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Die Drachensonate

Band 2 - Drachen-Saga
von

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Todesspiele

Seit etwa drei Monaten hatten sie weder etwas von Kelvin gehört noch von Billiana. Bereits vor einem Monat hatte Hammond sich auf den Rückweg von der Drachenfeste gemacht, um sich wieder den Angelegenheiten der Rebellion zu widmen. Es war ihm schwergefallen seine Kinder wieder zurückzulassen, doch eigentlich hatte er auch geglaubt, dass die beiden Anführer bald zurückkehren würden.

Langsam mache ich mir Sorgen, dass die beiden sich gegenseitig die Köpfe eingeschlagen haben., gestand sich der Titan seufzend ein. Kel hat so eine Art an sich... Er weiß, wie man Leute auf die Palme bringt!

Und auch wenn Billie kein geborener Drache war, würde sie dennoch ein ähnliches Temperament besitzen. Das konnte eine tödliche Kombination sein! Vor allem, wenn sie lange nur zu zweit trainierten.

Schon seit Tagen suchte er nach Hinweisen in Götterherz. Getuschel, welches von der Rückkehr des Rebellen sprach oder Sichtungen einer absolut tödlichen Attentäterin. Bisher erfolglos.

Jedoch hatte er erfahren, dass auch Wyrnné nach der Elfe suchen ließ. Das ließ Raum für Vermutungen. Entweder sorgte sich der Weltenlenker tatsächlich um sie oder sie war bei ihm aufgetaucht und hatte irgendwas angestellt. Leider hatte er nicht so viele Informanten in Heimdall und die standen dem falschen Gott nicht unbedingt nahe.

Einer dieser Informanten hatte ihn nun um ein persönliches Treffen gebeten. Er hatte eine Unterhaltung belauscht, dessen Inhalt er so pikant fand, dass er es Hammond nicht in einem Brief hatte mitteilen wollen.

Hoffentlich sind es wirklich wichtige und gute Informationen! Es ist echt gefährlich sich persönlich zu treffen., überlegte der Titan schnaubend. Immerhin suchte zurzeit die halbe Belegschaft des Weltenlenkers nach Billiana.

Trotzdem hatten sie einen Treffpunkt vereinbart. Er befand sich außerhalb der Stadt, jedoch relativ nah an den Mauern, um nicht versehentlich auf Räuber zu treffen. Leider barg auch das wieder das Risiko, auf Wyrnnés Wachen zu treffen oder sogar belauscht zu werden.

Er wartete nun schon seit gefühlt einer halben Stunde auf seinen Informanten. Nervös begann Hamm auf und ab zu gehen. Er konnte wirklich nicht nachvollziehen, weshalb er sich so massiv verspätete! Immerhin musste doch auch sein Informant wieder rechtzeitig zurück, damit seine Abwesenheit nicht auffiel.

Als er ein Sausen in der Luft hörte, wich er instinktiv aus. Und das war gut so! Da, wo er eben noch gestanden hatte, steckten nun Wurfmesser in dem Baumstamm. Nur eine Sekunde später und er hätte mindestens eine Klinge in seinem Kopf stecken gehabt! Ob sie auch durch seine Rüstung gedrungen wäre, wollte er lieber nicht wissen.

Atemlos blickte er auf und entdeckte drei Männer. Sie grinsten. Mindestens zwei von ihnen waren Drachenhetzer, während der andere ein Fessler sein musste. Zumindest verriet das seine Waffenwahl... Fessler lernten während ihrer Ausbildung den Umgang mit Wurfmessern, weil sie keine besonders guten Nahkämpfer abgaben.

Dafür hatte man ihm aber offenbar die beiden Drachenhetzer gestellt, die ihre Sicheln bereits in den Händen hielten, die an Ketten befestigt waren. Die Widerhaken sahen unfassbar schmerzhaft aus und weckten in Hammond den Wunsch, nicht getroffen zu werden.

„Mein Freund taucht also nicht auf.“, schlussfolgerte der Titan und versuchte sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen. Wenn er eines wusste, dann dass diese Bestien sich an seiner Furcht nährten.

„Eher nicht.“, erwiderte einer der Drachenhetzer kühl.

„Wollt ihr mich nun umbringen?“

„Es könnte darauf hinauslaufen, Essenzmagier.“, kicherte der Fessler. Er spürte seine Magie, auch wenn er sie noch gar nicht eingesetzt hatte.

Alles schrie nach Falle und ich habe es nicht mal gemerkt!, verfluchte Hammond sich selbst.

Falls er das überlebte, würde er sich zukünftig nicht mehr so von Sorgen ablenken lassen. Hätte er weniger über Kelvin und Billiana nachgedacht, wäre ihm die Sache direkt komisch vorgekommen.

Einer der Drachenhetzer preschte voran und holte mit seiner Sichel aus. Hamm konnte sich gerade so darunter wegducken und konnte hören, wie die Waffe einen weiteren Baum malträtierte. Nur riss er diesen fast in Stücke!

Zwar war seine Waffe eine halbe Fernkampfwaffe, doch Hammond wusste, dass Drachenhetzer sie auch gerne als vollständige Nahkampfwaffe benutzten. Sie waren wahre Kämpfer! Sie passten sich jeder erdenklichen Situation nahezu perfekt an. Und er hatte es direkt mit zwei von ihnen zu tun...

Schnaubend griff Hammond nach seinem Langschwert und zog es aus der Scheide, die er über seinem Rücken befestigt hatte. Gerade noch rechtzeitig, um den Schlag mit der Sichel abzuwehren.

