sie dann in Ruhe telefonieren. Tatsächlich dauerte es auch fast zwanzig Minuten, ehe das rotblonde Mädchen das Gespräch beendet hatte und zu ihr zurückkehrte. Sie sah geschafft aus und seufzte laut als sie wieder vor ihr stand.

„Und?“, fragte Nina erwartungsvoll.

„Tja, das Hotel ist denen wohl tatsächlich etwas zu teuer… Sie haben für Aufenthalte in Hotels ein bestimmtes Budget vorgesehen und dieses hier übersteigt es wohl bei weitem.“

Nina schluckte, weil sie daran denken musste, dass Gackt hier eine ganze Horde von Menschen untergebracht hatte und das alles ohne mit der Wimper zu zucken zahlen würde.

„So, da wir aber das Recht darauf haben, dieses Budget auch voll auszuschöpfen, überweisen sie es uns jetzt jeweils auf unsere Konten. Damit können wir jetzt machen was wir wollen.“

„Ich schlage vor, dass wir soviel davon an Gackt abgeben, wie wir können.“

„Och Schade… So viel schönes Geld…“

„Was du mit deiner Hälfte machst, ist mir egal, ich gebe Meine auf jeden Fall ab.“

Chrissie grummelte.

„Das war doch nicht ernst gemeint…“

„Das weiß ich, aber ich fand es nicht lustig.“

Ihre kleinere Freundin grummelte weiter, aber resignierte ohne noch mehr Kommentare dazu abzugeben. Draußen brannte ihnen die Sonne auf den Pelz und erhitzter Wind fuhr ihnen durch das Haar.

„Lass mich raten, wir suchen die nächst beste Einkaufspassage und hauen wenigstens ein wenig von dem Geld auf den Kopf? Ist das dein Plan?“

Chrissie schmollte noch ein wenig und sah sie auch so an.

„Du wolltest doch alles an Gackt abgeben… Als ob er nicht schon genug hätte…“

Nina rollte mit den Augen und stöhnte entnervt.

„Mir geht es dabei ums Prinzip! Es kann doch nicht angehen das…“

„Ich weiß! Ist ja auch richtig so, aber sonst verstehst du meinen Humor doch immer…“

Nina sah zu Boden.

„Es ist jetzt aber was anderes…“, murmelte sie leise und lief dann einfach die Auffahrt hinunter.

„Wenn du meinst…“, murmelte Chrissie zurück und schloss sich ihr an.
 

Sie beide streunten bestimmt stundenlang durch die Stadt, doch es fiel ihnen nicht wirklich auf. Zum ersten Mal, seid sie in Japan waren, nahmen sie sich Zeit dafür, auch mal die Architektur der Gebäude und die Landschaft in Augenschein zu nehmen. Hier kamen auch zum ersten Mal ihr Digitalkameras zum Einsatz. Sie beide hatten schon fast vergessen, dass sie sie mitgenommen hatten. Als sie endlich mal wieder auf die Uhr sahen, war es bereits nach 15 Uhr geworden. Mit schmerzenden Füßen und vor allem mit leeren Mägen, setzten sie sich an einen Außentisch von einem kleinen Café. Nina zückte ihr Portmornaie und kaufte von ihrem restlichen Kleingeld drinnen drei Postkarten.

„Wem willst du denn schreiben?“, fragte die rotblonde und sah von der Karte mit den Getränken auf.

„Unsern Engeln in Cottbus, Kathi und Steffi.“

„Und du meinst, dass da drei Karten reichen?“

„Nein, aber sie werden wohl reichen, um beschreiben zu können, wie geil Gackt’s Tour war, dass wir sie noch ein zweites Mal sehen werden und dass ich hier am liebsten gar nicht mehr weg will.“

„Und das sagt ausgerechnet ne Hobby Autorin, die mit Vorliebe lange und ausführlich beschriebene Romane schreibt…“

„Na immerhin bist du zynisch und sarkastisch wie immer.“

Chrissie grinste und bestellte für sie beide was zu Trinken und jeweils eine Portion Nudeln. Nina kritzelte voller Elan ihre Karten voll und schien wirklich jede freie Ecke dafür auszunutzen.

„Wenn ich das so sehe hättest du Karten kaufen sollen, bei denen man beide Seiten voll schreiben kann.“

„Ach was, ich schaff das auch so. Außerdem, was wäre eine Japan Karte ohne den Tokyo Tower vorne drauf?“

„Na ne Japan Karte ohne Tokyo Tower.“

„Dumme Nuss.“

„Gackt Fanatikerin.“

Nina schwieg, Chrissie grinste bis über beide Ohren und widmete sich ihrem Saft, der soeben an den Tisch getragen wurde.

„Ich bin keine Fanatikerin. Fan ja, aber in Maßen.“

„Och, nur Fan? Ich bin enttäuscht von dir.“, meinte sie gespielt dramatisch.

„Lass mich in Ruhe.“

Sie klang tatsächlich gereizt, dabei machte Chrissie nur ein paar kleine Scherze. Irgendwie nahm Nina das alles aber ziemlich ernst. Weil Chrissie Probleme damit hatte, das zu verstehen, versuchte sie sich vorzustellen, wie sie im Bezug auf Hyde darauf reagieren würde. Irgendwie gelang es ihr aber nicht, also schob sie das Thema beiseite und begann zu essen. Nina fing erst später damit an, sie wollte zuerst ihre Karten fertig geschrieben haben. Während Nina also später noch aß, lehnte sich ihre Freundin zufrieden zurück und beobachtete die Leute, die in engen Strömen an ihr vorbeizogen. Hin und wieder blieben ihre Blicke an recht gut aussehenden Japanern hängen.

„Ist dir schon mal aufgefallen, dass es außer den ganzen J-Musikern noch andere Japaner gibt, die recht schnuffig aussehen?“

Die Dunkelhaarige schob satt ihre Nudelschale von sich und blickte in die Menge.

„Ist mir nicht aufgefallen, aber du hast schon irgendwo Recht.“

Sie begutachteten vor allem die Klamotten und Frisuren der jugendlichen Kerle. Nina griff gleich zu ihrem Druckbleistift und ihrem Schmierheft um sich das Beste von allem aufzuzeichnen.

„Schau mal, der da sieht ein bisschen so aus wie der Leadsänger von W-inds.“

Nina hatte den Gemeinten bereits ins Auge gefasst und nickte zustimmend.

„Stimmt schon, aber ich interessiere mich ja nicht so für jüngere Männer.“

Die Ältere zog beide Augenbrauen hoch und sah sie eindringlich an.

„Du bist also immer noch auf den Trip mit den älteren Kerlen?“

„Warum auch nicht? Ich kann den ganzen Typen in unserer Altersklasse einfach nichts abgewinnen, ich sehe die schon gar nicht mehr. Ich meine, schau dir die ganzen Deppen bei uns in Deutschland doch an! Von denen hast du doch nichts!“, protestierte Nina überzeugt.

„Das predigst du mir jedes Mal, aber auch wenn du Recht damit hast, leicht ist eine solche Beziehung bestimmt nicht. Wenn man dreißig ist und der Partner fünfzig, ist das vielleicht ok, aber wenn man gerade mal achtzehn geworden ist und der Mann schon über die Dreißig…“

„Wo ist denn da das Problem? Nenn mir bitte einen plausiblen Grund, warum in diesem Fall die Gefühle zueinander anders sein sollten.“

Chrissie musste sich da geschlagen geben, mit moralischen Gründen brauchte sie Nina gar nicht erst zu kommen.

„Aber ausprobiert hast du es auch noch nicht.“

„Das war aber doch nun nicht meine Schuld. Einen körperlich behinderten Mann, allein erziehender Vater von zwei Jungen, hättest du sicher auch nicht genommen. Schon gar nicht, wenn du ihn nicht magst. Oder einen Gelegenheitstransvestiten mit einem Strumpfhosenfetisch, der nur Interesse daran hat, dir an die Wäsche zu gehen, ist auch nicht so ganz das Wahre…“

„Danke, deine Ausführungen reichen mir.“, sagte Chrissie und winkte bedient ab.

„Und du brauchst dich gar nicht so auf unschuldig trimmen. Ich sehe doch, wie deine Augen funkeln, wenn du Hyde ansiehst.“

„Ist doch gar nicht wahr!“, protestierte das blauäugige Mädchen erbost und hochrot.

Nina musste über ihren Gesichtsausdruck so herzlich lachen, dass viele der anderen Gäste zu tuscheln anfingen.

„Menno… Wer würde denn schon ungerührt an Hyde vorbeigehen?“, versuchte sie sich zu rechtfertigen.

„Nun… ich zum Beispiel. Bewundern und für ihn schwärmen ja, aber das war’s dann auch schon.“

Wieder grinste sie bis zu den Ohren.

„Wollten wir nicht das Thema wechseln?“

Ein kurzer Moment der Stille kehrte ein, dann kicherten sie verhalten los und bezahlten ihre Rechnung.
 

Sie blieben nur noch etwa eine viertel Stunde unter dem Sonnenschirm sitzen, dann brachen sie in Richtung Hotel auf. Sie schlenderten gelassen durch die Straßen und genossen es, wie sie von den Japanern angesehen wurden, sei es nun wegen ihrer Sprache oder Chrissie’s auffälliger Erscheinung. Irgendwann streiften sie auch wieder an kleineren Geschäften vorbei und wagten hier und da auch mal einen kurzen Blick in die exquisit eingerichteten Schaufenster. Schließlich blieb Chrissie plötzlich vor einem der Fenster stehen und starrte gebannt hinein. Nina blieb stehen und drehte sich zu ihr um. Bevor sie sich jedoch zu ihr gesellte und sie fragte, was sie sich denn da ansah, wanderte ihr Blick zur Markise des Ladens.

»Ein Schmuckshop?«

„Nina komm mal her. Schau mal, die Dinger da hinten.“

Sie hörte sich ziemlich begeistert an, also beugte sich die Größere zu ihr hinunter und schmulte hinein.

„Piercings?!“, hinterfragte sie ungläubig und leicht irritiert.

„Ja, die da hinten meine ich. Die so aussehen wie Blumen mit drei herabrollenden Tropfen.“

„Die in rot und blau ausliegen?“

„Genau die, sehen die nicht geil aus?“

Nina zweifelte gerade an der Zurechnungsfähigkeit ihrer sonst so vernünftigen Freundin.

„Sag mal, hab ich da irgendetwas nicht mitgekriegt, oder zeigst du mir die Dinger nur, weil du sie einfach geil findest?“

„Letzteres.“

„Aha, gut. Die sind nicht schlecht, ziemlich schick sogar.“

„Eben! Was meinst du, ob du dir Eines stechen lassen würdest?“

„Ich und ein Bauchnabelpiercing? Na du stellst Fragen!“

„Warum nicht? Hyde hat schließlich auch eins.“

„Weiß ich… Mir fällt auf, ich hab gar nicht drauf geachtet, als er so halbnackt vor uns rumgetänzelt ist.“

„Ich auch nicht!“, stellte Chrissie entsetzt fest.

STILLE

„Ich sag dir was, ich find das rote Piercing da so genial, dass ich mir das jetzt einfach kaufen werde.“

„Trifft sich, der Gedanke an Hyde hat mich gerade überzeugt, mir in Zukunft auch Eines stechen zu lassen. Das hellblaue Piercing gefällt mir übrigens ziemlich gut.“

„Wir sind so verrückt…“

„Sag bloß, das überrascht dich!“

Chrissie boxte ihr in die Seite und feixte dabei.

„Los komm, bevor es sich die Piercings anders überlegen. Außerdem müssen wir doch unseren Dispo strapazieren, ehe das Geld von der Reisegesellschaft überwiesen wird.“
 

Gesagt, getan. Mutig betraten sie den Laden und kauften die beiden Schmuckstücke zu jeweils etwa 16600¥. Beschwingt von ihren Errungenschaften, machten sie sich auf den Heimweg, diskutierten ihre fixe Idee mit den Piercings noch mal aus und kamen schließlich gegen 17 Uhr wieder im Hotel an. Hyde wartete noch nicht an der Rezeption, also beeilten sie sich noch mal um in ihr Zimmer zu kommen, machten sich frisch und wechselten ihre Kleidung. Chrissie zog sich, genau wie Nina, eine bequeme Jeans an und ein rosafarbenes, bauchfreies Top. Mit einer Haarspange steckte sie ihre Haare locker hoch, so dass der Haarschopf über die Spange fiel und sie somit verdeckte. Nina zog zu ihrer Jeans ein anliegendes, schwarzes Oberteil ohne Ärmel, aber mit kurzem Rollkragen an. Durch ihr breites Becken rutsche es immer etwas hoch, also war auch es mehr oder weniger bauchfrei. Dazu machte sich Nina einen ganz normalen Pferdeschwanz wie schon am Vortag, so kam ihr langer Pony auf der linken Seite viel mehr zur Geltung. Plötzlich klopfte es an der Tür und sie beide fuhren hoch.

„Enah? Nina? Seid ihr fertig? Wir müssen los!“, sagte Hyde’s Stimme hinter der Apartmenttür.

Sie öffneten die Tür und sahen in Hyde’s muntere Miene, das kurze Nickerchen hatte ihm offensichtlich sehr gut getan. Schon waren die beiden Freundinnen wieder am imaginären sabbern. Hyde hatte nämlich ebenfalls seine Kleidung gewechselt. Nun trug er ein dunkelblaues Shirt, bei dem der Kragen so weitläufig war, dass die Schultern beinahe völlig freigelegt wurden. Am Saum war es schräg nach rechts runter geschnitten und hatte dort ein paar kleine Bändchen. Als Verzierung war an jedem Rand eine fingerbreite Bordüre eines gelben und aufwendigen Musters aufgenäht. Dazu trug er erstmals eine schwarze Lederhose, die sogar noch etwas an seinen Beinen schlackerte. Seine Schuhe hatten diesmal sogar ein wenig Absatz, also überragte er Chrissie um ein kleines Stück.

„Können wir los?“, fragte er sie nochmals und riss sie so aus ihrer Trance.

„Ähm… ja klar.“, stammelte Chrissie und blinzelte kurz irritiert.

Das war Nina’s Zeichen, sie schnappte sich die Key-Card und verschloss die Tür hinter ihnen. Kaum waren sie unten und vor den Eingang getreten, stiegen sie auch schon in ein dunkles Auto mit Fahrer ein, das doch wesentlich luxuriöser auf sie wirkte, als das enge Taxi von der Hinfahrt.
 

Die Fahrt verlief still und alle schwiegen. Chrissie und Nina waren fürchterlich angespannt. So nervös waren sie ja noch nicht mal gewesen, als sie damals in der Schlange für den Einlass gestanden hatten. Nein, damals wären sie beinahe vor Vorfreude gestorben, aber nicht an Nervosität. Insgesamt dauerte die Autofahrt nur eine Stunde, den beiden Maiden wurde ganz mulmig als der Wagen parkte und man sie zum Aussteigen anhielt.

„Gott ist mir schlecht…“, meinte Nina kreidebleich und sah die gigantische Halle hinauf.

„Meine Güte, wenn Gackt sagt, dass er kleine Hallen bevorzugt, weil er da seinen Fans näher ist, dann will ich nicht wissen, wie groß der Tokyo Dom ist, den er ja als zu groß einstuft.“, sagte Chrissie dazu und renkte sich bald den Hals aus.

Hyde beobachtete sie lächelnd, doch dann klopfte er ihnen auf die Schultern, damit sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn lenkten.

„Lasst uns schnell reingehen. Nicht das uns jemand sieht oder mich vielleicht sogar erkennt.“

»Mit der Aufmachung ist er ja auch so besonders unauffällig…«, dachte die Rotblonde schmunzelnd bei sich und nickte dann einfach zustimmend.

Nina hakte sich bei ihr ein und so folgten sie Hyde und dem dunkel gekleideten Fahrer bis zum Hintereingang. Die Wände waren weiß und der Boden mit Lenolium ausgelegt. Die Flure waren relativ breit und kahl, also ideal, um auf einmal mit einer Horde von Leuten gleichzeitig da durchzurennen. Was ihnen beiden, besonders Nina, zu schaffen machte, waren die vielen Abzweigungen. Es schien ein einziger Irrgarten zu sein, vor allem, weil sich alle Gänge wie ein Ei dem anderen glichen. Zu ihrem Glück schien aber der Fahrer ganz genau zu wissen, wohin sie denn müssten, also machten sie sich nicht länger Gedanken darum. Schon bald liefen ihnen die ersten Leute aus dem Stuff über den Weg. Mit der Zeit wurden es immer mehr. Jeder wuselte eilig durch die Gänge, der Eine mit zusammengerollten Plänen, der andere mit Kostümen oder Shirt’s vom Stuff und wieder andere schienen wild nach etwas zu suchen oder andere Vorbereitungen zu treffen.

„Da seid ihr ja! Ich dachte schon, ihr hättet euch vielleicht verfahren.“

Ihre Köpfe schnellten nach links, dort stand Gackt, bereits mit ersten Kleidungsstücken für seinen Auftritt bekleidet.

„Nein, nein. Alles in Ordnung. Und? Wie weit seid ihr schon?“, antwortete Hyde.

Nina verkrallte sich in dem Arm ihrer Freundin, sie realisierte gerade, dass sie genau hinter der Bühne standen, die ihr wahnsinnig groß vorkam, allerdings wenig spektakulär. Immerhin war der schwarze Vorhang zugezogen, überall standen komplizierte Gerätschaften, Kameras und Leute vom Stuff herum und der Boden war übersäht mit Kabeln. An der Seite ging es eine Treppe herunter, an die konnten sie sich noch aus den Tour DVD’s erinnern.

„Na ihr zwei? Ihr seht so entgeistert aus.“, fragte Gackt und wich so Hyde’s Frage vorerst aus.

Sie sahen ihn mit weit offenen Augen an und bemerkten jetzt, dass ihre Münder ebenfalls offen standen. Peinlich berührt schlossen sie sie schnell und sahen sich dann auch schon wieder um. Schmunzelnd wand sich der Sänger wieder an Hyde.

„Ehrlich gesagt ist hier ziemliche Hektik, die Planung ist etwas unorganisiert und einige wissen noch nicht so recht, an welchen Platz sie gehören, aber wir kriegen das schon rechtzeitig hin. Am meisten stören mich aber die Kameraleute, die stehen die ganze Zeit über im Weg herum und stellen noch zusätzlich zeitaufwendige Fragen. Da denkt man nun, diese Leute hier machen das schon jahrelang und müssten inzwischen routiniert sein, aber nein! Jeder kommt noch mal an und fragt wie, wann, wo und was er am besten filmen soll!“

Gackt klang sehr gestresst und sah auch so aus. Während er noch weitere solche Dinge Hyde gegenüber aufführte, kapselte sich Nina mit Chrissie ab und nahm gemeinsam mit ihr den Backstagebereich genauer unter die Lupe. Wie magnetisch zog es sie zu dem dunklen Vorhang, beziehungsweise zu dem, was sie dahinter wohl erwarten würde. Und tatsächlich, sie waren sprachlos! Ihm Fernseher hatte die Arena ja schon beeindruckend auf sie gewirkt, aber das hier übertraf all ihre Vorstellungsmöglichkeiten! Fassungslos und gleichzeitig überaus fasziniert, starrten sie über die abertausend Plätze hinweg.

„Wow, da bekommt man ja eine richtige Gänsehaut… Wahnsinn, dass ein einzelner Mensch es fertig bringt, eine solche Halle zu füllen und all diese Menschen zu begeistern.“, raunte Nina ehrfürchtig.

„Wem sagst du das…“, erwiderte die Ältere nicht weniger respektvoll.

Inzwischen wurden sie von vielen der Stuffmitglieder skeptisch angesehen, teilweise auch mit abwertenden Mienen.

„Kann ich euch um etwas bitten?“, fragte Gackt plötzlich hinter ihnen und ließ sie so kurz zusammenzucken.

„Ja, warum nicht.“, antwortete Chrissie, als sie sich zu ihm umgedreht hatte.

„Wenn ihr wollt, könnt ihr das Konzert vom Backstagebereich aus beobachten, aber ihr dürft hier niemanden im Weg stehen oder an den Geräten herumspielen. Ist das klar?“

Sein Gesichtsausdruck war ernst und auch sein Tonfall war sachlich. Den Beiden war sofort klar, dass er es nicht böse meinte, er nahm die Sache nur sehr ernst und wollte um keinen Preis, dass etwas schief lief. Natürlich stimmten sie ohne wenn und aber zu, sie waren schon überglücklich damit, dass sie überhaupt anwesend sein durften. Wer außer ihnen hatte denn schließlich schon mal die Gelegenheit, Gackt so aus der Nähe zu erleben und vor allem mit ihm zu sprechen?

„Hier bitte, sie haben vielleicht nicht unbedingt ihre Größen, aber es wäre ihnen vielleicht angenehmer, wenn sie sie tragen würden.“

Ein etwas kleinerer Mann vom Stuff hielt ihnen auf einmal zwei zusammengelegte Shirts entgegen. Es waren original Tourshirts, die nur Mitglieder vom Stuff trugen. Perplex starrten sie die Kleidungsstücke an und wussten noch nicht so recht, was sie damit machen sollten. Da gesellte sich Hyde wieder zu ihnen.

„Ihr könnt sie ruhig nehmen. Ich habe Gackt vorgeschlagen, dass er euch doch für heute in seinen Stuff aufnehmen könnte. Ihr könnt den anderen beim Aufbau von den Geräten helfen oder dafür sorgen, dass man nicht mehr so sehr Gefahr läuft, über die vielen Kabel zu stolpern. Ihr könnt auch die ganzen Anschlüsse checken und während des Konzerts passt ihr einfach mit auf, dass auf der Bühne alles glatt läuft und ob sich jemand aus dem Publikum auffällig verhält. Dafür sind zwar eigentlich die Bodyguards zuständig, aber ihr wisst ja, wie das ist. Doppelt hält besser.“

Es ratterte in ihren Köpfen, was hatte Hyde da eben so selbstverständlich zu ihnen gesagt? Sie dürften dem Stuff helfen und gehörten sogar dazu? Machte er Witze? Oder träumten sie gerade einen unmöglichen Traum? Nein, es war Realität! Sie starrten sich an, unfähig irgendetwas herauszubringen, nahmen sie stumm die Shirts entgegen und zogen sie über. In der Tat, sie waren ihnen zu groß, aber das wirkte in ihren Augen irgendwie fesh.

„So, jetzt bin ich nicht mehr ansprechbar… Ich sterbe grad wieder…“, tuschelte die Größere leise zu Chrissie, als sie sich daran machte, einige der Kabel zusammenzuraffen und so weit es ging an die Seite zu schieben.

„Ich auch nicht, also halt die Klappe. Ich versuche gerade zu realisieren, was hier abgeht.“, tuschelte Chrissie zurück.

Gackt war irgendwann die Treppe hinunter gegangen, wahrscheinlich, so vermutete das Duo, musste er nun langsam in die Maske.

„Mir fällt auf, ich habe noch gar keinen von den anderen aus Gackt-Job gesehen. Ob die schon alle unten sind?“

„Bestimmt, so viel haben sie ja mit der Organisation hier oben nicht zu tun.“

„Ach übrigens. Wenn ihr mich nachher suchen solltet, ich geselle mich mit zu den Leuten, die ganz hinten, gegenüber der Bühne, am Haupteingang stehen. Ich bin also während des Konzertes nicht hier hinten.“

Sie sahen aus ihrer gebückten Haltung zu Hyde auf, der inzwischen eine dunkle Sonnenbrille trug.

„Du gehst weg?“, fragten sie beide enttäuscht nach.

„Ja, hier hinten wird das sonst zu viel und ich dachte, ich könnte mir das Spektakel ja auch mal richtig ansehen. Ihr kennt es ja schon. Nachher bin ich dann gleich wieder da.“

Die Blauäugige machte einen geknickten Gesichtsausdruck, zu gerne hätte sie gesehen, wie Hyde auf diverse Handlungen von Gackt reagiert hätte. Sie liebte es, wenn Hyde frei und natürlich lachte, es sah immer unheimlich süß bei ihm aus und führte unweigerlich zu Quietschanfällen.

„Nimm es nicht so schwer Mausi.“, zog Nina sie in ihrer Muttersprache auf.

Ihre kleinere Freundin wurde leicht rosa um die Nasenspitze und sah bedröppelt zu Boden. Hyde zog eine Augenbraue hoch und musterte sie beide fragend, doch keine von ihnen ging darauf ein, also beließ er es dabei und kapselte sich von ihnen ab. Es war zwar noch viel zu früh dafür, aber vielleicht hatte er noch kurz etwas anderes vor.
 

So verbrachten sie die nächste Stunde damit, den anderen Leuten vom Stuff unter die Arme zu greifen, die sie nach und nach immer mehr akzeptierten und sie trotz des enormen Zeitdrucks hin und wieder in kurze Wortwechsel verwickelten. Inzwischen war ihre Nervosität vollkommen verschwunden, jetzt lauerte nur noch die große Vorfreude auf das Konzert auf sie. Schließlich war es nur noch eine halbe Stunde, bis das Final endlich seinen Anfang finden sollte. Alles war in heller Aufruhr, niemand stand mehr still, alle rannten wie besessen durch die Gegend um alles doppelt und dreifach zu checken. Darunter auch die zwei Mädchen, auch wenn sie sich mehr im Hintergrund hielten, schließlich kannten sie sich mit der ganzen Technik bei weitem nicht so gut aus, wie die Leute vom Fach. Gemurmel drang zu ihnen aus der Halle heran, anscheinend war bereits Einlass. Die Zwei waren sehr optimistisch, dass bisher alles hervorragend geklappt hatte, doch dann kam der große Knall. Ein paar Leute, die um ein großes Schaltpult mit vielen kleinen Hebeln und Knöpfen standen, begannen entnervt und leicht hysterisch herumzukreischen. Alle Aufmerksamkeit lag inzwischen auf ihnen, doch keiner wusste so recht, wo das Problem lag. Auf jeden Fall rannte einer der Männer die Treppe hinunter, kurze Zeit kam er mit Gackt zurück, der seine Stirn tief in Falten gelegt hatte. Diesmal folgten ihm auch You, Chachamaru, Ju-Ken und Ryu, alle vollständig aufgestylt.

„Was ist denn los?“, fragte Gackt ernst.

„Die Verstärker funktionieren alle nicht richtig, irgendwas stimmt mit ihnen nicht.“, antwortete einer von denen, die am Pult stehen geblieben waren.

Chrissie näherte sich unauffällig dem Schaltpult und nahm es genauer in Augenschein. Nina blieb an ihrem Platz stehen und beobachtete angespannt die Situation.

„Was soll das heißen? Steht nicht einfach so in der Gegend rum, sondern behebt das Problem! Es kann doch nicht so schwer sein, ein paar Verstärker wieder in Gang zu bringen!“, sprach Gackt laut und eindringlich.

Sofort rannte wieder alles wild durcheinander, Chrissie hingegen stand inzwischen direkt vor dem Gerät und las sich die Schriftzüge unter den vielen Hebelchen, Knöpfen und Lämpchen durch. Was ihr sofort auffiel war, dass alles sehr unübersichtlich zusammengewürfelt war. Vielleicht hatte man einfach nur eine Kleinigkeit übersehen.

„Ähm, Gackt? Wofür ist dieser Schalter hier?“, fragte sie vorsichtig.

Gackt, der sich gerade Anleitungen von ein paar Leuten zeigen ließ, sah entnervt auf und spähte zu ihr hinüber, auch You fixierte sie. Alle anderen versuchten das Problem bei den Sicherungen oder der Stromversorgung zu finden.

„Ach, weiß ich jetzt auch nicht so genau, auf jeden Fall kann man ihn an- oder ausschalten.“, antwortete er ihr weniger interessiert und vertiefte sich sofort wieder in seiner Unterlagen.

Chrissie fuhr mit ihrem Finger weiter über die Beschriftungen und blieb bald schon wieder an einer stehen.

„Und der Knopf hier? Unter dem steht was von “Auto“ und darüber brennt ein Lämpchen. Daneben ist einer der…“

„Es reicht! Enah hör mal, ich habe jetzt wirklich keine Zeit dafür, dir diesen Apparat zu erklären! In einer viertel Stunde beginnt das Tourfinal und das Wichtigste, die Verstärker, funktioniert nicht richtig! Ich habe gesagt, dass ihr nicht im Weg sein sollt, also hör jetzt auf damit!“, fuhr er sie barsch an.

Chrissie ließ ihren Finger sinken und verdunkelte ihre Miene. Beleidigt, gekränkt und vor allem enttäuscht, rannte sie an den anderen vorbei in die Flure zum Hintereingang. Nina sah ihr verzweifelt hinterher, auf einer Seite fand sie Chrissie’s Fragen nicht so schlimm, aber auf der anderen Seite konnte sie verstehen, dass Gackt keine Zeit hatte, sich um so etwas zu kümmern. Sie blieb von daher noch kurz unentschlossen an ihrem Platz stehen, bis sie You ins Blickfeld fasste. Der hatte ja alles mit angesehen und angehört und trat nun vor das Pult. Nachdenklich ging er noch mal die Schalter und Knöpfe durch, nach denen die junge Frau gefragt hatte. Mit einem Mal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen! Die Verstärker waren auf Autofunktion eingestellt, dort brannte auch ein Lämpchen, aber dafür war es ausgeschaltet. You betätigte also aus Intuition heraus den Knopf neben dem mit “Auto“, auf dem “Manuel“ stand. Schon verschwand vom Display das ERROR und ein OK erschien.

„Gackt, es funktioniert wieder.“, rief er zu seinem gestressten Freund hinüber.

Ungläubig sah dieser von seinem Papierkram auf und eilte zügig zu ihm. Erleichtert sah er auf die Anzeige.

„Gott sei Dank…“, raunte er und holte tief Luft.

You drehte sich um und lief in Richtung Flure. Gackt sah ihm irritiert hinterher.

„You, wo willst du denn hin?“

„Das wieder geradebiegen, was du verbockt hast.“, meinte You trocken.

Der dunkelhaarige Sänger sah ihn unwissend an.

„Eigentlich ist es nämlich Enah’s Verdienst, dass die Verstärker wieder funktionieren. Hätte sie nicht nach den Schaltern gefragt, wäre ich gar nicht erst auf die Idee gekommen, von Autofunktion auf Manuel umzuschalten.“

Mit diesem Satz drehte You sich wieder um und verschwand um die Ecke. Gackt blieb mit einem schlechten Gewissen zurück, aber lange konnte er sich dem nicht widmen, in zehn Minuten begann bereits das Opening…
 

„Enah?“

Sie saß mit verschränkten Armen und bockigem Blick auf ein paar aufgestapelten Kisten, die an der Wand entlang standen.

„Hey, alles ok mit dir?“, fragte er freundlich.

Nur ganz flüchtig schenkte sie dem groß gewachsenen You einen Blick, er seufzte.

„Die Verstärker funktionieren wieder.“

„Schön!“, meinte sie zickig.

„Das haben wir aber deinen Fragen zu verdanken. Es war nämlich nicht auf…“

„Manuel eingestellt. Ich weiß, deswegen hab ich ja gefragt.“, unterbrach sie ihn, allerdings schon wesentlich entspannter.

„Bist du jetzt böse auf Gackt? Sieh mal, er hat sehr viel um die Ohren, nicht nur die Tour, die er ein Mal im Jahr macht. Da ist man halt leichter reizbar und verstehen kann man das doch irgendwo auch. Ich meine, nicht immer kommt auch wirklich was Sinnvolles heraus, so wie jetzt.“

Chrissie seufzte, wirklich böse war sie nicht, aber noch nie war sie so angepflaumt worden und gerade von einem persönlichen Idol war das nicht gerade prickelnd. Dafür freute sie sich jetzt aber, dass You ihr hinterher gekommen war und sich mit ihr unterhielt.

„Ist schon in Ordnung, ich war nur etwas durch den Wind…“

„Was Gackt gemacht hat war nicht richtig und ich bin mir sicher, dass es ihm wahnsinnig leid tut. Kommst du wieder mit hinter? Wir müssen gleich raus auf die Bühne und wir brauchen immer jemanden, der uns in den kleinen Pausen mal eine Wasserflasche reicht.“

Sie sah ihn verdutzt an, doch You zwinkerte ihr mit einem Auge zu, sie musste unwillkürlich lächeln. Chrissie rutschte von den Kisten herunter und lief mit ihm wieder rein.

„Sag mal, wie alt seid ihr eigentlich?“

„Wir sind beide im März und April 18 Jahre alt geworden.“

„Ehrlich? Also man könnte euch aber auch für älter halten.“

„Komm schon You! Wir müssen jetzt raus!“, rief ihm Gackt zu, der schon mit den anderen an der Schwelle zur Bühne stand.

You winkte ihr kurz, dann verschwand er mit den anderen auf der Bühne. Zufrieden und wieder milde gestimmt, gesellte sich die Rotblonde wieder zu Nina, die bereits an ihren ersten Quietschanfällen zu ersticken drohte.
 

Wie erwartet war das Finale einfach überragend! Nicht zu beschreiben in seinen vielen Facetten, die es auf einen Schlag zu zeigen vermochte! Ihnen beiden fiel es äußerst schwer, nicht immer wieder zu vergessen, dass sie ja auch diverse Aufgaben zu erfüllen hatten. Gackt legte so viel Kraft und Elan in seine Performances, dass es ihnen noch lebendiger vorkam, als beim ersten Mal und damals waren sie ja schon nicht mehr zu halten gewesen. Tatsächlich durften sie ihren Stars auch in der hektischen Umkleidepause zur Seite stehen und ihnen Getränke reichen. Nina wurde zwar des Öfteren beinahe umgerannt und auch Chrissie hatte es schwer, sich gegen die wütende Meute von Maskenbildner und dem Rest der Mannschaft durchzusetzen, aber solange sie Gackt-Job nur irgendwie nützlich waren, ertrugen sie das gerne.

„Na Nina, wäre doch ne gute Gelegenheit, um dich mal ganz zufällig in Gackt’s Arme stolpern zu lassen.“, flüsterte Chrissie mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

Nina räusperte sich verhalten und unterließ jegliche Kommentare. Ihr Räuspern kam ihrer Freundin jedoch sehr verdächtig vor und dementsprechend bohrend war auch ihr Blick. Nina wurde unter Ihm langsam aber sicher rot.

„Hab ich irgendetwas nicht mitbekommen?“

„Ich erzähl es dir später.“, wimmelte Nina sie ab und hastete der Meute hinterher, die die Treppe wieder hinauf stürmte.

Die letzten Songs wurden gespielt und Nina griff zum Taschentuch. Das war alles viel zu schön, um wahr zu sein! Sie durchlebte in diesen Momenten so viel; unbändige Freude, unfassbares Glück und auch niederschmetternde Trauer. All das, was sie hier als so wunderbar empfand, würde in etwa 1½ Wochen nur noch Erinnerung an etwas sein, das sie nicht in Worte fassen konnte. Und vor dem Abschied hatte sie Angst, sehr große Angst sogar, doch erklären konnte sie sich das in diesen Momenten noch nicht. Gerne hätte sie Chrissie darauf angesprochen, doch sie sah so fasziniert und glücklich aus, dass sie es dann doch ließ. Schon bald waren diese Gedanken auch wieder unter einem Berg von anderen Emotionen und Eindrücken begraben und vergessen.
 

Gackt sang seine letzten Worte, die Melodie wurde leiser und das Licht gedämpfter. Das Final war vorbei und er zufrieden mit sich. Er fühlte sich leicht und beschwingt, der Rest des Adrenalins in seinem Blut zeigte Wirkung. Sein Kopf fühlte sich so leicht und leer an wie schon lange nicht mehr. Wie als würde er schweben glitt sein Körper dahin, so fühlte er sich zumindest. Er hatte keine Schmerzen, oder doch? Seine Glieder fühlten sich irgendwie taub an und schienen sich ganz von selbst zu bewegen, irgendwie kam er sich mechanisch und ferngesteuert vor. Die Stimmen um ihn herum flüsterten, sie waren weit weg, er war wohl noch nicht bei ihnen, dabei lief er doch schon so lange. Seine Kehle fühlte sich trocken an, doch er hatte keinen Durst, oder spürte er das schon gar nicht mehr? Es ging ihm doch gut, oder etwa nicht? Warum waren die Gesichter vor ihm so verzerrt und verschwommen? Waren seine Kontaktlinsen verschmutzt? Ja, das musste es sein. Seine Lieder waren schwer, er wollte sie schließen. Nur ganz kurz, damit seine Augen wieder klar sehen konnten. Es war ja nichts dabei, nur kurz blinzeln, nur ganz kurz und dann…
 

„Es war so toll! Es war so unglaublich!“, bestärkte Nina immer wieder und hüpfte total aufgekratzt vor Chrissie herum.

„Ja, ja, du hast ja Recht! Es war wirklich geil!“, bestätigte sie Nina und schmunzelte.

„Das müssen wir ihm unbedingt sagen, wenn wieder Zeit dafür ist!“

Chrissie nickte, in diesem Moment kam Hyde wieder um die Ecke gebogen. Auch seine Augen leuchteten, ganz offensichtlich hatte es ihm also gefallen.

„Na ihr? Wie war’s?“, fragte er fröhlich und stemmte dabei seine Hände in die Hüfte.

„Genial!!“, riefen sie beide gleichzeitig aus.

Hyde wollte gerade zum nächsten Satz ansetzten, als sie plötzlich von mehreren, panisch aufkreischenden Stimmen unterbrochen wurden.

„GACKT-SAN!!!“

Lust for blood

07 Lust for blood
 

****Ich strecke ratlos die Hände nach den Wunden aus die du mir zeigst.

Unter deinem Starren, weiß ich nicht, was ich am Ende tun soll.

Wenn es den Schmerz in meinem Herzen stillt… Töte mich… Mach kein trauriges Gesicht. Ich wünsche mir, dass du am Ende lachst.****
 

Aufgeschreckt und mit einer bitteren Vorahnung im Hinterkopf, fuhren sie zum Ursprung der Schreie herum. Viele Menschen rannten zielstrebig auf einen Punkt hinter dem Vorhang zu und verharrten dort entsetzt. In Nina’s Miene zeichnete sich nun ankommende Panik ab, automatisch griff sie nach der Hand ihrer Freundin, die ihr sofort ein nicht minder verzweifeltes Nicken schenkte. Schon im nächsten Augenblick liefen sie los, beinahe wie von Geisterhand geführt, denn ihre Gedanken fühlten sich an wie gelähmt, alles spielte sich vor ihnen wie in Zeitlupe ab. Hyde war fast zeitgleich mit ihnen auf dieselbe Idee gekommen, schon nach wenigen Schritten erreichten sie das Gemenge. Chrissie schaffte es, sich mit Nina an der Hand zwischen den Leuten durchzudrängeln und ganz nach vorne zu kommen. Kaum waren sie angekommen, stieß Nina einen schrillen Schrie aus und warf sich in die Arme ihrer älteren Freundin, die zitternd und mit aufgerissenen Augen ihre klammernde Umarmung erwiderte. Gackt lag willkürlich zusammengekauert auf dem Boden, ohne Zweifel bewusstlos. Ein paar Leute richteten seinen Rumpf auf und sprachen ihm zu, doch er blieb bewusstlos. Er sah so elend aus, so erschöpft und runtergekommen. Trotz der Schminke wirkte er blass und ausgelaugt. Kaum zu glauben, dass das derselbe Mann sein sollte, der eben noch auf der Bühne gestanden hatte und mit vollem Einsatz sein Tourfinal absolviert hatte.

„Oh Gott…! Sag, dass das nicht wahr ist! Er ist nicht umgekippt! Sag, dass es nicht wahr ist!“

„Nina beruhig dich!“, sagte Chrissie streng, auch wenn es ihr sehr schwer fiel und löste sich aus der Umklammerung.

Ihre Augen ruhten unablässig auf Gackt’s schlaffen Körper, ihr Kopf war so leer wie noch nie, dabei währe ihr eine helfende Idee gerade jetzt recht gewesen. Ihre jüngere Freundin konnte kaum hinsehen, sie war völlig aufgelöst und fast schon hysterisch.

„Da seid ihr ja! Kommt bitte erstmal weg hier! Man wird sich um ihn kümmern!“

Hyde war aus der Menge heraus aufgetaucht und griff nach Chrissie’s rechtem Handgelenk.

„Ihm passiert doch nichts, oder?! Wir können nicht weg, was ist wenn er…!“

„Beruhige dich!“, sagte Hyde laut zu der Dunkelhaarigen und zerrte sie anschließend beide zur Seite.

Schon im nächsten Moment wurde Gackt’s Körper in die Höhe gehoben und zügig weggetragen.

„Hyde… man hat ihm nichts angemerkt, es kam so plötzlich…“, murmelte die Rotblonde noch unter leichten Schock stehend als sie Gackt hinterher sah.

Hyde nickte stumm, auch wenn er es sich nicht so anmerken ließ, der Schreck steckte auch tief in seinen Knochen. In dem Augenblick, wo ihm klar geworden war, was geschehen ist, hatte er geglaubt, sein Blut sei gefroren.

„VERDAMMT!“, keifte Nina plötzlich neben ihnen.

Sie zuckten fürchterlich zusammen, Nina hatte auf dem Flur eine herumstehende Kiste mit ach und Krach weggetreten. Ihre Hände waren zu bebenden Fäusten zusammengeballt, ihr Puls raste wie noch nie zuvor und aus ihren zugekniffenen Augen kullerten ab und an Tränen des Zorns und der Verzweiflung. Wütend bearbeitete sie die Wände des Korridors mit ihren Fäusten.

„So ein Idiot! Warum?! Er weiß ganz genau, was er sich zumuten kann und was nicht! Warum dann immer wieder das hier? Wieso hält er sich nicht etwas mehr zurück?! So ein unverbesserlicher Idiot! Er bringt sich noch mal um!“, keifte sie durch das gesamte Gebäude, doch außer Hyde und Chrissie schien es niemand mitzubekommen.

„Nina, es ist gut, du kannst es nicht ändern!“, versuchte Chrissie sie zu beschwichtigen.

„Davon hat doch niemand was! Am allerwenigstens er selber!“

Hyde stand fassungslos da, er war nun vollkommen all seiner Gedanken beraubt. Er wusste nicht mehr, was er denken sollte, so etwas hatte er noch nie erlebt.

„Nina! Du hast Recht, er ist ein Blödmann, aber komm wieder runter!“

„Was, wenn er mal daran stirbt? Was wenn… wenn…“

Nina senkte ihre Stimme und sah zu Boden. Was redete sie da? Wie konnte sie sich nur so gehen lassen und das auch noch in der Nähe von Hyde? Wie konnte sie nur so schwarzsehen?“

„Ähm… Ich schlage vor, wir fahren jetzt zurück ins Hotel. Es wird schon alles gut werden, bisher ist er immer wieder aufgestanden.“, brachte Hyde nun doch wieder etwas hervor.

Nina sah in verzweifelt an, war denn warten alles, was sie machen konnten? Sie fühlte sich so egoistisch und verblendet. Bei den ganzen anderen Touren hatte sie immer sofort gemerkt, wenn etwas mit ihm nicht stimmte und hatte unterscheiden können, wann etwas einfach nur gespielt war und wann nicht. Doch heute, wo sie schon am Vormittag festgestellt hatten, dass Gackt müde wirkte, war ihr nichts aufgefallen.

„Komm schon Ninchen… Du kannst ihm ja nachher die Leviten lesen.“

Die Dunkelhaarige nickte stumm und ließ sich von Chrissie an die Hand nehmen.
 

„Ich kann euch doch jetzt alleine lassen, oder? Ihr werdet ja nachher merken, wenn Gackt wieder heimkommt.“

Chrissie stand im Türrahmen ihres Zimmers und schmulte über ihre Schulter zu Nina. Sie war gleich um die Ecke gebogen, dementsprechend außer Hörweite.

„Wollen wir hoffen, dass er heil hier ankommt.“

„Ich bin mir da ziemlich sicher. Er ist zu zäh, als das er jetzt aufgeben würde. Bestimmt sieht die Sache schlimmer aus, als sie eigentlich ist.“

„Und du? Was machst du jetzt?“

Hyde überlegte kurz.

„Weiß ich noch nicht so genau… Mal sehen.“

Er musste in die enttäuschten Augen Chrissie’s sehen, die sich wahrscheinlich etwas anderes erhofft hatte.

„Ich sag dir was, ich werde jetzt noch mal zurückfahren und nach dem Rechten sehen. Keine Sorge, ich werde ihn anschließend wieder heimbringen.“

Chrissie’s Augen leuchteten erfreut.

„Bring ihn aber heil wieder mit.“

Hyde schmunzelte.

„Mach ich.“

„Ich mein ja nur, ich habe nämlich überhaupt keine Lust, Nina noch viel länger in diesem Zustand ertragen zu müssen.“

Sie deutete dabei mit dem Daumen hinter sich, auch wenn ihre Freundin momentan gar nicht zu sehen war.

„Verstehe, ich beeil mich.“

Leicht zögernd auf den Beinen drehte er sich um und eilte davon. Die Rotblonde sah ihm nur kurz nach und verschloss dann die Tür hinter sich.

>>Ich glaube nicht, dass du das verstehst…<<

Chrissie stand nun mitten im Wohnzimmer und ließ ratlos die Arme an ihrem Körper auf und ab schwingen. Schlurfend bewegte sie sich durchs Zimmer, links in einer Nische sah sie Nina mit dem Rücken zu ihr in einem Sessel sitzen, niedergeschlagen wie sie sich denken konnte. Sie ließ sie jedoch für den Moment noch alleine mit ihrem Schmerz, denn solange sie selbst nicht weiter wusste, hätte ihre direkte Anwesenheit auch nichts genutzt. So schlenderte sie also weiter. Irgendwann war sie vor einer Kommode gelandet, auf der sie ihre Geschenke bei der Ankunft abgelegt hatten. Nina’s Bild war noch immer ordentlich verpackt, der Mohn hatte nur wenig gelitten, inzwischen war der Straus wieder ausgewickelt worden. Anknüpfend viel der Rotblonden das vorbereitete Essen wieder ein. Etwas energischer als zuvor wanderte sie zu dem kleinen Kühlschrank an der Minibar, den sie einfach kurzerhand Zweckentfremdet hatten. Nachdenklich öffnete sie ihn und sah sie die Schüssel mit den Nudeln an.

„Klasse… wir sind in einem übelst noblem Hotel und kommen mit Spagetti vom Vortag an… Zudem sind aus vier Personen inzwischen wesentlich mehr geworden… Das können wir uns dann ja wohl abschminken.“

Je mehr sie darüber nachdachte, desto weniger Lust hatte sie überhaupt darauf, mit Gackt und all den anderen seinen Geburtstag nachzufeiern. Wenn es denn überhaupt dazu kommen sollte. Wieder warf sie einen Blick zu der Dunkelhaarigen, immer noch ungerührt hockte sie da, die Knie angewinkelt und den Kopf zwischen ihnen vergraben. Ihre Freundin rappelte sich also auf und gesellte sich nun doch zu ihr. Tröstend legte sie ihre schmale Hand auf Nina’s Kopf und setzte sich zu ihr auf die Armlehne.

„Hör auf Trübsal zu blasen, sonst warst du doch auch nicht so.“

„Sonst hab ich aber auch nicht live gesehen, wie er zusammenklappt. Ich finde das furchtbar, da ist dieses Gefühl von Hilflosigkeit. Wir konnten einfach gar nichts tun… Obwohl man es ahnen konnte, obwohl ich schon vorher gemerkt hatte, wie müde er war, hab ich nichts gesagt…“

„Ach Mensch Nina, das ist doch jetzt Blödsinn! Stell dir vor, du hättest was dazu gesagt, glaubst du ernsthaft, alle hätten sofort die Arme hochgerissen und hätten spontan einfach mal so das Tourfinal abgesagt? Daran hat niemand Schuld, er wäre so oder so aufgetreten und anschließend abgeklappt.“

Nina sah auf und seufzte.

„Trotzdem ist es jetzt ein doofes Gefühl, ich ärgere mich auch so über seine Eitelkeit! Wenn man nicht mehr kann, dann kann man eben nicht mehr! Warum muss er denn immer allen beweisen, wie toll er ist? Ich glaub ihm das auch so.“

„Tja, vielleicht geht es ihm gar nicht um die anderen. Vielleicht will er sich einfach selber von Mal zu Mal übertreffen und sich neue Grenzen und Ziele setzen, einfach über sich hinauswachsen, verstehst du?“

Nina nickte.

„Ich merk es schon… der Junge ist einfach nicht ausgelastet…“

Chrissie grinste.

„Dann sollte er sich doch endlich mal eine Frau zulegen, vielleicht hilft das ja.“

„Wenn du mich ärgern willst, sag bescheid.“

„Aber immer doch.“

Die Jüngere boxe ihre Freundin sanft in die Seite.

„Hey! Du kannst ja doch noch lächeln!“, rief sie gespielt erfreut aus.

„Ach lass mich doch in Ruhe...“, meinte Nina daraufhin nicht weniger gespielt schnippisch und wendete ihren Blick ab.

„Erst wenn du mir sagst, was du mir verheimlicht hast.“

Nina schwieg und sah ihre ältere Freundin fragend an, was wollte sie denn jetzt wieder damit sagen?

„Ich meinte doch vorhin, in einer von den kurzen Pausen, du könntest dich doch mal unauffällig in Gackt’s Arme stolpern lassen. Da hast du so komisch rumgedruckst und gesagt, dass du mir dazu später noch etwas erzählen willst. So, jetzt ist später.“, endete sie schließlich.

Nina fiel schlagartig wieder alles ein, ihre Fassung von eben war wie ein nasser Sack in sich zusammengefallen. Hochrot rutschte sie noch tiefer in den Sessel hinein.

„Nun? Ich warte!“, sprach Chrissie fordernd.

„Ok… Ich musste doch letzte Nacht auf die Toilette, weißt du noch?“

„Hm… Ja, ich kann mich dunkel an dein Gefasel über deine Nachtblindheit erinnern…“

Nina knurrte erneut beleidigt, fuhr dann aber trotzdem fort.

„Ich hab mich dann doch alleine davon gemacht. Ich bin also gerade dabei, durch den total finsteren Flur zu irren, als plötzlich eine Tür aufgeht.“

„Gackt kam gerade splitternackt aus der Dusche!“, unterbrach sie Chrissie euphorisch.

„NEIN! Mensch Chrissie!“

„Sorry, musste sein…“

„Nicht ganz nackt und er kam auch nicht aus der Dusche.“

„Also doch eine Affäre mit Hyde! Ich hab’s gewusst!“

„Ich bring dich um wenn du das nicht sofort lässt…“, drohte Nina finster klingend.

Ihre Freundin hätte sich fast selber vor Lachen vom Sessel auf den Boden befördert, doch irgendwie war es ihr gelungen, eher auf ihre Knie zu gleiten als zu fallen.

„Gut, dann erzähle ich eben nicht weiter!“, sagte Nina beleidigt und verschränkte ihre Arme.

„Hey! Das ist unfair!“, protestierte Chrissie lautstark.

„Unfair?! Wer unterbricht mich denn hier ständig mit seinen Shônen Ai Gedanken?“

Chrissie grinste kapitulierend.

„Na ja, wie auch immer… Es kam halt auf jeden Fall dazu, dass ich fast die Treppe runter gefallen wäre, aber Gackt war schnell genug mich noch festzuhalten.“

„Dabei hat er dich umarmt? Er hat dich gerettet und dabei umarmt?!“

„Hat sich so ergeben… Danach hat er noch so einen seltsamen Spruch über meine Haare abgelassen und das war’s dann auch gewesen…“

„Hä? Ich will Details hören!“

„Später, im Moment hab ich andere Sorgen.“

SCHWEIGEN

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Chrissie gelangweilt.

Nina zuckte unwissend mit den Schultern.

„Weiß nicht… aber irgendwie habe ich Hunger.“

„Glaub ich dir. Da fällt mir ein, das Essen, das wir doch mitgenommen haben, können wir ja jetzt wohl vergessen, oder? Es würde ja auch wohl kaum für den ganzen Stuff reichen und nur für uns vier wäre das irgendwie blöd. Vor allem in einem so feinem Hotel.“

Das langhaarige Mädchen sah sie ein wenig missmutig an, sie hatte sich so sehr auf das alles gefreut gehabt, denn noch immer hatten die bisherigen Erlebnisse einen Traumeffekt auf sie. Sie wollte nicht so schnell wieder erwachen, doch nun war dieser wundervolle Traum zu einem Alptraum geworden und sie fürchtete sich vor seiner Weiterführung.

„Und was machen wir jetzt? Irgendwie scheint alles ins Wasser zu fallen…“

Die Rotblonde robbte auf ihren Knien genau vor ihre Freundin und sah sie aus ihren klaren, hellblauen Augen an.

„Ich glaube, wenn Gackt ins Wasser gefallen wäre, hätten wir es Platschen hören, oder?“

Ihr Gegenüber lachte entrüstet auf und boxte sie sanft gegen die Schulter, auch Chrissie lachte.

„Mensch! Du bist fies, über so was macht man sich nicht lustig!“

„Du hättest ja nicht lachen müssen.“

„Hab ich aber!“

„Eben.“

Sie grinsten sich an, anschließend erhob sich Chrissie über Nina und hielt ihr die rechte Hand hin.

„Na komm, lass uns mal im Hotel rumlaufen, vielleicht kommen wir da auf andere Gedanken.“

Nina nahm ihre Geste bereitwillig an und lies sich von ihr aus dem großem Hotelzimmer führen.

„Was das Essen jetzt betrifft… Meinst du nicht, dass wir da noch eine Lösung finden würden?“, sagte Nina draußen vor der Tür.

Ihre Gefährtin grübelte kurz und wies kurze Zeit später erste Anzeichen eines Grinsens in ihrem Gesicht auf, während sie weiterhin nachdenkend mit ihrem linken Zeigefinger auf ihre geschlossenen Lippen tippte.

„Was ist? Hast du eine Idee?“

„Idee schon, aber die verwerfen wir besser gleich wieder.“

„Was?! Warum denn? Erzähl doch erstmal!“, forderte Nina enttäuscht.

„Ach nee… Das geht eh nicht.“

„Erzähl, du nötigst mich auch immer, ich soll meine Gedanken gefälligst aussprechen!“

„Aber rumzetern, wenn ich bestimmte Stellen aus deinen Fanfictions lesen will!“

Nina resignierte, beharrte aber weiterhin mit ihren Blicken auf eine Antwort.

„Na schön. Also, stell dir vor, der Leiter dieses Hotels wäre ein relativ umgänglicher und flexibler Kerl.“

Gespannt nickte die Dunkelhaarige.

„Und die Leute in der Küche hätten mit den Vorbereitungen fürs Abendessen noch nicht angefangen.“

Nina’s Nicken wurde immer enthusiastischer.

„Dann könnten wir doch eventuell die Bitte vorbringen, wenigstens für heute Abend für das Dinner zuständig sein zu dürfen.“

Eine Kurze Denkpause entstand, in der die Jüngere noch einmal jeden Satz ihrer Freundin durchdachte und nachvollzog.

„Eine sehr heikle Angelegenheit wenn du mich fragst, aber nicht unmöglich. Und wo liegt da jetzt das Problem?“, fragte sie selbstverständlich klingend.

„Nun, wir müssten ihn aufsuchen und ihn fragen.“

„Ja. Und?“

„Ich trau mich nicht!“

Wäre dies ein Comic gewesen, wäre Nina jetzt mit Sicherheit einfach umgekippt. Stöhnend schlug sie sich die Hand vor die Stirn.

„Ach Chrissie! Das war nun dein großes Problem?!“

Die Angesprochene senkte ihren Kopf und tippte verlegen ihre Fingerspitzen aneinander. Ihr knuffiger Hundeblick machte es Nina unmöglich, einer Umarmung zu widerstehen und schon schlang sie lachend ihre Arme um die Kleinere.

„Ach je… Erzähl das bloß keinem.“

„Und wie geht es jetzt weiter?“

„Na wir gehen jetzt runter zur Rezeption und lassen uns sagen, wo wir die Hotelleitung finden.“

Chrissie sah sie mit großen Augen an.

„Echt jetzt?!“

Ein selbstbewusstes Nicken bestätigte die Aussage. Schon lief Nina die Stufen zur Rezeption hinunter, ihre erfreute Freundin im Schlepptau.

„Was, wenn der Chef ein Problem mit unserer Bitte hat?“

„Und wenn ich mich vor dem Typen auf die Knie schmeißen muss, wir kriegen unser Überraschungsessen!“

Die Größere entschied sich zu der einzigen Frau an der Rezeption zu gehen, sie machte einen netten und beeinflussbaren Eindruck auf sie. Sicher würde sie ihnen keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten. Wie sie beide also schließlich vor der Japanerin standen, suchte Nina nach passenden Worten für ihr Anliegen, während Chrissie das Aussehen der zierlichen Person musterte. In diesem Moment nahm die junge Frau Notiz von ihrer Anwesenheit und wendete sich ihnen mit einem Lächeln zu.

„Can I help you?“, fragte sie in astreinem Englisch.

„Sie können ruhig Japanisch mit uns reden.“, meinte Nina freundlich.

Sie verneigte sich ein ganz klein wenig und strahlte sie beide aus kastanienbraunen Augen an. Mandelförmig und groß, wie Chrissie feststellte. Ihr gefiel die einfache Frisur der Japanerin. Ein geflochtener Zopf, der am Hinterkopf einfach mit einer roten Spange befestigt worden war. Hinter ihren kleinen Ohren lugten lange Strähnen feinen, schwarzen Haares hervor, die ihr bis über die Schultern fielen. Sonderlich klein war sie auch nicht, dennoch sehr schlank und zierlich, was die anliegende Nadelstreifenuniform noch untermalte.

„Mausi?“

„Hm?“

Chrissie blinzelte leicht verstört.

„Wir können gehen.“

„Oh, sorry… ich hab geträumt.“

„Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen…“

„Hat sie dir gesagt, wo wir hin müssen?“

„Ja, die Chefetage ist ganz oben, sein Büro liegt dann am Ende des Ganges. Sie sagt aber, dass wir wahrscheinlich wenig Erfolg haben werden. Der Chef ist wohl ein sehr eingefahrener Typ, der nicht sonderlich offen für spontane Aktionen ist. Schon gar nicht, wenn es um einen Gast geht, der mal eben das ganze Hotel für sich und seine Crew gemietet hat.“

„Das gesamte Hotel?!“, hinterfragte die Ältere überrascht.

„Hai, so desu. Stell dir doch nur mal vor, wir als Fans wüssten, welches Hotel Gackt bewohnen wird. Würdest du, wenn du es mit deiner Fanliebe übertreiben würdest, nicht einfach auch hier einziehen und auf die Chance warten, ihn dir unter den Nagel zu reißen?“

Diese Erklärung leuchtete ein.

„Wie viele Stockwerke hat das Ding noch mal gleich?“

„Öhm… Einige, aber nicht massig, war sicherlich auch Absicht.“

„Klasse… na dann ab in den zigsten Stock. Gibt es hier wenigstens einen Lift?“

Nina hob unwissend die Schultern, Chrissie seufzte.
 

Hyde fuhr in einem relativ unauffälligen Leihwagens des Hotels durch die Straßen zurück zur Yokohama Arena. Die Sonne war längst hinter dem Horizont verschwunden, nicht einmal mehr ein schmaler, leicht rötlicher Lichtstreifen erinnerte an ihren farbenprächtigen Untergang. Über das Land hatte sich inzwischen ein dunkelblauer Schleier mit funkelnden Sternen gelegt. Der Sänger hatte seinen rechten Arm auf den schmalen Vorsprung seines Fensters gelegt und massierte seine Schläfen. Mit der anderen Hand steuerte er den Wagen. Es waren verhältnismäßig wenig Autos auf den Straßen. Es war auch schon ziemlich spät und zudem noch mitten in der Woche. Am Wochenende war immer mehr los auf den Straßen, kein Wunder, viele haben da ja auch frei. Hyde ärgerte sich, dass er über solche Banalitäten nachdachte, es gab doch nun wirklich Wichtigeres! Aber wenn er sich nicht ab und an ablenken würde, hätten ihn die Sorgen um Gackt wahrscheinlich schon krank gemacht. Jetzt dachte er an Nina. An ihre Ungehaltenheit, ihren Zorn nach Gackt’s Zusammenbruch und die Verzweiflung in ihren Augen. Und er dachte an Chrissie, die ihre Freundin versucht hatte zu beruhigen. Im Vergleich zu Nina war sie ziemlich ruhig, oder auch gefasst geblieben, doch er hatte gesehen, wie ihre Hände gezittert- und ihre Augen geflackert hatten, wie bleich sie auf einmal geworden war und was für eine besorgte Miene sie gemacht hatte. Es war ein Schock für die beiden Freundinnen gewesen, ganz sicher. So in Gedanken versunken hätte er fast eine Abzweigung verpasst, er war froh, dass er sich den Weg gemerkt hatte. Er wollte sich nicht extra wieder hinfahren lassen, zudem kam ihm die Angelegenheit zu privat vor. Gackt hatte sich überanstrengt, nichts Neues bei ihm, fast ein wenig spöttisch durchwanderte dieser Gedanke Hyde’s Kopf. Er selbst gab zwar auch immer alles was er hatte, aber er übertrieb es nie, hielt es immer in Grenzen. Allgemein war sein Auftreten ganz anders als das seines Kollegen. Viel freier und entspannter, teilweise einfach frei aus dem Bauch heraus und improvisiert. Richtige Shows mit festgelegten, aufwendigen Performances machte er allein, oder mit L’Arc~en~Ciel eigentlich nie. Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern, dass er je nach einem Auftritt an übermäßiger Schwäche litt oder er jemals einen asthmatischen Anfall gehabt hatte, trotz seines Rauchens.

>>Vielleicht fehlt ihm auch einfach nur eine richtige Familie, er hat ja nichts Handfestes, an das er sich klammern könnte.<<

Hyde dachte an Megumi und Hiroki, ihnen zuliebe hatte er stets irgendwie mehr auf sich geachtet, wenn auch vielleicht unbewusst. Sein Blick wanderte auf die Digitaluhr über dem Rückspiegel.

>>Viertel nach zehn…<<

Er bog um den letzten Häuserblock und stand schließlich wieder vor der großen Arena. Luft holend steig er aus dem Auto, warf sich seinen langen, dunkelgrauen Mantel mit den losen Schnallen über, setzte vorsichtshalber doch lieber seine Sonnenbrille auf und steuerte nun zielstrebig den Hintereingang der Halle an. Wie erwartet öffnete ihm einer der Bodyguards, der ihn ohne weiteres Drumherum hinein ließ. Von der ganzen Hektik, die noch vor ein paar Stunden hier geherrscht hatte, war nun nichts mehr zu spüren. Hier und da bog mal jemand in seinen Weg mit ein und warf ihm fragende Blicke zu, wahrscheinlich waren die meisten Leute vom Stuff mit den Aufräumarbeiten beschäftigt, andere hockten bestimmt bei Gackt. Schließlich fand sich Hyde hinter dem gigantischen Vorhang wieder, links von sich ging es hinunter zu den Styling Räumen, getragen hatten sie Gackt jedoch in einen der Räume auf der rechten Seite. Hyde hörte seine Schritte widerhallen, er kam sich ziemlich laut und auffällig vor, doch das war er wohl kaum. Er klopfte an die Tür, die ihm am verdächtigsten vorkam, es antwortete keiner, also öffnete er sie einfach. Sofort ruhten mehrere Augenpaare auf ihm. You, Chachamaru, Ju-Ken, Ryu und offensichtlich ein Arzt hatten sich um Gackt versammelt, der schon wieder ganz passabel auf einer Liege im Raum sitzen konnte.

„Hyde? Was machst du denn hier?“, flüsterte You ihm ganz leise zu.

Gackt konnte gerade nicht antworten, da der Arzt ihm gebot sich seines Oberteils zu entledigen, damit er ihn besser abhören konnte, aber auch er hatte dem zierlichen Sänger einen fragenden Blick zugeworfen. Hyde hockte sich neben You und faltete seine Hände in seinem Schoß zusammen.

„Wie geht es ihm?“, fragte er flüsternd zurück, auf seine Frage ging er dabei bewusst nicht ein.

You beugte sich ein wenig zu ihm hinunter, ohne dabei seinen Blick von seinem besten Freund zu nehmen, nicht anders als Hyde.

„Etwa eine halbe Stunde nach seinem Zusammenbruch ist er wieder zu sich gekommen. Der Arzt meint dasselbe wie jedes Mal; immense Überanstrengung. Hinzu kommt sein weniger Schlaf, zu wenig vernünftiges Essen und der ganze Stress, den er sonst noch hat.“

Der kleinere Sänger erwiderte nichts, er beobachtete weiterhin, wie das Stethoskop des Arztes über Gackt’s Rücken wanderte.

„Momentan geht es wieder, aber er ist recht wackelig auf den Beinen und wirkt noch ziemlich erschöpft. Wenn er also noch so schwört, dass es ihm gut geht, es wäre gelogen.“

Jetzt nickte Hyde bestätigend, er sah selbst, wie blass Gackt war und was er für einen ausgemergelten Eindruck machte.

„So, ich denke, dass ich sie jetzt ruhigen Gewissens heimschicken kann, nur unter Aufsicht natürlich, aber darauf werde ich mich ja wohl verlassen können. Gönnen sie sich vorerst viel Ruhe, vor allem Schlaf und essen sie vernünftig. Morgen stehen sie wieder munter auf den Beinen, eine gute Kondition haben sie ja.“

Alle atmeten bei den Worten des Arztes erleichtert auf, wie als hätte er es eh von Anfang an gewusst, zog sich Gackt optimistisch blickend an. Hyde war aufgestanden und zu ihm hingegangen, er ließ seine Hand auf der Schulter des Größeren ruhen.

„Du machst vielleicht Sachen…“

„Schön, dass du hier bist.“, antwortete Gackt müde.

„Deine beiden Gäste waren ganz außer sich und sitzen nun aufgelöst in ihrem Zimmer. Aber später mehr dazu, du fährst doch bei mir mit, oder?“

Gackt sah durch die Runde, einige von ihnen nickten verständnisvoll und verließen dann den Raum.

„Ich erzähl dir alles im Auto, du wirst staunen.“

Gackt sah den Kleineren aus matten Augen an, er wusste, bei ihm brauchte er sich nicht zu verstellen, es hätte eh keinen Sinn. So ließ er sich also von Hyde nach draußen führen, wo er, mit einem dunkelbraunem Shirt und einer schwarzen Hose gekleidet, einstieg.
 

„Nina~ matte o kudasai! Onegai shimasu!!!“

Leicht genervt wand sich Nina zu ihrer kleineren Freundin um, die sie mit gespielt verzweifelten Augen ansah.

„Ach Mausi… Was hast du denn?“

„Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind? Ich meine, du kennst doch deinen Orientierungssinn…“

„Ich hab gar keinen.“

„Das mein ich ja damit! Wir irren jetzt schon ne ganze Weile hier oben rum und finden dieses vermaledeite Büro einfach nicht! Bist du dir sicher, dass die Frau an der Rezeption was von der obersten Etage und vom Ende des Ganges gesagt hat? Vielleicht hat dich dein Japanisch ja doch mal im Stich gelassen und du hast es einfach falsch übersetzt.“

„Ich hab’s gefunden!“, jubelte die Jüngere plötzlich.

„Oder auch nicht... ähem, ich komme!“

Nina stand vor einer Tür, die sich zumindest in Chrissies Augen im ersten Moment so rein gar nicht von den anderen auf dieser Etage unterschied. Skeptisch begutachtete sie alles an ihr, sogar den Türrahmen.

„Und wie kommst du jetzt darauf, dass es hier ist?“

Ihre dunkelhaarige Freundin deutete auf das Key-Card Lesegerät.

„Da steht Hotelleitung drauf. Noch kleiner ging es wohl nicht mehr.“, meinte sie spöttisch.

Ihre Begleiterin schluckte schwer und schenkte ihr bedeutende Blicke. Ebenfalls angespannt klopfte Nina an. Es wurde totenstill, beide Mädchen verkniffen sich auch nur zu atmen und lauschten auf jede noch so kleine Regung in dem, hinter der Tür liegenden, Raum. Schließlich, nach einer halben Ewigkeit, ertönte das Klicken des Türschlosses und ein etwas in die Jahre gekommener Mann trat vor sie. Im ersten Moment hafteten die Blicke der beiden prüfend an der Gestalt ihres Gegenübers. Gerade so, als wollten sie schon im Voraus wissen, was sie denn jetzt wohl erwarten würde. Der Japaner vor ihnen war von hoher, schlanker Natur, hatte ein schmales, markantes Gesicht mit spitzem Kinn, einem geschwungenen Schnurrbart und volle Augenbrauen. Seine Haut war im Vergleich zu den anderen relativ dunkel, unter seinen Augen zeichnete sich deutlich sein Alter in Falten ab, sie schätzten ihn zwischen 50 und 55 Jahren. Seine Wangenknochen waren durch die inzwischen sehr dünne Haut ziemlich gut zu erkennen, seine Hände waren mit einigen Altersflecken besprenkelt, wirkten aber dennoch sehr gepflegt. Seine Haare glänzten nicht mehr ganz so, waren aber noch schwarz und an einigen Stellen von feinen, silbrigen Härchen durchzogen. Sie waren ordentlich zu beiden Seiten gekämmt, wirkten aber erstaunlich voll und überhaupt nicht angeklatscht. Seine Augen waren wie bei allen Japanern fast schwarz und schienen sie zu durchbohren, ein fester, stolzer Blick untermalte ihre Wirkung. Der dunkelgraue Geschäftsanzug bestärkte die Befürchtung der Freundinnen, dass sie hier eine ziemlich harte Nuss vor sich hatten. Auch er schien sie für einen Augenblick lang genau gemustert zu haben, mit zwei ausländischen und jungen Damen vor seiner Tür hatte er am allerwenigsten gerechnet.

„Kann ich ihnen helfen? Ich hoffe es ist wichtig, es ist spät und ich bin ein vielbeschäftigter Mann müssen Sie wissen. Ich habe keine Zeit für Lappalien.“, begrüßte er sie streng.

Das war ein Schlag gewesen, der so manchem Mut das Genick gebrochen hätte und Nina doch tatsächlich auf Anhieb die Luft aus den Segeln genommen hatte.

„Ano~ Entschuldigen Sie bitte die späte Störung, doch es ist eigentlich schon ziemlich wichtig. Es geht um Ihren VIP Gast hier…“, brachte sie leicht durcheinander vor.

Der Hotelleiter runzelte die Stirn und wanderte dann mit seinen Blicken von einer Maid zur anderen.

„Na kommen Sie erstmal rein, wir müssen das ja nicht hier draußen klären.“

Er trat zur Seite und machte mit einer Handbewegung deutlich, dass sie beide eintreten konnten. Chrissie sah Nina nervös an, der erste Schritt war getan, jetzt musste sie sich nur noch auf die Redegewandtheit ihrer Freundin verlassen können. Sie durften sich auf zwei Stühlen niederlassen, die direkt vor einem enorm großen Schreibtisch mit allen möglichem Schnickschnack standen. Ihr Gastgeber selbst ließ sich auf seinem Drehstuhl nieder, stützte seine Ellenbogen auf dem Tisch ab und starrte sie wartend an.

„So, mit wem habe ich eigentlich das Vergnügen?“

„Nun, wir sind zwei spezielle Gäste Gackt-san’s. Bei unserem Anliegen geht es übrigens direkt um ihn, vielleicht wissen sie ja noch nicht das…“

„Ich bin über den momentanen Zustand seinerseits sehr wohl informiert. Sie würden mit ihrer Erzählung nur unnötig meine Zeit verschwenden.“, fiel er ihr forsch ins Wort.

Nina machte eine böse Miene, sie hasste es, so mit sich reden lassen zu müssen. Sie musste ruhig bleiben, um jeden Preis!

„Es geht um das Abendessen für heute.“, warf Chrissie helfend ein.

Er zog seine Augenbrauen weiter zusammen.

„Heute gab es keines, es ist aufgrund der Ihnen bereits bekannten Umstände ausgefallen.“, war seine Aussage dazu.

Die beiden Mädchen sahen sich kurz absprechend an. Eine Uhr an der Wand machte ihnen klar, dass es für ein Abendessen in der Tat zu spät war, doch Nina gab sich so schnell nicht geschlagen.

„Würden Sie bitte zum Punkt kommen?“, forderte er sie genervt auf und blickte auf seine Armbanduhr.

„Wir möchten Sie bitten, die Küche heute doch noch einmal in Betreib zu nehmen!“, erwiderte Nina klar und deutlich.

SCHWEIGEN

Chrissie rutschte etwas auf ihrem Stuhl zusammen.

>>Jetzt hat sie’s verbockt!<<

„Aber ansonsten geht es Ihnen noch gut, ja? Für wen halten sie sich? Glauben sie denn ernsthaft, ich würde jetzt nochmal mein gesamtes Küchenpersonal zusammentrommeln, nur weil es zwei von all meinen Gästen verlangen?!“

Sein Tonfall klang zwar aufgebracht und entrüstet, aber sein Gesicht zeigte an für sich keine weiteren Regungen.

„Es ist nicht allein für uns, sondern für Gackt-san und seinen gesamten Stuff.“, erklärte Nina ruhig weiter.

Auch sie schien nach außen hin auf einmal völlig gelassen zu sein, doch Chrissie sah, wie ihre Hände in ihrem Schoß zitterten. Tatsächlich war sie wesentlich aufgebrachter als man ihr ansah, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ihr wurde unglaublich heiß.

„Wozu, wenn ich fragen darf? Man hat mich extra informiert, dass aus einem Essen nichts wird!“

„Ihr Gast hatte gestern Geburtstag und heute war das Tourfinal. Es soll ein Überraschungsessen werden, nichts Großes. Eher wie ein leichter Mitternachtssnack!“

Jetzt ließ sich ihr Gegenüber in die Lehne seines Stuhls zurückfallen, die im Nachhinein noch ein wenig wippte.

„Ah ja, darf ich fragen, was Ihnen denn da so “Leichtes“ vorschwebte?“

Er klang jetzt ein wenig ruhiger, aber unterschwellig auch irgendwie süffisant. Er versuchte Nina in die Enge zu treiben, sie irgendwo an unüberwindbare Grenzen stoßen zu lassen. Das spürte sie ganz deutlich, doch wenigstens hörte er ihr jetzt zu, sie musste versuchen den Spieß umzudrehen. Jetzt musste sie ihn entwaffnen, ihn alle Argumente nehmen, aber wie? Und wie sollte sie ihm jetzt auf seine Frage antworten?

„Räubertopf!“, warf die Rotblonde rettend ein.

Die Gesichter von dem Hotelleiter und Nina wanden sich ihr zu.

„Räubertopf?“, hinterfragte er irritiert.

„Das ist ein deutsches Gericht, so etwas wie ein suppenartiger Eintopf, nur nahrhafter und angenehm leicht. Es ist auch sehr einfach zuzubereiten, man braucht nicht mal viel dafür!“, berichtete sie weiter.

„Und vielleicht noch ein erfrischender Obstsalat dazu, wegen der Vitamine.“, führte Nina mit neuem Mut fort.

Der graumelierte Mann holte tief Luft, erschien ihnen beiden aber noch lange nicht besiegt.

„Finden sie es nicht ein wenig unverschämt, so etwas von einem Spitzenhotel zu verlangen? Hier kommen nur die exquisitesten Speisen auf den Tisch und sie kommen mir mit einem Eintopf?“

„Sagen Sie das jetzt, weil Sie es selbst nicht kennen und natürlich auch noch nie probiert haben, oder weil Ihre Spitzenköche das einfach nicht können?“

Der Schlag verursachte bei Nina augenblicklich einen Hustenanfall. Das war gut, sehr gut sogar, aber auch verdammt gewagt! Das ihre sonst so zurückhaltende Freundin damit auf den Tisch hauen würde, hatte Nina nicht erwartet, gerade wo sie doch vorher noch so ängstlich war.

„Glauben Sie vielleicht, damit können sie mich aus der Reserve locken? Nehmen wir mal an, beides ist der Fall. Dann ist Ihre fixe Idee doch eh gestorben, oder etwa nicht? Haben Sie darüber schon mal nachgedacht?“

Sein Grinsen zeigte, dass er sich überlegen und als Sieger fühlte, doch da hatte er die Rechnung ohne die beiden Deutschländerinnen gemacht.

„Wir hatten eh die Absicht gehabt in der Küche die Aufsicht zu führen. Wir wissen, wie man einen Räubertopf macht. Das sollte nun nicht das Problem sein.“, redete Nina gelassen weiter.

Man konnte ihm inzwischen ansehen, dass es in seinem Kopf ratterte, er wollte sich nicht weiter diese Blöße geben müssen, doch er konnte auch nicht einfach spezielle Gäste seines VIP’s aus seinem Büro werfen! Aber es wurmte ihn, dass er es nicht fertig brachte, zwei wesentlich jüngere Frauen zu entmutigen und von ihren Ideen abzubringen.

„Schön, tun wir jetzt mal so, als würde ich Ihnen das tatsächlich gestatten, was natürlich ausgeschlossen ist. Haben Sie eine Vorstellung davon, was das für mich an finanziellen Aufwand bedeutet? Meine Angestellten wollen schließlich Geld für solche Sonderaktionen sehen, das schüttle ich mir ganz bestimmt nicht einfach so aus dem Ärmel!“

Wieder tauschten beide Mädchen Blicke miteinander, was sollten sie jetzt darauf erwidern? Doch dann fiel ihnen das Geld von der Fluggesellschaft ein.

„Ähm… wir haben etwa 431600¥, würde das reichen um Ihre Unkosten zu decken?“

Chrissie musste wieder böse schlucken, das war eine Menge Geld, doch das war es ihnen jetzt irgendwo wert. Natürlich dachte sie daran, was sie damit alles hätten machen können, aber Gackt und Hyde erlebten sie dafür jetzt näher als irgendein anderer Fan.

„Was?! Sie würden dafür aufkommen?!“, fragte er fassungslos, endlich hatten sie einen großen Schritt nach vorne getan.

Beide nickten entschieden.

„Ich… ich, ähm… Ehrlich gesagt bin ich jetzt ein wenig verblüfft. Mehr als 265600¥ wären aber sicherlich nicht nötig um sämtliche Kosten zu tilgen… nur, ich sehe da immer noch keinen Vorteil für mich, mein Hotel und meine Angestellten.“

Wollte dieser alte Sturkopf denn immernoch nicht nachgeben? Sie wussten, wenn Ihnen jetzt nichts Gutes einfiel, dann war ihr Kampf umsonst. Plötzlich sprang Nina auf und packte ihre Hände lautstark auf den Tisch. Geradezu entsetzt starrte sie ihr Gegenüber an.

„Publicity!“

„Was?!“, fragten Chrissie und ihr eigentlicher Gesprächspartner perplex.

„Publicity! Stellen Sie sich doch nur mal alles genau vor! Diese kleine Überraschung wird sicher ihren Anklang unter all ihren Gästen finden, das wird natürlich die Runde machen!“

Alle schwiegen.

„Sie als Leiter von einem Hotel, das spontan und ohne große Umstände auf die Wünsche der Gäste eingehen kann und dazu noch offen für ausländische und auch mal einfache Speisen ist! Trotzdem sind sie nebenbei eine ungemein luxuriöse Einrichtung, das ist doch eine einzigartige Kombination! In so einem Hotel würde ich auch gerne einchecken. Flexibilität liegt im Trend, verstehen Sie?“

Wieder herrschte andächtige Stille im Raum.

„Jetzt kommen Sie schon, wenn sich das nicht viel versprechend anhört, dann weiß ich auch nicht…“, bettelte Chrissie schließlich.

Merkbar aufgewühlt, fuhr sich der Mann durch seine bis eben noch ordentlichen Haare und seufzte tief. Seine Maske aus Unnahbarkeit hatte er inzwischen längst verloren. Er sah die beiden Mädchen an und nickte schließlich resignierend.

„Gut, was soll ich auch weiter dazu sagen… Sie bekommen Ihr Überraschungsessen, vorausgesetzt, Sie kommen auch wirklich für die Unkosten auf und kümmern sich jetzt allein um alles Weitere.“

Während Chrissie und Nina sich freudestrahlend anlachten griff er zum Telefon.

„Sie können jetzt wieder runter zur Rezeption gehen, dort wird man Sie in die Küche geleiten. Ich muss jetzt noch ein paar Anrufe tätigen. Was Ihre Kostenübernahme betrifft, werde ich Sie morgen noch einmal aufsuchen. Einen angenehmen Abend dann noch.“

Sie beide standen auf, verbeugten sich so tief sie nur konnten und bedankten sich überschwänglich. Anschließend verließen sie das Büro wieder. Kaum hatten sie die Tür hinter sich geschlossen, verfielen sie auch schon in Quietschanfälle und stürmten durch die Flure. Sie hatten es geschafft, sie hatten es tatsächlich geschafft! Wie man ihnen gesagt hatte, wurde sie unten in die Küche geführt, natürlich unter skeptischen Blicken, aber das war ihnen egal! Schön peinlich wurde es dann erst, als sie vor dem ganzen Haufen Köche standen, die sie argwöhnisch musterten. Ganz offensichtlich kratzte es ungemein an ihrem Ego, dass sie jetzt ein banales Gericht zubereiten sollten und dann noch unter Anleitung und Aufsicht von zwei Frischlingen wie sie es ja nun einmal waren. Mit viel Überwindung trat Chrissie vor und holte tief Luft.

„Also, als erstes sollten wir vielleicht erstmal alles zusammentragen, was wir für einen Räubertopf brauchen. Das wären Hackfleisch, grüne Bohnen, Gewürzketchup, Peperoni, Zwiebeln, Creme Fresh, Salz, Pfeffer, Zucker, und Paprika.“

Man begann zu Murmeln.

„Es hört sich vielleicht seltsam an, aber es ist einfach superlecker! Um die genaue Dosierung kümmern wir uns später, als Nächstes müssen wir dann die Aufgabenverteilung festlegen…“

Nina war froh, dass sich ihre Freundin relativ schnell reingefunden hatte und nun alles im Griff zu haben schien. Sie selbst half immer mal an jeder Ecke mit wo man sie gerade gebrauchen konnte. Allmählich tauten dann auch die Köche auf, erkannten, dass sie es hier mit liebenswürdigen, offenherzigen und lustigen Menschen zu tun hatten und fanden alsbald auch schon Spaß an ihrer Arbeit. Als dann die Töpfe mit dem Räubertopf so vor sich hinköchelten, machten sie sich daran, den Obstsalat als Nachtisch anzurichten. Es war ein einfacher Mix aus Äpfeln, Pfirsichen, Nektarinen, Bananen, Grapefruits und schließlich Kiwis.

„So, dann hätten wir ja jetzt das gröbste Geschafft! Jetzt muss alles nur noch in ordentlichen Gefäßen nach oben in den Speisessaal gebracht und dort aufgebaut werden.“, sagte die Ältere zu Nina.

„Dürfte kein Problem sein, aber langsam sollten wir uns beeilen, wenn ich so auf die Uhr sehe ist es nur noch eine Frage von Minuten, bis Hyde mit Gackt und dem gesamten Stuff im Schlepptau hier wieder ankommt.“

Chrissie nickte und wies alle an noch schnell mitzuhelfen, jeder schnappte sich entweder große Suppentöpfe aus Keramik, Karaffen mit Creme Frech, Glasschüsseln mit Obstsalat, verschiedenste Getränke, Stapel mit tiefen Tellern oder Besteck und am Ende noch die Servietten. Der Speisessaal war ähnlich wie die Eingangshalle, etwas größer vielleicht. An der Decke hing derselbe Kronleuchter und der Boden war mit buchefarbenen Parkett ausgelegt. Die Tische waren oval und mit cremfarbenen, lang herunterhängenden Tischdecken bedeckt. In der Mitte eines Jeden Tisches stand eine kleine Vase mit immer unterschiedlichen Blumen, teilweise auch Aschenbecher. Um sie herum standen entweder immer drei oder vier Stühle, angenehm ins Raumklima passte, dass die Tische willkürlich angeordnet waren anstatt in Reihe und Glied zu stehen und der Tisch für das sonstige Buffet genau in der Mitte des Saals aufgebaut war. Außerdem stand vom Eingang aus gesehen ganz hinten an der rechten Wand eine riesige Musikanlage, wahrscheinlich wurden hier auch andere Festlichkeiten gefeiert, zu denen dann auch mal ein DJ kam.

„Nina träum nicht, wir müssen uns noch fertig machen, oder willst du dich etwa nicht für deinen Gackt noch etwas schick machen?“

„Hä? Wieso mein Gackt?“, hinterfragte sie etwas aus der Fassung geraten und mit hochrotem Kopf.

Chrissie grinste sie siegreich an.

„Dann halt nicht, ich nehme ihn auch…“

„HEY!“, protestierte Nina lautstark und begann wild mit den Armen zu fuchteln.