Als der andere Drachenhetzer eingreifen wollte, nutzte Hammond dessen Fehler, die Deckung nicht vollständig aufrecht zu haben und riss zahlreiche Felsen aus dem Boden. Wie Geschosse schleuderte er sie auf den Angreifer, der kreischend versuchte, ihnen auszuweichen. Einige der Steine erwischten ihn jedoch und brachten ihn zu Boden.

Seinen Kollegen schien das besonders wütend zu machen, denn nun schlug er in einer sehr schnellen Abfolge auf ihn ein. Dem Titan fiel es wirklich schwer, die Angriffe mit seinem Langschwert zu parieren. Er war zu langsam! Immer mal wieder traf die Sichel seine Rüstung und beulte diese ein. Ein paar weitere Treffer und das Metall würde gewiss nachgeben oder ihn einengen.

Als der Drachenhetzer zu einem Angriff nach oben ausholte, erschuf Hammond um sich herum eine Rüstung aus Gestein. Laut prallte die Waffe dagegen und ließ den Angreifer angestrengt schnaufen. Seine Hände zitterten nach dem Schlag etwas. Gegen so eine harte Oberfläche zu schlagen, war durchaus unangenehm.

Diese Gelegenheit nutzte der Titan und trat dem Drachenhetzer brutal in die Magengegend, sodass er von ihm weggeschleudert wurde. Im nächsten Augenblick musste er sich schon ducken, denn der Fessler hatte versucht, hinter ihn zu gelangen und ihn zu berühren.

Wütend drehte er sich in der Hocke nach oben, um den Schwertknauf direkt in das Gesicht des Kleineren zu rammen. Der Fessler strauchelte zu Boden und griff nach seiner blutenden Nase.

Just in diesem Moment packte einer der Drachenhetzer ihn von hinten. Hammond begann sich sofort zu wehren und es fiel der Kreatur auch sichtlich schwer, ihn zu halten, aber er schaffte es dennoch die Sichel an seine Kehle anzusetzen.

Mit geschlossenen Augen schloss Hamm mit seinem Leben ab. Er sah das Lächeln seiner toten Frau vor Augen und hörte das Lachen seiner Kinder. Dann hörte er-... ein Röcheln!

Irritiert blinzelte der Titan und stellte fest, dass der Drachenhetzer ihn nicht mehr festhielt. Ganz im Gegenteil! Die Bestie lag auf dem Boden, während Blut aus einer Schnittwunde direkt an seiner Kehle in den Boden sickerte.

Sofort drehte er sich um und sah in das grinsende Gesicht von Kelvin Morgenstern!

„Ich... war noch nie glücklicher, dich zu sehen!“, keuchte Hammond atemlos. Er schwitzte bereits durch die Anstrengungen und auch durch seine Nahtoderfahrung.

„Ist mir immer wieder eine Freude.“, erwiderte der Rebellenanführer gelassen.

Überrascht stellte Hamm fest, dass Kelvin nicht mehr seine üblichen Dolche führte. So oft hatte der Anführer darüber geklagt, dass sie seinen Ansprüchen nicht entsprachen und geschworen, dass er sich vernünftige Waffen schmieden lassen würde. Nur hatte er es nie getan. Nun aber schien der Essenzbeherrscher endlich die alten Teile abgestoßen zu haben.

Deshalb konnte er so leicht durch die stabile Haut des Drachenhetzers schneiden... Diese Waffe ist eindeutig mit Mithril hergestellt worden!, dachte der Titan anerkennend. Ehrfürchtig musterte er die Dolche und wünschte sich, dass er auch so ein hochwertiges Schwert hätte.

Der andere Drachenhetzer ließ ihnen aber keine weitere Zeit zum Bewundern und Freuen. Zornig wollte er sich auf Kelvin stürzen, der im letzten Moment einen Seitenschritt machte und seinen Umhang nutzte, damit die Waffe des Hetzers sich darin verhedderte. Diesen Schachzug kannte er sonst von Billie!

Geschickt drehte sich der Rebellenanführer herum und riss den Drachenhetzer durch den Schwung mit sich. Während dieser fassungslos versuchte, seine Waffe aus dem Stoff zu befreien, trat Kelvin ihm direkt in die empfindliche Seite.

Auch der Essenzbeherrscher machte den Fehler, dass er den Fessler zu lange aus den Augen ließ. Plötzlich berührte dieser den Anführer, der den überheblichen Fessler direkt in die Augen stierte.

„Ohne Magie hältst du dich wohl nicht mehr für so toll?“, spottete die Bestie.

„Hast du mich gerade Magie einsetzen sehen?“, hakte Kelvin nach und begann kalt zu grinsen.

Bevor der Fessler überhaupt begriff, dass er einen Fehler gemacht hatte, rammte Kelvin ihm bereits seinen Dolch vom Kinn direkt in den Schädel. Gnadenlos riss er die Waffe zurück, was aus der Wunde Blut und Hirnmasse strömen ließ, während die Kreatur tot zu Boden sackte.

Derweil hatte es der Drachenhetzer jedoch geschafft, sich aus dem Umhang zu befreien, der nun diverse Löcher und Risse von der Sichel aufwies. Der Rebellenanführer scherte sich nicht darum, der stattdessen den nächsten Angriff mit überkreuzten Dolchen parierte.

Hammond wusste, dass er ihm eigentlich helfen sollte, doch er stand einfach nur da! Mit offenem Mund starrte er. Irgendwie konnte er nicht fassen, wie sehr der Rebell sich in den drei Monaten verändert hatte. Wie beeindruckend seine Fähigkeiten geworden waren! Ohne Magie...

Kelvin schien sich nicht an der unterlassenen Hilfestellung zu stören. Grinsend trat er lieber immer wieder nach dem Drachenhetzer, der versuchte dem Fuß auszuweichen. Einige Male gelang ihm das auch, doch weil er weiterhin Druck mit seiner Sichel auf die Dolche ausübte, kam er nicht besonders weit weg von dem Essenzbeherrscher.

Kurz darauf schaffte es der Blondschopf, den Hetzer immer wieder zu treffen. Jeder Tritt schien brutaler als der vorherige zu sein und zwang den Angreifer schließlich, doch zurückzuweichen.

Der Rebellenanführer setzte der Kreatur direkt nach und begann eine schnelle Schlagabfolge mit seinen Dolchen, die der Hetzer nur mit Mühe und Not parieren konnte. Hammond meinte sogar, dass er zu schwitzen begann, was er noch nie bei diesen Bestien beobachtet hatte!

Just im nächsten Herzschlag schien Kel seine Magie zurückzubekommen, denn plötzlich schossen Steine, die Hamm zuvor noch selbst eingesetzt hatte, hinter ihm hervor und prasselten auf den schreienden Drachenhetzer ein. Blut spritzte, während er sich taumelnd zu retten versuchte.

Auch diesen Moment der Schwäche nutzte der Rebell gnadenlos aus, um nun mit seinen Dolchen mehrere Schnitte zu setzen, die sauber durch die Schuppen gingen. All das schwächte die Kreatur so sehr, dass sie tatsächlich sogar zu fliehen versuchte.

Kelvin war kein Ehrenmann, wenn es um Kämpfe ging und eigentlich hatte Hammond damit gerechnet, dass er den Drachenhetzer von hinten erdolchen würde, doch stattdessen glitt er um ihn herum, indem er die Schnelligkeit der Winde nutzte. Von Angesicht zu Angesicht schnitt er die Kehle des Angreifers auf.

Der Titan konnte den entsetzten Blick des Drachenhetzers erst sehen, nachdem er röchelnd auf seine Knie gesunken war. Sein Leben verließ ihn dabei zusehends. Es tat ihm nicht leid um ihn... Immerhin hatte er gerade mit seinen Freunden versucht, ihn umzubringen! Dennoch gefiel ihm der Anblick vom Tod nicht.

„Bist du verletzt?“, erkundigte sich Kelvin lässig, während er die Leichen nach nützlichen Gegenständen absuchte. Alles, was irgendwie brauchbar schien, steckte er ein, einschließlich von ihren Waffen.

„Du hast gerade problemlos drei von diesen Bestien erlegt und fragst mich ernsthaft, ob ich verletzt bin?!“, fragte der Titan mit trockenem Mund. „Bist du verletzt? Bist du überhaupt Kel?!“

„Na ja... Die waren nun nicht besonders hochrangig.“

Der Rebellenanführer riss die Kleidung der toten Angreifer auf und zeigte ihm die Brandmale auf den Brustkörben der Hetzer. Sie waren wirklich vom niederen Rang gewesen, was sie aber nicht weniger effektiv machte. Immerhin hätten sie Hammond gerade noch fast umgebracht!

„Und nein... Ich bin nicht verletzt.“, lächelte der Blondschopf, nachdem er alles abgesucht hatte. „Ich bin immer noch Kel. Ich habe nur sehr viel gelernt... Die Ausbildung war hart.“

„Sie muss mehr als hart gewesen sein! Du hast so gut wie keine Essenzmagie benutzt... Du bist sonst nur am Zaubern!“

„Witzig... Dass hat Billie auch ständig gemeint.“

„Ist Billie auch wieder zurück?“

„Ehrlich gesagt: Ich habe Billie seit etwa einem Monat nicht mehr gesehen.“, gestand Kelvin nachdenklich. „Meister Ragnar hatte meine Ausbildung abgeschlossen und mir geraten, nach Hause zurückzukehren und nicht auf sie zu warten. Er meinte, sie verschwindet gerne mal... Nach einer Woche habe ich beschlossen, dass er wohl recht hat.“

„Sie ist einfach weg?“

„Sie meinte, dass sie irgendwas zu erledigen hätte und ließ mich mit diesem Drachen alleine.“

„Du hast-... Du meinst wirklich den Meister Ragnar? Vom Drachenhort?“

„Gibt es noch einen weiteren?“

„Nein, natürlich nicht.“, stöhnte der Schwarzhaarige empört. „Aber er ist im Ruhestand! Meister Ragnar bildet keine Magier und Drachen mehr aus... Doch er gehörte zu den besten Ausbildern des Drachenhorts.“

„Nun, für Billie hat er gerne eine Ausnahme gemacht.“, kicherte Kelvin amüsiert. „Aber er hat es ziemlich schnell bereut. Hat sich nicht gerne mit mir herumgeschlagen.“

„Kann ich verstehen.“

„Wir sollten nun lieber verschwinden.“

„Ja... Ja, das sollten wir.“, gab er zu. „Wo die sind, sind noch weitere.“

Hammond sah sich trotzdem nochmals misstrauisch um. Er wollte kein zweites Mal von den Bestien des Weltenlenkers überrascht werden, auch wenn Kelvin offenbar keine Probleme mehr mit ihnen hatte.

Zu seiner großen Erleichterung schafften sie es ohne weitere Zwischenfälle zurück nach Götterherz. Die Leichen würden sicherlich schon bald von irgendwelchen Patrouillen gefunden werden. Es dürfte den Weltenlenker gar nicht gefallen, dass er drei auf einen Schlag verloren hatte!

Durchaus zufrieden sperrte er die Tür zu seinem kleinen Haus auf und ließ Kelvin hinein. Wie immer hielt sich niemand in der Nähe auf, sodass der Titan ihm rasch folgte. Hinter sich verriegelte er die Tür, um anschließend ein Feuer im Kamin zu entfachen.