Ihre kleinere Freundin lachte sie gehörig aus und flüchtete zur Treppe, die nach oben zu ihrem gemeinsamen Zimmer führte. Rasend und verlegen rannte ihr Nina hinterher, bis sie am Fuß der Treppe plötzlich von Motorengeräuschen aufgeschreckt innehielten. Gebannt sahen sie durch die Glasscheiben des Haupteinganges nach draußen. Lauter Autos fuhren vor, der Stuff war zurück! Hyde und Gackt dementsprechend auch. Das Küchenpersonal zog sich zügig zurück, die ganze Sache sollte ja nicht sofort auffallen. Die beiden Freundinnen blieben gefesselt stehen, mit schneller werdendem Herzschlag suchten ihre Augen nach den beiden Sängern. Hatte Hyde sein Versprechen halten können? Hatte er Gackt wieder heil mitgebracht? Und wenn, wie ging es ihm wohl jetzt? Würde ihm die Überraschung gefallen? Würde er sich tatsächlich noch bei Chrissie für seine barsche Art entschuldigen? Und tatsächlich! Vorne weg betraten ihre beiden Stars das Hotel wieder und blieben erst stehen, als auch der ganze Rest, inklusive Gackt-Job, laut plaudernd in der Halle stand. Hyde hatte sie gleich gesehen und begrüßte sie mit einem unwiderstehlichen Lächeln, bei dem er sich kurz mit der Zunge über die Zähne fuhr und sie keck ansah.

„Siehst du, ich hab dir doch versprochen ihn wieder heil mitzubringen.“, sagte er, als er und Gackt nun vor ihnen standen.

Chrissie wurde unter den fragenden Blicken von Nina und Gackt ganz rot und musste beschämt zu Boden sehen. Die Mitglieder des Stuffs waren inzwischen dabei sich ihre Key-Cards abzuholen, die dunkelhaarige schubste Chrissie sanft an und machte sie darauf aufmerksam. Immerhin sollten sich ja nicht alle in ihre Zimmer verziehen, sondern die Überraschung miterleben und sie auch auskosten können.

„Ach! Ähm… Gackt… wir haben da noch was für dich und den Stuff… es ist da hinter diesen Türen.“

Sie zeigte von Gackt aus gesehen nach links zum Essenssaal. Irgendwie desinteressiert folgte er ihrem Finger und blieb mit müden Blicken an den Türen hängen. Hyde suchte währenddessen fragend in Nina’s Miene nach einer Antwort für dieses Rätsel, doch sie zwinkerte ihm nur zu. Gackt-Job hatte sich inzwischen etwas weiter zu ihnen nach vorne gearbeitet und schaute jetzt ebenfalls verdutzt drein.

„Es ist für dich zum Geburtstag und für das gelungene Tourfinal. Außerdem als zusätzliche Erholung von deinem Schwächeanfall von vorhin.“, erwähnte Nina als sich bei ihm nichts zu regen schien.

Nicht mal Interesse lag in seinen Augen, das er fertig war konnte man ja verstehen, aber warum fragte er nicht einfach mal nach, um was es sich denn nun handelte, ehe sich der Stuff tatsächlich noch verabschiedete?

„Hey Ga-chan, jetzt sag doch mal was.“, versuchte Hyde ihn friedlich zu animieren.

Im Hintergrund ergriff jetzt Chachamaru die Initiative und lief leicht beschwingt hinüber zum Saal.

„Oy Gackto! Jetzt schau doch mal!“, rief er laut durch die Halle, so dass es auch alle anderen hörten und sich zu ihm umdrehten.

Er ließ die beiden Türen zur Seite schwingen und brachte nun alles zum Vorschein, was sich die beiden Mädchen in einer langen Diskussion mit der Hotelleitung und mit viel eigener Arbeit erkämpft hatten. Ein Raunen ging durch die Menge, ein glücklicher Weise Positives! Schon ging erneut das Gemurmel los, viele begannen vor Vorfreude zu lächeln, sicher hatten die Meisten einen ordentlichen Hunger vom Tag. Erwartungsvoll ruhten jetzt alle Blicke auf Gackt, dessen Überraschung das ja eigentlich war. Doch so wirklich begeistert schien er nicht zu sein, überrascht schon, aber nicht sonderlich glücklich darüber. Er massierte angestrengt seine Schläfen und sah dabei niemanden an.

„Ach wisst ihr… das ist alles sehr schön und bestimmt gut gemeint, aber ich fühl mich einfach nur müde und kaputt und hab jetzt eigentlich am wenigsten auf eine Party Lust.“

Mit einem Schlag war es totenstill geworden, entsetzte Blicke flogen durch den Raum, fassungslos starrten ihn Nina und Chrissie an. Auch Hyde, er konnte sich in etwa denken, was es für einen Aufwand bedeutet haben muss, so etwas mehr oder weniger alleine auf die Beine zu stellen.

„Ach Gackt, komm schon, dass ist doch keine richtige Party, nur ein verspätetes Abendessen mit netter Musik im Hintergrund, ein paar Glückwünschen von deinen Kollegen und vielleicht sogar ein paar Geschenken.“

Dabei hatte er die beiden jungen Frauen flüchtig angesehen, ganz eindeutig eine Anspielung.

„Nein Hyde, ich bin heut für nichts mehr zu haben.“, antwortete Gackt entschlossen.

Nina sah ihn mit einem Mix aus Bestürztheit und Entrüstung an.

„Weißt du, was uns das an Mühe, gekostet hat? Was wir hier reingesteckt haben an Mut, Arbeit und Finanzen? Wir haben das extra für dich und all die anderen hier gemacht… Wegen deinem ungefeiertem Geburtstag und weil wir der Meinung, waren, du könntest jetzt eine Stärkung gebrauchen.“, beklagte sie sich enttäuscht.

„Tut mir leid, aber ich habe ja auch nicht drum gebeten… Ich brauche kein Essen sondern Ruhe.“

Mit diesem Satz endete er und lief an ihnen vorbei, die ersten Stufen der Treppe hinauf. Chrissie glaubte in diesem Moment überzukochen vor Wut, ihr Puls raste und sie spürte, wie sie jeden Augenblick explodieren würde. Wild geworden und entschlossen rannte sie plötzlich von Nina’s Seite los, an Hyde vorbei und machte einen vom Adrenalin gestärkten Satz auf die Stufen vor Gackt. Dort blieb sie wütend stehen und breitete versperrend ihre Arme aus. Ihre vor Zorn funkelnden Augen starrten unverblümt in die Erschrockenen von Gackt.

„ISS VERDAMMT NOCH MAL! Es kann doch nicht angehen, dass du dich so sehr verausgabst, weil du so eine geile und atemberaubende Performance hinlegen willst, auf das einem hören und sehen vergeht und du deinem Körper aber dann hinterher nicht die verbrauchten Nährstoffe wiedergibst!“, brüllte sie ihn aufgebracht und aus vollem Leibe an.

Gackt stand das pure Entsetzen ins Gesicht geschrieben, regungslos verharrte er auf den Stufen und starrte die junge Frau vor sich an. Hyde war perplex wie geschockt, so wie alle, die in der großen Halle standen und sie gehört hatten. Nina hielt erschrocken beide Hände vor ihren Mund, so als wollte sie irgendwelche Schreie unterdrücken, dabei war sie, wie viele andere Anwesende auch, ihrer Stimme beraubt. Chrissie hatte den Augenblick dieser erdrückenden und peinlich berührten Stille genutzt, um sich erneut zu sammeln und Luft zu holen, doch inzwischen zitterte sie am ganzen Leib. Sämtliche Emotionen kamen in ihr hoch, neben ihrer Wut auf Gackt, kamen jetzt noch belastende Erinnerungen aus der Vergangenheit hinzu.

„Ich hab den ganzen Scheiß auch schon hinter mir, wenn auch aus einem anderen Grund als du! Aber ich weiß wie es ist, wenn man nichts isst und ich kenne die Folgen! Man spürt, wie man mit jedem Tag schwächer wird, man kann sich nicht mehr richtig konzentrieren, kriegt irgendwie gar nichts mehr richtig auf Reihe und schläft nebenbei auch ganz schlecht! Du versuchst dich bis aufs Äußerste abzulenken und bald schläft man dann gar nicht mehr! Am Ende sieht man aus wie der Tod auf Latschen und du wüschst dir irgendwann nur noch einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen…“

Ihr Tonfall war immer ruhiger geworden, aber sie klang todernst. Nina war unter den Worten ihrer Freundin zusammengezuckt, sie wusste ganz genau, was Chrissie anspielte und es tat ihr in der Seele weh. Hyde sah etwas hilflos zwischen Gackt, der aufgebrachten Blonden und Nina hin und her. In Gackt’s Kopf begann es langsam aufzuklaren und er begriff die Situation. Jedoch war der Sänger noch zu überrascht, als das er zügig genug auf Ihre Äußerungen eingehen konnte, ehe sie schon den nächsten Satz aussprach.

„Und falls du wissen willst, wer an der ganzen Misere Schulde war, dann schau mal rechts hinter dich.“

Chrissie warf einen Blick in Nina’s Richtung.

„Sie ganz allein hatte das zu verschulden!“

STILLE

Nina stand ganz ruhig da, alle Blicke auf ihr ruhend, außer die von Gackt. Dieser fixierte die vor sich in Augenhöhe stehende Chrissie und suchte in ihrer Miene nach der Wut, die mit einem Schlag plötzlich verschwunden war.

>>Was soll das?! Wie kommt sie dazu, mich so vor allen Leuten anzugreifen? Woher nimmt sie diesen unsagbar erwürdigen Mut dazu? Warum in aller Welt liegt ihr denn überhaupt so viel daran, dass ich esse? Und was soll diese seltsam dramatische Andeutung Nina gegenüber bedeuten? Was treibt einen Menschen wie sie bloß dazu, sich so wegen mir aufzuregen und solche, sicherlich nicht ganz unprivaten, Dinge zu äußern?<<

Die Fragen sammelten sich in seinem Kopf, doch noch immer reagierte er nicht auf Chrissie und schien während des Nachdenkens durch sie hindurch zu sehen. Mit einem Mal fiel Nina, Hyde, Gackt und auch You auf, dass Chrissie’s Zittern schlimmer geworden war und sich ihre Augen mit Tränen füllten. Mit einem Schlag brach ihre starke und furchteinflößende Miene in sich zusammen und hinterließ pure Verzweiflung. Das rotblonde Mädchen schlug weinend die Hände vor ihr Gesicht und ließ sich auf die Stufen fallen, um ihre Beine so weit wie möglich anzuwinkeln. Sofort rannte Nina zu ihr und legte ihre Arme um sie, sie würdigte Gackt keines Blickes. Der dunkelhaarige Sänger ging die wenigen Stufen, die er bereits erklommen hatte, vor lauter Verwirrung rückwärts wieder hinunter. Chrissie verkrallte sich in die tröstenden Arme ihrer jüngeren Freundin und schluchzte leise, aber bitterlich vor sich hin. Nina war selber schon den Tränen nahe. Hyde reagierte als Zweiter und kam ebenfalls sofort angelaufen und hockte sich vor sie hin und sprach ihr liebevoll zu. Die Gewissheit, dass Hyde in ihrer Nähe war und sie zu trösten versuchte, beruhigte sie irgendwie ungemein. Gackt drehte sich indessen um. Alle vom Stuff starrten ihn an, gerade You aber machte mit seinen Blicken deutlich, dass er es kein bisschen in Ordnung fand, was er da gerade angerichtet hatte.

„Dabei haben wir uns doch solche Mühe gegeben…“, flüsterte Chrissie leise.

Hyde zog seine Augenbrauen kurz zusammen, dann legte er seine Hände ebenfalls auf ihren Rücken.

„Schhh… ist ja gut Chrissie. Soll ich dich auf unser Zimmer bringen?“, fragte Nina einfühlsam und versuchte in das Gesicht ihrer Freundin zu sehen.

„Soll ich euch vielleicht begleiten?“, fragte Hyde sofort aufmerksam.

Nina sah ihn erleichtert an, sie wusste, dass es Chrissie sicher etwas aufmuntern würde, wenn Hyde sie zu ihrem Zimmer begleitete. Sie nickte ihm also zu und überließ ihm dann ihre ältere Freundin. Schniefend rappelte sie sich auf, drehte sich um und lief mit Hyde an ihrer Seite die Treppe hinauf. Sie ärgerte sich so sehr! Es hatte sie einfach so überkommen, sie war vollkommen machtlos gegen die Tränen und die Wut gewesen! Ihre Beine fühlten sich ganz wackelig an, das Adrenalin in ihrem Blut hatte anscheinend seine Wirkung verloren. Dennoch zitterten ihre Hände fürchterlich und immer wieder überkam sie ein kalter Schauer, der Ärger saß noch tief in ihren Knochen. Sie war so damit beschäftigt, ihren Körper unter Kontrolle zu halten, dass sie es kaum genießen konnte, wie Hyde neben ihr her lief. Aber sein Arm ruhte auf ihren Schultern, sie fühlte seine Wärme und das tat unheimlich gut. Wenn sie für ihn nicht so fremd gewesen wäre, hätte sie sich liebend gern in seine Arme fallen lassen. Am Fuß der Treppe stand noch Nina, auch ihre zu Fäusten geballten Hände zitterten. Sie drehte sich zu Gackt um, der sie hilflos ansah, doch in ihrem Blick zeigte sie ihm kein Erbarmen.

„Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden!“, sagte sie ihm laut ins Gesicht.

Sie drehte sich auf dem Hacken um und hetzte die Treppe hinauf, immer zwei Stufen gleichzeitig nehmend. Auch sie hätte heulen können. Das alles wollte sie nicht! Sie konnte Gackt einfach nicht richtig anbrüllen, oder ihn beleidigen, geschweige denn eine Ohrfeige austeilen, das brachte sie nicht übers Herz. Doch niemand durfte ihre Freundin zum Weinen bringen, auch nicht Gackt! Chrissie gehörte zu ihr, wie ihre zweite Hälfte und sie wollte nie wieder zulassen, dass sie jemand verletzte.

>>Sie hat schon genug Tränen meinetwegen vergossen, ich will nicht, dass alte Wunden wieder aufreißen!<<, sagte sie sich selbst und holte schon bald die zwei anderen ein.
 

Sämtliche Leute vom Stuff schüttelten verständnislos die Köpfe und verteilten sich dann langsam auf ihre Zimmer. You und die anderen Drei kamen auf ihn zu. Wenigstens ein verständnisvolles Wort erhoffte er sich von ihnen.

„Das sie dir keine gescheuert hat ist fast schon ein Wunder.“, haute You mit einem Tonfall raus, als wäre es das Normalste von der Welt.

Gackt’s Mund blieb offen stehen vor Schreck.

„Da brauchst du gar nicht so zu gucken, ich zumindest hätte es gemacht.“

Hilfesuchend sah er zu den anderen hinüber, die alle die Arme verschränkt hatten und ihn ansahen wie ein Kind, das gerade wieder was angestellt hatte.

„Ich hätte dir auch Eine verpasst!“, befürwortete Ju-Ken.

„Ich dir sowieso!“, wirkte Ryu mit.

„Und von mir gleich Zwei, rechts und links.“, schloss Chacha ab.

Gackt fühlte sich besiegt.

„Ihr Verräter…“, brabbelte er schmollend.

Er wusste zwar, dass sie es nicht böse meinten, aber doch, wie ernst es ihnen war! Er hatte Mist gebaut, ganz Gehörigen, mal wieder und das zum zweiten Mal an diesem Tag.

„Gackt, du musst doch selber zugeben, dass sie Recht hatten, oder? Schließlich hat der Arzt nicht umsonst gesagt, dass du tüchtig essen sollst. Jetzt lass doch mal deinen Schlankheitswahn außer Acht und tu was für deine Gesundheit. Und ein wenig Musik im Hintergrund hätte dich nicht umgebracht, nach einer schrillen Geburtstagsfeier sieht mir das nämlich nicht aus.“

„Und es hat auch keiner von dir verlangt, dass du hier gleich übernachten musst. Etwas essen, vielleicht noch ein paar Glückwünsche einsammeln und dann wäre alles gut gewesen. Alter Sturkopf.“, fügte Chacha noch hinzu, nahm Gackt kurz in den Schwitzkasten und durchwühlte seine Haare.

„Es reicht!!! Danke!“, beschwerte sich Gackt, versuchte an seiner Frisur zu retten was nicht mehr zu retten war und ließ dann resignierend den Kopf hängen.

You seufzte und klopfte ihm dann schließlich doch noch tröstend auf den Rücken.

„Na komm erstmal mit hoch. Zieh dich um, mach dich ein wenig frisch, trink einen Kaffee und dann wirst du mal versuchen, ob du mit ihr reden kannst. Du musst dich noch wegen vorhin bei Enah entschuldigen, wer weiß, vielleicht wird ja doch noch was aus dem Essen. Beeil dich aber ein bisschen, es bleibt ja nicht immer warm.“

Der Sänger zögerte noch kurz, doch die strengen Blicke seiner Freunde ließen gar nicht erst zu, dass er verneinte. So stimmte er zu, ließ sich in sein Zimmer begleiten und überlegte sich schon mal die Worte für seine Entschuldigung…
 

„Hey Tinchen, komm schon… lass den Kopf nicht hängen, das ist es nicht wert.“, versuchte Nina ihre zierliche Freundin zu beruhigen.

In solchen Augenblicken, wenn sie ihr Tränen zeigte, verzweifelt war oder sonstigen Kummer hatte, wurde Nina wieder bewusst, dass ihre Freundin ja nur einen Monat älter war als sie selbst. Zudem wesentlich kleiner und zierlicher als sie, geradezu zerbrechlich und auch blass lag sie in ihren Armen. Dabei war sie es sonst immer, die sich Trost von ihrer Freundin holte. Im Vergleich zu Chrissie kam sie sich vor wie eine Heulsuse, aber unterschiedliche Menschen haben nun mal auch unterschiedliche Mentalitäten und schließlich leben sie auch unterschiedliche Leben. Auf jeden Fall wusste Nina, dass sie die kleine Rotblonde nie alleine lassen wollte und sie sie immer beschützen würde, wenn es drauf ankommt. Auch wenn sie sich manchmal in den Haaren liegen konnten.

„Gackt ist es vielleicht wirklich nicht wert, aber der ganze Aufwand… der ist es wert. Das ist so ungerecht, vor allem, wir haben ja Recht! Jeder von ihnen hätte uns Recht gegeben! Nur sind sie wohl alle zu feige ihm mal richtig die Meinung zu sagen… er könnte sie ja rauswerfen…“, verlautete sie leicht zynisch werdend.

Hyde saß stumm auf der anderen Seite Chrissie’s und hörte ihnen zu. Seine eine Hand lag noch immer auf ihrer Schulter, langsam beruhigte sie sich wieder, sie wandelte ihre Trauer in Trotz und Ärger um.

„Pha! Dann halt nicht… wer nicht will, der hat schon… hätte ich nicht von ihm gedacht, aber na ja… man soll sich ja bekanntlich auch mal in Menschen täuschen können.“, begann sie irgendwann wieder und setzte einen sturen Gesichtsausdruck auf.

„Enah, ich weiß, das hört sich jetzt für dich vielleicht etwas unglaubwürdig an, aber Gackt ist nicht wirklich so. Ich weiß auch nicht genau, was da in ihn gefahren ist, aber wahrscheinlich war er wirklich etwas zu übermüdet und hat dann gleich das Schlimmste angenommen. Er hasst Partys, dafür ist er gar nicht zu haben, schon gar nicht, wenn er mit seinen Kräften am Ende ist.“

„Und warum hat er dann nicht einfach bis zum Ende nachgedacht und gleich abgeblockt?“

„Mausi, er ist ein Krebs. Die sind so, sie denken so lange nach, bis sie zum erstmöglichen Punkt kommen, der ihnen dann auch gleich als Antwort ausreicht. Sie handeln vorschnell ohne sich die Zeit zu nehmen alles genauer zu durchdenken und wenn es zu spät ist bereuen sie es… Wenn sie dann hinterher angekrochen kommen kannst du aber davon ausgehen, dass sie es wirklich nicht böse gemeint haben.“, mischte sich Nina in den Wortwechsel.

Hyde sah sie einen Tick verblüfft an, musste dann aber schmunzeln.

„Aha, sieht so aus, als hättest du ein geistiges Handbuch über Krebsmenschen geschaffen.“, äußerte er sich dazu

„Nina muss es ja schließlich wissen…“, antwortete Chrissie.

„Da kannst du Gift drauf nehmen, was die Wankelmütigkeit des Krebsmannes betrifft bin ich Profi…“, sagte sie seufzend und ein wenig bitter klingend.

Chrissie nickte ohne weiter darauf einzugehen und wischte sich die restlichen Tränen aus den Augen. Sie zitterte und war ganz blass im Gesicht, Nina stand auf um in ihrer Tasche nach Schokolade zu suchen und ein Glas Wasser aus der Minibar zu organisieren.

„Hier, gegen das Zittern, das Wasser ist für die trockene Kehle.“, sagte sie und hielt die Sachen ihrer kleinen Freundin hin, die auf der Couch im Wohnzimmer saß und an Hyde vorbei aus dem Fenster lugte.

>>Wie peinlich, ich hab vor ihm geheult…<<, dachte sie, als sie schüchtern von der Schokolade abbiss.

„Sagt mal, habt ihr ein Problem damit, wenn ich jetzt wieder gehe? Ich würde auch noch ganz gerne ein paar Wörtchen mit ihm wechseln.“

„Natürlich kannst du gehen, wenn du es möchtest! Wir können dich doch schließlich nicht festhalten!“

Nina wurde gerade wieder bewusst, dass sie es mit Hyde, einem Prominenten der Superlative, zu tun hatten und er behandelte sie ganz normal wie Gleichgestellte.

„Festhalten vielleicht nicht, aber bitten nicht zu gehen.“

Er wurde von vier großen Augen angesehen, er lachte. Wenn er lachte wurde er zu einem kleinen Kind, wahnsinnig herzlich und umwerfend niedlich.

„Ich meine, ich bin auch nur ein Mensch wie ihr und wen ich in meinen Freundeskreis einbeziehe bestimme ich immernoch selbst.“

>>Freundeskreis?!<<, schoss es den Mädchen durch den Kopf.

„Nicht in Ohnmacht fallen Chrissie.“, flüsterte Nina ihr in ihrer Heimatsprache zu.

Meinte Hyde jetzt das, woran sie beide dachten? Zog er es in Betracht, sie als seine Freunde zu bezeichnen? Verstanden sie sich denn wirklich schon so gut? Dabei hatte er doch eigentlich gar keine Ahnung, was in ihren Köpfen manchmal für Gedanken herumschwirrten! Er kannte sie doch noch gar nicht richtig! Oder wollte er damit andeuten, dass er sie gerne näher kennen lernen würde um sozusagen einer Freundschaft die Wege zu ebnen?

„Na gut, ich geh dann jetzt mal rüber zu ihm. Vielleicht sehen wir uns heute ja nochmal.“

Beide winkten ihm zum Abschied und blieben dann allein auf der Couch zurück.

„Tja, ist halt alles ein wenig blöd gelaufen…“

„Du sagst es Nina.“

Sie sah zu den Geschenken hinüber und wurde gleich wieder wütend. Sie stand auf und schritt zu ihnen hinüber, gefolgt von den Blicken ihrer Freundin. Chrissie strich mit ihren zitternden Fingern über die filigranen Blütenblätter des Mohns, ihr Blick war ganz matt. Sie musste völlig fertig mit den Nerven sein, das Weinen hatte sie sehr aufgewühlt.

„Soll ich dir was sagen, die Geschenke hat er auch nicht verdient!“

Nina sah es in dieser Situation genauso, eine solche Enttäuschung hatten sie nicht erwartet und eine solche Behandlung erst recht nicht verdient.

„Ist zwar schade um das Bild, aber ich will es auch nicht selber behalten.“, antwortete sie, stand auf und kam zu ihr, nahm sich ihr Geschenk, öffnete die Apartmenttür und stellte das verpackte Bild zu den zu kleinen Mülleimer neben ihr.

Chrissie tat es ihr gleich, wickelte den Mohnstraus fast schon lieblos wieder in das Papier ein und warf ihn gemeinsam mit ihrer Karte in den Mülleimer, der ansonsten noch völlig leer war.

„Das Bild hättest du ja eigentlich mir überlassen können…“, äußerte sie ein wenig bedauernd und warf noch einen letzten Blick auf ihr eben vollbrachtes Werk.

„Nee Chrissie, ich hab es ganz allein für ihn gezeichnet, es jetzt dir zu schenken würde gegen meine Moral verstoßen. Außerdem trifft es bestimmt nicht deinen Geschmack…“

„Wieso? Was hast du denn nun gezeichnet?“, hinterfragte sie, als sie die Tür wieder hinter sich schloss.

„Du siehst eine männliche Gestalt von hinten, die ihre Arme verzweifelt zum Himmel ausstreckt. Diese Person ist ein gefallener Engel mit pechsschwarzen Flügeln. Ich hab nur mit Kohle gezeichnet, ganz grob, damit die Linien dynamischer und lebendiger erscheinen. Aber zwischen manche grobe Linien hab ich noch ganz feine, Rote mit Pinsel gezogen… war eigentlich ganz nett das Bild…“

„Und das soll mir nicht gefallen?!“, beschwerte sich Chrissie laut.

„Egal jetzt, es kommt weg und basta!“
 

Es klopfte an der Tür, Gackt erhob sich seufzend aus seinem Sessel und trottete lustlos zu ihr hin.

„Ja?“

„Ich bin’s, Hyde.“

Gackt öffnete und ließ seinen zierlichen Kollegen eintreten.

„Warte! Willst du jetzt auch mit mir über Enah und Nina reden und wie ich mit ihnen umgegangen bin?“

Hyde sah zu Gackt auf, direkt in seine, durch Kontaktlinsen gefärbten, blauen Augen.

„Um ehrlich zu sein… ja!“

„Warum frag ich überhaupt… willst du auch einen Kaffee?“

Hyde schüttelte stumm seinen Kopf, auf das ihm vereinzelte Strähnchen ums Gesicht flogen.

„Sag jetzt bitte nichts, ich hab mir schon von You und den anderen eine Standpauke geholt. Noch eine brauch ich nicht.“

„Aber vielleicht würde sie dir helfen, du lernst es ja sonst doch nie.“

„Ach ja? Willst du mir auch sagen, dass ich mindestens eine Ohrfeige verdient hätte?“

Hyde’s kastanienbraune Mandelaugen blinzelten verdutzt über diesen Kommentar, doch er dachte mit und konnte den Ursprung dessen in etwa nachvollziehen. Er zog spöttisch einen Mundwinkel hoch.

„Nun ja, schlecht ist die Idee ja nicht… So bockig, wie du dich benommen hast, hätte dich das vielleicht wieder zur Besinnung gebracht.“

Wieder fühlte sich Gackt wie ein kleines Kind, dabei war er jetzt inzwischen 32 Jahre alt. Wie konnte man in dem Alter noch solche Fehler machen und warum zum Henker hackten alle auf ihm rum?

„Hör auf dich selbst zu bemitleiden Gackt, ich sehe dir doch an der Nasenspitze an, dass du dich gerade auf den Schwanz getreten fühlst.“

Gackt knurrte ertappt und ließ beschämt seinen Kopf zwischen seine Schultern sinken.

„Hach… Du weißt wirklich, wie man es sich mit Frauen verscherzt.“, begann er als Einstieg in Gackt’s Lektion.

Der Jüngere sah in Hyde’s grinsendes Gesicht.

„Was denn? Willst du mich jetzt etwa ärgern, weil ich Single bin?“

„Nein, aber an deine gescheiterten Frauengeschichten muss ich dich sicherlich nicht erinnern… Was ich dir eigentlich sagen will ist, dass du dir so bestimmt keine Fans machst, verstehst du? So geht man nicht mit seinen Mitmenschen um, schon gar nicht mit Frauen, die sich solche Mühe gegeben haben. Sie wollten dir eine Freude machen. Vertreib sie nicht, sie sind so sympathisch, oder dir etwa nicht?“

Er nickte brav und schwenkte dabei verträumt seine Kaffeetasse.

„Ja, ja, ich weiß. Ich werde nach meinem Kaffee zu ihnen rüber gehen, werde mich bei Enah entschuldigen und mich dann doch zum Essen überreden lassen. Oder anders gesagt, ich werde sie beide bitten mitzukommen.“

Hyde war erleichtert, dass Gackt anscheinend doch vernünftig geworden war und ein Herz zeigte.

„Schön, das freut mich! Da wartet sowieso jemand heimlich darauf, dass du angekrochen kommst.“

„Nani?“

Hyde lachte über Gackt’s perplexen Gesichtsausdruck.

„Ich habe dir doch im Auto erzählt, was nach deinem Zusammenbruch so alles hinter der Bühne passiert ist… über die Sorge der beiden um dich, Nina’s Temperamentsausbruch und so weiter.“

„Ja… und?“

Laruku’s Frontman musste mal wieder feststellen, dass sich sein jüngerer Kollege wohl nie ändern würde, was das auf dem Schlauch Stehen betraf.

„Ich denke, sie haben sich ein Bild von dir und deinem Wesen gebildet, dass der Realität verdammt nahe kommt und das ohne das sie dich vorher persönlich kannten. Sie sind sehr aufmerksame Beobachter und können zwischen den Zeilen lesen. Sie scheinen eine gesunde Menschenkenntnis zu besitzen. Du solltest sie dir warm halten, vielleicht lernst du ja was von ihnen.“

Sein Gesprächspartner sah ihn noch etwas verwirrt an, konnte dem Gesagten aber dennoch langsam folgen.

„Ich soll mir von zwei jüngeren Frauen etwas über mich beibringen lassen?“

„Reicht ja, wenn du dich an eine von ihnen hältst. Verstehen würden dich beide wenn du etwas zu sagen hättest, glaube ich zumindest.“, gab Hyde weiterhin grinsend zurück.

„Ach ja? Und an wen hast du da bitte genauer gedacht?“

Hyde stand auf, zog sein Oberteil zurecht und lief dann wieder zur Tür. Bevor er ging sah er sich nochmal zu Gackt um und überlegte kurz.

„Sagen wir mal so… ich glaube, sie wäre die Einzige, die nicht nur wüsste, wie man dich zu handhaben hat, sondern auch genug Geduld und Nerven hätte, dich zu ertragen. Schade eigentlich…“

„Hä? Wie jetzt? Schade? Um was? Wie man mich zu handhaben hat? Wen von beiden meinst du denn? Was meinst du überhaupt?“, fragte Gackt jetzt von der Neugier gepackt nach, jetzt verstand er gar nichts mehr. Seid wann war er eigentlich unerträglich? War ihm da was entgangen?

„Ich erkläre es dir, wenn du groß bist. Ich geh jetzt die anderen zusammentrommeln, immerhin sollten doch alle was von der Überraschung haben.“

Schon machte sich der flippige Japaner aus dem Staub und ließ einen Gackt zurück, der jetzt gar nichts mehr verstand.
 

Hyde lief nun also an jedem Zimmer vorbei, klopfte und sagte bescheid, dass aus dem verspätetem Abendessen nun doch noch was wurde. Dabei dachte er immer wieder daran, mit welchen Sätzen er Gackt alleingelassen hatte.

>>Ich denke, er hat es nicht verstanden und wird es wahrscheinlich auch nie verstehen. Aber ich hoffe für ihn, sollte er jemals wieder eine Freundin bekommen, dass sie dann vielleicht ein wenig so viel von seiner Mentalität versteht, wie sie, sonst wird er nie glücklich…<<

Er lief auch an dem Zimmer der beiden Mädchen vorbei, das er aber auslassen konnte, da Gackt sie ja persönlich holen würde. Während er so vor sich hin träumte kam ihm die Spätmüllentsorgung entgegen, Hyde grüßte freundlich den Fahrer des kleinen Müllwagens und lief dann weiter, er hatte noch so einige Zimmer vor sich.
 

„Wäh… also entweder sterbe ich hier gleich an Langeweile, oder vor Hunger…“

„Stirb an der Langeweile Nina, geht schneller…“

Nina tat wie ihr gesagt und stellte sich spielerisch tot. Chrissie schmunzelte belustigt.

„Was meinst du, ob wir runtergehen sollten um uns wenigstens die Bäuche vollzuschlagen?“, fragte sie nach einer Weile des Schweigens ihrer Freundin, um sich Beschäftigung zu suchen.

„Von mir aus, ich esse Räubertopf wenigstens gerne…“

„Wie spät?“

Nina warf einen Blick auf ihr Handy und zeigte es dann ihrer Freundin.

„Viertel zwölf, krass… ist erst 15 Minuten her, dass ich ihn angebrüllt habe.“

„Hmh… du hast mir ganz schön Angst eingejagt, ich dachte echt, du klappst jeden Moment zusammen.“

„Sorry, übrigens wegen dieser Anspielung auf dich… ich war so sauer, da ist irgendwie wieder alles hochgekommen… es hat mich einfach so überkommen, es war einfach alles wieder da…“

„Schon ok Mausi, für mich zählt nicht die Vergangenheit, sondern das Jetzt. Ich hab dich lieb!“

„Ich dich auch!“

Es klopfte an der Tür, Chrissie rappelte sich vom Bett hoch um aufmachen zu gehen.

„Ist bestimmt wieder Hyde, der ist ja so irre süß! Ich hätte vorhin in seinen Armen schmelzen können! Das glaubt mir keiner, wenn ich das erzähle!“

„Glaub ich dir, na los, mach schon auf.“, sagte Nina grinsend und schüttelte lächelnd den Kopf, als ihre Freundin quietschend und hüpfend aus dem Zimmer verschwand.

Freudestrahlend öffnete Chrissie die Tür.

„Hi Enah!“

Ihr Lächeln zerbrach.

„Ach du, Gackt…“

Nina hatte aus dem Schlafzimmer heraus seine Stimme erkannt und war wie besessen vom Bett aufgesprungen und zu ihnen gelaufen. Zu ihrem Glück schien Chrissie Gackt den Kopf nicht abreißen zu wollen und er schien sich ebenfalls nicht mit ihr anzulegen. Trotzdem begutachtete sie beide mit Skepsis. Der Sänger versuchte sie beide ehrlich anzulächeln, doch es war ihm alles sehr peinlich. Gerade ohne Sonnenbrille fühlte er sich etwas hilflos und verloren.

„Ähm… ich möchte mich bei euch beiden für mein Verhalten von vorhin entschuldigen.“, war der erste und vorerst letzte Satz, den er herausbrachte. Die Blauäugige sah ihn mir gleichgültigem Blick an und verschränkte ihre Arme; Abwehrreaktion. Nina stützte ihre Hände in ihre Taille und sah ihn erwartungsvoll an, etwas mehr musste er schon bringen.

„Ach so? Dein Sinneswandel kommt ja ganz schön unvermittelt.“, entgegnete Chrissie desinteressiert.

Sie hatte nicht die geringste Absicht, ihm das so einfach durchgehen zu lassen, da könnte ja jeder kommen! Nina war in der Hinsicht vielleicht anders, für sie war eine Sache vergeben und vergessen, wenn man sich bei ihr entschuldigte und seinen Fehler einsah, egal wie schwer das Vergehen auch sein mochte. Doch sie selbst war konsequent um mit ihren Gefühlen nicht so spielen zu lassen. In ihren stechenden Augen konnte Gackt ablesen, dass ihr das nicht genug war.

„Ich habe einfach zu wenig nachgedacht, ich war zu fertig… Trotzdem hätte ich euch etwas mehr Beachtung schenken sollen, ich danke euch wirklich dafür! Damit hab ich gar nicht gerechnet… Es ist eine sehr liebe Idee, es tut mir wirklich leid!“

Nina fand es unheimlich süß, wie er krampfhaft versuchte die richtigen Worte zu finden, vor allem ahnte sie langsam schon, worauf er am Ende hinaus wollte. Chrissie wollte ihn eigentlich noch ein Stückchen länger zappeln lassen, doch ihre Freundin bettelte mit einem Hundeblick danach, dass sie ihm doch entgegen kommen sollte. Die Rotblonde gab aber nur nach, weil sie wusste, dass es Nina so viel bedeutete. Sie nickte ihr einverstanden zu.

„Muss ich zu der Geschichte vor dem Konzert noch etwas sagen?“, fragte sie an den Sänger gewandt, wenigstens da musste er sich noch ein wenig ins Zeug legen.

„Auch das tut mir sehr leid. Wenn ich unter Stress stehe habe ich nur wenig Verständnis für Fragen aus dem Hintergrund. Vor allem dann, wenn ich mir nicht sicher sein kann, ob sie mich weiterbringen. Ich kenne dich und Nina eigentlich noch so gut wie gar nicht, da ist es mit dem Vertrauen noch so eine Sache… Ich hätte mir aber denken können, dass gerade ihr zwei als meine Fans am wenigsten darauf bedacht seid, mir das Tourfinal zu vermasseln.“

Nina nickte zufrieden, auch Chrissie schien das auszureichen, noch länger und Gackt würde die Flinte wahrscheinlich ins Korn werfen.

„Worauf warten wir dann noch? Du wolltest uns doch sicherlich zum Essen abholen, oder?“

Gackt sah Nina verblüfft an, war aber erleichtert, dass er sie beide nicht mehr zu beknien brauchte und sie ihm auch seine Schlussfrage abnahmen.

„Wir werfen uns eben noch kurz in Schale, dann sind wir sofort wieder da!“

Schon knallte Chrissie Gackt die Tür vor der Nase zu. Irritiert den Kopf schüttelnd lehnte er sich an die Wand neben dem Mülleimer und sah sich ein wenig um. Auch er stellte jetzt anhand der leeren Mülleimer fest, dass die Putzkolonne durchgegangen sein musste.

„Fertig!“

Schon waren beide fertig, trugen schwarze Schlaghosen und jeweils ein rosafarbenes Oberteil mit Kirschblüten drauf. Bei Chrissie war es ein japanisch geschnittenes, anliegendes Kleid, das bis zu den Knien ging und bei Nina eine legere Tunika mit weiten Ärmeln und einem schräg geschnittenen Saum, den man raffen konnte. Ebenfalls gleich war, dass sie die Haare offen trugen. So schnell wie sie sich umgezogen hatten, ließ sich erahnen, dass sie ihre Klamotten bereits bereitgelegt hatten.

„Sehr schön! Dann können wir ja jetzt!“, meinte Gackt begeistert und musterte beide nochmal eingehend.

An für sich waren sie einverstanden, doch dann fielen ihnen ihre Geschenke wieder ein, die sie im Affekt weggeworfen hatten und die Gackt inzwischen hätte sehen müssen. Synchron starrten sie zum Mülleimer.

>>Leer!!!<<

„Habt ihr was?“, fragte er verwundert und suchte im leeren Mülleimer nach der Antwort.

„Ach, ähm… nein, schon ok…“, beruhigte ihn Nina und animierte alle zum Losgehen.

Bereuend sahen sich die beiden Freundinnen an, hätten sie doch bloß die Geschenke nicht schon so vorschnell in den Müll geworfen! Sie hätten es wissen müssen… jetzt hatten sie nicht ausreichend nachgedacht.
 

Unten im Speisesaal hatten sich inzwischen schon längst alle versammelt und warteten auf sie. Gackt wurde sofort in die Mitte des Saals an den großen Tisch mit den Speisen gebeten, um einen Trinkspruch zum Abschluss der Tour zum Besten zu geben. Nina und Chrissie stellten sich unweit von Gackt-Job hin und beobachteten das Spektakel. Zuvor bekamen natürlich auch sie noch ein Glas Sekt in die Hand gedrückt, welches Chrissie nur wenig begeistert anblickte. Gackt’s Spruch war belanglos, beziehungsweise standardmäßig. Er bedankte sich bei allen für ihre hervorragende Arbeit und prophezeite ihnen ein noch besseres, nächstes Mal. Alle hoben ihre Gläser und wollten einen Schluck trinken, doch da hörten sie auf einmal, wie eine Melodie zu spielen begann. Alle drehten sich zu der großen Musikanlage um. You und Hyde hatten sich ganz offensichtlich an ihr zu schaffen gemacht und die Karaoke Version von “Happy Birthday“ eingeworfen. Nicht ganz unschuldig blickend standen sie an den Pulten und sahen in die Runde. Mit einem Grinsen auf den Lippen begann Hyde zu Singen, You stimmte sogleich mit ein. Der Rest von Gackt-Job und die beiden Mädchen kamen als Nächstes hinzu und schließlich sangen es alle im Saal, immer und immer wieder! Gackt war sprachlos, sichtlich überrascht drehte er sich nach allen Seiten um und sah seiner gesamten Crew ins Gesicht. Wie sie ihn anlachten, sich für und mit ihm freuten und bei ihm sein wollten, um seinen Geburtstag und seine Leistungen zu feiern. Das löste dieses wahnsinnige Gefühl aus, was ihm schon zu seinem 30. die Tränen in die Augen getrieben hatte. Dieses einzigartige Gefühl, dieses Glück darüber nicht allein zu sein. Gebraucht und geliebt zu werden, nicht unbedeutend zu sein und akzeptiert zu werden. Alle klatschten am Ende des Liedes, er war überglücklich, vertrieb jedoch die Tränen aus seinen Augenwinkeln.

„Vielen Dank euch allen! Auch euch beiden, ihr habt diese kleine Überraschung ja schließlich ins Leben gerufen.“

Er drehte sich zu seinen beiden Sondergästen um und lächelte sie dankbar an. Sie hörten auf zu klatschen, sahen ihn überrascht mit offenen Mündern an. Alle im Saal begannen zustimmend zu jubeln, das machte sie ganz verlegen, aber sie lächelten. Doch wie sehr bedauerten sie es im Stillen weiterhin, dass sie ihm seine Geschenke nun doch nicht mehr geben konnten, warum hatte die Müllentsorgung ausgerechnet in diesen entscheidenden 15 Minuten stattfinden müssen?

„Na dann, lassen wir das Essen nicht noch länger abkühlen!“, schloss Gackt ab und eröffnete damit die kleine Feier offiziell.

Schon sammelten sich alle um den Tisch mit den Speisen und taten sich auf, anfangs vielleicht noch ein wenig skeptisch wurde dann mit Erleichterung doch festgestellt, dass der Räubertopf sehr wohlschmeckend war. Chrissie und Nina wurden von Hyde und Gackt an einen eigenen Tisch gebeten, was sie sich natürlich nie hätten träumen lassen und ihnen vor all den anderen im ersten Moment auch unheimlich peinlich war. Sie spürten wie sämtliche Blicke sie von hinten durchbohrten, zwar keine Abfälligen, aber Neugierige reichten ja schon völlig aus, um sie beide nervös zu machen.

„Na Enah, hast du Gackt tatsächlich so schnell vergeben?“, fragte Hyde, sehr wohl merkend, dass Gackt ihn dafür einen bösen Blick zuwarf.

„Es kratzt schon noch ein wenig, aber wir wollen mal nicht so sein…“, spielte sie halbernst mit und grinste dabei.

Hyde wand sich mit seinen Blicken an Nina, die ihm genau gegenüber saß und gerade verträumt ihr Glas Sekt an die Lippen setzte.

„Und du Nina? Froh das Gackt doch wieder heil und lebendig unter uns ist?“

Das Blut schoss ihr schlagartig in den Kopf und sie verschluckte sich derb an dem prickelnden Getränk. Chrissie klopfte ihr helfend auf den Rücken und sah zwischen den beiden Männern teilnahmslos hin und her, Gackt sah Hyde mit einer hochgezogenen Augenbraue an.

„Das soll wohl ja heißen…“, meinte die Ältere von beiden gelassen.

Hyde lachte amüsiert, Gackt schüttelte belächelnd seinen Kopf und Nina versuchte sich noch immer verzweifelt zu akklimatisieren.

„Ano~ Itadakimasu!“, sprudelte Nina noch halb hustend heraus und stürzte sich dann mit noch immer leicht rötlichem Teint auf ihren Teller.

Chrissie schmunzelte, gab den Gruß dann jedoch ohne weitere Worte zurück, ließ die beiden Sänger noch folgen und genoss dann wie der Rest der gesamten Crew das Essen und die im Hintergrund laufende Musik. Es war ganz ruhige Lounge Musik, sehr dezent, aber nicht langweilig. Nina empfand sie als sehr anregend, ihr kamen gleich wieder Ideen für diverse Bilder oder Gedichte. Während des Essens ließen es sich die beiden Freundinnen nicht nehmen, mal hin und wieder einen heimlichen Blick zu ihren beiden Idolen zu werfen, um ihre Reaktionen auf das ausländische Gericht mitzubekommen. Prüfend wurde jeder Löffel vorher angesehen, ja geradezu analisiert und erst dann gegessen. Zumindest von Gackt, Hyde war da etwas offener und vor allem lockerer. Vielleicht hatte er auch einfach nur einen gesunden Appetit, dafür war er ja immerhin bekannt. Tatsächlich schien dies auch der Fall zu sein, nicht jeder im Saal holte sich so oft nach wie dieser kleine, zierliche Japaner. Selbst Nina beließ es bei zwei Portionen und zwängte sich dann noch mit Hängen und Würgen den Obstsalat hinein. Was Chrissie, Nina und Gackt zusammen aßen verputzte Hyde alleine in der Hälfte der Zeit.

„Sag mal Hyde, wo lässt du das alles? Mir wird ja ganz schlecht, wenn ich dich so futtern sehe.“, fragte Gackt leicht besorgt und suchte mit seinen Blicken nach einem Ansatz von einem Bauch bei seinem Kollegen, doch nicht eine Spur von auch nur einem Röllchen oder einer Wölbung unter dem Shirt.

„Kann ich dir nicht sagen, ich esse bis ich satt bin und dann ist gut. Zugenommen habe ich davon bisher nur kaum. Spätestens nach dem nächsten Liveauftritt ist es wieder runter. Solltest du auch mal versuchen, dann nimmst du weder zu noch ab und bleibst nebenbei gesund.“

Dabei knuffte er Gackt freundschaftlich gegen die Schulter.

„Ist ja schon gut… Ich werde versuchen in Zukunft drauf zu achten.“

„Nicht einfach nur versuchen, einhalten! Sollten Nina und ich in Deutschland mitkriegen, dass du wieder schwächelst, dann, das kann ich dir versprechen, kommen wir wieder und wenn wir nach Japan schwimmen müssen!“, drohte Chrissie bedrohlich klingend und zeigte dabei mit ihrem Löffel auf den Angesprochenen.

Nina lachte leise in sich hinein, auch Hyde konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, versuchte es aber hinter seiner Hand zu verstecken.

„Gut, dann kann ich natürlich nicht anders.“, antwortete Gackt grinsend und schob seinen leeren Teller von sich.

Er war pappsatt, müde fühlte er sich noch, aber die gute Stimmung im Raum gab ihm wieder ein wenig Kraft, als würde es seine allerletzten Reserven aktivieren.

„Das war übrigens lecker, wie heißt das nochmal?“, fragte Hyde interessiert.

„Räubertopf.“, antwortete Chrissie.

Um sie herum begannen jetzt langsam wider die Gespräche, Leute standen auf und tauschten die Plätze um sich auch mal mit anderen zu unterhalten. Andere blieben gleich irgendwo in Grüppchen stehen und plauderten so auf ein Gläschen Sekt miteinander. Interessiert sahen sich auch Chrissie und ihre schwarzhaarige Freundin um, schließlich standen aber auch sie auf und liefen zur Musikanlage, bei der sich You mit den anderen aus Gackt-Job aufhielt. Eigentlich wollten sie beide die Gruppe gar nicht ansprechen, dafür waren sie dann wohl doch noch etwas zu schüchtern, doch als You ihnen zuwinkte und sie zu sich beorderte, kamen sie natürlich nicht drum herum.

„Na ihr Helden? Da habt ihr ja was Ordentliches auf die Beine gestellt!“, lobte der hohe, schlaksige Japaner und lächelte sie breit an.

Chacha schwenkte mit einer Flasche Sekt auf sie zu, doch Chrissie lehnte dankend ab, sie hatte ja noch nicht mal ihr erstes Glas bis zur Hälfte weg. Nina wollte eigentlich auch nicht mehr, eines war ihr mehr als genug, das Zeug schmeckte ihr ja nicht mal, doch beim Anblick von Chacha’s freudiger Miene konnte sie einfach nicht anders. Ryu und Ju-Ken hoben kurz prostend ihre Gläser in ihre Richtung und tranken dann alles in einem Zug aus.

„Und? Wie hat es euch gefallen?“, begann Chrissie scheu ein Gespräch.

„Gut, das Essen war lecker! Hat sich Gackt eigentlich anständig bei dir entschuldigt?“, hinterfragte You.

„Nicht mehr viel und Gackt hätte sich verzweifelnd auf die Knie geworfen.“, antwortete Nina an Chrissie’s Stelle.

Die anderen lachten.

„Wir haben uns schon gefragt, warum du keine Ohrschelle ausgeteilt hast, wir alle hätten es gemacht.“

Nina stutzte.

„Ehrlich gesagt habe ich drüber nachgedacht, aber irgendwie… ich konnte einfach nicht. Wahrscheinlich hätte ich nicht mal getroffen.“, antwortete die Langhaarige dem Drummer.

Irritiert wurde sie gemustert.

„Nina ist blinder als sie aussieht, sieht im Dunkeln nichts außer wuselnde Löcher im Boden, findet eine Gebäude nicht, wenn es vor ihr steht und verläuft sich auch gerne mal auf einer einzigen Etage eines Arbeitsamtes…“

Die Betroffene sah beschämt zu Boden, während sich die anderen über Chrissie’s herrlichen Erzählungsstil amüsierten. Vom anderen Ende des Saals wurden sie von Hyde beobachtet, der die Überraschungen an diesem Abend für noch nicht ausgeschöpft befunden hatte. Niemand hatte es bisher für voll genommen, doch neben dem Buffettisch stand noch ein kleiner Servierwagen, über dem eine weiße Tischdecke gelegt war. Mit einer leicht hinterhältigen Miene schlenderte er unschuldig zu den beiden jungen Frauen hinüber, gefolgt von Gackt’s Blicken, der nicht weit von seinem Freund gestanden hatte und sich seine letzten Glückwünsche abholte.

>>Der führt doch etwas im Schilde.<<, dachte er bei sich und beobachtete weiter.

„Nina?“, hörte sie es hinter sich, drehte sich um und sah in die großen Augen Hyde’s.

„Ähm, ja?“, entgegnete sie unsicher.

Auch ihre Freundin und Gackt-Job sahen ihn fragend an, immerhin hatte er gerade ein Gespräch unterbrochen.

„Ihr habt doch die Überraschungsfeier organisiert, was ist denn dann mit dem Servierwagen da hinten? Habt ihr den vergessen, oder ist der für etwas Besonderes vorgesehen?“

Die Größere folgte Hyde’s Finger und erblickte den Wagen. Ratlos sah sie Chrissie an, die ebenfalls unwissend schien, da sie mit den Schultern zuckte.

„Ich geh mal gucken.“, meinte Nina schließlich und drückte ihr Glas an Chrissie ab.

Wie Nina so durch den halben Saal marschierte, kam sie sich wieder unheimlich beobachtet vor. Nervös nahm sie den Wagen ab, an für sich schien er leer, bis auf diese Tischdecke. Sie hob sie an einer Seite an, plötzlich fuhr sie wieder hoch und stand auf einmal stocksteif im Raum. Irritiert starrte Chrissie sie an.

„Was ist denn?“, rief sie ihr zu.

Nina drehte sich gelähmt zu ihr um und machte hektische Handbewegungen, die anzeigten, dass sie sich schnellstmöglich zu ihr hinbewegen sollte. Chrissie sah Hyde an, der sich sein Grinsen ganz stark verkneifen musste, stellte dann die beiden Gläser ab und lief zu Nina. Inzwischen lag sie gesamte Aufmerksamkeit im Raum weder auf ihnen, hätte Chrissie doch nur nicht durch den halben Saal gerufen!

„Was ist denn? Du guckst so… Ach du…!!! Das sind ja…!“, stotterte sie entsetzt, als ihre Freundin einfach stumm die Tischdecke anhob.

Auf der untersten Plattform waren ihre Geschenke fein säuberlich aufgebaut! Sie waren wieder da und das auch noch heil!

„Was ist denn los? Was habt ihr beide denn da?“

Erschrocken fuhren sie herum, Gackt hatte sich inzwischen zu ihnen gesellt. Er sah sie verwundert an, blickte dann zu der heruntergeschlagenen Tischdecke, ergriff diese und zog sie im Ganzen herunter.

STILLE

Mit großen Kinderaugen sah er den kleinen Aufbau an, verwundert und fragend sah er seine beiden Fans an, die sich jetzt noch nervöser als zuvor an den Fingern spielten.

„Tja… nun…“, begann Chrissie.

„Ist das… sind die Sachen…?“, stotterte Gackt irritiert mit.

Nina grinste sich ins Fäustchen, fand sie das mal wieder niedlich! Wie in Gackt langsam ein Lächeln aufstieg, das er zu vertuschen versuchte, sich aber doch in den Zuckungen in seinen Mundwinkeln äußerte, war einfach ein göttlicher Anblick!

„Ähm, ja. Die Sachen sind für dich bestimmt gewesen. Sie sind uns nur… wie soll ich sagen… abhanden gekommen.“, erläuterte Nina.

Sollten sie ihm sagen, dass seine Geschenke eigentlich im Müll liegen mussten? Positiv würde er sicher nicht darauf reagieren.

„Sie hatten die Sachen bei mir gelagert, weil sie nicht wollten, dass du sie so früh siehst, doch ganz offensichtlich haben sie in der ganzen Hektik vergessen, sie wieder bei mir abzuholen um sie dir überreichen zu können.“, mischte sich Hyde errettend mit einer kleinen Notlüge ein und schenkte Chrissie und Nina unauffällig ein Zwinkern.

Mit einem eindeutigem Blick machter er ihnen klar, dass sie die kurze Pause zum Überreichen nutzen sollten. Wie gerne wären sie jetzt einfach im Boden versunken, alle starrten sie an. So hatten sie sich das nicht vorgestellt, doch jetzt gab es wohl kein zurück mehr. Nina bückte sich, reichte Chrissie ihren Straus und die Karte und nahm sich selber ihr Bild, natürlich ließ sie ihrer älteren Freundin den Vortritt, was diese weniger begeistert aufnahm.

„Na dann… es ist zwar nichts Großes und auch nicht sonderlich ausgefallen, aber es kommt sozusagen von Herzen. Ich hoffe, dass es dir ein wenig gefällt…“, stammelte sie schüchtern und hielt Gackt den vollen, Blutroten Straus und die Karte hin.

Er selbst war noch total verdutzt und so perplex, dass er gar nicht richtig antworten konnte. Er nahm die Sachen entgegen und sah sie ganz abwesend an.

„Der Mohn ist schön… richtig dunkelrot und noch nicht voll erblüht, davon hab ich noch eine Weile etwas. Deine Karte ist auch süß…“, sagte er, schlug sie auf und las sich den kleinen Mut machenden Spruch mehrmals durch, bis er schließlich erfreut lächelte.

„Die muss ich mir wirklich aufheben, die ist etwas ganz Besonderes!“

Glücklich zeigte nun auch Chrissie ein Lächeln in ihrem Gesicht, zufrieden trat sie einen Schritt zurück und ließ Nina vortreten, die kräftig zu schlucken hatte.

„Meins ist auch nichts Großes, aber selbstgemacht… Ich hab mich dabei ein wenig von deinen Touren inspirieren lassen, also nicht wundern, wenn es vielleicht nicht so ist, wie du es jetzt vielleicht erwarten magst. Ich bin auch keine Profikünstlerin, deswegen hat es garantiert ein paar Schönheitsfehler…“

Ohne ihn ansehen zu können überreichte sie mit beiden Händen ihr Geschenk, das er vorfreudig entgegen nahm. Als er es auspackte wummerte Nina’s Herz, hoffentlich gefiel es ihm! Er schwieg im ersten Moment und sah sich das jetzt ausgewickelte Bild mit ernstem Blick an.

„Ich weiß nicht, was du hast. Es ist doch toll! Ungewöhnlich vielleicht, aber ausdrucksstark und gefühlvoll. Es gefällt mir, wirklich, das meine ich ernst.“

Scheu sah Nina nun doch zu ihm auf, er strahlte sie aufmunternd an, sie wurde rot um die Nasenspitze. Wieder gab es Applaus an diesem Abend, doch langsam begannen sich die Mädchen daran zu gewöhnen, das Gackt ihre Geschenke gefielen stärkte ihr Selbstbewusstsein um das Vielfache. Einige vom Stuff kamen jetzt zu ihnen um sich die Sachen selber mal aus der Nähe anzusehen. Chrissie und Nina suchten etwas weiter abwärts einen Platz für sich selbst. Sie rückten zwei Stühle zusammen und beobachteten das Geschehen für eine Weile.

„Na da hast du ja doch noch was richtig Schniekes abgeräumt, oder Gackt?“, kam neidisch klingend von Chachamaru.

Gackt nickte stolz und hielt auch das Bild nochmal vor sich hin und widmete sich den Details an den Rändern.

„Mohn gibt es ja auch nicht so oft und zu jeder Jahreszeit, der war sicher nicht einfach aufzutreiben.“, stellte Ju-Ken für sich fest.

„Du wirst sicherlich Recht haben. Wo sind sie denn? Ich möchte mich gerne nochmal für alles bedanken.“

„Ach, ähm… Ich denke, dass solltest du vielleicht doch besser auf morgen verschieben.“, riet ihm You davon ab.

„Was? Warum denn?“, fragte Gackt trotzig.

„Ich denke nicht, dass sie dich jetzt noch hören werden.“, mit diesem Satz trat You beiseite und gab den Blick frei auf zwei aneinander gelehnte Freundinnen, die geschafft vom Tag, aber mit einem Lächeln auf den Lippen schlummerten.

Memories

08 Memories
 

****Bis meine Stimme dich erreicht, werde ich an diesem Ort bei dir sein.

Ich umarme deinen Körper und halte deine Wangen, und will nicht loslassen. Weine nicht mehr, ich bleibe bei dir bis ein neuer Morgen anbricht.

Auch wenn ich jetzt noch nicht lachen kann, ich werde mein Versprechen sicher halten.****
 

Die Sonne schien auf Yokohama hernieder, Vögel flogen beschwingt zwitschernd durch die üppigen Grünanlagen des Hotels, getragen vom seichten Wind, der in den grünen Kronen der Bäume sein ruhiges Lied flüsterte. Säuselnd suchte sich die angenehme Brise einen Weg in eines der vielen Schlafzimmer um die dortigen Schlafenden aus dem Reich der Träume zu locken. Chrissie räkelte sich müde, leise schmatzend drehte sie sich um und zog ihre Decke noch ein wenig mehr über ihre Schulter. Nina gähnte verschlafen und atmete, alle Viere von sich gestreckt, die kühle Morgenluft ein. Warme Sonnenstrahlen prickelten auf ihrer Haut, geneckt öffnete sie ein Auge und sah an die steril weiße Decke. Mit schlitzartigen Augen drehte sie ihren Kopf nach links und sah ihre Freundin in ihrem Bett, mit dem Rücken zu sich zeigend, liegen.

„Chrissie?“, fragte sie leise.

„Hm…“, kam nur leise unter der Decke der Rotblonden hervor.

Sie wälzte sich gequält blickend zu ihrer jüngeren Freundin herum, ließ ihre Augen aber geschlossen. Nina begann sich langsam mit ihrer Umgebung vertraut zu machen, nach und nach realisierte sie, dass sie sich beide in ihrem Hotelzimmer, im Schlafzimmerbereich befanden. Aufgeschreckt riss sie die Augen auf, fuhr hoch, wonach ihr zunächst enorm schwindlig war, schlug ihre Bettdecke beiseite und sah entsetzt an sich herunter.

„CHRISSIE!“, schrie sie plötzlich los.

Vor lauter Schreck wäre das rotblonde Mädchen fast aus ihrem Bett gestürzt, fassungslos starrte sie Nina aus ihren hellblauen Augen an.

„Sag mal spinnst du?! Was ist denn in dich gefahren?“, fuhr sie sie verständnislos an und rappelte sich schwerfällig auf.

„Mensch Chrissie, fällt dir nichts auf?“

Für einen kurzen Augenblick sah Chrissie skeptisch drein, doch dann viel es ihr wie Schuppen von den Augen.

„Wir sind ja in unserem Zimmer!“, stellte sie überrascht fest und sah sich selbst noch einmal um.

„Genau! Wir waren doch bei der Feier, wie sind wir denn hier hoch gekommen? Und noch dazu liegen wir in Unterwäsche in unseren Betten!“, sprudelte es weiter erschrocken aus ihrem Mund.

Ihre Gesprächspartnerin stellte erst jetzt mit nicht minder großem Entsetzen denselben Zustand bei sich tatsächlich fest. Sie sah Nina mit bedeuten Blick an.

„Ok, warte… wie ist der Abend gestern ausgeklungen?“

„Keine Ahnung! Ich weiß nur noch, wie wir uns ein wenig von den anderen entfernt hingesetzt haben… Wahrscheinlich sind wir eingepennt!“

„Was denn wohl sonst? Ich glaub wohl kaum, dass uns einer von ihnen niedergeschlagen hat…“

„Witzig…“, entgegnete Nina trocken.

Kurzzeitig vertiefte sich jede von ihnen in ihre eigenen Gedanken.

„Was meinst du, irgendwer muss uns ja hier hoch geschleppt haben, ob das einer vom Stuff war?“

Die Dunkelhaarige sah zu ihr rüber und begann zu grinsen.

„Wer weiß, vielleicht sogar wer aus Gackt-Job.“

Chrissie grinste zurück.

„Du willst doch wohl keine Anspielung auf Gackt machen, oder?“

Nina zuckte schmunzelnd mit den Schultern.

„Wer weiß, man kann nie wissen.“

Ihre Freundin schüttelte leise lachend den Kopf.

„Du bist unmöglich…“

„Dito.“

„Dann nehme ich aber Hyde!“

Nina prustete ungehalten los und warf sich mit strampelnden Beinen zurück in ihr Kissen. Eingeschnappt und rot um die Nase, wurde sie von der Älteren angesehen.

„Was bitte ist daran so lustig?“, fragte sie beleidigt.

„Du… du glaubst doch wohl nicht etwa… Ich könnt mich wegwerfen! Ich meine… Hyde, ich bitte dich! Der Kleine… der schafft dich doch nicht die Treppe hoch!“, antwortete sie mit vom Lachen erstickter Stimme.

„Hey ja! So klein ist er nun auch nicht und kräftig genug sicherlich auch! Außerdem bin ich relativ leicht! Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Gackt dich die Stufen hoch gewuchtet haben soll!“, konterte sie entrüstet.

Nina verstummte sofort und lugte beleidigt unter ihrer Decke hervor.

„Mou~ das war fies…“, maulte sie betreten.

„Aber du, oder wie?“, rechtfertigte sich Chrissie und wühlte sich aus dem Bett.

Beide Mädchen hatten eine wüste Bettfrisur, sie mussten sich in der Nacht viel gewälzt haben, wer weiß was sie so an Träumen ereilt hatte. Nina erhob sich ebenfalls aus ihren Federn und streckte ausgiebig alle Gliedmaßen. In diesem Moment klopfte es an der Tür, fragend sahen sie sich an, verfielen dann jedoch schnell in Hektik, wühlten in ihren Taschen nach irgendetwas zum Überziehen und flitzen dann zu ihr hin. Es klopfte noch mal, Nina öffnete die Tür und stand nun einem verdutz dreinblickenden You gegenüber.

„Na ihr? Schon wach?“

Leicht verlegen nickten sie nur stumm. Nina hatte sich schnell ihren halblangen, roten Yukata geschnappt, während Chrissie in ihrer Not nur schnell ihr eigentliches Nachthemd übergeworfen hatte. You musterte belustigt ihre Frisuren.

„Habt ihr gut geschlafen? Ihr wart ja gestern Abend ganz schön fertig gewesen, oder?“

Chrissie zog ihre wie gelähmt dastehende Freundin von der Tür weg.

„Komm doch erstmal rein.“, sagte sie zu ihm und warf Nina einen vorwurfsvollen Blick zu.

Diese zuckte unschuldig mit den Schultern und folgte dann You und Chrissie, die sich in Richtung Couch bewegten.

„Möchtest du etwas trinken?“, bot ihm Chrissie an.

„Nein danke, es gibt gleich Frühstück, ich bin eigentlich auch nur deswegen hier. Zieht euch also schnell an und kommt dann runter in den Speisesaal. Danach habt ihr noch ein wenig Zeit eure Sachen zu packen, es geht nach hause.“

Schweigend nickten sie. Im Hinterkopf brannte beiden noch jene Frage, über die sie vor You’s Erscheinen philosophiert hatten.

„Ähm, You? Darf ich dich etwas fragen?“, meinte Nina schließlich irgendwann schüchtern.

Der schmale Gitarrist nickte und wartete fragend.

„Nun… gestern Abend, was ist da gewesen? Ich meine… wir sind hier aufgewacht, aber nicht hier eingeschlafen…“

You grinste über die verlegende Miene seiner Gesprächspartner.

„Ach so! Ihr wollt wissen, wer euch gestern Nacht hoch getragen hat! Macht euch keinen Kopf, darum hat sich Mike gekümmert.“

Es verschlug den Mädchen wortwörtlich die Sprache, allein die Vorstellung, wie der „Schrank“ sie in ihr Zimmer befördert haben soll, verhalf ihnen zu schaurigen Wallungen in ihren Mägen.

„Und wer hat uns… nun, ausgezogen?“, hinterfragte Chrissie nachdem sie ihre Sprache wieder gefunden hatte und rechnete mit dem Schlimmsten.

„Das haben selbstverständlich unsere Tänzerinnen übernommen.“

Wie zwei nasse Säcke fielen sie zurück in die Lehne der Couch, jetzt waren sie wenigstens ein wenig beruhigt. Für einen merkbaren Augenblick schien sich jeder zu sammeln, gab es noch etwas Wichtiges zu sagen?

„Na gut dann, ich werde dann mal wieder runter gehen, wir sehen uns dann gleich beim Essen?“

Sie nickten You zu und begleiteten ihn dann wieder zur Tür.

„So… und was ziehen wir jetzt an?“, fragte Nina nachdem sie die Tür hinter sich wieder verschlossen hatte.

Chrissie sah zum Fenster hinaus, die Sonne blendete und warf ihre heißen Strahlen auf den Garten hinter dem Hotel.

„Auf jeden Fall nichts Warmes…“

Damit machten sie sich über ihre Koffer her, durchstöberten jede Ecke und probierten die verschiedensten Kombinationen aus, bis sie mit ihrer Auswahl schließlich zufrieden waren.

Nina’s ältere Freundin trug eine weiße, knielange Hose aus ganz feinem, luftdurchlässigem Stoff und dazu ein rotes, japanisches Oberteil mit vielen Verschnörkelungen und lockere Turnschuhe, während sie selbst schwarze, leicht hochhackige Schuhe, einen luftigen, knielangen Rock, ebenfalls in schwarz und auch ein japanisch gehaltenes Oberteil trug. Wie das von Chrissie in rot, aber mit schwarzen Schriftzeichen und aus Stretch, kurz genug, dass man ihren Bauch sehen konnte. Beide Mädchen trugen die Haare hoch, die eine mit einer Spange hochgesteckt, die andere in einem Zopf, wobei an den Seiten noch Strähnchen heraushingen. Chrissie sah Nina’s Frisur skeptisch an, klar sah es irgendwo süß aus, aber der lange Pony über ihrem linken Auge wirkte einfach zu… lang.

„Du Nina, willst du das Teil nicht endlich abschneiden? Du schaust aus wie ein Grufti damit…“

Ganz perplex legte Nina Hand an ihre Haare.

„Meinst du echt?“

„Sicher, du würdest auch viel offener damit wirken.“

Die Jüngere drehte sich zum Wohnzimmerspiegel um und hielt das lange Gezottel zur Seite um sich besser vorstellen zu können, wie es kürzer aussehen würde.

„Ok, ich verschwinde noch mal schnell im Bad.“

„Aber beeil dich, die sind bestimmt schon alle am Frühstücken!“, betonte die Rotblonde mit Nachdruck.

Keine fünf Minuten später stand ihre Freundin wieder vor ihr, der Grufti-Look war einem kurzen, erfrischenden Pony gewichen, der kurz über den Augenbrauen endete.

„Na siehst du! Geht doch!“

Auch Nina war damit zufrieden, sie hatte den Eindruck, dass ihre Augen dadurch größer wirkten. Ohne noch großartig Zeit zu verschwenden eilten sie hinunter in den Speisesaal. Wie erwartet war er bereits bis zum Anschlag voll, jeder mit Miso, Reis und frischen Eingelegtem beschäftigt. Jedes Mal, wenn sie in einen dieser vollgefüllten Räume traten, fühlten sie sich, als würde man sie vorführen, stets ruhten sämtliche Blicke auf ihnen. Mit der Zeit gewöhnte man sich aber daran, ungerührt wanderten ihre Blicke über die Menge hinweg in der Hoffnung, irgendjemand würde ihnen einen Platz anbieten. Tatsächlich war es Hyde, der verlassen an einem Vierertisch zu ihnen hinüberwinkte, die Backentaschen prall gefüllt mit Unmengen von Frühstücksutensilien. Erleichtert und schmunzelnd gesellten sie sich zu ihm.

„Guten Morgen!“, begrüßten sie ihn herzlich erfreut und nahmen Platz.

„Na? Habt ihr eine angenehme Nacht verbracht?“, erwiderte er, als gerade Platz genug in seinem Mund war um zu sprechen.

Wieder nickten sie, noch etwas unschlüssig, womit sie genau anfangen sollten, Reis… Miso… dem eingelegten Gemüse…

„Sagt mal, habt ihr vielleicht Gackt gesehen?“

Schnell hatten sie den Gedanken an das typisch japanische Frühstück verdrängt und sahen den zierlichen Musiker mit verwunderten Augen an.

„Wieso? Ist er denn nicht aufgetaucht?“, hinterfragte Chrissie und nahm sich jetzt doch ein wenig Reis in ihre Schüssel.

Hyde bemühte sich seinen gerade genommenen Bissen so schnell wie möglich runterzuschlucken und ließ beiläufig einen Blick auf den freien Stuhl neben ihm fallen.

„Nun, eigentlich waren wir zum Frühstück verabredet, aber ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Er meinte zwar, dass er ausnahmsweise ganz gerne etwas länger schlafen wollte, aber das er sich deswegen so verspätet…“

Mit vielsagenden Mienen sahen sich Chrissie und Nina an. Hyde erkannte schnell eine gewisse Besorgnis in ihren Blicken.

„Jetzt bleibt mal ganz ruhig und genießt das Essen. Wenn er eben etwas länger schläft, dann umso besser für seine Gesundheit. Sollte er das Frühstück tatsächlich verpassen, dann lasse ich ihm etwas einpacken.“

Sie sahen in seine dunkelbraunen Mandelaugen und ließen sich beruhigen, für den Rest des Essens schwiegen sie, wenn sich die Mädchen ab und an auch ein leises Kichern über Hyde’s ausgewachsenen Hunger nicht verkneifen konnten.
 

„Bist du fertig?“, rief Nina ihrer zu ihrer Zimmergenossin und zog gerade den Reißverschluss ihrer Tasche zu.

„Ja, denke schon. Ich guck nur eben, ob ich was vergessen habe.“, antwortete sie und warf ihren welligen Zopf über ihre Schulter.

Sie sahen sich noch mal gründlich in dem Apartment um, zum einen um wirklich nach vergessenden Utensilien zu suchen, zum anderen um sich alles genau einzuprägen. Schließlich war dies kein gewöhnlicher Urlaub, den man jeder Zeit wiederholen konnte, es war etwas Einzigartiges, die Erfüllung eines Traumes, den sie in solchen Ausmaßen sich nie getraut hätten zu träumen!

„Na komm Nina, You sagte doch, dass wir danach nur noch wenig Zeit hätten um unser Zeug zu packen und wie du vielleicht weißt müssen wir noch mal zur Hotelleitung, wegen dem Geld und so…“

„Ich bin ja schon da.“

Sehnsüchtig warfen beide noch einen letzten Blick zurück und verließen dann endgültig das Hotelzimmer.
 

Hyde mischte sich mit seinem spärlichen Gepäck unter die im Empfangssaal wartende Menge, sie schien etwas unruhig, mit prüfendem Blick sah er in die tuschelnden Gesichter. Gackt-Job stand nicht weit von ihm, schnell hatte ihn You ins Auge gefasst und kam auf ihn zu.

„Was ist denn hier los? So unruhig hier…“, sprach der Sänger You an.

„Gackt ist nicht da und wir wissen auch noch nicht, wo er sich denn rumtreibt. Schnell was anderes, sind unsere beiden Gäste schon aufgetaucht?“

„Ähm… soweit ich weiß wollten sie noch zur Hotelleitung um ein paar Sachen abzuklären… und wie, Gackt ist nicht da?“, entgegnete er sichtlich überrumpelt.

You sah kurz nach rechts und links, beugte sich dann runter zu ihm und begann leise zu antworten.

„Na ja, nachdem er nicht beim Frühstück aufgetaucht ist sind wir natürlich hoch in sein Zimmer, sein Gepäck stand schon fertig da, aber von ihm selbst fehlt jede Spur. Nun wollen wir aber keine Panik machen, bevor nicht alle ordnungsgemäß abgemeldet sind und sich hier eingefunden haben. Es wissen nur eine Hand voll von der aktuellen Situation, aber das er nicht hier ist scheint die anderen doch schon etwas nervös zu machen.“

Hyde schluckte.

„Hat denn noch niemand nach ihm gesucht?“

„Bisher nur ich an vereinzelten Stellen, aber wenn ich jetzt auch noch verschwinde geht es hier erst richtig los, außerdem vertraue ich darauf, dass sich Gackt hier bald von allein einfindet, für gewöhnlich ist er immer diszipliniert genug um keinen Mist zu machen.“

Sie schwiegen und dachten nach, genau da tauchten Chrissie und Nina aus der Menge auf.

„Schön, dass ihr endlich hier seid.“, wurden sie von You begrüßt.

Ihr sechster Sinn sagte ihnen schnell, dass etwas nicht in Ordnung war.

„Was ist denn los?“, fragte Chrissie interessiert.

Hyde legte den Zeigefinger auf seine Lippen.

„Gackt ist bisher noch nicht aufgetaucht, aber das soll nicht jeder wissen, ist schon genug Unruhe hier.“

Nina fiel gleich aus allen Wolken, Gackt war nicht da? Wie konnte das denn sein? Hatte man denn immer nur Ärger mit ihm? Zu Überraschung aller wurde sie nicht gleich hysterisch, sondern setzte einen beleidigten Blick auf und schüttelte den Kopf.

„Nichts als Ärger mit ihm… wie ein kleines Kind der Mann!“

Nach kurzem Verdutzt sein der beiden Männer brachen diese in leises Gelächter aus. Chrissie grinste bei diesem Anblick.

„Na gut… dann werden wir mal suchen gehen, ist sicher sinnvoller als hier rum zu stehen und darauf zu vertrauen, dass er den Weg hier her findet.“

Nina’s Art von Gackt zu reden war schon leicht skandalös, aber wo sie Recht hatte, hatte sie Recht und irgendwo war ihre Gelassenheit dabei auch wieder charmant. Ihre Freundin schloss sich stillschweigend grinsend an, sie dachte sich ihren Teil dazu. Kaum waren sie von der Menge weg, konnte sie ihren Mund aber schon nicht mehr halten.

„Sprichst ja sehr vertraut von ihm.“, sagte sie ihm spitzen, provokanten Ton.

„Und? Ist ja nicht so, dass wir ihm solche Macken nicht zugetraut hätten, in etwa so hab ich ihn mir schon vorgestellt, also überrascht mich das jetzt wenig.“, meinte sie trocken und überlegte schon mal, in welche Richtung sie gehen wollte.

„Ja, ja… wie ein altes Ehepaar…“, ärgerte Chrissie munter grinsend weiter.

„Ach was! Totaler Blödsinn! Ist jetzt auch egal, das hier ist wie Ostereier suchen.“, verteidigte sie sich vehement, aber nicht ohne das sich ein leichtes Rosa auf ihren Wangen abzeichnete.

Chrissie grinste weiter hinterlistig.

„Ach was? Insofern, dass du ihn gerne vernaschen würdest?“

Nina drehte sich so heftig auf dem Hacken um, dass ihr Zopf ihr in Schwungrichtung wieder ins Gesicht klatschte.

„Hör auf!“, knurrte sie wie vom Teufel besessen, doch Chrissie lachte nur ausgelassen.

Nina’s Teint wurde immer dunkler, einmal war es die Wut und auf der anderen Seite, das musste sie sich eingestehen, weil es ihr peinlich war an dieser Schwachstelle gepackt zu werden.

„Heb dir deine Späße für später auf, dann reden wir mal Klartext, auch über dich und deine schmachtenden Blicke Hyde gegenüber. Am besten, wir trennen uns hier.“

Damit drehte sie sich wieder um und stapfte davon, zurück blieb Chrissie, erschüttert darüber, dass sie das verlegen machte. Sie schmachtete Hyde doch gar nicht so sehr hinterher, oder etwa doch? Während sich ihre kleine Freundin darüber den Kopf zerbrach, ob ihre Aussage nun stimmte oder nicht, erkundete sie einen langen Gang, den sie vorher stets ignoriert haben musste. Es gab keine Türen, aber zu ihrer Rechten war alles zum Garten hin offen, sie befand sich also im Freien. Die Sonne fiel auf das viele Mosaik zu ihren Füßen, blendete sie dennoch nicht, da ein Vorsprung über ihr Schatten spendete. Ihre Schritte mit den hohen Schuhen hallten von den Wänden wider, nervös lief sie weiter. Die ganze Zeit über hörte sie das Rauschen von Wasser, sehr wahrscheinlich gab es in diesem Garten auch einen Springbrunnen. Diesen Gedanken hielt sie fest und betrachtete in aller Erfurcht die Pracht der vielen, blühenden Pflanzen. Sie waren nicht klein und ordentlich zurechtgestutzt wie in einem Ziergarten, die blühende und duftende Pracht schien sie an fast allen Stellen zu überragen, wild und ungezähmt, aber doch in gewisser Ordnung. In der Mitte des Gartens stand eine riesige Trauerweide, deren lange Triebe mit dem Wind mitgingen. Verteilt erblickte sie aber auch einzelne Ginko-Bäumchen oder japanischen Ahorn. Nina blickte in jede Abzweigung, die von ihrem Weg abging, suchend hinein. Nach einer Weile überkam sie aber das Gefühl am falschen Ort zu suchen, also wollte sie umdrehen. In diesem Moment kam ein heftiger Wind auf und er trug feinen Niesel zu ihr heran, sie drehte sich zur Seite, dort war der Springbrunnen und vor ihm, im goldenen Sonnenlicht, stand Gackt seitlich zu ihr gewand. Sein braunes Haar wirbelte im Wind, doch es störte ihn nicht, Nina hingegen versuchte verzweifelt sich ihre Strähnen aus dem Gesicht zu halten. Er schien ein Blatt zwischen den Fingern zu halten, was sich wild wand, so als wolle es seinem Griff entfliehen. Er trug ein ärmelloses, weißes, anliegendes Shirt mit hohem Kragen und seine berühmt berüchtigte, schwarze Lederhose. Er hob seinen Kopf zur Sonne, die Augen geschlossen, er genoss das warme Licht. Wie gefesselt beobachtete sie ihn, es war ein phantastisches Bild, gerne hätte sie es festgehalten, sie schwor sich es im Hinterkopf zu behalten. Der Wind legte sich, damit wurde es auch wieder ruhig um sie herum, erst jetzt stellte sie fest, dass Gackt zu summen schien, ein fremdes, aber angenehmes Lied. Sie spürte wie es ihr kalt den Rücken runter lief, wie weich ihre Knie wurden und wie leer ihr Kopf mit einem Mal war. Mit Sicherheit war ihr Blick trüb, geradezu hingerissen starrte sie ihn an und es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, wie sie dort reglos stand. Doch dieser friedliche Augenblick hielt leider nicht ewig, denn Gackt drehte sich nun zufällig um und das Gefühl ertappt zu sein trieb ihr geradezu schlagartig das Blut in den Kopf. Auch er sah sie nicht minder erschocken an, ebenfalls etwas verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und blickte kurz zu Boden. Nina räusperte sich und versuchte ihren Puls wieder unter Kontrolle zu bringen, sie trat ins Sonnenlicht und auf ihn zu, bis sie ein paar Schritte vor ihm stehen blieb.

„Entschuldige… aber man sucht dich, du bist bereits nicht zum Frühstück erschienen und es wird sich schon langsam Sorgen gemacht.“, versuchte sie so ungerührt und selbstverständlich herauszubringen, wie es ihr gerade möglich war.

Gackt, verdutzt über diese sachliche Entgegnung, suchte nach Worten.

„Oh… das tut mir leid, hier draußen vergisst man schnell mal die Zeit…“

Nina sah an ihm vorbei auf den Springbrunnen, der ungerührt seine Wasserfiguren in den Himmel schoss.

„So wie es aussieht sind schon alle Vorbereitungen für die Heimfahrt getroffen, nur du fehlst.“

Sie sah wieder zu ihm auf, inzwischen hatte sie sich wieder beruhigt und konnte ohne große Verlegenheit agieren.

„Genießt du die Sonne hier draußen?“, fragte sie ganz beiläufig.

„Eher die Ruhe.“, antwortete er.

Sie schmunzelte.

„Kann ich verstehen. Solche Ecken findet man nicht überall und auch nicht überall kann man sich einfach mal sammeln und den eigenen Gedanken nachhängen.“

Gackt sah sie noch immer ein wenig überfahren an, nickte aber zustimmend. Als ihr jedoch klar wurde, was sie denn da schon wieder für ein Zeug redete, kam sie sich unheimlich albern vor und wollte am liebsten einfach schnell verschwinden.

„Nun, ähm… äh… vielleicht sollten wir jetzt… ich meine… zurückgehen.“, stotterte sie ganz rot und drehte sich auch schon hektisch um, Gackt grinste.

„Warum ist dir das unangenehm?“, fragte er ganz ruhig.

Als Nina sich zu ihm umdrehte lächelte er sie mit verschränken Armen an, ganz so, als wollte er sie aus der Reserve locken.

»Nein! Warum muss er jetzt so lächeln?«, dachte sie fluchend bei sich.

In der Tat wurden ihre Knie schon wieder so weich, dass sie es nicht wagte sich von der Stelle zu rühren.

„Es ist doch nichts dabei, wenn man zugibt ebenfalls die Ruhe in der Natur zu schätzen.“, fuhr er fort.

„Nun… das ist es nicht… ich wollte nur nicht… Hach!“

Sie schüttelte ihren Kopf um anschließend klar weiter zu reden.

„Ich wusste nicht, ob du so was überhaupt von jemand wie mir hören möchtest, oder ob es dich gar ärgert, dass ich mir anmaße etwas zu sagen, was vielleicht überhaupt nicht stimmt.“

Gackt machte große, verwunderte Augen. Warum sollte ihn das stören? Er war doch auch nur ein Mensch wie jeder andere, oder nicht? Doch dann fiel ihm sein gestriges Verhalten ein, vielleicht hatte er doch mehr Allüren, als er von sich geglaubt hätte und außerdem blieb Nina, egal wie persönlich sie inzwischen miteinander waren, einer seiner Fans. Der Gedanke, dass sich aber jemand für ihn zurückhielt um quasi eine Distanz aufrecht zu erhalten, weil er doch ein Star war, betrübte ihn. Bei seinen anderen Fans mochte ihm das zwar recht sein, doch nicht bei Chrissie und Nina. Er beschloss, dass er den beiden Freundinnen klarmachen würde, dass sie durchaus das Recht hatten auch mal einen Schritt weiter zu gehen, ihm auch freundschaftlich begegnen konnten, wobei er sich daran erinnerte, dass Chrissie ihm gegenüber bereits relativ offen war.

„Nina, rede mit mir über alles was dich interessiert, sei einfach ganz du selbst. Ich hätte dich schon drauf hingewiesen, wenn etwas an deinem Gesagten nicht gestimmt hätte.“

Sie lächelte endlich zurück, was war sie erleichtert über seine Worte! Nun kam der Sänger auf sie zu und deutete ihr den Weg in Richtung Halle, es war allerhöchste Zeit zu gehen. Auf dem Weg zurück, der der Dunkelhaarigen wie eine Ewigkeit vorkam, juckte es Gackt noch in den Fingern, er wollte sie nicht anschweigen, wollte ihr eine Frage stellen, doch wie fing man da am besten an? Nicht das er schüchtern war, aber irgendwie hatte er eher selten ein ganz normales Gespräch außerhalb der Arbeit mit einer Frau geführt, also ließ er sich noch ein wenig Zeit beim Nachdenken. Nina lief mit gesenkten Kopf und beiden Händen vor dem Bauch neben ihm her, sie wagte es gar nicht ihn anzusehen, er lief aufrecht und so legere, warum musste ausgerechnet ihr immer alles peinlich sein?

„Sag mal, wann lässt du denn so die Seele baumeln?“, fragte er sie plötzlich ganz überraschend.

Sie wäre vor lauter Überraschung fast gestolpert, kaschierte das aber geschickt. Sie sah ihn aus ihren großen, braun-grünen Augen an, meinte er die Frage ernst? Gackt fiel auf, dass er diese Augenfarbe noch nie gesehen hatte. Die meisten ausländischen Frauen hatten entweder braune bis schwarze, oder wie sämtliche Blondinen eben blaue Augen. Nina nicht, obwohl sie offensichtlich eigentlich auch blond war, um ihre Pupille war ein schmaler, brauner Streifen, der überwiegende Rest war sattes, tiefes Grün.

„Meinst du die Frage ernst?“

Gackt musste blinzeln, er hatte geträumt, doch dann lachte er kurz auf.

„Ja warum denn nicht?“

Nina zuckte mit den Schultern und überlegte dann.

„Na ja… als ich früher noch bei meiner Oma gelebt habe…“

„Du hast bei deiner Oma gelebt?“, unterbrach sie Gackt.