„Was hast du alles gelernt?“

„Hauptsächlich ging es darum, dass ich lerne ohne Magie auszukommen.“, gab Kelvin zu. „Billie meinte, dass ich süchtig nach Magie bin und ich denke, dass sie recht damit hatte.“

„Und jetzt?“

„Jetzt bin ich wohl nicht mehr süchtig, aber Ragnar meinte, dass ich vorsichtig bleiben muss.“

„Was hat dir der Meister alles beigebracht?“, wollte Hamm wissen. Immerhin hatte er auch einst im Drachenhort gelernt, wie er seine Magie besser lenken konnte. Die Ausbildung war lang und hart gewesen. Definitiv länger als ein Monat!

„Er hat mir beigebracht, wann und wie ich Magie einsetzen sollte. Die richtige Dosierung zum richtigen Moment.“, kicherte der Blondschopf. „Ich hatte die blöde Angewohnheit, meine Magie aus weiter Entfernung einsetzen zu wollen. Er hat mir klar gemacht, dass meine Gegner so viel leichter ausweichen können.“

„Mehr nicht?“

„Vielleicht hat er mir auch ein bisschen das Feuer ausgeprügelt...“

„Ausgeprügelt?“, hinterfragte er überrascht. Die Drachen Midgards neigten nicht gerade zur Gewalt, sondern waren eher friedlich. Sah man von ihrem Temperament ab...

„Ja, wir haben uns fast täglich duelliert und er hat mich ziemlich fertiggemacht.“

„Du hast dich mit Meister Ragnar duelliert?!“

„Ja, habe ich...“, gab er nachdenklich zu. „Und ich habe ihn am Ende endlich besiegt. Davor waren das echt viele harte Niederlagen... War gar nicht gut für mein Ego!“

Unfassbar... Er hat einen der mächtigsten Drachen im Duell besiegt!, sinnierte Hamm mit offenem Mund. Kel hat keine Ahnung, wie besonders ihn das macht. Noch besonderer als sowieso schon!

„Billie hat mir aber jede Menge Informationen über den Weltenlenker geliefert.“, berichtete Kelvin nicht ohne Stolz. „Wir sollten also ein Treffen ansetzen, damit ich einen ausführlichen Bericht abgeben kann. Was wir davon alles überhaupt für uns nutzen können, weiß ich jedoch nicht.“

„Ich werde mich darum kümmern.“

„Hast du etwas zu Essen da? Ich verhungere! Die Rückreise war echt lang...“

„Klar! Ich mache uns etwas. Dann kannst du mir ausführlicher berichten, was alles vorgefallen ist.“, lenkte Hammond direkt ein. Er wollte nicht so lange warten, bis sie ein Treffen des Herzens der Rebellion hatten.

Rasch eilte er in seine kleine Küche, um direkt Essen zu schneiden und Kessel aufzusetzen. Normalerweise kochte er nicht gerne spontan, aber wenn es die Zunge des Rebellenanführers lockern könnte, wollte er mal nicht so sein. Offenbar war in den letzten drei Monaten eine Menge geschehen, was eine richtige Transformation bei Kelvin ausgelöst hatte!

Vielleicht können wir den Weltenlenker wirklich besiegen und uns für alles rächen, was er uns genommen hat., überlegte Hamm hoffnungsvoll.

Zum ersten Mal seit Jahren glaubte er endlich wieder an den möglichen Erfolg der Rebellion. Nicht, weil der Rebellenanführer es ihm einredete, sondern weil er heute etwas gesehen hatte, was er noch nie gesehen hatte.

Er sah einen Menschen, der so mächtig wie der Weltenlenker selbst schien. Vielleicht sogar mächtiger, weil er etwas hatte, was er nicht besaß... Gefühle.

 

Billiana wusste sofort, dass entweder träumte oder sich in einer Art Vision befand. Als sie zu sich kam, war sie plötzlich im Kolosseum von Götterherz und die Menge jubelte um sie herum. Das war es jedoch nicht, was die Elfe davon überzeugte, dass das alles nicht real war, sondern die Tatsache, dass die Menschen einfach durch sie durchgingen.

Es tat nicht weh, wenn die Zuschauer durch sie wanderten und auch sonst spürte sie rein gar nichts, aber es war irgendwie eigenartig. Bisher hatte Billie so etwas noch nie selbst erlebt, jedoch hatte sie durchaus Berichte von derartigen Visionen studiert.

Neugierig sah sie sich um. Alle Sitzplätze und Logen waren belegt, ebenso wie die Stehplätze. Einige Adlige mussten sogar auf eine Loge verzichten und saßen auf den einfachen Plätzen! Natürlich mit angewiderten Gesichtern.

Als sie sich genauer umsah, konnte sie Wyrnné in der Loge ausmachen, in der sich auch Lord Optimus befand. Der beleibte Leiter des Kolosseums wirkte jünger und gepflegter als heutzutage, was ihren Verdacht bestätigte, dass sie eine Vision hatte.

Okay... Was willst du mir schenken, Shiva? Oder eher zeigen..., überlegte die Blondine ernst.

Bei diesem Aufgebot an Zuschauern, konnte es sich nur um eine Veranstaltung handeln: Die Todesspiele. Hierfür kam wirklich jeder Reiche, Adlige und sogar einige Könige angereist, um sich an dem Schauspiel zu erfreuen. Billie war einmal selbst anwesend gewesen. Ihr hatte es den Magen umgedreht!

Die Todesspiele verfolgten nur einen Zweck: Angst verbreiten.

Angst davor, den Weltenlenker und seine Anhängerschaft zu verraten. Angst davor, durch die Hand des falschen Gottes gerichtet zu werden. Doch vor allem Angst um seine eigene Familie.