„Jah~ hab ich… auf jeden Fall hatte sie bis vor Kurzen einen riesigen Garten mit vielen verschiedenen Pflanzen und alle so hoch, dass dich niemand sah und du dich an vielen verschiedenen Orten zurückziehen konntest. Dort hab ich auch immer den Vögeln zugehört, die Sonne genossen und mir den Wind durchs Haar blasen lassen. Ich hab da immer gelesen, gezeichnet oder geschrieben… es war einfach was ganz anderes als daheim.“

Er nickte während ihrer Erzählung immer wieder, nun, als sie fertig war, fielen ihm noch viele weitere Fragen ein, deren Antworten ihn brennend interessierten, doch sie hatten inzwischen die Empfangshalle erreicht, wo sie auch gleich stürmisch begrüßt wurden. Der vermisste Sänger wurde von so vielen Leuten umkreist, dass Nina im wahrsten Sinne des Wortes abgedrängt wurde und sich ganz außerhalb, in den Armen ihrer besten Freundin wieder fand.

„So wie es aussieht hast du ihn gefunden. Wo war er denn?“, fragte Chrissie interessiert, ihre Freundin von oben bis unten musternd, wohl wissend, dass es eine nervenaufreibende Begegnung zwischen ihnen gewesen sein musste.

„Ah… er war im Garten… ganz hinten beim Springbrunnen.“, antwortete sie noch ganz verdattert.

Chrissie begann zu grinsen, sie konnte Nina an der Nasenspitze ansehen, wie hin und weg sie noch war, ihre Augen glänzten, ihre Wangen waren noch leicht rosa und sie schien verwirrt.

„Ok, raus mit der Sprache. Was war los?“

Ihr Gegenüber sah sie mit aufleuchtenden Augen an.

„Chrissie, das hättest du sehen müssen… als ich ihn gefunden hab… das war einfach ein traumhaftes Bild… und dann haben wir uns noch unterhalten, über ganz banale Dinge, er hat sich für mich interessiert…“

Die Ältere zog eine Augenbraue hoch. Ganz offensichtlich drängten so viele Worte in Nina darauf an Chrissie ausgesendet zu werden, doch sie fand in ihrer ganzen Verwirrung einfach keinen richtigen Anfang.

„Ich sag dir was Nina, ich frag dich im Bus noch mal, vielleicht hat sich dann der rosafarbene Nebel um dich herum verzogen.“

Mit einem Schlag wurde es in dem Kopf der Jüngerin wieder klar.

„Was für ein Nebel? Erzähl doch keinen Blödsinn! Du wärst doch jetzt an meiner Stelle genauso drauf!“, verteidigte sie sich vehement, wie immer hatte die Rotblonde damit ihr Ziel erreicht.

Grinsend und kopfschüttelnd nahm sie ihre Freundin an die Hand und führte sie zu den anderen, die sich inzwischen wieder geordnet hatten, die Abreise stand unmittelbar bevor.
 

Wie Chrissie es schon gesagt hatte, die Heimreise fand in einem großen Reisebus statt. Klammheimlich hatten sie sich in die hinterste Ecke verzogen und diskutierten Nina’s Erlebnis aus, natürlich nicht ohne diverse Quietschanfälle, doch niemand achtete auf sie, der wichtigste Teil von Gackt-Job saß eh vorne, sie und der Rest der Mannschaft waren voll damit beschäftigt die Tour auszuwerten. Nur von Gackt’s Zusammenbruch wurde nicht mehr geredet, wahrscheinlich gehörte es zu den Dingen, die ständig passierten, die man schon gewohnt war, auf der anderen Seite hätte es sich eh niemand getraut darauf noch mal einzugehen, wenn auch aus der Gewissheit heraus, dass Gackt sich sowieso nicht belehren ließ. Auch Hyde saß weiter vorn, doch war er der Einzige, der ab und an einen Blick zu den beiden Frauen warf, sich dann aber wieder schmunzelnd umdrehte, sie schienen ihren ganz persönlichen Spaß zu haben.

„Ich denke, wir sollten noch mal anstoßen!“, rief einer aus der Crew und hielt eine große Sektflasche in die Luft, Gackt lachte beherzt, wieder eine Überraschung.

Auch die beiden Mädchen unterbrachen kurz ihr Gespräch und sahen interessiert nach vorne, wo die Flasche ausgiebig geschüttelt wurde. Hyde sah wieder zu ihnen, doch stand er diesmal auf und lief zu ihnen nach hinten.

„Na los, kommt schon mit vor, ihr habt schließlich auch einen Teil zu der guten Stimmung hier beigetragen.“

Hyde ließ sich nicht lange bitten und zog Chrissie bereits an der Hand von ihrem Sitz hoch um sie gemeinsam mit Nina in eine der vorderen Reihen zu platzieren. Beide wurden sie von Gackt und noch ein paar anderen strahlend angesehen, man hielt ihnen noch leere Sektgläser hin, doch die lehnten sie freundlich ab.

„Sorry, aber Sekt ist nicht so unser Ding.“, rechtfertigte sich Nina.

Mehr als ein Schulterzucken bekamen sich nicht. Gackt wurde die Flasche gereicht, er legte einen Korkenzieher an und richtete den Hals Richtung Dach. Alle feuerten ihn an, die einen erwarteten einen großen Knall und einen heftigen Sektregen, andere hofften auf ein sauberes und trockenes Ende dieser Aktion, darunter auch Chrissie und Nina. Plötzlich und unerwartet ruckelte der Bus etwas, Gackt geriet ist Schwanken, zog den Korken unkontrolliert heraus und alles duckte sich. Der Strahl, der sich aus der Flasche seinen Weg nach draußen suchte, landete mit einer Genauigkeit auf Chrissie, dass man es leicht mit Absicht hätte verwechseln können.

STILLE

Alle Augen ruhten auf Chrissie. Hyde versank kleinlaut in seinem Sitz, ein wenig schämte er sich dafür sie beide nach vorne gedrängt zu haben. Gackt hing etwas schief zwischen den Sitzen seiner Kollegen, die halbvolle Sektflasche fest verankert in seiner linken Hand und den Blick leicht entsetzt auf das rotblonde Mädchen gerichtet. Nina starrte sie ebenfalls mit riesigen Augen an, Chrissie schien nur sehr langsam zu realisieren was passiert war, doch ein penetranter Alkoholgeruch stieg ihr in die tropfnasse Nase.

„Oh Mann… wo du Alkohol doch so liebst…“, durchbrach Nina endlich das Schweigen und kramte nach einem Taschentuch für ihre Freundin.

Ein solches wurde ihr von You gereicht, der nicht viel weiter hinter ihnen saß. Chrissie hob die Arme, der Sekt lief in alle Richtungen, ihr Pony war betroffen, auch ihr Gesicht tropfte, aber am schlimmsten hatte es ihr Oberteil erwischt, sie spürte wie es ihr zwischen den Brüsten hinunter zum Bauchnabel lief. Mit gleichgültigem, aber doch herbem Blick sah sie auf und in die entsetzten Gesichter der vermeintlichen Übeltäter.

„Das kann ja jetzt nicht wahr sein… Alkohol… auf meinem Oberteil, auf meiner Haut… in meinen Haaren… Alkohol…“, knurrte sie zurückhaltend zwischen ihren Zähnen hervor und tupfte sich notbedürftig mit dem Taschentuch ab.

„Oh… Enah das tut mir ehrlich leid! Das wollte ich nicht, aber der Bus hat plötzlich so geruckelt…“, versuchte sich der schlanke Sänger zu entschuldigen und rappelte sich wieder auf, gab die Sektflasche ab und flitzte zur Reisetoilette um ein Handtuch zu organisieren.

„Ist ja nicht auszuhalten! Dieses eklige, stinkende Zeug… Ich hasse Alkohol!“, fluchte die Kleine weiter zischend.

Gackt kam zurück und reichte ihr das Handtuch, sie riss es ihm aus der Hand und versuchte sich zu trocknen, war natürlich nicht vollkommen möglich.

„Ich brauche kein Handtuch, ich brauche Wechselklamotten… die sind im Kofferraum…“

Alle sahen missmutig drein, Nina sah hilflos durch die Gegend, alle schauten ein wenig betreten, es war ihnen peinlich, schließlich waren sie auch Schuld, feiern und Sekt trinken wollten schließlich sie und nicht die beiden.

„Jetzt hört mal, hat nicht einer von euch den Anstand ihr ein Hemd anzubieten?“, fragte sie gespielt schnippisch durch die Reisegruppe.

Gemurmel entstand und man sah sich mit vielsagenden Blicken an, Chrissie legte derweilen das Handtuch um ihre Schultern. Mit einem Mal raschelte es nur so im gesamten Bus, Nina guckte ganz verdutzt als sich plötzlich fast alle ihrer Hemden und Shirts entledigten und sie nach vorne zu ihnen durchreichten. Gackt und Hyde mussten lachen als sie den Gesichtsausdruck der Rotblonden sahen, den sie machte als sie umringt von lauter Händen und Oberteilen ganz rot in ihrem Sitz zusammensackte. Schließlich lachten alle laut los, Chrissie nahm das nächst beste, weiße Hemd und zog es sich in der Toilette an, da es ihr zu groß war krempelte sie die Ärmel um und knotete es vorne am Bauch zusammen. Frisch gestylt und des Alkoholgeruches wegen einparfümiert, gesellte sie sich wieder zu ihrer Freundin, von allen Anwesenden angestarrt und belächelt.
 

Es vergingen viele Stunden ehe sie sich wieder vor Gackt’s trautem Heim einfanden. Immer wieder wurden bisher Stuff Mitglieder verabschiedet, der Bus leerte sich gemächlich. Als sie tatsächlich das Tor zu seinem Grundstück passierten war es später Nachmittag, gegen 18 Uhr in etwa. Jeder hievte sein Gepäck bis hoch zur Türschwelle, Gackt schloss die Tür auf und Erleichterung machte sich breit.

„Puh, ich würde vorschlagen, dass wir erstmal unsere Sachen wieder verstauen.“

Es wurde wenig geredet, Gackt und Hyde trennten sich am oberen Ende der Treppe von ihnen. Die Zimmertür hatten Chrissie und Nina wohl vor der Abreise vergessen zu schließen. In ihrem Zimmer angelangt warfen sie sich fix und fertig auf ihr Bett, das war eine stressige Reise und die Unglaublichste zugleich.

„Wow… das so was so anstrengend sein kann…“, murmelte Chrissie in ihre Decke hinein, Nina verstaute schon wieder ihren Kram an den vorgesehenen Orten und schloss abwesend den Kleiderschrank, den sie wohl auch offen stehen gelassen hatten, kam dann aber wieder zurück zu ihr aufs Bett.

„Du sagst es… mein Kopf schwirrt von den ganzen Erlebnissen und ich hab Hunger…“

Ihre Freundin boxte ihr in die Seite.

„Du kannst auch nur an das Eine denken, oder?“

Nina rümpfte beleidigt ihre Nase, das Frühstück war ja nun wirklich schon ne ganze Weile her. Ausruhend lagen sie noch eine Weile so da, nach jeglicher Art von Bewegung war ihnen im Moment gar nicht zumute. Zumindest solange, wie sie Gackt’s laute Rufe noch nicht gehört hatten.

„BELLE!“, drang es laut und deutlich zu ihnen vor.

Sie fuhren erschrocken hoch und sahen sich starr an. Gackt rief noch öfter den Namen seiner Hündin, mal wütend, dann fragen, sogar leicht verzweifelnd. Schnell gewannen sie ihre gewohnte Energie zurück, sprangen vom Bett, stürmten aus der Tür und eilten die Treppe hinunter in den Flur. Dort stand der rufende Sänger gebückt über etliche Paar Schuhe, die fein säuberlich auf einem Schuhabsteller angeordnet waren. Hyde tat das Gleiche eine Ecke weiter von ihm.

„Sucht ihr etwas?“, fragte Chrissie vorsichtig.

Gackt richtete sich auf und sah sie mit geschaffter Miene an, in seinem Blick lag etwas Verzweifelndes, was ihnen das Herz in die Hose rutschen ließ. Hyde bemühte sich derweilen um eine Antwort.

„Wir suchen Belle, sie ist bisher seltsamer Weise nicht aufgetaucht, selbst auf Rufe reagiert sie nicht.“

Gackt lief stumm an ihnen aus dem Flur hinaus, durch das Wohnzimmer und dann in den Garten, wieder rief er nach seiner quirligen Hündin. Chrissie warf Hyde einen vielsagenden Blick zu, er nickte und seufzte dabei.

„Belle bedeutet ihm sehr viel, seid ihm nicht böse wenn er jetzt vielleicht etwas abweisend wirkt.“

Nina schüttelte den Kopf.

„Ach was, mir würde es genauso gehen! Ich wäre wahrscheinlich schon in Tränen ausgebrochen.“

In diesem Moment schlängelte sich May schnurrend durch ihre Beine hindurch, sie schien von dem ganzen Trubel nichts mitbekommen zu haben und sich auch nicht sonderlich dafür zu interessieren. Umso beleidigter wirkte sie, als sie einfach unbeachtet von den drei Zweibeinern zurückgelassen wurde, weil sie sich Gackt bei seiner Suchaktion anschlossen. Draußen erblickten sie Gackt, der auf allen Vieren am westlichen Anfang der hohen Hecke im Gras robbte und suchend Zweige und Blätter beiseite schob, immer wieder Belle rufend.

„So ihr zwei, am besten wir verteilen uns in gleichmäßigen Abständen an der Hecke und suchen mit. Nina zu Gackt, dann Enah und zum Schluss ich.“

Chrissie stand mit offenem Mund und großen Augen da, doch die Chance etwas zu erwidern gab ihr der zierliche Sänger diesmal nicht. Zügig lief er zum anderen Ende des hohen Gewächses und warf sich ohne große Umschweife ebenfalls ins Gras. Noch etwas unschlüssig sahen sich die beiden Mädchen an, doch dann waren sie vom Elan gepackt und taten es ihren Vorbildern gleich, wie abgesprochen Nina nur wenige Meter von Gackt entfernt, Chrissie weiter hinten von ihr und anschließend Hyde. Nun waren es vier Leute die den französischen Namen der Minidachshündin durch die Gegend riefen. Chrissie und ihre jüngere Begleiterin bewunderten wie ungeniert sich die beiden Stars mit ihren sicherlich teuren Klamotten in den Dreck geworfen hatten und sich auch nicht zu schade dafür waren in einer widerspenstigen und knochigen Hecke rumzuwühlen. Wieder einmal ein Beweis dafür, dass es auch nur Menschen waren, mit Gefühlen, Fehlern und Stärken. Gackt warf einen flüchtigen Blick auf seine Helfer, er war ungemein angespannt, noch nie war ihm Belle weggelaufen, stets war sie sofort zur Stelle wenn er sie rief oder kam von alleine freudig angerannt wenn er nach Hause kam.

„Ihr müsst das nicht machen.“, presste er so freundlich es ging zwischen seinen Zähnen hervor, ohne Nina dabei jedoch einen Blick zuzuwerfen.

Verdutzt ließ sie für einen Moment von ihrer Suche ab, fuhr aber nach kurzer Sammelpause fort.

„Wir möchten es aber machen, schließlich bedeutet dir Belle unheimlich viel.“

„Sie ist doch aber nicht euer Hund.“

„Mag sein, aber deiner.“

Dazu fiel dem Sänger im ersten Moment nichts ein, was wollte sie genau damit sagen? Gerade weil es doch seiner war brauchte es sie doch nicht zu interessieren, oder doch?

„Du hast gesagt, dass ich ganz ich selbst sein soll. Nun, jetzt bin ich es und es passt dir nicht? Denkst du, es ist uns, Hyde mit eingeschlossen, egal, wenn es dir nicht gut geht?“

Er warf ihr einen scheuen Blick zu, sie lächelte und das verunsicherte ihn. Nina bemerkte das und musste nun noch mehr grinsen, es war einfach zu süß!

„Mach dir keine Sorgen, wir werden die Kleine schon finden.“

Gackt nickte und suchte weiter.

„Die beiden scheinen sich ja blendend zu verstehen.“, flüsterte Hyde der Rotblonden zu.

„Sieht ganz danach aus.“, entgegnete sie und konnte es sich nicht verkneifen ihre Mundwinkel hochzuziehen.

„Wer weiß, vielleicht hat ihm Nina ja den Kopf gewaschen.“, fügte sie noch hinzu.

„Also wenn du mich fragst, für mich sieht das eher nach einer Bekehrung aus…“

Sie beide schmunzelten sich zu, als Chrissie’s Blick dabei seine dunklen und ausdrucksstarken Augen streifte beschleunigte sich ihr Puls um Einiges.

„Nein im Ernst, sieht ganz danach aus, als hättet ihr das Eis zum Schmelzen gebracht. Ihr dürft euch nun mit Stolz seine Freunde nennen, auch wenn Gackt es sich vielleicht noch nicht eingesteht, so ihr habt ihm doch in den letzten vier Tagen viel Neues und längst Vergangenes aufgezeigt, was einem das Leben nur bereichern kann.“

Diese Aussage freute und ehrte Chrissie zugleich, so was von ihrem Lieblingssänger zu hören war schon das Höchste der Gefühle.

„Und was ist mit dir?“, musste sie trotzdem noch mal hinterfragen.

Hyde blinzelte verdutzt, dabei machte er wieder ein Gesicht wie ein kleines Kind. Chrissie glaubte innerlich zu explodieren, da sie ihren ankommenden Quietschkrampf mit aller Macht unterdrückte.

„Ich habe natürlich auch meinen Spaß gehabt.“

Mit diesen Worten rückte er ihr ein Stück entgegen und boxte sie freundschaftlich gegen die Schulter.

„Außerdem finde ich es gut, dass es auch Fans gibt, die den Mumm haben ihren Stars mal die eigene Meinung zu sagen. Eine Meinung, die eigentlich von allen vertreten werden sollte. Wenn es mehr von euch geben würde, die einem auch mal sagen, komm, lass es gut sein, du machst dich kaputt, dann würden Menschen wie Gackt vielleicht auch endlich mal aufwachen.“

„Warts ab, Nina hat noch so Einiges auf Tasche, sie ist nur zu schüchtern um damit rauszurücken.“

„Und du? Nimmst du kein Blatt vor den Mund?“

„Sagen wir mal so, ich bin direkter, aber alles würde ich sicher auch nicht sagen.“

„Wie weit seid ihr denn da hinten?“, rief ihnen Gackt zu, die Hände von der Hecke zerkratzt und auf der Lederhose Grashalme klebend.

Hyde stand auf und klopfte sich ab, ebenso Chrissie und Nina.

„Leider nichts, Belle ist hier nicht.“, antwortete ihm Hyde in einem mitleidigen Tonfall.

Betrübt sahen ihn alle an, er hatte ganz offensichtlich auf eine andere Antwort gehofft. Er senkte seinen Blick, drehte sich von ihnen weg, wutentbrannt trat er das Gras zu seinen Füßen, Halme und Erde flogen durch die Luft.

„Nicht den Kopf hängen lassen! Wir suchen einfach im Haus noch mal, sie kann so weit doch nicht sein.“, versuchte ihn die kleine Blauäugige zu beruhigen.

Gackt entgegnete nichts, seine Augenbrauen waren tief ins Gesicht gezogen, er hatte sich zwischenzeitlich so oft aus Nervosität durchs Haar gefasst, das seine Frisur nun wüst und ungeordnet aussah, es entsprach genau seinem Gefühlschaos. Sie ließen ihn als erstes in Haus zurückkehren, Hyde folgte und Schlusslicht bildeten die beiden Mädchen, die sich bedrückt ansahen. Im Haus angekommen startete die nächste Suchaktion, diesmal verteilten sie sich alle in verschiedene Richtungen, denn das Haus war groß und so ließ sich die vermeintlich Verschollene besser einkesseln. Also suchten Hyde und Nina im oben Stockwerk, während Chrissie und Gackt unten jede noch so kleine Ecke und Lücke unter die Lupe nahmen. Die Stunden verstrichen und es wurde allmählich dunkel. Sie waren Haus und Garten mehrere Male durchgegangen, doch keine Spur von Belle. Schließlich versammelten sie sich alle im Wohnzimmer, dreckig von Erde, Gras und Hausstaub. Die Stimmung war mehr als nur gedrückt, sie war schrecklich trübsinnig!

„Ich nehme an, dass niemand auch nur eine Spur von ihr gefunden hat?“, fragte Hyde.

„Nichts bis auf einen leeren Fressnapf und ein paar Haufen im Garten…“, sagte Nina, wie alle im Raum mit gesenktem Kopf und verschränkten Armen.

Gackt ließ sich auf sein Sofa nieder, die Beine gespreizt, seine Arme auf ihnen abgestützt und sein Gesicht in die Handflächen gebettet.

„Ich versteh das nicht… wir waren doch gar nicht solange weg und es ist quasi unmöglich, dass sie weggekommen ist oder gar entführt wurde…“

Er hörte sich selbst durch seine Finger noch ausreichend fertig an, dass es jeder merkte und Mitleid bekam. Hyde legte seine Hand auf Gackt’s Schulter.

„Komm schon, sie wird schon wieder auftauchen. Lass es jetzt ruhen, wir suchen morgen noch mal, wenn wir sie dann nicht finden, dann gehen wir zur Polizei.“

Der jüngere Sänger warf sich zurück in seine Lehne, seufzend und fertig mit den Nerven. Was blieb ihm jetzt noch anderes übrig?

„Gut, gehen wir schlafen…“

»Schlafen?«, schoss es ihnen durch den Kopf.

Ihre Blicke schweiften auf eine Wanduhr ab, es war erst kurz vor neun und niemand von ihnen hatte seit dem Frühstück etwas gegessen. Sollten sie ihn nun darauf ansprechen, oder es lieber dabei belassen? Der Hausherr erhob sich und lief lustlos die Stufen zu seinem Schlafzimmer hinauf. Sie blieben zurück, ratlos und teilweise von einem schlechten Gewissen geplagt, wie konnten sie jetzt nur an Essen denken?

„Macht euch nichts draus, es nimmt ihn eben mit… Lasst uns mal schnell noch was essen und dann gehen wir besser hoch in unsere Zimmer.“

Stumm nickend schlichen sie sich in die Küche, dem unverbesserlichen Fresssack hinterher, kochten sich einen Tee, schmierten sich lediglich ein paar Brote, aßen schnell etwas Obst dazu und verschwanden dann schließlich in ihren Räumen. Nina kaute auf ihrem Apfel herum und schloss die Tür hinter sich, ihre Freundin saß bereits wieder auf dem Bett, den Kopf auf die Handknöchel gestützt.

„Na toll… stell dir nur mal vor was passiert wenn wir Belle nicht finden.“

Das dunkelhaarige Mädchen ließ sich willenlos neben ihr in das weiche Federbett fallen.

„So wie wir unseren gerne-mal-depri-Sänger kennen nichts Gutes.“

„Wenn er mit 19 schon zig Autos zu Schrott gefahren hat, weil er das Leben leid war und heutzutage nur in seinen Freunden und Tieren seine Familie sieht, dann will ich nicht dran denken was er sich antut, wenn ihm Belle, die er ganz sicher mit am meisten liebt und braucht, einfach aus dem Leben gerissen wird…“

Entsetzt fuhr Nina hoch.

„Wie kannst do so etwas nur sagen?! Mal doch nicht den Teufel an die Wand, wir wissen doch noch gar nicht was wirklich passiert ist, vielleicht hat sie sich einfach zu gut versteckt und ist morgen wieder da…“

„Dein Wort in Gottes Ohr Nina, aber was wenn nicht? Stell es dir doch nur mal vor!“

„Ich will es mir aber nicht vorstellen, es reicht wenn du hier Pessimismus schiebst…“, antwortete sie und legte sich wieder hin.

„Ich bin Realist, ich ziehe alle Möglichkeiten in Betracht.“

„Warum dann nicht auch die positiven Varianten?“

Chrissie schwieg.

„Wollen wir schlafen?“

Die Größere von beiden erhob sich und hievte sich zu ihrer Tasche herum, nach langem Kramen stieß sie auf ihr Handy. Wie lange hatte sie es schon nicht mehr angehabt? Stumm und ohne ihrer Freundin zu antworten klappte sie es auf und gab den Pin ein.

„Was machst du denn da?“

„Ich schau nach, ob sich meine Familie vielleicht gemeldet hat. Wir sind ja nun schon eine Weile hier.“

„Oh! Gute Idee!“, meinte ihre blauäugige Gefährtin und rutschte etwas hektisch auf ihre Seite des Bettes um auch nach ihrem Mobiltelefon zu suchen.

„Und?“, fragte sie nach einer Weile.

Nina klappte ihr Handy schweigend zu, es gab keine Sprachnachricht, keinen versäumten Anruf und auch keine SMS.

„Nichts… und bei dir?“, entgegnete sie und ließ das handliche Gerät zurück in die Tasche gleiten.

„Och na ja… etliche versäumte Anrufe, ein Haufen Simsen und so weiter… ich hatte ja auch versprochen mich zu melden, Mensch bin ich doof…“

Ihre Freundin schmunzelte.

„Bei dem Trubel der gleich aufkam als wir hier ankamen ist das aber doch kein Wunder.“

„Erklär das meinen Eltern!“, gab sie zurück.

Eifrig stellte Chrissie eine ausführliche SMS zusammen und versendete sie nach Deutschland.

„Autsch! Das geht ins Geld…“, stieß sie aus als sie sogleich ihren Kontostand abrief.

„Ok Mausi, lass uns versuchen zu schlafen. Morgen suchen wir weiter nach der kleinen Töle…“, sagte sie schmunzelnd und zog sich um.

Ihr wurde zugenickt, nachdem sich beide umgezogen hatten kuschelten sie sich tief in ihre Decken, trotz des Stresses und der ungewohnt zeitigen Uhrzeit gelang es ihnen rasch einzuschlafen.
 

Mitten in der Nacht wachte Nina auf, gequält von einem mulmigen Gefühl im Magen und ihrem Harndrang. So leise wie möglich versuchte sie ihren lahmen Körper aus dem Bett zu heben. Schlurfenden Schrittes taumelte sie aus dem Zimmer und ins Bad, ungeachtet ihrer Nachtblindheit die sie durch die fast vollständig geschlossenen Augen eh nicht wahrnahm. Als sie wieder hinauskam und die leichte Tür hinter sich verschloss um wieder in ihr Bett zu wandern, schreckte sie ein Geräusch auf. Wie angewurzelt blieb sie stehen, es hörte sich nach Glas an, vielleicht auch nach einer Flasche die gerade auf einen Tisch gestellt wurde. Nina’s Sinne kehrten schlagartig zurück, sie war hellwach. Von unten drang ganz schwaches Licht zu ihr hinauf. Ihr Herz raste, sie überlegte was sie machen sollte, ein Einbrecher konnte es nicht sein, dafür war Gackt’s Haus garantiert zu sehr abgesichert, aber irgendjemand musste sich unten aufhalten und insofern sich ihre Freundin nicht in den letzten Fünf Minuten aus dem Bett bewegt hatte um eine Nachtwanderung zu veranstalten, konnte es sich dabei entweder um den Hausherrn oder Hyde handeln. Noch einen Moment lang blieb sie so erstarrt stehen und überlegte, ob sie sich entweder wieder schlafen legen, oder gar Chrissie wecken und mit nach unten zum Spionieren nehmen sollte. Letztendlich entschied sie sich aber ganz anders, wie auf Katzenpfoten schlich sie sich die Stufen hinunter, betend das sie nicht vom Knacken ihrer Knochen verraten werden würde. Der Boden unter ihren nackten Füßen war kalt, eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken, die Anspannung war unerträglich! Rechts neben ihr eine dunkle Küche an der sie vorbei schlich, links vor ihr lag nur ein kleiner abgetrennter Raum der als Durchgang diente und in dem sonst nur wenig Kommoden standen, wenn sie nun um die Ecke sehen würde, konnte sie ins Wohnzimmer blicken. Nina schluckte als sie sich an die Wand presste und noch mit sich rang ob sie nun wirklich nachsehen wollte wer da war. Wieder klirrte es leise, ganz eindeutig ein abgestelltes Glas. Sie überwand sich und wagte einen scheuen Blick in den Raum, wie sie es sich schon gedacht hatte war es Gackt, der da trübsinnig auf seinem Sofa saß, ein Weinglas und die dazugehörige Flasche auf dem Tisch, daneben eine fast vollständig heruntergebrannte Kerze, ein Feuerzeug und ein reich gefüllter Aschenbecher, eine qualmende Zigarette in der linken Hand an der er gerade kräftig zog. Er lehnte sich zurück, die Schultern herabhängend, die Augen leicht angeschwollen, von dunklen Augenringen untermalt und mit einem getrübten Blick in das Licht der Kerze blickend. Seine Haare waren noch zerwühlter als zuvor, tatsächlich musste er versucht haben zu schlafen, vergeblich wie man sich bei seinem Anblick denken konnte. Nina suchte mit ihren Blicken nach der Wanduhr, es war erst halb eins. Gackt schniefte, der vermeintlichen Nachtwandlerin tat es in der Seele weh ihn so zu sehen, die Frage warum er in diesem Zustand war stellte sich ihr gar nicht erst. Sie drehte sich wieder weg, der Sänger hatte bereits das Weinglas wieder an seine Lippen angesetzt. Sie hüpfte nervös von einem Bein aufs andere, sie schämte sich ihm so nachzuspionieren und ihm im Moment der Schwäche ertappt zu haben, sicher ein großer Schnitt in seinen Stolz wenn er davon wüsste. Sie hätte jetzt gehen, ihre Entdeckung als Geheimnis mitnehmen können und auch nie zu jemanden darüber sprechen, doch ihr Gewissen machte das nicht mit, sie sah es geradezu als Aufforderung zu ihm zu gehen, ihm vielleicht Trost zu spenden, oder einfach nur Gesellschaft zu leisten. Wenn er sie davonjagen würde bitte, aber dann hatte sie es zumindest versucht. So setzte sie es dann auch um, sie atmete noch mal ein und aus und trat dann um die Ecke. Er schien sie im ersten Moment gar nicht zu bemerken, er schenkte ihr keine Beachtung. Sie fuhr sich mit beiden Händen durch ihre Bettfrisur und räusperte sich dann. Tatsächlich wand sich sein Kopf mit erschrockener Miene zu ihr um, Nina bemerkte das auffällige Schimmern in seinen Augen und das er selbst jetzt noch seine Kontaktlinsen trug.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie leise und vorsichtig ohne auf ihn zuzukommen.

Er stellte räuspernd sein Glas zurück auf den Tisch, dabei schweifte ihr Blick ab, da sogar noch Korken und Korkenzieher auf dem Tisch lagen konnte sie sich sicher sein, dass der fehlende halbe Inhalt der Flasche im Laufe der jungen Nacht seinen Weg in Gackt’s Inneres gefunden hatte.

„Was machst du hier?“, fragte er sie mit heiserer und bemühter Stimme.

Schnell drückte er die glimmende Zigarette aus und fuhr sich durch seine Haare.

„Ich habe Geräusche gehört und mir gedacht ich schau mal nach.“

Nina beobachtete wie seine Augen hin und her eilten, er fixierte weder sie noch etwas anderes im Raum, vielleicht wusste er in diesem Moment nicht so richtig wie er auf diesen unvorbereiteten Besuch reagieren sollte.

„Es geht dir gar nicht gut, hab ich Recht?“, fragte sie ganz ehrlich und kam nun doch ein paar Schritte auf ihn zu.

„Es ist alles in Ordnung, geh zurück ins Bett. Der Boden ist kalt du wirst krank, lass mich bitte noch ein wenig allein, ich muss noch… ähm…“

Er starrte auf den Tisch, was sollte er sagen? Er wusste, sie hatte ihn erwischt. Nie könnte er ihr auftischen er würde an Songs arbeiten oder einfach nur nachdenken, jeder Blinde sah ihm seinen Kummer an und das frustrierte ihn.

„Es tut mir leid, wenn ich dich gestört habe, aber ich kann mir nicht vorstellen das du dich wohl in deiner Haut fühlst… du sitzt hier mitten in der Nacht ganz alleine rum, rauchst im Haus obwohl du mir gesagt hattest du machst es uns zuliebe nicht und dann trinkst du auch noch Wein.“

„Das brauch dich nichts anzugehen!“, entgegnete er mürrisch.

Nina zuckte zusammen, war aber weder wirklich erschrocken noch gekränkt.

„Tut mir leid, es geht mich wirklich nichts an, schließlich bin ich ja nur eine Fremde! Dennoch irgendwie seltsam das ich die letzen Tage hier wohnen durfte, Sachen mit dir unternommen habe und dir geholfen habe deinen Hund zu suchen! Warum sollte es mich dann auch etwas angehen wenn du hier Trübsal blasend sitzt, allein und traurig darüber das Belle nicht da ist… du kennst mich ja gar nicht, genauso wenig wie ich dich.“, endete sie, sie war entrüstet, traurig über diese Ablehnung und trotzdem gewillt um Anerkennung und Beachtung seinerseits zu kämpfen.

Gackt starrte sie an, legte dann seinen Kopf in beide Hände und verbarg sein Gesicht. Nina konnte nur raten was durch seinen Kopf ging, ob er sie gleich anschreien würde, ob er sich beruhigen oder ob er vielleicht weinen würde. Stattdessen stand er auf und sah ihr ohne definierbaren Gesichtsausdruck in die Augen, sie blieb hart in ihrer Miene.

„Geh jetzt bitte, ich will nicht weiter mit dir sprechen, lass mich allein.“

Er wollte sich wegdrehen und so das Gespräch beenden, doch das wollte sie nicht zulassen.

„Ist das deine Art und Weise zu diskutieren? Gehst du so Ärger aus dem Weg? Versuchst du so deine wahren Gefühle vor anderen zu verstecken?“

Er fuhr zu ihr herum, in seinen Augen brannte ein wütendes Feuer. Alles hatte so harmlos angefangen, dass es sich so schnell zugespitzt hatte war ungewöhnlich.

„Es reicht! Du gehst eindeutig zu weit!“, fuhr er sie an.

„Oh nein! Wenn es nach mir ginge könnte es noch lange so weitergehen, du bist nur zu feige um auch mal einem einfachen Menschen wie mir deine Probleme anzuvertrauen, du verträgst die Wahrheit nicht!“, zischte sie zurück.

„Ich muss mir das nicht länger anhören, ich löse meine Probleme sehr gut alleine!“

„Ach ja? Etwa damit?!“, gab sie zurück und zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die halbleere Weinflasche und das Glas.

Die Wut wich aus seinem Gesicht, dafür stieg sie in Nina umso höher, jedoch senkte sie ihre Stimme wieder.

„Das ist keine Lösung, das kannst du mir gerne glauben. Ich hätte dir nichts getan, ich hätte dir nur zugehört und das ist allemal besser als sich in seinem Kummer zu betrinken. Ich kam hier rein weil ich mir Sorgen gemacht habe und nicht um mit dir zu streiten.“

Er sah sie an, suchte in ihrem Gesicht nach Hass und Zorn, doch er traf nur auf Mitleid.

„Rede nicht von mir als wüsstest du alles und könntest mich verstehen… Ich brauche auch kein Mitleid, glaub mir, ich komme alleine viel besser klar.“

„Du belügst dich doch selbst!“, protestierte sie.

„HÖR AUF DAMIT!“, schrie er plötzlich und schlug mit dem linken Arm aus.

Die Kerze erlosch, man hörte es laut klirren und Nina spürte wie kühle, nach Alkohol riechende Flüssigkeit um ihre Füße floss. Gackt hatte in seiner Haltlosigkeit die Weinflasche umgeworfen, Glassplitter ließen sich innerhalb des Rotweinsees nur erahnen, in der plötzlich eingesetzten Dunkelheit ganz zu schweigen. Nina starrte eine Silhouette an von der sie wusste das sie dem eben ausgerasteten Sänger zugehörig war.

„Bist du nun zufrieden?“, fragte sie in die Stille hinein.

„Es… es tut mir leid, das wollte ich nicht.“, antwortete er hektisch und entzündete eilends die Kerze von neuem.

Beide begutachteten die Bescherung mit minderer Begeisterung.

„Warte, ich hol schnell was zum Aufwischen!“

Nina blieb alleine zurück, sie bückte sich und begann Glassplitter aufzusammeln, erst als Gackt mit Lappen und Eimer zurückkehrte sah sie wieder auf.

„Gib her, ich mach schon.“, sagte sie gleichgültig und nahm ihm die Sachen ab.

„Aber ich hab doch…“

„Lass nur, setz dich hin und beruhige dich lieber wieder, außerdem hast du getrunken, nicht das du dich noch schneidest.“

Das sie ihm mit einem Mal so kühl und gleichgültig begegnete verunsicherte ihn, es tat ihm sehr leid, dass er so ungezügelt reagiert hatte, schon das zweite Mal innerhalb kürzester Zeit, erst bei Chrissie und nun auch bei ihr.

„Du solltest mal Urlaub machen, wenn du immer so überreagierst hast du bald nicht mehr viele Freunde.“

Gackt setzte sich hin und sah zu wie ihre Finger durch die rote Flut fuhren.

„Wenn man mich nicht reizt passiert so was nicht.“, verteidigte er sich trotzig.

„Aber wenn du dich immer nur abschottest wirst du immer alles in dich hineinfressen und irgendwann zusammenbrechen oder bei jeder Kleinigkeit aus der Haut fahren.“

„Ich schotte mich nicht ab!“

Nina seufzte als sie den letzten Lappen auswrang.

„Mit wem redest du denn, wenn du Kummer hast?“

Gackt schwieg, nie erzählte er Leuten etwas in dieser Art, er wollte es nicht, die Menschen sollten seine coole und lustige Art kennen, das war genug und er würde nie in schlechtes oder seltsames Gerde kommen.

„Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber selbst wenn du in deiner Vergangenheit viele schlechte Erfahrungen damit gemacht hast jemanden die Wahrheit über deine Gefühle anzuvertrauen, du kannst nicht einfach den Kopf in den Sand stecken und davon ausgehen das alle Menschen so sind.“

Ganz große Augen trafen auf ihre, dass er sich gerade so fühlte, als hätte sie seine Gedanken gelesen wusste sie nicht, sie fragte sich, was sie denn da schon wieder für einen philosophischen Stuss redete.

„Oh warte, klar, ich mag zwar gerade ein wenig übertreiben, mit geschwollenen Formulierungen nur so um mich werfen, aber ich bin zumindest dieser Meinung! Ich will dich nicht belehren, dir was vorschreiben oder sonst was… Was ich sagen will ist…“

Sie stoppte und sah ihn an, wartete darauf das er sie unterbrach oder auslachte, aber da kam nichts Dergleichen von ihm.

„Red nur weiter.“

„Nun… ich will eigentlich nur darauf hinaus das du ruhig zugeben kannst, dass du furchtbaren Kummer hast wegen Belle, dass du traurig bist, verzweifelst und heulen könntest. Mensch, sie fehlt dir und du machst dir Sorgen, das ist doch ganz normal!“

An Belle wollte er nicht denken, über sie zu sprechen tat ihm weh und verursachte einen tief sitzenden Klos in seinem Hals. Nina sah ihm sofort an wie er mit sich rang, mit den Tränen kämpfte und sich bemühte keine Miene zu verziehen.

„Hör auf damit, Männer sind nicht gut darin Emotionen zu vertuschen.“, meinte sie und schmunzelte.

Gackt stutzte kurz und musste dann lächelnd den Kopf schütteln. Die Dunkelhaarige stand auf und lief hinter das Sofa, was ihn zuerst verwunderte bis sie ihre Hände auf seine Schultern legte.

„Du brauchst eigentlich gar nichts mehr zu sagen, jeder wüsste sofort was du hast, nur musst du ehrlich genug sein es dir auch selbst einzugestehen und den Trost, den man dir dann spenden will, auch zulassen können.“

Er sah stur nach vorne und ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen, er fühlte wie sie ihre Hände wieder zurückzog.

„Na dann… ich werde dann mal wieder schlafen gehen, solltest du vielleicht auch tun.“

Sie drehte sich weg, wollte gehen, doch seine Hand, die nach ihrer gegriffen hatte, hielt sie davon ab. Wieder flackerten seine Augen feucht.

„Wir werden sie doch finden, oder?“

Nina, zuerst verdutzt, dann aber lächelnd, wand sich zu ihm um und drückte seine Hand ermutigend.

„Wer weiß, vielleicht findet sie dich sogar zuerst?“

Sie tauschten verschiedene Blicke aus, der schlanke Mann konnte seine Miene nicht mehr aufrechterhalten, senkte seinen Blick und legte die freie Hand vor seine Augen. Sie reagierte indem sie die Kerze wieder ausblies und sich wieder hinter ihn stellte, wo sie ihre Arme zaghaft um seinen Hals legte. Das ihr das Herz bis zum Hals schlug bekam er hoffentlich nicht mit.

»Oh Gott! Ich wollte ihn doch nicht zum Weinen bringen! Was mach ich denn jetzt?«, dachte sie verzweifelt.

Das Denken nahm ihr Gackt mit der Geste ab seine Hände auf ihre zu legen und ihre Arme noch etwas enger um sich zu schließen. Es war ganz still, Nina hörte nichts außer ihren Atemzügen, sie konnte nicht einschätzen ob er nun tatsächlich weinte oder nicht. Sie konnte es gar nicht fassen, hatte sie schon jemals so was erlebt? Hatte sie jemals erlebt wie Gackt weinte? Sie erinnerte sich an seine eine Tour, sie erinnerte sich an Moon Child, aber dann hörte es auch schon auf. Sie führte seine plötzliche Vertrauensseeligkeit und Sehnsucht nach Nähe auf den Alkohol zurück, auch wenn er keinen betrunkenen Eindruck machte.

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.“, sprach er nach einer kleinen Ewigkeit in die Nacht hinein.

Nina war sehr erleichtert, er hörte sich nicht gedrückt oder krächzend an, vielleicht hatte er einfach nur eine Verschnaufpause gebraucht.

„Wenn du möchtest, dann gehen wir jetzt zurück in unsere Zimmer, es ist spät geworden.“

Damit ließ er sie los und stand auf, griff sich im Dunkeln die restliche Flasche mit den Glassplittern drin, sein Glas und den Aschenbecher, den Rest der auf dem Tisch lag und auch den Eimer nahm Nina an sich. Schnell war alles entsorgt und ordentlich weggeräumt. Die Zeit verging wie im Flug bis sie sich schließlich am oberen Ende der Treppe standen und sich verabschiedeten.

„Ach Nina, es wäre übrigens schön wenn diese Sache nicht vor Hyde oder Enah breitgetreten würde…“

Auch wenn er es nicht sehen konnte, Nina lächelte verständnisvoll.

„Welche Sache? Also ich weiß von nichts.“, meinte sie daraufhin grinsend.

Er schmunzelte und kratzte sich am Hinterkopf.

„Na dann, gute Nacht.“

„Dir auch, morgen finden wir Belle bestimmt.“

Er nickte ihr zu und schlich sich dann in sein Schlafzimmer, auch Nina drehte sich zu ihrem Zimmer um, sie linste vorsichtig hinein und vergewisserte sich, dass ihre Freundin von dem Tumult unten nichts mitbekommen hatte und noch seelenruhig schlief. Müde, aber mit einem aufgeregten Kribbeln im Bauch legte sie sich zu ihr, ihre Wangen glühten, aber alles zusammen fühlte sich unheimlich gut an, lächelnd schlief sie auf der Stelle ein.
 

Chrissie wälzte sich von einer Seite auf die andere, sie hatte einen sehr unruhigen Schlaf, irgendetwas störte sie. Mit wehmütiger Miene öffnete sie ihre Augen, außer dem Mondlicht erhellte nichts den Raum in dem sie und Nina nächtigten. Zumindest hatte sie sich nicht geirrt, das was ihren Schlaf so gestört hatte entpuppte sich als ein schabendes Geräusch und leises Wimmern zwischendurch. Als sie diese Geräusche unmittelbar in Nina’s Richtung ortete wurde sie hellwach und rüttelte an ihr herum.

„Wach auf!“, flüsterte sie eindringlich.

Mürrisch murmelnd drehte sich die Größere zu ihr um, die Augen zwischen dicke Augenlider gepackt und nur spärlich geöffnet.

„Was’n?“, blubberte sie in ihre Decke hinein, die sie bis unter ihre Nase gezogen hatte.

Schon das zweite Mal in dieser Nacht war sie ungern und vor allem unfreiwillig geweckt worden.

„Hör mal! Ich glaub das kommt aus deinem Schrank!“, zischelte Chrissie und deutete auf die Schranktür, die ab und an zu vibrieren schien.

Knurrend drehte sich Nina um, auch sie hörte jetzt das Kratzen und Wimmern und sah wie der Schrank währenddessen ruckelte. Sie richtete sich mit ganz großen Augen auf.

„Ja, nein! Ist das etwa…?“

Mit einem fragenden Blick drehte sie sich zu der Rotblonden, im Bett hockenden, Chrissie um, die ihr zunickte.

„Na mach auf!“, gebot sie ihr zusätzlich.

Etwas unbeholfen in ihrer Hektik stolperte Nina den einen Schritt vom Bett bis zum Schrank, drehte den Schlüssel herum und öffnete die Tür. Noch ehe sie ganz offen war drängte sich ein haariger Körper durch den Spalt, der sich anschließend freudig auf dem Boden hin und her wälzte.

„BELLE!“, entwich es den Freundinnen ungläubig, aber auch freudig.

Ihren Namen zu hören versetzte die Minidachshündin in allerhöchste Verzückung, Schwanz wedelnd und hechelnd sprang sie auf das Bett und dort hin und her wie ein verspieltes Kind.

„Ist ja gut Kleine! Freust du dich wieder da zu sein?“, fragte Chrissie belustigt und kraulte die kleine Dame.

„Wie kam sie denn in meinen Schrank?“, wollte Nina wissen und starrte noch immer fassungslos auf das quicklebendige Wollknäuel.

„Keine Ahnung, aber stand er und die Zimmertür nicht offen als wir wieder hier angekommen sind?“

Ihr Gegenüber versuchte sich zu entsinnen, zumindest fiel ihr ein wie sie den Schrank bei ihrer Ankunft verschlossen hatte, gesucht hatte sie in ihm nach Belle nicht, wer rechnete denn auch damit, dass sich ein Hund dort verstecken und auch noch stundenlang so ruhig bleiben würde?

„Egal, auf jeden Fall ist sie wieder da, da wird sich dein Herrchen aber freuen!“

Obwohl Belle sie wohl kaum verstehen würde wedelte sie glücklich mit ihrem Schwanz. Chrissie griff nach ihrem Handy und prüfte die Uhrzeit.

„Boah… gerade mal vier Uhr… hätte sie mit ihrer ich-will-raus-Aktion nicht noch bis morgen früh warten können?“

Nina lachte, musste sich aber ihren Kommentar verkneifen, am liebsten hätte sie ihrer Freundin gesagt was sie wenige Stunden zuvor erlebt hatte, aber sie hatte Gackt versprochen zu schweigen, auch wenn es nie als Versprechen benannt worden war.

„Ok Nina, zwei Möglichkeiten. Entweder, wir lassen sie hier, beziehungsweise einfach im Haus rumlaufen damit sie ihre Bedürfnisse stillen kann und morgen früh trifft Gackt dann selber auf sie, oder wir bringen sie ihm gleich.“

Wenn Nina sich daran erinnerte wie fertig er gewesen war, dann war die zweite Variante ihr die Liebste.

„Letzteres wäre schöner.“

„Hm… einfach anklopfen und sie ihm dann vor die Nase setzten?“, hinterfragte die Ältere noch zusätzlich.

Beide dachten kurz nach.

„Und wenn wir sie einfach klammheimlich in das Zimmer schmuggeln und dann abwarten was passiert?“

Natürlich wusste sie, dass Nina ihr Grinsen erwidern würde, schließlich waren beide unberechenbar gestrickt und liebten es aufregend uns spannend. Chrissie bekam ein Grinsen und einen hochgestellten Daumen zurück.

„Siehst du Kleine, gleich bist du bei Herrchen!“

Freudig sprang die Hündin an ihr hoch und versuchte sie abzuschlecken.

„Nein! Nicht! Wäh… wie eklig!“

Nina prustete los, wie lecker ihre Freundin doch solch Abgeschlabbere immer wieder fand war einfach nur herrlich!

„Hör auf zu lachen, sonst werden die beiden Kerle noch wach und wir können unsere Überraschung vergessen.“

Sofort verstummte die Große und flitzte auf Zehenspitzen zur Tür. Chrissie kämpfte damit Belle richtig auf den Arm zu nehmen, wann trug sie schon mal ein Tier und dann noch so ein Zappeliges? Als Nina ihre verzweifelten Bemühungen nicht mehr länger mit ansehen konnte nahm sie sich der Hündin an, streichelte sie und betete, dass sie nicht anfangen würde zu bellen.

„Komm.“, sagte Chrissie, öffnete die Zimmertür und schlich sich voran bis zum Zimmer der beiden Stars.

Sie knieten sich hin, Belle schien ihr Herrchen schon zu wittern, blieb aber zu aller Erleichterung ganz still. Chrissie zog die Klinke fest heran damit man auch ja nicht hören würde wenn sie sie herunterdrückte. Sie kniffen die Augen zusammen, doch die Tür schwieg als sie geöffnet wurde, sie warfen einen flüchtigen Blick in das Zimmer, ihre Opfer schliefen tief und fest.

„Ok Belle, dein Auftritt.“, flüsterte ihr die Kleinere ins Ohr und gab Nina das Zeichen zum Loslassen.

Die Hündin beschnüffelte zuerst den Fußboden, erst dann tapste sie munter aber gelassen in das Zimmer hinein. Die beiden Freundinnen konnten es sich nicht nehmen lassen so lange wie möglich das Geschehen zu beobachten, nahmen sich aber vor schnellstens zu flüchten wenn einer der beiden erwachen würde. Belle lief zum Bett, warum sie nicht wie wild zwischen die Decken und Kissen gesprungen war um ihr geliebtes Herrchen aus dem Schlaf zu bellen und abzuschlecken blieb ihr Geheimnis. Zuerst war sie auf Hyde’s Seite gelaufen und schnupperte an seiner Hand die er einfach über die Bettkante hängen ließ. Nina und Chrissie hielten sich schon ganz aufgeregt die Münder, würde Belle ihnen doch nicht etwa ein etwas anderes Spektakel bereiten? Aber nein, sie rümpfte nur die Nase und machte dann Kehrt, am Fußende des Bettes blieb sie erneut stehen und machte Männchen. Ihre schwarzen Kulleraugen lugten gerade so über die Matratze, mit einem Satz war sie plötzlich oben und stiefelte durch das Gewühl von Decken, auf die Mädchen machte es einen ähnlichen Eindruck als würde man den kleinen Knirps durch tiefen Schnee laufen lassen. Wie Belle da so unverschämt frei zwischen den Männern vor sich her tapste kam sie schließlich am Kopfende an. Gackt war nach außen gedreht, Hyde nach innen. Sie schnüffelte an Hyde’s Haarschopf, der wie gewöhnlich wirr unter der Decke hervorlugte, wand sich dann aber ihrem wirklichen Besitzer zu. Gespannt wurde das Tun des Hundes aus dem Hintergrund beobachtet, fieberhaft warteten sie auf eine Regung zwischen den Decken, auf etwas was sie zum Quietschen bringen würde. Belle tapste etwas weiter runter zu Gackt’s linker Hand die auf seinem Körper ruhte und stupste sie an. Er reagierte zuerst nicht, doch nachdem sie es mit Nachdruck noch mal versuchte stöhnte er leise und wehrte sie mit einer energischen Handbewegung ab. Beleidigt schüttelte sich die Minidachshündin, die durch seine Bewegung etwas abseits gepurzelt war. Hartnäckig, aber ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben, watschelte sie hoch zu seinem Ohr welches sie ebenfalls anstupste.

„Hyde lass das…“, brabbelte er beleidigt

Chrissie und ihre Freundin verfielen in tonloses Lachen, sie konnten sich nicht halten und stützten sich gegenseitig ab, das Atmen setzte für diese Zeit aus. Sie hatten ja mit allem gerechnet, aber nicht damit. Ungerührt wiederholte Belle diesen Vorgang, Gackt griff im Halbschlaf nach einem kleinen Kissen und warf es sich halbherzig über die Schulter, natürlich direkt an Belle vorbei und direkt auf Hyde, der sich mit diesem unerwarteten Angriff sichtlich überfordert sah, ihn aber nur mit einem entrüsteten Kopfschütteln abfertigte, sich knurrend umdrehte und das Kissen auf den Boden neben sich fallen ließ. Hinter der Zimmertür versuchte man derweilen verzweifelt nicht der Atemnot und dem dazugehörigen Lachkrampf zu unterliegen, ihre Körper bogen sich unter diesen köstlichen Qualen, am liebsten hätten sie laut aufgeschrieen vor Belustigung, aber dann würden sie gnadenlos auffliegen. Der fuchsrote Verursacher dieser Untat gab sich ungerührt, war aber langsam entrüstet über dieses Desinteresse was man ihr entgegenbrachte. Noch blieb sie geduldig und versuchte es mit lieb gemeinten Küssen auf seine Wange. Leise lachend schob Gackt sie jedoch einfach weg von sich.

„Jetzt hör schon auf damit Hyde…“

Während die zwei Mädchen hinter der Tür eines qualvollen Todes durch Ersticken zu sterben drohten platzte Belle endgültig der Kragen, beleidigt biss sie ihrem Herrn ins Ohr, dieser langte plötzlich mit seinem Arm im hohen Bogen nach hinten aus und…

BATSCH

Ein blaues und ein braun-grünes Augenpaar lugte innerhalb eines unheimlich kurzen Augenblicks weit aufgerissen in den Raum hinein, Belle saß unbeschadet zwischen den beiden Sängern, jedoch fuhr jetzt ein fuchsteufelswilder Hyde in seinem Bett herum und starrte seinen friedlich schlafenden Kollegen wutentbrannt an.

„HAST DU SIE NICHT MEHR ALLE???“, brülle er ihn an, so laut das man es sicher im ganzen Haus hören konnte.

Fürchterlich erschrocken zuckte Gackt arg zusammen, drehte sich perplex um und setzte sich auf.

„Was ist denn mit dir los Hyde?“, fragte er ihn entsetzt und eingeschüchtert von seiner finsteren Miene, die ihm vom Mondlicht sichtbar gemacht wurde.

Zornig schaltete der kleinere Sänger, sich mit der einen Hand den geschundenen Kopf haltend, seine Nachtischlampe ein, doch noch bevor er etwas sagen konnte schluckte er seine Worte auch schon wieder. Beide sahen zwischen sich eine kleine, Schwanz wedelnde und unschuldig guckende Hündin sitzen.

„Belle!“, stieß Gackt glücklich aus und schloss die kleine Rabaukin in seine Arme, den gebeutelten Hyde völlig ignorierend. Was war das für eine Freude, Belle schleckte ihren Herrn stürmisch ab und dieser lachte wie ein Kind darüber. Sprachlos fuhr sich Hyde durchs Haar, jetzt ging ihm natürlich ein Licht auf. Noch während sein Freund und dessen Hund ihr Wiedersehen feierten erregte die Zimmertür sein Interesse, hatte er es sich eingebildet oder war tatsächlich für einen kurzen Moment ein unterdrücktes Quietschen zu hören gewesen? Chrissie, die den Blick des Sängers förmlich gespürt hatte, erschrak und verfiel in leichte Panik, mit hektischen Bewegungen versuchte sie Nina klarzumachen, dass sie verschwinden mussten oder sie sonst entlarvt würden. Gleichzeitig sprangen sie auf, Hyde war längst auf dem Weg zur Tür, doch sie krachten in ihrer Eile aneinander, stolperten über ihre eigenen Füße und packten sich der Länge nach auf den Fußboden.

„Toll, wirklich toll…“, zischte Chrissie, die das Unglück schon kommen sah.

Gackt war aufgestanden, neugierig durch Hyde’s argwöhnischen Gesichtsausdruck geworden verfolgte er ihn.

„Ist was Hyde?“, fragte er neugierig.

„Sieht ganz so aus als wäre das Auftauchen Belle’s, deine unkontrollierten Zuckungen und meine unsanfte Erweckung kein Zufall gewesen…“

Er zog die offen stehende Tür auf und grinste bereits siegessicher.

„Na wen haben wir denn… da?“

Er sah nach draußen auf den Flur, doch da war niemand.
 

Anmerkung der Autorin: Ich habe alle geretteten Kommentare, die verloren gingen durch Accountlöschungen etc., selber unter dieses Kapitel wieder als Kommi hinzugefügt!

Kapitel 09 wird statt im August schon um den 2.-3. Juli 2010 online sein!

Kimi no tame ni dekiru koto

09 Kimi no tame ni dekiru koto
 

****Ich fragte dein unschuldig lächelndes Gesicht nicht nach dem Grund für die Tränen. Du schütteltest meine haltende Hand ab, ich rief dir sanft über deinen Rücken zu.

„Es ist schon gut“, ich wiederholte es immer wieder, als du leise zittertest.

Bei diesem simplen Gespräch, lächelte dein Gesicht freudig.

Vielleicht waren es mehr Tränen, als Lächeln. ~ich bin bei dir~, das ist, was ich für dich tun kann.

Für immer sollst du an meiner Seite sein. Seit ich dich in meinen Armen hielt. Seit diese Vorahnung mich traf.

Für immer, bin nur ich… Ich kann dich nicht loslassen.

Denn ich hatte diese Vorahnung.****
 

Hyde stand ungläubig im Türrahmen, er hätte schwören können, dass er etwas gehört hatte! Er ließ die Arme sinken und warf einen Blick in den dunklen Flur. Seine Augen wanderten zu der Zimmertür von Nina und Chrissie in der Hoffnung vielleicht einen verräterischen Lichtstrahl durchkommen zu sehen, aber er wurde enttäuscht.

Gackt gesellte sich zu seinem verwirrten Freund, dabei behielt er Belle zärtlich auf dem Arm. Die Hündin wedelte noch immer freudig mit dem Schwanz und gab ihrem Herrchen feuchte Küsse. Jetzt standen sie beide an der Schwelle zum Flur.

„Suchst du nach meinen Gästen?“, fragte Gackt an Hyde gewandt und sah ihm suchend über die Schulter.

„Ich war mir sicher etwas gehört zu haben… außerdem, kann Belle Türen öffnen?“

Gackt schüttelte den Kopf, er versuchte kurz Hydes Gedankengang zu folgen und verstand schließlich, was dieser ihm sagen wollte.

„Hm, tja… aber wie du siehst ist da niemand.“

Er trat heraus zum Bad und öffnete die Tür, auch da war keiner. Hyde fuhr mit beiden Händen durch seine ohnehin zerzausten Haare und ließ seine Finger dann verschränkt in seinem Nacken zusammenlaufen. Er seufzte.

„Lass uns einfach wieder ins Bett gehen – aber BITTE erschlag mich nicht wieder, sonst war das meine letzte Nacht neben dir! Ich bin erleichtert, dass du deinen Hund wieder hast, aber bei deinen “Heinzelmädchen“ kannst du dich auch morgen früh noch bedanken.“

Mit diesen Worten drehte sich der zierliche Sänger auf dem Hacken um und schwankte etwas übertrieben zurück zum Bett. Gackt war noch ganz außer sich und lächelte seine Minidachshündin immer noch strahlend an. Belle war ganz zappelig und hopste schließlich von seinen Armen herunter um auf der Türschwelle wild hin und her zu flitzen.

„Mach das, Hyde. Ich geh noch mal schnell runter und gebe Belle etwas zu fressen und werde nach der ganzen Aufregung auch noch eine rauchen.“

Hydes müde klingendes Einverständnis wurde von einem entsetzt klingendem Aufquietschen übertönt, sofort war er wieder hellwach und flugs an der Seite seines Zimmergenossen. Im ersten Augenblick bot sich den beiden Sängern ein etwas irritierendes Bild, denn man sah nur Belles schwanzwedelnes Hinterteil vom schummrigen Schlafzimmerlicht erleuchtet, hörte ein Schlabbern und ein abwehrend klingendes, geflüstertes Zetern. Gackt tat einen Schritt hinaus, schaltete das Licht im Flur an und allen Anwesenden entfuhr erstmal ein Stöhnen aufgrund der unangenehmen Lichtflut. Durch zusammengekniffene Augen wurden die zwei Männer dann auch schließlich erleuchtet und liefen die wenigen Schritte bis zur Treppe schon mit hochgezogenen Mundwinkeln.

„Na, wen haben wir denn da?“, fragte Hyde, der sich mit verschränkten Armen vor den Stufen aufbaute und inzwischen breit grinste.

Gackt stand wieder im Hintergrund und unterdrückte wie sooft ein leises Lachen, er schüttelte amüsiert den Kopf als er nach unten auf die Stufen sah.

„Äh… öh… öhm… hallo…? Ganz schön unruhige Nacht heute, nicht wahr?“

Puterrot verbarg Nina ihr Gesicht in ihren verschränkten Armen, die sie auf eine der oberen Stufen abgelegt hatte. Neben ihr saß Chrissie mit dem Rücken zur Wand auf der Treppe, ihre Beine über Ninas Rücken abgelegt und verlegen lächelnd.

„Wie ich sehe ist Belle wieder da!“, sprach die Rotblonde weiter, als ihr Gegenüber nur eine Augenbraue auf ihren 1. Satz hin gehoben hatte.

Der rotbraune Flummi-Hund stützte sich über eine Stufe hinweg an ihr ab und war damit beschäftigt Chrissie das Gesicht abzuschlecken zu wollen.

»Kleine Verräterin!«, dachte sie bei sich.

„Ja, in der Tat… Belle ist wieder da. Sie hat sogar geschafft lautlos die Tür zu öffnen.“, entgegnete Hyde und wippte dabei ein wenig nach von und zurück, während er weiterhin die Position der beiden Maiden begutachtete.

„Tjoar… manche Hunde und Katzen sollen so was ja können!“

Chrissies Stimme klang deutlich zu hoch um sie glaubhaft klingen zu lassen, auch ihr leicht verzerrter Gesichtsausdruck sprach Bände. Der ältere Sänger jedoch spielte dieses Spiel hier gerne noch etwas weiter.

„Ja, ja… erstaunlich, was manche Tiere so können… Belle hat die Tür sogar wieder lautlos von innen geschlossen.“

Ertappt!

Die kleinere Frau tippte jetzt ihre Zeigefinger unschuldig aneinander und zog die Lippen scharf zusammen, was sollte sie jetzt dazu noch sagen? Ohne ihre Freundin, die es noch immer nicht wagte aufzuschauen, anzusehen, gab sie ihr mit einem Bein einen kleinen Stoß, damit diese auch mal was sagte. Tatsächlich hob Nina ihren Kopf an und blickte auf zu den beiden Männern am Treppenansatz. Ihr Blick traf natürlich direkt auf Gackts, der zuerst offen lächelte, dann jedoch etwas verlegen den Blick senkte.

„Na Nina? Was macht ihr zwei mitten in der Nacht hier draußen auf der Treppe?“

Ihr Blick ging zu Hyde über, der sich jetzt vorbeugte um Chrissie aufzuhelfen. Einen Moment lang überlegte sie, was sie sagen sollte…

„Ähm, wenn ich jetzt sage, ich hätte eine meiner Kontaktlinsen verloren und hier danach gesucht… dann ist das sicherlich nicht wirklich glaubhaft, oder?“

Bis auf sie und ihre Freundin lachten alle einmal auf.

„Nur, wenn du mit einem Nachtsichtgerät jetzt hier auf meinen Stufen gesessen hättest.“

Sie sah wieder zu dem größeren Mann hinüber, ihr Gesicht glühte noch immer, doch jetzt lächelte er sie wieder breit an – wobei er seinen verlegenen Blick beibehielt - und reichte ihr die Hand – ihr war schon ganz schwindelig! Wie viel Blut konnte wohl gleichzeitig ins Gesicht schießen ohne ernsthafte Folgen nach sich zu ziehen?!

„Ich danke euch!“

Oh, Gott!!! Konnte es noch schlimmer werden??? Er zog sie jetzt direkt in seine Arme und drückte sie herzlich, mit der rechten Hand griff er nach Chrissie und teilte die Umarmung auch mit ihr. Sie starben! Ja, sie starben! – schon wieder!!! Im nächsten Augenblick ließ er die Beiden dann aber auch schon wieder los, räusperte sich etwas aufgesetzt laut und klopfte ihnen freundschaftlich auf die Schultern. Sein Lächeln war jetzt milde, erleichtert und zufrieden als er von ihnen ganz abließ.

„Wo habt ihr Belle denn gefunden?“, fragte er anschließend, um die peinlich berührte Stille wieder zu durchbrechen.

„Du stellst die Frage falsch… Belle hat uns gefunden, sie war nämlich der Meinung gewesen, sich in Ninas Schrank verstecken zu müssen.“, antwortete die Ältere, die sich jetzt – immer noch leicht rosa um die Wangen herum – die längst trockene Wange abwischte, an der sie Belle abgeschleckt hatte.

„Und dann wollten wir nicht warten sie dir wiederzugeben und haben uns gedacht, es wäre doch das Schönste, wenn sie dich im Schlaf überrascht als das du bist zum Morgen hättest warten müssen.“, erweiterte Nina.

„Also Nina fand es zumindest so am Schönsten.“

Die Dunkelhaarige zuckte vor Schreck zusammen und warf Chrissie einen ermahnenden Blick durch ihre noch geweiteten Augen und zu, ihre Lippen zu stummen Schimpfarien geformt. Ihre Freundin grinste nur und streckte ihr die Zungenspitze raus, was natürlich niemand außer Nina sah.

„Ah ja, ist das so? Na ich denke, die Überraschung ist gelungen.“, warf Hyde ein und rieb sich bei den nicht ausschließlich schönen Erinnerungen an das unerwartete Erwachen seinen malträtierten Kopf.

Zu Ninas Glück hatte niemand außer ihr die Anspielung von Chrissie wahrgenommen.

„So, dann werde ich meine kleine Ausreißerin mal mit einem schönem Fressi wieder willkommen heißen und ihr könnt ja jetzt alle schon mal wieder ins Bett gehen. Das waren aufreibende Tage und Nächte.“

Bei dem Wort >Fressi< pressten die beiden Mädchen fest ihre Lippen aufeinander um nicht aufzukreischen, es klang so herrlich putzig aus dem Mund eines Superstars, der im TV immer einen auf obercool machte und dann auch noch so eine laszive Stimme hatte. Ihre Wangen bliesen sich auf und sie starrten konzentriert zu Boden, sie wussten, ein Blick zu der jeweils anderen und sie würden wahrscheinlich prustend in die Knie gehen.

Nein, für den Rest der Nacht (und hoffentlich auch des folgenden Tages, wenn nicht gar der nächsten Wochen) hatten sie sich genug selbst erniedrigt.

„Gute Nacht wünsch ich euch noch.“

Damit war Gackt unten in der Küche verschwunden, die beiden Deutschen beruhigten sich wieder und verabschiedeten sich dann auch etwas übereilt von Hyde, der wahrscheinlich froh war wenigstens fünf Minuten Schlaf ohne Aussicht auf Schläge zu erhaschen.
 

„Mensch Nina, mein Herz rast noch total! Das war ja so was von…! Kya~h! Kreisch eben!“, quiekte Chrissie so leise wie möglich vor sich hin, während sie vom Bett aus an die Decke starrte.

Wem sagte sie das! Ninas Herz hämmerte geradezu in ihrer Brust, sie konnte es in ihrem Kopf hören und auch das Blut rauschte wild in ihren Ohren. Es klang fast wie ein Ozean. Immer wieder überkam sie Gackts Blick auf der Treppe, bei dem er so verlegen gewesen war… und nur sie wusste warum! Aber jetzt, nachdem sie sich mal wieder in eine peinliche Situation gebracht hatten, kam ihr die Erinnerung an ihr erstes unverhofftes, nächtliches Treffen mit ihrem Idol nur noch wie ein längst vergangener Traum vor… Alles in ihrem Kopf war so unecht! Machte das vielleicht die Müdigkeit, die im Verlauf der letzten Tage ja nun auch nicht gerade abgenommen hatte? Sie war ihm ganz nah gewesen… nah auf einer anderen Ebene als körperlich… Der Drang in ihr, das Geschehene mit ihrer besten Freundin zu teilen war immens, aber sie hatte es Gackt versprochen!

Und dann kam die Ernüchterung… in etwas mehr als einer Woche würde alles vorbei sein. Sie wären wieder daheim im weit entfernten Deutschland und alles was jetzt geschah und ihnen noch bevorstand würde nichts weiter sein als eine einzige Erinnerung. Wen würde es da schon interessieren, wenn sie Chrissie dann etwas davon erzählen würde? Niemanden… diese zwei Wochen würden immer nur bittersüße Erinnerungen an etwas sein, was eigentlich nur in den fantastischsten Träumen passierte.

Dann fielen ihr die Augen zu, etwas Schweres schien auf ihrer Brust zu liegen, das Atmen fiel ihr schwer und irgendwie tat ihr Herz weh. Die Erschöpfung, das musste es sein…

„Nina?“, fragte die Blauäugige in die Nacht hinein, die noch immer auf eine Gegenreaktion wartete.

Sie wartete vergeblich auf eine Antwort, Nina schlief und sie wusste, dass das im Grunde auch das Beste war, das sie jetzt auch machen konnte. Aber schlafen nachdem sie Zeuge einer so tollen, witzigen und auch niedlichen Situation ihrer beiden Lieblingsstars geworden war? Gut, sie hatten sich ein wenig blamiert… aber Hyde und Gackt hatten nicht so reagiert, als ob sie das noch groß wundern würde. Wie sie ihren Gedanken nachhing war sie erstaunt darüber, wie schnell man gegenseitig so was wie ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut hatte… und gleichzeitig ängstigte sie die Tatsache, dass sie (wahrscheinlich) bereits Donnerstag hatten. Wie schnell die Zeit verflog! Wie nah sie damit Ninas Gedanken kam konnte sie gerade nicht wissen… Mulmig war ihr aber vor allem deshalb, weil sie das Gefühl hatte, dass ihr die Zeit, in der sie Gelegenheit hatte Hyde ein paar Fragen zu stellen, die er ihr sicherlich auch beantworten würde, wenn sie taktvoll gestellt waren, durch die Finger rann. In den letzten Tagen waren sie eigentlich nur von einem Erlebnis ins Nächste gestürzt und in den nächsten Stunden stand auch schon wieder das Konzert von L’Arc~en~Ciel an…

»WAH! Das Konzert hab ich ja total vergessen!«

Unruhig zappelte sie unter ihrer Decke herum und warf einen flehenden Blick zu Nina herüber in der Hoffnung, diese würde vielleicht doch noch nicht schlafen. Vergebens.

»Na toll… jetzt brauch ich ans Schlafen gar nicht mehr zu denken…«, ging es ihr noch durch den Kopf.

Sie drehte sich auf die Seite und schloss die Augen. Sie sammelte erneut ihre Gedanken, die sich – wie sollte es auch anders sein – nur um jene Personen unweit von ihnen - zwei Zimmern weiter - drehten. Ein gewisses Grinsen überkam sie, als sie daran zurückdachte, dass Gackt Belles Liebkosungen mit Hyde verwechselt hatte, sponn sich ein paar Shônen-Ai-Gedanken zusammen und fand schlussendlich doch noch in den Schlaf.
 

Der Morgen kam wie sooft in den letzten Tagen viel zu früh, dennoch wirkten die Umstände der Unterbringung wahre Wunder bei den beiden Freundinnen, wenn es darum ging trotzdem munter zu werden und sich aus dem Bett zu pellen. Nur an diesem Morgen war es etwas anders… Nina wurde wach, im Zimmer war es hell, aber nicht so wie es an einem frühen Morgen war… eher wie um die Mittagszeit herum! Sie schnellte erschrocken hoch, lies sich aber sofort wieder auf ihr Kissen fallen!

»Oh Gott! Mir ist schlecht!«

Sie presste ihre rechte Hand auf ihren Mund, in ihrem Kopf drehte sich alles sobald sie Anstalten machte sich aufzurichten.

»Scheiß Kreislauf…!«, fluchte sie innerlich vor sich hin.

Sie überwand sich mit gekniffenem Gesichtsausdruck rappelte sich auf um dann so gut es ging in das Badezimmer zu kommen. Als die Zimmertür hinter ihr ins Schloss fiel erwachte auch Chrissie. Deren ersten Gedanken schlossen an die von letzter Nacht nahtlos an, wieder grinste sie und quiekte leise. Erst jetzt bemerkte sie, dass Nina gar nicht mehr im Raum war. Auch ihr blieb nicht verborgen, dass die Sonne an diesem Morgen anders in ihr Zimmer fiel. Ein Blick auf ihre Uhr verriet ihr auch warum.

»10 Uhr schon durch!«

„Ach du Sch… NINA!“

Mit einem Satz war die Rotblonde aus ihrem Bett gesprungen und an ihre Reisetasche gegangen um sich erstmal weitgehend wahllos frische Sachen zusammenzusuchen.

„Ninaaa~a!“, wiederholte sie noch mal laut rufend, diesmal schon etwas angenervt.

Weil Chrissie nicht durch den Flur von Gackts Haus brüllen wollte, musste sie wohl oder übel ihre Freundin stillschweigend im Badezimmer aufsuchen. Als sie dort ankam verflog ihre anfängliche Genervtheit schnell, Nina hing nämlich wie ein Schluck Wasser am Waschbecken und lies sich kaltes Wasser über die Pulsadern laufen.

„Was ist denn mit dir los?“, fragte sie erschrocken und mit einer hochgezogenen Augenbraue.

Achtlos lies sie ihre Sachen zu Boden fallen und lief auf ihre jüngere Freundin zu, die ihr kalkweißes Gesicht anhob und dabei matt lächelte. Chrissie legte ihr wortlos eine ihrer kühlen, schmalfingrigen Hände auf die Stirn.

„Ich hab’s nur grad mit dem Kreislauf… der unregelmäßige Schlaf und die viele Aufregung ständig macht mir zu schaffen… und wahrscheinlich haben wir heute länger geschlafen, als die letzten Tage.“

„Oh ja, wir haben es schon nach 10 Uhr!“, antwortete ihre Freundin aufgeregt, sie nahm ihre Hand wieder weg und tauschte sie stattdessen gegen einen nassen Waschlappen. „Ich frag mich, warum uns niemand geweckt hat und warum wir auch nichts von unserem Gastgeber und Hyde gehört haben…“, führte sie fort während sie sich weiter um die blasse Nina kümmerte.

„Das wir vor lauter Müdigkeit nichts mitbekommen haben wird wohl daran liegen, dass wir gestern Nacht lieber auf der Treppe rumgekrochen sind, als im Bett zu liegen.“, gab Nina leicht schmunzelnd zurück.

Jetzt ging wieder Chrissies typisches Grinsen über ihr Gesicht, sie starrte Nina aus funkelnden Augen an und unterdrückte wie schon in der letzten Nacht einen Quietschkrampf.

„Das war ja alles sooo~ süß! War das nicht knuffig, wie Gackt mit seiner Belle geliebäugelt hat?! Und Hyde… Haidooo~…!!! Der Arme… neben Gackt zu schlafen sollte er sich echt noch mal überlegen, ich will schließlich noch was von ihm haben!“, quiekte sie mit den Armen fuchtelnd vor sich hin.

Ihre jüngere Reisebegleitung setzte ein schiefes Lächeln auf.

„Ja, ja… von ihm – sprich seiner Stimme, oder von ihm…?“, zog sie Chrissie mit langgezogenen Tönen auf.

Diese verzog das Gesicht und rollte mit den Augen, aber dann feixte sie wieder und zuckte unschuldig mit den Schultern.

„Och na ja, ich fände beides nicht schlimm.“

Wie sie dabei unschuldig gestikulierend an ihr vorbeiblickte, begann Nina jetzt laut zu lachen. Ihr Kopf machte immer noch den Eindruck, als wäre er mit Wasser gefüllt, aber das war ja mal wieder typisch für den verrückten Rotschopf und da konnte sie nicht anders!

„Oh Süße, wenn ich das mal nicht Hyde erzählen gehe…“

„Untersteh dich! Sonst leg ich Gackt mal hier dein… äh… na dein Dings vor… ah, dein Schmierheftchen! Wäre doch mal interessant zu sehen, wie er reagiert, wenn er sieht, was du so verzapfst in deiner Freizeit!“, gab sie gekonnt zurück.

Die Dunkelhaarige richtete sich langsam auf, lächelte aber trotz Kopfschmerzen weiter belustigt.

„Hey, ich hab noch wegen deiner Aktion von gestern Nacht was gut bei dir! Oder wie war das mit dem Nina fand es am schönsten dir Belle direkt ins Zimmer zu setzen ???“

Wieder pfiff die Kleinere von beiden nur unschuldig. Nina sah sie gespielt streng an, verschränkte die Arme und lies ihren rechten Fuß immer wieder ungeduldig auftippen.

„Was denn? War doch die Wahrheit, oder nicht?“, versuchte sich die Angeklagte ebenfalls geschauspielert pikiert zu verteidigen.

Nina schwenkte ihren Zeigefinger verbietend vor den blauen Augen ihrer Freundin hin und her.

„Du bringst mich noch mal in Teufels Küche damit! Das ist oberpeinlich, was soll Gackt denn von mir denken, oder Hyde, wenn du laufend solche Anspielungen machst?“

Der spielerische Ton war verflogen, doch Nina klang nicht böse, nur etwas beschämt. Ihre Übelkeit und der Schwindel waren durch das Lachen etwas abgeflaut, anscheinend kam ihr Kreislauf jetzt langsam wieder in Schwung. Chrissie hob ihre Sachen wieder von den Fliesen auf und begann sich neben Nina umzuziehen und zu waschen.

„Mal ganz ehrlich Nina, mal abgesehen davon, dass du Gackt sowieso schon seit Jahren bewunderst und in gewisser Weise anhimmelst… wirst du nicht ein wenig zu oft rot in seiner Gegenwart?“

Es herrschte einen Moment lang Stille, bis auf das Plätschern des Wassers das Chrissie zum Waschen benutzte, sagte keine von ihnen vorerst etwas dazu. In Ninas Kopf hallte die Frage ihrer Freundin wider. Ja, es stimmte schon… Gackt war tatsächlich nicht nur über seine Musik und durch das Fernsehen eine Person, für die man ins Schwärmen geraten konnte. Nein, ganz und gar nicht!

„Er hat was an sich, dass mich irgendwie fesselt.“, begann die Dunkelhaarige schließlich.

Chrissie schob ihre Zahnbürste von einem Mundwinkel in den anderen und lauschte gespannt, während sie vor dem Spiegel ihre noch ungeordneten Haare aus dem Gesicht strich.

„Ich glaube, es ist das so Normale und Menschliche hinter seiner obercoolen Superstar-Fassade…“

„Aber davon hat man doch auch schon in einigen Videoclips etwas gemerkt.“, entgegnete Chrissie, den Mund noch voller Schaum.

„Ja, schon, aber das in echt und hautnah zu erleben ist doch was ganz anderes! Geht es dir denn mit Hyde nicht genauso? Fasziniert er dich denn gar nicht?! Beschäftigt er dich nicht, wenn du nachts schlafen gehst? Oder geht in deinem Kopf wirklich immer nur der Gedanke rum, wie krass es ist, dass wir unsere Lieblingssänger so erleben dürfen, wie wahrscheinlich kein anderer Fan außer uns?“

Das zierlichere Mädchen spülte sich den Mund aus und hielt inne. So tiefgründig waren ihre Gedanken in der Tat eigentlich eher weniger gewesen in der letzten Zeit, doch Ninas Einwurf jetzt brachte sie zum Nachdenken. Betrachtete sie Hyde noch immer mit denselben Augen, wie noch in Deutschland? Über die Antwort brauchte sie nicht lange zu grübeln…

„Natürlich nicht! Bislang waren sie für uns einfach Idole und superschnucklige Kerle, die man einfach nur gern haben muss, aber jetzt… Ich würde sagen, es fühlt sich jetzt so “echt“ an, wie als wenn wir uns daheim in Deutschland mit jemanden anfreunden würden. Es nimmt dem Ganzen diesen übertriebenen “Hype“ und trotzdem ist es ein tolles Erlebnis! Hyde scheint ein richtig netter Typ zu sein, eigentlich genau so, wie ich ihn mir immer vorgestellt habe!“

„Hmh… tja, Gackt ja prinzipiell auch, aber er hat uns bisher schon mit diversen anderen Gesichtern überrascht…“

Es war nicht so, als hätte Nina ihn nicht etwas wankelmütig und emotional eingeschätzt, aber das führte ihr vor Augen, dass er nur ein Mensch und ein Mann wie jeder andere war – er war nicht das perfekte Bild wie das aus der Öffentlichkeit, er hatte Schwächen wie jeder andere auch. Sie lächelte, die Einsicht, dass der Mensch, der ihr Leben in den letzten Jahren ziemlich geprägt- und den sie immer um seine Strebsamkeit nach Perfektion bewundert hatte, gar nicht so perfekt war, tröstete sie über ihre eigenen kleinen Unzulänglichkeiten hinweg.

POCH, POCH

Die beiden Mädchen schraken hoch.

„Enah, Nina? Seit ihr beide da drin?“, hörten sie Gackts Stimme hinter der Tür fragen.

»Ein Glück, dass wir uns auf deutsch unterhalten haben!«, ging es ihnen durch den Kopf.

„Ja, wir sind beide hier drin! Nina ging es nicht so gut, deswegen bin ich bei ihr.“, gab Chrissie zurück.

„Darf ich reinkommen?“

Sie tauschten schnell einen unsicheren Blick, Nina hätte am liebsten verneint, aber es kam ihnen unhöflich vor dem Herrn des Hauses den Zutritt zu seinem eigenen Bad zu verwehren.

„Ja.“, antwortete Chrissie schließlich.

Gackt trat ein, wie immer ein recht ansehnliches Bild. Heute mal legere in einer weiten Jeans im Used-Look und einem hellgrauen Nadelstreifenhemd, dass ohne Krawatte und nicht bis ganz oben zugeknöpft von ihm getragen wurde. Seine dunkelbraunen Haare waren wie immer etwas wilder gestylt, einzelne Strähnchen fielen über seine Augen, in denen er wie immer eigentlich blaue Kontaktlinsen trug. Das sie das nicht genau ausmachen konnte und Gackts Unrisse außerdem leicht verschwommen für ihre Augen waren, erinnerte Nina daran, dass sie ihre noch gar nicht eingesetzt hatte. Sein Blick ruhte auf ihr, sie sah es nicht, aber sie spürte das Kribbeln auf ihrer Haut, es machte sie nervös.

„Alles in Ordnung? Was hast du denn?“

„Mir war schwindelig und ein wenig übel, aber es geht dank Enahs Bemühungen schon wieder. Ich muss nur noch etwas essen und viel trinken, dann ist das gleich wieder vergessen.“

Der Sänger verschmälerte seine Augen und zog seine Stirn in Falten, Chrissie sah das im Gegensatz zu ihrer kurzsichtigen Freundin ganz genau.

„Nun, Hyde und ich haben schon vor Stunden gefrühstückt. Wir wollten euch nach dieser und den letzten Nächten nur ungern wecken.“

„Das macht doch nichts! Wir machen uns schnell selber was, das ist doch kein Problem.“, beschwichtigte Chrissie, die den Eindruck hatte, Gackt hätte deswegen ein schlechtes Gewissen ihnen gegenüber.

„Hyde ist heute schon ziemlich früh aus dem Haus gegangen, er muss zu den Proben mit seiner Band, ich soll euch aber grüßen und er freut sich schon darauf, euch später im Publikum zu sehen. Unten liegt noch etwas das ich euch geben soll, aber ihr zieht euch jetzt erstmal in Ruhe um und kommt dann runter, ja?“

Die vertraute und selbstverständliche Art und Weise wie er mit ihnen sprach erschütterte tief in ihrem Innern immer noch ein wenig ihr altes Bild von der Realität, in der Gackt und Hyde nichts weiter waren als unerreichbare Sternchen des japanischen Gesanghimmels! Sie nickten stumm und sahen dann nur noch, wie der schlanke Mann um die Ecke bog und verschwand. Chrissie drehte sich zu Nina um, die immer noch auf die leere Stelle im Türrahmen starrte.

„Da scheint ja jemand besorgt um dich zu sein. Ist das jetzt üblich, dass ihr euch so seltsam anseht?“

Überraschte grün-braune Augen trafen auf prüfend blickende Blaue.

„Hä? Was meinst du?“

Jetzt war es Chrissie, die sich mit verschränkten Armen vor ihr aufbaute.

„Du solltest eigentlich wissen, dass ich dich inzwischen lange genug kenne um zu merken, wenn etwas komisch ist. Ich meine, dass du bei Gackt regelmäßig Ohnmachtsanfällen nahe bist ist ja schon klar, seit wir hier angekommen sind, aber ich fand euch beide letzte Nacht schon eigenartig. Ist etwas passiert, als du gestern aus unserem Zimmer verschwunden bist?!“

»Mist verdammter! Sie hat es also doch gemerkt!«

Gackts kleines Weinflaschen-Depri-Missgeschick schoss ihr wieder in den Kopf und sie kam nicht umhin wieder verlegen dreinzuschauen. Das ihre energische Freundin sie dabei mit fragenden Blicken durchbohrte machte es für sie nicht gerade einfacher.

„Jetzt sag schon, denkst du, ich hab nicht gesehen, wie eigenartig Gackt drauf war, als er uns mit Hyde auf der Treppe gefunden hat? Und dann die Dankesumarmung… ich dachte du bekommst gleich Nasenbluten weil dein Kopf schon ganz rot war!“

„Da war aber nichts! Vielleicht hat Gackt nur so komisch geguckt, weil ich mal wieder diesen hässlichen Pyjama an hatte.“, winkte sie abwehrend ab.