Die Teilnehmer dieses Arena-Kampfes waren ausschließlich Kinder und Jugendliche von verurteilen Verrätern. In der Regel waren sie nicht älter als sechszehn Winter, aber auch nicht jünger als sieben Winter... Alle von ihnen durften keine Magiebegabung besitzen, wurden aber zur Sicherheit zuvor von einem hochrangigen Fessler berührt.

Selbstverständlich waren die meisten Kinder unerfahren im Kampf! Sie hatten zuweilen höchstens mal eine Mistgabel oder Schaufel gehalten, aber gewiss kein Schwert. Trotzdem drückte man ihnen alle möglichen Waffen in die zittrigen Hände.

Vor etwa zweihundert Jahren hatte Wyrnné dieses Blutgemetzel eingeführt. Er wollte den Rebellen und Verrätern damit klarmachen, dass ihr Handeln Konsequenzen für alle hatte. Vor allem aber für ihre Kinder...

Anfangs hatte es wunderbar funktioniert. Die Aufstände gegen den Weltenlenker waren weniger geworden mit jedem weiteren Todesspiel, doch irgendwann kippte das natürlich. Die Menschen und Nichtmenschen, die gegen ihn waren, wurden unfassbar wütend darüber, dass Kinder für die Verbrechen ihrer Eltern bestraft wurden. Es gab ihnen weitere Argumente, um gegen den falschen Gott vorzugehen und weitere Anhänger für ihre Sache zu gewinnen.

Letztendlich hatte er also das Gegenteil von dem bewirkt, was er erreicht haben wollte.

Trotzdem setzte er die „Tradition“ fort, um die Blutgier seines Volkes zu befriedigen. Wenn man eines über Menschen sagen konnte, dann, dass sie sich am Leid anderer Wesen wunderbar ergötzen konnten. Egal, ob diese Lebewesen Menschen, Nichtmenschen oder Tiere waren. Ihnen ging es nur darum, den Schmerz in ihren Augen zu erblicken und zu beobachten, wie sie qualvoll starben.

Tief holte sie Luft, während sie die Tribüne entlangwanderte und nach etwas suchte, was Shiva ihr zeigen wollte. Noch war nichts ungewöhnlich. Zumindest, wenn man die Abartigkeit des kommenden Spektakels außer Acht ließ...

„Seid alle herzlich Willkommen zu weiteren Todesspielen, meine Damen und Herren!“, begann Lord Optimus schließlich den Anfang des Kampfes einzuleiten. „Wir haben wieder zahlreiche Verräter festnehmen können und deren Kinder werden uns heute mit viel Freude erfüllen!“

Das Publikum jubelte begeistert, als sprach er davon, dass er ihnen allen Goldbarren schenken wollte. Es war widerlich. Billie spürte, wie ihr die Galle hochkam.

„Wir haben heute den Sohn einer besonders widerlichen Familie im Angebot.“, fuhr der Leiter des Kolosseums charismatisch fort. „Kelvin Morgenstern aus dem gefallenen Haus Morgenstern!“

Einige Wachen schubsten den Jungen in die Arena. Die Zuschauer buhten und warfen altes Gemüse herunter, verfehlten jedoch meistens ihr Ziel.

Fassungslos beugte sich Billiana über das Geländer und starrte herunter. Kelvin musste gerade mal dreizehn Winter alt sein, vielleicht sogar etwas jünger. Sein Gesicht war vor Furcht verzogen, während sein ganzer Körper bebte.

In seinen klammen Fingern hielt er zwei alte Dolche, dessen Umgang dieses Kind gewiss nicht gelernt hatte. Man hatte sie ihm vermutlich einfach vorher gegeben, damit er ein besseres Feindbild abgab.

Nichts an Kelvin deutete darauf hin, dass er irgendeine magische Begabung hatte. Dass es nur einen Grund für ihn gab, zu glauben, dass er diesen Kampf überleben könnte.

Soweit die Elfe wusste, entdeckte er seine Begabung erst während der Kämpfe, was sehr ungewöhnlich war. Magie entstand nicht über Nacht! In der Regel erkannte man einen Magiebegabten schon bei seiner Geburt, weil er Dinge geschehen ließ. Manche entdeckten ihr Potenzial im Kleinkindalter... Jedoch kam es nie vor, dass die Magie erst zum Vorschein kam, wenn dessen Träger fast erwachsen war.

Sie konzentrierte sich und konnte kein magisches Pulsieren um oder in ihm entdecken. Verwirrt sah sich die Attentäterin um, konnte aber bei einigen Zuschauern und vor allem unter den Adligen genau dieses Pulsieren finden. Es lag also nicht daran, dass sie nicht wirklich hier war. Shiva erlaubte ihr diesen Blick.

Wie ist das möglich?, fragte sich die Langhaarige fassungslos. Wenn ich mich nicht irre, dann ist er wirklich nicht als Magier zur Welt gekommen!

„Wir konnten Kelvins Bruder bisher leider nicht auftreiben, damit er ebenfalls an den Todesspielen teilnehmen kann.“, gestand Caesar Optimus mit merklicher Enttäuschung. „Aber bis es soweit ist, wollen wir uns zumindest an Kelvin Morgensterns Anblick ergötzen!“

Einige buhten, weil der zweite Sohn der Morgensterns sich noch entzog, während die anderen darüber jubelten, dass sie zumindest Kelvin beim Sterben zusehen durften.

Lord Optimus rief noch weitere Namen von Verrätern auf, dessen Kinder hier heute antreten mussten. Sie alle waren viel zu jung für derartige Widerlichkeiten und jeder hatte eine Waffe in den zittrigen Fingern. Äxte, Schwester, Dolche, Bögen...