„Meinst du den, den du jetzt auch an hast?“

„Äh… ja.“, antwortete sie erneut verunsichert.

„Deswegen guckt doch aber kein Mann verlegen! LOS, du verheimlichst mir doch was!“

In Ninas Kopf ratterte es, was sollte sie jetzt sagen? Schrecklich gerne würde sie ihr erzählen, was wirklich los war, doch das Versprechen an Gackt hinderte sie daran – zumindest solange sie noch in Japan waren. Eine Ausrede musste her, eine die erklären würde, warum sie und Gackt sich etwas seltsam verhielten. Es kam eine Idee und – oh je – sie war weder die Tollste noch Einleuchtendste, aber sie musste reichen…

„Na gut… aber es ist furchtbar peinlich…“

„Ich höre.“, gab die burschikose Rothaarige kühl zurück.

„Ich musste letzte Nacht mal wieder auf die Toilette… und ich hab vergessen die Tür abzuschließen.“

Chrissie klappte die Kinnlade runter, Nina schoss die Scharmesröte schon vorher ins Gesicht, sie ahnte, was sich ihr Gegenüber gerade bildlich vorstellte.

„Nee! Sag jetzt nur, er hat dich erwischt!“

Ihre Mundwinkel zuckten, gleich würde sie lauthals zu lachen beginnen. Ninas Kopf rauchte, das war definitiv die peinlichste Notlüge aller Zeiten!

„Rate mal… was glaubst du denn, weswegen er und ich gestern nach der Belle-Geschichte so verlegen waren? Da war es ja noch gar nicht so lange her…“

»Bitte, bitte kauf mir diese dämliche Story ab!«

Wie erwartet begann Chrissie zu lachen.

„Na zu deinem Glück scheint er das heute Morgen schon wieder verdrängt zu haben. Ich glaube nicht das er so besorgt geguckt hat, weil er sich um deine Toilettengänge Gedanken macht.“

Sie lachte weiter, diesmal sogar noch lauter. Ihr eigener Scherz schien ihr mehr zu gefallen als Nina, die am liebsten im Boden versinken wollte.

„Sehr schön, dass wenigstens du deine Freude an dieser Geschichte hast. Ich weiß ja nicht, was du jetzt machst, aber ich werde mir jetzt neue Klamotten holen, mich dann auch mal langsam waschen und anschließend essen… ich kippe gleich wieder aus den Latschen.“

„Ja mach das, ich mach derweilen meine Haare hier fertig, bei der Hitze kann ich die unmöglich offen lassen!“

Sie wand sich direkt ihrem Spiegelbild zu und zückte eine Bürste, Nina lies sie kopfschüttelnd zurück.

»Na wenigstens hat sie mir geglaubt… aber irgendwie muss ich es fertig bringen Gackt unter vier Augen zusprechen. Nicht, dass es irgendwann noch ein Missverständnis deswegen gibt!«

In ihrem Zimmer an ihrer Reisetasche angekommen überlegte sie nun, was sie heute anziehen sollte… hätte sie daheim in Deutschland gewusst, dass sie Gackt und Hyde über den Weg laufen würden, dann hätte sie mehr schickere als zweckmäßige Sachen eingepackt. Schlussendlich entschied sie sich für eine dunkelblaue Stretch-Jeans, die kurz unter den Knien in einem fransigen Rand endete und dazu eine kurzärmlige, beerenfarbene Tunika aus leicht transparentem, gecrashten Chiffon. Darunter trug sie einen dunkelroten BH, damit man ihr auch ja nichts abgucken konnte. Die türkisen Verschnörkelungen auf dem beerigen Untergrund passten gut zu den aufgestickten Schmetterlingen auf ihren hinteren Hosentaschen. Mit Waschzeug, Bürste und Kontaktlinsen bewaffnet gesellte sie sich wieder zu Chrissie, die gerade mit ihrer Hochsteckfrisur fertig geworden war.
 

Etwa eine halbe Stunde später war auch Nina fertig, mit Chrissies Hilfe trug sie nun einen französisch geflochtenen Zopf.

„Was macht dein Kreislauf?“, erkundigte sie sich bei Nina, während sie die Stufen zur Küche hinunter gingen.

„Geht so, ich muss essen, dann ist wieder alles gut!“

Wie sie den Satz beendete und um die Ecke bog, blieb sie auf einmal so ruckartig stehen, dass Chrissie sie ausversehen anrempelte, aber sie beklagte sich nicht, denn sie sah sogleich den Grund für Ninas abruptes Verharren. Der Tisch war gedeckt und es roch nach Eierkuchen. Der eigentliche Grund war aber Gackt, der wahrhaftig in einer Schürze am Herd stand und mit einer Pfanne und Heber bewaffnet zu Gange war. Ein zweiter Blick musterte das kleine Chaos um ihn herum. Was auch immer er da genau machte, er hatte dabei eine kleine Schweinerei angerichtet. Chrissie räusperte sich lautstark.

„Ich hab euch schon gehört, setzt euch doch, ich bin gleich fertig.“, sagte der kochende Sänger in Schürze ohne aufzusehen.

„Chrissie kneif mich.“, flüsterte Nina ungläubig und noch immer auf Gackts Rücken starrend.

„Lieber nicht, beim letzen Mal fandest du die Idee hinterher nicht mehr so toll.“

Stumm und ebenfalls weiterhin auf Gackt fixiert schlichen sie sich zu den Stühlen und setzten sich. Jetzt konnten sie mehr von ihrem Gastgeber erkennen, seine Schürze war sauber, also musste tatsächlich etwas von einem Koch in ihm stecken.

„Ich hoffe, ihr mögt Pancakes. Ich hab sie extra nach Rezept für euch gemacht.“

Die beiden Mädchen warfen sich ungläubige Blicke zu – warum in aller Welt kochte Gackt für sie? Gackt –> Hallo?! Ein Teller schwang in die Mitte des Tisches auf dem fein säuberlich mehrere Schichten mit amerikanischen Eierkuchen aufgestapelt waren. So fasziniert wie sie den Teller anstarrten, sahen sie dann auch auf zu ihrem vermeintlichen Koch. Dieser lächelte etwas verlegen, vor allem aber fand er ihre Gesichter einfach überaus witzig.

„Jetzt schaut nicht so. Ihr habt noch was gut bei mir, schließlich ist Belle durch euch wieder da. Als kleines Dankeschön auch für eure Mühe in den letzten Tagen hab ich mir gedacht, dass ich euch schnell etwas zum Essen machen könnte. Etwas, dass auch für einen geschwächten Kreislauf eine gute Sache wäre.“

Er zwinkerte Nina lächelnd zu, sie wand den Blick errötend ab und sah sich nach einem nahegelegenen Loch im Boden um.

„Gackt, wenn du so weiter machst erholt sich Nina bald gar nicht mehr von ihren Kreislaufattacken.“

Er lachte, schien aber nicht wirklich zu begreifen, wie Chrissie das gemeint hatte.

„Na dann, esst doch bitte und lasst mich wissen, ob es geschmeckt hat. Ich muss mich fertig machen und dann auch los – ihr wisst ja, dass ich euch hier nicht alleine lassen kann…“

„Klar, wir drücken uns dann ein wenig in der Stadt rum und machen uns dann auf zum Konzert… Äh, oh MIST! Bekommen wir denn überhaupt noch Karten dafür?“

Vollkommen erschüttert lies Chrissie ihre aufgespießten Pancakes wieder auf den Haufen zurückfallen. Doch noch bevor ihr Nina entsetzt antworten konnte, übernahm das Gackt für sie.

„Da fällt mir wieder ein, dass ich euch doch etwas von Hyde geben soll.“

Er verschwand kurz im Flur, als er wiederkam hatte er die weiße Schütze über seinen rechten Arm gehangen und hielt in der linken Hand einen Zettel. Diesen hielt er der rotblonden Frau hin, die ihn etwas verwirrt annahm und auseinander faltete.

„Hyde wusste, dass ihr keine Karten mehr bekommen würdet, also hat er euch eine Art Pass geschrieben, damit ihr trotzdem mit in die Halle kommt. Als VIP-Gäste sozusagen“

Ohne aufzusehen starrte Chrissie auf den Zettel in ihrer Hand, der mit Hydes Unterschrift abgesegnet war. Nina starrte dafür sie verblüfft an.

„Ich glaub, das ist zu viel des Guten für diesen Morgen… ich glaub, jetzt macht mir mein Kreislauf zu schaffen.“

Tatsächlich wechselte Chrissies Gesichtsfarbe mehrmals zwischen freudig erregt rot und vor Schreck ganz weiß. Ihre jüngere Freundin klatschte schließlich vor lauter Freude und Begeisterung die Hände vor ihrem Gesicht zusammen und stieß einen Freudenschrei aus.

„Kyah! Wie geil ist das denn?! Süße, wir sehen heute Laruku live!!!“

Endlich begannen auch Chrissies himmelblaue Augen zu strahlen. Für einen Augenblick hatten sie Gackt, der ihnen interessiert zuschaute, ganz vergessen. Als er schmunzelnd zu räuspern begann, wurden die zwei Mädchen wieder ganz ruhig und blickten peinlich berührt auf ihre Teller, die immer noch darauf warteten mit Pancakes befüllt zu werden.

„Guten Appetit.“, wünschte er ihnen noch und dann verschwand er wieder um sich wie angekündigt fertig zu machen.
 

Die Eierkuchen dufteten und schmeckten auch erwartungsgemäß gut. Die gesamte Zeit in der sie aßen sprachen sie kein Wort, den Freudentaumel und die Quietschanfälle hoben sie sich lieber für einen Zeitpunkt auf, an dem sie nicht gerade in Gegenwart von Gackt oder einem anderen Superstar waren.

„Ich wäre dann soweit.“

Gerade wenn man für einen Moment so tun konnte, als ob man nicht in seinen heiligen vier Wänden war, tauchte er wieder auf. Und wie er auftauchte! Eigentlich hatte sich an seinem Äußeren nichts getan, außer das ihn der Duft von Platinum Egoiste umhüllte und er Haare und Make Up noch mal in Form gebracht hatte.

„Klar, wir sind fertig. Nur unsere Handtaschen müssen wir noch schnell holen.“, antwortete Nina.

Die Stühle scharrten über den Boden als sie aufstanden. Chrissie nahm schon die ersten Stufen hinauf in ihr gemeinsames Zimmer, als Nina die Gelegenheit erkannte Gackt einzuweihen, dass sie ihrer Freundin eine Notlüge aufgetischt hatte um ihre nächtliche Begegnung geheim zu halten.

„Ähm, Chrissie bringst du mir meine Tasche vielleicht mit?“

Schon fast oben drehte sich diese fragend um, doch Nina nickte ihr nur zu und hoffte, dass sie jetzt keinen Kommentar oder Widerworte abgeben würde. Tatsächlich sagte Chrissie nichts, aber sie warf ihr einen Blick zu, der sie verstehen lies, dass das noch hinterher besprochen wurde. Schließlich musste Nina ja einen Grund dafür haben unten zu bleiben. Gackt ahnte noch nichts, er wunderte sich nur, dass er jetzt mit der dunkelhaarigen Frau allein zurückgelassen wurde.

„Ich muss mit dir kurz etwas versprechen, wenn es dir nichts ausmacht.“

Er, der neben ihr stand, betrachtete sie jetzt ganz genau und hörte ihr zu. Nina musste einen Anflug von Kribbeln im Bauch herunterschlucken.

„Enah hat mitbekommen, dass ich letzte Nacht mal nicht im Zimmer gewesen bin, bevor wir Belle gefunden haben. Sie hat mich gefragt was los sei, weil sie bemerkt hat, dass wir uns… na ja, etwas auffällig verhalten.“

Bei ihren letzten Worten konnte sie nicht verhindern, dass ihr Herz schneller schlug, denn auch wenn es um etwas Harmlosen ging, klang es – so wie sie es ausgedrückt hatte – nach etwas Pikanterem. Ihr Gesprächspartner zog die Stirn nachdenklich in Falten, fuhr sich mit einem Finger unter der Nase entlang und prüfte im Augenwinkel noch mal, ob Chrissie auch noch nicht zu sehen war.

„Hast du ihr davon erzählt?“

Seine Stimme war ernst, etwas Sorge klang durch sie hindurch, doch sie schüttelte direkt den Kopf und er konnte innerlich aufatmen.

„Ich hab dir doch gesagt, wenn es nach mir geht hab ich gestern Abend nichts gesehen, wir hatten keine Diskussion und es gab auch kein kleines Missgeschick.“

Diese Worte kamen ihr leichtfertig und sogar etwas zynisch über die Lippen, darüber zu sprechen und das mit ihm zu tun, erleichterte sie irgendwie. Sie konnte Gackt dabei sogar direkt in die Augen sehen und etwas keck lächeln. Die verklemmte Stimmung war wie weggewischt, ihre offene Art machte auch ihm den Umgang mit ihr direkt wieder leichter. Er sah es an ihrem entspannten Gesichtsausdruck. Er hatte schon geglaubt, sie würde ihn gar nicht mehr ansehen ohne dabei beklommen oder verlegen zu wirken. Ihm ging es genauso.

„Schon komisch, es war erst letzte Nacht, aber es kommt mir vor, als wäre es schon viel länger her.“

Sie sprach ihm aus der Seele! Oben klapperte die Tür, Nina beeilte sich und flüsterte ihm schnell zu.

„Was ich eigentlich sagen wollte, ich musste ihr eine Notlüge auftischen…“, auf seinen fragenden Blick hin schüttelte sie nur schnell ihren Kopf, „frag nicht, sagen wir einfach, ich hab mich dafür etwas lächerlich machen müssen. Sollte sie also mal eine Anspielung auf Toiletten machen, lach drüber!“

Ehe er ihr verwirrt und perplex etwas antworten konnte, war Nina auch schon einen Meter weiter gehuscht um sich ihre Schuhe anziehen zu gehen. Genau in diesem Moment kam auch Chrissie mit den Taschen die Treppe herunter.

„Hab ich was verpasst?“, fragte sie Gackt, der noch etwas überfahren am Fuß der Treppe stand.

„Nein… gar nicht. Nina hat mich nur gefragt, ob ich ihr vielleicht sagen kann, wie man von hier aus ohne Auto in die Stadt zur Halle kommt.“

Er schüttelte seine Verwirrung ab und setzte seine coole Fassade auf, damit Chrissie auch ja nicht misstrauisch wurde.

„Aber ich hab doch einen Plan dabei?“

Gackt zuckte mit den Schultern, da rief auch schon Nina nach ihrer besten Freundin.

„Ich dachte, es kann ja nicht schaden wenn man mal fragt.“

Chrissie lief mit Gackt als Verfolger zur Haustür, May kam hinzu und strich ihnen um die Beine als wollte sie einen dazu überreden doch zu bleiben um sie zu kraulen.

„Wo hast du denn Belle wieder gelassen?“, fragte Chrissie, die sich nicht daran erinnern konnte die sonst so präsente Hündin an diesem Morgen schon in irgendeiner Weise bemerkt zu haben.

„Sie ist wahrscheinlich oben im Schlafzimmer und schläft auf dem Bett. Sie hat letzte Nacht noch Unmengen Futter verdrückt und war dann so aufgekratzt, dass ich noch ewig nicht zum Schlafen kam.“

Er kramte in einer seiner aufgehängten Jacken herum und zog schließlich aus einer Seitentasche eine Schachtel Zigarillos und ein Feuerzeug. Er schüttelte leicht den Kopf als er an seinen Hund dachte, dann sprach er weiter.

„Heute Morgen war ich dann ausgiebig mit ihr draußen, sie wird erschöpft sein und ist deswegen jetzt so ruhig.“

Als er und Chrissie ihre Schuhe angezogen hatten, verließen sie das Haus. Ein leises Aufstöhnen entkam den Mädchen, denn eine Wand aus Hitze tat sich vor ihnen auf. Prall und unbarmherzig brannte die Mittagssonne auf sie hernieder.

„Na nur gut, dass ich Sonnencreme und meinen Hut mitgenommen habe.“

Aus ihrer Handtasche zog Chrissie einen weißen, schlichten Sonnenhut. Jetzt erst fiel Nina auf, dass ihre Freundin dieselbe kurze Leinenhose vom Vortag trug und dazu ein rosafarbenes Trägertop mit dünnen Spagettiträgern. Die größere von Beiden wand sich wieder ihrem Lieblingssänger zu.

„Darf ich fragen was genau du heute machst?“

Gackt pustete gerade eine blaue Wolke Zigarettendunst aus und obwohl sie diesen Rauch gar nicht vertrug, kam sie nicht drum herum die Art wie er seinen Zigarillo hielt als sehr anmutig und cool zu empfinden.

„Abschlussbesprechung mit dem Team, außerdem muss ich mit dem Produktionsteam der Final-DVD reden. Wir werden uns wahrscheinlich auch gemeinsam einiges an Filmmaterial ansehen… es wird ziemlich spät werden ehe ich wieder hier bin, aber da ihr ja auf dem Konzert seid, wird das kein Problem sein. Ich bin pünktlich wieder hier.“

„Wo ist denn hier die nächste Bushaltestelle oder so was in der Art?“, unterbrach die Rothaarige das Gespräch, die gerade dabei war ihren aufgefalteten Plan zu lesen.

„Nein, eigentlich weiß ich ja nicht mal, wo wir genau sind! Als du uns Samstag hergefahren hast, haben wir im Auto geschlafen!“, stellte sie fest und sah in die Runde.

Der unverschämt gutaussehende Sänger machte nur eine lässige Handbewegung und nahm seinen letzten Zug, er lächelte dabei gönnerhaft.

„Tja, was seid ihr auch so leichtgläubig und lasst euch von einem wildfremden Mann im Auto in eine unbekannte Gegend entführen?“, zog er sie verspottend auf.

„Ich glaube, jeder Fan von dir würde sich sofort und ohne Nachfrage von dir entführen lassen ohne zu wissen, wohin die Reise geht.“, konterte Chrissie und sah dabei mindestens genauso überheblich aus wie er.

Nina kicherte leise im Hintergrund. Entführen klang so, als hätte er sie vor fünf Tagen gezwungen einzusteigen und irgendwo war da ja auch etwas dran, schließlich hatten sie beide darauf bestanden, dass das eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit war und sie wirklich nur mitkommen würden, wenn er nichts dagegen hätte. Na gut, vielleicht war da doch ein wenig falsche Bescheidenheit im Spiel gewesen… Aber wirklich nur wenig!

„So, genug der Entführungstheorien! Wie kommen wir von hier denn nun zur Konzerthalle in Kyoto zurück?“

Mit einem ausgelassenen Sprung nach vorne hakte sie sich bei ihrer kleineren Freundin ein und grinste Gackt ins Gesicht. Es war ein tolles Gefühl wieder so ausgelassen mit ihm zu reden! Er machte sich nicht die Mühe sich umzudrehen, sondern deutete mit dem Daumen seiner rechten Hand hinter sich auf das Auto in der Auffahrt, mit dem er sie schon einmal chauffiert hatte.

„Ganz einfach, lasst euch einfach noch mal von mir freiwillig entführen.“

Und da war es wieder, dieses süße und umwerfende Lächeln, siegessicher so als könnte keine Frau der Welt nein zu ihm sagen! So wie er da stand konnten sich Chrissie und Nina aber auch nicht im Geringsten vorstellen, dass ihm irgendeine andere Frau auf der Welt einen Korb gegeben hätte!

„Na gut, wir haben deine Kochkünste überlebt, also werden wir auch deinen Fahrstil überleben!“, entgegnete Chrissie und lies ihre spitze Bemerkung zum Thema Kochen ganz beiläufig klingen.

Der Koch des Tages griff sich in den Nacken und konnte nur wieder amüsiert den Kopf schütteln. Die Ältere lief vor, Nina dicht hinter ihr, doch sie hielt kurz inne, als sie an Gackt vorbei lief.

“Nein wirklich, das Essen war lecker und meine Kreislaufprobleme sind auch weg.“

Gackt erwischte sich dabei, wie ihm das schmeichelte und wendete den Blick verlegen lächelnd ab. Nina sah das jedoch nicht, sie war schon weiter zu ihrer Freundin vorgelaufen.
 

Die Autofahrt dauerte gar nicht so lange wie sie zuerst gedacht hatten. An ihrem ersten Abend in Japan kam es ihnen länger vor, aber sie waren da wahrscheinlich vom Jet leg und dem Konzert einfach zu fertig. Gackt fuhr in einer unauffälligen Seitenstraße unweit der Konzerthalle an die Seite und lies die beiden jungen Frauen aussteigen.

„Ähm, ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber wie kommen wir nachher wieder zurück?“, fragte Chrissie ehe sie die Autotür zuwarf.

„Das kläre ich noch mit Hyde, macht euch darum mal keine Gedanken. Im Zweifelsfall wartet ihr einfach wieder vor die Halle, irgendjemand wird euch bestimmt mitnehmen.“, scherzte er und die Mädchen stimmten mit ein in sein Lachen.

„Ach, bevor ich es vergesse… Könnt ihr mir eure Handynummern geben? Sollte doch etwas sein, erreiche ich euch wenigstens.“

Sie tauschten kurze, aufgeregte Blicke, zückten dann aber hektisch ihre Handys. Gackt tat es ihnen gleich und speicherte anschließend beide Nummern ein.

„Tut mir leid, meine Nummer kann ich euch natürlich nicht geben und sie wird auch unterdrückt angezeigt werden, wenn ich euch kontaktieren sollte.“

„Natürlich ist uns das klar! Wir könnten ja zwei Verrückte sein, die deine Nummer mal eben ins Netzt stellen…“, entgegnete Nina und klappte belustigt von der Vorstellung ihr Handy wieder zu.

„Wir sehen uns!“, sagte er zum Abschied und machte mit zwei Fingern seine typische Abschiedsgeste, seine beiden Fans machten es ihm nach und dann fuhr er auch schon los.

Kaum das er außer Sichtweite war, fiel Nina Chrissie kreischend um den Hals.

„Wa~iii!!! Das ist alles so toll! Wir sind hier, in Japan, wir haben Gackt gesehen… wir WOHNEN bei ihm!“

Umgeknuddelt und halb erstickend stimmte ihre Freundin in den Freudenanfall mit ein.

„Und wir haben Haido getroffen! Wir haben ihn fast halbnackt mit Gackt rumzicken gesehen! Wir haben uns mit ihnen unterhalten und jetzt sehen wir ihn gleich mit Laruku in Aktion!!! Nya~“

Das musste raus, so normal der Umgang mit ihren Idolen inzwischen auch geworden war, sie waren einfach völlig von ihrem Glück überwältigt, von den vielen Ereignissen geflasht und kamen aus dem Schwärmen einfach nicht mehr heraus! Es kribbelte überall vor Aufregung, dieses überwältigende Gefühl lauerte immerzu auf sie, wenn sie allein und unter sich waren und Zeit fanden sich darüber klar zu werden, was da eigentlich Unglaubliches mit ihnen passierte. Würde das auch irgendwann einmal nachlassen?

„Ach Nina, ich bin so happy, ich blieb am besten gleich ganz hier in Japan.“

Ein seeliges Grinsen lag auf dem schmalen, blasshäutigen Gesicht, ihre Augen starrten ins Leere. Nina versetzte es einen kleinen Stich.

„Das wäre schön… aber wir sollten überglücklich mit dem sein, was wir jetzt haben. Selbst wenn wir hierblieben könnten, wir dürften und könnten ja auf keinen Fall ewig bei Gackt wohnen bleiben.“

Chrissie verdrehte die Augen.

„Meine Güte bist du ein Spielverderber! Lass uns doch wenigstens davon träumen! Was ist schon dabei sich das vorzustellen?“

„Ganz einfach, wir gehören hier nicht her… wir haben unser Leben in Deutschland und das ist weit, weit weg… und ich will nicht in knapp einer Woche am Flughafen stehen und heulen weil ich das Gefühl habe, ich hätte etwas verloren…“

Das Herz der Älteren zog sich bei den Worten ihrer Freundin zusammen, sie versuchte sich vorzustellen wie es werden würde, wenn der Abschied von diesem faszinierenden Land kam und sie auch ihren Lieblingsstars Lebewohl sagen mussten. Energisch schüttelte sie diesen gemeinen Gedanken ab uns sah ihrem betrübten Gegenüber streng in die Augen.

„Ich will aber nicht an die Zukunft denken, auch nicht, wenn sie uns schon in acht Tagen einholt! Wir sind JETZT hier und ich würde es bereuen, wenn ich mich mit meinen Träumen und Gedanken zurückhalten würde und mir Dinge entgehen lasse, die ich niemals nachholen kann.“

Nina dachte über diese Worte nach und wusste genau was Chrissie damit meinte – sie selbst spürte ja, dass es ihr kaum bis gar nicht gelang ihre Begeisterung in Zaum zu halten. Im Gegensatz zu ihrer grad so positiv gestimmten Freundin wusste sie aber wie es sich anfühlte, wenn man von etwas loslassen musste, dass einem sehr ans Herz gewachsen war.

„Gut, wenn du meinst… aber versprich mir mal was, lass uns einen Pakt schließen!“

„Hä? Einen Pakt?“

Nina griff nach den Händen Chrissies und umschloss sie fest.

„Ja, Pakt! Alles ist erlaubt, Spaß haben, ausgelassen sein und rumschwärmen.“

„Aber?“

„Es darf nicht über Sympathie und Freundschaft hinausgehen!“

STILLE

„Wie jetzt? Zwischen uns beiden, oder was?!“, hinterfragte Chirssie gespielt geschockt.

Nina traf ein imaginärer Amboss.

NEIN du Dummchen! Ich meinte von uns aus den beiden Kerlen gegenüber darf sich auf keinen Fall mehr entwickeln als das, was wir jetzt haben!“

Ein Klapps auf den Hinterkopf traf die Größere unsanft.

„Na hör mal Nina! Erstens sind die beiden plus/minus fünfzehn Jahre älter als wir, zweitens ist Hyde ein verheirateter Familienvater und drittens ist das eigentlich das Dämlichste und Unvernünftigste, was uns passieren könnte!“, wehrte sich Chrissie und sie klang so, als wäre sie von ihrer Standfestigkeit bis in die Grundtiefen überzeugt.

„Dann ist ja gut. Ich mein ja nur… manchmal ist es passiert bevor man es gemerkt hat.“

Sie zog ihre Hände wieder ein, atmete einmal tief ein und aus und dann konnte sie auch wieder über sich selbst schmunzeln. Ja, sie war tatsächlich albern.

„So, wir sollten uns jetzt langsam mal überlegen, was wir jetzt machen wollen ehe der Einlass beginnt. Wir haben noch massig Zeit und ich habe nicht vor die hier draußen in der Hitze zu verbringen!“

Sie liefen ein wenig herum und schauten, wo sie genau waren. Schon am Ende der Seitenstraßen konnten sie den U-Bahnhof sehen, unweit von der Halle in der sie schon Gackt zugejubelt hatten. Das große Plakat war gegen eines von L’Arc~en~Ciel getauscht worden. Chrissie zückte ihre Digitalkamera und machte ein Foto davon, von Nina lies sie eines machen, auf dem sie sogar mit im Bild war.

„Was hältst du davon, wenn wir ein wenig bummeln gehen würden? Einfach mal gucken was es so für Geschäfte hier gibt und vielleicht mal ein paar Klamotten anprobieren?“

„Aber wir haben doch gar kein Geld für so was!“

„Nina, das weiß ich auch! Aber wir haben die Kamera, also warum nicht ein paar Bilder davon machen? Vielleicht inspiriert dich das ja künstlerisch ein wenig? Zeichnerisch eventuell?“, sagte sie zwinkernd.

„Glaub mir, ich bin genug inspiriert für die nächsten Monate, wenn nicht gar Jahre… daheim werde ich erstmal anfangen alles aufzuschreiben, was wir hier erlebt haben. Das wird eine Menge Arbeit, aber ich will etwas haben, dass uns immer wieder ganz genau in Erinnerung rufen kann, was alles passiert ist.“

„Sehr gute Idee, so, jetzt komm! Ich will bummeln!“
 

Gemeinsam und frohen Mutes machten sie sich auf die Suche nach so etwas wie einer Einkaufspassage. Da die Konzerthalle hier stand würde ein Shopping-Center, wo man derlei Bedürfnisse befriedigen konnte, wohl nicht weit sein. Gegenüber der Querstraße an der die Halle stand, verlief parallel zur U-Bahn eine gut befüllte Hauptstraße, auf der sie es zuerst versuchen wollten. Überall um sie herum waren natürlich Japaner in Massen wohin man auch sah, aber wo so viele auf ein Mal waren, musste es etwas zum Shoppen geben! Sie folgten dem menschlichen Strom nicht lange, bis sie schließlich an einer Abzweigung der Hauptstraße ein großes Einkaufcenter entdecken, dessen Werbeschilder kaufwütigen Frauen Großes versprachen.

„Ich denke, hier sind wir richtig!“, stellte Nina freudig fest und drängte sich durch die Leute hindurch, die bereits mit prall gefüllten Einkaufstüten aus dem Gebäude durch die Drehtüren hindurch strömten.

In dem Center waren die verschiedenen Etagen als eine Galerie aufgebaut, man konnte also bis nach oben, bzw. nach unten sehen, wenn man an den Geschäften vorbei lief. Chrissie hielt ihre rechte Hand über die Augen.

„Oh ja, das ist hoch…“

Sie sah hinauf bis zur gläsernen Kuppel, durch die das Sonnenlicht strahlte wie ein überdimensionaler Kronleuchter.

„Zum Glück gibt es hier drin eine Klimaanlage.“, fügte sie noch hinzu.

„Ok, und wo möchtest du gerne anfangen?“

„Was für eine Frage! Wir gucken uns einfach erstmal alles von außen an und wenn uns ein Laden näher interessiert gehen wir rein.“

Und schon packte sie ihre größere Begleiterin am Handgelenk und zog sie hinter sich her zu den ersten Schaufenstern. Es stellte sich schnell für die beiden deutschen Touristinnen heraus, dass sie praktisch an keinem Laden vorbei gehen konnten, in dem es typisch japanische Mode gab! Schmachtend, quiekend und staunend sprangen sie vor den bunten Schaufenstern herum, gingen in die Läden und suchten sich selber ein paar Outfits zusammen. Etwas ernüchternd war die Tatsache, dass einige Läden Größen führten, die sich mit den deutschen nicht unbedingt 1 zu 1 deckten. Ehe sie ihre ausgesuchten Kleidungsstücke auch in der passenden Größe gefunden hatten, war viel Zeit vergangen oder sie waren vorher schon 3x mal und öfter verbittert wieder aus einer zu kleinen Größe ausgestiegen.

„Ey… ich bin schon weder groß noch breit, trotzdem vergreif ich mich immer wieder in der Größe! Was haben die Japanerinnen nur für einen Körperbau?!“, meckerte Chrissie, die schon zum unzähligsten Male einen Stapel Kleidung zurückhängte, weil ihr das Meiste zu klein war.

„Frag mich mal… ich hab fast das Gefühl, dass kein Modedesigner Japans mit meiner Hüfte und meinen Beinen gerechnet hat… in Deutschland hab ich wenigstens so was wie Hosengröße 38 mit ein bisschen Stretch, aber hier ist es wahrscheinlich so was wie XXL…“

Betrübt und mit angeknackstem Selbstwertgefühl hing auch sie ein paar Hosen zurück, die zwar superklasse aussahen, aber nach eigener Aussage wohl an ihren weiblichen Formen gescheitert waren.

„Nur XXL? Nicht vielleicht doch XXXL?“, zog sie ihre freche Begleiterin auf.

„Mach nur weiter so, dieser Laden hier hat sowieso schon geschafft, dass ich mich wie ein Wahlross fühle…“

„Na jetzt übertreib mal nicht, wir suchen uns einfach einen anderen Laden. Der hier ist vielleicht einfach für Striche in der Landschaft gemacht. So wie bei uns Pimkie oder Orsay, da hat man auch Schwierigkeiten Größen über 0 und XS zu finden.“

Recht hatte sie! Sie beide waren weit davon entfernt dick oder pummelig zu sein, also gingen sie schon wieder etwas heiterer einfach wieder zum Schaufensterbummel über. Nach einer weiteren dreiviertel Stunde bekamen sie langsam ernsthaften Hunger und machten an einem Imbiss Halt, an dem man sich Okonomiyaki bestellen konnte. Gespannt sahen sie zu, wie der Koch mit gekonnten Handgriffen den klebrigen Weißkohlteig auf der großflächigen Teflonplatte verarbeitete und wie nach und nach durch ihre ausgesuchten Beläge daraus japanische Pizzen wurden. Für sie war klar, dass die Okonomiyaki mit Pizza eigentlich gar nichts gemeinsam hatte… aber ihr Essen schmeckte ihnen und sie waren froh in ihrem Urlaub endlich mal wieder etwas Normales zu tun. So wie sie es getan hätten, wenn sie nicht durch Gotteshand bei Gackt gelandet wären.

„Gug ma, da isch ’n Lad’n, de schiet gud us!“, nuschelte Nina mit vollem Mund, während sie beide auf einer Bank in der Mitte der Galerie saßen um in Ruhe zu essen.

„Beiß noch mal ab, Nina. Dann versteht ich dich bei dem Gewusel hier noch ein bisschen schlechter.“

Angestrengt kaute die Dunkelhaarige ihren großen Bissen hinunter.

„Schau, da oben im ersten Obergeschoss, da ist so eine helle Leuchtreklame, dass sieht aus wie ein C&A! Lass uns doch einfach mal nach oben gehen und da ein bisschen rumgucken!“

Chrissie folgte Ninas ausgestrecktem Finger und konnte so halb über die Brüstung schauen und erahnen, was sie als ein C&A erkennen zu glaubte.

„Na dann komm.“, antwortete sie schließlich und schwang sich mit ihrer Tasche von der Bank hoch.

Mit dem (natürlich überfüllten) Lift ging es für sie eine Etage höher. Sie warfen einen Blick über die übersichtliche Galerie und tatsächlich hatte sich Nina nicht geirrt! Da war ein C&A so wie sie es aus Deutschland kannten und es erstreckte sich sogar noch bis in das 2. Obergeschoss.

„Na wenn wir da keine Klamotten in unseren Größen bekommen, mach ich ab morgen eine Nulldiät.“

„Das kannst du vergessen! Du bist eh schon so zierlich, da muss du nicht noch mehr abnehmen!“, mahnte sie Nina, die bestätigend Chrissies schmale Figur musterte und dabei ernst nickte.

Mit den Augen rollend ging die Schmalere von ihnen einfach schon mal voran. Wie erhofft war das Sortiment in dem Laden vom Stil her der Nation angepasst und so kamen sie doch noch in den Genuss in vielfältige, ausgefallene Sachen zu schlüpfen und sich dann in diversen Posen gegenseitig zu fotografieren. Das C&A führte Oberteile und Hosen in den verschiedensten Schnitten, in den grellsten Farben und mit den unterschiedlichsten Mustern – mutig testeten Chrissie und Nina von allem etwas durch, von auffällig bis schlicht. Auch Hosen und Röcke gab es in Hülle und Fülle, passend dazu Strumpfhosen in ausgeflippten Musterungen und sogar Schuhe, die mit Sohlen oder Hacken aufwarteten, dass man dafür einen Waffenschein brauchte! Obwohl sich beide Mädchen in den bunten, extravaganten Outfits recht gut gefielen und lachend ihre Fotos schossen, waren ihre Lieblingskleidungsstücke die Schlichten, in ruhigen Farben und klassischen Schnitten. Darunter waren Oberteile, die aussahen wie eine Kombination aus Yukata oder Kimono und Tunika. Breiter Brokat mit typisch asiatischem Muster wie große Blumen, Kirschblüten und Schriftzeichen war als Gürtel und auch oft als Saum verarbeitet worden. Dazu gab es schöne Röcke, die meistens Asymmetrisch geschnitten waren und mit Farbkontrasten wie schwarz/rot und raffinierten, versteckten Highlights Eindruck machten. Nur schweren Herzens hingen sie diese schönen Sachen wieder zurück, aber wer auf ein L’Arc~en~Ciel Konzert wollte musste eben sparsam sein!

„Wollen wir mal gucken gehen, was im oberen Bereich so zu finden ist? Vielleicht mal aus purem Interesse schauen, was in Japan so für Unterwäsche modern ist?“

„Wieso? Hast du vor damit jemanden zu verführen?“

Obwohl kein Hintergedanke in Ninas Frage gewesen war, wurde sie prompt etwas rot um die Nasenspitze, als Chrissie sie mit ihrem typisch bohrendem Blick und dem schelmischen Grinsen ansah.

„Kannst du nicht einfach mal dein kleines, krankes und zweideutig denkendes Gehirn abschalten? Ich wollte doch nur gucken!“

„Ich weiß gar nicht, was du hast, dass du dich so künstlich aufregst, ich hab dir doch gar nichts unterstellt, sondern dich nur was gefragt.“, gab sie belustigt und unschuldig guckend zurück.

„Oh Chrissie… der Tag wird einst kommen und meine Rache wird furchtbar sein!“, drohte ihr Nina mit einer hochgehaltenen Faust.

Amüsiert nahmen sie beide die Rolltreppe nach oben und steuerten zielsicher die Unterwäscheabteilung an.

„Schau mal Ninchen, die haben hier auch ganz hübsche Nachthemden… hast du nicht gesagt, dein Pyjama wäre dir zu hässlich?“, rief sie ihre Freundin herbei.

„Hast du mich grad Ninchen genannt?“, fragte diese leicht empört, betrachtete aber dann auch die schönen Stücke, deren Stoff Chrissie gerade prüfend befühlte.

„Schau mal, die sind auch gar nicht so teuer. Willst du nicht mal ein paar davon anprobieren?“, überging sie einfach Ninas Einwurf.

Diese warf ihr einen skeptischen Blick zu und hob eine Augenbraue an. Mit verschränkten Armen stand sie vor der schönen Ware.

„Na sicher… ich werd’ mir jetzt hier ein Negligee kaufen, damit Gackt – wenn wir mal wieder eine nächtliche Begegnung haben – auch was zu gucken hat.“

Chrissie lachte laut. Sie stellte sich gerade bildlich vor, wie Nina ganz locker in einem zarten Negligee an Gackt vorbeispazierte und dieser für diesen Moment wohl das Atmen vergessen würde.

„Ich glaube, du würdest dich das gar nicht trauen!“, lachte sie noch weiter.

„Und damit hast du auch nicht unrecht. Ich kauf mir also keines! Du kannst ja gerne mal nach einem für dich selber Ausschau halten, ich geh mir jetzt die Unterwäsche angucken, die ist ja gleich hier daneben.“

„Ja, mach das… ich stell mir in der Zeit noch ein paar witzige Szenen vor…“

Sie wischte sich die Lachtränen aus den Augen und warf ihrer aufgezogenen Freundin einen suchenden Blick nach, damit sie wusste, wo sie sie fand. Während Nina also bei den Dessous schmökerte, widmete sie sich noch ein wenig den Nachthemden und überlegte auch für einen Moment, ob sie nicht mal wenigstens zum Spaß eines anprobieren sollte. Da bemerkte sie wenige Reihen weiter ein angeregtes Gespräch im schnellen Englisch.

»Wer hat denn da so eine komische Aussprache?«

Sie sah zu ihrer linken Seite zwei Reihen weiter eine Gruppe aus vier Leuten stehen. Eindeutig zwei westlich aussehende, junge Frauen und zwei Japaner. Chrissie konnte nicht genau hören, worum es ging, aber an der Körpersprache erkannte sie, dass die beiden Blondinen nicht das geringste Interesse daran hatten mit den beiden Männern zu reden. Diese gaben sich offensichtlich alle Mühe bei den Mädels zu landen.

»Komische Gestalten…«

Sie betrachtete die beiden Japaner genauer, beide waren nicht viel größer als sie selbst und sie waren definitiv kleiner als die beiden mutmaßlichen Amerikanerinnen. Sie waren ziemlich schlaksig gebaut, ihre Gesichter waren kantig, wirkten durch einige Bartstoppeln ein wenig ungepflegt und auch sonst mangelte es ihnen eindeutig an ansehnlichen Eigenschaften. Grade wollte sich Chrissie wieder den Kleidungsstücken widmen, als es sie wie ein Schlag traf und sie noch mal schockiert zu der Vierergruppe starrte. Von der schienen sich die beiden Frauen gerade genervt zu trennen.

»Oh. Mein. Gott.«

Mit großem Entsetzen musste sie feststellen, dass sie diese beiden Fratzen schon einmal gesehen hatte. Es waren die zwielichtigen Männer, die sie an ihrem 1. Tag in Japan getroffen und zum Glück auch wieder abgeschüttelt hatten.

»Und zwar hier! Sie waren uns ja bis in die U-Bahn gefolgt! Vielleicht wohnen die hier in der Nähe!«

In Gedanken schlug sie sich die Hand vor den Kopf, doch in der Realität war dafür keine Zeit. Sie duckte sich schnell weg als die abservierten Typen sich in ihre Richtung umdrehten.

»Scheiße! So viel Glück haben auch nur wir, dass wir die ausgerechnet hier antreffen!«

Abgetaucht hinter den Kleiderständern suchte sie nun fiebrig nach Nina, die hoffentlich noch immer in der hintersten Ecke des Ladens bei der Unterwäsche stand, die von hier aus nur wenige Reihen weit weg war. Einer Eingebung folgend sah Nina genau in diesem Moment von den hübsch aufgereihten Dessous auf und in die Richtung, in der eigentlich ihre Freundin hätte stehen müssen. Noch bevor sie suchend nach ihr rufen konnte, zog sie etwas hart an ihrem Arm in die Hocke.

„Chrissie! Mensch hab ich mich erschreckt, was soll denn das?!“, beschwerte sie sich lautstark und rieb sich das geschundene Handgelenk.

„PSSST!“

Aufgeschreckt verstummte Nina sofort.

„Was ist denn?“, flüsterte sie leise und eingeschüchtert.

„Die Kerle vom Flughafen, diese Heinis, die uns fast entführt hätten… die sind hier!“

Hier?!

„PSSSSSST!!!“

Chrissie traute sich einen flüchtigen Blick über die Reihen zu werfen, zu ihrem Unglück waren die beiden Japaner einige Reihen vorgerückt und schienen nach etwas oder jemanden Ausschau zu halten.

„Mist verdammter! Hoffentlich haben die mich nicht doch gesehen, als ich bei den Nachthemden stand… wir müssen ganz schnell hier raus Nina!“

Vor Aufregung wurde ihnen ganz schlecht, sie begannen zu zittern und suchten fieberhaft nach dem besten Fluchtweg.

„Chrissie, wenn wir es schaffen den Gang hier geradeaus zu durchqueren, könnten wir raus auf die Galerie und dann dort den Fahrstuhl nehmen um rauszukommen.“

„So weit war ich auch schon, über die Rolltreppe zu türmen wäre zu riskant, die ist zu nah an denen dran, dazu zu überfüllt und langsam…“

Sie bückte sich und suchte zwischen den Kleiderständern nach den Fußpaaren der ungeliebten Bekanntschaft.

„Geh gebückt los, jetzt!“

Sie gab Nina einen bestimmten Stoß und schon schnellten sie so leise und unauffällig es ging durch den Gang. Bei größeren Lücken rannten sie das Stück ohne sich umzusehen, ob sie inzwischen entdeckt worden waren. Die anderen Kunden bei C&A warfen ihnen schon verwunderte und abfällige Blicke zu, aber das war ihnen gerade egal. Der Gang endete ca. 5 m vor dem Ausgang, dort standen nur Podeste mit Schaufensterpuppen, also rannten sie schlagartig los, um die Ecke und den Gang zum nächstgelegenen Fahrstuhl hinunter. Es war rappelvoll vor dem Lift, doch die Angst eventuell entdeckt worden zu sein stand ihnen eiskalt im Rücken, also drängten sie sich bei der nächsten Türöffnung rücksichtslos mit hinein und kaum unten angekommen auch wieder heraus. Ein unglaublicher Strom von Leuten nahm sie einfach mit sich mit, da blieb ihnen einfach gar keine andere Wahl und ehe sich Nina umdrehen konnte stand sie auch schon draußen vor dem Einkaufscenter.

„So, schnell, wohin jetzt?“, fragte Nina und wollte gerade ihr Handy zücken um die Uhrzeit zu überprüfen.

„Chris…? Chrissie?!“

Verdutzt, verunsichert und auch ein Stück weit besorgt drehte sich Nina im Kreis und suchte über den Köpfen der Japaner um sie herum nach ihrer kleinen Freundin.

»Wo ist sie denn hin?«

„CHRISSIE!“, brüllte sie ungeachtet der Fremden um sie herum in die Menge, doch sie bekam keine Antwort und es tauchte auch nirgendwo auch nur ein Strähnchen roter Haare auf.

Sie strich sich gestresst ihren zerzausten Pony von der schweißnassen Stirn mit beiden Händen nach hinten über den Kopf.

»Wenn ich genau hier stehen bleibe, laufe ich bei meinem Glück wahrscheinlich noch in die beiden Typen rein… aber ich muss Chrissie finden!«

Bei dem Gedanken an eine ausgedehnte Suche und das auch noch hier in Japan, wo sie sich gar nicht auskannte und jetzt noch nicht mal einen Plan dabei hatte, weil den natürlich ihre vermisste Freundin in der Tasche hatte, wurde ihr ganz anders. Das Einzige was sie noch im Kopf hatte war der Weg zurück zur Halle, aber was, wenn Chrissie noch drinnen im Center war und nach ihr suchte? Da fiel ihr wieder ein, dass sie ihr Handy dabei hatte und probierte umgehend einen Anruf.

„Was?! Mailbox? Ist dein Akku alle?! Zum Henker noch mal!“, schimpfte Nina besorgt vor sich her und beschloss erst einmal ein paar mal vor dem Center hin und her zu laufen, immer auf der Hut niemanden zu finden, den sie nicht finden wollte.

Nach zehn Minuten wurde sie langsam noch unruhiger, immer wieder versuchte sie mit dem Handy durchzukommen, doch es blieb dabei, dass die Mailbox sich meldete, die Hoffnung darauf, dass es nur ein vorübergehendes Funkloch war, war dahin. Auch Passanten die an ihr vorbeikamen konnten ihr nicht helfen, einige hörten zwar zuerst interessiert zu, andere hingegen winkten ab ehe sie wussten, worum es ging.

„Anou~… Can we help you?“

Nina fuhr fahrig herum, vor ihr, nur einen Kopf tiefer, stand eine junge Japanerin. Sie hatte eine rundliche Figur, aber ein sehr nettes Gesicht aus dem heraus sie Nina offen anlächelte. Hinter ihr stand ein großer, kräftiger Japaner von ebenfalls eher runder Statur, er erinnerte sie etwas an Buddha, weil er genauso selig dreinblickte wie diese Staturen. Neben ihm stand dann noch ein sehr zierliches Mädchen mit fransigem Kurzhaarschnitt, sie musste etwa gleichgroß wie sie sein. Alle drei sahen sie lächelnd, aber etwas besorgt an.

„Ah… ich kann eure Sprache verstehen, danke! Ich habe meine Freundin hier in diesem Getümmel verloren als wir vor zwei komischen Typen abgehauen sind. Sie ist etwas kleiner als ich, hat ganz helle Haut, blaue Augen und rotblonde Haare. Sie hat eventuell einen weißen Sonnenhut an, ein kurze helle Hose und ein rosafarbenes Top. Habt ihr sie vielleicht gesehen?“

Die 3er-Clique sah sich an, doch dann schüttelten sie die Köpfe. Fast schienen sie sich ein wenig dafür zu schämen, dass sie der fremden Deutschen nicht helfen konnten. Betrübt ließ Nina den Kopf hängen, sie hatte gehofft, dass die Drei Chrissie vielleicht gesehen hatten, da sie sie von alleine angesprochen hatten.

„Vielleicht können wir dir ja helfen nach ihr zu suchen?“, bot wieder die Stimme der rundlichen Japanerin.

Sie waren alle wohl etwas jünger als Nina, vielleicht noch High School? Sie hatte zwar gerade keinen Blick um auf Details zu achten, doch ihr entging nicht, dass die beiden Mädchen aus der Gruppe sehr flippig gekleidet waren. Sie sahen aus wie man sich ausgelassene J-Rock Fans vorstellte. Der junge Mann, der etwa ihr Alter haben musste, hatte im Kontrast dazu eine Shorts an und ein Polo-Hemd.

„Wenn ihr mir helfen würdet, wäre das wirklich sehr, sehr nett!“

Die andere Japanerin mit dem Kurzhaarschnitt machte das Peace-Zeichen und grinste dabei breit und aufgedreht.

„Ich heiße Yôki! Und das sind Mamoru-kun und Itoe-chan.“

„Äh, mein Name ist Annina…“

„Freut uns, deine Bekanntschaft zu machen, Annina-san!“, antwortete wieder die Kleinere, die als Itoe vorgestellt wurde.

„Wie genau hast du jetzt noch mal deine Freundin verloren?“, fragte Mamoru, der erstaunlicher Weise trotz seines lieben Aussehens eine ziemlich tiefe Stimme hatte.

„Wir sind hier vor ein paar Tagen von zwei Männern angemacht worden, die haben uns ziemlich bedrängt, aber wir konnten ihnen entwischen… und nun haben wir sie hier beim Bummel wieder getroffen und uns bei der Flucht aus den Augen verloren. Wir müssen im Gedrängel auseinander geraten sein…“

Yôki machte eine Kampfpose und ein angriffslustiges Gesicht.

„Keine Sorge Annina-san! Wir werden deine Freundin schon finden und diesen fiesen Typen so richtig den Hintern versohlen!“

Nina fiel die Kinnlade runter vor so viel Enthusiasmus, Tennie-Japaner waren wirklich ziemlich verrückt!

„Yosh! Mein Freund…“, Itoe deutete dabei auf den stämmigen Mamoru. „…und ich hassen solche Kerle! Aber keine Sorge, erst letztens in der U-Bahn als mich einer begrabschen wollte hat mich mein Schatz ganz heldenhaft verteidigt! Der Typ begrapscht keine mehr!“

Nina war ganz überrannt, wenn sie nicht so viel Sorge um Chrissie gehabt hätte, hätte sie bestimmt gelacht.

„Hattet ihr einen Treffpunkt, zu dem sie vielleicht zurückgegangen sein könnte?“, fragte Yôki.

Nina fiel nur die Konzerthalle ein.

„Na ja, wir wollten auf das L’Arc~en~Ciel Konzert das hier in der Nähe…“

„LARUKU?! KYAAA~A!!!“, kreischten ihr die beiden Mädchen ganz unvermittelt ins Ohr und hüpften dabei aufgekratzt auf der Stelle.

„Da gehen wir heute auch hin!“, quietschte Itoe weiter und zeigte auf Ihre schlapprige Handtasche, auf der lauter Buttons und Bildchen von den Laruku-Members angebracht waren.

Lauter imaginäre Tropfen rollten Ninas Stirn hinunter und sie hätte schwören können, dass ein Mundwinkel angespannt zuckte. Es war toll auf noch flippigere, japanische Gleichgesinnte zu treffen, aber Nina stand so langsam auch der Zeitdruck im Nacken.

„Ich begleite meine Freundin und Yôki-chan gerade zum Konzert, vielleicht sollten wir den Weg jetzt absuchen und nach ihr fragen? Vielleicht ist sie ja dorthin unterwegs, in einer Stunde ist Einlass.“

Mamoru schien völlig kalt gelassen von den Freudensprüngen seiner Begleiterinnen, lächelte aber immerzu geradezu überfreundlich.

„Ja… das ist wahrscheinlich das Beste, was wir jetzt machen können.“
 

„Dieser Mistakku!“, fluchte Chrissie leise vor sich hin.

Einen Grund zu fluchen gab es eigentlich nicht, denn sie selbst hatte seit der Abreise nicht ein Mal das Netzteil benutzt, weil ihre Umstände das ja gar nicht zugelassen hatten. Auf dem Weg zur Halle hatte sie sich nichts dabei gedacht, dass der Akku schwach war, denn Nina war ja dabei.

»Prima, warum mussten wir uns ausgerechnet jetzt im Getümmel verlieren?«

Chrissie hatte den Anschluss zu Nina schon verloren, bevor diese überhaupt gemerkt hatte, dass sie fehlte. Draußen hatte sie Nina nicht gesehen und aus Furcht vor den zwei potenziellen Verfolgern tat sie das, was für sie am Logischsten war -> zur Konzerthalle gehen und dort auf Nina warten. Den Weg dorthin würde die Orientierungslose ja hoffentlich auch ohne den Plan finden, sie musste schließlich nur die Hauptstraße wieder hinunter laufen…

„Wehe du findest mich nicht!“, murmelte sie vor sich hin.

Sie fühlte sich unwohl so alleine, zwar war sie schon fast an der Querstraße zur Halle, aber sie machte sich auch Sorgen, dass Nina möglicher Weise in Schwierigkeiten steckte. Dafür hatte sie ja Talent… Chrissie kam endlich an der Ampel an, von der sie schon sehr genau die lange Schlange und die Theaterkasse sehen konnte. Gerade als die Ampel auf blau schaltete und sie die Straße überqueren wollte, packte sie jemand an der Schulter und sie wirbelte herum.

„Hey Babe, nice to see you once again”, sagte eine erfreute, süffisant klingende Stimme.

Secret Garden

10 Sercet Garden
 

****Ich ziehe die Stecker, die durch meinen ganzen Körper laufen. Nur auf diesen Beinen, sah ich noch einmal die Realität.

Die Welt die sich in meinen Träumen entfaltet ist ///the last secret garden///.

In einer Lücke sich ewig drehender Zeit. Das Messer in meinem Rücken verleiht mir Flügel.

Die Welt in deinen Armen ist ///the last secret garden///. Und ich habe nur dich angesehen.

Nur dich.****
 

„Da hast du ja eine ganze Menge aufregendes Zeug in den letzten Tagen erlebt!“

Hyde, der sich mit beiden Armen auf den Tisch hinter sich abstützte und sein rechtes Bein lässig auf einem Stuhl abgestellt hatte, nickte grinsend.

„Ja, das habe ich. Stellt euch vor, ich habe anfangs tatsächlich an Gackts Zurechnungsfähigkeit gezweifelt und war sehr skeptisch diesen beiden Ausländerinnen gegenüber, aber sie haben das Eis bereits kurze Zeit nachdem ich sie kennenlernen durfte zum Schmelzen gebracht. Mit ihnen ist es nie langweilig! Aber das habt ihr ja eben schon zur Genüge von mir gehört.“, schwelgte er in Erinnerungen.

Hyde saß mit Tetsu, Ken und Yukihiro in der Maske in einem der höheren Stockwerke der Konzerthalle. Ausführlich war er bereits seit dem Zusammentreffen mit dem Rest der Gruppe damit beschäftigt gewesen, ihnen Anekdoten aus seiner Zeit mit Gackt und dessen außergewöhnlichen Besuch zu erzählen. An diesem Tag hatte L’Arc~en~Ciel also zweifelsohne einiges zu Lachen gehabt!

„Und du sagst, sie kommen heute zum Konzert? Diese Mädels musst du uns unbedingt einmal vorstellen, wir müssen schließlich wissen, ob Gackt sich da wenigstens etwas Ansehnliches an Land gezogen hat!“, scherzte Ken, der sich gerade eine Zigarette anmachte.

Hyde zeigte mit mahnendem Finger auf den Gitarristen und lächelte kopfschüttelnd vor sich hin, das war mal wieder typisch für Ken!

„Hey, lass die Scherze Ken. Wir wollen doch einen guten Eindruck auf diese beiden Fans machen, oder? Nicht, dass du sie mit deinen Späßchen verschreckst.“

Tetsu und Yukihiro stimmten in das Gelächter von Ken mit ein und auch Hyde schloss sich nach kurzem, böse gestelltem Blick der ausgelassenen Heiterkeit an.

„Aber jetzt mal Spaß beiseite Hyde, jetzt hast du uns neugierig gemacht – wie sehen sie denn aus? Du musst sie uns vorstellen, egal wie!“, knüpfte der Bandleader wieder an das ursprüngliche Gespräch an.

Der dunkelhaarig Sänger sah sich einen kurzen Moment lang in dem sterilen Raum um, wo es nur ein paar Schminktische mit Spiegeln an den Wänden gab, einen Tisch mit 4 Stühlen wo allerhand Kram wie Pläne Listen und auch ein paar Snacks drauf lagen und an dem sie saßen.

„Gleich gerne, aber vorher hätte ich bei der Wärme gerne mal wieder etwas getrunken…“

Sein suchender Blick wanderte in eine Ecke des Raumes, wo einige Kisten mit leeren Wasserflaschen aufgestapelt waren.

„Wenn du Wasser suchst, da besorgt gerade jemand vom Stuff. Die Getränke wurden falsch kalkuliert und nun ist jemand dabei in der Einkaufsmeile um die Ecke ein paar Sachen ranzuschaffen.“, beantwortete der ruhige Drummer Hydes stumme Frage.

Wie es der Zufall so wollte klopfte es ein Mal energisch an die Tür und dann trat ein junger Japaner ein, völlig verschwitzt, aber durch seinen Ausweis um den Hals eindeutig als Teammitglied zu identifizieren.

„Ich bringe hier ein paar Getränke, ich bitte um Verzeihung für die Verzögerung.“, ächzte er triefend und zog eine Sackkarre mit vier neuen Kästen Wasser hinter sich her.

Die Band winkte nur beschwichtigend ab und Hyde fischte sich im Vorbeigehen des Stuff-Members eine Flasche aus dem obersten Kasten heraus, die er mit einem Zischen öffnete. Noch während das Member die neuen Kisten mit den Alten tauschte, begann Hyde wieder zu erzählen, der erste Durst war gestillt.

„Also… Da wäre Nina, die eigentlich Annina heißt… sie ist auf den ersten Blick dunkelhaarig, das Haar trägt sie glatt bis ca. Brusthöhe. Sie ist etwas größer als ihre Freundin Enah, die eigentlich ganz anders heißt, aber deren Name sich einfach nur grausam anhört, wenn wir versuchen ihn auszusprechen…“, kurzes Gelächter unterbrach ihn, „…Sie hat hellblaue, offene Augen, die einen regelrecht durchbohren können, wenn sie nur wollen. Enah ist wie schon gesagt kleiner und auch zierlicher als Nina und ein eher blasser Typ. Ihre Haare sind rötlich blond und hängen ihr wellig über die Schultern…“

Ken lachte schon wieder.

„Interessant, dass du uns von Enah so viele Details nennen kannst und von Nina nicht.“

Hyde entging Kens stichelnder Unterton nicht, doch er lächelte nur keck zurück und fuhr dabei mit seiner Zungenspitze kurz über seine Oberlippe.

„Mein lieber Ken, ich muss dich enttäuschen… von Enah ist mir einfach deshalb mehr im Kopf geblieben, weil ich mit ihr bislang mehr zu tun hatte als mit Nina.“

Die gesamte Gruppe zog die Augenbrauen hoch, der schmale Sänger hob auf diese Geste hin abwehrend beide Hände und ergab sich den forschenden Blicken seiner Freunde.

„Ich seh schon, am besten, ich sage gar nichts mehr, ihr glaubt mir eh kein Wort.“

„Du hast es erkannt Hyde!“, bestätigte Ken, der so langsam am Ende seiner Kippe angelangt war.

„Sie beide sind kein Bild von Hässlichkeit. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Ihr könnt es ja selbst beurteilen, wenn sie später gemeinsam im Publikum stehen.“, fügte Hyde noch vergnügt resignierend hinzu und widmete sich dann wieder seinem Wasser.“

„Anou… Hyde-sama, sind sie sich sicher, dass das Mädchen mit den rotblonden Haaren in Begleitung ihrer Freundin hier erscheinen wird?“, drang auf einmal die Stimme des erschöpften Getränkepackers zu ihnen heran.

Fragend und überrascht drehten sich die Köpfe der vier Musiker in seine Richtung. Der schmächtige Japaner hatte beide Hände förmlich in seinen Schoß zusammengelegt und verneigte sich ein Stück weit verlegen.

„Davon gehe ich aus, die beiden werden sich so fremd wie sie hier in Japan sind wohl kaum voneinander trennen.“, gab Hyde nach kurzem Überlegen schließlich als Antwort zurück, wenn auch noch immer etwas irritiert.

„Bitte entschuldigen sie, wenn ich ihr Gespräch unterbrochen habe, aber ich kam ja nicht umhin einen Teil davon aufzufangen und da fiel mir dann auf, dass ich nicht weit von der Halle genau so eine junge Frau wie sie eben beschrieben haben, gesehen habe.“

Da horchte Hyde auf und die Blicke der anderen hingen nun an seinem Gesicht und suchten nach einer Regung darin.

„Und weiter? War sie nicht in Begleitung von einer anderen Frau?“

Das Member wurde noch verlegender und verneigte sich schon fast zu förmlich vor ihm, aber darauf nahm der Sänger gerade keine Rücksicht.

„Nein… ich sah sie an der Ampel direkt vor der Halle mit zwei Japanern reden. Es schien so… es war wohl ein sehr anregendes Gespräch. Es sah so aus, als würden die beiden Männer mit ihr flirten wollen.“, stotterte der junge Mann verunsichert vor sich her und wagte es nicht sein Gesicht vom Fußboden abzuwenden.

„Enah… mit zwei Männern allein auf der Straße beim Flirten?“

Hyde dachte an die letzten Tage zurück und versuchte sich jetzt bildlich vorzustellen, wie die kleine, zurückhaltende Frau, die ihr eigentlich gut bestelltes Mundwerk nur in Gegenwart von Nina zu nutzen wusste, mit zwei fremden Japanern kokettierte. Er hatte eigentlich einen guten und vernünftigen Eindruck von ihr gehabt und sie wirkte auf ihn eher schüchtern als extrovertiert genug, um sich jetzt freiwillig in so einer Situation zu befinden. Außerdem, wo bitte war Nina? Die Beiden trennten sich nie, also warum sollten sie es jetzt getan haben, so kurz vor dem Konzert? Nachdem eine für alle Beteiligten anstrengende Pause entstanden war, huschte jetzt ein Anflug von Erkenntnis über Hyde Gesicht. Er lächelte irgendwie erleichtert.

„Das muss eine Verwechslung sein, die Person die ich beschrieben habe, würde sich bestimmt nicht alleine mit zwei vermutlich Fremden auf der Straße rumtreiben.“

So wie er das sagte war er aus tiefstem Herzen davon überzeugt und geradezu amüsiert über die Vorstellung, dass die Enah, die er kannte, es faustdick hinter den Ohren hatte und sich als ein kleines Luder entpuppte. Hyde setzte sich in einer lockeren Bewegung wieder auf beide Füße, ging auf sein Stuff-Mitglied zu und klopfte ihm freundlich auf die Schulter.

„Trotzdem sehr nett von dir, dass du mir das sagen wolltest. Es wäre nett, wenn du trotzdem für dich behalten würdest, was du von dem Gespräch hier aufgenommen hast.“

Damit schloss er und der junge Mann verabschiedete sich förmlich, wenngleich auch etwas erleichtert, da die Anspannung von ihm abfiel. Als die Tür vor Hydes Nase ins Schloss gefallen war und er sich bereits wieder in Gedanken bei dem bevorstehenden Konzert zu seinen Kollegen umdrehte, sahen diese ihn etwas ungläubig an. Diese Blicke brachten ihn für einen kurzen Augenblick aus dem Konzept.

„Was ist?“, fragte er verdutzt.

„Warum bist du dir so sicher, dass es sich nicht um diese Enah gehandelt haben kann?“, fragte ihn Tetsu, der auf dem der vier Stühle saß, der ihm gerade am nahsten war.

„Ganz einfach, ich bin mir sicher, dass die beiden Freundinnen nichts ohne einander tun und sie machten auf mich auch nicht den Eindruck, als wären sie an zwielichtiger Gesellschaft interessiert.“, sein Ton klang etwas genervt.

Ken stand auf und lief zu einem der Fenster hinüber. Die gesamte Fensterfront des Raumes ging zu der Seite der Halle hinaus, die auf die Straßenseite zeigte, wo die Ampel war, die das Teammitglied gemeint haben musste. Er kniff die Augen zusammen und hielt seine schattenspendende Hand über sie.

„Ich kann leider nicht so viel erkennen…“

Yukihiro stand auf und ging an den einzigen Spint der im Raum stand und holte ein kleines Fernglas hervor, dass man üblicher Weise in der Oper, beim Ballet, im Theater oder auch bei Konzerten benutzt, wenn man einen Platz weit weg von der Bühne hat.

„Hier, vielleicht hilft dir das weiter.“, sagte er und reichte das Fernglas an Ken weiter, der sofort in die Ferne spähte.

Hyde wand sich ab, er fand es albern, dass sich seine Gruppe gerade mehr auf so eine fragwürdige Geschichte konzentrierte, als darauf sich für den Auftritt vorzubereiten. Er ging die Unterlagen auf dem Tisch durch, unter anderem die Reihenfolge der Songs, die sie heute spielen wollten.

„Na sieh mal einer an… da an der Ampel stehen zwischen den ganzen Leuten ja tatsächlich immer noch diese drei Leute, von denen der Typ eben gesprochen hat…“

In einer entrüsteten Bewegung fuhr der Frontman der Band herum. Die Papierbögen waren ihm direkt aus den Händen zurück auf den Tisch geglitten. Das er unangenehm überrascht war versuchte er sich nicht anmerken zu lassen und machte ein paar entschlossene, große Schritte auf Ken zu, der noch immer interessiert zur Ampel lugte.

„Zeig her, dann kann ich euch wenigsten gleich sagen, dass das die falsche Enah ist.“, fordere er freundlich und versuchte dabei ein amüsiertes Gesicht zu machen.

Ken reichte ihm das Fernglas mit einem “Wer weiß?“-Grinsen auf dem Gesicht. Zuversichtlich spähte Hyde nun durch das Glas und suchte in den Menschenansammlungen an der Ampel nach den Verdächtigen.

»Oh nein…«, tönte es in seinen Gedanken.

Sein Blick haftete auf einer jungen, zierlichen Rotblonden mit weißem Sonnenhut, die sich in einem Wortwechsel mit zwei eigenartig wirkenden Männern befand. Zu seinem Entsetzen handelte es natürlich um Enah… natürlich, wie viele rothaarige Frauen gab es schon auf der Welt? Wie viele waren davon wohl im richtigen Alter, jetzt gerade in Japan und dann auch noch vor dieser Halle? Eine. Nur diese Eine natürlich. Einen Augenblick lang ließ er das Fernglas sinken, atmete geschafft ein und aus und blickte dann wieder hinaus ins grelle Sonnenlicht. Er forschte in den Gesichtern der Beteiligten, wonach den beiden Männern der Sinn stand war nicht schwer zu erraten, sie trugen einen machohaften Ausdruck in ihren Gesichtern mit sich herum. Gepaart war dieser Ausdruck mit der Körperhaltung eines Zuhälters… zumindest stellte Hyde sich solche Leute vor. Leute mit dreckigen Gedanken. Von seinem Blickwinkel aus konnte er Enahs Miene leider nicht wirklich erkennen, er sah nur ihre Rückseite und einen geringen Teil ihres Seitenprofils. Ihre Gestikulierungen schienen jedoch keine Abwehrhaltung darzustellen, es sah viel eher danach aus als würde sie mit den Männern scherzen oder sie beschwichtigen… ihnen gut zureden.

„Und Hyde, ist sie es nun, oder nicht?“, fragte Tetsu, der inzwischen auch an dem Fenster stand und nach draußen blickte.

„Sie ist es nicht.“

Seine trockene Antwort löste Verblüffung bei den anderen aus, bei Ken sogar so etwas wie Enttäuschung. Hyde drehte sich um und war mit wenigen flotten Schritten bei der Tür.

„Konzentriert euch bitte auf unsere Show als solchem Unsinn nachzugehen, ich bin gleich wieder da… ich brauch kurz meine Ruhe.“

Damit war er aus dem Türrahmen getreten und lies Verwunderung in der Maske zurück. Kaum um die Ecke gebogen eilte Hyde so unauffällig es ging den langen Gang zu seiner Linken hinunter, dabei warf er einen Blick in alle offenen Räume auf der Fensterseite. Etwa fünf Räume später hatte er endlich Glück und war für einen Moment lang ungestört. Zwischen Regalen die bis unter die Decke voll mit technischen Gerätschaften waren, schob er sich durch bis zu dem einzigen, kleinen Fenster durch und zückte wieder das Fernglas. Er wollte einfach nicht glauben was er gehört und gesehen hatte! Sollte er sich so getäuscht haben? Oder steckte da mehr hinter? Wo war eigentlich Nina? Diesmal hatte er mehr Glück mit seinem Blickwinkel, immerhin konnte er jetzt einen großen Teil ihres Profils erkennen. Sie lächelte, ein Stich in seine Magengegend quälte ihn und er stöhnte bestürzt… aber was ging es ihn schon an, was diese Person in ihrer freien Zeit trieb? Dann war sie eben um einiges durchtriebener als er angenommen hatte… was gab ihm das Recht ihr hinterher zu spionieren? Mal abgesehen davon, dass diese Tatsache Gackt sicherlich auch interessieren würde… und da kam Hyde wieder zu der Frage zurück, warum Enah ohne Nina unterwegs war… und wie logisch war es, dass sie ihren Spaß mit zwei eigenartigen Gestalten so unmittelbar vor der Halle hatte, kurz bevor das Konzert begann, das sie unbedingt hatte sehen wollen? Zweifel und viele unsinnige Fragen beschäftigten ihn. Er wollte das Fernglas weglegen und einfach nicht mehr daran denken, als ihm ins Auge fiel, dass sich Enah die ganze Zeit über suchend über die Schulter blickte und dabei dann gar nicht mehr so fröhlich aussah. Jetzt bemerkte der spionierende Sänger auch, dass ihr Lächeln etwas angestrengt wirkte und ihre Gestiken viel hektischer waren als sonst. Während er diese Dinge in seinem Kopf wie ein Puzzle zusammenzusetzen versuchte, beschlich ihn das Gefühl, dass an dieser ganzen Sache etwas faul war! Er legte das Fernglas beiseite und zog aus seiner Hosentasche sein Handy hervor. Übereilt startete er einen Anruf an Gackt und hoffte inständig, dass dieser sein Handy nicht unbeantwortet klingeln lassen würde.

„Hallo? Hyde?“, antwortete am anderen Ende der Leitung Gackts Stimme, die deutlich überrascht klang.

„Gackt?! Na Gott sei Dank… entschuldige bitte, dass ich dich stören muss, aber es ist wichtig! Hast du die Handynummer von Nina?“, erzählte er sofort eilig, atmete aber vorerst erleichtert aus.

„Ähm… ja sicher, ich hab sie mir heute von beiden geben lassen, als ich sie in der Nähe der Halle abgesetzt habe… warum? Ist etwas passiert? Du klingst so gehetzt?“

Hyde stöhnte in den Hörer und rieb sich seine schweißnasse Stirn.

„Du hast sie also wirklich gemeinsam abgesetzt…! Wo steckt sie nur… bitte Gackt, gibt mir Ninas Nummer, es ist wichtig!“

„Was ist denn los? Was ist passiert?“

Gackt klang am anderen Ende inzwischen aufgewühlt.

„Ich hab keine Zeit für Erklärungen, schick mir einfach die Nummer, ich ruf dich zurück sobald ich Nina erreicht habe!“, entgegnete Hyde, der ungeduldig vor dem Fenster hin und her lief und immer wieder einen prüfenden Blick in Richtung Kreuzung warf.

„… Ich schicke sie dir per SMS, aber warum willst du nur Ninas Nummer haben? Ist was mit ihr?“

„Später Gackt, später – schick mir bitte umgehend einfach ihre Nummer!“

Damit beendete er abrupt das Gespräch und begann damit auf das Display seines Handys zu starren und auf die SMS von Gackt zu warten.
 

„Ach so war das mit den beiden Kerlen also genau! Klingt ja, als wäre das eine übliche Masche von denen… ihr seit bestimmt nicht die ersten Mädels, die von denen angemacht wurden.“

Nachdenklich fasste sich Itoe an ihr Kinn und vollzog die Geschehnisse nach, die Nina ihnen auf dem Weg zu Halle erklärt hatte. Die Tatsache, dass sie und ihre Freundin Chrissie vom ersten Tag an bei Gackt untergebracht waren und auch Hyde inzwischen kannten, hatte sie in ihrer Erzählung natürlich unterschlagen.

„Ja, aber wir hatten sie wie gesagt an einer U-Bahnstation abgehängt… wir konnten ja nicht ahnen, dass sie sich hier rumtreiben würden.“

„Wie schon gesagt, Annina-san, wir werden deine Freundin schon gemeinsam finden!“, beruhigte Mamoru, der ihr freundschaftlich die Hand auf die Schulter legte.

Yôki sprang ihnen die ganze Zeit über quirlig voraus und blickte wie ein Pirat über die vielen Menschen hinweg um nach einem Rotschopf Ausschau zu halten.

„Yôki-chan, bitte denk daran, dass Enah-sans Haare mehr blond als rot sind!“, hielt sie Itoe mahnend an, die sich bei Nina auf ihrer Suche immer wieder genau nach dem Äußeren der Verschwundenen erkundigt hatte.

„Mou~ ich wäre euch wirklich sehr verbunden, wenn ihr mich nicht mehr mit „-san“ ansprechen würdet, sagt einfach Nina zu mir.“

Ihr war es bereits von Anfang an unangenehm gewesen, dass ihr langer Vorname noch mit einem förmlichen Anhang versehen wurde. Sie fühlte sich so viel älter damit, dabei war sie etwa im selben Alter wie ihre freundlichen Helfer.

„Ist dir Nina-chan lieber?“, hinterfragte Mamoru ernsthaft.

Sie lächelte verschmitzt ein schiefes Lächeln.

„Ähh… nur Nina würde aber auch reichen.“

Düdelidüdel~düdelüü~

Die Dunkelhaarige zuckte erschrocken von ihrem eigenen Klingelton zusammen. Die Blicke der drei japanischen Freunde ruhten auf ihr, als sie stehen blieb und mit einem Mix aus Hoffnung und Verwirrung auf ihr Handy starrte, dass sie die ganze Zeit über vorsorglich in ihrer rechten Hand gehalten hatte.

»Eine unterdrückte Nummer? Etwa Gackt vielleicht?!«

Unschlüssig darüber, in welcher Sprache sie sich am Hörer melden sollte, entschied sich sie einfach für ein simples „Hallo“, das wohl jeder verstehen würde.

„Nina? Bist du das?!“

„HY… äh, Hi!“, sprudelte es beinahe verräterisch aus ihrem Mund, als sie Hydes aufgewühlte Stimme am anderen Ende erkannte.

Sechs verdutzte Augen ruhten auf ihr.

„Nina, wo bist du? Warum ist Enah nicht bei dir?“

Ihre Miene wurde ernst.

„Woher weißt du davon?“

„Weil ich sie sehen kann! Sie steht an der Ampel an der Straße direkt vor der Halle.“

Gerade als Nina sich dem Gefühl der Erleichterung hingeben wollte, sprach Hyde weiter.

„Sie steht da aber nicht alleine, sondern mit zwei zwielichtigen Männern, weißt du etwas davon?“

Der Sänger bekam keine Antwort, aber er bekam mit, das Ninas Atem aussetzte, im Hintergrund war nur noch das Gemurmel von Passanten zu hören. Der Deutschen wurde plötzlich speiübel und ihre Hände fingen an zu zittern, mit unsicherer Stimme und vielen tiefen Falten auf der Stirn versuchte sie Hyde zu antworten.

„Das sind… wir kennen diese zwei Männer… aber nicht so, wie du vielleicht denkst… das ist eine längere…“

„Schon gut, erklären kannst du mir das später! Wo bist du jetzt? Lass sie da nicht mehr länger alleine stehen! Ich kann dir vielleicht Leute vom Sicherheitsdienst schicken.“

Nina blickte auf und in die Augen von Mamoru und den beiden Mädchen, die mit entschlossenen Gesichtern nur auf ein Zeichen von ihr warteten.

„Das wird nicht nötig sein, keine Sorge. Wenn es nötig ist bin ich bereit und gewappnet den Typen die Hölle heiß zu machen.“

Mit einem Funkeln in den Augen nickte sie ihren drei neuen Bekanntschaften zu, die ihr mit ihren Fingern ein O.K. signalisierten.
 

Tut, tut, tut…

Hyde starrte auf seiner Seite des Telefons irritiert auf sein Display, auf dem “Teilnehmer hat aufgelegt“ stand. Jetzt verstand er gar nichts mehr… Warum waren die beiden Freundinnen denn nun getrennt unterwegs? Woher kannten sie die beiden Männer? Wie konnte Nina so entschlossen klingen und seine Hilfe ablehnen? Er konnte jetzt nur noch hilflos dastehen, wieder zum Fernglas greifen und abwarten, was geschah… im Notfall konnte er hoffentlich immer noch rechtzeitig eingreifen.
 

Chrissie stand an der Ampel in der schreienden Hitze mit Herzrasen. Sie stand den beiden widerlichen Kerlen gegenüber, von denen sie eben noch befürchtet hatte, dass sie Nina aufgespürt hatten.

„Äh… sorry guys, did we know each other?”

Natürlich taten sie das, wenn auch mehr unfreiwillig… aber ein Versuch auf dumm zu tun konnte ja nicht schaden, oder? Sie lachten schäbig, grinsten aber die ganze Zeit dabei gekünstelt freundlich und ihr selbst war ein aufgesetztes Lächeln ins Gesicht geschrieben.

„Oh babe… did you really forget about our last meeting? You and this other chick… how was her name? Oh yeah… we didn’t introduce each other yet, did we?”

Von seinem anspielerischen Unterton wurde Chrissie ganz anders, hilfesuchend sah sie sich immer wieder über ihre Schulter hinweg um.

„You two… you girls escaped from our car last Saturday, that wasn’t very nice by you. We felt totally alone without your nice escort.”, fügte der andere vergnüglich hinzu.

„That’s a tragedy… but it seems like you survived our absence very well! I’m sure, you two have found other people to play.”, entgegnete Chrissie so scherzhaft, wie es nur ging und lächelte fortlaufend ihr unsicheres, leicht verzerrtes Lächeln.

Sie war sich nicht ganz sicher, ob die zwei Gestalten alle Vokabeln verstanden hatten, die sie benutzt hatte, aber das konnte ja im Grunde nichts Schlechtes sein. Während die Beiden nämlich nachdachten und rätselten, konnte sie sich überlegen, ob sie nicht doch einfach über die Straße stürmte um ihr Heil in der Warteschlange vor der Halle zu finden. Aber was, wenn sie ihr doch folgten? Oder sie vorher gar in irgendeine Gasse – von denen es hier reichlich gab – zerrten, wenn sie zu flüchten versuchte? Wie hilfsbereit waren Japaner tatsächlich, wenn auf offener Straße jemand gezwungen wurde mitzukommen? Beziehungsweise, würde es denn jemand merken, bei den ganzen Leuten um sie herum? Sie war weder groß noch sonderlich kräftig um sich zu werden… sie hatte nur ihre langen Fingernägel mit denen man immerhin ziemlich heftige Schrammen hinterlassen konnte! Aber das konnte ja wohl schlecht ihr Notfallplan sein…

„Nice joke chick, but all jokes aside… We are very sad, that you girls have ruined our day and evening.”

»Oh, na toll… jetzt kommen sie mit diesem “schlechtes Gewissen machen”-Ding…«, dachte sie genervt und schickte ein weiteres Stoßgebet zum Himmel, auf das ihr doch bitte jemand aus der Patsche helfen möge!

Sie startete noch den ein oder anderen englischen Wortwechseln um mehr Zeit zu schinden, niemand sah zu ihnen, niemand war da, bei dem sie sich getraut hätte um Hilfe zu bitten, während diese Männer dabei waren. Ein flüchtiger Blick streifte die Konzerthalle und es zog sich ihr Magen zusammen, ihr wurde ganz anders… irgendwie weinerlich zu Mute.

„Come on girl, we have a nice idea to undo your mistake. Our car is nearby, We drive to a nice hotel together and then you can be a litte nice to us, what do you think?”

Ihr Lächeln wich einer beängstigenden Blässe, sie verkrampfte sich, alle Fluchtgedanken waren wie weggeblasen aus ihrem Kopf, sie konnte nur noch in die anzüglich verzogenen Gesichter ihrer Gesprächspartner starren.

»Hyde…! Hyde, Nina! Helft mir! HILFE!!!«

Der minimal kräftiger aussehende der beiden Japaner streckte siegessicher eine Hand nach ihr aus in der Absicht ihr seinen Arm um die Schultern zu legen, um sie dann fortzubegleiten. Chrissie umkrallte ihre Handtasche, bereit sie im Notfall einzusetzen.

„Hey ihr! Finger weg von meiner Freundin!“, rief Nina aus dem Hintergrund.

Da war sie plötzlich, tauchte aus einem Meer von Menschen einfach auf mit zornigem Gesicht und großen, entschlossenen Schritten. Ehe Chrissie ganz begriffen hatte, dass ihre Freundin endlich da war um sie zu erretten, stieß diese den Kerl heftig beiseite, der sie selbst gerade anfassen wollte. Während der Geschubste laut fluchte und versuchte einen Sturz zu verhindern, schnellte der andere Mann vor und baute sich als Mauer vor Chrissie auf, die er dabei hinter sich gedrückt hatte.

„Schau an, da ist deine Freundin ja… und wie ich sehe kann sie ja unsere Landessprache!“, raunte er gefährlich und beugte sich zu Nina vor, er war ja kaum größer als sie.

Chrissie schüttelte ihre Starre endlich ab, ihre beste Freundin war da, jetzt brauchte sie keine große Angst mehr zu haben!

„Wenn ihr so geistreich gewesen wärt mal zu fragen, als ihr uns am Flughafen angebaggert habt, dann hättet ihr uns die Quälerei durch eure schlechte Aussprache ersparen können… Wenn ihr nichts dagegen habt würde ich jetzt ganz gerne meine Freundin mitnehmen und gehen!“

Das größere Mädchen machte einen mutigen Eindruck auf die beiden Japaner, doch sie belächelten ihr großes Mundwerk nur verächtlich. Selbst Chrissie war ein wenig verblüfft über Ninas mutiges Auftreten, auch wenn sie wusste, dass sie richtig ausrasten konnte, wenn sie wollte… ob die Jüngere genau darauf baute?

„Deine Freundin geht nirgendwo hin, zumindest nicht ohne uns. Du kommst eigentlich gerade recht, zu viert wird es bestimmt interessanter…“, kicherte der von ihnen, der sich von Ninas Schubser erholt hatte.

Ohne ihn zu beachten griff sie an dem anderen vorbei nach Chrissies Handgelenk um sie zu sich auf ihre Seite zu holen, als sie ihr Gegenüber grob an der Schulter packte.

„ITAI!“, kreischte dieser plötzlich auf, sodass sogar Passanten einen interessierten Blick auf die vier Leute warfen.

Der Mann hielt sich seinen linken Unterarm, er war gezeichnet von vier langen und tiefen Schrammen, aus denen es zu bluten anfing. Die Blauäugige trat an ihm vorbei an Ninas rechte Seite und schüttelte ihre rechte Hand angewidert.

„Pfoten weg von meiner Freundin, sonst kratz ich dir mit den Nägeln meiner linken Hand die Augen aus!“

Zorn sprühte aus ihren Augen, doch auch die beiden Männer hatten ihr Grinsen hinter sich gelassen und schienen gerade auch zu vergessen, dass sie sich an einer öffentlichen Straße befanden.

„Ihr kleinen ausländischen Schlampen! Das wird euch noch leid tun, ab jetzt sind wir nicht mehr so nett zu euch!“, fuhr sie der Japaner mit den Schrammen an.

Der andere schnellte hervor und wollte sie beide packen, als ein großer Schatten ihn in Dunkelheit hüllte und mit tiefer, bedeutsamer Stimme zu sprechen begann.

„Das würde ich an deiner Stelle lieber lassen.“

Das rotblonde Mädchen sah auf die Seite von wo aus der Schatten geworfen wurde, dabei erkannte sie in Ninas Gesicht ein verheißungsvolles Grinsen. Auch der Japaner drehte sich um, noch immer die Arme bedrohlich vor den Mädchen ausgebreitet. Da stand Mamoru, der die zwei Kerle um mindestens einen Kopf überragte und sich wie ein Schrank mit verschränkten Armen vor ihm aufgestellt hatte. Er war so was wie die japanische Ausgabe von Mike!

„Was willst du, Dicker? Kümmere dich um deinen eigenen Kram und verzieh dich!“

Mamorus rechte Augenbraue zuckte verdächtig.

„Dicker? Was willst du Hämpfling, hä?“

Da hatte er den dürren Kerl auch schon fest am Kragen gepackt und zog ihn schleifend zu sich heran. Mit schreckgeweiteten Augen beobachtete das auch sein Kumpel. Vorbeilaufende Passanten beobachteten das Spektakel flüchtig. Da sprangen hinter Mamoru noch zusätzlich Itoe und Yôki hervor, die mit schrillen Kampfschreien und ihren schwingenden Handtaschen gezielte Hiebe auf den außenstehenden Kumpanen ausübten, der sich duckend und schreiend daran machte die Flucht zu ergreifen.

„Ja, lauf nur du Schuft! Und pack ja nie wieder Mädchen an, die nicht deine Kragenweite sind!“, rief ihm Yôki hinterher.

„Das heißt, praktisch gar kein Mädchen!“, ergänzte Itoe und gab ihrer Freundin alle Fünfe.

Der riesige Mamoru zog den Typen in seiner Linken noch ein wenig höher zu seinem Gesicht, wo er den eingeschüchterten Landsmann durch schlitzartige, dunkle Augen ansah.

„Es wäre gesünder für dich, wenn du deinem feigen Freund und dem Rat meiner Begleiterinnen folgen würdest. Sehe ich dich noch ein Mal hier in der Gegend zwielichtig spazieren, dann zeig ich dich an, verlass dich drauf!“, raunte er ihm mit brummiger Stimme ins Ohr und lies ihn dann abrupt los. Der Japaner landete unsanft auf seinen Knien, wagte sich aber nicht noch etwas zu erwidern und floh die ersten Schritte im Vierfüßlergang. Wie Hampelmänner rannten sie davon, alle Gliedmaßen ruderten wild in der Luft, weil sie sich vor Tempo fast überschlugen. Chrissie sah noch ganz überrumpelt aus, doch als Nina und die drei Retter in der Not laut loslachten, konnte auch sie sich nicht mehr halten.
 

Hyde atmete laut und schwer aus und ließ das Fernglas auf das Fensterbrett sinken, auf dem er sich geschafft und mit hängendem Kopf abstützte.

»Mein Gott, das ging ja noch mal gut… nicht zu fassen, was da los gewesen sein muss… ein Glück, dass Nina rechtzeitig bei ihr war, nicht auszudenken, was Enah sonst zugestoßen wäre…!«

Er schüttelte den aufreibenden Gedanken ab und versuchte sich mit der Tatsache zu beruhigen, dass sie und Nina jetzt offensichtlich in Sicherheit waren und er sie später vielleicht von der Bühne aus sehen konnte. Natürlich schwirrten ihm jetzt wieder allerhand Fragen im Kopf herum, aber die mussten wohl oder übel auf nach dem Konzert verschoben werden…

»Oh nein, das Konzert!«

Er schwang seinen schmal gebauten Körper herum und joggte zur Maske zurück, wo nicht nur seine Bandkollegen ungeduldig auf ihn warteten, sondern auch die Make-up-Artisten, die sich noch dringend um ein gelungenes Auftreten auf der Bühne bemühen mussten. Vor allem nach diesem Stress, den Hyde in den letzten gut 15 Minuten hilflos durchmachen musste.
 

„Oh Süße ey, du machst Sachen… ich hab gedacht, jetzt bist du verloren!“, sagte die Größere in ihrer Muttersprache, fiel der Kleineren stürmisch um den Hals und drückte sie fest.

„Hey, wenn du mich jetzt zerdrückst hast du auch nichts mehr von mir!“, gab Chrissie erstickend zurück.

„Oh, ’tschuldige!“

„Schon gut…“, sagte sie und rieb sich ihren Hals, „…warum kommst du erst jetzt? Das war vielleicht Timing, die Typen wollten mich grad in ein Hotel abschleppen!“

„Was?! Ehrlich? Uff… na so ein Glück, dass wir noch rechtzeitig hier waren!“

Während sie den Satz beendete deutete sie mit einer Handbewegung auf die Gruppe von drei jungen Japanern, die nicht unwesentlich an Chrissies Rettung beteiligt gewesen waren. Ein fragender Blick huschte von Nina zu ihnen und wieder zurück.

„Das sind Mamoru, seine Freundin Itoe und Yôki. Ich hab sie getroffen als ich bei der Einkaufspassage nach dir gesucht habe und sie wollten mir direkt helfen dich zu finden.“, erklärte sie ihr jetzt wieder in Japanisch.

Die 3er-Clique lächelte breit und die Mädchen machten das typische Victory-Zeichen. Chrissie gab ein leicht schüchternes Lächeln zurück und machte eine kleine Verbeugung nach vorne, dabei fiel ihr Itoes mit Bildchen übersäte Handtasche auf. In gebeugter Haltung verharrte sie und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Tasche!

„Seit ihr auch Laruku-Fans?“, fragte sie freudig erregt.

„Natürlich!“, antwortete die quirlige Yôki übertrieben langgezogen.

„Nett dich kennenzulernen… Enah-san war dein Name, oder?“

Sie streckte ihr die Hand nach der Blauäugigen aus, die ihre Augen nur schwer von den L’Arc~en~Ciel Bildern auf der Handtasche nehmen konnte. Sie erwiderte die Geste und musterte die Japanerin eingehend.

„Enah reicht. Danke, dass ihr mir geholfen habt. Nina hätte mich bei ihrem schlechten Orientierungssinn bestimmt nicht alleine gefunden.“

„Mou~… Ach so ist das, kaum dass ich dir zur Hilfe geeilt bin, funktioniert dein Mundwerk wieder ja?“, maulte Nina gespielt beleidigt.

„Hör auf mich zu kritisieren, ich stehe noch unter Schock, ich darf das!“

Sie beide wurden von sechs verblüfften Augen mit zurückhaltender Neugier beobachtet, doch der Augenblick in dem Nina die beleidigte Leberwurst spielte war verflogen, als die offensichtlich schlagfertige Chrissie ihrer Rechtfertigung noch einen passenden, neckenden Gesichtsausdruck hinzufügte, der wie immer seine Wirkung nicht verfehlte und Nina dazu brachte aufzulachen.

„Hach ja~ du nun wieder… Jetzt aber mal im Ernst, es geht dir doch gut, oder?“

„Also mit fehlt jetzt körperlich nichts, bis auf das ich Ekeltypen-Hautfetzen unter meinen Fingernägeln habe…“, Nina verdrehte die Augen und brummte leise, „…geht es mir eigentlich ganz gut. Ich muss sagen, der Schreck sitzt schon noch, guck mal ich zittere sogar ein wenig…“

Chrissie hielt Nina ihre Hände ausgestreckt entgegen, ja sie zitterte und als ihre Freundin nach ihren Finger griff, hatte diese auch den Eindruck, dass sie sogar noch kühler waren als sonst immer. Das Herz der Hellhaarigen pumpte noch ordentlich und irgendwie wurden ihre Knie jetzt ganz weich und ihr wurde etwas schwindelig.

„Ok, vielleicht geht es mir doch nicht so gut… ich glaube, der eigentliche Schock überrollt mich grad…“

Ihre größere Freundin harkte sich sofort unter ihren einen Arm ein und ohne Aufforderung übernahm Mamoru die andere Seite. Itoe und Yôki wühlten aufgeregt in ihren Taschen herum.

„Gegen einen Schreck soll Schokolade gut helfen!“

Itoe hielt Chrissie eine angefangene Packung Mikado-Stäbchen hin, sie und ihre beiden lebenden Stützen hatten sich an die nahegelegene Hauswand in den Schatten zurückgezogen und saßen gerade auf dem Boden. Dankend nahm sie die auch bei ihr in Deutschland beliebte Süßigkeit entgegen und knabberte mit ermattetem Blick an dem ersten Stäbchen herum. Yôki reichte parallel dazu eine kleine PET-Flasche Mineralwasser. Besorgt musterte Nina ihre schmächtige Freundin immer wieder und rieb ihr den Rücken um den Kreislauf wieder in Gang zu bekommen. Sie alle sagten für eine Weile einfach nichts und Chrissie war dankbar dafür, es war gut sich für einen Moment einfach sammeln zu können und so atmete sie tief durch. Die Schokolade und das Sprudelwasser halfen recht schnell, aber noch traute sie ihren Beinen nicht so recht.

„Bist du eigentlich blind auf die Idee gekommen mich hier zu suchen?“, fragte sie irgendwann wesentlich munterer aussehend an Nina gewandt.

Diese hielt plötzlich unnatürlich inne, verdutzt erwiderte Chrissie ihren anklagenden, aber nicht vorwurfsvollen Blick.

„Nein, ist sie nicht.“, warf Yôki ein, machte aber gleichzeitig eine entschuldigende Verbeugung Nina gegenüber, als diese ihr den Kopf ruckartig zugewandt hatte.

Chrissie ahnte schon, dass sie wohl ein Thema angeschnitten haben musste, das Nina wohl gerade am wenigsten debattieren wollte. Doch rückgängig machen lies es sich jetzt nicht mehr, die flippige Japanerin erzählte direkt im selben Atemzug weiter.

„Sie hat direkt zu Beginn unserer Suche einen ominösen Anruf bekommen, bei dem ihr wohl ziemlich genau gesteckt wurde, wo sie dich finden kann.“

Rotblonden Wellen flogen herum, als sie ihren Kopf ihrer Reisebegleiterin zuwendete und sie mit einem Blick aus Erleuchtung und stummer Frage regelrecht anstarrte. In der Miene der Schwarzhaarigen erkannte sie nicht viel, außer dass sie schwer damit beschäftigt war nicht verräterisch zu grinsen. Das reichte als Antwort, nur ihre neuen Bekanntschaften waren noch völlig ahnungslos.

„Nina-sa… ich meine Nina, hat kaum ein Wort verloren, sie sagte uns nur, dass es jemanden gibt, der ihr ziemlich genau sagen konnte, wo und vor allem wie wir dich vorfinden würden.“

Jetzt ruhten alle Augen auf ihr und das war nicht gut, niemand rechnete jetzt mit einer Story á la “Ich hab japanische Spione/Ninja/Geheimagenten in meinem Bekanntenkreis“, aber damit wahrscheinlich noch eher, als wenn sie ihnen jetzt auftischen würde, dass die Info von Hyde gekommen war. Der Gedanke daran allein schon war irrelevant und stand nicht zur Auswahl!

„Wer hat dich denn angerufen? Ich dachte, ihr seid alleine nach Japan gekommen?“

Mamoru und auch die anderen prüften sie nicht auf aufdringliche oder gar skeptische Weise, es war mehr Neugier und noch lag ein nettes Lächeln auf allen Gesichtern. Eine Geschichte musste her und das schnell! Da überkam sie ein Déjà-vu – schon einmal an diesem Tag hatte sie sich auf die Schnelle eine Ausrede ausdenken müssen um eines ihrer Idole zu schützen. Nur für Chrissie war unübersehbar, dass in Ninas augenscheinlich gefasster und schweigsamer Miene die Anstrengung nach einer Lösung zu suchen geschrieben stand.

„War es vielleicht die Praktikantin aus unserem Hotel?“, leitete sie wie aus dem Nichts eine Antwort für ihre überforderte Freundin ein.

Es war nur ein Blitzgedanke, denn wenn Nina ihnen nichts von der Sache mit Gackt und Hyde erzählte hatte – und sie wusste, das hatte sie nicht – dann konnten sie auch nicht wissen, wie und wo sie untergebracht waren. Hoffentlich konnte die Jüngere etwas mit dieser Vorlage anfangen! Nina sah Chrissie tief und prüfend in die Augen, doch sie lächelte nur und nickte zustimmend, so als ob sie sie ermutigen wollte ruhig davon zu erzählen, was es mit der angeblichen Praktikantin aus dem nicht vorhandenem Hotel nun auf sich hatte.

„Äh… ja… die Praktikantin…“, ihn Ninas Kopf ratterte es, doch der Geistesblitz kam!

„Ach ja! Die Praktikantin!“, wiederholte sie übertrieben langgezogen, sodass Chrissie ihr imaginär auf den Hinterkopf einen Klaps gab.

Jetzt sah Nina mit strahlenden Augen in die Gesichter ihrer gespannten Zuhörer, räusperte sich bedeutend und straffte sich.

„Wir haben bei unserer Ankunft eine junge Frau kennengelernt, die ein Praktikum in der Kundenbetreuung in unserem Hotel macht. Sie hatte an der Uni wohl ein bisschen Deutsch, deswegen sind wir ins Gespräch gekommen… und sie steht auch total auf Laruku und wollte heute hier sein! Wir haben einfach die Nummern ausgetauscht, weil wir uns vielleicht auch mal privat treffen wollten um was zu unternehmen. Sie wollte uns Kyoto ein bisschen zeigen.“

„Ah! Dann muss sie mich hier gesehen haben!“, ergänzte Chrissie und lies es ganz selbstverständlich klingen.

„Ja, so war es auch… sie war sich erst nicht sicher, weil sie dich nur flüchtig gesehen hat, kam dann aber ins Grübeln und wunderte sich, warum du wenn dann ohne mich unterwegs bist und dann noch mit diesen Typen… da hat sie mich zur Sicherheit lieber angerufen.“

Die beiden Mädels grinsten sich selbstzufrieden zu, Chrissie nickte sogar ein wenig anerkennend.

„Und warum ist sie nicht stehengeblieben um dich anzusprechen oder dir sogar zu helfen, wenn es ihr komisch vorkam?“, fragte Itoe, nachdem außer ihr eigentlich alle zufrieden mit der Erzählung waren.

„Oh schaut nur wie spät es schon ist! Wir sollten uns aufraffen und endlich mit einreihen! Wird es denn gehen, Enah?“

Selten waren sie so froh darüber, dass jemand anders für sie ein Gespräch auf diese Weise beendete. Mamoru war definitiv eine angenehme Begleitung, nützlich war er allemal! Bevor Itoe Luft holen konnte um sich über die empörende Unterbrechung zu echauffieren, antworte Chrissie zufriedenstellend und ließ sich aufhelfen.

„Für L’Arc~en~Ciel würde ich auch mit einem gebrochenem Bein da reinspazieren!“

Allgemeines Gelächter erklang. Die Vorfreude auf das bevorstehende Konzert machte sich jetzt wieder breit und auch die Japaner ließen sich sofort davon mitreißen und so war das Gesprächsthema von eben schnell vergessen.
 

In der Schlange eingereiht gab es natürlich sogleich kein anderes Thema mehr als Laruku und seine Members an sich! Nina und Chrissie schauten sich neugierig in der Masse um, obwohl der Landessprache mächtig, war doch noch Vieles neu und aufregend für sie und Fans zu beobachten, die Cosplay machten, ausgefallene Klamotten trugen oder Songs trällerten, brachte ihnen dasselbe wahnsinnige Gefühl ein, dass sie schon hatten als sie für Gackt vor dieser Halle gestanden hatten. Nur waren sie diesmal erheblich schweigsamer als beim letzten Mal. Der Tag an dem alles angefangen hatte lag noch gar nicht lange zurück, aber trotzdem kam es ihnen vor wie aus einem anderen Leben. Würden sie da drin jetzt wirklich den Hyde sehen, den sie noch vor Stunden so persönlich erlebt hatten? Es fühlte sich abwegig und fremd an und obwohl sie erwartet hatten weniger nervös zu sein, waren sie es keineswegs! Yôki und Itoe, die die ganze Zeit wild rumfreakten, kreischten und kicherten führten ihnen vor Augen, wie sie gewesen waren, als es zu Gackt in die Halle ging. Sie ließen sich mitreißen, das Fangirl in ihnen war einfach zu übermächtig!

„Was ist das eigentlich für ein Konzert? Wir hatten in Deutschland gar nicht mitbekommen, dass es eine Tour geben würde.“, fachte Enah ein neues Gespräch an.

„Das ist keine richtige Tour, es sind ein paar kleinere Konzerte die aber erst ganz kurzfristig bekannt gegeben wurden. Viele Tracks von SMILE, aber auch ältere Sachen sind dabei. Wahrscheinlich kommerzielle Gründe.“, antwortete Itoe.

Ihre Freundin zog vor einem Taschenspiegel noch einmal Eyeliner und Co nach und hüpfte dann in gewohnter Manier wieder zwischen ihnen herum, immer auf der Suche nach etwas Spannendem, das man mit einer Digitalkamera fotografieren konnte. Das erinnerte Chrissie daran, dass sie ihre auch dabei hatte und so schoss sie direkt ein paar Bilder von diversen Plakaten, der Warteschlange und einigen Fans, von Nina und sich und zu guter Letzt forderte sie ihre ernannten “Drei Engel für Enah“ auf sich zu ihnen auf ein Gruppenbild zu gesellen. Nachdem einer der umstehenden Fans es nach mehreren Anläufen erfolgreich geschafft hatte ein Bild zu schießen, auf dem keiner von ihnen durch ungehaltenes Loslachen oder Grimassenschneiden aus der Reihe gefallen war und sogar Mamoru bis zur Haarspitze drauf zu sehen war, verloren sie sich wieder in die üblichen Gesprächsthemen über ihre gemeinsame Lieblingsgruppe. Es war durchaus eine Herausforderung nicht zu sehr im Verhalten aufzufallen, wenn jemand von ihnen auf Hyde zu sprechen kam. Chrissie driftete bei diesen Themen immer wieder ab, sie hatte Nina zwar noch nicht fragen können, doch sie war sich sicher, dass es nur Hyde gewesen sein konnte, der Nina geholfen hatte sie zu finden. Mit einem sehnsüchtigen Blick nach oben suchte sie die Fenster der Halle nach irgendeinem Anzeichen ab, das sie von dem Drang ablenken könnte, Nina sofort auszufragen wie genau alles abgelaufen war. Doch lange konnte sie ihren Gedanken nicht nachhängen, denn von den vorderen Bereichen wurde freudiges Gekreische laut und ein Ruck ging durch die Schlange – der Einlass hatte begonnen!

„Ninaaa~ Ninchen, Laruku… live!“, presste sie zwischen ihren vor Anspannung zusammengepressten Lippen hervor und krallte sich fest in den Arm ihrer Freundin.

„Ja~h! Hyde live!“, entgegnete diese nur und tätschelte die verkrallten Hände an ihrem rechten Arm liebevoll.

Dass sie von so einer starken Welle von vorfreudiger Erregung übermannt wurde, damit hatte die Rotblonde nicht gerechnet! Sie bewältigte so viel Bauchkribbeln, Gänsehaut und Herzflattern auf einmal, dass sie glaubte an diesem Glück zu platzen! Hatte sich Nina so auch gefühlt, als sie auf das Gackt-Konzert gegangen waren? Der Gedanke an Hyde, an dessen unwiderstehlichen Blick wenn er performte, an seine uneinstudierten, improvisierten Bewegungen und an seine natürliche Ausstrahlung bekam eine ganz neue Bedeutung, wenn sie an die letzten Tage dachte. Ihn in gewisser Weise persönlich zu kennen machte das alles hier irgendwie noch aufregender für sie und obwohl sie wusste, dass es Unsinn war, konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie Hyde mit denselben Augen sehen würde wie in all den Jahren zuvor, irgendetwas musste sich doch geändert haben!

Es ging trotz der strengen Kontrollen am Eingang zügig voran, doch als sie auf der Höhe der Theaterkasse waren, an der sich ein paar enttäuschte Fans tummelten, die vergebens gehofft hatten noch eine Karte vor Ort abzubekommen, fiel Chrissie wieder ein, dass sie selbst nur diesen Zettel von Hyde dabei hatten. Sie stupste Nina spürbar an, als diese zielstrebig weiter in Richtung Eingang steuerte.

„Komm mal bitte mit mir rüber an die Theaterkasse!“, übertönte Chrissie lautstark das aufgeregte Gemurmel um sie herum.

Ninas dunkle Augen waren erst verwirrt, doch sie verstand schnell um was es ging, als ihre zierliche Begleiterin stumm das Wort “Karten“ mit ihren Lippen formte. Sie warf einen Blick zu dem japanischen Trio, das sie zwar auch überrascht musterte, aber bereits ein Stück weiter voran war als sie beide.

„Wir müssen noch was klären, wir kommen nach!“, rief Nina ihnen zu und erkannte noch, wie Yôki mit den Finger das OK-Zeichen gab.

Schon zog Chrissie beharrlich an ihr und sie standen an der Kasse. Der Blick der Ticketverkäuferin war höflich wie genervt, hinter ihr in der Kabine war ein Plakat von Laruku auf dem unmissverständlich ein Banner aufgeklebt war, auf dem “Sold Out“ stand. Wahrscheinlich dachte sie, sie beide wären wieder zwei arme Schweine, die hier vergeblich ihr Glück versuchten und sie womöglich auf Knien und unter Tränen anbetteln würden doch noch ein Ticket aufzutreiben. Chrissie war etwas mulmig zumute, als sie die flüchtigen Blicke der anderen, deprimierten Fans auffing, doch sie holte Hydes Zettel hervor und überreichte ihn noch halb zusammengefaltet der Verkäuferin. Deren Augen wurden misstrauisch schmal als sie das weiße Papier entgegennahm, dafür weiteten sie sich wieder mit jedem Wort, dass sie zu lesen schien. Nach einer gefühlten Ewigkeit sah sie auf, starrte ihnen in die Gesichter, dann wieder auf das Papier. Nachdem sie das ungefähr fünf Mal wiederholt hatte, stellte sie endlich eine Frage.

„Wo habt ihr das her?“

Die beiden Freundinnen sahen sich unsicher an, bevor Chrissie eine Antwort gab.

„Ähm… das steht ja eigentlich drauf…“

Wieder starrte die Frau mittleren Alters auf den Zettel.

„Kann ich eure Ausweise haben?“

Sie nickten hektisch und schon wühlte die Kleinere in ihrer Tasche nach ihren Portmonees, in denen sie ihre deutschen Personalausweise hatten. Chrissie ging lieber auf Nummer sicher und gab auch gleich noch die Reisepässe mit heraus – die hatten sie immer dabei, sicher ist sicher. Der Verkäuferin blieb beim Anblick der Unterlagen nur die reinste Verwirrung, sie nickte ihnen kurz zu, zog dann die Rollladen herunter und war weg.

„Ähm… meinst du, die kommt wieder?“

„Ich hoffe doch mal, ohne unsere Ausweise und Pässe kommen wir ja schließlich nicht weit…“, antwortete Chrissie und warf hinter sich einen Blick auf die schwindende Schlange.

„Das war’s dann wohl mit weit vorne stehen, oder?“, nahm Nina ihr den Gedanken ab.

Sie zuckte nur mit den Schultern, ein wenig ernüchtert war sie gerade, aber nicht wegen des Platzes den sie abbekommen würden, sondern weil sie befürchtete, dass ihre generelle Teilnahme an diesem Konzert auf wackeligen Beinen stand. Zur ihrem gemeinsamen Glück jedoch erschein die Frau ziemlich schnell wieder in ihrer Kabine, ließ die Rollladen wieder hoch und lächelte sie überfreundlich an.

„Bitte entschuldigen Sie die Verzögerung, ich vertrete gerade meine Kollegin und diese hatte mir vergessen Bescheid darüber zu geben. Hier sind selbstverständlich Ihre hinterlegten Tickets und Ihre Ausweise.“

Nina fiel die Kinnlade runter, als sie auf den zugeschobenen Tickets die drei Buchstaben “VIP“ erkennen konnte, doch Chrissie steckte sie zügig weg noch ehe irgendwer in der Umgebung noch lange die Möglichkeit hatte seine Antennen zu weit auszufahren. Sie selbst jedoch war auch wie in Trance, als sie schnell die Bezahlung abwickelten und sich dann anschließend schon bald vor der Kontrolle wiederfanden. Dort gab es auch von den Kontrolleuren noch einen verblüfften Blick, aber sie kamen schlussendlich hinein. Das war die Hauptsache.

„Chrissie, hab ich das richtig gesehen? Sind das VIP-Tickets?! Hast du gesehen, wie neidisch und argwöhnisch uns die anderen Fans an der Kasse angesehen haben? Oder die Leute hier am Einlass? Was hat Hyde denn gemacht?“

Ihre Freundin sah sie nicht an, sie ging fließend zwischen den anderen Leuten voran, Nina an der Hand fest im Schlepptau und erkämpfte sich ihnen so einen gewissen Vorteil den anderen gegenüber, die parallel mit ihnen eingelassen wurden.

„Auf dem Zettel stand nicht viel, nur das auf unsere Namen über ihn Tickets für uns reserviert wären und seine Unterschrift eben.“

Das musste als Antwort reichen, in der Halle galt es unter den Umständen der freien Platzwahl Ausschau nach den wenigen zu halten, die noch frei und geeignet waren. Im vorderen Drittel eher links gehalten erkannte Nina eine große, kräftige Gestalt als Mamoru, er hatte Yôki auf seine Schultern gehoben und diese winkte mit beiden Armen in ihre Richtung.

„Schau mal da, da sind Yôki und die anderen!“

„Was? Wo?“

Chrissie reckte sich, doch die kleine Menschenpyramide war auch so mehr als gut zu erkennen. Ohne der offensichtlichen Einladung zu widersprechen huschten sie durch die Sitzreihen nach vorne durch bis zum fröhlichen Trio.

„Wir hatten gehofft, dass ihr uns hier wiederfindet! Wir haben unter Einsatz unseres Lebens extra zwei Plätze für euch freigehalten!“

Mamoru hob sie wieder herunter auf den Boden und Itoe lachte Yôkis nach Mafia klingende Geschichte aus.

„Eigentlich hat nur ein strenger Blick von meinem Freund gereicht um uns etwaige Anwärter vom Hals zu halten.“

Chrissie und Nina lachten, das konnten sie sich sehr gut vorstellen, nachdem sie Mamoru in Aktion mit den beiden Perverslingen gesehen hatten. Obwohl, so schlimm konnte es nicht gewesen sein, die Japaner waren alle sehr gesittet und verhielten sich im Vergleich zu deutschen Fans mehr als fair und zuvorkommend, hier hatte man wirklich das Gefühl mit allen in einem Boot zu sitzen.

Die Halle hatte sich seit dem Konzert am Samstag bis auf das Bühnenbild nicht verändert, warum nur war alles trotzdem so neu und fremd? Sie prüften ihre Lage, sie war nicht die Beste, aber immer noch besser als ganz hinten zu stehen, auch wenn die Ränge dort höher gelegen waren und man immer noch sehen konnte, was auf der Bühne passierte. Euphorisch erwarteten die Fünf den Beginn, die Leute hatten sich auf ihren Plätzen eingefunden und inzwischen war schon einiges an Zeit vergangen und sie hatten sie genutzt um noch einmal komplett auszurasten vor Freude – eine Reaktion, die bei den Japanern immer wieder für belustigte Gesichtsausdrücke sorgte. Dann war es soweit, ähnlich wie bei Gackt wurde die Halle erst dunkler, ein paar Scheinwerfer gingen an und setzten die Bühne richtig in Szene.

Als ein kurzes Intro gespielt wurde schrie und kreischte die gesamte Halle, die kleine Truppe eingeschlossen! Dann kamen sie alle nacheinander auf die Bühne, voran Testu, der fröhlich grinsend offen allen in der Halle zuwinkte und seinen Bass mit einer Schlaufe um den Hals vor sich hertrug. Ihm folgten Gitarist Ken und Schlagzeuger Yukihiro. Das Schlusslicht – und das war Hyde – ließ sich am längsten Zeit, doch bei ihm wurde auch am meisten gebrüllt! Er sah einfach wahnsinnig gut aus in seinen weiten, ausgefallenen Klamotten, dem flatternden Mantel und den offenen Haaren, die frech über seine verdeckten Schultern strichen. Als er zur Mitte der Bühne lief hielt er nur die linke Hand geformt zum Rock-Zeichen hoch und grinste keck über die Massen hinweg, in der rechten Hand hielt er ein Micro, dass er in der Mitte angekommen in seinen zugehörigen Ständer schob. Alles brüllte, die Hände flogen zum Zeichen des Rocks in die Höhe und man konnte spüren, wie die Halle zum Leben erwachte und einen Puls bekommen hatte. Da stand nun also L’Arc~en~Ciel und ein weiterer Traum der beiden Deutschen war im Begriff sich zu erfüllen!

Hyde begann zu sprechen, er rief die Frage hinaus, ob Kyoto bereit war an diesem Abend zu rocken und der Jubel war ohrenbetäubend! Die schokobraunen, von Eyeliner umrahmten Augen schwebten über die Fans hinweg, ob er vielleicht in diesen Augenblicken versuchte sie beide unter den anderen auszumachen? Chrissies Gedanke war sicherlich begründet, schließlich hatte er selbst ja dafür gesorgt, dass sie überhaupt am Konzert teilnehmen konnten, doch es war eher unwahrscheinlich, dass er sie hier an der Seite so schnell entdecken würde.

Das Anheizen der Menge dauerte nicht lange, die ersten Akkorde erklangen und sie erkannten die Melodie von READY, STEADY, GO! Wenn sie bis dahin geglaubt hatten, es war in der Halle laut gewesen, dann hatten sie sich getäuscht, dabei hätten sie es nach dem Konzert von Gackt besser wissen müssen. Hydes tiefe, rauchige Stimme flutete den Saal und die rockigen Beats bestimmten den Takt in denen alle miteinander auf und ab sprangen! Live war Hyde ein Gott, anders konnte die blasse Rothaarige es nicht ausdrücken. Immer wieder erzitterte ihr Körper unter dem Bass in seiner Stimme und unter dem Ausdruck in seinen Augen, den sie auch von dort aus gut ausmachen konnte. So weit hinten standen sie gar nicht, wie es zuerst den Anschein gehabt hatte.

Der erste Song war schnell vorüber, doch Weitere ließen nicht auf sich warten. Der Schwerpunkt der Tracklist lag eindeutig auf den Songs aus dem SMILIE-Album, doch es waren auch ältere – von ihnen beiden innig geliebte – Songs dabei wie Neo Unsiverse, I Wish, Lies an Truth und Stay Away, bei dem speziell Nina besonders abging sowie noch ein paar andere, die noch folgen würden. Bei Liedern wie Loverboy machte der schlanke Frontman die Mädels in der Halle wahnsinnig, indem er sich seines Mantels mit einem schwungvollen Ruck entledigte und einen begehrten Ausblick auf die Spitzen seines Flügel-Tattoos preisgab, da sein eng anliegendes Shirt ärmellos war. Hysterie verbreitete jedoch mehr die Art wie er seine Hüften in Bewegung setzte, als sein ästhetischer Körperschmuck. Auch die anderen Bandmembers präsentierten sich von ihrer besten Seite, doch Chrissie hatte keine Augen für sie, das Herz schlug ihr bis zum Hals, ihr ganzer Körper prickelte vor Energie, sie sang, sprang und schrie und konnte nicht anders als den Anblick, der sich ihnen allen bot, in sich aufzusaugen. Die letzen Minuten waren dahingeflogen und in dieser Zeit hatte Hyde es geschafft sie auf eine ganz neue, unbekannte Weise zu fesseln. Ein Mensch mit so vielen Gesichtern, mit so vielen charismatischen Gesichtern… sie war gebannt von ihm und einmal mehr war sie sich im Klaren darüber, dass es für sie nur eine Nummer Eins geben konnte. Dort auf der Bühne sah sie nur ihn…

Es gab eine kurze Pause, alle tranken etwas, wischten sich den Schweiß aus Gesicht und Nacken und warfen Goodies in die Menge. Tetsu sprang und rannte auf der Bühne hin und her und warf mit Bananen und anderen Dingen um sich, seine Fans lachten vergnügt. Sein goldkehliger Kollege gab sich von der coolen, lasziven Seite, zeigte Zähne beim Lächeln und leckte sich das ein oder andere Mal über die Oberlippe und heizte mit seinen üblichen Sprüchen die Menge an. Wie er dort oben stand und sich präsentierte konnte man glatt vergessen, dass es sich um einen gestandenen Mann von 36 Jahren handelte. Er lief langsam von einer Seite zur anderen und als er näher zu ihnen herankam ergriff Nina die Gelegenheit und brüllte so laut sie konnte seinen Namen, doch das taten noch viele andere, die erheblich weiter vorne standen. Dennoch sah er zumindest schon mal in ihre Richtung. Sie winkten wie verrückt, doch wenn überhaupt würde nur Chirssie mit ihren Haaren aus der Masse herausstechen, wenn sie nur nicht so klein gewesen wäre… Nina tippte Mamoru, der das ganze Spektakel mit einer guten Portion Gelassenheit erlebte, auf die Schulter und deutete dann, als sie sich seiner Aufmerksamkeit sicher war, auf Chirssie, dann zur Bühne wo Hyde stand und sich vornüber zu den Fans beugte und machte eine hebende Bewegung mit beiden Händen.

„HEY! Was zum…?!“, brüllte die zierliche Blonde, als sie plötzlich mit einem kräftigem Ruck einen hohen Sprung in die Luft machte, bevor sie wieder von starken Armen aufgefangen wurde.

Perplex starrte sie Mamoru ins Gesicht, der sich von hinten über sie beugen konnte und zwinkernd grinste, dann zu Nina und den beiden anderen Mädchen, die begeistert jubelten und zu mehr anfeuerten. Noch ehe Chrissie Einspruch erheben konnte flog sie wieder in die Luft und auch noch ein drittes Mal, dann hatte sie begriffen worum es ging und nahm sogar noch mit Anlauf und riss ihre Arme beim Sprung hoch in die Luft. Längst hatte diese Aktion auf der Bühne Aufmerksamkeit erlangt, Ken nickte lächelnd zu ihnen und machte Hyde darauf aufmerksam. Seine Augen waren ganz kurz größer geworden als sonst, kurz genug das nur Chrissie und Nina wussten, warum. Jetzt sprangen alle vier Mädels winkend auf und ab und brüllten im Einklang Hydes Namen. Er hörte sie über die anderen direkt vor ihm nicht heraus, aber er hatte sie ausfindig gemacht. Er schenkte ihnen ein schiefes, süßes kleine-Jungen-Lächeln und winkte ein Mal mit seinem Mikro in ihre Richtung, bevor er sich wieder zu seiner Ausgangsposition zurückzog, noch ein paar Sprüche riss und dann den nächsten Song begann. Es wurde kurz dunkel, doch dann ging ein sanfteres Licht an und schon beim ersten Ton war Chrissie außer sich vor Freude! Blurry Eyes wurde gespielt! Die heiteren, mitreißenden Klänge machten ihr Hochgefühl perfekt und nicht nur ihres, man konnte die gesamte Halle mitsingen hören! War sich Hyde seiner Wirkung bewusst, die er auf die Menschen hier hatte? Seine Augen spielten mit ihnen, diese warmen, mandelförmigen Augen… und dieses Lächeln in seinem Gesicht! Er hatte seinen Spaß, man sah es an seinen schlaksigen Bewegungen, an den Grimassen die er schnitt, einfach an allem! Und Tetsus Einsatz nach fast drei Minuten des Songs war ebenfalls supersüß, Hyde hatte sich neben ihn gestellt und sie sangen gemeinsam in ein Mikro. Wie genial konnte dieses Konzert eigentlich noch werden?!
 

Es folgten noch ein paar wenige Songs und die bombastische Stimmung in der Halle riss einfach nicht ab, doch als der letzte Song verstummte und das Ending eingeleitet wurde, blieb bei Chrissie ein kleiner Wehrmutstropfen übrig. Sie hatte fest damit gerechnet, dass Laruku Coming Closer spielen würde, was sie auch vorher schon in der Warteschlange groß diskutiert hatten, dem war aber leider nicht so gewesen. Sie trauerte jedoch nicht, das Hochgefühl war noch viel zu übermächtig und wurde von dem Gedanken genährt, dass sie beide noch im Verlauf der nächsten Stunden die Gelegenheit bekommen würden Hyde persönlich vorzuschwärmen, wie fantastisch alles gewesen war!

„Es war so toll!“, schwärmten Itoe, Yôki und Nina im kleinen Chor und quietschten anschließend bekräftigend.

Viele Fans drängten sich zu den Ausgängen, andere standen einfach nur da und warfen sich weinend in die Arme einer Freundin und einige, so wie Chrissie, blickten auf die Bühne ohne sie jedoch wirklich anzusehnen. Vor ihren Augen stand die Band noch auf der Bühne und sie konnte Hyde strahlen sehen.

„Mensch Chrissie, sag doch auch mal was!“, riss sie Nina aus ihrer Trance.

Die größere Dunkelhaarige lachte von einem Ohr zum Anderen.

„Willst du hier noch stehen bleiben, oder gehen wir langsam? Wer weiß, vielleicht hat Hyde einen nahen Verwandten von Mike angeheuert…“

Ein gruseliger Schauer lief ihnen beiden den Rücken hinunter und Chrissie lachte kurz auf.

„Nee, darauf kann ich wirklich verzichten!“

Itoe trauerte ihrer Lieblingsgruppe noch hinterher, Mamoru musste wahre Überzeugungsarbeit leisten um sie zum Gehen zu bewegen, schlussendlich kuschelte sie sich dann an seinen Arm und ließ sich hinausbegleiten. Draußen dämmerte es, viele drängten sich an den Merchandise-Ständen und auch ihre Fünfergruppe warf einen neugierigen Blick hinüber auf die Traube von Menschen, die sich dort tummelten.

„Warum haben wir bei Gackt keinen Stand gesehen?!“, fragte sich Nina entsetzt, die auf einmal das Gefühl hatte, etwas Lebenswichtiges versäumt zu haben.

„Ähm… den gab es sogar ganz bestimmt, wir werden ihn vor lauter Aufregung übersehen haben… das war doch alles noch an unserem ersten Tag hier.“

Missmutig schob Nina ihre Unterlippe vor und zog ihre Augenbrauen herunter.

„Mou~ das ist doch doof… ich hätte gerne das ein oder andere Goodie zum Konzert gehabt…“

Beinahe wäre der Rotblonden ein flotter Spruch rausgerutscht, indem sie ihrer Freundin vermittelt hätte, dass sie das tollste “Goodie“ doch hautnah erleben durfte, doch in letzter Sekunde schluckte sie ihren Übereifer hinunter und blieb stumm.

„Wir würden uns dort schrecklich gerne etwas kaufen. Wollt ihr auch?“, fragte Yôki, die schon ganz kribbelig auf und ab hüpfte und nervös zum überquellenden Stand hinüber sah.

Chrissie schüttelte ihren lockigen Kopf.

„Nein, wir gehen schon mal raus, ok? Wir haben leider nicht das nötige Kleingeld für Merchandise.“

Die unruhige Japanerin nickte nur und packte dann hektisch nach ihren Freunden und drängte sich in die Menschenmenge. Nina schaute ihre Freundin ungläubig an.

„Bist du dir sicher? Ein bisschen Geld haben wir doch aber noch…“

„Nein, ist schon gut. Wir haben doch was viel Besseres!“

Sie zwinkerte verschwörerisch.

„Na los komm, wir gehen.“

Sie hakte sich unter und gemütlich verließen sie die Halle, kamen an der Garderobe vorbei und waren schließlich fast am Ausgang, als sie von der Seite von einem Suff-Member angesprochen wurden. Ein normal gebauter, junger Japaner mit buschigen Augenbrauen, schmalen Augen und einem kleinen Kinnbart.

„Verzeihen Sie, sind Sie die zwei Touristinnen aus Deutschland, die zwei VIP Tickets erstanden haben?“

So wie er die Frage gestellt hatte, schien er gezielt nach ihnen gesucht zu haben. Verwirrt nickten sie nur. Der Japaner blickte prüfend nach rechts und links, keiner der vorbeilaufenden Fans musterte sie neugierig, also winkte er sie beide näher heran an eine Absperrung, hinter der ein sehr schmaler, dunkler Seitengang lag.

„Darf ich einen kurzen Blick auf einen ihrer Ausweise werfen, bitte?“

Sie waren dermaßen irritiert, dass sie einfach nur mechanisch gehorchten ohne auch nur einen Mucks zu sagen oder sich sonst irgendwie groß zu regen. Chrissie zog ihren Ausweis hervor, das Member nickte nur schnell, prüfte dann noch mal die Lage, zog den Absperrzaun ein Stück zur Seite und winkte sie schnell durch. Nina gab ihrer kleinen Vorläuferin einen sanften Schubs, damit sie in die Gänge kam. Ohne Luft zu holen waren sie durchgehuscht und im Dunkel des schmalen Ganges verschwunden, der höfliche Mann zog hinter ihnen den Zaun wieder zu und folgte ihnen.

„Immer geradeaus.“, sagte er nur, als er fragende Blicke erntete.

Die beiden Freundinnen hatten jetzt zwei Ideen, was hier los war. Die eine – und die war ziemlich abwegig – drehte sich darum, dass sie beide jetzt zur Rechenschaft für irgendein illegales Verbrechen zur Verantwortung gezogen wurden. Waren die Tickets vielleicht gefälscht? Nein, das konnte nicht sein, schließlich hatten sie sie an der Theaterkasse gekauft und woher sollte der Japaner so genau gewusst haben, nach wem er suchen musste? Es konnte nur so sein, dass es was mit dem VIP auf den Tickets zu tun hatte… bzw. mit dem, der sie ihnen verschafft hatte…

„Hierher!“, rief eine andere fremde Stimme aus einem anderen Gang.

Chrissie hatte gar nicht bemerkt, wie weit oder lange sie gelaufen waren, hier war es hell und der Gang war breiter, um sie herum herrschte Betriebsamkeit von lauter Mitarbeitern in L’Arc~en~Ciel T-Shirts und irgendwann mussten sie auch eine Treppe benutzt haben, dieser Bereich hier konnte unmöglich auf derselben Ebene sein wie die Bühne! Die rufende Stimme kam diesmal von einer Frau, sie war unheimlich zierlich, sehr schlank und püppchenhaft, ihr Gesicht war oval und ihre glänzenden, schwarzen Haare waren zu einem kurzen Zopf am oberen Hinterkopf zusammengebunden. Nur ein modischer Pony fiel ihr kurz über die Augen. Ihre Miene strahlte Professionalität aus, sie lächelte ein dünnes Lächeln, winkte sie aber sehr freundlich heran und bat sie in den Raum hinein.

»Ist das die Maske?«, fragte sich Nina, die nur die Schminktische und das karge Mobiliar in ihre Vermutung einschloss.

Sie blieben in der Mitte des Raumes stehen und es wurde still, ob ihnen jetzt erklärt wurde, warum sie hier waren?

„Hyde-sama hat mir versichert, dass Sie beide höchst diskret mit dieser Angelegenheit verfahren würden,“, sie erntete eifriges Nicken, „deshalb wurden Sie auf seinen Wunsch hin hierher gebracht. Ich muss Ihnen das Versprechen abnehmen niemanden zu sagen, dass Sie hier waren, ohne Back Stage Pass ist das nämlich normaler Weise nicht möglich und selbst dann war noch nie jemand von Ihrer Position in diesen Räumlichkeiten.“

Sie trauten sich kaum zu atmen, aber nickten wieder. Die Frau sagte alles freundlich, aber mit einer gewissen Bestimmung im Ton, die deutlich machte, wie ernst sie das meinte, was sie sagte.

„Bitte warten Sie hier, bis Sie abgeholt werden. Ich wünsche Ihnen noch viel Spaß und bedanke mich dafür, dass Sie an unserer Veranstaltung teilgenommen haben.“

Mit diesem Satz verbeugte sie sich auf traditionelle Weise und verließ den Raum. Nina wand sich zu Chrissie, die ihr ebenfalls einen angespannten Blick schenkte.

„Ok, was war das jetzt?“

„Hast du doch gehört. Anscheinend hat Hyde irgendwas gedreht, damit wir hierher konnten. Vielleicht deswegen das VIP… ich meine, normalerweise bekommen nur Promis oder Journalisten solche Karten.“

Ninas dunkelgrüne Augen blitzen auf und einer ihrer Mundwinkel zog sich hoch zu einem anzüglichen Grinsen.

„Ich wette, er hat das wegen dir gemacht, dass wir ihn jetzt hier treffen können.“

Chrissies Wangen färbten sich rosa und mit großen Augen starrte sie ihrer Freundin ins Gesicht.

„Blödsinn! Warum das denn?!“, winkte sie abwehrend ab und rang um Fassung.

„Na weil er es doch war, der dich an der Straße gesehen hat und mich dann anrief, damit ich dir helfen konnte.“

Chrissie sah sie nicht noch mal an, ihr Herz klopfte eh schon ganz peinlich vor sich hin und machte einen Satz, wenn sie auch nur daran dachte, dass er ihr heimlicher Retter war. Als ihre größere Begleiterin ihre gleichgültige Haltung verstanden hatte, zog sie einen weiteren Trumpf aus ihrem Ärmel.

„Er wollte dir sogar Security zur Hilfe schicken!“

„Uff! Ist nicht wahr!“, stieß es aus ihr hervor.

„Doch, er war richtig aufgewühlt als ich ihm am Telefon hatte.“

Sie versuchte die Tatsachen nicht so zu verdrehen, dass es hochgepusht wirkte, aber so ganz war ihr das wohl nicht gelungen. Zwei blaue Augen musterten sie skeptisch.

„Du erzählst doch Mist! Das stimmt alles gar nicht, nicht wahr?“

„Doch, das mit der Security stimmt!“, verteidigte Nina sich entrüstet.

„Und der Rest?“

„Auch… mehr oder weniger… klar hat er sich einen Kopf gemacht, wer hätte das nicht?“

Chrissie verschränkte die Arme und gab sich pikiert, doch hinter ihrer coolen Fassade bröckelte es mächtig, die Aufregung gleich auf Hyde zu treffen war größer als gedacht, vor allem nachdem Nina ein paar Details ausgepackt hatte. Was würde Hyde wohl denken? Würde er viele Fragen stellen? Wäre er sehr erschrocken, wenn sie ihm ihre Geschichte von der ersten Begegnung mit den beiden Typen erzählen würden? Gebannt warteten sie auf eine Regung, sie überlegten, ob sie sich setzen sollten… sie bemerkten die Handtücher über den Stühlen, die Wasserflaschen auf dem Tisch, die vielen Unterlagen, die Schminkutensilien vor den Spiegeln… und es lagen auch ein paar Kleidungsstücke auf den Stühlen.

„Meinst du, wir treffen hier auch auf Tetsu, Ken und Yukihiro?“, nahm die Jüngere die im Raum stehende Frage vorweg.

Gerade als Chrissie zu einer Antwort ausholen wollte, hörten sie ein Rumpeln hinter einer Tür, die sie vorher gar nicht bemerkt hatten. Sie lag direkt links vom Eingang, wenn man rein kam, war aber weiß und eben wie die Wand weshalb sie bislang keine große Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Es rumpelte noch mal und jetzt hörten sie auch den dumpfen Hall von Gelächter, tiefem Gelächter… so als würden Männer lachen! Die beiden Freundinnen machten einen Satz aufeinander zu und nahmen sich in der Mitte bei der Hand, während sie gespannt auf diese Tür starrten.

Es gab einen Rumms und die Tür bebte gefährlich, das Lachen riss nicht ab und da sprang sie plötzlich mit einem lauten Knall auf und ein triefnasser Mann nur in einer dunklen Jeans stolperte lachend heraus.

STILLE

Während in der mutmaßlichen Dusche, die in dem Raum hinter den Spiegel liegen musste, das Gelächter über den Tropfenden Fremden noch anschwoll, starrte dieser den beiden Frauen in der Maske in die verblüfften Gesichter. Sein Lachen war verstummt und auch die Abwehrhaltung in Richtung Duschraum gab er auf. Er stand einfach nur da und starrte vor sich hin.

„Wer seid ihr? Seid ihr Groupies? Was macht ihr hier?“, fragte er verdattert und zeigte mit dem Finger auf sie beide.

Sie schüttelten nur heftig die Köpfe, unfähig sich zu bewegen oder zu atmen.

»TESTU?!«, schoss es ihnen durch ihre rauchenden Köpfe.

Konnte das der Leader sein? Diese Stimme… und das Gesicht… auch wenn die Haare glatt und angeklatscht vom Wasser herunterhingen, es gab fast keinen Zweifel. Im Raum hinter ihm blieb nicht verborgen, dass er sich unterhielt und der Nächste Trat heraus. Diesmal fast trocken und komplett angezogen, obgleich auch nur einfache Jeans und ein legeres Shirt mit dem Laruku-Schriftzug. Mit der rechten Hand wuschelte sich dieser noch in seinen Haaren herum, doch es gab keinen Zweifel daran, dass es Ken war. Dieser hielt verdutzt inne, als er sie sah, gesellte sich dann aber dreckig grinsend zu seinem Kollegen und klopfte ihm auf die Schulter.

„Das sind doch keine Groupies man, das Mädel da ist doch die, die mit den beiden Typen an der Ampel stand.“

Er machte eine kurze Pause als er das sagte und überdachte alles noch mal, inklusive Hydes Reaktion auf Enah während dieser Beobachtung am Fenster.

„Na obwohl, vielleicht doch?“

„Wir sind keine Groupies! Wir sind…“

„Freunde von mir.“, unterbrach Hyde die Debatte und bremste Nina damit aus.

Er trat gleichzeitig mit Yukihiro aus dem Bad, der gekleidet war wie alle anderen seiner Kollegen auch. Hydes Haar war feucht und straff nach hinten gekämmt, der Blick auf seine Gesichtszüge war vollkommen frei und er grinste überlegen. Chrissies Herz flatterte und emotional schwankte sie zwischen Verlegenheit und Nervosität. Die gesamte Aufmerksamkeit hing an seiner schlanken Gestalt, die lässig auf die beiden jungen Damen zulief und dann kurz vor ihnen stehen blieb.

„Gut gemacht, Nina.“, sagte er nur und zwinkerte sie freundschaftlich an, bevor er sich Chrissie zuwendete.

„Und? Alles ok bei dir?“

Sie wusste zuerst gar nicht, worauf er hinaus wollte, sie war viel zu sehr durch den Wind, also hauchte sie ein raues „Ja“ und verstummte dann wieder. Plötzlich lachte er leise los.

„Gott, seit doch nicht so schüchtern!“

Der Sänger drehte sich zu seinen Mitmusikern um und winkte sie zu sich heran.

„Ihr wolltet doch die beiden deutschen Fans kennenlernen, die sich bei Gackt einquartiert haben und verantwortlich für all die witzigen Geschichten sind, die ich euch erzählt habe. Nun, hier sind sie: Das sind Enah und Nina aus Deutschland.“

Oh ja… hier war doch Panik angebracht, oder? Auf jeden Fall ging ihr Puls wesentlich schneller als sonst, sie standen dem vereinigtem L’Arc~en~Ciel gegenüber – allein in einem Raum und Tetsu war nur halb bekleidet!

„Also mich jedenfalls freut es eure Bekanntschaft zu machen!“, schnellte Ken mit ausgestreckter Hand hervor, der schief lächelte und ganz cool erschien.

„Mich auch. Und sorry wegen der Sache von wegen Groupies und so…“, sprach Tetsu, der vergeblich versuchte seine Hände an seiner nassen Hose abzuwischen, bevor er sie ihnen zur Begrüßung reichte.

Der zurückhaltende Yukihiro begrüßte sie ebenfalls mit Händedruck und einem höflichen Nicken.

„Entschuldigt, wir haben nicht damit gerechnet euch hier zu treffen... wir waren ganz überrumpelt, als wir plötzlich beim Rausgehen abgefangen wurden… es ist einfach der Hammer euch persönlich zu treffen!“, versuchte Nina eine Antwort zu starten.

„Zum Glück warst du schon halbwegs angezogen, also du aus der Dusche geflüchtet bist…“, brachte Chrissie halbwegs selbstbewusst Tetsu gegenüber heraus und verursachte amüsiertes Gelächter mit ihrem Kommentar.

„Warum hast du uns denn nicht gesagt, dass du sie hier her bestellt hast, Hyde? Und wieso hast du gelogen, als wir dich nach dem Mädchen an der Ampel gefragt haben? Sie ist es doch, oder?“, fragte Tetsu neugierig, als er sich wieder beruhigt hatte.

„Surprise, surprise! Außerdem wäre uns dann doch dieser kurze Moment peinlicher Überraschtheit verloren gegangen.“

Während Chrissie und Nina darüber grinsten, wie süß es sich anhörte, wenn Hyde “surprise“ sagte, lies dieser seine Zungenspitze frech herausblitzen, als Testu ihm einen beleidigten Blick zuwarf, zeitgleich aber gegen ein Lächeln nicht ankam.

„Und warum ich euch nicht die ganze Wahrheit über Enah an der Straße erzählt habe… nun, ich wollte selber erstmal sichergehen, bevor ich euch von eurer Arbeit ablenke.“

„Du bist doch Enah, oder? Hab ich dich nicht im Publikum gesehen? Warst du nicht die, die immer hochgeworfen wurde?“

„Jap, die war ich.“

„Wer waren denn die anderen, die bei euch waren?“, fragte Hyde.

„Das waren drei japanische Fans von euch, die ich bei der Suche nach Enah getroffen habe… oh je… die haben gedacht, wir würden draußen auf sie warten, solange sie am Goodie-Stand sind…“

Nina warf einen betrübten Blick zu Enah, die aber nur mit den Schultern zucken konnte, sie hatten ja nicht voraussehen können, dass sie abgefangen würden.

„Oh, waren das gute Bekanntschaften?“, hinterfragte Tetsu.

„Nein, nicht direkt, aber sie waren sehr nett und wir hatten noch keine Gelegenheit gehabt E-Mail Adressen oder so was auszutauschen.“

Chrissie wirkte etwas betrübt, doch Hyde klopfte ihr sanft und aufbauend auf die rechte Schulter und lächelte sie an.

„Vielleicht trefft ihr sie ja noch einmal auf einem anderen Event, manchmal kann Japan ganz klein sein.“

„Eher unwahrscheinlich, da wir bis zum Ende unseres Urlaubes in Kyoto bleiben werden.“

Bevor Hyde diesbezüglich noch mehr Fragen stellen konnte, meldete sich Ken zu Wort.

„Wie fandet ihr es denn nun? Das Konzert?“

„GEIL!!!“, antworteten sie gleichzeitig.

„Es war richtig, richtig genial!“, beteuerte Chrissie mit strahlenden Augen.

„Ihr habt so abgerockt, es war einfach nur der Hammer!“, bekräftigte Nina.

Zufrieden über dieses Lob lächelte die Gruppe selig. Chrissie brannte es auf der Zunge mehr zu sagen als nur das, es war atemberaubend und er – Hyde - war umwerfend gewesen, diese Kraft in seiner Stimme, seine Ausstrahlung und wie er es in der Hand hatte, wie die Fans in der Halle reagierten… seiner Anziehungskraft konnte man sich einfach nicht entziehen! Und jetzt stand er hier vor ihnen, so normal wie jeder andere Mensch und in ihren Augen haftete an ihm ab sofort etwas Geheimnisvolles, etwas Magisches, dass ihn für sie ganz besonders machte. Mit diesem Konzert hatte er ihre Sichtweise auf vieles verändert. Sie lebte im Hier und Jetzt, ganz echt und intensiv und sie konnte noch immer spüren, wie die Energie des Lebens in ihren Adern pulsierte.

„Danke dafür, es war fantastisch.“, war alles, was sie noch sagte und unkontrolliert wurde sie rot um die Nasenspitze.

„Hattest du dich nicht auf ein Lied besonders gefreut? Eines, das gar nicht gespielt wurde?“, fragte ihre Freundin ohne bösen Hintergedanken, denn es fiel ihr gerade erst auf.

„Coming Closer.“, antworte die Blauäugige kleinlaut, sie wollte keine Kritik üben oder gar Ansprüche stellen.

Yukihiro, der sich sonst kaum am Gespräch beteiligte, meldete sich diesmal zu Wort.

„Ist das dein Lieblingssong?“, sprach der Drummer ruhig weiter.

„Ich hab viele Lieblingslieder. Ich mag es einfach und hab darauf gehofft, weil das SMILE Album ja noch nicht solange zurück liegt und ihr ja auch viele Songs davon gespielt habt. Ist aber vollkommen ok!“

Beschwichtigend hob sie die Hände und neigte den Kopf ein wenig zur Seite.

„Ich will unseren Smalltalk ja eigentlich nicht unterbrechen, aber ich denke es wird Zeit, dass wir uns alle fertig machen und dann langsam gehen. Es wird spät und hier gibt es noch ein paar Sachen zu klären.“, warf Leader-sama Tetsu ein und legte seine Arme um Yukihiro und seinen Gitaristen.

„Hyde, du fährst heute Nacht noch mal zu Gackt, nehme ich an?“

Er sagte zwar Gackt, nickte mit seinem Kopf aber zu den beiden Freundinnen hinüber.

„Ja, wir sehen uns dann erst wieder in Tokyo.“

„Schade, war nett euch kennenzulernen. Wäre sicherlich lustig mit uns geworden.“, sagte Ken, reichte beiden Mädchen die Hand und zwinkerte Chrissie zu, die nur verlegen zurückgrinsen konnte und den Kopf leicht schüttelte, Ken war unmöglich.

„Das glaub ich dir gerne, Ken. Sieh zu, dass du deine Sachen zusammensammelst und diese Nacht schläfst und nicht an der Hotelbar verbringst.“, entgegnete Hyde und drehte seinen Kollegen an den Schultern um in Richtung Tür.

„Keine Sorge, ich passe schon auf ihn auf und Yuki hilf mir dabei.“

Tetsu schlug mit Hyde ein, sie zogen sich Schulter an Schulter und Klopften sich dann auf den Rücken. Diese Geste hatten Chrissie und Nina schon oft bei Gackt und Hyde beobachten können, vor allem zu Moon Child Zeiten, doch auch sonst schien das eine verbreitete Form des Grüßens und Verabschiedens unter männlichen, japanischen Stars zu sein. Sie grinsten breit, weil ihre Gedanken schon wieder weite Kreise durch ihre blühende Fantasie zogen. Yukihiro klaubte einige Sachen von den Stühlen zusammen, winkte freundlich und verschwand dann hinter Ken aus der Tür.

„Vielleicht haben wir ja irgendwann mal das Glück und treffen uns noch mal! Bye!“, rief Tetsu winkend vom Türrahmen aus und war dann ebenfalls verschwunden.

„Aber abtrocknen und umziehen wird sich der Gute hoffentlich noch, oder?!“

Hyde lachte über Ninas Scharfsinn.

„Ich denke schon, allerdings wird er sich dafür jetzt wahrscheinlich nur noch Räume aussuchen, die man von innen abschließen kann.“

Jetzt lachten sie alle.
 

Nachdem Hyde sie noch mal für eine ganze Weile vertrösten musste, weil es noch ein paar Angelegenheiten zu klären gab, von denen er ihnen nicht wirklich etwas erzählte, kam er neu angezogen und halbwegs gestylt zurück. Seine feinen Haare waren jetzt trocken und fielen ihm ins Gesicht, mit einigen raschen Handbewegungen vor einem der Spiegel gab er vor, wohin welche Strähne zu fallen hatte und war anschließend zufrieden mit seinem Spiegelbild.

„So, ich denke, wir können jetzt gehen, ich muss nur noch meine Sachen holen.“

Hyde lief zum Spind und zog aus einem der Fächer eine größere Brieftasche, in der sicherlich mehr Ausweise und Karten drinnen waren als Bargeld, einen Schlüsselbund und ein Handy. Als er es aufschob um den Ton anzuschalten konnten die beiden Deutschen beobachten, wie sich seine Augen langsam weiteten und sich auch sein Mund langsam aber sicher schockgeweitet öffnete.

„Ist etwas passiert?“, fragte Nina ungeduldig.

Chrissie gab ihr einen Stoß zwischen die Rippen für ihre Plumpheit, Nina krümmte sich leicht und stöhnte unmerklich. Hyde sah auf und zwischen ihnen beiden hin und her, er sammelte sich wieder, befeuchtete seine Lippen und setzte zum Sprechen an.

„Es ist Gackt… er hat mein Handy praktisch bombardiert mit Anrufen und SMS … er hat über zwanzig Mal angerufen und mir unzählige Male geschrieben…“

Ungläubig stierte er auf das Display.

„Warum um Himmels Willen hat er so hartnäckig versucht dich zu erreichen?“, fragte Chrissie vorsichtig.

„Es ist mein Fehler… als ich dich an der Ampel mit den beiden Kerlen gesehen habe,“, er warf ihnen einen Blick zu, der unmissverständlich zu verstehen gab, dass er noch wissen wollte, was es mit ihnen auf sich hatte, „hab ich ihn angerufen, damit er mir Ninas Nummer gibt, damit ich ihr wiederum sagen konnte, wo du bist. Nachdem die Luft wieder rein war hab ich dann vergessen ihm Entwarnung zu geben und alles zu erklären. Eigentlich weiß er nicht mal genau, was passiert ist, ich hab ihn in der Eile nur um Ninas Nummer gebeten.“, erklärte er und rief seine Mailbox an um sich das Lesen der Kurzmitteilungen ggf. zu sparen.

„Erste neue Nachricht, empfangen um… Hallo Hyde, hier ist Gackt. Ich habe schon ein paar Mal angerufen und dir SMS geschickt, ich weiß, du musst bald auf die Bühne, aber bitte versuch mich schnellstmöglich zu erreichen. Ich möchte wissen was passiert ist, geht es Nina gut? Du klangst furchtbar am Telefon… Ruf bitte zurück, ich warte.“

Hyde sah wieder auf und stellte sein Handy auf Lautsprechfunktion um.

„Wie ich es mir gedacht habe, es geht um den Vorfall heute… Hört ruhig mit.“

Sie kamen ein paar Schritte näher heran und lauschten gespannt.

„Zweite neue Nachricht, empfangen um… Hyde, ich noch mal. Du hast noch nicht angerufen und wahrscheinlich hat das Konzert inzwischen angefangen. Ruf bitte zurück sobald du kannst! Dein Handy kann doch nicht so weit weg liegen…“

„Doch, kann es… und tut es immer, wenn wir ein Konzert haben…“, kommentierte Hyde leise.

„Dritte neue Nachricht… Hyde, geh endlich an dein Handy! Ich werde hier wahnsinnig vor Sorge! WAS IST PASSIERT?! Ruf an, ich kann hier nicht weg um euch aufzusuchen!“

„Klingt ein wenig gereizt, der Gute.“, flüsterte Chrissie ihrer Freundin zu, die sich bereits angespannt auf die Unterlippe biss.

„Vierte Nachricht… Oh Gott HYDE! Wie oft soll ich noch anrufen?! Das Konzert ist vorbei, RUF ZURÜCK!“

Sie drei hofften inständig, dass dies die letzte Nachricht war, doch die Mailboxfrau sprach weiter.

„Fünfte… Ich fahre jetzt nach hause, wenn du nicht UMGEHEND Meldung bei mir machst, dann kann ich für NICHTS garantieren!“

Sie legten sich stöhnend die Hände an die Stirn, konnte es noch schlimmer werden?

„Sechste… Hyde, DAS vergesse ich dir NIE! DAS IST DEINE LETZTE CHANCE MIR ZU SAGEN, WAS ZUR HÖLLE NOCH MAL PASSIERT IST!“

Sie schreckten vom Handy weg, Gackt hatte laut und energisch in sein Handy gebrüllt.

„Keine weiteren Nachrichten…“

Hyde schob mit schwitziger Hand sein Handy zu und sah in die verschreckten und gleichzeitig besorgten Mienen seiner beiden Fans.

„Ich schreib ihm eine SMS, das wir alle auf dem Weg zu ihm sind, ich glaube nicht, dass er gerade in einem emotionalen Zustand ist, wo es sich lohnt mit ihm zu telefonieren.“

Seine Finger flogen über die Tasten und schon bald erklang der Bestätigungston, dass die SMS verschickt worden war.

„Ist das meine Schuld?“, fragte die Rotblonde schuldbewusst.

„Oh nein, Gackt hat einfach einen Hang zu dramatisieren. Euer Wohl liegt praktisch in seiner Verantwortung, seit er euch zu sich genommen hat und dabei ist er jetzt ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Er sollte wissen, dass alles in Ordnung ist, sonst hätte ich mich ganz sicher noch mal bei ihm gemeldet. Er beruhigt sich wieder, er sitzt bestimmt bei sich daheim und wartet ganz ungeduldig darauf, dass wir kommen.“

Nina war nicht ganz so optimistisch gestimmt wie Hyde, der zudem gar nicht so locker und gelassen wirkte, wie er es eben mit seiner Äußerung rübergebracht hatte. Es bereitete ihr Unbehagen zu wissen, dass Gackt vielleicht glaubte, etwas sei mit ihr passiert und deshalb außer sich. Außerdem hatte sie bereits sein Temperament zu spüren bekommen, sie konnte sehr wohl einschätzen, wie dieser Mann wohl gerade drauf sein musste… Sie machten sich auf nach draußen, wo bereits dicht vor der Halle ein Taxi wartete, Hyde zog sich tief die Kapuze seiner unüblich weiten Sweatjacke ins Gesicht und dann huschten sie einer nach dem anderen zum Auto hinüber und stiegen ein.
 

Die Fahrt dauerte nicht lange, aber niemand sprach ein Wort, Hyde hatte dem Fahrer einfach einen Zettel mit einer Adresse hingehalten und sich dann zum Fenster abgewandt, damit der Fahrer keine Gelegenheit bekam ihn näher zu mustern. Chrissie und Nina warfen sich bedeutende Blick auf dem Rücksitz zu, beide schienen gespannt auf Gackts Reaktion zu sein und die Ältere erkannte, dass Nina sich wie üblich mehr Sorgen machte, als es ihr zustand.

Das Taxi hielt mitten auf einer Straße unweit von Gackts Grundstück, doch sie stellten keine verwunderten Fragen, sondern taten es einfach dem Sänger nach, der bezahlte und ausstieg. Als das Auto außer Sichtweite war, kam er wieder näher und zog sich die Sonnenbrille von den Augen, die er zusätzlich aus Tarnungsgründen aufgesetzt hatte. Die Mädchen fanden zwar gerade das auffällig, aber es ging sie ja schließlich nichts an.

„Wir müssen jetzt nur noch ein kleines Stückchen laufen, ich wollte nicht direkt vor Gackts Haus parken, was ihr sicherlich versteht.“

„Klar, sonst könntest du dir auch gleich ein Schild mit deinem Namen drauf umhängen… und wir im Schlepptau sorgen dann für die Schlagzeile…“

„Hyde mit zwei Europäerinnen auf dem Weg zu Gackt, Wilde Orgien im Haus des japanischen Musik-Gottes?“, ergänzte Nina und verdrehte theatralisch die Augen.

Hyde rieb sich zweideutig grinsend unter der Nase entlang.

„Zu einer Orgie gehört aber mehr als zwei ausgeglichene Pärchen.“

„Könnt ihr eure Debatte über Orgien oder Vierer vielleicht fortsetzen, wenn das Donnerwetter, das noch über uns kommen wird, überstanden ist?“, fiel Chrissie peinlich berührt in das Gespräch ein. Hydes oder Gackts Sexualität war nicht unbedingt ein angebrachtes Thema, wenn man bedachte, dass sie Idol und Fan waren und Hyde bei sich daheim eine Frau und Kind hatte.

„Das Donnerwetter kommt wenn über mich allein, so wie es sich für ihn angehört haben muss, wird er gedacht haben, Nina sei etwas zugestoßen und nicht dir.“

»Na prima, genau wie ich vermutet habe…«, dachte Nina und rieb sich angestrengt nachdenkend die Stirn.

„Du ziehst auch immer die Aufmerksamkeit auf dich.“, schimpfte ihre Freundin gekünstelt und hielt schnippisch die Nase in die Luft.

„Glaub mir, solchen Spaß wie du heute hattest gönne ich dir auch von Herzen alleine.“, konterte die Dunkelhaarige und warf gespielt bockig ihre Haare zurück.

„Wo ihr gerade davon anfangt… was hatte es denn nun mit diesen beiden Gestalten auf sich?“

Die Beiden stöhnten auf und wurden mit einem Mal ganz kleinlaut.

„Das ist eine etwas komplizierte Geschichte… und wahrscheinlich ist es irgendwie meine Schuld.“, begann Nina stammelnd.

„Nicht nur irgendwie wahrscheinlich, es war deine Schuld!“, wurde sie von ihrer Freundin unterbrochen.

„Hey, ja… auch dazu gehören immer zwei… Na wie auch immer. Wir haben diese beiden Typen schon in unserem Flugzeug gehabt, sie haben uns angeflirtet… und als wir vor dem Flughaften standen und noch nicht genau wussten, wie wir weg kommen, haben sie uns angesprochen und angeboten uns mitzunehmen.“

„Und ihr habt angenommen?“, fragte der Sänger mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Tja… sieht ganz so aus… es war uns von Anfang an nicht geheuer, aber als wir dann drin saßen und wir gemerkt haben, dass sie uns gar nicht fragen, wohin wir müssen, wussten wir, dass wir in der Tinte saßen.“

Gespannt und mit einer gehörigen Portion Erstaunen hörte Hyde zu, während sie immer weiter die Straße hinunter liefen.

„Wie ging es dann weiter? Haben sie euch bedrängt oder euch irgendetwas anderes angetan?“

„Nein, einer von Ninas “Anfällen“ hat uns Gelegenheit verschafft zu fliehen.

„Ein Anfall?“, hinterfragte er irritiert.

„Gackts Vanilla lief im Radio und da hat sie laut losgekreischt, sodass es den Fahrer im wahrsten Sinne des Wortes aus der Fassung gebracht hat.“

Auch Nina war gerade um Fassung bemüht, sie errötete bei der Erläuterung dieser erniedrigenden Geschichte aufs Äußerste.

„Wir sind rausgesprungen und losgerannt und dann in der U-Bahn entkommen.“

„Na ja, zumindest haben wir das gedacht… Bis wir ihnen heute beim Schaufensterbummel begegnet sind.“, fügte die Jüngere hinzu.

„Wir haben uns davongestohlen so gut es ging, aber als wir aus dem Kaufhaus raus waren haben wir uns aus den Augen verloren und ich hab beschlossen einfach vor zur Halle zu laufen.“

„Und ich hab versucht sie anzurufen, doch ihr Akku war leer… dann traf ich auf die drei Japaner, die mit bei Enahs Rettung geholfen haben und dann auch mit beim Konzert dabei gewesen waren.“

„Mamoru, Itoe und Yôki.“

Sie kehrten alle drei kurz in sich, Hyde sortierte in seinem Kopf, was er gehört hatte.

„Warum habt ihr uns das nicht erzählt, als wir uns am Sonntag darüber unterhalten haben, was euch hierher verschlagen hat und wie ihr bei Gackt gelandet seid?“

Sie erwiderten seine Frage mit einem entrüsteten Blick.

„Na weil ihr uns wahrscheinlich für die dümmsten Fangirls der ganzen Welt gehalten hättet! Und wer weiß, solche Naivchen hätte Gackt bestimmt nicht gerne in seinem Haus behalten…“, sagte Chrissie schließlich.

Hyde tänzelte erheitert von einem Fuß auf den anderen und lächelte dabei zuckersüß eines seiner vielen, schiefen Lächeln bei denen man ihn einfach nur knuddeln wollte. Sie mussten an sich halten nicht zu quietschen, ihre Mundwinkel zwickten schon vor Anstrengung.

„Schaut mal, wir sind da.“

Er zückte erneut sein Handy und wählte eine Nummer, die Mädels erkannten das schwere Tor und die hohen, undurchsichtigen Hecken, in denen sie erst vor Kurzem nach Hündin Belle gesucht hatten.

„Gackt? Ich bin es, wir stehen vor deinem Tor…“

Dann hatte er aufgelegt. Nur wenige Momente später schob sich das große Tor beiseite und sie konnten auf die Auffahrt laufen. Hinter ihnen schloss sich wieder alles. Im Dunkeln erinnerte das Panorama sie an ihre Nacht, in der sie das Haus zum ersten Mal gesehen hatten. Schnellen Schrittes liefen sie hinauf zum Haus, bogen um die Ecke und sahen wie Licht auf den Weg vor der Eingangstür geworfen wurde. Die Anspannung stieg wieder, auch Hyde sagte keinen Ton. In den Lichtschein schlich sich der Schatten einer schlanken, hohen Gestalt, als Nina aufsah, war es Gackts Silhouette, die sie ausmachte, bevor sie geblendet wurde. Sie erkannten beim Nähertreten, dass er mit verschränkten Armen, sein Handy in der rechten Hand, angelehnt im Türrahmen stand und einen bösen Blick auf seinen Freund warf. Dann standen sie direkt an der Tür und sahen ihn an, Hyde schuldbewusst mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen und die beiden jungen Frauen unsicher und verlegen. Gackts Blick glitt über sie hinweg, bei Nina blieb er kurz hängen, dann war er wieder bei Hyde angekommen, der noch an der untersten Stufe stand und wie die anderen zu ihm aufsehen musste.

„Ich hoffe, du hast eine gute Erklärung dafür…“, zischelte der große Sänger ruhig, aber bedrohlich.

Er schwenkte dabei sein Handy vielsagend, Hyde kratzte sich am Hinterkopf und suchte nach einem Ansatz.

„Es tut mir leid, ich hab einfach vergessen dir Bescheid zu geben.“

„Vergessen?“

Die jungen Frauen wussten nicht, was sie schlimmer fanden… wenn Gackt ganz ruhig sprach, oder wenn er seinen Frust laut hinausschrie, so wie auf der Mailbox seines Kollegen.

„Es war stressig, du weißt, wie das ist. Du weißt auch, dass ich mich sofort gemeldet hätte, wenn etwas Schlimmeres passiert wäre, aber es ist alles ok und du hättest einfach nur warten müssen, bis ich mein Handy überprüfe.“

Gackts Blick huschte schon wieder rüber zu Nina, die diesmal seinen Blick auffing und ihn mit einem kaum merklichen Kopfschütteln erwiderte.

„Ich will sofort wissen, was losgewesen ist.“

Er bat sie herein und schon schwebte der Geruch von Essen ihnen entgegen.

„Ich habe uns zu dieser späten Stunde etwas kommen lassen, ich dachte, ihr beide habt bestimmt Hunger.“

Er meinte nur seine weiblichen Gäste, Hyde ignorierte er geflissentlich. Erst jetzt merkten die Freundinnen, wie hungrig sie eigentlich waren und schoben sich voran in die Küche um Hyde und Gackt Raum zur Aussprache zu geben.

„Du bekommst erst etwas, wenn ich alles weiß. Mensch Hyde, ich hab mir die schlimmsten Dinge ausgemalt!“

„Sei nicht albern, Ga-chan, ich hatte alles unter Kontrolle und du siehst doch, dass es ihnen gut geht.“

„Was war los?“, fragte der Größere noch einmal ganz eindringlich.

Hyde gab es auf zu lächeln und seufzte.

„Ich hab Enah heute zufällig alleine vor der Halle mit zwei zwielichtigen Männern gesehen und hab mir gedacht, dass da etwas faul sein muss. Deswegen brauchte ich Ninas Nummer so dringend und es hat sich herausgestellt, dass ich nicht hätte besser reagieren können. Es war eine etwas verzwickte Situation, so viel ich weiß, Genaueres erklären sie dir besser selber.“

Gackt blieb glatt die Sprache weg und seine Miene war wie eingefroren.

„Darf ich jetzt etwas essen? Ich sterbe vor Hunger.“

„Das ist so typisch für dich…“, flüsterte Gackt, der sich von dieser Art Nachricht noch gar nicht wirklich erholt hatte.

Sie bogen beide um die Ecke in die Küche ein, wo Nina und Chrissie bereits damit beschäftigt waren Teller und Schälchen auf dem Tisch zu verteilen und das Essen auszupacken. Es gab asiatisches Gemüse mit Glasnudeln, dunkler Soße und Hünchenfleisch. Dazu eine leichte Suppe vorne weg und Teigtaschen – Gackt hatte es wirklich gut gemeint mit seiner Bewirtung.

Während sie aßen schwiegen sie die meiste Zeit, May streunte schnurrend zwischen ihren Beinen herum und auch Belle kam mal vorbei und suchte nach etwas Fressbaren, das vielleicht für sie abfallen könnte, doch ihr Dackelblick wurde nicht erhört. Ganz zu Anfang hatte Gackt bei den Mädchen selber noch einmal nachgefragt, wie es zu dieser ungeliebten Begegnung gekommen war und was die Kerle genau wollte, das löste jedoch eine solche Empörung bei den beiden Sängern aus, dass sich keine von ihnen mehr traute überhaupt etwas zu erzählen. Die unbequeme Stille währte schon recht lange und so sah Hyde sich genötigt ein neues, friedlicheres Thema zu finden.

„Wie ist das eigentlich, was habt ihr noch so vor in eurem Urlaub?“

Außer den zwei Deutschen sah auch Gackt von seinem Teller auf.

„Ähm, eigentlich nichts Konkretes… wir sind ja eher etwas unvorteilhaft in diese ganz Situation gestolpert und bislang hat der Zufall unseren Tagesplan bestimmt.“

Chrissie, die gesprochen hatte, schaute zu Gackt herüber, der die Anspielung verstand und leicht nickte.

„Was Enah damit sagen will, hätte sie nicht vergessen sich um ein Hotel zu kümmern, hätten die letzten Tage garantiert anders ausgesehen vom Verlauf her. Und die nächste Woche hätten wir sicherlich auch schon verplant.“

Hyde sah seinen Freund an, der noch immer etwas verstimmt deswegen war, dass er ihn solange in unbegründeter Sorge gelassen und ihn dann jetzt des Essens wegen sporadisch abserviert hatte.

„Also bleibt ihr die nächste Woche auch noch hier?“, fragte er schließlich, nachdem Gackt keine Anstalten machte sich dazu zu äußern.

Chrissie schluckte schwer und auch Nina gab sich unsicher.

„Na ja… inzwischen sind wir auf seine Hilfe mehr oder weniger angewiesen, was unser Dach über dem Kopf angeht.“

Die Rotblonde hatte jetzt die ganze Aufmerksamkeit beider Sänger auf sich gezogen, Nina rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her.

„Wir haben uns das veranschlagte Geld für eine Unterkunft auszahlen lassen und haben es größtenteils für eine andere Sache verwendet, die uns sinnvoller vorkam, da wir ja bei dir, Gackt, Unterkunft gefunden hatten.“

Die Lider um die blauen Kontaktlinsen herum zogen sich zu einer schmalen Linie zusammen.

„Habt ihr euch etwas Teures gekauft?“, hinterfragte Hyde und erhoffte sich eine milde stimmende Antwort.

„Nein!“, rief Nina empört.

Chrissie war so zusammengezuckt, dass sie fast vom Stuhl gerutscht wäre. Große Augen ruhten auf der Dunkelhaarigen, die Hyde und Gackt mit sicherem Auftreten gegenüber trat.

„Wir haben das Geld benutzt um die Unkosten für die Feier in Yokohama begleichen zu können. So war es mit dem Hoteldirektor ausgemacht, sonst wäre das mit dem Essen und so nicht möglich gewesen.“

Alle Parteien schwiegen betreten, Gackt seufzte und strich sich mit den Händen über die Augen.

„Das hättet ihr doch nicht machen müssen! Warum habt ihr mir das nicht gesagt?“

„Weil es sonst keine schöne Überraschung mehr gewesen wäre, wir wollten es tun und es war ein gelungener Abend, oder nicht?“, antwortete ihm die Blauäugige.

„Wir haben doch sonst nichts um uns für deine unglaubliche Gastfreundschaft zu revanchieren…“, fügte Nina noch hinzu.

„Ich habe euch aber nicht mitgenommen weil ich in irgendeiner Art und Weise eine Gegenleistung erwartet habe. Eigentlich kann ich nicht mal sagen was um alles in der Welt mich dazu bewegt hat, so was Absurdes zu tun. Seht uns an, jetzt sitzen wir hier gemeinsam, essen und unterhalten uns.“

„Und du fährst aus der Haut, wenn du einen deiner Gäste in Gefahr glaubst.“, neckte ihn Hyde.

„Du wärst genauso in Sorge gewesen, mein lieber Hyde! Erinnere mich nicht daran, sonst verbanne ich dich heute Nacht auf die Terrasse.“

Nina und Chrissie kicherten leise hinter vorgehaltenen Händen, sie fühlten sich geehrt, dass Gackt sie nicht als Last empfand und sich sogar Sorgen um sie gemacht hatte.

„Keine Sorge, Ninas Attacken haben richtig Schmackes, der eine Kerl ist gut geflogen als sie mich gefunden hatte.“, klinkte sich Chrissie grinsend in das lustige Streitgespräch mit ein.

Nina verschluckte sich an einem Bissen und rang nach Luft, ihre Freundin ignorierte ihr Verhalten und sprach einfach weiter, Gackt hörte aufmerksam zu und Hyde grinste mit ihr mit, er hatte das Schauspiel schließlich über das Fernglas beobachten können.

„Sie tauchte wie aus dem Nichts auf und ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie sie ihn von mir weggeschubst hatte. Da ist der erstmal mächtig gestrauchelt und hat doof geguckt.“

„Sowas traust du dich?“, fragte Gackt erstaunt.

Scheu wie ein Reh lief sie rot an und nickte nur, am liebsten wollte sie unter den Tisch rutschen – was musste ihr Lieblingsmusiker von ihr halten, wenn er solche Geschichten hörte? Das sie ein weiblicher Rowdy war?

„Wenn es sein muss, traut sich Nina fast alles.“

Chrissie schlang ihre Arme um ihre verlegende Freundin und drückte sich dankbar an sie.

„Ach was, wenn ich nicht gewusst hätte, dass Mamoru dabei ist, dann wäre ich wahrscheinlich etwas weniger mutig gewesen.“

„Mamoru?“, fragte Gackt.

„Einer der drei japanischen Laruku-Fans, die Nina geholfen haben mich zu suchen und uns die zwei Typen vom Hals zu schaffen.“

„Aha, gut… ja solche verdorbenen Männer gibt es leider in Japan.“

„Nicht nur hier, die gibt es auch bei uns zur Genüge, das kannst du uns glauben! Wir haben schon einige Anbagger-Versuche auf unserem Konto.“, fuhr Chrissie unverblümt fort.

„Hör doch mal auf damit, das gehört gar nicht hierher!“, zischte Nina, der das alles schrecklich peinlich und unangenehm war.

Doch die beiden Stars lächelten nur belustigt.

„Ach schade… das wird mir fehlen. Es war wirklich eine abwechslungsreiche und lustige Zeit mit euch.“

Unverständnis schlug ihm entgegen, sie sahen ihn an, als hätte er davon gesprochen, dass er bald sterben müsste. Hyde selbst verschlug ihr Gesichtsausdruck für einen Moment lang die Sprache.

„Ich fahre morgen Abend zurück nach Tokyo, einen Tag früher als Tetsu und die anderen, weil ich gerne noch etwas Zeit mit meiner Familie verbringen würde.“

Die Freundinnen konnten ihre Enttäuschung über diese Nachricht nicht verbergen, sie hatten sich bislang keine Gedanken darüber gemacht ob und wann Hyde wohl wieder abreisen würde, doch dass es jetzt so plötzlich kam traf sie härter als erwartet. Gerade Chrissie ging es nahe, sie waren doch gerade erst warm miteinander geworden und jetzt war der Zauber dieser eigentlich unmöglichen Begegnung schon wieder vorbei?

„Jetzt schaut doch nicht so! Es war für uns alle eine schöne Zeit, aber es war doch klar, dass ich allein schon aus beruflichen Gründen nicht ewig hier sein werde.“

Betreten nickten und seufzten sie.

„Gackt wird euch die restliche Zeit schon versüßen, keine Sorge.“

Er zwinkerte ihnen zu, doch sein Freund warf ihm da einen Blick zu, der ihn irgendwie ermahnen wollte… doch warum?

„Bitte denkt nicht, dass wir undankbar wären, das Konzert und alles… allein die Tatsache dir auf diese Weise begegnet zu sein ist für uns einfach der Wahnsinn! Es fällt einfach schwer so plötzlich das alles vorbei sein zu lassen.“, versuchte Nina ihre Gefühle in Worte zu fassen.

Hyde sah auf die Uhr, es war fast Mitternacht.

„Es ist spät, wir sollten alle zu Bett gehen. Wir sehen uns morgen noch mal, ich bin ja nicht gleich verschwunden, wir haben noch genug Zeit uns zu verabschieden.“

„Wir räumen noch ab.“

Die Rotblonde stand auf und sammelte die leer gegessenen Teller ein, Nina half ihr beim Abräumen. Hyde nahm sich Gackt beiseite.

„Ich muss kurz zuhause anrufen, ich hatte Megumi versprochen mich noch nach dem Konzert zu melden, sie wundert sich bestimmt schon.“

„Natürlich, geh ins Schlafzimmer hoch, da hast du deine Ruhe. Ich helfe den beiden noch schnell und werde mich dann noch mal ins Arbeitszimmer setzen, ich hab noch viel zu tun.“

So verblieben sie miteinander, Hyde wünschte in die Küche hinein noch eine gute Nacht und stieg dann die Treppe hinauf. Im Schlafzimmer angekommen setzte er sich auf seine Bettseite und rief Megumi an.

„Ja hallo? Bei Takarai und Oishi?

„Hi Megumi, ich bin es.“

„Hyde! Weißt du, wie spät es ist?!“

„Entschuldige bitte, ich hatte viel um die Ohren nach dem Konzert… das ich dich anrufen sollte ist einfach untergegangen.“

„Oh, das tut mir leid, dass es so stressig für dich war… wie geht es dir denn?“

„Mir geht es gut… sehr gut, du kannst dir gar nicht vorstellen, was ich die letzten Tage für verrückte Dinge erlebt habe. Aber wie geht es dir denn und unserem Sohn?“

„Ich kann nicht klagen, Hiroki ist ein Sonnenschein, er lacht genau wie du, aber das weißt du ja. Er fragt manchmal nach dir, es bleibt doch dabei, dass du morgen Abend nach hause kommst?“

„Ja, ja! Es bleibt dabei.“

„Das ist schön, wir freuen uns schon auf dich! Aber jetzt erzähl doch mal, was ist denn alles so passiert, dass du keine Zeit gefunden hast dich eher zu melden?“

Hyde überlegte kurz und grinste zurückblickend vor sich hin, bevor er sich durchrang doch zu erzählen, was los war.