Die Wachen des Kolosseums schubsten die Kinder an bestimmte Punkte, die zuvor geplant worden waren. Niemand sollte zu dicht an dem anderen sein und gleichzeitig sollte jeder Zuschauer zumindest zwei oder drei der Kinder gut erkennen können. Das hier war vor allem eine Schau.

„Mögen die Todesspiele beginnen!“, verkündete der Leiter des Kolosseums und die Menge jubelte und tobte.

Obwohl die Kinder und Jugendlichen anfangs zögerten, stürzten sie dann doch los. Billiana wusste, dass man sie vor den Kämpfen mental gefoltert hatte, indem sie ihren Eltern beim Sterben durch die Inquisitoren zusehen mussten. Dabei wurde ihnen versichert, dass ihnen dasselbe Schicksal blühen würde, wenn sie nicht in der Arena kämpften.

Wie bitter es auch sein mochte, erfuhren sie in den Todesspielen vermutlich wirklich einen gnädigeren Tod als durch die Inquisitoren. Natürlich verblutete das ein oder andere Kind, doch meistens versuchten die Kinder einander rasch zu erlösen.

Die ersten Teilnehmer starben bereits röchelnd an den Klingen der anderen Kinder. Die Zuschauer bejubelten das und erfreute sich an den Blutlachen, die im Sand zu versickern begannen.

Billie suchte nach dem jungen Kelvin. Er war klug! Statt die direkte Konfrontation zu suchen, rannte er durch die Arena und duckte sich immer mal unter Angriffen weg. Er lenkte die Aufmerksamkeit stets auf andere Teilnehmer. Es war vielleicht keine mutige Tat, doch zumindest half sie dem Blondschopf bis zum Schluss zu überleben, während die anderen Kinder starben.

Am Ende waren nur noch fünf Kinder übrig, die sich teilweise die Waffen der Verstorbenen geschnappt hatten. Kelvin zitterte am ganzen Körper, während er die Dolche so fest umklammerte, dass seine Gelenke schon weiß wurden.

Trotzdem versuchte er seine bisherige Taktik fortzusetzen. Es funktionierte auch bei zwei weiteren Kindern, sodass nur noch drei übrig waren – einschließlich ihm selbst. Nur wussten die beiden anderen nun, dass er bisher alle gegeneinander ausgespielt hatte. Es würde nicht mehr funktionieren.

Der eine Junge kam mit der Axt in beiden Händen direkt auf Kelvin zu, während das Mädchen mit einem Schwert noch etwas auf Abstand blieb. Sie wollte es wohl die Jungs erstmal untereinander austragen lassen, damit sie den Sieg erringen konnte, wenn sie beide geschwächt waren. Vielleicht so verletzt, dass sie sich gar nicht mehr wehren konnten!

Kelvin hatte es schwer. Immer mal wieder schaffte er es, der Axt zu entgehen, doch leider erwischte die Klinge ihn immer mal wieder. Es riss tiefe Wunden, was dem Jungen Tränen in die Augen trieb, dessen Gegenangriffe alle ins Leere liefen. Es war ein erbärmlicher Anblick, der durch das Buhen des Publikums nur noch schlimmer wurde.

Alle gierten nach Blut. Alle wollten sehen, wie Kelvin Morgenstern in der Arena fiel! Selbst dieser Junge mit der Axt wollte es, damit er vielleicht selbst überlebte.

Vorsichtig kletterte die Blondine über die Brüstung und sprang runter in die Arena. Sie wollte einen besseren Blick auf das Geschehen haben.

Ihre eisblauen Augen wanderten über die zahlreichen leblosen Körper. Die Kinderaugen waren vor Entsetzen weit aufgerissen und starrten größtenteils hohl in den Himmel. Das andere Mädchen, das noch lebte, wirkte ebenso entsetzt über diese Ereignisse. Trotzdem ließ sie ihre Waffe nicht fallen.

Jener, der mal unter Geflüster als der Auserwählte bekannt sein würde, schien bald mehr tot als lebendig zu sein. Kelvin konnte sich kaum noch auf den Füßen halten. Er blutete überall!

Müsste er nicht langsam seine Magie entdecken?, fragte sie sich ernsthaft besorgt.

Immer noch fand sie kein magisches Pulsieren an ihm. Nichts! Er war immer noch ein gewöhnlicher Junge, der keinerlei Kampferfahrungen aufwies. Ein Junge, der um sein Leben bangte. Um seine Eltern trauerte...

Der Knabe mit der Axt trat Kelvin hart zu Boden. Er ächzte furchtbar und versuchte sich wieder hochzurappeln, schaffte es aber nicht. Er wurde überwältigt von Schmerzen!

Wieso erwachst du nicht?, dachte Billiana entsetzt. Du müsstest doch längst erwachen und die Spiele für dich entscheiden!

Nichts geschah...

Der Junge mit der Axt stellte sich über den winselnden Kelvin und war bereit, ihm den Kopf von den Schultern zu trennen. Er hob die Waffe schon über seinen eigenen Kopf und war bereit es zu beenden.

Impulsiv stürmte Billie heran. Ihr war klar, dass sie in dieser Vision rein gar nichts tun konnte, doch sie hatte auch keine Kontrolle über sich! Sie brauchte Kelvin... Wenn er hier starb, dann endete alles. Auch wenn ihr nicht klar war, weshalb sie das glaubte, doch irgendwie war sie sicher, dass es stimmte.

Ihre Finger glitten auf die Brust des Jungen und die Zeit um sie herum schien stillzustehen. Unter Tränen glitten die blauen Linien aus ihren Fingerkuppen direkt in den Körper des halbtoten Kelvins. Zu ihrer großen Überraschung schlossen sich alle Wunden wie von selbst.

Mehr noch! Sie spürte, dass sie etwas auf ihn übertrug. Etwas sehr, sehr Mächtiges, was sie in sich gespeichert gehabt hatte.

„Du darfst nicht sterben...“, keuchte sie weinend und spürte diese Panik, die sie seit Argrims Tod nicht mehr gespürt hatte.

Plötzlich begann die Zeit wieder ganz normal voranzuschreiten und sie hörte den Kriegsschrei des Knaben, der Kelvin enthaupten wollte. Doch statt ihn zu köpfen, schlug ihm ein Meer aus Flammen entgegen und ließen ihn aufschreien!

Die Menge verstummte. Atemlos beobachteten sie, wie der Junge einfach verbrannte und der Erbe der Morgensterns sich unverletzt erhob. Keine einzige Wunde war mehr an ihm.

Nun entdeckte Billiana das magische Pulsieren. Es war so deutlich, dass sie beinahe davon erdrückt wurde!

Zu neuen Lebensgeistern erweckt, schritt Kelvin direkt auf das Mädchen zu, das panisch schrie. Obwohl sie Bedauern in seinen blauen Augen sehen konnte, riss er dennoch Steine aus den Mauern des Kolosseums, um das Kind einfach darunter zu begraben. Die Attentäterin konnte hören, wie das Mädchen langsam erstickte.

Auf einmal war Kelvin Morgenstern der einzige Überlebende in der Arena, doch keiner jubelte. Mit offenen Mündern starrten sie auf ihn herab. Anschließend drehten sich alle zu Wyrnné, der sich von seinem Platz erhoben hatte und ebenso fassungslos herunterschaute.

Es gab ein Versprechen... Man sagte den Kindern, dass wenn sie die Todesspiele als letzter überlebten, sie begnadigt wurden. Natürlich kam das nie vor! Entweder töteten sich die letzten Kinder gegenseitig oder der letzte Überlebende erlag seinen schweren Verletzungen. Niemand überlebte die Todesspiele. Schon gar nicht unverletzt!

Doch da stand er. Der blondhaarige Junge war vollkommen unverletzt und hatte unerwarteter Weise Magie in sich gefunden. Jene, die ihm das Leben gerettet hatte.

Das Feuer... Es hat ihn gerettet., erkannte Billie mit trockenem Mund. Keine der anderen Essenzen hätte bei so wenig Zeit so effektiv sein können. Deshalb greift er so gerne darauf zurück... Weil er sich an jenen Augenblick erinnert, als er eigentlich hätte tot sein müssen und das Feuer ihn rettete.

„Schummler!“, begann die Meute schließlich zu schreien und sie warfen wieder mit Gemüse.

„Betrüger!“

„Bastard!“

Wenn man eines über Menschen sagen konnte, dann, dass sie wahnsinnig schlechte Verlierer waren. Keiner von ihnen gönnte Kelvin seinen Sieg.

„Ruhe!“, schrie Lord Optimus plötzlich. „Die Regeln besagen, dass der letzte Überlebende begnadigt wird! Jedoch sind auch keine Magiebegabten zugelassen.

Großer Weltenlenker, wie fällt Euer Urteil? Soll er dennoch begnadigt werden?“

„Nein!“, schrien die Menschen.

„Er muss sterben!“

„Keine Gnade!“

Wyrnné wirkte inzwischen wieder gefasster, während er sich über das Geländer beugte und in die Augen von Kelvin starrte. Er schien etwas darin zu suchen. Vielleicht die Möglichkeit, ob dieser Junge sich brechen und unterwerfen ließ.

Essenzbeherrscher waren sehr selten und konnten unglaublich machtvoll werden. Sie mussten ihre Fähigkeiten nur richtig einzusetzen lernen, dann konnte man sie wunderbar als Ein-Mann-Streitmacht ins Feld schicken. Der Weltenlenker wusste das.

Doch es brauchte auch nur einen aufmüpfigen, rebellischen Essenzbeherrscher, um wahres Chaos über sein Reich zu bringen. Ein Kelvin Morgenstern genügte, um die gesamte Weltordnung auf den Kopf zu stellen.

„Er ist ein Betrüger...“, begann er schließlich trocken zu verkünden. „Was sagt ihr? Soll er dennoch begnadigt werden?“

„Nein!!!“

„Auf keinen Fall!“

Das Publikum tobte, doch vor allem gierte es nach Blut. Selbst wenn Kelvin ohne Magie gewonnen hätte, wäre er zum Tode verurteilt worden. Nur, um diese Barbaren zu belustigen.

Bedauerlich, wie Billiana fand. Die Menschen hatten einst wirklich Potenzial gehabt, doch sie wurden schnell schlimmer als die Unterweltler.

Was als nächstes geschah, hatten diese Leute keineswegs besser verdient.

Kelvin erkannte, dass er die erhoffte Begnadigung niemals erhalten würde. Nicht mal, wenn er bettelte. Nicht mal, wenn er vor dem Weltenlenker das Knie beugte und seine Treue schwor! Dieses Kind wusste, dass er für den Rest seines Lebens ein Geächteter sein würde.

Statt darüber zu trauern, entfachte er das Feuer erneut, als die Wächter des Kolosseums mit gezückten Waffen auf ihn zukamen. Voller Wut entbrannte er ihre schreienden Leiber zu lebenden Fackeln, ehe er erneut einige Felsen aus den Mauern des Kolosseums riss, um sie gnadenlos in die Zuschauermengen zu schleudern.

Panik brach aus! Kelvin steckte das halbe Kolosseum in Brand und schleuderte auf jeden, der es wagte, ihm zu nah zu kommen, Felsen.

Das Chaos verhinderte, dass Wyrnné oder seine Leibwächter richtig eingreifen konnten. Sie mussten vielmehr dafür sorgen, dass er selbst in Sicherheit gebracht wurde, weil die Arena drohte einzustürzen.