„Na schön, hör zu, es ist eine längere Geschichte… ich bin bei Gackt.“

„Bei Gackt? Wolltest du nicht ins Hotel zu deinen Kollegen, wenn du ihm Belle und May vorbei gebracht hast?“

„Ja, schon… es hat sich anders ergeben, warte und hör zu…“
 

Hyde rollte alles was passiert war von vorne auf, ab dem Zeitpunkt wo er Gackt seine beiden Tiere zurückgebracht hatte bis zum heutigen Abend. Die fragwürdigen Augenblicke wie der Vorfall an diesem Tag mit Enah spielte er etwas herunter.

„Du meine Güte, das klingt wirklich nach viel Aufregendem, was ihr da erlebt habt. Und diese beiden Frauen… sind sie wirklich vertrauenswürdig?“

„Ich denke schon, du würdest verstehen was ich meine, wenn du sie selber kennen würdest. Sie sind wirklich sehr liebenswert und haben viel Schwung in Gackts sonst eher streng organisiertes Leben gebracht.“

„Wie kommt der Gute denn damit zurecht? Er ist doch sonst so extrem gewissenhaft und professionell.“

„Es ist ja nicht so, als würden sie ihn oder mich von unserer Arbeit abhalten, sie sind einfach da, stellen keine Ansprüche und erheitern die Zeit zwischen unserem Job. Ich glaube, Gackt hat sich selten so amüsiert und locker gemacht wie in den letzten Tagen und auch ich hatte meinen Spaß. Ich hab dir ja alles erzählt.“

„Hm… ach, ich würde meinem Alltag auch ganz gerne mal wieder entkommen. Ich glaube dir, dass es lustig mit ihnen war.“

„Das war es, ja.“

Megumi lachte ein liebes, kehliges Lachen am anderen Ende der Leitung.

„So was müsste mir mal passieren, ich hätte bestimmt auch meine helle Freude an solchen Menschen!“

„Ich glaube, ihr könntet gute Freundinnen sein und euch wunderbar unterhalten. Ihr würdet euch schön eure Münder über meinen Appetit zerreißen.“

Seine Frau lachte erneut.

„Du müsstest sie mir eigentlich mal vorstellen, ich bin jetzt richtig neugierig geworden.“

„Entschuldige, ich wollte dich nicht ärgern.“

„Schon gut. Rufst du mich morgen noch einmal an, bevor du kommst?“

„Ja, kann ich machen. Gehst du jetzt schlafen?“

„Ich bin nach diesem Gespräch wieder richtig wach, ich werde wohl noch etwas lesen und dann schlafen gehen. Gute Nacht, bis morgen.“

„Ja, schlaf gut. Ich freue mich auf euch.“

Tut, tut, tut, tut…

Der Sänger vermied es einen Blick auf die Uhrzeit zu werfen, er hatte ewig mit seiner Frau telefoniert, die Geschehnisse der letzten Tage aufzuzählen hatte viel Zeit gekostet. Im Haus war es gespenstig still, er stand auf und ging sich umziehen. Als er aus dem Bad kam sah er das Licht in Gackts Arbeitszimmer und klopfte leise an, bevor der die Tür öffnete und eintrat. Sein Freund schob sich auf seinem Drehstuhl von seinem PC weg und drehte sich zu ihm um.

„Hyde, ich dachte, du schläfst schon.“

„Nein, ich habe sehr lange mit Megumi gesprochen, sie lässt dich grüßen.“

„Danke, wie geht es ihr denn?“

„Es geht ihnen beiden gut, sie freuen sich auf meine Rückkehr.“

„Das ist schön. Wolltest du etwas Bestimmtes? Ich arbeite gerade… nach dem Tourfinal gibt es unheimlich viel zu tun…“

„Genau deswegen bin ich hier, du hast mich vorhin am Esstisch so seltsam angesehen, als ich Enah und Nina gesagt habe, du würdest ihnen die Zeit ohne mich schon angemessen vertreiben. Es hat mit deiner Arbeit zu tun, nicht wahr?“

Gackt lehnte sich zurück und bat Hyde mit einer Handbewegung einen Stuhl an.

„Ich muss zugeben, dass ich, als ich die Zwei zu mir geholt habe, nicht bedacht habe, wie beschäftigt ich jetzt sein würde. Ich werde die komplette nächste Woche fast nur unterwegs sein, sie wären die gesamte Zeit auf sich allein gestellt und ich müsste ihnen das Haus alleine überlassen. Ich fühle mich nicht gut bei dem Gedanken sie wie Fremde und Gefangene zu behandeln, aber was bleibt mir übrig?“

Hyde grübelte und Gackt tat es ihm nach.

„Und jetzt erfahre ich auch noch, dass sie ihr gesamtes Budget für dieses Urlaub für mich ausgegeben haben…“

„Sie haben es aber gerne und freiwillig getan.“

„Das ändert nichts daran, dass ihre zweite Urlaubswoche wahrscheinlich sehr eintönig und einsam wird. Ich habe auch Verpflichtungen in Tokyo nächste Woche. Wenn man im Ausland ist möchte man auch etwas davon sehen und erleben und aus Fanliebe zu uns haben sie das ganz hinten angestellt.“

„Sie sind schon erstaunlich, nicht wahr?“

Sie ließen die Stille in das Zimmer einkehren, nur das leise Surren des Computers war zu hören. Hyde schlug plötzlich seine rechte Faust in seine linke Handfläche und strahlte dabei wie ein Honigkuchenpferd.

„Du sagst, du hast Termine in Tokyo?“, fragte er auf einmal ganz euphorisch.

„Ehm, ja. Montag habe ich ein Interview und auch sonst wird doch in Tokyo der Schnitt für die Tour-DVD vorgenommen. Ich könnte sicherlich einige Termine umlegen oder hin und her reisen mit dem Shinkansen, aber…“

„Gackt, was wäre, wenn du deine Termine alle wahrnehmen könntest ohne dir Gedanken darum zu machen, wie es deinen beiden Gästen geht?“, unterbrach ihn der zierliche Sänger.

Sein Gegenüber fixierte ihn und versuchte herauszufinden, was er vorhatte.

„Worauf willst du hinaus? Was hast du ausgeheckt?“, fragte Gackt ohne auf Hydes Frage einzugehen.

„Als ich vorhin mit Megumi gesprochen habe klang sie ganz begeistert von den Beiden, sie sprach sogar davon, dass sie sie gerne kennenlernen würde. Wir haben eine kleine Einliegerwohnung, sie würden uns nicht stören und würden Megumi wahrscheinlich sogar eine angenehme Gesellschaft sein. Nina hat jüngere Geschwister, sie wird also wahrscheinlich auch mit Kindern umgehen können.“

„Das ist nicht dein Ernst.“, entgegnete der Größere trocken.

„Warum nicht? Warum sollst du den ganzen Spaß für dich alleine haben?“

Fast ein wenig fassungslos musterte Gackt seinen Kollegen, der ganz ruhig und ernsthaft vor ihm saß und ihn frech angrinste.

„Du hattest mich für verrückt erklärt, als du erfahren hast, dass ich Fans bei mir aufgenommen habe und jetzt willst du es mir nachmachen?“

„Der Unterschied ist, dass ich immerhin schon weiß, wen ich mir da ins Haus holen würde. Also, was sagst du? Vertraust du mir die beiden an?“

„Vorausgesetzt, sie wollen…“

Hyde lachte.

„Hey, glaubst du etwa, sie würden dich mir vorziehen, wenn sie wissen, du lässt sie die meiste Zeit allein im Haus zurück?“

Auch Gackt konnte sich das Lachen nicht verkneifen.

„Wir können sie ja abstimmen lassen.“, gab er scherzhaft zurück.

„Ok, also hab ich dein Einverständnis? Dann werde ich Megumi nämlich gleich noch mal anrufen, ich weiß das sie noch wach ist und ich sollte meine Frau zumindest mal um ihre Erlaubnis gefragt haben, bevor ich so etwas beschließe.“

Gackt winkte lächelnd ab.

„Mach doch, was du willst. Ich kann dich doch eh nicht davon abhalten.“

„Da könntest du Recht haben.“

Hyde stand auf, genauso wie Gackt, nahm ihn bei der Hand um ihm auf die Schulter zu klopfen und verließ dann das Arbeitszimmer.

Wasurenai kara

11 Wasurenai kara
 

****Ich wünschte die Zeit könnte so stehen bleiben. Meine Bitten sind voll mit abgedroschenen Worten, egal wie sehr ich dich auch ansehe. Denn ich kann nicht vergessen, wie du mich damals angelächelt hast.

Die flackernden Farben, schwebend vor meinen Augen, verschwinden. Auch wenn ich meine Lider schließe, kann ich doch nie wieder zu diesem Ort zurückkehren.

Ich wünschte es könnte so weitergehen.

Denn die wahren Gefühle in mir, sie vergehen nicht.****
 

Chrissie wälzte sich unruhig in ihrem Bett. Es war warm. Viel zu warm! Sie öffnete ihre blauen Augen und blinzelte zerknirscht. Die Luft im Raum stand regelrecht, kein Lüftchen ging, selbst die Vögel draußen waren ungewöhnlich still. Sie richtete sich auf, ihr Nachthemd klebte klamm an ihr und auch ihre Haare hatten schon bessere Tage gesehen.

„Na? Bist du auch wach?“

Nina drehte sich schwerfällig zu ihr um, auch ihr klebte der Pony im Gesicht.“

„Bei der Hitze kann doch kein Mensch schlafen…“, beschwerte sich die Ältere und fächelte sich mit den Händen etwas von der warmen Luft zu, in der Hoffnung Kühlung damit zu erlangen.

Ihre Freundin streckte sich ausgiebig und stand dann auf um sich etwas Geeignetes zum Anziehen aus ihrer Reisetasche zu suchen.

„Das kann heute nur noch heißer werden, ich hab mal einen vorsichtigen Blick auf mein Handy vorhin geworfen, wir dürften es jetzt zwischen sieben und acht Uhr haben.“

„So spät schon?!“

„Keine Sorge, ich war zwischendurch immer mal wieder kurz wach, ich glaube nicht, dass Gackt und Hyde heute früh aufstehen müssen. Zumindest hab ich noch nichts Verdächtiges gehört.“

Nina hatte sich ein schlichtes Sommerkleid aus dunkelblauem Chiffon rausgesucht, das angezogen bis kurz über die Knie reichen würde. Es hatte einfache Spagettiträger, war über der Brust geschlossen und unter ihr mit einem eingenähten Band im Rücken zusammenzubinden. Viele kleine Rosen waren draufgedruckt.

„Ui, das ist chic! Hattest du das Kleid schon immer?“

„Nein, ich hab es mir extra für diesen Urlaub gekauft weil ich mir gedacht habe, wenn ich schon mal zwei Wochen Sommer in Japan erlebe, dann will ich auch mal angemessen gekleidet sein. Ich hab mir sogar hautfarbene Füßlinge gekauft!“

„Ich hab auch so ein hübsches Teil dabei, warte mal.“

Mit einem Satz war Chrissie aus dem Bett gesprungen und wühlte in ihren Sachen herum, schließlich zog sie einen Traum aus pastell-roséfarbenem Stoff hervor, dessen Muster sehr viel feiner, aber nicht weniger blumig war.

„Ist das auch Chiffon?“, fragte Nina neugierig und beugte sich über die Betten hinüber um Chrissies Tunika oder was auch immer es war genauer betrachten zu können.

„Puh, keine Ahnung. Das ist so eine Art Mini-Kleidchen, aber ich trag das nur mit einer hellen Shorts.“

Das zum Oberteil degradierte Kleid war im Schnitt verspielter, es warf viele schöne Falten im Saum und um den Brustbereich war es etwas gerafft, was das Volumen ihrer eher kleinen Körbchengröße vorteilhaft um eine Nummer größer erscheinen lies. Ansonsten waren die Träger und auch der Stil an sich identisch mit Ninas Kleid, obwohl es um einiges kürzer war als ihres.

„Na dann ab unter die Dusche.“
 

Erfrischt und gereinigt war die Demse für die zwei Freundinnen einen Moment lang erträglich. Das Haar der Rotblonden war wie sooft in den letzten Tagen am Hinterkopf hochgedreht worden und hielt mit einer Spange zusammen, Nina hatte ihre längeren Haare zu einem seitlichen Zopf geflochten und ein blaues Band hineingewoben, das am Ende auch alles zusammenhielt. Sie beide standen oben in der Galerie und konnten hören, wie jemand in der Küche beschäftigt war.

„Sieht so aus, als wären sie inzwischen vielleicht auch wach.“, kommentierte Nina und lief die Treppe zuerst hinunter, Chrissie folgte ihr auf dem Fuße.

Mit ihrem üblichen Blick schauten sie zuerst um die Ecke, bevor sie eintraten. An diesem Morgen trug niemand eine Schürze, doch beide Sänger deckten den Tisch eifrig. Zur Abwechslung stand fast nur Obst auf dem Tisch und es roch nach Miso. Ein Krug mit köstlich gelben Orangensaft, an dem einladend Kondenswasser perlte, lud zum Erfrischen ein. Alternativ gab es auch grünen Tee, das rochen sie noch über die Misosuppe hinweg.

„Guten Morgen, ihr zwei.“, grüßte Chrissie freundlich in den Raum hinein.

Man drehte sich zu ihnen herum, die Sänger frohren in ihren Bewegungen einen Augenblick lang ein, bei den Mädchen war es nicht anders. Jede der Parteien musterte das Äußere der anderen. Chrissie und Nina fiel sofort auf, dass beide Männer ihre Haare nicht so locker gestylt hatten wie sonst, es fielen kaum Strähnchen in ihr Gesicht. Sie trugen beide komplett ärmellose Shirts, die figurumschmeichelnd an ihren athletischen Körpern herabflossen. Gackts war weiß mit ein paar fantasiereichen, schwarzen Kunstdrucken darauf, Hydes war in einem satten Rot und auf dem Rücken waren aus schwarzen Pailletten ein paar große Engelsschwingen eingearbeitet. Hyde trug eine locker sitzende, anthrazitfarbene Baumwollhose und Gackt eine sandfarbene Jeans durchzogen von hellgrauer Muschelung.

„So hübsch heute Morgen?“, durchbrach Hyde schließlich den Moment und warf ihnen anerkennende Blicke und ein megasüßes Lächeln zu.

Hitze stieg in ihren Köpfen auf und nervös zwirbelten sie am Saum ihrer Klamotten oder strichen Falten glatt, die gar nicht da waren.

„Danke… ab ihr lasst euch wie üblich auch nicht lumpen.“, entgegnete Chrissie schließlich.

Etwas unbeholfen blieben beide stehen und sahen dabei zu, wie das Frühstück fertig angerichtet wurde, Gackt winkte sie schließlich einladend heran. In seinen Augen funkelte etwas Geheimnisvolles, auch sein stetiges Grinsen, das er einfach nicht ablegte, seit sie beide hereingetreten waren, machte ihn verdächtig. Nina glaubte verunsichert, es lag an dem kurzen Zwiegespräch eben zwischen Hyde und ihrer Freundin. Sie wusste, wenn es an diesem Morgen nicht bereits so warm gewesen wäre, hätte sie sich vielleicht einmal mehr überlegt, ob sie dieses Kleid vor Gackt und Hyde anziehen möchte. Ein Blick auf ihre Freundin verriet ihr, dass es ihr ähnlich erging, dabei gab es gar keinen Grund für diese falsche Scham.

„Kommt setzt euch, wir würden ganz gerne etwas mit euch besprechen wollen.“, wiederholte der größere Sänger seine Frage mit Worten und klopfte dabei verheißungsvoll auf die Tischplatte.

Sie setzten sich ihren Lieblingssängern gegenüber und warteten gespannt, was es wohl zu klären gab. Hatten sie etwas angestellt? War das, was gestern vor dem L’Arc~en~Ciel Konzert passiert war vielleicht der Grund?

„Jetzt schaut nicht so scheu. Geht es euch nicht gut heute Morgen?“, fragte Hyde und beugte sich prüfend vor und versuchte einen Blick in die gesenkten Gesichter seiner Gegenüber zu erhaschen.

„Nun ja, wir haben diese Nacht nicht besonders gut geschlafen, uns ging so viel im Kopf herum …“, begann die Dunkelhaarige.

Was sie sagte war nicht gelogen, noch lange hatten sie und Chrissie im Bett darüber gesprochen, wie schade es war, dass sie von Hyde schon Abschied nehmen mussten, denn ihnen war klar, dass es für immer sein würde. Auch seine Einmischung in die Rettungsaktion hatte Nina Chrissie noch mal bis ins kleinste Detail erzählen müssen, ebenso nahmen sie die aberwitzige Szene auseinander, in denen ihnen ein patschnasser Tetsu begegnet war… es war einfach so viel passiert in den letzten 24 Stunden, dass an Schlaf kaum zu denken gewesen war.

„Und ein bisschen befürchten wir, dass ihr uns eventuell tadeln wollt.“, ergänzte Chrissie.

Gackt und Hyde sahen blinzelnd in die Runde.

„Warum das denn?“

„Weil wir dir und Hyde so viele Umstände machen?“, stellte Nina eine Gegenfrage als Antwort.

Die beiden Männer belächelten die beiden Freundinnen, die immer noch etwas verschüchtert auf ihren Stühlen saßen und sich noch nicht mal getraut hatten etwas von dem Essen zu nehmen, für ihre unbegründete Ängstlichkeit. Insbesondere Gackt wollte einfach nicht mehr aufhören zu grinsen.

„Wo macht ihr uns bitte Umstände? Es war mal etwas ganz Besonderes… wartet mal ab, was Hyde dazu zu sagen hat.“, endete er leise kichernd.

Die Freundinnen konnten nicht anders als die Stirn zu runzeln und völlig irritiert zu wirken, hatte Gackts Albernheit einen tieferen Sinn? Und warum sprach er in der Vergangenheit, als er von ihrer Anwesenheit in seinem Haus gesprochen hatte?

„Gackt wird es eh nicht mehr lange aushalten, also komme ich gleich zum Punkt… aber bitte nehmt euch endlich etwas zu Essen und sitzt nicht so verkrampft da! Ihr seht gut aus in diesen Sachen, wirklich! Sehr jung und frisch, schämt euch nicht und esst endlich!“, mahnte Hyde eindringlich und schob ihnen die Misosuppe hinüber.

Ertappt erröteten sie, Gackt hielt sich den Handrücken vor den Mund um sein Lachen auf diese Reaktion irgendwie zu überspielen. Nina straffte sich und wies Chrissie durch eine Geste an mit dem Essen zu beginnen, Gackt und Hyde aßen bereits.

„Also, es geht um Folgendes: Ich muss zugeben, dass ich etwas zu großzügig war mit meinem Angebot, euch zwei den gesamten Aufenthalt hier in Japan bei mir aufzunehmen.“

Das blanke Entsetzen schoss den deutschen Damen ins Gesicht, Gackt hob sofort beruhigend die Hände.

„Das sollte nicht heißen, dass ich euch loswerden möchte! Ich will sagen, dass ich zu sehr aus dem Bauch heraus entschieden habe, denn ich habe nicht daran gedacht, dass ich nach dem Tourfinal mehr als ausgeplant bin von meiner Zeit her.“

Ihre Haltung entspannte sich und ihre Haut bekam wieder eine gesunde Farbe.

„Ich habe die nächsten Tage und Wochen sehr viele zeitaufwendige Termine außer Haus und damit meine ich auch welche außerhalb von Kyoto.“

Chrissie und Nina verkrampften erneut.

„Gackt, hör auf damit in Abschnitten zu sprechen und komm auf den Punkt, du machst sie noch wahnsinnig damit.“, bemerkte Hyde und lockerte damit ein wenig die Anspannung bei den Mädchen.

„Entschuldigt, wie auch immer… Ich wäre fast nie da in der nächsten Woche, da ich aber keine andere, sinnvolle Möglichkeit sehe, müsste ich euch wohl oder übel euch selbst hier im Haus überlassen und ihr wisst, dass ich euch unmöglich ein und aus gehen lassen kann, wie ihr es wahrscheinlich wollen würdet.“

Die Aussage kam an und erzielte die Wirkung, mit der Gackt und Hyde bereits gerechnet hatten. Die Freundinnen sahen sich an und tauschten sich wortlos mit Blicken darüber aus, wie sie das finden sollten. Nein, sie stellen keineswegs Ansprüche an Gackt und seine Zeit und nahmen so ziemlich alles in Kauf, aber eine ganze Woche wertvoller Japan-Urlaub, der nur ermöglicht wurde, weil sie ihn gewonnen hatten, monoton in einem Haus verbringen?

„Wir wussten, dass euch das nicht begeistern würde.“, sprach der Ältere.

„Es wäre aber nicht so schlimm, immerhin haben wir bereits in der ersten Woche mehr erlebt und geboten bekommen, als wir uns je hätten träumen lassen!“

Verständnisvoll nickten die zwei Männer Chrissie zu und auch Nina schien entschlossen zu sein, dieses Opfer hinzunehmen.

„Es muss aber nicht so sein.“, leitete Gackt, jetzt wieder verschwörerisch grinsend, ein.

„Ich hatte letzte Nacht noch ein Telefonat mit meiner Frau und, ja, wie soll ich es sagen… sie wäre nicht abgeneigt euch beide mal kennenzulernen.“

Auch Hyde grinste jetzt, er zeigte ein paar Zähne beim Lächeln und zuckte unbewusst mit einer Augenbraue. In den Köpfen der beiden Fangirls hatte sich der Leerlauf eingeschaltet, sie verstanden jetzt gar nichts mehr. Megumi? Die Megumi?! Hydes Frau hatte was gesagt? Und wie sollten sie das jetzt verstehen? Ihre geplätteten Gesichtsausdrücke waren einfach herrlich, sie saßen da als hätte man ihnen einen Geist gezeigt.

„Wenn ihr Lust habt, dann nehme ich euch heute Abend mit dem Shinkansen mit nach Tokyo. Ich habe mit Megumi schon alles geklärt, sie wäre einverstanden und ist neugierig auf euch.“

Ninas Kinnlade klappte herunter und Chrissies Augen wurden immer größer, je öfter sie in ihren Gedanken Hydes Angebot wiederholte.

„NANI?!“, antworteten sie schließlich irgendwann schrill.

Gackt grinste Hyde an und griff an ihm vorbei nach einem Apfel, er und sein Kollege waren mit der Misosuppe inzwischen fertig.

„Wir sollen zu dir umziehen? Heute Abend? Nach Tokyo? Zu deiner Familie?“, musste Nina einfach ungläubig hinterfragen, doch Hyde blieb gelassen und lächelte nur mild.

„Ja, damit hätten wir alle etwas davon. Gackt kann in Ruhe seine Termine erledigen und ihr seht noch etwas anderes als Kyoto, beziehungsweise Gackts Haus von innen.“

„Und was hast du davon? Ich meine, du hast Familie und wir sollen da als Wildfremde einfach reinplatzen? Und was ist mit eurer Anonymität, hast du gar keine Angst um dein Privatleben?“, gab Chrissie zu bedenken.

Hyde wurde etwas ernster und stützte sich auf die Tischplatte auf.

„Ihr seid keine Wildfremden, zumindest nicht mehr für mich und so wie ich euch einschätze würdet ihr euch wunderbar mit Megumi verstehen. Sie kann ein bisschen Gesellschaft und Abwechslung mal gebrauchen. Und was die Wahrung unseres Privatlebens angeht… Ich muss mich natürlich darauf verlassen können, dass ihr niemals irgendwo irgendjemanden etwas von dem erzählt, was ihr im Zusammenhang mit meiner Familie erlebt. Auch möchte ich euch bitten keine Fotos zu schießen. Aber im Grunde… Ich habe zugelassen mit euch unter einem Dach zu wohnen, es gibt eigentlich kaum noch eine Grenze, die ich noch nicht überschritten habe, also was macht das noch für einen Unterschied?“

Hyde vertraute ihnen, er baute auf sie! Er verlies sich auf sie beide und ja, natürlich würde ihnen nie im Traum einfallen ihm oder Gackt jemals in den Rücken zu fallen, aber glauben konnten sie es trotzdem noch nicht wirklich.

„Und, habt ihr Lust?“

Für die Rothaarige war die Sache klar und sie begann zu strahlen, Ninas Freude war gedämpft und sie schmulte zu Gackt hinüber. Dem Abschied von Hyde zu entsagen bedeutete gleichzeitig die Zeit bei und mit ihrem persönlichen Favoriten zu beenden. Der Gedanke so plötzlich alles loszulassen, was sie in den letzten Tagen kennengelernt hatte löste in ihr leichten Missmut aus. Mit Anstrengung rappelte sie sich zur Freude auf und stimmte in das dankbare Lächeln ihrer Freundin ein.

„Ich glaube, Nina würde lieber bei Gackt bleiben.“

Das Chrissie sie ausgerechnet jetzt mit solchen Aktionen ärgern musste! Puterrot trat sie ihr unter dem Tisch gegen das Schienenbein, doch die Blauäugige lachte nur und zuckte unschuldig mit den Schultern.

„Das stimmt gar nicht! Ich finde es nur irgendwie unhöflich seine Gastfreundschaft so lange strapaziert zu haben und uns dann einfach zum nächsten Star zu verkrümeln!“, versuchte sie sich möglichst plausibel zu rechtfertigen.

Gackt und Hyde beobachteten das Spektakel neutral von außen, die jungen Frauen zankten sich spielerisch, so als wären sie allein. Sie mussten laut loslachen.

»Na toll, das ist mal wieder so ein Tag, an dem wir Rot als Gesichtsfarbe in Dauerschleife tragen…«, dachte Nina bei sich und versuchte sich mit den Händen das Blut aus dem Gesicht zu reiben.

„Also ist das jetzt abgemacht?“, versicherte Hyde sich noch mal und holte sich ein klares “Ja!“ von ihnen ab.

„Und jetzt esst, eure Suppe ist sicher schon kalt und der Orangensaft kann nur noch wärmer werden.“, hielt sie Gackt freundlich an.
 

Das Frühstück verging rasch, die beiden Sänger kündigten an, dass sie den Tag leider auch zumindest bis zum Nachmittag außerhalb verbringen würden, aber das machte Chrissie und Nina nichts, so hatten sie genug Zeit zum Packen und sich von allem hier in Ruhe zu verabschieden. Die Rothaarige stürmte in das gemeinsame Zimmer und sprang vergnügt quietschend auf das Bett.

„Wie geil ist das denn? Nina kneif mich, ich kann es noch gar nicht glauben! Wir fahren nach Tokyo – mit Hyde!

Ausgelassen warf sie sich auf den Rücken, strampelte wild mit den Beinen und zerdrückte ihr Kopfkissen in einer innigen Umarmung. Ninas erster Gang führte sie zum Fenster, sie riss es großzügig auf hoffte auf einen erfrischenden Lufthauch, doch draußen war es inzwischen fast wärmer als im Haus.

„Hey, sag doch auch mal was! Freust du dich gar nicht?“

Prüfend musterte sie ihre jüngere Freundin, die ohne ein Wort zu sagen ihre Reisetasche auf das Bett hievte und anfing Kleidungsstücke zu sortierten und neu anzuordnen.

„Ich freu mich schon, aber das hier alles wird mir fehlen.“

„Du meinst, Gackt wird dir fehlen?“

Nina wurde rosa um die Nase, jetzt wo sie allein waren, konnte sie aber besser darüber sprechen.

„Schon, irgendwie… wir haben hier so viel mit ihm erlebt, da fällt es mir schwer alles hinter mir zu lassen und nur noch von Erinnerungen zu zehren.“

Vor allem durch die Nacht in der Belle verschwunden war, fühlte sie sich mit Gackt verbunden, auch wenn es im Nachgang betrachtet vielleicht nur eine Kleinigkeit war.

„Dann hab ich ja vorhin voll ins Schwarze getroffen, als ich dich aufziehen wollte?“

„Das kann man wohl sagen! Mann war mir das wieder peinlich vor ihm… es wäre echt toll, wenn du es wenigstens für die letzten Urlaubstage etwas einschränken könntest.“

Chrissie grinste.

„Ich kann es ja mal versuchen.“

„Ich warne dich, ich kenne diesen Blick! Ab jetzt befindest du dich auf dünnem Eis, immerhin fahren wir jetzt zu deinem Liebling.“

Erschrocken rutschte Chrissie auf dem Bett zu ihr herüber.

„Ich denke es wäre angebracht, wenn wir uns bei Hyde allgemein etwas zurückhalten würden. Schließlich hat er ein geregeltes Familienleben und ich möchte keinen schlechten Eindruck auf Megumi“, bei ihrem Namen überkam sie eine ehrfürchtige Gänsehaut, „…machen!“

Nina schüttelte den Kopf.

„Natürlich nicht! Wir wissen ja noch gar nicht, was uns erwartet und wie Megumi so ist.“

Sie erinnerten sich an Fotos die sie im Internet gesehen hatten, Hydes Frau war eine klassische Schönheit mit tollen großen Augen und einer sehr schlanken Figur. Seitdem sie jedoch mit Hyde liiert war, bzw. ihr gemeinsames Kind geboren wurde, war es sehr ruhig um sie geworden.

„Also wenn sie Hydes Frau ist, dann muss sie einfach nett sein! Und du hast doch gehört, was sie gesagt haben soll, sie ist neugierig auf uns.“

„Ja, ja… ich bin nur total aufgeregt. Das ist alles so unwirklich, es ist wieder genau das Gefühl, als Gackt uns bei sich aufgenommen hat.“

„Ich weiß, was du meinst! Dieses Kribbeln überall und es ist, als würde der Magen Achterbahn fahren.“

Chrissie nickte bestätigend und kämpfte gegen ein erneutes Aufquietschen an. Während ihre Freundin packte und sich die ersten Schweißperlen von der Oberlippe wischte, malte sie sich aus, wie Hyde wohl lebte.

„Musst du nicht auch packen?“

„Ja… ist aber so warm…“

„Na komm, es wird ja nicht kühler da draußen, um die Mittagehitze wird es bestimmt unerträglich, also pack lieber jetzt alles zusammen, dann können wir uns nachher ausruhen.“

Grummelnd rappelte sich Chrissie auf und suchte ihre Sachen zusammen. Es verging ein bisschen Zeit in der sie untätig herumsaßen und sich mit dem Gedanken befassten, dieses Zimmer bald schon für immer zu verlassen. Es klopfte unvermittelt an der Tür und Gackt steckte den Kopf herein.

„Na ihr? Ich wollte euch nur bescheid sagen, dass wir jetzt weg sind.“

Hyde, der hinter ihm stand, winkte ihnen kurz.

„Ok, bis später dann. Wir werden schon nichts anstellen.“, antwortete Nina.

Der hochgewachsene Japaner winkte ebenfalls einmal mit zwei Fingern und schloss dann wieder die Tür.
 

Die Sonne hatte ihren Zenit überschritten und brannte ungnädig auf Japan hernieder. Die heiße Luft flimmerte über den Bürgersteigen und asphaltierten Straßen, selbst die Vögel hatten ihren Singsang eingestellt und versteckten sich zwischen den grünen Blättern schattenspendender Bäume. Die beiden Freundinnen saßen auf ihrem Bett und versuchten auf ihre Weise der Hitze zu entkommen. Nina lag danieder und blätterte in ihrem Schmierheft herum, Chrissie saß am offenen Fenster und sah hinaus in den Garten. Direkt unter ihrem Zimmer lag die im Schatten gelegene Terrasse mit der Bank, auf der sie und Hyde gesessen hatten um sich zu unterhalten, während Gackt und Nina unterwegs waren und von einer Horde Fans verfolgt wurden. Ein amüsiertes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie daran zurück dachte. Ihr Blick wanderte über die glitzernde Oberfläche des großen, nierenförmigen Pools. Er war rundherum von hellen, terrakottafarbenen Steinplatten umrahmt. In seiner Einkerbung standen zwei anatomisch geformte Sonnenliegen in Rattanoptik, die beigefarbenen Auflagen sahen einladend bequem aus, doch das Beste war der Sonnenschirm. Es war einer von diesen riesigen Spezialschirmen, die einen unheimlich großen und massiven, gebogenen Ständer hatten und bei denen man den Schirm nur mit einer Kurbel aufspannte, weil die ganze Konstruktion auf dem Prinzip groß und größer basierte und sehr schwer war. Vor ihren blauen Augen stellte sie sich vor, wie sie ähnlich wie unter einem Pavillon oder einer Glocke geschützt im Schatten am Wasser saß und ihre Beine ins kühle Nass tauchte…

„Das ist doch fies! Da unten ist ein herrlicher Pool, der nur darauf wartet, dass man ihn benutzt und wir kleben hier an diesem Bett fest!“, protestierte sie maulend.

Nina legte ihr Schmierheft zur Reisetasche und kroch dann ans Kopfende um ebenfalls aus dem Fenster zu schauen.

„Der ist echt schön, oder? Meine Eltern haben ja bei auch einen Pool, aber der ist nicht ganz so groß und auch nicht gefliest wie der hier… und er hat die ganz klassische Form mit den abgerundeten Ecken.“

„Ja, ja… was interessiert mich der Pool deiner Eltern?! Wir sind jetzt nicht in Deutschland, sondern hier und ich hätte nicht schlecht Lust mich ein wenig abzukühlen.“

„Das geht aber nicht! Wir haben Gackt nicht gefragt und ich bin mir nicht sicher, ob ihm das so recht wäre…“

„Er hat es uns aber auch nicht ausdrücklich verboten.“

Die kleine Rotblonde zog eine Schnute und benutzte ihren unwiderstehlichen Dackelblick. So gerne Nina auch nachgeben wollte wusste sie auch, dass das eine Menge Ärger nach sich ziehen konnte.

„Nein, mir ist nicht wohl dabei. Wir können das nicht einfach so machen, ein Pool ist doch irgendwo was ziemlich Intimes.“

„Ein Pool ist ein Loch gefüllt mit Wasser. Was ist daran bitte intim?“

„Er schwimmt darin, verstehst du?“

„Ja, und rund um die Uhr läuft eine Pumpe und mit Chlor gereinigt wird er sicherlich auch… Wenn du dir ins Hemd machst wegen einem Pool, dann darfst du nicht in die Schwimmhalle oder in ein Freibad gehen.“

Beide sahen sich grimmig an, Nina war die Erste, die den Blick abwendete. Stur verschränkte sie die Arme und schüttelte den Kopf.

„Och Ninchen… büdde! Nur abkühlen, wir müssen ja nicht unbedingt drin schwimmen, wenn du das nicht willst.“

Chrissie änderte ihre Taktik.

„Du meinst, nur Beine rein halten und Arme befeuchten?“

„Genau, das würde mir schon reichen.“

Sie schlug klimpernd ihre Lider auf und nieder, flehendlich faltete sie die Hände zusammen und versuchte so ihre Freundin zu erweichen.

„Ich sag dir, wenn er uns dabei erwischt mach ich dich für alles verantwortlich!“, gab diese schließlich zähneknirschend nach.

„Kyah! Du bist die Beste!“, frohlockte Chrissie und fiel Nina überschwänglich um den Hals.
 

Abkühlen wäre, wenn man es genau nahm, ohne Weiteres in ihren Sachen möglich gewesen, doch wozu hatte Frau schließlich einen Bikini eingepackt, wenn sie ihn dann letzten Endes gar nicht benutze? Wenn man im Sommer irgendwo Urlaub machte gehörte Badekleidung einfach dazu, egal ob man an einen Strand fuhr oder in der Großstadt landete, man konnte ja nie wissen.

„Kannst du mir mal bitte kurz helfen? Ich bekomme das Oberteil im Rücken nicht zusammengebunden.“

Chrissie mühte sich verzweifelt damit ab selbst eine anständige Schleife zu binden, mit Ninas Hilfe ging es einfach schneller.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass du mich dazu überreden konntest.“

Nina zog die Schleife fest und Chrissie drehte sich vorführend vor ihr um die eigene Achse.

„Der ist hübsch, oder?“

Ihre Freundin musterte den Bikini. Der lindgrüne Slip war hoch geschnitten und machte lange Beine, den Pep gab ihm ein dünner, dunkelgrüner Gürtel der in der Mitte in einem kleinen Ring endete. Das Oberteil war ebenfall lindgrün, nur die dreieckigen Brustteile waren dunkelgrün gefüllt und auf der linken Brust war eine hellgrüne, tropisch anmutende Blume gedruckt.

„Ja, ist ein schöner Triangel-Bikini. Die Farbe passt gut zu deinen Haaren. Obwohl blau auch nicht schlecht gewesen wäre.“

„Blau macht mich aber so blass.“

„Ja, ich weiß.“

„Willst du dich nicht umziehen?“

Nina schämte sich und warf einen verstohlenen Blick auf ihren Bikini, der noch zusammengeknüllt auf dem Bett lag.

„Doch…“

„Ich hole schon mal Handtücher und warte unten vor der Terrassentür auf dich, ok?“

In Windeseile war sie verschwunden, Nina konnte Belle hören die freudig im Flur bellte. Mit immer noch mulmigem Gefühl zog sie sich um, ihr Bikini war wesentlich einfacher als der von Chrissie. Sie hatte einen Bügel-Bikini in Bordeauxrot, mit floralem Druck in fuchsie und weiß. Auch ihr Höschen bot keine weiteren Besonderheiten. Schlussendlich folgte sie Belles Krach und Chrissies Stimme, die abwehrend immer wieder ein Kommando sagte. Als Nina die Treppe runterkam stand die Rothaarige an der Tür und versuchte die Minidachshündin, die flippig auf und ab sprang, zu beruhigen.

„Kommst du klar?“

„Ja… Belle will unbedingt mit raus.“

„Dann lass sie doch. Wir lassen die Terrassentür ja eh angelehnt.“

So öffnete Chrissie die Tür, die Hündin flitzte hinaus und sie folgten ihr auf dem Fuße. Eine Wand aus Hitze schlug ihnen entgegen.

„Das sind mindestens 35 °C, das schwöre ich dir! Cremst du mich schnell auf dem Rücken ein? Ich mach vorher keinen Schritt in die Sonne!“

Chrissie hielt Nina bereits die Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50+ hin.

„Du und deine Haut…“

„Ich kann ja nichts dafür Hauttyp eins zu sein. Der Sonnenstich auf unserer Abschlussklassenfahrt in der 10. Klasse hat mir gereicht und da ich eh nie braun werde, kann ich mich auch mit Sonnencreme zukleistern wie ich will. Ich will nämlich alles, nur keinen Sonnenbrand.“

Nina schmunzelte und cremte ihrer Freundin bereitwillig den Rücken ein. Des Rest erledigte Chrissie selber, während die Dunkelhaarige mit großen Schritten über die erhitzen Bodenplatten gehuscht war und sich daran versuchte den riesigen Schirm aufzuspannen.

„Schaffst du das?“, kam die Ältere schließlich dazu und beobachtete, wie Nina sich damit abmühte die Kurbel zu drehen.

Der Schirm zog sich beim Kurbeln selber hoch und auf und hing bald schon wie ein großes Zeltdach über ihnen.

„Gut, dass das Teil einzementiert ist. Bei schlechtem Wetter würde er bestimmt umstürzen.“

Geblendet von der Helligkeit, die durch den beigefarbenen Stoff drang, blinzelte Chrissie und setzte sich auf die geschwungene Liegefläche einer der Sonnenliegen.

„Ich hab uns den Schirm so gedreht, dass wir trotzdem im Schatten am Wasser sitzen können.“

Nina nahm sich ein großes Handtuch und legte es direkt an die Kante, damit sie sich nicht auf den rauen Boden setzen brauchten. Sie setzen sich hin und tauchten mit ihren Füßen langsam in das Wasser hinein. Eine wahre Wohltat! Das Wasser war warm, in den vergangenen Tagen war es immer recht heiß und sonnig gewesen. Sie bekamen eine Gänsehaut, es war so angenehm, dass sie am liebsten doch ganz hineingesprungen wären.

„Das ist schön… so lässt es sich aushalten!“

Die blasse Europäerin schöpfte mit beiden Händen Wasser und befeuchtete damit ihre Arme und Beine. Als sie an das kühle Nass mehr gewöhnt war lies sie auch ein paar Perlen ihren Nacken herunter laufen. Nina legte ihren Oberkörper zwischen ihre Beine und tauchte mit den Armen bis fast zu den Achseln ein. Das Wasser zwischen ihren Finger zu spüren war sehr entspannend und machte Lust auf mehr. Belle kam angedackelt und hopste mit einem Sprung auf eine der beiden Liegen um sich auszuruhen.
 

Schweigend und dösend verging einige Zeit, die zwei Freundinnen ruhten sich liegend am Rand des Pools aus.

„Weißt du, jetzt fehlt eigentlich nur noch ein Kellner der uns schön kalte, alkoholfreie Cocktails serviert.“

Sie grinsten beide gleichzeitig verschlagen.

„Stell dir mal Gackt als Kellner vor!“, quiekte Chrissie los.

„Ja~ das hab ich auch eben gedacht! Oder Hyde, wie er lässig auf uns zu kommt mit einem silbernen Tablett!“

„Und wie sie lächeln würden, wenn sie fragen: „Darf man den Damen etwas bringen?“ Ich halt’s nicht aus!“

Da niemand außer ihnen hier war, lebten sie ihre lebhafte Fantasie frei und ungehemmt aus und ließen sich auch das Quietschen nicht nehmen.

„Ich glaube, du brauchst eine Abkühlung, du fantasiert schon wieder!“, sagte Nina immer noch lachend, tauchte ihre Hand ins Wasser und spritzte das es mit Schwung über Chrissie, die kreischend aufsprang.

Tropfend stand die temperamentvolle Rothaarige da und stach ihre Freundin, die sich vor Lachen den Bauch hielt und am Boden nach Luft schnappte, mit bösen Blicken nieder.

„Oh, na warte, das hast du nicht umsonst gemacht!“, drohte sie und trat mit ihrem rechten Fuß gegen die Wasseroberfläche in Richtung Nina.

Diese Attacke hatte eine weitaus größere Wirkung als Ninas, nass und erschrocken über die unverhoffte Dusche stand diese auf und schüttelte sich.

„Du willst Krieg? Den kannst du haben!“

Lachend rannte sie auf Chrissie zu, die ihr Heil in der Flucht suchte.
 

„Die Luft steht still bei dieser Hitze heute.“

„Enah und Nina werden froh sein, wenn sie sich mit uns an dem Eis erfrischen können, das ich besorgt habe.“, sagte Hyde, der eine kleine Kühltasche mit zum Hauseingang trug.

Die beiden Sänger waren etwas früher heimgekommen als erwartet und hatten sich vor Gackts Haus verabredet. Hyde hatte zuvor spontan etwas Wassereis in einem nahegelegenen Shop besorgt. Sie trieften, trotz der Hitze kamen sie nicht drum herum etwas für ihre Tarnung zu tun und wenn es sich hierbei nur um dünne Jersey-Jacken mit Kapuzen handelte und dicke Sonnenbrillen. Der Jüngere von ihnen Schloss die Tür auf, May kam freundlich angeschlichen, miaute und schlängelte sich verliebt zwischen seine Beine.

„Hey May, meine Hübsche.“, begrüßte Gackt sie und strich ihr kurz liebevoll über den Rücken.

„Na, gar keine Belle, die dich begrüßt?“

„Vielleicht sitzt sie oben bei unseren Fans und lässt es sich gut gehen. Sie mag sie, sonst hätte sie sich wohl kaum in einem ihrer Schränke verkrochen.“

Es war ruhig im Haus, die beiden Frauen konnten ihr Kommen noch nicht bemerkt haben.

„Ich bringe das Eis in den Kühlschrank und dann muss ich mich frisch machen.“

„Tu das, ich gehe hoch ins Bad.“

Gackt konnte oben angekommen nichts aus dem Gästezimmer hören, doch er dachte sich nichts weiter dabei und ging sich den Schweiß abwaschen. Als er wieder herauskam wunderte er sich aber langsam doch darüber, dass nicht einmal seine Hündin gehört haben sollte, dass er zuhause war. Er lief die wenigen Schritte bis zum Zimmer der Freundinnen und klopfte höflich. Eine Antwort blieb jedoch aus. Vorsichtig öffnete er die Tür und drückte sie einen Spalt weit auf, vielleicht schliefen sie ja. Nichts, das Zimmer war leer, nur das Doppelfenster war weit geöffnet. Da hörte er ihre Stimmen, sie klangen ausgelassen und vergnügt. Neugierig trat er ein, lief zum Fenster hinüber und warf einen Blick in seinen Garten. Dort unten auf dem Rasen, zwischen den großen, palmenartigen Pflanzen, sah er zwei junge Maiden einander verspielt jagen.

»Im Bikini?«, fiel ihm auf und er zog die Brauen hoch.

Tatsächlich, seine beiden Gäste spielten Fangen in Bademoden. Dann sprang ihm unübersehbar der aufgespannte Schirm ins Auge und die Handtücher. Zwischen den Frauen, die den Pool bereits ein paar Mal umrundet hatten und sich in Deutsch Dinge zuriefen, sprang Belle fröhlich umher und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. Interessiert verweilte der Sänger am Fenster, legte seine verschränkten Arme auf das Fensterbrett und beobachtete das lustige Schauspiel eine Weile.
 

„Bleib stehen! Ich krieg dich ja doch!“

„Ach ja? Versuch es doch!“

Chrissie riskierte eine dicke Lippe, doch das sie in diesem Spiel ihrer größeren Freundin überlegen war, war mehr als offensichtlich. Sie war flinker und geschickter darin Hürden zu nehmen als Nina. Die Dunkelhaarige hatte zudem ihre Probleme damit Wasser aus dem Pool rechtzeitig und richtig einzusetzen, sodass Chrissie auch noch in Reichweite war und getroffen werden konnte. Meistens war sie aber schon über alle Berge und machte sich über Ninas Unbeholfenheit auch noch lustig. Sie stürzte auf Chrissie zu, die entgegen ihrer Erwartung allerdings diesmal nicht weglief, sondern einfach stehen blieb und erst kurz vor der Kollision minimal zur Seite auswich und abwehrend in die Hocke ging.

PLATSCH

Verdattert stand Chrissie am Rand des Pools und starrte auf die Stelle der Wasseroberfläche, die noch schäumend Wellen schlug. Dorthin, wo Nina soeben geräuschvoll hineingefallen war. Im nächsten Moment tauchte ihre Freundin wieder nach Luft schnappend auf, hektisch warf sie ihren Kopf in den Nacken und strich sich ihren angeklatschten Pony zur Seite. Mit schreckgeweiteten Augen sah sie sich um, paddelte kurz und konnte dann ihre blauäugige Gefährtin ansehen. Da lachte Chrissie los, herzhaft und ohne Zurückhaltung. Sie ging auf die Knie und hatte schon Tränen in den Augen. Sie lies den Moment Revue passieren, indem Nina in den Pool gefallen war. Sie selbst hatte den plumpen Angriff ja einfach nur damit abgewehrt, dass sie sich gebückt hatte, als Nina gerade nach ihr greifen wollte. Dadurch war diese dann so ins Straucheln geraten, dass sie bäuchlings mit dem Kopf voran unfreiwillig abgetaucht war. Nina knurrte, Chrissie lachte und oben am Fenster regte sich ebenfalls etwas.
 

Bereits in dem Moment wo er sah, dass Nina ins Wasser stürzte, fing er an laut zu lachen. Die Reaktion der Rotblonden und der Moment wo die Verunglückte wieder auftauchte, verstärkte den Drang noch mehr. Das blieb nicht unbemerkt, Chrissie sah nach oben und formte ein stummes “Oh je!“ mit ihrem Gesicht. Gackt strich sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel, schenkte ihr ein amüsiertes Lächeln und winkte. Dann zog er sich zurück und joggte locker durch das Zimmer und dann die Treppe hinunter, wo ihm Hyde von dem großen Badezimmer aus entgegen kam, erfrischt und verwundert über Gackts Heiterkeit.

„Was ist los? Hab ich einen guten Witz nicht gehört?“, fragte der kleinere Sänger neugierig.

Gackt konnte sich das Grinsen einfach nicht aus dem Gesicht wischen und winkte Hyde zu sich heran. Mit einer Handbewegung zeigte er in Richtung Terrasse.

„Rate mal, wer sich draußen im Pool amüsiert.“

Schokobraune Augen folgten seinem ausgestreckten Zeigefinger.

„Komm mit, ich habe sie gerade auf frischer Tat ertappt. Eben ist Nina unfreiwillig im Wasser gelandet.“

„Ach deswegen strahlst du so! Und wo du es sagst, ich hab es tatsächlich platschen hören.“

Jetzt konnte Hyde das Grinsen seines Kollegen verstehen und teilen, zusammen liefen sie auf die Terrassentür zu.
 

„Glaub mir, so wahr mir Gott helfe, das zahl ich dir heim!“, fluchte Nina und fuchtelte dabei wild mit ihrer rechten Faust herum.

Chrissie hatte ihr Lachen eingestellt nachdem sie Gackt am Fenster entdeckt hatte. Ohne auf die Drohung ihrer Freundin einzugehen hob sie das Handtuch vom Boden auf und lief damit zur Leiter.

„Heb dir das für später auf, wir sind nicht mehr allein. Komm besser raus.“

Ninas Augen wurden groß, aufgescheucht drehte sie sich einmal um die eigene Achse.

„Wie? Was? Hä?“

„Gackt hat eben aus unserem Fenster geguckt und dabei total gelacht.“

Der Blick der Jüngeren schoss hinauf zum Fenster, doch da war niemand mehr. So schnell sie konnte schwamm sie in dem Wasser, das ihr an dieser Stelle des Pools knapp bis an das Kinn reichte, in Richtung Leiter und kletterte raus. Dankbar nahm sie das große, weiße Handtuch entgegen und wickelte es sich um den Körper. Sie hörten wie die Terrassentür zur Seite geschoben wurde, drehten sich zum Haus um und sahen Gackt und Hyde, die neckend grinsten und mit in die Seiten gestemmten Händen im Schatten des Hauses neben der Bank stehen blieben. Schuldbewusst und peinlich berührt standen die zwei Mädchen da.

„Lasst euch nur nicht stören. Habt ihr Spaß?“

Belle schoss an ihnen vorbei zu ihrem Herrchen und richtete sich glücklich an seinem Bein auf, um sich ihre Streicheleinheit abzuholen. Der Moment war mal wieder super peinlich, Nina zog verlegen das Handtuch enger um ihre Schultern und wollte am liebsten im Erdboden versinken. Ihr Körper war das Letzte, was sie ihrem Lieblingsstar so offenherzig präsentieren wollte! Sie war zwar schlank und normal gebaut, aber mit weiblichen Rundungen gesegnet – ihrer Meinung nach natürlich immer an den falschen Stellen - und eher ein weicher Typ. Sport lag ihr nicht sonderlich, auch wenn sie sie einen straffen Körper und einen flachen Bauch hatte. Sie war kein Vergleich zur blassen Chrissie, die nicht nur kleiner als sie war und auch zwei Kleidergrößen weniger trug. Ihre Freundin hatte schlanke, fast dünne Arme und feingliedrige Finger. Ihr Oberkörper war so zart, dass man immer etwas Angst hatte ihr weh zu tun, wenn man sie zu fest drückte. Ihre Beine waren proportional passend zum Rest ihrer Statur schlank und schmal.

„Es war so heiß und da hat Enah gedacht, du hättest vielleicht nichts dagegen, wenn wir deinen herrlichen Pool etwas ausnutzen würden. Es tut uns leid, dass wir nicht vorher gefragt haben, aber…“

„Nein, ist schon gut. Wirklich! Ich hab zwar nicht damit gerechnet, dass ihr Bikinis eingepackt habt und spontan auf diese Idee kommt, aber ich kann es sehr gut verstehen.“, fiel er in Ninas Rechtfertigung ein.

Er trat zu ihnen heran und Hyde folgte ihm.

„Es gibt nichts Besseres bei diesen Temperaturen, oder Ga-chan?“

Sie wandten sich Hyde zu, der schon wieder sein schiefes Lächeln präsentierte und aussah, als würde er eine Anspielung machen.

„Natürlich nicht, H-chan.“, entgegnete Gackt und ließ sich nicht von seinem ungeliebten Spitznamen ärgern.

„Warum schwimmst du dann nicht einfach mal eine Runde?“

„Wie? Wa… AAHH!“

PLATSCH

Zum zweiten Mal an diesem obszön heißen Tag ertönte das Geräusch, wenn jemand mit Schwung ins Wasser stürzte. Mit einem kräftigen Ruck hatte Hyde Gackt am Arm gepackt und herum in den Pool geschleudert. Komplett überrumpelt und geplättet standen die Mädchen da und sahen abwechselnd von Hyde, der sich vor Lachen kaum halten konnte, zu Gackt, der mit viel Gespritze und Gefluche wieder aus den Fluten auftauchte.

„HYDE!“, schrie er entrüstet und sah an sich herunter, wie er bis über die Brust im Wasser stand. Wohlgemerkt noch vollständig bekleidet, die Haare fielen Ihm platt ins Gesicht. Nina und Chrissie hatte es die Sprache verschlagen, sie standen bewegungslos an Ort und Stelle und hielten sich beide Hände vor ihre Münder. Zum Einen weil sie einen heiden Respekt vor Gackts Reaktion hatten, der nicht sonderlich amüsiert über Hydes Scherz erschien und zum anderen, weil ihnen irgendwo auch zum Lachen war.

„Na Ga-chan, wie ist denn die Wassertemperatur so?“

Hyde lachte immer wieder kurz auf, wann immer er in das Gesicht seines Kollegen sah. Der wiederum suchte aufgewühlt nach Worten, die er seinem Attentäter an den Kopf werfen konnte. Zudem sah er, wie ihn seine beiden Gäste mit einer Mischung aus Schrecken und Schadenfreude anstarrten.

„Warum kommst du nicht einfach zu mir rein und vergewisserst dich selber?“, antwortete er schließlich und strich mit den Händen sein nasses Haar nach hinten.

„Nein danke, ich nehme mal an, du bist jetzt erfrischt genug für uns beide.“

Der freche Frontman bekam den Schalk einfach nicht aus seiner Mimik und verspottete Gackt weiterhin überaus erheitert.

„Ach komm, schau mich nicht so an. Du hast mich quasi provoziert es zu tun! Und ich muss zugeben, dass du als Badenixe durchaus gewisse Reize versprühst.“

Chrissie und Nina kämpften um Fassung, sie liefen hochrot an vor Anstrengung das Lachen zurückzuhalten und ihre Wangen bliesen sich dick auf. Hyde spielte wieder mit seiner Zunge und hatte das Gewicht seines Körpers lässig auf ein Bein verlagert. Gackt tat zwei Schwimmzüge auf die Poolkante zu, die gleichzeitig die tiefste Stelle war und streckte seine rechte Hand nach Hyde aus.

„Hilf mir wenigstens raus. Ich muss neben meinem Styling und meiner Würde nicht auch noch meine Kleidung ruinieren.“

Aus einem Reflex heraus griff Hyde nach der Hand seines Freundes ohne darüber nachzudenken, dass Gackt leicht auf die Leiter hätte ausweichen können, die unmittelbar in ihrer Nähe war. Als Hyde die Erleuchtung traf und er das bestätigende, gewinnende Funkeln in Gackts Augen sah, war es bereit zu spät und er spürte nur noch den Ruck, der durch seinen Körper ging und wie ihn dann das Wasser des Pools umschloss. Die Freundinnen konnten nicht mehr an sich halten und prusteten zwischen ihren Fingern einfach ungehalten los. Atemlos und ohne Ton krümmten sie sich unter ihrem Lachanfall und versuchten sich dabei gegenseitig abzustützen.

„DU MISTKERL!“, rief Hyde, als er scharf einatmend wieder durch die Wasseroberfläche brach und wild mit den Armen ruderte, da das Wasser hier zu tief für ihn war.

Gackt lachte herzlich, er zeigte viele Zähne dabei und es zeichneten sich feine, liebenswerte Lachfältchen in seinen Mundwinkeln ab. Nina quietschte vergnügt und hüpfte aufgedreht auf der Stelle, auch Chrissie amüsierte sich prächtig. Hydes Lippen umspielte ein herausforderndes Lächeln, kaum war er aufgetaucht, schon spritzte er so gut er konnte los und immer in Gackts Richtung, der sich ebenbürtig verteidigte. Sie sprangen und schwammen aufeinander zu und gerieten ins Rangeln, einer versuchte den anderen möglichst vorteilhaft zu packen und dann unter zu stuken.

„Schau dir das an Nina, wie die kleinen Kinder!“, flüsterte die Rothaarige gerade so laut in das Ohr der Dunkelhaarigen, dass es das andauernde Planschen und Kampfgeschrei übertönte.

„Das ist besser als Kino… Gackt und Hyde bei einer Wasserschlacht… vergessen wir Moon Child, das hier topt alles!“, gab Nina flüsternd zurück.

„Was gibt es da zu tuscheln?“

Die beiden Sänger hatten sich anscheinend ausgetobt, Gackt zog sich die Leiter hinauf und Hyde hievte seinen schmalen Körper über den Rand hinweg hoch. Das Ausmaß der Katastrophe zeigte sich jetzt noch mal in vollem Maße. Das Wasser hatte ihren Frisuren alles geraubt, was sie irgendwie in Form gehalten hatte, tropfend hingen die mehr oder weniger langen Strähnen dicht an der Kopfhaut herunter. Ihre Oberteile – und das war ein Anblick, der den Mädchen imaginäres Nasenbluten verschaffte – klebten wie eine zweite Haut an ihren Körpern, Gackts lies sogar seine Hautfarbe hindurch schimmern. Die Hosen hingen schwer an ihren Beinen und überall lief Wasser heraus. Bei den aufgeschwemmten Schuhen war sich wahrscheinlich jeder von ihnen so gut wie sicher, dass sie diesen Badeausflug nicht überlebt hatten. Gackt fischte einen seiner Schuhe sogar noch nachträglich aus dem Pool. Belle sprang derweil aufgeregt zwischen ihnen umher und schnupperte neugierig an ihrem Herrchen, der sie unbeabsichtigt etwas voll tropfte. Die Mädchen lachten weiter vor sich hin ohne auf Hydes Frage einzugehen.

„Du siehst doch, sie haben ihren Spaß an deinem Streich.“, antwortete Gackt für sie.

Jetzt standen die Vier sich wieder gegenüber, die Bodenfliesen waren durch die Nässe großflächig von dunklen Schatten überzogen. Die Sonne schien noch immer stark, die Sänger glitzerten in ihrem Schein, doch die sengende Hitze würde sie schnell trocknen lassen. Die Freundinnen hatten sich jetzt einigermaßen beruhigt, doch fortwährend zu grinsen konnten sie einfach nicht unterdrücken.

„Das gibt die volle Punktzahl auf der Skala von eins bis zehn! Wobei… für den ungalanten Auftritt hier an Land sollten wir vielleicht doch noch ein oder zwei Punkte abziehen…“

Chrissie musterte neckisch den Auftritt ihrer beiden Idole, würdevoll war definitiv etwas anderes!

„Also ich fand es witzig!“, kommentierte Nina.

Wiederholt prüfend sahen die zwei Musiker an sich herab, für ihr Outfit kam jede Hilfe zu spät, aber sie hatten ihren Spaß gehabt und gaben sich daher von einer sehr gelassenen Seite.

„Enah, wie viele Punkte bekommst du wohl zusammen, wenn du ohne Vorwarnung im Pool landest?“

Chrissie wich das Lächeln von den Lippen, misstrauisch warf sie Gackt einen Blick zu, der ihn mit demselben Funkeln erwiderte, wie er es bei Hyde getan hatte.

„Ich bevorzuge Trockenschwimmen.“, gab sie knapp zurück.

Ihre Freundin biss sich auf die Unterlippe als sie beobachtete, wie auch Hydes Gesichtausdruck sich dahingehend veränderte, dass man erahnen konnte, dass er Gackts Anspielung verstanden hatte und in sein Spiel einstieg.

„Bei dem Wetter tut eine Runde Schwimmen ganz gut, du siehst noch ganz trocken aus… vielleicht solltest du es mal ausprobieren?“

Chrissie wich mit verschränkten Armen und bösem Blick zurück als Gackt und Hyde einen Schritt auf sie zu taten. Nina hielt sich im Hintergrund und wich aus. Unbewusst zog sie ihr Handtuch noch enger um sich, hoffentlich hatte niemand vor sie noch mal unfreiwillig ins Wasser zu befördern.

„Wehe, denkt gar nicht daran!“, zischte die Rotblonde, die sich mehr und mehr in die Ecke gedrängt fühlte.

„Findest du es nicht auch ein bisschen unfair, dass du bislang den ganzen Spaß allein hattest? Du bist noch als Einzige trocken, selbst Belle hat mehr Wasser abbekommen als du.“

Hyde fing sich einen feindseligen Blick ein, doch anstatt eingeschüchtert zu sein bestärkte es ihn und seinen Freund erst Recht in ihrem Plan. Da blitzten seine braunen Augen gefährlich auf wie die eines Jägers und beide Männer machten wie abgesprochen einen Satz auf Chrissie zu. Sie versuchte zu fliehen, doch Gackt hatte sie am linken Arm gepackt noch bevor sie sich ganz umgedreht hatte.

„NEIN!“, schrie sie und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien.

Gackt lachte und lies sich nicht beeindrucken, Hyde war längst zur Stelle und konnte sie am anderen Handgelenk festhalten. Chrissie knurrte wütend und wand sich wie ein Aal auf dem Trockenen. Nina beobachtete die Situation beeindruckt und eingeschüchtert zugleich, konnte sich aber nicht verkneifen eine gewisse Schadenfreude zu verspüren. Die beiden Männer hatten alle Mühe die rothaarige junge Frau zu bändigen, Chrissie war wendig und hatte einen eisernen Willen. Aufgeregt sprang Belle um sie drei herum und bellte.

„Wehe ihr schmeißt mich ins Wasser! Ich will nicht! Ich hasse das! Lasst mich los!“

Bestimmt zogen sie, ohne auf Chrissies Flüche zu achten, sie an den Rand des Pools, wo das Wasser flacher und sie sich ein letztes Mal mit aller Kraft gegen den Boden stemmte und sich zurückwarf, sodass ihre Häscher tatsächlich ins Straucheln gerieten. Kurzentschlossen schoss Nina voran, lies dabei ihr Handtuch fallen und gab ihrer besten Freundin den entscheidenden Stoß von hinten gegen die Schultern. In einer mehr als uneleganten Verrenkung und von einem entrüsteten Fluch begleitet, stürzte Chrissie schließlich doch in den Pool. Perplex sahen Gackt und Hyde Nina an, die genau jetzt ein schlechtes Gewissen packte und mit einem mulmigen Gefühl im Magen in die aufgewirbelten Wassermassen sah. Die Rotblonde tauchte auf und sie war umgeben von der Aura eines fuchsteufelswilden Drachen! Ihre blauen Augen waren zu Schlitzen verengt, in ihnen loderte eisiges Feuer und ihre Lippen waren zu bitteren, schmalen Strichen zusammengepresst.

»Wenn Blicke töten könnten…«, dachte Nina und zuckte reumütig mit den Schultern.

Die zwei Stars jedoch verfielen jetzt in johlendes Gelächter, Gackt klatschte in die Hände und zwinkerte Chrissie zu, die jedoch im Moment keinen Sinn für Humor hatte. Tonlos strich sie sich wütend die Haare aus dem Gesicht, mal abgesehen davon, dass ihr Körper durch das Stehen in der Sonne überhitzt war und ihr deswegen das Wasser eiskalt vorkam, fühlte sie sich erniedrigt. Von ihrer Freundin hatte sie Unterstützung erwartet, wenn Nina ihr wenigstens geholfen hätte… selbst wenn sie gescheitert wären und schlussendlich beide im Pool gelandet wären… aber das sie diejenige sein würde, die ihr wortwörtlich in den Rücken fiel… jetzt war sie sauer! Sie sagte weiterhin nichts, aber Blicke sagten mehr als tausend Worte und Nina verstand überdeutlich, dass ihre Freundin erstmal kein Wort mehr mit ihr reden würde. Doch die Dunkelhaarige lächelte verschmitzt.

„Ach komm schon Chrissie, es war doch nur Spaß.“

Ein giftiger Blick kam geflogen, sie schwamm auf die Leiter zu und zog sich heraus. Fürsorglich reichte Nina ihr das Handtuch, das sie zuvor gehabt hatte. Ruppig nahm die Blauäugige das Tuch entgegen und zischte ein mürrisches “Danke“. Eingeschnappt stolzierte sie eilig an ihren Peinigern vorbei und zur Terrassentür, wo sie sich die Beine und Füße notbedürftig abtrocknete und dann im Hausinneren verschwand.

„Sie ist dir doch jetzt nicht ernsthaft böse, oder?“, fragte Hyde besorgt, der immer noch amüsiert lächelte.

„Nein… ich denke nicht. Sie ist jetzt nur sauer, weil ich ja wissen müsste, wie sehr sie es hasst nass gespritzt oder geschubst zu werden, wenn sie noch ganz trocken ist. Sie ist etwas empfindlich, was so was betrifft und versteht da auch keinen Spaß.“

Als sie das sagte fiel ihr wieder auf, wie nass eigentlich noch er und Gackt waren, also lief sie schnell zum Sonnenschirm zurück und holte noch zwei Handtücher, zum Glück hatten sie insgesamt vier Stück mit rausgenommen. Zwei um die Auflagen der Liegen zu schonen, die zwei anderen zum Lümmeln auf dem Boden und zum Abtrocknen.

„Und noch mal, es tut mir wirklich leid, dass wir einfach hier rausgegangen sind ohne zu fragen.“

Verlegen reichte sie dabei Gackt sein Handtuch, Hyde rubbelte sich bereits die Haare trocken.

„Ich hab doch schon gesagt, dass das nicht schlimm ist. Wenn wir darüber früher gesprochen hätten, hätte ich euch das sowieso erlaubt.“

Er zog sich das klitschnasse Shirt über den Kopf, Nina schoss das Blut ins Gesicht und sie senkte den Blick. Als ihr dabei wieder einfiel, dass sie selbst gar nicht mehr in ein Handtuch gewickelt war, beschleunigte sich ihr Puls nochmals und sie konnte förmlich spüren wie Rauch über ihrem Kopf aufstieg.

„Und euer letzter Tag bei mir kann ruhig etwas Besonderes sein.“

Bei diesem Satz blickte sie auf und ihre Augen trafen sich, sofort sah Nina wieder weg. Der Gedanke, dies waren die letzten Momente mit ihrem Lieblingsidol… nein, ihre letzten Momente hier bei ihm, machte sie traurig. Der Augenblick wo sie aufgesehen hatte war an Gackt natürlich nicht unbemerkt vorbeigegangen, er hatte gesehen, dass ihr Gesichtsausdruck nicht glücklich gewesen war. Hyde stand außerhalb des Moments und beobachtete nur stumm was in dem kurzen Wortwechsel zwischen seinem Kollegen und der Dunkelhaarigen passierte.

„Nina, vielleicht solltest du Enah lieber hinterher gehen, bevor sie doch noch richtig böse wird. Und macht euch zu achtzehn Uhr fertig, wir fahren mit dem Shinkansen ca. 19 Uhr vom Kyoto Bahnhof los.“

Sie sah Hyde an, der ihr ermutigend zunickte, verabschiedete sich mit einer schnellen Geste von Gackt und war dann ebenfall an Hyde vorbei im Haus verschwunden.

„Sie ist traurig, dass die Zeit bei dir nun doch schon vorbei ist, oder?“, fragte Hyde an Gackt gewand, als er sich sicher war, dass niemand außer ihm ihn hören würde.

„Traurig? Na ja, sie wird es wohl schade finden, aber sie und Enah haben dafür ja jetzt dich. Sie werden es sicherlich auch schade finden, wenn sie von dir aus wieder nach Deutschland fliegen.“

Der Kleinere zog eine Augenbraue hoch, kommentierte Gackt Aussage aber nicht. Er zumindest war sich fast sicher, dass das Gefühl von “schade finden“ nicht das war, was er glaube bei Nina beobachtet zu haben.

„Findest du es nicht schade, dass sie jetzt gehen?“

„Es waren sehr interessante und lustige Tage, aber ich bin auch froh, dass ich mich jetzt wieder ganz auf meinen Alltag und meine Arbeit konzentrieren kann ohne mir darüber Gedanken zu machen, ob es ihnen auch gut geht.“

Eine kurze Pause entstand, Gackt tupfte sich das Wasser aus dem Nacken und wollte auch so langsam reingehen, Hyde nickte noch zustimmend vor sich her.

„Aber vielleicht können wir ja im Kontakt bleiben, in der nächsten Woche? Ich komme doch auch nach Tokyo, vielleicht ergibt sich die ein oder andere Gelegenheit, dass wir uns noch mal sehen?“

Dieser unvermittelte Zusatz überraschte Hyde erst, doch dann grinste er schief und durchschauend und sah seinem jüngeren Freund hinterher, der gerade die Tür hinter sich gelassen hatte und in Richtung Badezimmer abbog.
 

„Chrissie… Chriiissiiieee… och menno, Christin, jetzt red doch wieder mit mir! Bist du jetzt wirklich sauer auf mich, weil ich geholfen habe dich in den Pool zu schubsen?“

Wie ein reumütiger Hund wälzte sich Nina auf dem Doppelbett hin und her und warf ihrer Freundin, die noch die letzten Handgriffe an ihrer Reisetasche vornahm und sich zwischendurch immer mal wieder durch die frisch gewaschenen Haare fuhr, entschuldigende Blicke zu.

„Mou~ isch hab disch lüb…“, nuschelte Nina bedröppelt und versuchte so die angesäuerte Chrissie zu erweichen.

Entnervt setzte sich die Rotblonde neben Nina auf das Bett, sie beide hatten längst wieder ihre normalen Sachen an und es war später Nachmittag geworden. Ninas Magen knurrte laut und da kicherte Chrissie wenigstens endlich mal ganz kurz.

„Das ist ja mal wieder typisch! Du erzählst mir hier was von einer Entschuldigung und dann knurrt dein Magen…“

„Entschuldige! Aber wir hatten doch heute kein Mittagessen! Und außerdem, ich kann ja nichts dafür, wenn mein Körper sich meldet… Wassersport macht hungrig.“

„Wassersport? Was ist an Reinstolpern, Meckern und Rausklettern bitte Sport? Das ist nicht mal anstrengend!“

„Ach ja… und was ist an einer Abkühlung bei diesen Temperaturen so dramatisch, dass man danach ewig kein Wort mit seiner besten Freundin spricht?“

„Die Tatsache, dass die angeblich beste Freundin mich gegen meinen Willen geschubst und damit vor Hyde und Gackt lächerlich gemacht hat!“

„Oo~h! Aber das du mich regelmäßig seit unserer Ankunft auf deine spielerische Art und Weise vor Gackt in Verlegenheit gebracht hast, das ist ok, oder was?“

„Was kann ich dafür, wenn du so offensichtlich auf ihn stehst? Du lieferst eine Vorlage nach der anderen, du weißt, wie ich bin!“

„Und ich finde, diese kleine Racheaktion mit dem Pool könntest du mir im Gegenzug ruhig gönnen und verzeihen!“

„Ach, jetzt ist es eine Racheaktion, vorhin war es noch ein Scherz?“

„Sieh es wie du willst, es war ein Scherz und alle bis auf dich haben ihren Spaß dabei gehabt und gleichzeitig weißt du jetzt mal wie es ist, wenn man vor seinem Liebling bloßgestellt wird!“

„Gackt sieht meine Späßchen alle gar nicht so eng, der nimmt die doch gar nicht ernst!“

„Ich aber! Und Hyde hat sich bestimmt auch nichts Schlimmes gedacht, als du ins Wasser geflogen bist, aber du hast daraus ein Drama gemacht!“

Der schnelle Wortwechsel ging in eine Pause, sie starrten sich in die Augen so grantig es nur ging. Nina war die Erste, die spontan zu lachen anfing und sich zurück auf die Decke fallen lies, Chrissie stimmte mit ein und piekte Nina mit ihren langen Fingernägeln zwischen die Rippen.

„Mach so was nie wieder mit mir! Du weißt, dass ich es hasse ins Wasser gezwungen zu werden!“

„Schon gut, schon gut… Aua! Hör schon auf, ist ja gut! Ich konnte einfach nicht widerstehen als du dich zwischen den beiden so gewunden hast! Und am Ende war es ausgleichende Gerechtigkeit…Aua! Hey, wir waren dann schließlich alle nass!“

Chrissie lies von ihrer gepeinigten Freundin ab und stand auf.

„Hyde hat also gesagt, wir fahren mit dem Shinkansen?“

„Äh, ja? Um ca. 19 Uhr fährt der Zug wohl.“

Der Gedanke noch am selben Abend bei Hyde in seinen vier Wänden zu sein lies wieder den altbekannten Quietschdrang hochkommen, doch sie unterdrückte ihn.

„Wie will er das machen? Das ist ein öffentliches Verkehrsmittel wie bei uns ein ICE oder Regionalzug… jeder könnte ihn erkennen!“

In Ninas dunkelgrünen Augen war nichts als Ahnungslosigkeit zu erkennen, unwissend zog sie die Schultern hoch.

„Hyde wird schon wissen, was er tut. Komm, lass uns runtergehen, ich hab Hunger. Gackt und Hyde haben bestimmt auswärts gegessen, wenigstens eine Kleinigkeit brauch ich jetzt noch, sonst kannst du mich im Zug und danach abschreiben.“
 

Es war 17 Uhr durch, Hyde hatte auch seine letzten Sachen zur Garderobe an die Tür gestellt, wo inzwischen auch die Taschen seiner potenziellen Reisebegleiterinnen standen. Chrissie und Nina saßen in der Küche und aßen etwas Obst, sie waren ruhiger als sonst, die Abschiedsstimmung machte sich breit. May strich um Ninas Beine herum und schnurrte, die zutrauliche Maine Coon würde ihr fehlen, so wie so vieles hier. Hyde kam herein und setzte sich zu ihnen, er hatte nach seinem Bad im Pool keinen großen Aufwand für sein Styling betrieben, im Gegenteil. Er trug ein ganz schlichtes, graues T-Shirt das eigentlich zu groß an ihm aussah, eine legere, dunkelblaue Jeans und weiße Turnschuhe. Alles nicht unbedingt chic, aber aus Tarnungsgründen wahrscheinlich genau das Richtige und wenn man ehrlich war, dann sah Hyde einfach in allem irgendwie toll aus! Seine Haare hatte er etwas strenger nach hinten gekämmt und mit seiner Sonnenbrille über der Stirn festgeklemmt.

„Und, seid ihr schon aufgeregt?“

„Und wie!“, antworteten Nina und Chrissie gleichzeitig.

Der Laruku-Frontman freute sich darüber, dass die beiden jungen Frauen offensichtlich gerne seine Gäste wurden.

„Sag mal, verrätst du uns wie das mit dem Shinkansen ablaufen wird? Hast du keine Angst erkannt zu werden?“

Hyde zog sich näher an den Tisch heran und lächelte verschmitzt.

„Das ist etwas kompliziert. Ich muss natürlich einen gewissen Aufwand betreiben um mit diesem öffentlichen Verkehrsmittel zu fahren. Es ist so, ich habe mit den Betreibern des Shinkansen nach Tokyo eine Vereinbarung getroffen, in der sichergestellt ist, dass ich – bzw. wir – den letzten Wagon des Zuges zu 19 Uhr für uns allein haben.“

Sie waren sprachlos, so etwas war möglich? Na ja, wenn man ein Megastar und VIP war, dann ging bestimmt alles, wenn man dazu das nötige Kleingeld hatte… aber diesen Gedanken führten sie lieber nicht zu Ende, sonst bekämen sie ganz sicher ein schlechtes Gewissen.

„Die Türen hinten werden nur für uns und einen Bodyguard geöffnet, ich nehme an, sie werden als defekt markiert sein oder ähnliches.“

„Bodyguard?!“

Da war er wieder, der Gedanke an einen Schrank wie Mike und Nina lief es kalt den Rücken runter. Hyde grinste bei Ninas verzerrtem Gesichtsausdruck.

„Keine Sorge, er ist nur dabei um am Übergang zum Abteil aufzupassen. Da ich ja nicht alleine reise muss ich doppelt aufpassen.“

Er zwinkerte ihnen zu und sie lächelten zurück. Belle kam von der Treppe herunter zu ihnen hereingetippelt und steuerte zielstrebig ihren Futterplatz an. Gackt folgte ihr, er hatte sich wieder ein ärmelloses Shirt und eine elegante, anliegende Hose angezogen.

„Ihr müsst bald los, hast du ein Taxi gerufen oder soll ich euch bis zum Bahnhof fahren?“

Auch er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu ihnen. Chrissie fiel auf, dass er und Nina immer mal wieder flüchtige Blicke tauschten. Es war mehr so als würde der Eine den anderen beobachten und sobald man dabei ertappt wurde, wand man den Blick wieder ab.

„Ich habe noch kein Taxi gerufen, wenn du uns fahren möchtest wäre das sehr nett.“

„Wenn du wieder trocken hinter den Ohren bist, sehe ich da kein Problem.“

Mit verschränkten Armen grinste der Größere Hyde herausfordernd an, doch dieser lehnte sich nur entspannt zurück und tat so, als hätte er nichts gehört. Die beiden anwesenden Frauen hatten den Witz verstanden und sahen sich mit rollenden Augen an.

„Und ihr? Seid ihr schon gespannt auf Tokyo?“

Nina hatte den Mund voll mit ihrem letzten Bissen Banane, nickte aber eifrig, das Sprechen übernahm Chrissie für sie beide.

„Auf jeden Fall! Wenn es sich irgendwie möglich machen lässt werden wir uns einige Sehenswürdigkeiten wie den Tokyotower mal aus der Nähe ansehen!“

„Da fällt mir ein, wir haben uns hier in Kyoto einige schöne Plätze durch die Lappen gehen lassen…“, bemerkte Nina nachdem sie runtergeschluckt hatte.

Gackt nickte.

„Ja, das ist schade… Kyoto hat mehr zu bieten als diese Häuserlandschaft, die ihr bisher nur gesehen habt. Aber Tokyo wird euch bestimmt entschädigen.“

„Es gibt nichts zu entschädigen, die ganze letzte Woche war fantastisch!“

Ihre rothaarige Freundin nickte bestätigend und setzte ebenfalls zu einem Satz an.

„Wir haben so viel mit dir und Hyde erlebt, das man wohl kaum sagen kann, wir hätten uns etwas entgehen lassen!“

„Danke, das lässt mich hoffen, dass ich doch gewisse Gastgeberqualitäten besitze. Ich hatte auch meinen Spaß mich euch, es war sehr erheiternd. Es war mal richtig Leben im Haus.“

Hyde warf einen Blick auf seine Uhr.

„So, es wird Zeit. Lasst uns unsere Sachen ins Auto laden und dann langsam losfahren.“

Er stand auf und lief vor, Chrissie folgte ihm und Nina hörte noch, wie sie in eine kurze Diskussion darüber verfielen, wer was zum Auto tragen sollte. Hyde war natürlich zuvorkommend und Chrissie war das unangenehm. Nina lächelte darüber als sie ihrer Freundin folgte, doch da hielt sie Gackt am rechten Handgelenk zurück. Mit großen Augen drehte sie sich zu ihm um, ihm schien das auch ein wenig unangenehm zu sein, er lies sofort wieder los.

„Ich wollte mich noch mal für dein vertrauenswürdiges Verhalten bedanken und… ja, ich denke, wenn wir doch mehr Zeit gehabt hätten, hätten wir das ein oder andere Gespräch auch mal zu Ende führen können. Es war eine schöne Zeit mit euch.“

Er klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter.

„Dann werden wir Enah und Hyde mal zum Auto folgen, damit sie nicht unnötig in der Wärme stehen.“

Sie lächelte ihn warm an, es war lieb von ihm, dass er sie alleine noch mal zur Seite genommen hatte um ihr das zu sagen. Auch sie hatte das Gefühl, wenn nur mehr Zeit und Ruhe dagewesen wäre, dann hätten sie auch mal auf einer höheren Ebene unterhalten können und sie entsann sich auf den einen oder anderen Augenblick aus der letzten Woche, die sie beide miteinander verband.
 

Ein Hoch auf Klimaanlagen, dachten die Reisenden während der Autofahrt. Zwar war es inzwischen Abend geworden, doch die Luft stand und kein Wind rührte sich. Verträumt und erheblich stiller als sonst sahen Chrissie und Nina aus dem Fenster und sogen noch mal alles in sich auf, was sie sahen. Die Stadt mit ihren vielen, grauen Häusern und den idyllischen Orten, von denen sie bedauerlicher Weise ja nicht viel gesehen hatten, würden sie nie vergessen! Sie kamen etwas schleppend voran, die Straßen waren voll durch den Feierabendverkehr, doch es machte ihnen nichts aus, sie schwelgten in Erinnerungen. Gackt hielt vorne Smalltalk mit Hyde, über Berufliches, wie es schien. Sie hörten kaum zu und es war auch nicht so, als hätte sie einer der beiden Männer in das Gespräch mit einbinden wollen. Irgendwann konnte Chrissie, die hinten rechts saß, ein Gebäude ausmachen, das sie ins Staunen versetzte! Es war unheimlich modern und passte irgendwie gar nicht in das Gesamtbild Kyotos, es war zu futuristisch!

„Oohhh~ ist das der Bahnhof?“, fragte Nina, die sich zu ihrer Sitznachbarin hinübergebeugt hatte um dieselbe Aussicht zu haben.

„Ja, das ist der nördliche Haupteingang der Kyoto Station.“, erklärte Gackt und bog wie immer in eine unauffällige Seitenstraße ein.

Das Auto kam zum Stehen und das Geräusch des Motors erstarb. Keiner sagte etwas im ersten Moment. Irgendwann holte der vermeintlich Blauäugige tief Luft und drehte sich Hyde zu.

„Na dann, wir hören voneinander!“

Freundschaftlich packten sie sich bei den Händen und drückten sie fest, sie lächelten sich auf natürliche, fast rührende Weise an. Die rührselige Stimmung schwappte auf die Mädchen über, tiefe Wehmut erfasste Nina und auch ihre Freundin war auf einmal nicht mehr ganz so euphorisch wie zu Anfang.

„Und ihr zwei, versprecht mir Hyde gut auf Trapp zu halten, ok?“

Er hatte sich zu ihnen umgedreht und lächelte sie mit einem scherzenden Gesichtsausdruck an, sie lächelten zurück. Nina atmete nicht, in ihren Augen stand das Wasser und sie wollte sich nicht verraten.

„Macht nicht so ein geknicktes Gesicht, Gackt ist nicht aus der Welt.“

Sie horchten auf und beide Sänger schmunzelten in sich hinein, als sie in ihre großen Augen sahen.

„Ich habe doch erzählt, dass ich beruflich auch nach Tokyo muss. Ich kann nichts versprechen, aber vielleicht sieht man sich doch noch mal.“

Der Missmut in den Mienen von Chrissie und Nina wich einem hoffnungsvollen Strahlen. Hyde warf seinen Kopf lachend in den Nacken.

„Oh mein Gott, wenn man euch so ansieht müsste man glauben, ich hole euch hier gegen euren Willen weg!“

Sie schlossen sich mit einem verlegenen Lachen an und Gackt schüttelte belächelnd den Kopf.

„Kommt jetzt,“, sagte Hyde mit einem Blick auf seine Armbanduhr, „wir müssen los, unser Zug fährt sonst in 10 Minuten ohne uns.“

Ohne Gegenkommentar stiegen sie aus und ließen sich von Gackt ihre Taschen aus dem Kofferraum geben.

„Ich will nicht vermessen klingen, aber versprichst du mir etwas?“

Er schloss gerade wieder den Kofferraum und hörte ihr, Nina, gespannt zu.

„Das kommt drauf an, was ich dir versprechen soll.“, entgegnete er mit einem schiefen Grinsen.

„Achte ein bisschen mehr auf dich.“

Überrumpelt starrte er sie an, doch sie hatte nur einen gutmütigen Blick für ihn übrig und lies ihn mit einem undurchschaubaren Lächeln zurück. Chrissie trat an ihre Seite während Hyde versuchte sich in Geduld zu üben und noch mal seine Tarnung prüfte.

„Iss einfach regelmäßig, schlaf etwas mehr und arbeite nicht zu viel will sie dir damit sagen.“

Er fasste sich in den Nacken und nickte nur amüsiert.

„Ich werde sehen, was sich machen lässt.“

„Kommt ihr zwei!“, rief ihnen Hyde zu, der voraus zur Ecke gelaufen war und winkte seinem Kollegen noch mal zum Abschied.

Bestimmt nahm die blassere junge Frau ihre Freundin an die linke Hand und zog sie mit sich mit. An der Hausecke drehten sie sich noch einmal um, Gackt stand mit überschlagenen Beinen und verschränkten Armen an seinem Wagen und nickte ihnen ermutigend zu. Dann waren sie aus seinem Sichtfeld und betraten die Halle des Bahnhofs. Für Abschiedsgedanken war jetzt keine Zeit, der Bahnhof verblüffte sie von innen noch wesentlich mehr als von außen! Die riesige Halle in der sie standen lag zwischen zwei keilförmigen Bauwerken, das Glasdach war geodätisch konstruiert. Die massiven Säulen an der Außenseite sahen aus wie die Dachkonstruktion von Tempelhallen und um sie herum war alles in blaugrauen Granit gefliest. Zu den oberen Ebenen hin wurden die Fliesen heller, es war fast so, als befänden sie sich in einem riesigen Teich. Die Rolltreppen waren aus blankem Edelstahl und reflektierten das Licht, das in die Halle fiel. Mittags musste es aussehen, als würde hier ein Wasserfall fließen…

„Wie viele Etagen hat dieser Bahnhof hier denn?“, sprach Chrissie mehr zu sich selbst, als das es wie eine Frage an die Allgemeinheit klang.

„Teilweise bis zu 15 – wusstet ihr, dass viel Kritik an diesem Bahnhof geübt wurde, als er fertig war? Es hieß, er wäre ein gestalterischer Schandfleck und könnte die gewachsene Struktur hier in Kyoto zerstören.“

„Hat dir das Gackt erzählt?“, hinterfragte Nina neugierig und erstaunt darüber, dass Hyde so gut bescheid wusste.

„Nein, das kam in den Nachrichten und stand in den Zeitungen. Dabei ist dieser Bahnhof technisch gesehen auf dem neusten Stand, die Bahnstege verlaufen teilweise sogar übereinander.“

Was Hyde beschrieb kannten sie auch von sich aus Berlin, aber die S-Bahnhöfe, die ihnen dabei in den Sinn kamen hatten eher minimalen Vergleichswert mit diesem gigantischen und pompösen Bauwerk.

„Unten ist die U-Bahn, wir müssen auf die zweite Ebene um zum Tôkaidô-Shinkansen zu kommen.“

Ein kleiner Bereich für die Shinkansen-Kunden war separat reserviert worden, da man in Japan Bahnsteige nur mit einem Ticket betreten durfte. Es gab große Leuchttafeln auf denen Nachrichten in Kanji und Romaji eingeblendet wurden, internationale Symbolanzeigen und Farbstreifen auf dem Boden… die beiden Deutschen waren sich sicher, dass auch Ausländer sich so geleitet auf diesem Bahnhof zurecht finden konnten.

Der Bahnsteig des Shinkansen hatte Ähnlichkeiten mit einem Berliner Hauptbahnhof, verglaste Wände und ein langes Einfahrtsgleis. Ganz neu allerdings und befremdlich für sie beide war der Zaun am Bahnsteig. Es gab dazwischen immer wieder gleichgroße Aussparungen mit automatisch aussehenden Türen, sie konnten nur mutmaßen, dass dort später, wenn ein Zug eingefahren- und zum Stehen gekommen war, passgenau die Zugtüren sein würden. Beeindruckt von so viel Sicherheit trabten sie schwer beladen weiter bis zum Ende des Gleises. Hyde blieb stehen, zog seine Sonnenbrille etwas herunter und lugte über sie hinweg zu seinen Begleiterinnen, die ihn erwartungsvoll ansahen.

„Der Zug kommt gleich.“, flüsterte er und prüfte noch mal, ob jemand in ihre Richtung sah.

Der Sänger sollte Recht behalten, pünktlich fuhr der Zug ein, mit Spannung erwarteten Nina und Chrissie, was als nächstes geschah. Die Türen des letzten Wagons waren tatsächlich mit großen Aufklebern als defekt deklariert, wortlos nahmen die umstehenden Reisenden ihre Sachen und liefen vor zu den anderen Abteilen. Nervös sahen die Drei zu wie die Passagiere einstiegen. Ungeduldig warteten die Freundinnen auf eine Regung bei Hyde, der so gelassen wie möglich vor der letzten Tür verharrte ohne Anstalten zu machen einzusteigen. Da ging die Tür auf und ein sehr großer, schlanker Japaner im dunklen Anzug, mit Sonnenbrille und leichter Kinnbeharrung stieg aus. Er war so groß, dass er sich sogar ein wenig ducken musste, als er durch den kleinen Durchgang lief und ihnen bedeutete, dass sie einsteigen sollten. Hektisch hievten die Mädchen ihre Taschen hoch und folgten Hyde, der voran ging. Sein Gepäck hatte ihm der men in black bereits abgenommen. Die Tür schloss sich und schon fuhr der Zug an.

„Das wäre geschafft.“

Erleichtert atmete Hyde aus und entledigte sich den überflüssigen, Gestalt verhüllenden Klamotten und lies sich etwa in der Mitte des Abteils auf einen Fensterplatz gegenüber der Türen fallen. Chrissie sah Nina an und zuckte mit den Achseln. Sie legten ihr Gepäck auf die Sitze hinter Hyde ab und setzten sich dann zu ihm auf die gegenüberliegende Seite der Reihe. Die Sitze im Shinkansen waren alle in Fahrtrichtung ausgerichtet, auf jeder Seite waren drei Sitze nebeneinander angereiht, insgesamt also sechs pro Reihe. Der Wagon musste ca. 3 m breit und 25 m lang sein, vorne am Übergang zum nächsten Wagon postierte sich der Bodyguard und eine kleine Frau in Uniform trat an ihm vorbei herein. Sie verbeugte sich sehr höflich und begrüßte in trockener Manier zum Fahrtantritt und bedankte sich, dass sie die Dienste ihrer Bahngesellschaft in Anspruch nahmen. Hyde blieb fast überheblich cool und schweigsam, er winkte kurz kühl mit zwei Fingern, den Sonnenbrillen verdunkelten Blick weiter aus dem Fenster gerichtet. Die Bahnangestellte verschwand wieder und zurück blieb der Personenschutz, der die Sicht von einem Wagon in den anderen abschirmte.

„Wie lange fahren wir?“, fragte Nina nach einer Weile, nachdem sie sich genug angeschaut hatten, wie der Shinkansen von innen aussah.

„Etwa zweieinhalb Stunden. Von Kyoto sind es 15 Stationen bis Tokyo.“

Hyde zog endlich die Sonnenbrille von seiner Nase und entspannte seine Haltung wieder etwas mehr. Lässig lehnte er sich vom Fenster weg zu ihnen herüber.

„Warum sitz ihr da drüben? Hier neben mir sind doch noch zwei Plätze frei.“

Sie bissen sich verlegen auf die Unterlippe.

„Weil wir deinen Freiraum nicht einengen wollen?“, gab Nina unsicher als Antwort.

„Und weil der Wagon so groß ist und wir uns komisch vorkommen, wenn wir alle auf einem Haufen wie eine Klette an dir hängen würden?“, begründete die Rothaarige.

Der Sänger spielte grinsend mit seiner Zungespitze herum und seine Augenbrauen tanzten spöttisch über seinen funkelnden Mandelaugen.

„Ich fresse euch schon nicht.“

»Wer weiß…«, dachte Chrissie, die der Auffassung war, dass seine Aussage so gar nicht zu seiner Mimik passte.

Sie schob Nina trotzdem voran von ihrem Sitz und folgte ihr. Sie selbst platzierte sich in der Reihe vor Hyde auf dem mittleren Platz, wo sie sich zu ihm und Nina umdrehte, die sich wiederum neben ihn setzte, einen Sitzplatz zwischen ihnen trotzdem freilassend.

„Das ist doch schon viel besser, oder nicht? So kann man sich doch viel einfacher unterhalten. Und vielleicht habt ihre eure Kameras in der Nähe, unterwegs werden wir einige schöne Aussichten haben.

„Zum Beispiel?“

„Den Fuji-san, Enah. Wenn wir Glück haben und das Wetter so gut bleibt, dann fahren wir in neun Stationen an ihm vorbei und sehen ihn.“

„Uii! Das ist toll!“, freute sich Nina und Chrissie stimmte breit grinsend mit ein.

„Schön, dass ihr euch jetzt doch richtig freut. Ich wünsche mir, dass Megumi euch von eurer fröhlichsten Seite kennenlernt.“

Die kurze Ausgelassenheit war dahin, verkniffen warfen die zwei Deutschen sich unsichere Blicke zu und auch Hyde bekam unmissverständlich mitgeteilt, dass ihnen bei dem Gedanken, bei seiner Familie unterzukommen, immer noch unwohl war.

„Bist du dir auch wirklich sicher, dass deine Frau damit kein Problem haben wird? Hier geht es ja um mehr als nur um deinen eigenen Schutz.“

Nina äußerte ziemlich genau das, was Chrissie mit ihrem gesenkten Blick auszudrücken versuchte. Der schlanke Sänger schmunzelte honigsüß und lächelte beschwichtigend.

„Ach meine Lieben, wie kommt es nur, dass ich so viel Überzeugungsarbeit leisten muss, um euch ohne ein schlechtes Gefühl zu mir nach Hause einzuladen, während Gackt leichtes Spiel hatte?“

Die Frage war einfach, ohne zu überlegen beantwortete sie Chrissie.

„Wir waren obdachlos!“

Ihre Freundin lachte über den selbsterklärenden Tonfall und ihren geschauspielert entrüsteten Gesichtsausdruck. Hyde musste zwei Mal überrascht blinzeln bevor er verstand, dass die freche Rotblonde gescherzt hatte und nickte dann mit lachenden Augen.

„Das ist natürlich ein Argument!“, scherzte er mit.

„Du weißt aber schon, dass das jetzt nicht heißen soll, dass wir nicht trotzdem freiwillig und vor allem gerne zu dir kommen, oder?“

Er lachte wieder belustigt auf und legte seine rechte Hand an seine Stirn. Chrissie warf Nina einen strafenden Blick zu, der wohl so viel bedeuten sollte wie: „Prima gemacht! Jetzt denkt er, wir schleimen!“

„Wenn ich euch doch sage, es macht keine Umstände euch bei uns aufzunehmen. Ihr stört unsere Privatsphäre ja nicht wirklich, ihr bekommt euren eigenen Bereich.“

„Unseren eigenen Bereich?“

Chrissie lies die Frage so im Raum stehen ohne sie weiter auszubauen, worauf sie hinauswollte war ihr anzusehen.

„Ach ja, darüber haben wir uns ja noch gar nicht unterhalten. Was wisst ihr denn aus euren Recherchen so über meine Art zu wohnen?“

Er beugte sich vor, stützte sich auf seine Ellenbogen und sah Nina prüfend in die Augen, doch sie hob nur unwissend und abwehrend die Hände. Hyde war eindeutig Chrissies Spezialgebiet. Seine Augen wanderten zur zierlichen Rothaarigen, die sich mit den verschränkten Armen über die Rückenlehne ihres Sitzes lehnte.

„Na ja, nicht viel… Shinjuku, Hochhaus, zwanzigste Etage… so was in der Art, wenn es denn stimmt.“

„Oha, ja, das stimmt alles soweit. Aber mehr wisst ihr nicht, oder?“

„Ich nehme mal an, das ist dir doch nur recht so.“

„In der Tat, noch hat Megumi sich auch noch nicht darüber beklagt, dass bei uns vor der Tür Scharen von Fans lauern.“

Sie lächelten. Es war schon ein aberwitziger und zugleich verstörender Gedanke, wenn man sich vorstellte, man könnte keinen Schritt mehr vor die eigene Tür tun ohne belagert zu werden. Für eine kleine Familie konnte das nur Gift sein.

„Aber mit deinem Namen und deinem Alter warst du nicht ganz so vorsichtig.“, warf Nina zum Gespräch beisteuernd ein.

Er verzog das Gesicht beschämt über seine eigene Naivität, die ihn einst in einer Radioshow hatte ausplaudern lassen, dass sich hinter Hyde von L’Arc~en~Ciel ein Hideto Takarai versteckte.

„Und Megumi? Heißt sie eigentlich immer noch Oishi?“, fragte Chrissie neugierig.

Hyde legte seinen Zeigefinger versiegelnd auf seine Lippen und zwinkerte ihr bestimmt zu. Sie und Nina würden darüber also keine genaue Auskunft bekommen, ihnen blieb das Mutmaßen und wenn man danach ging, was die Öffentlichkeit sagte, dann wurde Megumi seit ihrer Hochzeit weiterhin ohne Takarai gehandelt. Ob sie jedoch vielleicht jetzt einen zweiten Nachnamen hatte würde wohl Hydes Geheimnis bleiben.

„Du weißt doch, Privatsphäre. Am besten keine konkreten Fragen über Megumi oder unseren Sohn. Der Rest ergibt sich von allein, in Ordnung?“

Die Mädchen gingen in sich und überlegten, was sie alles über Hyde und seine Familie zu wissen glaubten. Megumi war so alt wie Gackt, sie war Moderatorin, Model, Schauspielerin und Sängerin gewesen bevor sie geheiratet- und das gemeinsame Kind zu Welt gebracht hatte. Weihnachten 2000 war die Hochzeit und im November 2003 kam der kleine Sohn zur Welt. Nina machte große Augen, als sie sein Alter nachrechnete.

„Oooo~h! Der Kleine ist ja grad mal ein Jahr und acht Monate alt!!!“, rief sie begeistert aus.

Hyde rutschte direkt verblüfft ein Stück ab und auch Chrissie musterte sie wie ein Ufo.

„Ach Gottchen, er ist ja noch so klein! Wai~ er ist bestimmt super niedlich!“

Quiekend und mit funkelnden Augen malte sie sich aus, wie ein kleiner Hyde wohl aussehen mochte und geriet dabei immer mehr ins Quietschen.

„Nina, du bist peinlich…“, presste ihre Freundin gequält zwischen ihren Zähnen hervor und hoffte inständig, die Dunkelhaarige würde ganz schnell wieder von ihrem Trip runterkommen.

„Entschuldigung, ich konnte grad eben einfach nicht anders! Ich hab selber einige Geschwister, mein Jüngstes ist jetzt acht Jahre alt und ich war in sie und in meinen kleinen Bruder total vernarrt, als sie noch so klein waren.“

Der Laruku-Frontman blieb stumm, staunte und hörte zu, was die beiden jungen Frauen zu erzählen hatten.

„Du und deine vielen Geschwister…“

„Ich zähle nur die beiden…“

„Wie viele sind es noch mal genau? Fünf?“

„Ein leiblicher Bruder, meine beiden Halbgeschwister und die zwei Stiefbrüder.“

„Also doch eine ganze Horde…“

„Mou~ ey! Du weißt, dass nur die zwei Kleinen für mich zählen, weil ich auch mit denen groß geworden bin!“

„Ja, ja… weiß ich doch.“

STILLE

Hyde war ein wenig überfordert mit dem Wortabschlag der Freundinnen, wenngleich sie sich auch nicht feinselig anfunkelten.

„Hast du auch Geschwister, Enah?“

„Äh, ja. Eine zwei Jahre jüngere Schwester.“

Chrissie war weniger redselig wenn es um ihre eigenen Verhältnisse ging, es erschien ihr unbedeutend und uninteressant von sich selbst zu erzählen und irgendwie auch fehl am Platz, wenn sie bedachte, dass sie es hier mit einem Megastar zu tun hatte. Was sollte da schon interessant sein?

„Erzähl doch mal, wie lebst du denn nun so? Was hast du vorhin gemeint mit dem eigenen Bereich? Auch ein eigenes Zimmer wie bei Gackt?“, lenkte sie ab.

„Nein, besser. Uns gehört die gesamte zwanzigste Etage und wir haben dort eine kleine Einliegerwohnung, über die ihr frei verfügen könnt.“

Runterklappende Kinnladen und untertassengroße Augen waren die Reaktion.

„Eine Wohnung?“, piepste Nina schrill.

„Sie ist nicht wahnsinnig groß, aber ihr habt ein eigenes Bad, eine kleine Küchenzeile im Wohnraum und einen separaten Schlafbereich. Sie grenzt direkt an unsere Wohnung an und auch der Eingang mündet in unseren Flur. Wir sind also zusammen und gleichzeitig auf gewisse Weise getrennt.“

„Wow, boah… das klingt…“

„… einfach zu krass um wahr zu sein.“, beendete Nina den Satz für ihre atemlose Freundin.

„Ich will nicht zu viel verraten, aber ich denke, ihr werdet noch viel zum Staunen haben. Wir leben und wohnen anders als unser lieber Gackt.“

Sie versuchten sich vorzustellen, wie es wohl aussehen mochte, wenn jemanden ein ganzes Stockwerk gehörte und malten sich alles so ausschweifend aus wie nur möglich, denn unmöglich war ja anscheinend gar nichts mehr, seit sie beide japanischen Boden betreten hatten.
 

Die Drei unterhielten sich noch über das ein oder andere Detail, was Hydes Wohnweise betrat und standen seinen Fragen über ihre eigene Lebensweise bei sich in Berlin tapfer Rede und Antwort. Einraumwohnung und wohnen bei den Eltern klang alles andere als ebenbürtig und rief in Hydes Miene auch das ein oder andere Mal Erstaunen hervor. Doch zu keinem Zeitpunkt gab er ihnen das Gefühl, dass er sich über sie erhaben fühlte oder es missbilligte, wie sie lebten. Die Zeit verging rasch im Gespräch, sie bemerkten kaum wie sie zwischendurch an den Stationen Halt machten, denn niemand würde zu ihnen in das Abteil einsteigen, dafür war ja gesorgt. Es war etwas über eine Stunde vergangen, da war es zwischen ihnen ruhiger geworden. Müdigkeit machte sich breit, die Aktivität am Pool am Nachmittag hatte sie mehr ausgelaugt, als man denken würde und die Wärme tat ihr Übriges. Als das Pool-Szenario noch mal angesprochen worden war, verfiel Chrissie wieder in ihre gespielte Empörtheit und Hyde und Nina amüsierten sich erneut herrlich über das Gesicht der Blauäugigen, als sie aus den Fluten aufgetaucht war. Jetzt aber saßen sie alle ruhig da, lauschten dem monotonen Summen des Shinkansen, sahen zum Fenster hinaus und gingen ihren Gedanken nach. Die Ruhe wurde von einem deutlichen Magenknurren unterbrochen, Köpfe fuhren herum und blieben auf der Dunkelhaarigen hängen, die hochrot in ihrem Sitz zusammenschrumpfte.

„Sorry, ich hab wohl etwas Hunger…“

„Etwas? Das klang wie ein ausgewachsener Löwe!“

„Menno Chrissie!“, beschwerte sie sich verlegen.

„Ist doch nicht schlimm, ich könnte langsam auch etwas zu Essen vertragen.“, schlichtete Hyde und klopfte sich auf seinen flachen Bauch.

Er sah auf die Uhr, Abendbrotzeit, ganz eindeutig!

„Im Shinkansen gibt es immer einen Speisewagen auf Rädern, wenn es dir nichts ausmacht, dann kannst du durch den Zug laufen und uns vielleicht etwas besorgen? Enah, du hast doch sicherlich auch Hunger, oder?“

Die Angesprochene grinste nur und dachte sich ihren Teil zu den beiden Fresssäcken.

„Appetit ja, Hunger noch nicht, aber da wir ja noch eine Weile unterwegs sein werden, sag ich nicht nein.“

„Ähem, fragt mich auch noch wer?! Du kennst doch meinen schlechten Orientierungssinn!“

Chrissie setzte einen genervten Gesichtsausdruck auf und legte den Kopf schief, als sie sie stöhnend ansah.

„Nina, du wirst es doch wohl schaffen einfach geradeaus durch den Zug zu laufen, bis du auf so einen Speisewagen triffst und danach wieder zurück.“

Die Größere runzelte mürrisch die Stirn und schob beleidigt die Unterlippe vor.

„Na gut.“, resignierte sie schließlich, „Dann kann ich gleich mal eine Toilette suchen.“, ergänzte sie noch.

„Orientier dich einfach an der Zeichnung hier.“

Der Sänger deutete auf die Abbildung auf den Rückseiten der Sitze, auf denen genau eingezeichnet war, wo sich was befand.

„Danke, ich werde schon irgendwie durch den Zug finden. Aber werden die Fahrgäste vorne jetzt nicht komisch gucken, wenn ich aus dem abgesperrten Abteil komme?“

Hyde schüttelte den Kopf.

„Nein, die Sitze zeigen alle nach vorne und kaum einer wird sich nun gerade auf dich konzentrieren und sich darüber echauffieren oder wundern. Keine Sorge, mein Bodyguard lässt dich raus und auch wieder rein.“

Seufzend rappelte sie sich vom Sitz hoch, kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Portmonee und auch Hyde steckte ihr noch ein paar kleine Scheine für seine Unkosten zu. Seine beiden Begleiterinnen mussten einiges an Überzeugungskraft leisten um Hyde davon abzubringen, ihr Essen auch noch bezahlen zu wollen. Danach war Nina weg und er und Chrissie blieben allein zurück. Nachdem ein paar stille Sekunden vorüber waren, beschlich die Beiden das Gefühl, dass sie es hier fast mit etwas wie einem Déjà-vu zu tun hatten. Schon mal waren sie beide ganz unter sich gewesen, weil Nina und Gackt sie wegen einem Einkauf alleine gelassen hatten. Jeder für sich rekapitulierte das Gespräch, das sie damals auf der Terrasse des anderen Sängers auf der kleinen Bank geführt hatten. Hyde räusperte sich und überlegte, ob er etwas zu Chrissie sagen sollte oder nicht und wenn ja, was. Ihr ging es ähnlich, sie hatte zwar ein funktionierendes Mundwerk, das versagte seinen Dienst allerdings zuverlässig immer, wenn Nina nicht bei ihr war. Alleine war sie wieder die stille, zurückhaltende und schüchternde Christin, die nichts zu sagen hatte, wenn man sie nicht gerade dazu nötigte, auf Fragen zu antworten.

„Wo Nina gerade weg ist, möchtest du dich jetzt nicht zu mir setzen?“, begann Hyde schließlich.

Chrissie musste sich erneut aufrichten und umdrehen um ihren Gesprächspartner ansehen zu können, ihr fehlten aber im Moment die Worte.

„Ich meine, die Hälfte der Zeit hatte ich Nina neben mir und es ist doch bestimmt etwas unbequem, wenn du dich immer über den Sitz lehnen musst.“

Er klopfte mit seiner Hand auf den leeren Platz direkt neben sich.

„Du würdest ihr ihren Platz nicht wegnehmen, du kannst dich ja neben mich setzten.“

Ihr Herz begann zu klopfen, verlegen lächelte sie und haderte mit sich, doch sie gab sich einen Ruck und ging auf sein freundlich unterbreitetes Angebot ein. Da saß sie jetzt also, direkt neben Hyde… genau wie damals auf der Bank und genauso wie schon in dem Wagen nach Yokohama. Langsam sollte sie sich eigentlich daran gewöhnt haben, doch den Hauch Rosa auf ihren Wangen konnte sie nicht einfach wegzaubern. Wann immer Hyde sich ihr zuwendete, sie in seine ausdrucksstarken Augen sah und seine vielfältige Mimik betrachtete, überkam sie ein Schauer nach dem anderen und die Luft füllte sich mit Elektrizität. Es entstand schon wieder eine kleine Pause, Chrissie suchte fieberhaft nach einem Thema um nicht unhöflich zu erscheinen, doch unterbewusst befürchtete sie, dass sie ihn mit unnötigem Gerede nerven könnte.

„Ist es sehr schwer für dich Vater zu sein, bei deinem Beruf?“, überwand sie sich schließlich.“

Erleichtert darüber, dass sie ihm eine Frage stellte, schenkte er ihr seine Aufmerksamkeit.

„Es ist nicht immer einfach und manchmal würde ich den Kleinen wirklich gerne öfter sehen, aber ich nehme mich so viel zurück wie ich kann und verbringe möglichst viel Zeit bei meiner Familie. Megumi ist eine gute Mutter, ich brauche mich also nicht zu sorgen und wenn ich daheim bin, dann gebe ich mir besonders viel Mühe für sie beide da zu sein.“

In seinen Augen lag ein sanfter Ausdruck, der Gedanke an sein Kind machte ihn zufrieden und glücklich. Chrissie fand es beeindruckend und unheimlich sympathisch, wie Hyde einen Teil seiner väterlichen Liebe zeigte.

„Magst du Kinder?“, fragte er sie.

„Ich? Ja, also ich hab nichts gegen sie. Ich habe aber nicht wirklich viel mit ihnen zu tun, ich habe keine kleinen Kinder in meinem Umfeld, von daher…“

Sie hoffte inständig, dass ihm diese Wage Aussage reichte und sie in kein falsches Licht rücken würde.

„Mit dem ein oder anderen Partner hast du doch bestimmt schon mal darüber gesprochen, selber welche zu bekommen, oder?“

Volltreffer! Chrissie versteifte sich und starrte auf ihre zusammengefalteten Hände in ihrem Schoß und lief hochrot an.

„Nein… also, ich hab gar keinen Partner… und ich bin ja gerade auch darauf angewiesen bei meinen Eltern zu leben…“

Hyde erschrak über ihre Reaktion und strafte sich selbst innerlich dafür, in solch ein Fettnäpfchen getreten zu sein. Verlegen tätschelte er ihre Schulter und grinste etwas schief.

„Oh, tut mir leid! Ich wollte dir keine unangenehme Frage über dein Privatleben stellen!“, versuchte er sich zu entschuldigen.

Die Rotblonde nickte schüchtern und warf mit ihren unschuldigen Augen einen scheuen Blick in seine Richtung.

„Du brauchst dich nicht schämen, ich kenne einige Erwachsene, die noch bei ihren Eltern leben und denen der richtige Partner für eine eigene Zukunft fehlt. Du bist deinen Eltern daheim bestimmt eine gute Stütze.“

Das er sie als eine Erwachsene bezeichnete ehrte sie sehr, die Situation entspannte sich sofort spürbar. Chrissie liebte seine für sein Alter trotzdem noch niedliche und natürliche Art und Weise und fühlte, wie sie sich wieder anfing wohl in seiner Nähe zu fühlen. Jetzt, nachdem das Eis gebrochen war, war es nur noch halb so schlimm, dass Nina noch immer nicht zurück war. Doch die Gesprächsthemen blieben wieder aus und sie begannen sich zu fragen, warum das so war. Fragen hatten sie beide weiß Gott genug, vor allem Hyde war bestrebt mehr über sie und ihr Wesen zu erfahren. Seit dem gestrigen Vorfall fühlte er sich für sie verantwortlich, zuerst weil sie um ihn und L’Arc~en~Ciel zu sehen in Schwierigkeiten kam und jetzt, weil sie sich bereitwillig und gerne in seine Obhut begab. Und er fand es interessant, dass sie so Facettenreich war. Er hatte die redegewandte, schlagfertige, kecke und humorvolle Enah kennengelernt, die Feuer in sich trug. Da war aber noch diese andere, stille Seite, wo sie sich zurückhaltend, bescheiden und verantwortungsvoll gab und zeitweise sogar etwas schüchtern wirkte. Diese Seite wollte er noch näher Beleuchten, was versteckte sich wohl dahinter? Chrissie ärgerte sich, dass keine Frage an ihn aus ihr heraus kam, sie überlegte zu viel und stand sich selbst im Weg. Sie wusste um die Wellenlänge, auf der sie beide sonst immer schwebten. Ihr Humor war ähnlich und auch sonst waren sie beide von Anfang an sehr gut miteinander ausgekommen, alles hatte sich leicht und natürlich angefühlt… warum ging das jetzt hier in diesem Moment nicht?

„Enah, schau! Dort vorne!“, riss Hyde sie beide plötzlich aus ihrer Lähmung.

Er zeigte mit dem Finger auf etwas, dass sie von ihrer Position noch nicht sehen konnte, also beugte sie sich vor an ihm vorbei, um ebenfalls optimal aus dem Fenster sehen zu können. Der Anblick, der sich ihnen beiden bot war atemberaubend, anders konnte man es nicht beschreiben! Vor ihnen lag Fuji-san, eingetaucht in warmes Abendrot, umrahmt von violetten Wolkenschwaden, die sich wie Schäfchen auf einer Alm entlang des Horizontes erstreckten. Auf seiner Spitze lag Schnee und seine Struktur erinnerte an die eines erloschenen Vulkans. Vor ihm ruhte die gleichnamige Stadt Fuji, deren Station “Shin-Fuji“ sie gerade anfuhren. Die Stadt war schlicht, klein und chaotisch dicht besiedelt. Die Gebäude waren wie in Kyoto nicht herausragend hoch oder imposant, sie wären wie jeder Zementbau öde grau gewesen, würden sie jetzt nicht von diesem herrlichen Rot und Orange gesäumt werden.

„Wunderschön“, kam es hochachtungsvoll gleichzeitig aus ihren Mündern.

Verdutzt sahen sie sich an und erst jetzt wurde Chrissie bewusst, wie nah sie Hyde durch ihre vorgebeugte Haltung tatsächlich war. Sie sahen sich unumgänglich tief in die Augen, Chrissies Puls raste als sie die flüssige Schokolade in Hydes Iris quasi auf der Zunge schmecken konnte. Er schenkte ihr ein wundervolles, warmes Lächeln, nachdem seine Überraschtheit verflogen war.

„Beeindruckend diese Aussicht, nicht wahr?“, begann er zu sprechen und sah wieder hinaus zu diesem monumentalen Naturwunder.

Sie konnte ihren Blick nur schwer von seinem fein geschnittenen Gesicht abwenden, tat es aber doch und verlor sich wieder in der einmaligen Schönheit dieses Anblicks.

„Ich war schon mal in den deutschen Voralpen und Nina sogar schon mal so richtig weit oben, aber ich kann mich nicht erinnern, derartig Schönes schon mal gesehen zu haben… Es ist doch erstaunlich, was die Welt imstande ist zu erschaffen, wo man doch glauben sollte, wir Menschen wären ihr größtes Werk. Aber was sind wir schon im Vergleich zu so etwas?“

Verträumt verlor sich ihr Blick in der Ferne, sie merkte nicht, dass der Mann dicht neben ihr sie beeindruckt musterte und über ihre Worte ernsthaft nachdachte. Vielleicht sollte man Lebewesen wie die Menschen und Naturwunder wie den Fuji-san nicht miteinander vergleichen, das war auch Chrissie klar, aber wenn man bedachte, dass die Menschen oft unbedacht ihres Lebensraumes gegenüber lebten und handelten und noch nie etwas geschaffen wurde, dass der schöpferischen Kraft der Erde den Rang ablaufen konnte, dann ergab ihr Wortlaut einen Sinn. Einen tiefen Sinn, wie Hyde fand, der auf viel geistige Reife des Schöpfers schließen ließ. Chrissie wand sich ihm zu, den Fujiyama hatten sie hinter sich gelassen und der Moment war vorüber, doch Hyde sah sie noch immer an und prägte sich den ehrfürchtigen Ausdruck ein, den sie im Gesicht getragen hatte. Sie sahen sich an, lächelten verlegen über die komische Situation und lachten schließlich sogar ein bisschen über ihre Tiefsinnigkeit, die ihnen auf einmal unangenehm war.

Mind Forest

12 Mind Forest
 

****Inmitten wirbelnden Lichts sah ich dich spielen. Aus dem Rauschen der Bäume, erklingt ein Lachen.

In die unwiederbringliche Zeit in der Vergänglichkeit der Ewigkeit. An einen Ort fortgebracht, den meine Hand nicht erreichen kann. Die Erinnerung an dich ist schöner als alle frisch blühenden Blumen.

Irgendwo erklingen Glocken, mit einer arglosen Melodie, die das Innerste meines Herzens ruft.****
 

Die Tür des Abteils ging auf und Nina stolperte polternd herein.

„Habt ihr das gesehen?! War das nicht schön?“

Ertappt setzten sich Hyde und Chrissie blitzartig und übertrieben gerade wieder in ihre Ursprungsposition und begrüßten Nina mit einem erzwungen ungezwungenem Lächeln. Die junge Frau hatte beide Arme voll mit Fressalien.

„Ich hab ewig gesucht, der Speisewagen war natürlich im vordersten Wagon und dann musste ich auch noch warten, weil andere Passagiere vor mir dran waren. Und dann mit den ganzen Sachen auf die Toilette… na ja.“

Ihre rothaarige Freundin zog die Nase angeekelt kraus.

„Du hast dir doch hoffentlich die Hände gewaschen, bevor du die Lebensmittel wieder angefasst hast, oder?“, begann sie Nina sogleich zu necken.

„Was denkst du denn von mir?! Außerdem ist das alles eingeschweißt!“, entgegnete sie entrüstet.

Hyde schüttelte lachend den Kopf, Nina blickte verwirrt drein und Chrissie grinste nur. Da war sie wieder, die gute, alte Chrissie, wie sie leibt und lebt…
 

Sie aßen, plauderten über den herrlichen Ausblick auf den Fuji-san bei Sonnenuntergang und jammerten darüber, dass nun niemand von ihnen ein Foto davon gemacht hatte. Chrissie war mit Nina zusammen wieder heiter wie gewohnt und redete auch gerne. Hyde versuchte zu verstehen, wie sie wirklich war und vermutete, dass sich hinter der äußeren, starken Schale ein sehr weicher, sensibler Kern verbergen musste. Die Erinnerung an den Abend in Yokohama kehrte zurück, an dem sie mit Gackt aneinander geraten war und eine undeutliche Anspielung auf etwas gemacht hatte, das zwischen ihr und Nina einst vorgefallen war. Die Neugier packte ihn, doch diese Frage würde er aufschieben müssen, denn sie erreichten den Tokioer Hauptbahnhof.

„Sehr geehrte Fahrgäste, wir erreichen soeben unseren Endbahnhof in Tokyo. Wir möchten uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie mit uns gefahren sind und hoffen, Sie bald wieder als Passagiere begrüßen zu dürfen. Bitte vergessen Sie keine Gepäckstücke und kontrollieren Sie auch die Ablage über Ihren Sitzen noch einmal.“

Aufgeregt rutschten Nina und Chrissie von ihren Sitzen und lugten durch die Fenster auf der anderen Seite des Wagons. Hyde stand gelassener auf und wurde von seinem Bodyguard empfangen.

„Nehmt schon mal eure Taschen, aber wartet mit dem Aussteigen, bis die meisten Leute ausgestiegen und außer Sichtweite sind, verstanden?“

Sie nickten und holten ihr Gepäck. Der Zug kam zum Stillstand und alle anderen Türen des Shinkansen öffneten sich und eine Menge Menschen strömten hinaus auf den Bahnsteig. Sie standen nicht nah an den Türen, die Angst gesehen und erkannt zu werden war zu groß, aber mit fragenden Blicken musterten die Mädchen einige Leute, die in rosafarbenen Ganzkörperanzügen und mit Mundschutz ausgerüstet an die Türen herantraten.

„Das ist Reinigungspersonal. Keine Sorge.“, erkläre Hyde, der schmunzelnd ihre verwirrten Gesichter verstanden hatte.

Die meisten Leute waren weg, der Personenschutz trat vor, sah durch die Scheibe in alle Richtungen und winkte sie drei dann zu sich heran. Hyde verkroch sich wieder hinter seiner Sonnenbrille und dem Rest seiner Tarnung und machte sich hinter seinem Vordermann noch kleiner, als er ohnehin war. Reflexartig postierten Nina und Chrissie sich noch um ihn herum, als die Türen aufgingen und sie hinaustraten. Rechts und links von ihnen machten rosa Gestalten eine Verbeugung und grüßten sie mit einem „Arigatou gozaimasu!“. Sie lächelten freundlich zurück, aber der Mann in schwarz führte sie zügig voran und so fügten sie sich und versuchten so unauffällig wie möglich das Tempo zu halten und Hyde in ihrer Mitte abzuschirmen.

Sie waren schnell vom Bahnsteig runter und durch die Halle gelaufen, draußen im Freien war das Tageslicht nur noch ein unscheinbarer Schimmer am Horizont, es war inzwischen nach halb zehn Uhr nachts. Der Bodyguard führte sie nach rechts zu einem matt silbernen Kombi, der etwas abseits von den anderen Autos stand, die direkt vor dem Bahnhof an der Straße parkten oder in dem nahen Kreisverkehr davor. Der große Mann zückte einen elektronischen Autoschlüssel hervor, die Schlösser piepten und die Lichter leuchteten kurz auf.

„So, steigt ein, wir fahren nach hause.“

Es war ein komfortableres Auto, als sie erwartet hatten. Zwischen den Rücksitzen war genug Platz um entspannt zu sitzen und sich trotzdem nicht eingeengt zu fühlen, die Polster sahen weich und bequem aus. Ohne Umschweife verstauten sie ihr Gepäck in den Kofferraum und stiegen wortlos ein, Hyde folgte ihnen auf den Rücksitz.

„Zu mir nach hause bitte, die Adresse haben Sie ja.“, leitete er den Personenschutz, der jetzt auch der Fahrer war, an, der mit einem klaren “Ja“ antwortete und dann den Motor aufheulen lies.

Chrissie tippte Nina an um sie auf die Aussicht über den Bahnhof aufmerksam zu machen. Der Bahnhof entsprach überhaupt nicht ihren Erwartungen, er war weder hoch gebaut noch sonderlich modern, seine Mauern waren altmodisch errichtet. Roter Backstein und ein anthrazitfarbenes Schindeldach verliehen ihm sein imposantes wie denkmalwürdiges Erscheinungsbild. Jetzt wo es dunkel wurde, beleuchteten ihn Scheinwerfer. Die weißen, kleinen Fenster erinnerten sie an die Bauweise aus ihrem Heimatland, viele erhaltende Gebäude aus dem frühen 20. Jahrhundert sahen genauso aus. Der Bahnhof passte nicht ins Bild, um ihn herum war der Trubel von dicht befahrenen Straßen und die ersten gläsernen Hochhäuser wuchsen um ihn herum aus dem Boden.

„Na, gefällt er euch?“, fragte Hyde, der den Anblick genauso genoss.

„Ja, er könnte auch aus Deutschland sein… viele Bauten bei uns sehen so aus, vor allen in den eher ländlichen Gegenden.“, antwortete Nina.

„Dieser Bahnhof ist noch von 1914, vielleicht liegt es daran, dass er einen altertümlichen Charme hat. Und der Haupteingang soll dem Amsterdamer Bahnhof nachempfunden sein.“

„Wow, niederländischer Einfluss also… und so alt schon. Er ist gut gepflegt.“, stellte Chrissie fest.

„Nun ja, ein großer Teil wurde im 2. Weltkrieg zerstört, er wurde also wieder neu aufgebaut und später noch erweitert, damit unser Tokaido-Shinkansen angeschlossen werden konnte. Ich glaube sogar mich zu erinnern, das in den Neunzigern noch eine weitere Linie hinzugefügt wurde, die man auf Stelzen baute.“

Bewundernd raunten sie, aber schnell ließen sie den Bahnhof hinter sich und konzentrierten sich auf die anderen Dinge, die es zu bestaunen gab. Hochhäuser! Wolkenkratzer, Leuchtreklame, viele Lichter und viele Menschen auf den Straßen. Kein Vergleich zum ruhigen Kyoto!

„Hier in der Nähe ist der Kaiserpalast und das Ginza Viertel. Vielleicht schaut ihr euch das mal an, wenn ihr euch bei uns eingelebt habt.“

Die Mädchen waren beeindruckt von dem, was Hyde ihnen erzählte und freuten sich, dass er seine Aufgabe als Gastgeber direkt so ernst nahm und sie unterhielt.

Die Fahrt dauerte nicht lange, Shinjuku war nicht weit weg von der Ginza, aber je näher sie an diese Viertel fuhren, desto heller wurde es um sie herum. In Shinjuku waren die Hauswände geradezu gepflastert mit Reklametafeln und überall waren bunte und laute Läden, in denen vergnügte und ausgelassene Japaner verkehrten. Ihnen beiden drängte sich die Frage auf, wie ein Star wie Hyde ausgerechnet in so einem Viertel leben konnte ohne laufend mit der Angst unterwegs zu sein, dass man erkannt wurde. Andererseits hatten sie gehört, dass Shinjuku als nobleres Viertel galt.

„Und hier in der Nähe lebst du?!“, fragte Chrissie ungläubig, als sie an den leuchtenden Gebäuden, die zunehmend höher wurden, vorbeifuhren.

„Ja, so ist es. Aber keine Sorge, nicht direkt hier im Zentrum. Ich weiß es aber zu schätzen, wie anonym man ist, wenn man unter vielen Menschen unterwegs ist.“

„Ach so…“, entgegnete Nina erleuchtet.

So betrachtet machte das Ganze natürlich auch einen Sinn. Wo viele Leute waren, rechnete natürlich niemand direkt damit ausgerechnet Hyde über den Weg zu laufen. In der Masse war man zu sehr damit beschäftigt sich selber nicht zu verlieren.

Sie bogen nach wenigen Minuten in ein Viertel ein, in dem es schlagartig ruhiger und gemächlicher zuging. Die Häuser blieben so hoch, aber sie wirkten auch im Dunkel der Nacht irgendwie eindrucksvoller. An den Eingängen waren edle Markisen und unter ihnen lag bis zum Eingang Teppich. Nicht zu vergessen die Portiers, die in Uniformen immer straff aufgerichtet neben den Drehtüren standen.

„Sag nicht, du wohnst in einem solchen Gebäude, das würde ich im Kopf nicht aushalten.“, flüsterte Chrissie dem ruhigen Sänger zu, als sie spürte, wie der Fahrer langsam Geschwindigkeit wegnahm.

Hyde zog seine Sonnenbrille hinunter auf sein Nasenbein uns sah ihr in die verblüfften Augen. Sein rechter Mundwinkel zuckte verdächtig und sie rollte mit den Augen.

„Oh nein, das kann doch nicht wahr sein… Nina~ Hyde hat seine Wohnung in einem von diesen Promi-Bunkern!“

„Nani?!“, kam es ihr ungläubig aus dem Hals heraus.

Hyde verkniff sich ein leises Lachen und zeigte mit der ausgestreckten, linken Hand auf ein freistehendes Hochhaus, das hinter der nächsten Abbiegung auftauchte.

„Wir sind da.“

Der Mund blieb ihnen offen stehen und es begann überall zu kribbeln, Nervosität machte sich in ihnen breit und gleichzeitig waren sie jetzt so voller Erwartungen, dass sie sich am liebsten quietschend in die Arme werfen wollten.

„Parken Sie uns bitte direkt vor den Eingang, Sie brauchen nicht erst ins Parkhaus zu fahren.“

Der Fahrer befolgte Hydes freundliche Anordnung und setzte sie sauber und präzise genau vor dem Wohnhaus ab. Die beiden Freundinnen stiegen aus und holten schon mal ihr und das Gepäck von Hyde aus dem Wagen, während dieser sich noch verabschiedete.

„Ich wünsche Ihnen und ihrer Begleitung eine gute Zeit, Hyde-sama.“, verabschiedete sich der hochgewachsene Mann äußerst höflich und verbeugte sich. Hyde reichte ihm die Hand, erwiderte seinen Gruß und drückte seine Dankbarkeit aus. Da standen sie jetzt also, in Tokyo vor einem Schickimicki Hochhaus in dem Hyde seine gemeinsame Wohnung mit Megumi und ihrem gemeinsamen Kind hatte. Megumi… oh Gott! Wie würde jetzt wohl die bevorstehende Begegnung mit ihr verlaufen? War sie denn um diese Uhrzeit überhaupt noch wach? Fragen über Fragen häuften sich in ihren Köpfen und bereiteten ihnen schwitzige Hände. Hyde führte sie an, am Portier vorbei durch die Drehtür und dann in die große, vertikal geschnittene Eingangshalle. Fußboden und Wände waren mit großen, hochglanzpolierten Fliesen in Bernsteinoptik, durchzogen von dunkelgrauen Adern, verkleidet. Auf der rechten Seite war ein großer Tresen, der zu einer Information gehörte. In dem länglichen Bereich dahinter standen einige lederbezogene Bänke und Tische und ein paar mediterrane Pflanzen. Die Decke war unglaublich weit oben, es waren mehrere Etagen, ehe jene begann. Die unteren Wohnbereiche mussten kleiner sein als die darüberliegenden. Beleuchtet wurde alles von ebenerdigen Spots und kleine Überwachungskameras versteckten sich in den Ecken und Winkeln.

„Bestaunt ihr gerade die Empfangshalle? Ich würde meine Wohnung vorziehen.“

Grinsend stand der schlanke, dunkelhaarige und noch immer vermummte Mann an einem Fahrstuhl. Davon gab es entlang der linken Wand insgesamt fünf Stück. Amüsiert folgten sie ihm. Im Fahrstuhl selbst entledigte Hyde sich den überflüssigen Kleidungsstücken, bevor er eine kleine Kunststoffkarte hervorzauberte, die er durch einen Schlitz neben den Etagenknöpfen zog und dann auf die 20 drückte.

„Wissen die Leute hier im Haus, das du hier wohnst?“

„Die, die hier arbeiten wissen es, ja. Das müssen sie auch. Ihr habt es nicht gesehen, aber es gibt genug Sicherheitspersonal und Vorkehrungen hier im Gebäude, die mir und meiner Familie garantieren, dass wir nachts ruhig schlafen können.“

Der Lift setzte sich surrend in Bewegung, er war schneller als gewöhnliche Fahrstühle, Nina musste schlucken. Fahrstühle waren gleich nach Flugzeugen etwas, das sie verabscheute. Vor allem dann, wenn es so hoch hinaus ging wie hier und die Fliehkraft machte es ihr schwer, sich zu entspannen.

„Alles in Ordnung, du wirst auf einmal so blass?“, fragte Hyde besorgt, als er in ihre gequälte Mine sah.

„Nina hat Flug-, Höhen- und bedingte Platzangst.“

„Oh je, dann hätte ich dich vielleicht darauf vorbereiten sollen, was gleich kommt.“

Er zeigte nur an ihr vorbei, sie drehte sich um zur Rückwand des Fahrstuhls die nicht wie die anderen Seitenwände geschlossen war, sondern aus Glas. Verschwommen rauschten die Fliesen an ihnen vorbei in die Tiefe, bis sich plötzlich vor ihnen Tokyo bei Nacht auftat. Geschockt trat die Dunkelhaarige zurück bis an die Türen, wo sie sich fest gegen drückte.

„Oh mein Gott, ist das hoch! Warum ist der Fahrstuhl auf einmal draußen?!“, wollte sie etwas panisch im Tonfall wissen.

Chrissie tätschelte ihr tröstend den Kopf und hakte sich bei ihr unter.

„Das gehört einfach mit zur Bauweise dieses Hauses. Die unteren Etagen sind kleiner mit Büroräumen drin und es befindet sich auch noch ein Restaurant dort. Ab den richtigen Eigentumswohnungen fährt der Fahrstuhl dann eingerahmt vom Mauerwerk außerhalb.“

„Keine Angst, Ninchen. Wir stürzen schon nicht ab.“

„Na danke! Ich kann gar nicht hinsehen!“, jammerte Nina und versuchte sich abzulenken, indem sie auf ihre Schuhe starrte.

Hyde war froh, dass sie keine ausgewachsene Hysterie-Attacke bekam und belächelte ihr ängstliches Verhalten.

„Wir sind gleich oben, das ist ein Hochgeschwindigkeitslift.“

Er behielt Recht, aber das Gefühl bei der Ankunft war mehr als unangenehm und sogar Chrissie stöhnte ganz leise. Es war wie einen Moment lang schwerelos zu sein, bevor sich dann die inneren Organe wieder auf ihre vorgeschriebenen Plätze absenkten, sodass einem übel davon werden konnte. Der Fahrstuhl gab ein ankündigendes PLING von sich und dann fuhren die Türen beiseite. Hyde zog einen Schlüssel heraus, um die dahinterliegende, massiv wirkende Tür vor ihnen aufzuschließen. Sie schwang auf und erst jetzt begriffen Chrissie und Nina, dass dieser Lift ein Direktzugang zu den einzelnen Wohnungen bildete. Schummriges Licht empfing sie, übereilt stolperte Nina mit wackligen Knien nach Hyde in die Wohnung hinein.

„Hyde?“, rief eine leise, klare Stimme von irgendwoher aus der Wohnung.

„Ja, ich bin es Megumi. Wir sind angekommen.“

Ganz leise Schritte waren zu hören, die zwei Ausländerinnen richteten sich gerade auf und atmeten angespannt tief ein. Da kam eine Frau um die Ecke gelaufen. Äußerst schlank mit schönen Proportionen, sofern man dem glauben schenken mochte, was sich unter der schlichten Jeans und dem legeren, cremefarbenen Oberteil mit weitem Rundhals abzeichnete. Sie hatte offene, lange Haare die in leichten Schillerlocken in der Mitte ihres Rückens endeten. Bewundernd erwarteten sie den Moment, in dem diese Frau direkt vor ihnen stehen würde. Mit strahlenden Zähnen kam sie lachend auf Hyde zugelaufen, der sogleich seine Tasche fallen lies und umarmte ihn erfreut. Diese vertraute und liebevolle Begrüßung war süß anzuschauen und ein wenig fühlten sich die Freundinnen fehlplaziert und störend. Doch es bleib bei der Umarmung.

„Ach ist das schön, war die Reise angenehm?“, fragte sie neugierig, aber höflich ihren Mann.

„Die Zugfahrt und auch die Anreise im Taxi ist problemlos verlaufen. Darf ich dir Enah und Nina vorstellen?“

Hyde machte eine vielbedeutende Handbewegung und sogleich galt Megumis freundliches Lächeln ihnen beiden ohne irgendein Zeichen von Erzwungenheit. Sie hatte eine respektable Haltung mit vor dem Bauch verschränkten Händen eingenommen und neigte sich kurz begrüßend vor.

„Ihr seid also die zwei Damen aus Deutschland, von denen ich inzwischen schon so viel Gutes gehört habe. Freut mich euch kennenzulernen, ich bin Megumi, Hydes Ehefrau.“

Sie verbeugte sich wieder kurz, unsicher taten sie es ihr nach, es war erleichternd, als sie ihnen dann doch noch ihre ausgestreckte Hand zur Begrüßung nacheinander anbot.

„Ich bin Christin, aber Sie können mich gerne Enah nennen. Meinen Namen richtig auszusprechen fällt immer so schwer.“

„Und ich bin Annina, aber Nina reicht vollkommen aus.“

„Das sind reizende Namen, aber bitte sprecht mich nicht mit Sie an, sagt einfach Megumi zu mir.“

Sie war unglaublich liebreizend, ihre Gesichtszüge waren weich und hübsch geschnitten, sie hatte tolle, braune Augen und ihr Mund hatte etwas sehr Jugendliches. Überraschender Weise war sie nicht annähernd so groß, wie sie beide immer gedacht hatten. Ein winziges Stück größer als Nina vielleicht und sie maß ja gerade mal 165 Zentimeter. Dennoch sichtbar größer als Chrissie und Hyde, die sich gute fünf Zentimeter unter Ninas Scheitel bewegten, was durch ihr Schuhwerk im Moment jedoch kaum auffiel.

„Wie hübsch deine Haare sind, Enah-chan.“, stellte Megumi fest und bestaunte gefesselt deren kupferne Wellen, die in dem schummrigen Licht wie flüssiges Gold über ihre Schultern fielen.

Schüchtern lächelte Chrissie und verbeugte sich dankbar ein kleinwenig, das Namensanhängsel lies sie ihrer Gastgeberin ohne zu murren durchgehen.

„Oh, bitte kommt doch erstmal richtig rein. Ich habe mir gedacht, dass ihr zu so später Stunde vielleicht noch ein wenig Hunger habt und habe etwas vorbereitet. Hyde, würdest du ihnen erklären wo was ist? Ich muss rasch noch mal in die Küche.“

„Natürlich.“

Megumi sprach Hyde also mit seinem Synonym an, ob sie das nur jetzt tat, da sie da waren?

„Und dann reden wir noch ein bisschen, wenn ihr nicht zu müde seid, ich habe viele Fragen an euch!“

Sie lächelte wie ein glückliches Kind, ihre Art war heiter und ungezwungen.

„Lasst eure Taschen hier stehen und zieht eure Schuhe aus, dann zeige ich euch ein wenig die Wohnung.“

Jetzt, wo er von Wohnung sprach, nahmen sie erst ihre Umgebung etwas gründlicher unter die Lupe. Sie standen in einer rechteckigen Flurnische ohne Fenster, direkt gegenüber vom Fahrstuhl war eine weiße Tür in der Wand. Links ging es nach oben weiter, wahrscheinlich zum Rest der Wohnung von wo auch das seichte Licht herrührte. Die Nische war spärlich eingerichtet, links war eine kleine Garderobe und ansonsten gab es nur ein paar schlichte Bilder an den freien Stellen der kahlen Wände. Der Boden unter ihren Füßen war aus nussbaumfarbenen Parkett. Das war irgendwie edel.

„Also diese Tür hier führt zur Einliegerwohnung. Die würde ich euch aber ganz gerne erst zum Schluss zeigen, ist das in Ordnung für euch?“

Sie nickten stumm, sie befanden sich auf unbekanntem Terrain und fühlten sich noch unbehaglich in ihrer neuen Umgebung. Hyde lief voraus den Gang aus der Nische heraus. Ein „Ooh!“ entfleuchte den Freundinnen, als sie somit in den eigentlichen Flur traten. An der rechten Wand standen ein großer, schmaler Kleiderschrank und ein Sidebord, beides modern, klar geschnitten und glänzend weiß, während die Wand dahinter cappuccinofarben angestrichen war. Von hier hatten sie freie Sicht auf einen Teil des gegenüberliegenden Wohnzimmers und – so wie es aussah – auch auf Tokyo. Die gesamte Wand bestand aus Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichen mussten. Nina schwirrte bei dem Anblick der Kopf, aber zum Glück schien davor noch eine Terrasse zu sein. Links von ihnen ging der Flur als ein langer schmaler Gang bis zur nächsten Wand weiter, die ein kleineres Fenster hatte. Links und rechts davon waren die anderen Zimmer angereiht.

„Das hier gleich links ist unser Badezimmer. Daneben sind das Kinderzimmer und unser Schlafzimmer.“

Sie folgten seinem Finger und zählten die drei Türen, von denen er sprach.

„Die beiden kleinen Räume rechts gegenüber sind Megumis Hauswirtschaftsraum und Ruheort und mein eigenes Arbeitszimmer.“

Wieder verfolgten sie seine Wegweisung.

„Und wie ihr ja eben schon staunend betrachtet habt, geht es geradeaus direkt in unser Wohnzimmer mit Blick auf die Stadt.“

Er lief wieder vor, er grinste und rieb sich die Hände. Er schlenderte gemütlich voran, bis seine Füße auf einen überdimensionalen, cremefarbenen Hochflorteppich traten, der bis rechts um die Ecke liegen musste. Dort drehte Hyde sich um seine eigene Achse zu ihnen herum und breitete einladend seine Arme aus.

„Kommt her und schaut euch um.“, rief er sie zu sich mit interessierten Blick auf die Gesichter seiner Gäste.

Sie sahen sich an, nahmen sich an die Hand und liefen zu ihm. Die Decke über ihnen war auf einmal viel höher als eben noch. Sogar höher als in einem Berliner Altbau! Große, chromummantelte Spots sowie moderne Papierstehleuchten spendeten Licht. Der Raum war unheimlich großzügig geschnitten und die Einrichtung passte sich dem an. Wie vermutet führte der verführerisch weiche Teppich über den gesamten rechten Bereich des Wohnzimmers. An der rechten Wand stand eine meterhohe, massive Anbauwand aus Nussbaum in der unzählige Bücher, Bilder, Blauglasfiguren sowie CDs standen. Sie Bildete den Rahmen für eine große, kaffeefarbene Couchlandschaft. Das Polster war glatt und die Sitzfläche breiter als der Standard. An der Rückenlehne waren unzählige Kissen in allen möglichen Größen angereiht. Die Farben reichten von Cremeweiß über Latte bis Cappuccino, mal uni, mal längsgestreift. Vor dem Wohlfühlsofa stand ein flacher, rechteckiger Glastisch, der vom Holz her perfekt zur Schrankwand passte. Dahinter wiederum waren zwei rundliche Sessel in Farbe der Couch aufgestellt, zwischen denen genug Freiraum war, damit man auf den Flachbildschirm sehen konnte, der dahinter aufgestellt direkt vor den Fenstern auf einem niedrigen TV-Schrank stand. Nina konnte nur anerkennend pfeifen. Die Fenster hingen meist frei, aber in regelmäßigen Abständen waren cremefarbene Papiervorhänge auf einer Schiene angebracht, die eine angenehme Atmosphäre schufen und die Glasfront nicht so kalt wirken ließen.

„Da seit ihr ja schon, na, wie gefällt es euch?“

Sie drehten sich nach links zu Megumi um, die mit guter Laune in ihrer amerikanischen Küche stand. Der linke Bereich des Raumes war mindestens so atemberaubend wie der Rechte. Zuerst war da ein großer Esstisch mit weißen Füßen, dunkelbraunem Körper und Tischplatte, der horizontal von der linken Wand bis fast zum Fenster führte. Fünf mit weißem Leder bezogene Stühle waren um ihn herum aufgestellt, an der Seite rechts außen stand ein hochwertiger Kinderhochstuhl. Der Tisch war ein Model von der Sorte, die man bei Bedarf aus der Mitte heraus ausziehen und verlängern konnte. Dahinter begann der eigentliche Küchenbereich. Eine lange und hochmoderne Küchenzeile mit weißen, glänzenden Fronten, dunkelbraunem Rahmen und einer Arbeitsplatte aus erdfarbenem Granit zog sich fast über die Hälfte der linken Wand entlang bis in die hinterste Ecke. Dort machten die Küchenmöbel einen Bogen in die Ecke nach rechts hinein, von wo aus sich dann anschließen in den Raum hinein ein halbkreisförmiger Tresen mit großer Fläche erstreckte. Auch hier war der Sockel weiß, der Korpus ebenholzbraun und die Arbeitsfläche aus dem terrakottafarbenen Granit, der im Licht der Spots über ihm, die integriert in ein herabgehangenes, halbkreisrundes Holzelement eingearbeitet waren, edel glänzte. Vor dem äußeren, runden Teil des Tresens, standen vier weiße Barhocker, die sich in das gesamte futuristische Raumkonzept einfügten.

„Das ist so… unglaublich! Das ist der Wahnsinn!“, schwärmte die Rotblonde atemlos.

„Das ist nicht nur wahnsinnig, das ist der Hammer Süße!“, bekräftigte Nina Chrissies Aussage.

Hyde grinste in sich hinein und legte gespannt einen Zeigefinger in Denkerpose an sein Kinn, er zwinkerte seiner Frau zu, die ganz offensichtlich hoch erfreut war, dass den beiden Frauen gefiel, wie sie lebten.

„Das ist ganz anders als bei Gackt…“

Megumi kicherte als sie das hörte und fing an große Unterteller auf den Esstisch zu stellen.

„Hast du denn gedacht, wir wohnen so wie er?“, hinterfragte sie an Nina gewandt und noch immer amüsiert.

Hyde setzte sich auf den äußersten Stuhl an der Wandseite, die Mädchen standen noch unsicher davor.

„Setzt euch ruhig schon mal hin, ich bin gleich fertig.“

So wie es roch musste es eine kleine Suppe sein, auch der große, dampfende Topf auf dem Cerankochfeld lies darauf schließen. Hyde klopfte einladend mit der flachen Hand auf die Tischplatte und lächelte ihnen aufmunternd zu. Sie folgten seiner Aufforderung und setzten sich auf die zwei Stühle vor ihnen. Megumi bewegte sich fließend und geschickt, jede Handbewegung saß als sie die kleinen Schüsseln befüllte und sie ihnen vorsetzte. Miso, Gemüse, Glasnudeln, wie genau das Süppchen hieß wussten sie beide nicht, aber es roch sehr lecker!

„Lasst es euch schmecken, es ist schon spät, ihr wollt danach doch sicherlich schlafen gehen, nicht wahr?“

Megumi lies sich gar nicht davon beirren, dass sie sich so schweigsam und schüchtern verhielten, sie konnte sich vorstellen, dass das alles hier für sie einfach unglaublich sein musste.

„Ja, dankeschön.“, antwortete Chrissie leise und nahm den flachen, traditionalen Löffel in die Hand.

„Itadakimasu.“, wünsche Hyde und alle taten es ihm im Chor nach.
 

Nach dem Essen räumte Megumi schnell ab, Nina und Chrissie boten ihre Hilfe an, doch die Herrin des Hauses bestand darauf, diese Arbeit am Tag ihrer Anreise gerne allein zu verrichten.

„Wie gefällt es euch denn in Japan so?“, begann sie ein neues Gespräch, als sie sich wieder zu ihnen setzte.

„Es ist schön und sehr aufregend hier.“, antwortete Nina gleich.

„Wir haben so viel vom eigentlichen Japan noch gar nicht gesehen, aber alles was wir bislang kennengelernt haben, war sehr beeindruckend und interessant.“, ergänzte die Rothaarige.

Hyde lachte leise in sich hinein und Megumi warf ihm ein kurzes Grinsen zu.

„Oh, das kann ich mir vorstellen! Hyde hat mir schon viel erzählt, war es nicht spannend mit Gackt zusammenzuleben? Ich war schon ziemlich erstaunt, als ich hören musste, was der Liebe da angestellt hat… Einfach zwei wildfremde Fans mitnehmen… tse.“

Es schwang keine Verachtung oder Ärger in ihrer Aussage mit, trotzdem schämten sich die Freundinnen fast ein wenig dafür, dass es alle so unglaublich und abwegig fanden, dass man sie eingeladen und mitgenommen hatte.

„Ich denke, es war das Beste, was ihm je an Dummheiten einfallen konnte. Ich habe ihn selten so erlebt wie in der letzten Woche, er war endlich mal ein wenig abgelenkt von seiner Arbeit, hat mehr geschlafen, besser gegessen und kam einfach aus seinem Trott heraus. Wir haben viel gemeinsam erlebt und gelacht.“

„Und dann nimmst du sie ihm weg? Ich finde, er könnte öfter mal etwas mehr leben und erleben.“

Sie neckten sich, wie süß! Chrissie lächelte Nina vielsagend an und ihre Freundin nickte ihr bestätigend zu.

„Jetzt sind sie jedenfalls hier bei uns und ich hoffe, es gefällt ihnen hier.“

Er sah sie beide dabei an, die Sprechweise in dritter Person war durchaus als eine versteckte Frage aufzufassen.

„Nun lass sie mal in Ruhe, Hyde. Ihr seid bestimmt geschafft jetzt, wir können morgen noch reden, ich werde euch gleich mal eure Wohnräume für die nächste Woche zeigen.“

Sie stand auf und warf ihre schönen Haare hinter sich, Chrissie musterte eine Strähne ihres eigenen Haars und fragte sich, was Megumi daran hübsch gefunden hatte. Ein leises Weinen lies sie und alle anderen Anwesenden aufhorchen.

„Oh, das ist Hiro-chan!“, stellte Megumi fest und wollte gerade loseilen, als Hyde sie mit einer Geste zurückhielt.

„Lass mich gehen, ich habe ihn schließlich eine ganze Weile nicht gesehen.“

Chrissie und Nina wurden wieder ganz kribbelig und saßen unruhig auf ihren Stühlen. Hiro-chan? War das der Name, des Kleinen? Wie er wohl aussah? Unglaublich, sie hatten mit Hydes Frau an einem Tisch gesessen, waren in seiner Wohnung und ein paar Meter weiter hatten sie soeben das Weinen seines Kindes gehört!

„Hat euch Hyde schon etwas von unserem Sohn erzählt?“

Chrissie schüttelte schnell den Kopf.

„Wir wissen nur, dass es ein Junge ist und er im November zwei Jahre alt wird.“, sagte sie noch schnell, dann sah sie wieder wie Nina in Richtung Flur, wo ihr Lieblingssänger rechts um die Ecke verschwunden war.

Sie hörten wie eine Tür geschlossen wurde, dann sahen sie Hyde langsam aus dem Halbdunkel hervortreten. Auf dem Arm hatte er ein kleines Kind mit dichten, schwarzen Haaren, das sein Köpfchen in der Beuge zwischen dem Hals und der Schulter seines Vaters müde abgelegt hatte. Sein kleiner Windelpo stützte sich auf einen von Hydes Unterarmen, mit der anderen Hand streichelte er liebevoll über den kleinen, gebeugten Rücken. Entzücken erfüllte die Gesichter von Nina und Chrissie, in ihren Kehlen sammelte der Drang loszuquietschen.

„Schau mal, da ist deine Mama.“, flüsterte Hyde dem kleinen Buben liebevoll ins Ohr und streichelte ihn dabei mit seiner eigenen Wange.

Hiro-chan hob sein ach so schweres Köpfchen und sah mit einem zerknautschten Gesicht in die Richtung, wo seine Mutter stand und streckte augenblicklich seine Arme nach ihr aus.

„Hiroki, mein Schätzchen. Kannst du nicht schlafen?“

Der Kleine hieß also Hiroki! Chrissie war sich sicher schon mal irgendwo gelesen zu haben, dass dieser Name spekuliert wurde zu Hydes Kind zu gehören, aber aus sicherer Quelle hatten sie das nie erfahren können. Hiroki hatte große, schokobraune Augen, eine hohe Stirn, momentan rote Schlafbäckchen und eine kleine Zuckerschnute. Alle Punke des typischen Kindchenschemas wurden erfüllt! Seine vielen Haare waren lang und völlig zerzaust vom Schlafen.

„Ist der nicht süß?“, hauchte Nina ihrer älteren Freundin ins Ohr, die ihre Augen ebenfalls gar nicht abwenden konnte.

Megumi lief mit dem Kleinen, den sie Hyde abgenommen hatte, zur Küche und bot ihm etwas zu Trinken an, was er auch dankbar annahm. Verschlafen rieb er sich die Augen, dann sah er wieder seinen Papa an, der ihn mit selig leuchtendem Blick betrachtete.

„Baba.“, brabbelte Hiroki und streckte seine kleinen Händchen wieder nach seinem Vater aus, der ihn sofort entgegen nahm.

Die Mädchen pressten ihre Hände auf ihre Münder und liefen rot an, das war zu goldig um es nicht auszusprechen, doch der Moment war so intim, dass sie es unmöglich über sich brachten, mit Niedlichkeitsbekundungen alles zu ruinieren. Klein Hiro kuschelte sich wieder an seinen Papa, der automatisch ein wenig hin und her schaukelte und leise Schhh-Geräusche machte. Tatsächlich hatte Hyde über die Situation hinaus ganz ausgeblendet, dass er nicht mit seiner Frau und dem Kleinen alleine war. Verlegen lächelnd zwinkerte er ihnen zu, doch sie beide schüttelten verständnisvoll ihre Häupter und lächelten zurück.

„Komm, wir bringen ihn wieder zurück in sein Bettchen, unseren Besuch kann er auch morgen früh noch kennenlernen.“, schlug Megumi vor.

Sacht an der Schulter schob sie ihren Mann an und folgte ihm dann in das Kinderzimmer, die deutschen Mädchen folgen ihnen mit ihren Blicken wieder nur bis in den Flur.

„Chrissie, ich weiß, dass der Spruch inzwischen abgedroschen ist, aber ich sterbe…“

„Macht nichts, ich jedenfalls bin schon im Himmel. Das hier kann entweder nur bedeuten, dass ich den verrücktesten Traum überhaupt habe, oder ich schon Engelsglocken läuten höre.“

„Bleib auf dem Boden, abheben und sterben war immer mein Part!“

„Das ist unfair, du bist doch schon sooft bei Gackt gestorben, jetzt bin ich mal dran. Meine Hände sind schließlich schon leichenkalt.“

Das stimmte, aber dazu brauchte es keine Japanreise oder ein Treffen auf die beiden genialsten Sänger überhaupt. Chrissie hatte immer kalte Hände, egal wann und wo.

„Mal im Ernst, Hiroki ist doch total schnuffig, oder?“

„Ja! Und Hyde erst! Baba, ich hätte mich am liebsten auf den Boden geworfen bei seinem Honigkuchenpferd-Grinsen, als der Kleine das gesagt hat!“

Ha~i! Kreisch, das ist nicht zum aushalten! Wir werden an einem Zuckerschock sterben, wenn das ab morgen nur noch so geht!“

„Erinnere mich nicht an morgen, ich kann ja kaum das Heute begreifen und verarbeiten!“

Hyde kam wieder um die Ecke gebogen, er streckte sich müde und gähnte.

„Es wird Zeit, wir zeigen euch noch die Einliegerwohnung und dann gehen wir am besten alle schlafen.“

Schlafen… das klang in ihren Augen wie Hohn, wie sollten sie beide einschlafen können bei dem, was sie hier gerade erlebten? Es war wieder genau wie am Anfang bei Gackt. Lampenfieber, Nervosität, Unsicherheit und was sie nicht sonst noch alles daran hinderte ganz sie selbst zu sein, war wieder da.

„Na kommt, aber macht schön leise, damit Hiroki weiterschlafen kann.“, ermutigte sie Megumi, die das Licht im Flur anschaltete.

Sie folgten ohne Widerworte, klaubten ihre Taschen vom Boden auf und sahen zu, wie Megumi mit einem Schlüssel die Tür zur Einliegerwohnung öffnete. Gleich rechts war der Lichtschalter, ein großer Deckenstrahler mit insgesamt vier Leuchten ging an und vor Ihnen lag nun die Einliegerwohnung. Der Stil war anders als im Rest der Wohnung, der Boden war wesentlich heller, Ahorn vielleicht. Die rechte Seite bestand wieder aus einer kompletten Fensterfront, vor der filigrane, durchsichtige Vorhänge aufgehängt waren. Zwischen den Fenstern und der rechten Wand stand ein ovaler, weißer Tisch mit vier braunen, gemütlichen Stühlen drum herum. An der linken Wand, die als einzige nicht weiß, sondern kräftig rot angestrichen war, stand eine kleine weiße Sitzbank mit Schuhablage darunter und Kleiderharken darüber. An der roten Wand hingen außerdem versetzt schwarz eingerahmte Kalligraphien von japanischen Sprichwörtern sowie ein Wandkalender zum Jahr des Hahns. Gegenüber vom Eingang war in den halben Raum hinein eine Wand eingezogen, an der eine kleine anthrazitfarbene Küchenzeile stand. Die Hängeschränke hatten Milchglasfronten. Rechts daneben ging es noch etwas tiefer in den Raum hinein, in der kleinen Ecke stand links vertikal ein einfaches, weißes Bücherregal und horizontal daneben ein rundliches, rotes Sofa das fast wie ein Bett aussah, wenn man sich die vielen Kuschelkissen und zusammengelegten Decken wegdachte. Daneben stand eine kleine weiße Musikanlage und über der Couch prangte ein großes Leinwandbild in warmen Gold- und Ockertönen. Es schien aus sich heraus zu leuchten, eine lebendige, geschwungene schwarze Linie zog sich durch die Mitte des Gemäldes und vollendete die Silhouette einer Gitarre. Unausgesprochen erkoren Chrissie und Nina diesen Platz dort hinten unabhängig voneinander schon jetzt zu ihrer Lieblingsecke.

„Das ist sie nun, unsere Gästewohnung. Ich hoffe, es gefällt euch, ich habe heute extra noch mal sauber gemacht, die Betten frisch bezogen und euch Blumen auf den Tisch gestellt.“

Es stimmte, auf dem Esstisch lag ein kleines Bambusdeckchen mit einer schmalen, dunkelroten Vase drauf, in der drei einzelne, weiße Callas standen.

„Ihr sollt aber nicht glauben, ihr müsstet auf diesem Sofa dort schlafen. Hinter der Küchenwand und dem Bücherregal ist ein kleiner, versteckter Bereich, in dem euer Bett steht.“

„Es ist doch richtig, dass ihr gemeinsam in einem Bett schlaft, oder? Ich wollte das meinem Mann zuerst nicht glauben, aber er hat beteuert, dass ihr bei Gackt auch so übernachtet habt.“

Sie beide grinsten sich an, als sie sich daran erinnerten, wie sie vor Gackt zweideutige Scherze darüber gemacht hatten, dass sie sich nicht scheuten das Bett zu teilen.

„Nein, nein. Es ist völlig in Ordnung für uns ein Bett zu teilen.“, beruhigte Chrissie ihre Gastgeberin.

„Nina hat definitiv einen friedlicheren Schlaf als Gackt.“, setzte sie noch hinzu und grinste Hyde an, der unwillkürlich lachen musste.

Megumi konnte nicht mitlachen, also wusste sie nicht, worauf die zierliche Deutsche anspielte.“

„Das erkläre ich dir später, in Ordnung Megumi?“

„Darauf bestehe ich, ich möchte gerne wissen, was es da zu lachen gibt.“

Sie zwinkerte Chrissie mit einem Auge zu und bekam zum ersten Mal an diesem Abend ein ungezwungenes Lächeln von ihr zurück.

„Und hier gleich rechts ist die Tür zu eurem Bad. Es ist nicht besonders groß, aber es hat eine Dusche und sogar ein kleines Fenster.“

„Das ist super. Vielen, vielen Dank für eure Gastfreundschaft. Ich werde das wohl erst glauben können, wenn ich morgen früh hier aufwache… du doch auch, oder Enah?“, fragte Nina ihre Freundin, die hinter vorgehaltener Hand gähnen musste.

„Ich finde momentan nicht die richtigen Worte dafür, aber mir geht es mindestens genauso.“

„Das ist schön. Ich mache morgen früh für euch mit Frühstück, ich klopfe dann, wenn es fertig ist, in Ordnung?“

Ihre Augen wurden größer.

„Bitte nicht zu viele Umstände wegen uns!“, kam es von Chrissie, die einen flüchtigen Blick zu ihrer eigenen Küchenzeile warf.

„Das macht mir doch keine Umstände! Wenn ihr Lust habt gehen wir dann gemeinsam morgen ein wenig einkaufen, ich möchte unbedingt mehr über euch und eure Gewohnheiten erfahren und ich habe mich nicht getraut eure Vorräte eigenmächtig aufzustocken, ohne zu wissen was ihr mögt.“

„Das ist sehr nett.“, stammelte Nina kleinlaut.

Megumi war nicht nur schön und elegant, sie hatte auch etwas Fürsorgliches und Mütterliches an sich, das es fast einschüchternd auf sie wirkte.

„Gut, ihr zwei. Wir sehen uns auch morgen früh am Esstisch wieder, ich habe frei und kann es ruhig an diesem Samstag angehen lassen.“

Chrissies Augen leuchteten kurz unmerklich auf, es war irgendwie beruhigend zu wissen, dass sie und Nina nicht gleich ganz ins kalte Wasser geworfen wurden und wenigstens für den nächsten Tag noch eine vertraute Person um sie herum war, damit sie sich langsam eingewöhnen konnten.

„Das du es ruhig angehen lässt, will ich dir auch raten, mein Lieber.“, ermahnte Megumi ihn freundlich und wand sich dann zum Rausgehen um.

„Gute Nacht.“, wünschten sie sich alle gegenseitig.

Jetzt waren Chrissie und Nina allein. Augenblicke in denen sie einfach nur schweigend auf die geschlossene Wohnungstür starrten und sich nichts um sie herum rührte. Dann sahen sie sich an und sprangen einen Augenaufschlag später jauchzend in die Luft, fielen sich überschwänglich in die Arme, quietschten und lachten ausgelassen, als sie auf die Couch zustürmten und sich rücksichtslos zwischen die Kissen warfen. Sie achteten darauf, dass sie sich dabei auf Zimmerlautstärke beschränkten.

„Das ist so geil! Ich fass es einfach nicht!“, rief Chrissie laut aus.

Es war unheimlich befreiend sich so gehen zu lassen, alles was sie bis hierhin aus Anstand an Emotionen angestaut hatten, war endlich raus und nun konnte sich das Gefühl auf einer Wolke zu schweben endlich ungestört einstellen.

„Die Wohnung ist einfach total chic, richtig modern und edel! Und das hier… sieh dich um, das ist doch total schön und gemütlich hier! Ich meine, ich fand es auch sehr, sehr schön bei Gackt, aber ich hätte nicht gedacht, das Hyde so mit seiner Familie wohnt.“

„Du sagst es… und Megumi scheint eine total Liebe zu sein. Ich hab gedacht, sie würde vielleicht etwas komisch gucken, wenn wir uns das erste Mal begegnen, aber sie hat uns direkt mit offenen Armen begrüßt. Neben ihr fühlt man sich irgendwie total unscheinbar.“

„Ich weiß, was du meinst, aber sie hat deine Haare bewundert! Das ist doch ein schönes Kompliment, oder nicht? Ich finde nicht, dass du unscheinbar bist. Deine blauen Augen, deine klare, helle Haut und deine rotgoldenen Haare… und du bist mindestens so schlank wie Megumi!“

Chrissie war es peinlich, dass ihre Freundin sie so mit Komplimenten überhäufte.

„Sie ist gar nicht so groß, wie ich dachte. Sie war kaum größer als du.“

„Hmh, aber für eine Japanerin ist das vielleicht schon groß, ich hab auf den Straßen kaum Frauen gesehen, die größer waren als ich.“

Sie sahen stumm zur Decke und akklimatisierten sich wieder. Vor ihrem inneren Auge erschien Nina der letzte Augenblick, als sie sich von Gackt verabschiedet hatten. Die Stille um sie herum rief ein merkwürdig melancholisches Gefühl hervor.

„Chrissie?“

„Hm? Ja?“

Sie drehte ihren Kopf zu Nina um, die auf einmal ganz anders klang, als eben noch und heftete ihre himmelblauen Augen auf ihre Mine.

„Was glaubst du, geht jetzt in Gackt vor? Ich meine, wird er froh sein, dass wir jetzt weg sind und die letzte Woche schnell wieder vergessen? Oder wird er noch eine Weile an uns denken?“

Eine nachdenkliche Falte bildete sich auf Chrissies Stirn.

„Wir sind noch nicht mal einen halben Tag weg, wie kommst du jetzt darauf?“

„Nur so… weißt du, da sind ein paar Dinge gewesen, durch die ich das Gefühl habe, dass er und ich uns irgendwie ähnlich sind.“

„Hä? Hab ich was verpasst? Wovon redest du?“

Genau, was redete sie da eigentlich? Sie lies sich eindeutig zu sehr von ihren wankelmütigen Emotionen leiten. Nina verwarf ihre wirren Gedanken, was sie durch ein Köpfschütteln verdeutlichte.

„Ach nichts, ich mag einfach nur keine Abschiede. Das war alles so schnell vorbei und jetzt sind wir schon wieder woanders gelandet. Wie du schon sagst, es ist einfach alles unglaublich. Komm, ich will ins Bett.“

Sie wühlte sich durch das weiche Polster an die Kante und raffte sich auf. Ihre Taschen standen noch bei der Wohnungstür, sie nahm gleich beide mit und lief durch die Lücke zwischen der Wand hinter der Küche und dem Bücherregal neben der Couch.

„Oh wow, Mausi komm mal und sieh dir das an!“, stieß sie beeindruckt hervor.

Animiert hopste Chrissie mit den Füßen voran ebenfalls vom Sofa und gesellte sich zu ihrer Freundin. Der versteckte Bereich war größer als erwartet, links an der Wand stand ein weißer Kleiderschrank mit Schiebetüren und rechts daneben stand ein großes Futon-Doppelbett mit beigefarbener Tagesdecke und Zierkissen. Papierleuchten mit japanischen Schriftzeichen drauf hingen rechts und links neben dem Bett an den Wänden. Über dem Bett war eine Malerei aus Kirschbaumzweigen mit vielen, vielen Kirschblüten dran, die sich vom Kopfende bis unter die Decke erstreckten. An der rechten Wand hingen lauter kleine Bilder von asiatischen Landschaften. Das es kein Fenster gab störte nicht, das hier war ein kleiner, kuscheliger Rückzugsort, an dem es sich bestimmt gut schlafen ließ.
 

Der Morgen kam ohne sie zu überfallen, umhüllt von himmlisch weichen Decken und einem angenehmen Duft nach frischer Wäsche, fanden sie ganz entspannt ihren Weg heraus aus der Traumwelt. Nina, die schon immer eine Bauchschläferin war, blinzelte mit verhangendem Blick und sah ihre rothaarige, noch schlummernde Freundin neben sich liegen. Sie hob ihren Kopf leicht und ließ den Blick durch den kleinen Raum um sie herum gleiten.

»Es ist alles noch da, es ist noch immer Wirklichkeit.«

Langsam wurde es Zeit, dass sie es begriff und nicht nur sie, auch Chrissie. Die letzten sechs Tage waren passiert, was sie erlebt hatten war real, denn sie waren hier. Ungern rollte Nina sich auf den Rücken und lugte durch den kleinen Zugang des Zimmers hinaus. Draußen war es sommerlich hell, aber es konnte noch nicht allzu spät sein.

„Chrissie? Magst du mit aufstehen?“

Ihre Freundin atmete lautstark aus, sie war also schon wach, auch wenn sie ihre Augen noch geschlossen hielt.

„Es müsste verboten sein aus einem solchen Bett aufzustehen…“, brubbelte sie in eines der Kissen hinein und streckte sich dann ächzend.

Nina kratzte sich durch ihre Bettfrisur und stand auf. Der Wohnbereich sah bei Tageslicht noch viel schöner aus als in der letzten Nacht. Die klaren Linien der Einrichtung, die Farbwahl, die kleinen Details und Accessoires verbreiteten ein wohnliches und freies Gefühl. Es war genug Raum um sich zu entfalten aber weder steril noch kalt. Eine liebevolle Note schwebte über dem Gesamtbild.

„Schön hier, oder?“, fragte Chrissie, die hinter ihr hergetrabt kam.

„Total, ach… wenn ich das alles so sehe, dann habe ich das Gefühl meine eigene Wohnung ist total zugestellt und chaotisch.“

„Frag mich mal, bei meiner Zelle von Zimmer, was bis oben hin zugestellt ist mit allerhand Krimskrams.“

„Das stimmt wohl.“, entgegnete Nina leise lachend.

„Komm, waschen, anziehen, striegeln! Megumi wollte uns doch holen kommen, wenn sie das Frühstück fertig hat. Ich will dann nicht im Nachthemd vor ihr stehen.“
 

Dem Badezimmer hatten sie in der letzten Nacht verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit geschenkt, überhaupt war ihr Kopf so voll gewesen, dass sie jetzt kaum noch sagen konnten, wie sie überhaupt ins Bett gekommen waren. Das Bad war komplett gefliest, der Boden mit fast schwarzen, von weißen Äderchen durchzogenen Hochglanzfliesen, die Wände mit Weißen, durch die sich hellgraue Rinnsäle zogen. Rechts stand ein großzügiger Waschtisch, links in der Ecke waren die ebenerdige Dusche mit Milchglaswänden und die Toilette. Es hingen frische Handtücher auf einer Wandheizung und auch Waschlappen waren ordentlich zusammengefaltet auf dem Sims daneben abgelegt. Wie jeden Morgen restaurierten sie sich angemessen und suchten sich frische Kleider zusammen.

„Oh je, das ist meine letzte ungetragene Garnitur…“, stellte die Ältere unerfreut fest, als sie die Sachen in ihrer Tasche zur Seite schob und sortierte.

„Mir geht es auch so. Lass und Megumi und Hyde fragen, ob hier irgendwo in der Nähe ein Waschsalon ist, so hatten wir es doch eh geplant.“

„Sicher gibt es so was hier, wir sind jetzt immerhin in Tokyo!“

Was sie jetzt noch zum Anziehen hatten war von einfacherer Art, beide hatten noch Stretch-Jeans, Chrissie hellblau, Ninas etwas dunkler und mit Schlag. Die Jüngere hatte noch ein einfaches T-Shirt in violett mit einem deutlichen Hang zu pink, das locker geschnitten- und sowohl an den kurzen Ärmeln, als auch im Hüftbereich weit ausgestellt war. Da sie fraulich gebaut war, trug es nicht auf und verlieh ihr sogar einen extra Touch Femininität. Ihre kleinere Zimmergenossin hatte noch ein sonnengelbes, figurbetonendes Shirt mit weiß verschnörkelter Schrift als Aufdruck, über der sich noch Ranken mit kleinen, weißen Blümchen räkelten. Heute wagten sie den Versuch ihr Haar auch bei Sommertemperaturen offen zu tragen.

Die Zeit verstrich und nichts tat sich, aber sie trauten sich auch nicht unaufgefordert ihre zugeteilte Räumlichkeit zu verlassen. Wie bereits befürchtet waren sie wie schon sooft weit vor der üblichen Frühstückszeit aufgewacht. Ihre innere Uhr spielte ganz schön verrückt, seit sie in Japan waren. Vielleicht war es aber auch nur die permanente Gegenwart von diversen VIPs in ihrem Unterbewusstsein, die sie morgens früher wach werden ließ. Um sich abzulenken beschäftigten sie sich, so wie Chrissie mit Lesen, oder mit einem Laptop. Die Uhrzeit auf ihren Handys zeigte 8:30 Uhr, als es bei ihnen erlösend an die Tür klopfte. Chrissie warf ihr Buch beiseite und eilte zur Tür, hinter der Megumi freundlich lächelnd stand. Sie trug ein lindgrünes Longshirt und die Hose vom Vorabend. Ihre Haare waren locker zu einem Dutt im Nacken hochgedreht.

„Guten Morgen ihr zwei! Hattet ihr eine geruhsame erste Nacht?“

„Guten Morgen, ja, kurz zwar, aber gut.“, flunkerte Chrissie ein wenig.

Sie hatten sehr gut geschlafen, aber viel, viel zu wenig… verräterische Augenringe hatten sie nur mit viel kaltem Wasser fortgespült.

„Kommt ihr zum Frühstück? Hyde und Hiroki sitzen schon am Tisch, ich hoffe, ihr habt Hunger!“
 

Auch Hydes Wohnung erstrahlte an diesem Morgen noch mal in einem ganz neuen Licht, es war sehr, sehr hell überall. Die Sonne stand genau über der L-förmigen Fensterfront, der Wohn- und Küchenbereich musste also Ostseite haben. Die verwendeten Brauntöne bei den Möbeln und der Wandgestaltung waren warm und unaufdringlich und erst jetzt fielen ihnen die vielen kleinen, liebevollen Details auf wie Topfpflanzen in den Zimmerecken, Dekoration durch Blumenarrangements, aufgestellte Fotos von ihrer Familie und was sonst noch einem Heim die persönliche Note verlieh. Man spürte die feminine Note in diesen vier Wänden. Als sie im Wohnzimmer ankamen sahen sie auch eine farbenfrohe Spieldecke auf dem Boden liegen und ein paar verstreute Spielsachen wie Bauklötze, handliche Gummifiguren und leichte Babypuzzle drum herum. Hiroki saß in seinem Hochstuhl, ein Lätzchen war ihm umgebunden damit er sein weißes Hemdchen und die dunkelblaue, kurze Shorts nicht bekleckerte.

„Guten Morgen.“, begrüßte sie Hyde, der mit einem verführerischen Lächeln aufwartete.

Seine Ellenbogen waren auf die Tischplatte gestützt und seine Hände unter seinem Kinn verschränkt. Seine Haare fielen in perfekter, seidiger Manier um sein Gesicht, die rotbraunen Spitzen setzten auf dem hohen Kragen seines weißen, schmeichelnd geschnittenem Hemd auf. Seine Knopfleiste war erst ab dem Punkt des Solarplexus geschlossen, um seinen Hals und um das vom langen Ärmel verdeckte Handgelenk, hing sein üblicher, typischer Schmuck. Unter dem Tisch vermuteten die Mädchen eine matte, schwarze Lederhose an ihm. Der Großteil ihrer Aufmerksamkeit jedoch war ausnahmsweise nicht auf den gutaussehenden Mann am Tisch gerichtet, sondern auf die Vielzahl an reich bestückten Tellern und Schalen, die vor ihm standen. Das ähnelte keinesfalls dem Frühstück, das sie gewohnt waren! Mit großen Augen standen Nina und Chrissie vor ihren Stühlen und betrachteten die herzhaft duftenden Speisen. Hiroki musterte sie beide eingehend und sah immer wieder fragend zu seinem Papa, der einen Stuhl weiter saß. Neben ihn setzte sich Megumi, die ihn mütterlich über seine gekämmten Haare strich und ihm ins Ohr flüsterte, dass die zwei fremden Frauen jetzt ihr Besuch waren.

„Was ist, habt ihr keinen Hunger?“

Hyde wusste ganz genau, warum sie so verdutzt waren, als sie den Frühstückstisch betrachteten, aber diesen kleinen Spaß erlaubte er sich.

„Mögt ihr etwa etwas nichts, davon?“, fragte Megumi besorgt, die Hydes Aussage falsch verstanden hatte.

„Nein, nein. Das ist es nicht… wir haben jetzt nur nicht mit so einem Frühstück gerechnet…“, erklärte Nina uns setzte sich langsam.

Die Speisen vor ihnen würden in Deutschland gut und gerne als ein ausgewachsenes Mittagessen durchgehen.

„Oh, ja natürlich. Ich erkläre euch, was das alles ist, in Ordnung? Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, dass ihr anderes Essen gewohnt seid, bitte entschuldigt.“

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, wir waren nur überrascht!“, beruhigte sie die Blauäugige.

„Wenn das wirklich so ist, dann bin ich beruhigt. Also einiges werdet ihr ja bestimmt selbst erkennen, wir haben hier Misosuppe, gebratenen Lachs, Nattô, Reis und ein wenig Nori und Eingelegtes.“

Alles sah sehr gut aus und roch auch köstlich, nur das von Megumi als Nattô geoutete Gericht wurde kritisch beäugt.

„Ähm, darf ich fragen, was das Nattô genau ist?“, fragte Nina hilflos, die die hellbraunen Böhnchen, oder was das auch immer war, was dort in einer Art Schleim schwamm, mit nervös zuckenden Augenbrauen begutachtete.

Hyde, der sich begann aufzutun, verkniff sich ein belustigtes Grinsen und tat, als würde er die Skepsis in den Blicken seiner Gäste gar nicht wahrnehmen.

„Nattô? Das sind vergorene Sojabohnen in natürlichem Eiweißschleim, der sich bei der Herstellung bildet. Es ist sehr nahrhaft!“

Aus Megumis Mund klang es, als müsste man diesen Pamps anpreisen, ihre Beschreibung jedoch lies die Hautfarbe der beiden Freundinnen auf einmal aschfahl werden. Das, was aussah wie Honigpops, die zu lange in saurer Milch gelegen hatten, würde vermutlich nicht ihr neues Leibgericht werden. Hyde konnte kaum an sich halten, gönnerhaft lächelte er und lies sie zappeln. Er war gespannt ob sie beide seiner Frau gegenüber auch aussprechen würden, was man in ihren Gesichtern bereits ablesen konnte.

„Und… wie schmeckt das?“, fragte Chrissie halblaut und schämte sich fast dafür, dass sie überhaupt fragen musste.

Langsam dämmerte Megumi, dass ihre Gäste nicht aus purem Interesse fragten, sondern weil sie sich im gewissen Sinne vor dem Nattô fürchteten. Ihre Erleuchtung war nicht zuletzt Hyde zu verdanken, dem sie seine kindliche Schadenfreude an der Nasenspitze ablesen konnte.

„Am besten, ihr probiert einfach ein ganz klein wenig davon, wenn ihr mögt. Es wird schon alle werden, mein Mann hat immer einen gesegneten Appetit und wem würde Nattô jetzt wohl besser tun, als dir? Nicht wahr?“

Hyde blieb einer seiner Bissen im Halse stecken, doch Megumi wartete gar nicht erst ab, bis er protestieren konnte und begann Chrissie und Nina endlich aufzutun, die leise lachend auf ihren Stühlen saßen.
 

Das Frühstück verlief ab da ausgelassener als der nächtliche Imbiss vom Vortag, Megumi scherzte mit den deutschen Urlauberinnen über Hydes Appetit und ohne Schonung plauderten die Freundinnen die urkomischen Situationen zwischen ihm und Gackt aus. Außerdem schlug dieser sich tapfer durch die Unmengen Nattô, die übrig waren und die ihm Megumi ganz selbstverständlich zuschob. Den Freundinnen hatte diese nahrhafte Speise nicht so gemundet, es schmeckte irgendwie bitter und hatte etwas Herbes im Nachgeschmack. Allein schon die klebrig matschige Konsistenz und die käsigen Fäden, die die Masse zog wenn man sie sich zu Munde führte, wirkten abschreckend. Hiroki, der anfangs noch mit vorsichtiger Zurückhaltung alles beobachtet hatte, gewöhnte sich an die Anwesenheit des Besuchs und fing bald an zu plappern und - als er satt war - mit seinem Essen zu spielen.

„Nein, mein Schatz, wenn du satt bist kommt der Teller weg.“

Frech grinsend lachte er seiner Mama ins Gesicht, als sie ihm den Teller unter den Fingern wegzog und klatschte vergnügt. Nina unterdrückte diesmal nicht den Drang den kleinen Fratz verboten niedlich zu finden und dies auch kund zu tun, Chrissie schüttelte den Kopf und ihr Gesichtsausdruck sah aus als dachte sie “Wie typisch“.

„So, wie sind denn jetzt eure Pläne für den Tag?“, fragte der malträtierte Sänger schließlich, um sich so aus der Rolle des Verspotteten zu winden.

„Na ja, ich denke, ich werde mal bei den Reiseveranstaltern anrufen um zu fragen, ob es möglich ist unseren Heimflug umzumodeln.“

Nicht nur Hyde sah die Rotblonde überrascht an, auch Nina warf ihr verwunderte Blicke zu.

„Guck nicht so, Nina. Um unseren Flug in Osaka zu bekommen müssen wir den ersten Bus vor dem Kyoto-Bahnhof bekommen. Der geht aber schon kurz vor sechs Uhr… und ich glaube nicht, dass du schon mitten in der Nacht aufstehen willst, damit wir einen Shinkansen dorthin nehmen können.“

Den Zahn zog Hyde ihr mit einem Kopfschütteln.

„Der Shinkansen fährt erst ab sechs Uhr morgens wieder.“

„Da hast du’s! Wenn wir unseren regulären Flug bekommen wollen, müssten wir also am Freitag schon wieder nach Kyoto fahren und dort irgendwie für die Nacht eine Unterbringung finden. Vielleicht in einem Kapsel-Hotel!“

Ihr ironischer Tonfall und das Rollen ihrer Augen zauberte ein Schmunzeln auf das Gesicht ihrer Gastgeber, sogar Hiroki quietschte vergnügt.

„Enah-chan, dann ruf doch schon mal an, ich räume derweil ab und dann könnten wir doch einkaufen gehen. Erinnert ihr euch, das ich darüber gestern Nacht gesprochen habe?“

Sie nickte. Nina stand auf und räumte ein paar Teller zusammen.

„Lass mich dir heute Morgen helfen, ok?“, bat sie freundlich.

„Dann hab ich ja gar nichts mehr zu tun!“, stellte Hyde fest, schien deswegen aber nicht ernsthaft enttäuscht zu sein.

„Das ist auch besser so, mein Lieber. Du kannst dem Kleinen den Mund waschen gehen und vielleicht ein bisschen mit ihm spielen, bis wir Frauen fertig sind“, sie zwinkerte den beiden Mädchen zu, „und ansonsten erteile ich dir heute absolutes Ausruhgebot. Du solltest mehr auf dich und deine Gesundheit achten, das Konzert morgen wird dich fordern, bitte arbeite heute nicht. Verstanden?“

Liebevoll aber bestimmt. Resignierend schüttelte Hyde den Kopf und widmete sich dann seinem Sohnemann.
 

Als Chrissie zurück aus der Einliegerwohnung kam, von wo aus sie mit ihrem Handy die Reiseverantwortlichen kontaktiert hatte, wischte ihre langhaarige Freundin gerade den Esstisch mit einem Tuch ab und Megumi spülte Essenreste aus dem Waschbecken fort. Hyde hockte neben seinen Sohn auf der Spieldecke und ließ aus Bauklötzen kleine Türme und Brücken entstehen, die Hiroki lachend wieder zunichte machte und noch vergnügter war, wenn sein Vater mit kindlich verblüfften Augen die spielerische Zerstörung mit Oh!-Tönen kommentierte. Nina sah ihrer rotblonden Freundin sofort deren Unmut an und hielt von daher mit ihrer Frage nicht hinter den Berg.

„Und? Was hast du erreicht?“

„Erstmal nicht viel. Du darfst nicht vergessen, dass Deutschland sieben Stunden hinter uns liegt, dort ist es gerade mal halb drei Uhr nachts. Wir werden wohl bis zum Nachmittag warten müssen.“

Nina zog eine Schnute, das war wirklich ein Grund frustriert zu sein.

„Erstaunlich, so ein Zeitunterschied, oder? Wie habt ihr denn den Jetlag so verkraftet, als ihr hier angekommen seit?“

Megumi trocknete sich die Hände ab und setzte auf den Stuhl, der Hyde und Hiroki am nächsten war und beobachtete beide stolz, während sie fragte.

„Eigentlich ganz gut, es hat sich ja nur angefühlt, als würde man später ins Bett gehen als gewohnt und da wir im Flugzeug schlafen konnten... Es ging nach den ersten beiden Tagen gut wie immer.“, erklärte Chirssie.

„Schlimm wird es bestimmt, wenn wir wieder zuhause sind.“, ergänzte Nina und sinnierte darüber, wie sich dieser Flug in die vermeintliche Vergangenheit wohl auf ihren Kreislauf auswirken würde.

„So, na dann können wir uns doch langsam fertig machen, nicht wahr? Hyde, gibst du mir den Kleinen hoch, ich muss ihn noch eincremen.“

„Warum lässt du ihn nicht einfach bei mir und machst dir mit Enah und Nina ein paar Kinderfreie Stunden?“, schlug ihr Mann überraschend vor.

Hiroki hüpfte in Hydes Schoß auf und ab und wiederholte dabei fortwährend das Wort Papa. Megumi sah ihn verblüfft an.

„Ich soll Hiro-chan bei dir lassen? Aber du sollst dich doch ausruhen…“, erwiderte sie nachdenklich und unschlüssig.

„Mein Sohn ist doch keine Last für mich, außerdem hab ich ihn jetzt schon eine Weile nicht mehr gesehen und wir genießen beide unsere gemeinsame Zeit, nicht war, Hiro-chan?“

Hirokis Kulleraugen strahlten und er quiekte vergnügt, als sein Vater ihm in die Seiten piekte und kitzelte. Wieder pressten Chrissie und Nina angestrengt ihre Lippen aufeinander und liefen akut Gefahr dabei einen Grinsekrampf zu bekommen.

„Hm, na schön. Er muss aber bis spätestens zwölf Uhr sein Essen bekommen und dann seinen Mittagsschlaf halten, sonst ist er bis zum Abend ungnädig.“

„Meg, das weiß ich doch.“

Sie hob warnend ihren rechten Zeigefinger.

„Und das du ja nicht auf dumme Ideen kommst oder dich heimlich mit deiner Arbeit beschäftigst! Im Kühlschrank habe ich noch ein paar aufgehobene Reste vom Abendessen, das müsste für euch beide reichen.“

Sie sah auf ihre schmale Armbanduhr.

„Ich denke, wir sind wieder da, wenn Hiroki aufsteht. Ich habe mein Handy dabei, wenn etwas sein sollte.“

„Jetzt geh schon und amüsier dich gut.“, forderte Hyde seine Frau langgezogen auf und verdrehte die Augen.

„Sag deiner Mama und unserem Besuch Tschüss, Hiro-chan.“

Er führte den kleinen Arm seines Sohnes zu einem Winken an.

„Schüssi!“, rief er lächelnd, als seine Mama ihm ebenfalls zuwinkte und dann mit den Mädchen im Flur verschwand. Sie schlüpften nur in ihre Schuhe, hingen sich ihre Handtaschen über die Schultern und dann kam auch schon der Fahrstuhl, den Nina nur unter wehleidigem Stöhnen betrat.
 

„Man sollte meinen, dass du deine Höhenangst nach dem Flug hierher endlich überwunden heben solltest.“, zog Chrissie ihre jüngere Freundin auf, als sie drei das Gebäude bereits verließen.

„Flugzeug und Fahrstuhl kann man ja wohl kaum miteinander vergleichen! Ich kann nichts dafür, ich muss mich erst dran gewöhnen, dann wird es gehen… es ist immer etwas anderes, je nachdem wo ich bin.“, antwortete Nina schuldbewusst und war dankbar für den festen Boden unter ihren Füßen.

„Hat es einen besonderen Grund, dass du Angst vor Höhe hast?“, fragte Megumi interessiert, die sich eine große, rundglasige Sonnenbrille über die Augen schob.

„Nein, eigentlich nicht. Es ist auch nicht wirklich die Höhe allein, die ich nicht mag, sondern der Zustand ihr hilflos ausgeliefert zu sein. Ein Flugzeug kann abstürzen, ein Fahrstuhl auch, das kann ich nicht selber beeinflussen. Von einer Klippe oder einem hohen Balkon kann man fallen und bei Fenstern habe ich immer Angst, sie könnten sich aushängen.“

Chrissie musste lachen, Megumi unterdrückte aus Höflichkeit ihre Belustigung.

„Fenster, die aus ihrem Rahmen fallen?“, fragte die Rotblonde und hielt sich den Bauch vor Lachen.

„Hey, das ist nicht lustig! Als ich noch klein war, hab ich es geschafft mein Kinderzimmerfenster auszuhängen! Das war noch so ein altes Ding, wo man zwei Hebel an der Seite und unten umlegen musste, je nachdem wie man öffnen wollte… ich hab aus Versehen beide offen gehabt und schon kam es mir entgegen!“

Erschrocken hob Magumi ihre Hand vor den Mund.

„Es ist doch aber hoffentlich nichts passiert!“

„Oh nein! Ich hab schreiend versucht es festzuhalten, ich stand dabei nämlich auf meinem Bett und dann kam mir meine Oma zur Hilfe.“

„Deine Oma?“

„Ja, ich hab meine Kindheit bei ihr verbracht, weil meine Mutter immer gearbeitet hat, da sie sich von meinen Vater hat scheiden lassen.“

„Oh, das tut mir leid…“

„Muss es nicht. Ich war glücklich bei meiner Großmutter und ich war noch so klein damals, dass ich das alles gar nicht mitbekommen habe. Ich hab kein gutes Verhältnis zu meinem Vater und meinem leiblichen Bruder.“

„Du hast Geschwister?“

Chrissie rollte mit den Augen, jetzt musste Nina ihre ganze Familiengeschichte auspacken. Die Leier konnte man schon gar nicht mehr hören.

„Ja, wenn man es ganz genau nimmt fünf Stück.“

Ihre Gastgeberin war so erstaunt, dass ihr fast die Augen raus fielen. Mit stummem Entsetzen in ihrer Mine hörte sie weiter gespannt zu.

„Ich bin die Älteste, mein leiblicher Bruder ist zwei Jahre jünger und lebt bei meinem Vater. Beide sehe ich praktisch nie. Dann habe ich noch zwei halbindische Geschwister, meinen Bruder der acht- und meine Schwester die zehn Jahre jünger ist. Mit dem Mann hat es aber auch nicht geklappt. Und vor ein paar Jahren jetzt hat meine Mutter wieder geheiratet und dieser Mann hat zwei große Söhne, die älter sind als ich mit in die Ehe gebracht. Sie leben aber nicht bei meiner Familie und ich bin vor ein paar Monaten daheim ausgezogen.“

Nina lies ihren Bericht erstmal wirken, Megumi schien irgendwie verwirrt.

„Und du, Enah-chan, hast du auch so eine große Familie?“

„Um Himmels Willen, meine Familienverhältnisse sind halbwegs normal! Ich habe eine zwei Jahre jüngere, leibliche Schwester, meine Eltern leben in intakter Ehe zusammen und das war’s.“

„Und… ihr wohnt alleine ohne Partner? Als was arbeitet ihr denn?“

Perplex sahen sich die jungen Frauen an und zuckten unschuldig mit den Schultern.

„Na ja, also ich bin gerade mitten in meinem Abitur und Nina hat gerade ein Berufsvorbereitendes Jahr hinter sich gebracht.“

Megumi blieb stehen, verwirrte Gesichtsausdrücke machten die Runde. Die anmutige Japanerin nahm sie prüfend von oben bis unten ab.

„Entschuldigt, das ich frage, aber wie alt seit ihr denn?“

Diese Frage klang irgendwie komisch, so als wollte sie sich über etwas klar werden, das nicht von vorneherein offensichtlich war. Scheu antwortete Chrissie, die ein bisschen Bammel davor hatte, was ihre Antwort wohl bei Megumi für eine Reaktion hervorrufen würde.

„Ähm, 18?“

»Na toll, das klang ja sehr selbstsicher…«, strafte sie sich.

„Honto?!“, entfuhr es Megumi und noch einmal wanderten ihre Blicke von den Scheiteln bis zu den Zehenspitzen.

Als sie damit fertig war und ihr die Angst und Irritation in den Augen ihrer Begleiterinnen auffiel, straffte sie sich und nahm wieder eine würdevolle Haltung ein. Sie fand ihr Lächeln wieder und schüttelte ihre Verwirrung ab.

„Bitte entschuldigt, das war nicht sehr höflich. Ihr müsst wissen, dass alles weiß ich von euch noch gar nicht, Hyde hat mir nichts davon gesagt und so habe ich angenommen, dass ihr älter seit.“

War das jetzt ein Grund sich geschmeichelt zu fühlen? Mit gemischten Gefühlen blieben sie beide erstmal stumm.

„Ich habe euch auf ca. Mitte zwanzig geschätzt.“, ergänzte Megumi schließlich.

Das erklärte ihr Verhalten natürlich, erleichtert atmeten Nina und Chrissie aus.

„Ach so~, wir haben jetzt schon gedacht, dass das ein Problem wäre.“, kam von Nina.

Sie nahmen das Laufen wieder auf, Megumi sagte ihnen nicht wohin sie gingen, aber das war auch nicht nötig. Sie würde schon wissen, wo sie hin mussten.

„Es ist kein Problem, aber umso mehr staune ich, dass Gackt euch einfach so mitgenommen hat.“

„Hm, You hat auch schon mal angedeutet, dass man uns auch für älter halten könnte…“

Gleichgültig verwarf Chrissie den Gedanken daran, sie liefen inzwischen in einer ganzen Traube von Menschen und um sie herum wurde es turbulenter, was stattdessen ihre Aufmerksamkeit erregte. Inmitten von so vielen Menschen und umringt von beeindruckenden Hochhäusern, konnte man sich schnell noch kleiner und unbedeutender als ohnehin fühlen.

„Wo gehen wir denn eigentlich einkaufen?“, fragte Nina nach einer Weile, als sie einen Laden nach dem nächsten und praktisch jedes Einkaufszentrum vorbei ziehen ließen.

„Wir gehen in ein Viertel, in dem es leichter ist ungestört einzukaufen, weil man dort mehr unter sich ist.“

Mehr unter sich? Was meinte die schlanke Prominentenfrau damit? Chrissie hakte sich bei Nina unter und so liefen sie eine Weile schweigend hinter Megumi her.

„Ihr seid so still, habt ihr keine Lust einzukaufen?“

„Doch, doch! Wir wüssten nur nicht, was wir jetzt erzählen könnten…“, erwiderte die Zierlichere.

„Also mir fallen da eine ganze Menge Dinge ein, die ich über euch gern erfahren würde! Mein Mann mag mir viel erzählt haben, aber bestimmt nicht alles. Es stimmt doch, dass ihr über Manga und Anime zu Japan kamt, oder?“

„Ja und damit auch zur Musik, die seither unser ständiger Begleiter ist.“, antwortete Chrissie erneut für sie beide.

„Und was habt ihr sonst noch für Interessen?“

Sie bogen um einen Häuserblock herum, dort waren nur noch vereinzelt Leute die ihnen entgegen kamen und allesamt waren edel angezogen oder trugen trügerische Sonnebrillen auf ihren Nasen vor sich her. Sie ahnten, dass sie Megumis Ziel näher kamen. Chrissie seufzte augenrollend, als Nina ihr einen auffordernden Klaps ins Kreuz gab, damit diese die Frage endlich beantwortete. Die Japanerin kicherte heimlich.

„Also ich lese sehr gerne. Gemischte Sachen, meistens Fantasy-Romane und Fanfictions. Manchmal schreibe ich auch ein bisschen. Ansonsten sitze ich viel an meinem PC oder spiele Ninas Muse und Beraterin.“

Megumi verzog ihre hübsch gezupften Augenbrauen zu einer Frage auf ihrer Stirn. Nina sah verlegen zu Boden und hoffte, dass sie auch diesmal drum herum kommen würde damit rausrücken zu müssen, was für Fanfictions sie in jüngster Zeit geschrieben hatte.

„Ich lese auch ziemlich gerne, zeichne viel in meiner Freizeit, widme mich aber vor allem meiner Schreiberei von Fanfics oder eigenen Geschichten.“

Die 32-jährige nickte nur absegnend.

„Und sonst? Macht ihr nichts anderes?“

„Eher nicht, wir sind weder Partygänger noch haben wir einen großen Freundeskreis.“

„Verstehe… ihr seid lieber unter euch, nicht wahr?“

Sie lächelten einander an, die Größere zog ihre Freundin in einer freundschaftlichen Geste zu sich heran und drückte sie kurz liebevoll.
 

Auf ihrem weiteren Weg durch die angenehme Vormittagswärme unterhielten sie sich mit Megumi ein wenig über das, was sie beide zu Freundinnen gemacht hatte. Das Gespräch half ihnen allen noch etwas mehr aus sich herauszukommen und lockerer zu werden. Hydes Frau machte es ihnen dabei sehr einfach, sie hörte aufrichtig zu und immerzu lächelte oder lachte sie, wenn Chrissie und Nina wieder einen ihrer berüchtigten, gespielt zickigen Wortwechsel hatten. Diese Frau war eine echte Frohnatur und wirkte viel jünger, als sie war.

„Ihr seid wirklich witzig, ich fange an zu begreifen, was Gackt und Hyde so anziehend an euch finden.“

Das Wort “Anziehend“ zauberte den Mädchen ein verlegendes Lächeln und einen Hauch von Rosa ins Gesicht. Natürlich waren sie sich im Klaren darüber, dass Megumi das anders meinte, als wie man es noch verstehen konnte, aber der Gedanke an die andere Bedeutung trat wie von allein in ihre verrückten Köpfe. Ihre Gastgeberin deutete ihre Reaktion als Scham über das vermeintliche Kompliment, was bis zu einem gewissen Grad ja auch stimmte, und blieb dann vor einem Drehtüreingang stehen.

„So, jetzt gehen wir einkaufen und ein wenig Bummeln!“, kündigte sie vergnügt an und lief durch die rotierenden Glastüren.

Hinter der Drehtür verbarg sich eine Einkaufsstraße der gehobeneren Art, ebenerdig waren eine Vielzahl von Läden angereiht, die alle nicht danach aussahen, als könnte ein Ottonormalverbraucher mit Durchschnittsgehalt in ihnen verkehren. Beklommen schluckten Nina und Chrissie einen Kloß hinunter. Sie kamen sich schrecklich underdressed vor in ihren einfachen Shirts und in den Jeans, aber da Megumi nicht viel anderes herumlief, rissen sie sich zusammen und versuchten nicht wie neugierige Touristen die Menschen um sich herum anzustarren.

„Schaut euch ruhig die Schaufenster an, der Lebensmittelmarkt ist erst ganz am Ende der Passage.“, ermutigte Megumi sie freundlich und machte selbst den Anfang, indem sie hier und da mal kurz stehenblieb und schwelgte.

„Oh, schau mal Nina! Die Klamotten sind doch chic, oder?“, rief Chrissie ihre dunkelhaarige Freundin herbei und deutete auf ein paar Schaufensterpuppen.

„Oha, ja, die Preise sind genauso ansehnlich.“, entgegnete Nina nur ernüchtert, ihr Blick war direkt auf die kleinen Schilder gefallen.

So als hätte Chrissie sich die Finger an der Scheibe verbrennen können, zog sie sich erschrocken zurück. Verdutzt blinzelte Megumi sie an. Die Sachen im Schaufenster waren alle ziemlich westlich, die Auswahl unterschied sich doch deutlich von der bei dem C&A, in dem sie gewesen waren. Auch die Materialien waren hochwertiger, da war von ägyptischer Baumwolle über Seide und Cashmeere alles irgendwie vertreten. Die erschreckend hohen Preise waren nicht so hoch wie in einer Boutique oder wenn man Labels wie Prada einkaufen würde, aber an Läden wie P&C kam es schon nah heran.

„Die Preise sind hier normal, das ist eine Einkaufstraße in der vor allem Prominente ab und an mal einkaufen gehen, einfach weil man weniger von Fans behelligt wird und natürlich ist es für den Vermögenden auch eine prima Gelegenheit sein Geld an den Mann zu bringen.“, erkläre Megumi ausführlich, als sie die Blicke ihrer Begleiterinnen verfolgt und gedeutet hatte.

Sie schmunzelte und legte der Kleineren ihre Hand auf die linke Schulter.

„Schaut nicht so, niemand setzt voraus, dass ihr in solchen Läden einkauft, damit Hyde oder ich euch gleichwertig behandeln, also keine bekümmerten Gesichter mehr und weiter geht’s!“

Während sie liefen und auch einige beeindruckende Parfümerien und Juweliere hinter sich ließen, fachte Megumi ihr Gespräch erneut an.

„Unterscheiden sich eure Kleidungsstücke stark von den Hiesigen?“

„Ich würde sagen, das kommt drauf an wo man einkauft… genau wir hier eben auch.“, antwortete Chrissie knapp.

„Sie meint damit, auch wir haben ja Bekleidungsläden mit ganz unterschiedlichen Preisen und von variierender Qualität. Und Enah und ich, wir leisten uns eher Sachen aus der günstigen bis mittleren Preisklasse.“

Sie zupfte dabei demonstrierend am Saum ihres Shirts.

„Letztendlich zählt nicht, was ihr für eure Sachen ausgegeben habt, sondern wie ihr sie tragt und so wie ich das sehe, könnt ihr durchaus selbstbewusst durch Japans Straßen laufen.“

Die Mädels schenkten ihr ein dankbares Lächeln, richteten sich in ihrer Haltung unbewusst gleich etwas auf und liefen sicherer neben Megumi her, der sie nunmehr nicht mehr einfach nur folgten wie dressierte Hunde. Als sie den Supermarkt betraten und sich einen Einkaufswagen gezogen hatten, fühlten sie sich sowohl wohler als auch wie in eine andere Zeit versetzt. Wohler, weil dieser Laden sich nicht wirklich von anderen unterscheid und in eine andere Zeit versetzt, weil es Lebensmittel gab, von denen sie nicht mal wussten, dass sie existieren, geschweige denn, das man so was essen konnte! Und es war auch ein sehr interessantes Gefühl, wenn um einen herum nur Kanjis waren. Ob sich Asiaten in deutschen Supermärkten wohl auch so fühlen würden?

„Verratet mit bitte, was ihr alles gerne esst, damit ich die Möglichkeit habe auch auf eure Bedürfnisse bei den Mahlzeiten einzugehen. Ich würde euch beide nämlich ganz gerne zu den regulären Mahlzeiten immer mit einplanen, ich finde es unheimlich spannend und auch ziemlich lustig mit euch bei Tisch zu reden und Erfahrungen auszutauschen. Außerdem würde ich den Kühlschrank in der Einliegerwohnung auch ganz gerne mit dem Nötigsten bestücken, wenn es euch recht ist.“

„Danke, dass ist sehr lieb von dir!“, freute sich Nina während Chrissie schon mal überlegte, inwiefern sie beide andere Lebensmittel bevorzugten, als die meisten Japaner.

„Also ich denke, so was die großen Mahlzeiten betrifft sind wir nicht wählerisch, wir essen gerne asiatisch!“

Chrissie fiel das Nattô vom Morgen wieder ein, hastig führte sie ihre Rede fort.

„Ano~ vielleicht verzichten wir aber lieber auf exotische, ausgefallene Dinge wie sämtliche Meeresfrüchte außer Fisch und Garnelen, vergorenem Irgendwas, Insektenspezialitäten oder gar Kost aus China, wofür man Haustiere in die Pfanne haut.“

Megumi lachte augenblicklich los, das Gesicht der Rotblonden war köstlich verzerrt bei dem Gedanken an die zweifelhaften Köstlichkeiten, die sich vor ihrem inneren Auge abwechselten.

„Chrissie, hast du nicht grade ein wenig übertrieben?“

Nina kicherte leise und kopfschüttelnd, der Drang ihrer älteren Freundin zur Übertreibung und theatralischem Klang war ihr mehr als bekannt.

„In Ordnung, ihr Lieben. Keine Experimente in meiner Küche für die nächste Woche, verstanden.“

Hydes Frau salutierte Spaßes halber und schob dann ihren Einkaufwagen weiter vor sich her.

„Und was wollt ihr Spezielles für euch haben, wenn ihr mal Hunger zwischendurch bekommt?“

Sie wechselten schnelle Blicke untereinander.

„Also bei den Temperaturen ist Obst immer eine gute Sache, ansonsten vielleicht noch Brot und ein bisschen Belag.“, antwortete die Kleinere.

„Au ja und ich würde gerne Milch kaufen, mir fehlt mein Kakao am Morgen und am Abend und ab und zu ein Joghurt wäre einfach traumhaft!“, ergänzte Nina.

Schon wieder guckte Megumi perplex mit ihren großen, braunen Augen in die Runde.

„Ui, ich macht es mir schwerer, als gedacht!“

Sie lachte, aber sie konnten sich den imaginären Tropfen an der Schläfe der schlanken Japanerin lebhaft vorstellen.

„Brot, vor allem so wie ihr als Deutsche es kennt ist in Japan sehr schwer zu bekommen. Wisst ihr, es ist bei uns nicht üblich Brot zu essen, aber es erfreut sich dort wo man es kaufen kann einer hohen Beliebtheit. Ich habe gehört, dass kein Land wie eures so viele Brotsorten hervorbringt.“

Sie lächelten schelmisch und fuhren sich verlegen durch ihre offenen Haare. Ja, was das Brot anging war Deutschland weltweit eine Besonderheit. Nina erinnerte sich an ihre seltenen Urlaube im Ausland, wo es jedes Mal eine Odyssee gewesen war überhaupt irgendwie an das beliebte Getreideprodukt zu kommen, Weißbrot war noch einigermaßen gut zu aufzutreiben, aber dunkles Brot, oder gar welches mit Körnern war anscheinend anderen Nationen fremd und suspekt. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als ihr der Gedanke kam, dass das glibberige Nattô vielleicht das japanische Brot war. Getreide war das schließlich auch mal gewesen.

„Ihr habt Glück, in diesem Laden hier kann man zwei, drei Sorten Brot wie ihr es kennt kaufen. Milch gibt es hier auch, wir selber trinken sie kaum, wir vertragen sie nicht so gut… so wie die Meisten, die ich kenne.“

Chrissie nickte wissend.

„Ja, ich hab gelesen, dass nur wenige Asiaten Milch vertragen, die Meisten leiden an einer Laktoseintoleranz. Überhaupt sollen nur 25 % der Erdbevölkerung Milch ohne Probleme trinken können!“, erzählte sie.

„Das ist interessant, nicht wahr? Wie kommt es nur, das Europäer damit so viel besser zurecht kommen?“

„Keine Ahnung, wir vertragen ja auch besser Alkohol als Asiaten. Es muss einfach an den Enzymen liegen, die euch fehlen.“, leitete sich Nina her und das wurde zustimmend benickt.

„Na dann packen wir mal zusammen, was wir brauchen!“, schlug Megumi vor und führte sie erklärend durch die Gänge des Supermarktes.

Einen kurzen Schreckmoment verursachte die Tatsache, dass Megumi aus Gewohnheit Hirokis Kinderwagen als Transportmöglichkeit eingeplant hatte, denn sie wollte für ihre Gäste noch eine Stiege Mineralwasser mitnehmen. Chrissie und Nina konnten sie jedoch schnell beruhigen, immer wieder beteuerte Nina, dass sie kräftig genug war einen Sechserträger mit einer Hand bis zu ihrer Wohnung zu tragen. Die Vorstellung von einer derartigen Puckelei behagte ihr zwar nicht, aber allein schon aus Höflichkeit bot sie das an. Sie war robuster als Megumi oder Chrissie und würde das ganz sicher schaffen. Unter immer wiederkehrenden Besorgnisbekundungen ihrer Gastgeberin schlängelten sie sich bis zur Kasse vor und ab da gab es eh kein Zurück mehr. Sie sorgten dafür für ihre eigenen Unkosten weitgehend selbst aufzukommen.
 

„Komm, wenn du schon so schwer tragen musst, dann möchte ich euch jetzt schnell noch zu einem kleinen Mittagessen einladen, bevor wir wieder heimgehen.“

Ein Blick auf die Uhr verriet, dass die Mittagszeit bereits ihren Lauf genommen hatte, eine warme Mahlzeit war überfällig und solange würden die Lebensmittel in den Tüten schon aushalten können. Die Einkaufspassage war schließlich klimatisiert. Megumi führte sie zu einem schlichten Restaurant nahe des Ausgangs, wo sie sich direkt an einen Tresen setzten, von wo aus sie die Möglichkeit hatten einem Sushimeister auf die Finger zu schauen.

„Ihr mögt doch hoffentlich Sushi?“

„Und wie!“, kam es wie aus einem Mund.

Mit Megumi dort zu sitzen und genüsslich die kleinen Reishappen mit allerlei rohem Fisch zu verzehren, erinnerte die zwei Freundinnen an den Abend in Kyoto, wo Gackt und Hyde sie mit einer großzügigen Sushiplatte zum Abendbrot überrascht hatten.

„Ihr lächelt so verträumt, darf ich fragen, woran ihr denkt?“

„Na ja, wir haben an einem der ersten Abende in Kyoto mit Gackt und Hyde ebenfalls Sushi gegessen.“

Nina gab ihr einen kleinen Stupser gegen die rechte Schulter, Megumi saß links außen.

„Hey, daran hab ich auch eben gedacht!“

Chrissie grinste sie breit an, Nina erwiderte ihre Geste.

„War es schön bei Gackt? Oder vielmehr, habt ihr euch wohl gefühlt dort?“

Während die Blauäugige gelassen nickte, artete es bei ihrer Freundin beinahe in Headbanging aus. Megumi lächelte belustigt.

„Ist es nicht so, dass er einfach ein cooler Typ ist? Ich finde er ist ein lieber, guter Kerl, der definitiv zu viel arbeitet, was meint ihr?“

So wie sie mit ihren Augen in weit entfernte Gegenden abtauchte, erinnerte sie sich wohl an die Erfahrungen, die sie mit ihm gesammelt hatte. Chrissie zuckte mit den Augenbrauen, schluckte einen Bissen herunter und setzte als erstes zu einer Antwort an.

„Er ist sehr gastfreundlich und bemüht. Es war auch oft ziemlich lustig mit ihm und Hyde, aber er kann auch manchmal ein wenig anstrengend sein, wenn er seinen Dickkopf durchsetzen will.“

Chrissie dachte dabei vor allem an die Situation backstage, bei der er sie angemacht hatte, oder an die Sache danach bei ihrer Überraschung in Yokohama. Nicht zuletzt an seine Depression, als sie glaubten, Belle wäre verschwunden. Wobei sie Letzteres noch am ehesten nachvollziehen konnte.

„Aber ja, ich denke auch, dass er ein lieber Typ ist.“, setzte sie noch der Fairness halber hinzu.

Nina schob etwas enttäuscht die Unterlippe vor, sie hatte anscheinend eine etwas andere Meinung von ihm, als ihre beste Freundin.

„Also ich finde, er ist der bewundernswerteste Mann, den ich kenne! Das was er leistet ist unglaublich und dafür arbeitet er weiß Gott härter als er müsste und als es gut für ihn ist. Aber ich ziehe den Hut vor seiner Arbeit und kann einfach nur sagen, dass er mich komplett begeistert, auch wenn ich ihn manchmal in Gedanken dafür ohrfeigen könnte, dass er es regelmäßig übertreibt. Und ich denke, dass das Meiste seiner coolen Art nur Gehabe ist und zu seinem Bild als Künstler passt, er selbst ist viel sensibler als er zugeben würde. Ich fand ihn sehr menschlich und humorvoll!“

„Ey Nina, heb dir das für deine Schreiberei auf, ich sehe schon kleine Engel um deinen Kopf rumschwirren.“, zog Chrissie sie grinsend auf.

„Nina-chan, kann es sein, dass du ein wenig für Gackt schwärmst?“

Ertappt wurde sie hochrot und sah beschämt auf ihr Sushi, Chrissie lachte laut auf und schlug ihr tröstend zwischen die Schultern. Megumi lächelte verständnisvoll und fand Ninas Reaktion einfach nur süß.

„Das muss dir nicht peinlich sein! Ich glaube es gibt keine Frau die sein Fan ist, die ihn nicht wenigstens ein bisschen anhimmelt“

Schüchtern sah Nina sie an, Megumi zwinkerte ihr ermutigend zu.

„Deine Einstellung ihm gegenüber finde ich übrigens großartig! Wenn du so viel Verständnis und Geduld für ihn aufbringen kannst, wie ich nach deiner Rede eben vermute, dann wärst du genau der richtige Umgang für ihn.“

„Nina traut sich sogar an ihm auch mal öffentlich Kritik zu üben, bei seinem Tourfinal in Yokohama, wo er am Ende abgeklappt ist, ist sie total ausgerastet und hat vor sich hingeflucht, wie verantwortungslos er sich selbst gegenüber agiert.“

»Oh Chrissie, wenn du wüsstest, was ich außer dem noch für ein eingehendes Gespräch mit ihm hatte…«, dachte Nina heimlich für sich und suchte sich ein Versteck hinter ihren Stäbchen vor weiteren Erinnerungsfetzen ihrer Freundin, die sie in Verlegenheit bringen konnten. Davon gab es schließlich Einige!

„Tatsächlich? Aber so wie ich dich einschätze, bist du bestimmt auch ziemlich temperamentvoll. Irgendwas muss ja dran sein an den roten Haaren und wenn ich mich an Hydes Erzählungen erinnere, warst vor allem du oft als schlagfertige und redegewandte Partei aktiv.“

Nervös schob Chrissie ein Sushi vor sich auf dem Teller hin und her und warf sich unbewusst die angesprochenen, rotgoldenen Wellen wieder über die Schulter zurück.

„Das täuscht, ihr loses Mundwerk funktioniert nur, wenn ich in der Nähe bin. Alleine würde sie sich das nie trauen.“, revanchierte Nina sich für die erlittenen Peinlichkeiten süffisant grinsend.

Sie kassierte prompt einen glühenden Tötungsblick.

„Das kann ich mir gar nicht vorstellen, vielleicht muss Enah-chan nur vertrauter mit ihren Gesprächspartnern sein um ganz aus sich herauszukommen. Wie ist es denn bei dir, wen bevorzugst du denn? Auch Gackt, oder eher Hyde?“

Chrissies anfängliche Dankbarkeit für Megumis Mutmaßung über ihre Zurückhaltung anderen gegenüber schlug direkt in peinlich berührtes Schweigen um. Verlegen schlug sie die Augen nieder und suchte nach den richtigen Worten. Die Frau ihres vermeintlichen Lieblings kicherte leise.

„Ich kann damit umgehen, wenn du mir sagst, dass du eher ein Fan von meinem Mann bist. Glaub mir, ich bin das gewöhnt! Tagtäglich bekommt er sogar Liebesbriefe von wildfremden Fans in denen manchmal sogar drinsteht, dass sie so gar nicht verstehen können, wie Hyde nur mit mir verheiratet sein kann! Da macht es mir wirklich nichts aus, wenn ich von dir weiß, dass du ihn Gackt vorziehen würdest.“

Ihr Lachen klang weder bitter noch genervt, tatsächlich schien sie es vollkommen kalt zu lassen, also lockerte sich die Situation schnell wieder auf und man konnte sich Themen widmen, wie was ihre Lieblingslieder waren oder worüber Frauen unter sich sonst noch so sprachen.
 

In ihrem anregenden Gespräch über zwei ganz bestimmte Männer und deren Vorzüge und Macken, hatten sie glatt die Zeit vergessen. Mit großzügigen Schritten legten sie den Weg zurück, den sie gekommen waren, beladen mit den Tüten vom Einkauf. Das Meiste waren leichte Sachen wie Gemüse oder eine Vielzahl an asiatischen Nudeln und Gewürzen, auch neuen Reis hatten sie gekauft und sogar die gewünschten, typisch deutschen Lebensmittel hatten sie dabei. Nur die arme Nina triefte in der Nachmittagshitze und ächzte leise vor sich her, als sie versuchte trotz pochender Finger durch das Gewicht des Wasserträgers Schritt zu halten. Tapfer und unter gelegentlichen Anfeuerungen ihrer gut gelaunten Freundin biss sie sich bis zum Wohnhaus und dem erlösenden Fahrstuhl durch. Als sie das schwere Wasser endlich abstellen konnte, hatte sie das Gefühl, dass sich ihre Bandscheiben entspannten und sie direkt wieder einen Zentimeter größer war. Die Fahrt nach oben war durch die Erleichterung, endlich angekommen zu sein, nur noch halb so schlimm.

Tadaima! Hyde, Hiroki, wir sind wieder zuhause!“, rief Megumi fröhlich in die große Wohnung hinein, als sie der Fahrstuhl in ihrem Rücken wieder schloss und sie alles ablegten, was sie im Moment nicht brauchten.

„Hyde? Hiro-chan?“, wiederholte sie noch ein Mal, als sie keine Antwort bekommen hatte.

Überhaupt war es ziemlich still in der Wohnung, misstrauisch prüfte die Frau des Hauses die Uhrzeit auf ihrer Armbanduhr. Es war Nachmittag geworden, ihr Sohn musste also theoretisch wach sein und irgendwo spielend seine Zeit verbringen, zwangsläufig in Gesellschaft seines Vaters.

„Wir stellen erstmal den Einkauf in die Küche.“

Sie lief anführend voran. Als sie in den Wohnbereich traten, verharrte Megumi auf dem übergroßen Läufer und betrachtete den Couchtisch zu ihrer Rechten. Auch die Mädchen schauten sich das kleine Chaos an, das sich ihnen bot. Auf der Tischplatte lagen ein paar Bögen Papier, teils bekritzelt, andere blank und unbenutzt. Bekritzelt war auch nicht der richtige Ausdruck, es waren unvollendete Schwarzweißzeichnungen, die sie aus der Ferne nicht näher erkennen konnten. Links auf dem Esstisch stand noch Geschirr vom Mittagessen herum, die andere Hälfte stand auf der Arbeitsplatte neben der Spüle. Kaum hörbar grummelte Megumi leise und seufzte. Als sie die Tüten abgestellt hatten, überflog sie wieder das kleine Chaos, gezielt lief sie am Esstisch vorbei und schob mit einem Handgriff die losen Blätter auf dem Couchtisch zusammen. Stumm und irritiert beobachteten Chrissie und Nina sie.

„Das sieht nicht so aus, als ob mein lieber Gatte sich wie versprochen ausgeruht hätte.“, sagte Megumi schließlich in die Stille hinein, den Stapel weißer Blätter an ihre Brust gedrückt.

Da geschah etwas in ihrer nachdenklichen Miene, das fast aussah wie eine Erleuchtung. Sie lief davon in Richtung Flur, ihre Gäste folgten ihr hastig. Rechts um die Ecke stand sie vor der ersten Tür und lauschte vorsichtig, es war der Raum, den Hyde ihnen beiden als sein Arbeitszimmer beschrieben hatte. Megumi klopfte nicht an, es war als wüsste sie, dass niemand sie hören würde, selbst wenn sie es getan hätte. Durch den Türspalt, der sich auftat als sie die Türklinke runterdrückte, drangen Klänge einer Akustikgitarre heraus. Ein stummes “Oh!“ entfuhr den Freundinnen, die fließenden, ruhigen Klängen ergaben nach wenigen Akkorden eine unbekannte, ruhige Melodie. Nina war überfragt, sie erkannte den Song einfach nicht, auch bei Chrissie blieb eine wegweisende Reaktion aus, es musste sich um eine Neukomposition handeln, denn die Rotblonde würde fast jedes Lied von ihm oder L’arc~en~Ciel im Schlaf erkennen. Megumi öffnete die Tür ganz, jetzt sah man auch, wieso man vorher von der Musik nichts gehört hatte, denn die Wände waren mit einer speziellen Wandverkleidung schalldicht gemacht worden. Links an der Wand erstreckte sich ein langes, schmales und offenes Bord mit vielen Büchern und Tonträgern. Darüber hingen eingerahmte CDs, Poster und Fotos. Geradezu standen einige Gitarren, was rechts war konnte man nicht direkt sehen. Megumi wand sich zu ihnen um und winkte sie heran. Als sie um die Tür herum schmulten sahen sie neben ihr einen Schreibtisch mit einem Laptop drauf, an der rechten Wand stand eine Liege, die unausgeklappt wohl eine Schlafcouch darstellte. Und genau auf dieser Couch saßen Hyde und Hiroki. Der Kleine blätterte in einem Bilderbuch mit dicken Kartonseiten und sein Kopf wackelte halbwegs rhythmisch zu Hydes Musik und Gesang, der ihm im Schneidersitz gegenüber saß. Sie beide schienen noch gar nicht gemerkt zu haben, dass sie längst Zuschauer hatten, die geradezu entzückt von diesem Anblick waren. Ein natürlicher, weiblicher Impuls rührte sich in den drei Frauen. Egal ob selbst Mutter oder nicht, wer von so einem Mann und Vater nicht bedingungslos angetan und hingerissen war, konnte nicht richtig im Kopf sein! Hydes Stimme verstummte und mit Auflegen seiner Hand auf die Saiten brach auch das Nachhallen der Gitarre ab.

„Es ist unhöflich andere Leute zu belauschen.“

Keck warf er ihnen von unten nach oben einen schelmischen Blick und ein herausforderndes Lächeln zu. Auch seine Zunge konnte er wie üblich nicht da lassen, wo sie hingehörte. Er hatte also doch gemerkt, dass sie gekommen waren.

„Mama!“, freute sich Hiroki überschwänglich und kletterte von der Liege herunter, mit ausgestreckten Armen lief er seiner Mutter entgegen und kuschelte sich an ihren Hals, nachdem sie ihn hochgehoben hatte.

„Na mein Schätzchen, war es lustig mit Papa?“

Der Kleine nickte süß lächelnd und zeigte mit seinem linken Zeigefinger zurück auf die Schlafcouch, von der sich sein Vater gerade erhob.

„Buch!“, sagte er fröhlich, dann sah er zu wie sein Papa seine Gitarre wieder an die Wand zu den anderen stellte.

„Papa ’sik!“

Musik, Hiro-chan, es heißt Musik. Papa hat für dich Musik gemacht, stimmt’s?“

„Das Beste hast du verpasst, am Anfang haben wir noch gemeinsam auf der Gitarre gespielt, nur einer von uns beiden muss definitiv noch an seinem Stil arbeiten.“

Megumi warf Hyde einen schiefen, ermahnenden Blick zu.

„Hatte ich dir nicht ausdrückliches Arbeitsverbot erteilt, mein Lieber?“

„Behauptest du etwa, ich hätte mich nicht daran gehalten?“

Gespielte Entrüstung lag in seiner Stimme, er machte auch übertrieben große, entsetzte Augen, Megumi rollte daraufhin mit ihren Eigenen und ihre beiden Gäste kicherten leise.

„Nun ja, das kommt drauf an, als was du das hier bezeichnen würdest.“

Sie drückte ihm prompt den Stapel Papier in die Hände, den sie noch immer mit sich rumschleppte. Schuldbewusst überflogen Hydes Augen die oberste Seite, er grinste verschmitzt.

„Und Musizieren im Arbeitszimmer gilt bei mir auch als Arbeit.“

„Aber Megumi, Musik ist gut für die Entwicklung eines kindlichen Gehirns, soll ich das unserem Sohn vorenthalten, wo er es doch so genießt?“

„Oh Haido~, warum nur konnte die Musik dir nicht deine Flausen aus dem Kopf treiben oder wenigstens deine Ausreden glaubhafter machen?“

„Ich habe auch wirklich nicht zu viel gemacht und habe mich gut erholen können!“, verteidigte sich der angeklagte Sänger vehement und tauschte einen funkelnden Blick mit seiner Frau nach dem anderen.

„Das glaube ich dir auch, ich habe unseren Esstisch gesehen.“

Hyde hatte verloren und weil er das wusste, biss er sich kurz ergebend lächelnd auf die Unterlippe. Sie verließen das Arbeitszimmer, Megumi setzte ihren Sohn zu seinen Spielsachen im Wohnzimmer und widmete sich dann dem Verräumen der Einkäufe, während Hyde sich ohne Aufforderung seinem zurückgelassenen Geschirr zuwendete.

„Hattet ihr denn eine schöne Zeit zu dritt?“, fragte er neugierig nach und versuchte vorab eine Antwort aus den Gesichtern von Chrissie und Nina abzulesen.

Etwas unbeholfen standen sie in der Nähe des Tresens und beobachteten, wie Megumi das eingekaufte Gemüse abwusch, bevor sie es sorgfältig im Kühlschrank verwarte, direkt in Obstschalen oder auf der Arbeitsfläche verteilte.

„Es war sehr unterhaltsam unterwegs und vor allem sehr interessant und aufschlussreich! Stell dir vor, ich habe tatsächlich richtiges Brot und Milch eingekauft! Und überhaupt, wir haben über die unterschiedlichten Dinge unterhalten, wahrscheinlich würden wir noch immer plaudernd unterwegs sein, aber du siehst ja, die Zeit rennt und jetzt ist es schon bald wieder Abend.“

Megumi strahlte richtig, also musste sie wirklich ihren Spaß gehabt haben. Zufrieden rieb er sich die Hände, er wusste doch, dass die beiden Ausländerinnen ein Zugewinn als Gesellschafterinnen für seine Frau waren.

„Entschuldigt bitte, ich würde gern eine Weile in der Einliegerwohnung verschwinden, ich bin noch ganz verschwitzt vom Tragen und möchte mich deswegen frisch machen.“, lenkte Nina kurz vom Thema ab.

„Ach Gott, ja das habe ich schon ganz vergessen. Natürlich, geh nur! Nina hat die Getränke für sie beide ganz allein getragen, Hyde. Wo wir gerade bei frisch machen sind, ich würde eure Sachen die ihr mit in den Urlaub genommen habt durchwaschen, wenn da Bedarf besteht. Eure Reisetaschen sind für einen zweiwöchigen Urlaub recht klein, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass da genug Wechselwäsche hineinpasst.“

Innerlich riefen sie ein seliges Hallelujah aus, Chrissie nickte dankbar.

„Das wäre fantastisch, wir hatten uns nämlich schon überlegt, wo wir in der Nähe vielleicht einen Waschsalon finden könnten.“

„Dann begleite Nina-chan doch direkt und leg mir einfach alles raus, was gewaschen werden muss. Ich werfe dann direkt eine Waschmaschine an, dann ist morgen alles schon wieder sauber und trocken.“

Hydes Frau war wirklich eine Perle, ihre Fürsorge brachte sie beide dazu sich zu fragen, ob sie später dem richtigen Mann auch so eine tolle Partnerin sein würden.

„Danke, das mach ich. Ich wollte eh noch mal die Reiseveranstaltung anrufen, wegen der Sache mit dem Rückflug. Bis gleich dann.“

„Bis gleich!“, riefen Megumi und Hyde ihnen hinterher.
 

Umsichtig hatten sie gleich noch die eine Tüte mit ihren eigenen, speziellen Lebensmitteln und die Wasserflaschen in die kleine Wohnung mitgenommen. Nina rauschte angeekelt vor sich selbst ins Bad und Chrissie räumte das wenige Essen weg. Dann nahm sie ihr Handy zur Hand und führte endlich das aufgeschobene Gespräch vom Morgen.

Als Nina erfrischt zurückkam hatte sie ihre Haare im Nacken zu einem losen Knoten hochgebunden und sich den Pony mit zwei Haarklemmen zur Seite gesteckt. Ihre rothaarige Freundin war da bereits fertig mit ihrem Telefonat.

„Ninchen, ich hab eine gute und eine schlechte Nachricht.“

Ihr bedröppelter Gesichtsausdruck mit der vorgeschobenen Unterlippe, den Hundewelpenaugen und die Art, wie sie ihren Kopf zwischen ihre angehobenen Schultern sinken lies, erschreckten die Größere einen Augenblick lang, doch was sie davon halten sollte würde sie wohl nur erfahren, wenn Chrissie es ihr erzählte. Sie wartete mit verschränkten Armen ab.

„Ich fange mit der Guten an, ok? Also ich habe das Reisebüro erreicht und tatsächlich ist es möglich, dass wir vom Narita Flughafen hier in Tokyo unsere Heimreise antreten und nicht erst zurück nach Kyoto, beziehungsweise Osaka dafür müssen.“

„Ok, das klingt ja ganz gut… und die schlechte Nachricht?“

„Wegen der Kurzfristigkeit und den Zusatzkosten durch die Umbuchung des Flugs etc., müssen wir schon Freitagabend fliegen und nicht erst am Samstagmorgen.“

Nina klappte der Mund auf.

„Wir verlieren also einen halben Tag???“

Chrissie nickte seufzend und entspannte ihre Haltung wieder.

„Aber es macht eigentlich keinen Unterschied ob wir nun schon Freitagabend wieder nach Kyoto fahren um auf unseren Flug zu warten, oder ob wir einfach entspannt die letzten Tage hier genießen und dann Freitag ohne Stress von hier aus in den Flieger steigen.“

Da musste sie ihrer älteren Freundin Recht geben, trotzdem war es ein deprimierendes Gefühl. Ihnen blieben jetzt also noch sechs Nächte in ihrem Lieblingsland, in dem sich in den letzten Tagen ihre unglaublichsten Träume erfüllt hatten. Mit Schwermut dachte Nina an die Zeit mit Gackt zurück und bedauerte zutiefst, dass sie die Erinnerung daran nicht wie einen Film abspeichern konnte. Jede Stunde hier in Tokyo bei Hyde und seiner Familie, so schön das auch war, vernebelte das Erlebte der vergangenen Woche Stück für Stück mehr. Sie ahnte nicht, dass die neue Organisation ihrer Zeit auch in Chrissie etwas schmerzvoll bewegte. Nur war sie sich selbst noch nicht mal im Ansatz darüber im Klaren, woran das genau lag und das unangenehme Pieksen in ihrer Magengegend war auch noch nicht präsent genug, um darüber mit ihrer besten Freundin zu reden, geschweige denn ernsthaft darüber nachzudenken.

Gestrafft gesellten sie sich wieder zu Megumi in den Küchenbereich, sie hatten zwei Beutel mit Schmutzwäsche bei sich, die sie zuvor aus ihren Reisetaschen gezückt hatten.

„Wo hast du denn Hyde gelassen?“, fragte Chrissie neugierig.

„Er ist mit Hiroki im Kinderzimmer, dort spielen sie wahrscheinlich jetzt noch ein wenig, bevor das Abendessen dann fertig ist. Dem Kleinen wird hier im Wohnzimmer immer so schnell langweilig, aber ich hab es nicht gern, wenn dann alles hierher getragen wird, wo er doch ein Kinderzimmer für sich hat. Normalerweise spielt er natürlich trotzdem hier, denn er ist noch zu klein um ganz allein für sich zu sein. Jetzt wo Hyde hier ist, ist es natürlich einfacher für mich und ich kann in Ruhe kochen.“

Nina sah ihr neugierig auf die Finger.

„Was genau kochst du denn?“, fragte sie interessiert.

„Ramen nach Shoyo-Art, eines von Hydes Lieblingsgerichten, damit er für morgen auch richtig gestärkt ist.“

Ramen! Da lief auch ihnen das Wasser im Munde zusammen!

„Kann ich dir helfen? Oder zumindest zusehen? Bitte, ich koche selber sehr gerne und ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn ich das Wissen um die Zubereitung von echten, japanischen Ramen mit nach Hause nehmen könnte!“

Megumi war überrascht, aber fühlte sich geschmeichelt und freute sich, dass Nina so viel Interesse zeigte.

„Warum nicht? Du kannst mir gerne ein wenig helfen und dir was abschauen, vielleicht bringst du mir ja auch ein, zwei deutsche Gerichte bei? Sich beim gemeinsamen Kochen zu unterhalten vertreibt auch die Zeit sehr gut.“

Aufgeregt klatschte Nina ihre Hände zusammen und wusch sie sich noch mal vorsorglich an der Spüle.

„Und was soll ich solange machen?“, fragte Chrissie, die sich ein wenig übergangen und überflüssig fühlte.

„Wenn du möchtest kannst du auch mitmachen.“, lud ihre Gastgeberin sie ein.

Ihre blauen Augen überflogen flüchtig den Platz um die Kochfläche herum, dann schüttelte sie nur höflich den Kopf.

„Lieber nicht, kochen ist nicht unbedingt meine Stärke und zu viele Köche verderben den Brei… ein deutsches Sprichwort an dem eine Menge dran ist.“

„Na ja… dann bring doch die Beutel mit der Wäsche in den Hauswirtschaftsraum und stell sie einfach vor die Waschmaschine, den Rest erledige ich später.“, ermutigte Megumi sie erneut.

Chrissie fügte sich ohne Widerworte und nahm sich ihrer Aufgabe gewissenhaft an.

»Es war der Raum links neben Hydes Arbeitszimmer, oder?«

In dem Gang zwischen den fünf Türen musste sie sich erst noch einmal darauf besinnen, wo laut Hydes Beschreibung welches Zimmer gewesen war. Ihre Sorge den richtigen Raum nicht auf Anhieb zu finden war jedoch unbegründet. Der Hauswirtschaftraum bestand aus drei Bereichen, die ineinander übergingen. Rechts und geradezu an den Wänden standen Regale in denen allerhand Vorräte und Getränke gelagert wurden. Hier stand auch Hirokis vermeintlicher Buggy drin. Links daneben im mittleren Bereich stand eine Waschmaschine und ein Trockner, die Geräte sahen jedoch so futuristisch aus, dass sie sich kaum traute näher hinzusehen, wie sie wohl funktionierten. An der Wand gegenüber standen angelehnt ein zusammengeklappter Wäscheständer und ein Bügelbrett, in den Hängeschränken darüber standen dann wahrscheinlich die Waschmittel und Wäscheklammern - insofern so was hier Verwendung fand - und das Bügeleisen. Über den Rest dachte sie nicht nach, denn der hinterste Bereich war der Schönste. Die linke Wand hatte wieder diese Typischen Fenster, darunter stand ein kleiner Zweisitzer und auf einem rollfähigen Beistelltisch eine kleine, silberne Anlage. An einer Wand hingen Regale mit ein paar Büchern. Hier herrschten warme, weibliche Farbtöne vor. Chrissie konnte sich gut vorstellen, dass Megumi dieses Zimmer auch mal dazu aufsuchte um ganz für sich zu sein und vielleicht sogar etwas eigener Arbeit nachzugehen. Oder was immer eine japanische Prominentenehefrau tat, die daheim ein Kleinkind großzuziehen hatte.

Nachdem sie genug gesehen hatte wollte sie zurück ins Wohnzimmer, doch Kinderlachen und die verstellte Stimme ihres Lieblingssängers lies sie vor dem Kinderzimmer inne halten. Sie zögerte, ob sie anklopfen sollte, oder lieber übervorsichtig der Privatsphäre wegen einfach planmäßig weiter zurück zu Nina und Megumi gehen sollte. Doch sie war einfach zu neugierig auf das Zimmer des Kleinen und von Hyde allein hatten sie seit ihrer Ankunft auch nicht mehr wirklich was gehabt.

»Anklopfen tut ja nicht weh, ich platze ja nicht gleich herein.«

Ihrem Bauchgefühl folgend klopfte sie einfach an und wartete, was passieren würde.

„Komm doch einfach rein!“, rief Hyde von innen, nervös folgte Chrissie seiner Einladung.

„Ach du bist es, Enah.“

Hätte er das jetzt betont, als wäre er enttäuscht oder gar negativ überrascht gewesen, wäre sie wahrscheinlich auf dem Hacken wieder umgedreht, doch seine schokoladenfarbigen Augen lachten und auch sein Lächeln schien ehrlich.

„Ist denn das Essen schon fertig? Megumi hat doch gerade erst angefangen.“

Wie aus einem tiefen Gedanken erwachend schüttelte Chrissie desorientiert ihr Haupt. Einen Moment lang hatte sie durch den Gedanken an Hydes ausdrucksstarkes Gesicht ihre Umgebung ausgeblendet, auch seinen fragenden Blick, der auf ihr lag.

„Äh, nein, nein! Nina hilft ihr und mir ist jetzt ein wenig langweilig, weil ich da ungern auch noch meine Finger mit reinstecken möchte.“, plapperte sie schnell die Wahrheit herunter und rang um etwas mehr Selbstsicherheit.

Hyde belächelte ihr schüchternes Auftreten liebevoll und winkte sie aus dem Türrahmen heraus und zu sich und seinen Sohn heran. Erst jetzt fiel ihr auf, wie bunt und groß das Kinderzimmer des Kleinen war. Hier lag Kurzfloorteppich und er war Sonnengelb, überall auf dem Boden verteilt lagen große, flauschig aussehende Läufer die aussahen wie bunte Spiralbälle in sämtlichen Farben von Hellgelb bis Dunkelrot. An den Wänden fanden sich in unterschiedlicher Anordnung und Gestaltung Farben wie Grün und Dunkelblau in Streifen wieder. Selbst die hellen Ahornmöbel, in denen fast ausschließlich hochwertiges Spielzeug stand, hatten teilweise farbige Fronten. Das Zimmer war nicht zugestellt, die Möbel die es gab waren funktionell und praktisch ausgesucht worden. Ein paar Kisten, eine große Spielzeugtruhe, kleine Regale für die größeren Spielsachen, ein Wickeltisch und ein dreitüriger Kleiderschrank. Natürlich auch ein Bettchen und das war echt ein Highlight! Anders wie die meisten Kinderbettchen war das hier nicht nur etwas größer, sondern hatte auch einen pastellblauen Himmel, der quer über die gesamte Breite des Betts verlief anstatt nur auf der Kopfseite. In der Mitte am höchsten, zentralen Punkt baumelten zwei kleine, kuschelnde Teddys. Die Wand gegenüber der Tür bestand wieder nur aus Fenstern, die verborgen hinter schwer fallenden, weißen Gardinen lagen. An den Seiten hingen verdunkelnde, dunkelblaue Vorhänge herab die wahrscheinlich zur Schlafenszeit zugezogen wurden. Hier drang noch das meiste Tageslicht hinein, Chrissie vermutete, dass dieses Zimmer Westseitenausrichtung hatte.

„Möchtest du dich zu uns setzten? Man kann nie genug Architekten haben, nicht wahr, Hiroki?“

Chrissie sah Hyde und seinen Sohn in Unmengen an Lego Duplo Steinen sitzen und wenn sie an Unmengen dachte, dann meinte sie MASSEN davon! Gemeinsam hatten sie schon eine halbe Kleinstadt aus Lego-Häusern um sich herum errichtet, Hiroki steckte gerade wieder einen von vielen einsteinigen Türmen zusammen und beachtete sie gar nicht weiter.

„Na klar, gerne.“

Ein wenig unbeholfen setzte sich die schmale Frau im Schneidersitz zu ihnen und nahm ein paar Steine in die Hand, bei denen sie noch grübelte, welche Verwendung sie wohl finden würden.

„Wie ist es, mögt ihr Megumi?“, stellte Hyde aus dem Nichts heraus eine Frage an sie.

„Ja! Sie ist toll, ich hätte sie nur niemals so… locker eingeschätzt.“, antwortete sie und entscheid sich für den Bau einer Lego-Brücke.

„Ist locker gut oder schlecht?“

„Locker ist sehr gut!“, versicherte sie Hyde und schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln.

Es machte sie nach wie vor nervös, wenn sie praktisch alleine mit ihm war und er ihr dann immerzu Fragen zu allem Möglichen stellte.

„Dann lass uns doch auch immer ganz locker miteinander umgehen.“

Verdutzt sah sie ihn an. Die Frage, sie ihr ins Gesicht geschrieben stand, war nicht misszuverstehen. Hydes Miene war freundlich, aber sein Blick verriet, dass er meinte, was er sagte.

„Enah, wie kommt es, dass wir immer, wenn wir untereinander sind, ins Stocken geraten mit unserem Gespräch? Ich kann dich ehrlich sehr gut leiden, nur wirst du immer ganz still ohne jemand anders in der Nähe und das verstehe ich gar nicht.“

Chrissie steckte ihre Brücke fertig zusammen und überlegte mit hitzigem Kopf, wie sie Hyde klarmachen sollte, wie es ihr dabei ging, wenn sie zusammen waren.

„Nun… ich bin einfach keine große Rednerin, wenn es um mich allein geht. Wenn man mich nicht speziell fragen würde, dann würde ich wahrscheinlich so gut wie gar nichts von mir erzählen.“

„Aber warum denn? Ich würde gerne mehr über dich wissen, es ist ein seltsames Gefühl, mit der Gewissheit zu leben, dass du und Nina wahrscheinlich viel mehr über mich wisst, als ich über euch.“

Er lachte dabei ganz leise, der Gedanke war wirklich irgendwie komisch, da hatte er Recht. Sie errötete sacht durch seine freundliche Aufforderung doch mehr von sich Preis zu geben.

„Ich mache mich nicht gerne wichtig, schon gar nicht, wenn ich mit jemand wie dir zusammen bin.“

„Mit jemand wie mir, aha.“, wiederholte er mit einem verführerischen, schiefen Lächeln auf den Lippen, seine Augen glänzten hungrig.

Diesen Gesichtsausdruck kannte Chrissie aus Videos, in denen er absichtlich seinen Sexappeal ausspielte um andere in Verlegenheit zu bringen, oder sich verrucht zu geben. Ob das jetzt jedoch beabsichtigt war, blieb fraglich, seine Wirkung auf sie verfehlte er jedoch nicht. Starkes Herzklopfen und ein Kopf in dem alles wirr schwirrte waren die Folgen. Es war ein ähnlich umwerfendes Gefühl wie als sie ihn auf der Bühne in Kyoto gesehen hatte, nur besser, denn jetzt saß er ihr gegenüber.

Ein plötzlicher Trotzanfall Hirokis aufgrund zweier sperriger Legosteine unterbrach die beiden kurzzeitig und sofort war Hyde wieder der kindliche Vater für seinen Sohn. Das gab der Rotblonden einen Moment Zeit sich wieder zu akklimatisieren, doch der Sänger hatte keinesfalls vergessen, wo sie stehengeblieben waren.

„Es ehrt mich, dass du dich so bescheiden gibst, aber das brauchst du nicht. Ich meine es ehrlich wenn ich sage, dass ich mich gerne mit dir unterhalte. Du brauchst dich weder zu schämen noch übertrieben viel Respekt vor mir zu haben oder denken, ich fände uninteressant, was du mir erzählst.“

Er klang aufmunternd und motivierend.

„Du warst unbefangener, als wir uns kennengelernt haben und noch bei Gackt in Kyoto waren. Diese Enah wünsche ich mir auch hier, fühl dich Megumi und mir gegenüber frei, ich hätte euch nicht eingeladen wenn ich mir nicht sicher wäre, dass wir mit eurer lockeren Art zurrecht kommen.“

Das aufmunternde Strahlen, welches sich jetzt über sein Gesicht erstreckte, war so entwaffnend, dass es Chrissie die Sprache verschlug und sie nur ein stumpfsinniges Lächeln hinbekam. Schmachten war sonst nicht so ihre Art, aber sie konnte einfach nicht anders!

„Versprichst du mir, dass du wieder mehr aus dir herauskommst? Und das du dasselbe auch noch mal Nina sagst?“

Sie nickte nur, um ihren Kopf schwebten lauter Wölkchen, die ihr Reaktionsvermögen deutlich einschränkten. Hyde war zufrieden mit dem Ergebnis dieses Gesprächs, er würde schon noch dahinter kommen, warum sich diese junge Frau so schwer dabei tat, sich anderen als ihrer Freundin so ganz zu öffnen. Da machte es Klick bei ihm und eine aufgeschobene Frage drängte sich wieder in sein Bewusstsein.

„Darf ich dir eine Frage stellen?“, begann er vorsichtig herantastend.

Hiroki zwischen ihnen beschäftigte sich derweil destruktiv mit der Lego-Stadt und zerlegte sie langsam aber sicher und unter freudigem Gequietsche in ihre Bestandteile.

„Ja, wie könnte ich jetzt noch nein sagen?“, entgegnete sie belächelnd.

„Das beschäftigt mich jetzt schon eine ganze Weile, du musst aber nicht darauf antworten, wenn du nicht möchtest.“

Dass er so seine Frage anfing machte sie stutzig und ihr Lächeln wurde dünner.

„Was war da zwischen dir und Nina, was dich einst so fertig gemacht hat? Du hast es Gackt gegenüber erwähnt, als du ihm nach dem Tourfinal die Meinung gesagt hast.“

Es war, als würde ein schwerer Stein in ihre Magengrube fallen, schwer ausatmend und mit leerer Miene blickte sie auf die Trümmer der Legobauten. Hyde war erschrocken darüber, wie plötzlich die ganze Wärme und Weichheit aus dem Gesicht seiner Gesprächspartnerin gewichen war, alles an ihr wirkte auf einmal steif und puppenhaft. Gerade als er seine Frage zurücknehmen wollte, begann Chrissie zu antworten.

„Es ist ungefähr zwei Jahre her, aber Nina und ich reden eigentlich nicht darüber. Wir haben alles geklärt und es ist schwer zu erklären… Es kam damals relativ unerwartet als ich mit meiner Großmutter in den Urlaub fliegen wollte… Irgendwas lief in unseren Absprachen und unserer Kommunikation schief, auf jeden Fall hat sie einen Fehler gemacht, der an sich nicht schlimm war, aber danach lief irgendwie plötzlich alles aus dem Ruder, wir gerieten per SMS aneinander und auf einmal stand alles Kopf. Nina war plötzlich nicht mehr meine Freundin und ich hab geglaubt, ich bedeute ihr nichts mehr und sie würde alles ernst meinen…“

Ihre Stimme war immer leiser geworden, einen flehentlichen Blick an Hyde gewandt und er verstand, dass sie dabei nicht weiter ins Detail gehen wollte.

„Danach haben wir uns beide irgendwie unreif verhalten und es kam über einen ziemlich langen Zeitraum hinweg nicht zu einer persönlichen Aussprache. Irgendwas hat es immer gegeben, das im Weg gestanden hat und ich hab angefangen abzubauen. Ich hatte mein Lachen verloren, ohne Nina erschein mir alles öde und farblos, ich fühlte mich verraten und fallengelassen. Niemand kümmerte es jetzt, wie es mir ging und ich hatte auch keinen Appetit mehr. Alles schmeckte gleich fade, ich hab mich selber einfach verloren. Aber irgendwann war sie wieder da und hat mir praktisch ein Seil zugeworfen. Ich konnte es gar nicht fassen, dass sie selber auch gelitten und mich vermisst hatte, aber es war so. Wir sprachen uns unter etwas erschwerten Bedingungen aus und dann ging es langsam wieder aufwärts. Seither sind wir enger befreundet als zuvor, zu spüren wie sehr wir aneinander hängen hat uns zusammengeschweißt.“

Als sie geendet hatte herrschte erstmal eine trübe Stille. Hyde wusste nicht, was er sagen sollte und Chrissie war sich sicher, dass sie noch nie jemanden annähernd so viel über diese Geschichte preisgegeben hatte, wie ihm. So unangenehm es ihr auch irgendwo war, so froh und erleichtert war sie auch, dass es jetzt raus war und dieses “Geheimnis“ nicht länger zwischen ihnen stand.

„Ist das der Grund, warum du nicht gerne von dir erzählst und dich immer so schlagfertig präsentierst? Das man dir wehtun könnte, wenn du zu viel von dir preisgibst?“

„Ich weiß nicht, darüber habe ich noch nicht nachgedacht… Ich war auch vorher schon irgendwie so, aber vielleicht hat mich das vorsichtiger gemacht, da könntest du Recht haben.“

Etwas verwirrt musterte er sie, noch hatte er nicht in vollem Umfang verstanden, was genau so schlimm an dieser Sache zwischen ihr und Nina gewesen war, dass sie so gelitten hatte und imstande war ihr Wesen zu verändern.

„Wenn das, was Nina damals getan hat so schlimm war, wieso hast du ihr dann verziehen? Warum ist sie dir so wichtig? Ich meine, ich sehe, dass euch beide etwas ganz Festes verbindet, aber ich verstehe es leider irgendwie nicht richtig…“

Er wollte sie nicht weiter mit solchen Fragen belasten, denn er merkte, dass es ihr unangenehm war, doch sie war gewillt ihm zu antworten und setzte wieder an.

„Bevor ich mich mit Nina angefreundet habe führte ich ein langweiliges, normales Leben. Ich richtete mich nach den Regeln meiner Eltern und der Gesellschaft, war wohlerzogen, sittsam, bemühte mich in der Schule und bekam meinen Alltag halt irgendwie rum. Ich hatte halt dieses Hobby, das ich aber mit niemanden geteilt habe, weil es mir unangenehm war mich vor anderen dazu zu bekennen.“

„Du meinst Manga und Anime?“

„Ja, das ist manchmal ein schwieriges Thema Leuten gegenüber die, es nicht verstehen oder Vorurteile dagegen haben. Man wird schnell ausgelacht.“

Chrissie sprach ohne große Betonung und auch ohne Hyde wirklich dabei anzusehen. Sie schweifte mit ihren Augen in die Vergangenheit ab.

„Als Nina und ich durch Zufall entdeckt haben, dass wir genau dieselben Interessen haben und uns gut verstehen, hab ich zum ersten Mal so was wie einen Sinn in allem gesehen. Sie war ein bisschen losgelöster als ich von den ganzen Regeln und Normen, durch sie bin ich mutiger und selbstbewusster geworden. Man könnte auch sagen, dass ich durch sie der Mensch wurde, der ich heute bin. Wir waren ziemlich schnell so eng befreundet, dass das unser Dasein davon bestimmt wurde, wir gaben uns gegenseitig Halt und sie war der erste Mensch, bei dem ich mich anlehnen und auch mal weinen konnte, wenn es mir schlecht ging.“

Sie machte eine Pause um sich zu sammeln, das Thema ging ihr sehr nah, kritisch beäugte Hyde sie, jederzeit bereit das Gespräch zu unterbrechen, wenn sie nicht mehr konnte, doch jetzt nickte er nur verstehend zu jeder ihrer Ausführungen und war gespannt, was ihn erwartete.

„Sie zu verlieren war mein ganz persönlicher, kleiner Untergang. Alles woran ich glaubte, worin meine Überzeugungen lagen, was mich ausmachte hatte ich zum Teil ihr zu verdanken und sie hat mich spüren lassen, dass auch ich ihr wichtig bin… und auf einmal sollte das alles grundlos vorbei sein? Da war ich einfach nicht mehr ich und ich weiß heute, dass es ihr genauso ging. Es war einfach dumm, was da passiert ist und heute spielt das keine Rolle mehr zwischen uns. Es hat uns stärker gemacht, aber mich vielleicht ein kleines bisschen vorsichtiger darin werden lassen, wie ich mich anderen gegenüber gebe und öffne.“

Eine Pause entstand. Das erklärte natürlich einiges, anerkennend sah er sie an und bewunderte die Freundschaft zwischen ihr und Nina jetzt auf eine ganz andere Weise. Chrissies Blick blieb gesenkt, alles war ihr auf einmal so einfach und leicht über die Lippen gegangen und es hatte sich gut und richtig angefühlt.

„Danke, dass du mir das erzählt hast.“

Mutiger sah sie wieder auf und tauschte ein einfaches Lächeln mit ihm.

„Aber das du das nicht sein musst, also so vorsichtig zu sein, solange du hier bist, das weißt du doch, oder?“

»Wenn ich das nicht spüren würde, dann hätte ich dir das alles nicht erzählt. Dir würde ich wahrscheinlich alles erzählen.«

„Ja, klar weiß ich das, danke dafür.“

Es war erschreckend für Chrissie, wie vertrauensselig sie sich ihm gegenüber verhielt, doch er zog sie einfach in seinen Bann und seine natürliche Art machte es ihr unmöglich sein freundliches Verhalten auszuschlagen.

„Hyde? Enah-chan?“, fragte Megumis Stimme hinter der Tür, gefolgt von ihrem neugierigen Gesicht, dass durch einen Türspalt lugte.

Chrissie folgte Hydes Blick, sodass sie sich umdrehte und Megumi lächelnd begrüßte.

„Ach, ihr spielt beide mit Hiroki! Das ist schön, ich wollte nur mal sehen, wo du abgeblieben bist. Das Essen braucht noch ein bisschen, aber vielleicht räumt ihr mit dem Kleinen dann trotzdem langsam zusammen und leistet uns ein bisschen Gesellschaft. In Ordnung?“

„Ja, Meg. Wir kommen gleich.“

Hydes Frau schloss die Tür wieder und Chrissie übermannte ein schlechtes Gewissen. Mit Hyde so vertraut umzugehen und dann auch noch persönliche Gespräche unter vier Augen zu führen, fühlte sich ein wenig anstößig und verkehrt an, wenn man bedachte, dass seine Ehefrau einen Raum weiter war und sein Lieblingsessen kochte. Hyde merkte davon nichts und motivierte seinen Sohn dazu alle Steinchen so schnell sie drei nur konnten zurück in die Kisten zu räumen. Chrissie beteiligte sich eifrig am Geschehen, doch in ihrem Kopf durchlief sie immer wieder derlei Gedanken, die sich um Hyde und ihr Miteinander drehten. Sie wünschte sich, dass die Zeit, die sie hier verbrachten noch länger andauern würde als nur die nächsten sechs Tage, sie wollte die Erinnerungen an alles festhalten. Sie würde nie vergessen, wie er sie anlächelte oder wie stark seine Aura sein konnte, egal ob auf der Bühne oder privat, doch es würde kein Zurück danach geben. Ihr blieb nur das Hier und Jetzt… und da war es wieder, dieses unangenehme Zwicken in der Magengegend.
 

Anmerkung der Autorin:

Ich habe ein Halloween-Special zu "Coming Closer" hochgeladen, zu finden bei meinen Fanfictions ;)

=> Wer gerne weiterhin über Uploads per ENS informiert werden möchte, meldet sich bitte per Kommi/ENS! Ich gehe nicht mehr die Favoritenlisten durch, weil die Resonanz zu gering ist! ^.~



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (91)
[1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11...20]
/ 20

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  SummerRiver
2012-05-08T11:11:03+00:00 08.05.2012 13:11
Soooo... endlich habe ich alles gelesen :)
Ich bin einfach begeistert von deinem Schreibstil.
Es liest sich sehr flüssig.
Die Story selber finde ich einfach umwerfend und Nina und Chrissie erinnern mich total an mich und meine beste Freundin :D
Ich konnte mich echt gut in die Charas herein versetzen und bin echt begeistert!
Einfach mal Danke für diese echt schöne und gelungene FF :)

Beste Grüße
Shinda
Von: abgemeldet
2010-11-25T19:14:58+00:00 25.11.2010 20:14
Bin zwar spät dran, aber jetz hab ich mich endlich dazu aufgerafft, dir noch ein Kommi dazulassen.
Bei anderen Fics mit Haido wird Megumi ja meist ausgeblendet oder als unausstehliche Furie dargestellt, es ist schön, mal etwas anderes zu lesen.
Die Einkaufstour mit Megumi fand ich sehr interessant... Du hast ein paar nette Hintergrundinformationen eingebaut... und Ninas Gackt-schwärmerei ^^ Bis jetzt war wirklich jeder in der Geschichte meint, sie würde gut zu ihm passen. Na wenn das kein Wink mit dem Zaunpfahl ist! XP Gaku wird sich sicher bald wieder blicken lassen.
Am interessantesten finde ich aber die Beziehung zwischen Hyde und Enah. Ein kleiner Einblick in Haidos Gefühlswelt wäre mal ganz nett, ich fürchte nämlich, das Enah trotz aller guten Vorsätze dabei ist, sich ziemlich zu verknallen! XDD
Ach ja, und ich finde es wirklich toll, dass du Natto eingebaut hast! ^^
Armer Haido, der dann alles auffuttern musste! Igittttt! Es schmeckt tatsächlich so, wie du es beschrieben hast! XDDD
Schreib schön brav weiter! ^^
Von:  Gackto_Sama
2010-11-03T00:17:13+00:00 03.11.2010 01:17
Ernst, aber toll. Kann ich sehr gut nachvollziehen, wie die Freundschaft zwischen Enah und Nina ist. Vor allen Dingen hat mir Hyde als liebervoller Vater sehr gut gefallen. Weiter so (vielleicht wieder etwas lustiger) ...
Von: abgemeldet
2010-11-02T22:27:32+00:00 02.11.2010 23:27
Wirklich ein schönes Kapitel. Kann mich den anderen nur anschließen; normalerweise gibt es ja immer was zu lachen in den einzelnen Kapitelchen aber dass dieses mal ernster war....das war richtig gut! v.a. merkt man hier einmal, dass auch zwischen den Freundinnen nicht immer Eitelsonnenschein war.... Freu mich schon auf die nächsten Seiten :)
Von:  Asmodina
2010-11-02T12:56:12+00:00 02.11.2010 13:56
Ich liebe dieses Kapitel^^...Funkenflug!
Von:  -Arisa-
2010-11-02T10:08:10+00:00 02.11.2010 11:08
Ein schönes Kapitel. Es ist ernster wie das zuvor, aber es passt gut. Ich finde es schön, dass die Zwei sich durch das Gespräch irgendwie näher gekommen sind.^^ Obwohl ich es mir auch ziemlich schwierig vorstelle, dadurch dass es ich sag mal Megumi "gibt". Aber Megumi ist wirklich lieb. Ich bin schon gespannt, was die Zwei noch so alles in Tokyo erleben.
Ich freue mich auf das nächste Kapitel.
Grüße
Von: abgemeldet
2010-11-01T13:19:49+00:00 01.11.2010 14:19
Ein wirklich schönes pitelchen.
Es tut gut mal etwas mehr überr die Freundschaft zwischen nina und Enah zu erfahren und den kleinen hast du echt süß beschrieben.

Von: abgemeldet
2010-10-22T19:16:21+00:00 22.10.2010 21:16
Juhuuuu! Mehr zu lesen!
Ich will, dass sich die story schneller entwickelt TTT_TTT
Du treibst mich echt in den Wahnsinn X_X
Ich will noch MEHR!!!
Hehe, wieder cooles Kapi! Ich frag mich, wie schnell Gaku anfangen wird, die beiden zu vermissen...
Schreib schön schnell weiter... ^^
Von: abgemeldet
2010-10-20T21:18:44+00:00 20.10.2010 23:18
Endlich habe ich mein Internet wieder und was lese ich? Jaaaaaaa :) es gibt eine neues Kapitel ^^

Die Szene am Pool, die Wasserschlacht, ich konnte es mir bildhaft vorstellen und konnte mich kaum noch halten vor Lachen - hast du sehr gut geschrieben :) Das Kapitel habe ich regelrecht verschlungen und war fast enttäuscht, als ich scho wieder am Ende war.... Du schreibst so interessant, so fesselnd, beschreibend, dass man gar nicht mehr aufhören möchte mit dem Lesen - egal wie spät es ist.
Mach weiter so :) Freue mich scho auf das nächste Kapitel. Ich bin ja mal gespannt, wie Megumi auf die beiden reagiert ^^
Von:  -Arisa-
2010-10-19T14:34:56+00:00 19.10.2010 16:34
Tolles Kapitel, ich liebe die Wasserschlacht ^^ und auch all das Andere XD
Bin gespannt wie es weiter geht, freu mich natürlich, dass wenn ich aus dem Urlaub zurück komme das nächste Kapitel wartet. :)
Grüße


Zurück