Es war ein fesselnder Anblick, der die Attentäterin nicht losließ, die immer noch unten in der Arena stand. Sie konnte das Chaos aus der Perspektive von Kelvin beobachten.

Es dauerte nicht lange, dann hatte er ein Loch in das Kolosseum gerissen, durch das er entkommen konnte. Um keine Verfolger zu zulassen, ließ er den Tunnel im Anschluss zusammenbrechen, während die Menschen weiterhin panisch umher eilten.

Die Soldaten des Kolosseums versuchten derweil, die ganzen Zuschauer in Sicherheit zu bringen und die zahlreichen Brände zu löschen. Eines war sicher: Die Reparatur der Arena musste unfassbar kostspielig und langlebig gewesen sein. Kelvin Morgenstern hatte kaum einen Stein auf dem anderen belassen.

Mit einem Lächeln auf den Lippen verschwammen die zahlreichen Bilder des damaligen Grauens. Plötzlich stand die Lichtgestalt von Shiva vor ihr, mit ihrem üblichen kühlen Gesicht.

„Dachtest du ernsthaft, dass nur Wyrnné Gaben vergeben kann?“, fragte sie kalt. „Du hast Zeit und Raum überwunden, um Kelvin nicht einfach nur zu retten, sondern um ungeahnte Fähigkeiten in ihm zu wecken.“

„Aber wie? Ich konnte mich nicht daran erinnern!“

„Weil du es bis eben nicht getan hast. Noch nicht wirklich... Du hast die Zeit überwunden, um das zu tun.“

„Ich wusste nicht mal, dass ich das kann...“, gab Billie heiser zu. „Wie konnte ich etwas tun, ohne zu wissen, wie es geht?“

„Du bist nicht nur ein Splitter von uns Göttlichen, Billie, sondern zusätzlich noch meine Wiedergeburt. In dir steckt viel mehr als du selbst wahrhaben möchtest.“

„Das beantwortet meine Frage nicht.“

„Du wirst dich daran erinnern, wenn du in dich gehst.“, sagte die Schöpfermutter geheimnisvoll. „Wenn du bereit bist, kehre zum Raum der Spiegel zurück und hole dir den Schild der Götter ab. Bis dahin vergiss nicht, was ich dir gezeigt habe.

Kelvin Morgenstern mag die ausführende Kraft gewesen sein, doch er hat sich nicht alleine gerettet. Ohne dich, wäre er gestorben. Vergiss‘ das niemals.“

Plötzlich wurde alles um sie herum dunkel und die Stimme von Shiva ging in einem Hallen unter. Doch die Bilder dessen, was sie heute getan hatte, begleiteten sie bis tief in die Finsternis.

Oftmals mochte sie sich mit Shiva nicht einig sein, doch sie hatte recht mit der Tatsache, dass die Elfe das Leben von Kelvin gerettet hatte. Vielleicht wusste sie noch nicht, wie genau sie die Essenzmagie in ihm geweckt hatte und wie sie Zeit und Raum überwunden hatte, um dies zu tun, doch die Tatsache war nicht von der Hand zu weisen.

Wenn die Schöpfermutter nicht log, dann würde ihr dieses Wissen helfen, damit ihr etwas anderes klar wurde. Etwas, was dann dafür sorgte, dass sie den Schild der Götter zurückerhielt.

Bis es soweit war – das schwor sich Billiana feierlich – würde sie Kelvin Morgenstern beschützen. Was immer sie in ihm sah, musste behütet werden. Er schien der Schlüssel zu allen unbeantworteten Fragen zu sein!

 

Die Welt bot plötzlich ganz viele neue Möglichkeiten, wenn man nur bereit war, die Augen dafür zu öffnen. Kelvin musste zugeben, dass er all die Jahre ein Blinder gewesen war! Sein andauernder Zorn und sein Wunsch nach Rache hatten ihn nicht erkennen lassen, dass seine Fähigkeiten schon lange hätten gesteigert werden können.

Ragnar hatte ihm gezeigt, dass Magie mehr war, als bloße Geschosse, die man auf Feinde schleudern konnte. Er hatte ihm gezeigt, dass er Angreifer nicht zwingend verbrennen musste, sondern es mehr Wege gab, um sich mit Hilfe seiner Kräfte durchzuschlagen. Oder sie gar nicht erst zu brauchen...

Billiana hatte ihm gezeigt, dass seine kämpferischen Fähigkeiten gut waren, aber bei weitem nicht so gut, wie sie es hätten sein können. Sie hatte ihm die Feinschliffe des Attentäter-Daseins gelehrt. Ihm gezeigt, dass seine Dolche nicht nur Waffen waren, sondern auch zur Verlängerung seiner Arme werden konnten. Ihr verdankte er seine neuen Klingen, denn sie hatte darauf bestanden, dass er angemessene Waffen führte. Perfekt ausbalanciert!

Doch nicht nur das hatte sie ihm gezeigt, sondern auch, wie man unentdeckt schlich. Wie er seine Sinne einsetzen konnte, um sich ungesehen durch Gänge zu bewegen. Oder wie er in einer Masse an Menschen untertauchte ohne wahrgenommen zu werden.

Selbstverständlich probierte er nun laufend seine neu erworbenen Kenntnisse aus. Kelvin wollte wissen, wie weit er gehen konnte und wie sehr das Training ihn verändert hatte.

Aber nicht nur deshalb schlich er gerade durch Lebenswelts Palast. Natürlich war es reizvoll zu erproben, ob er ohne Verkleidung und ohne Hilfe unbemerkt zu ihr gelangen konnte, doch er wollte ihr auch die neusten Entwicklungen offenbaren. Sie davon überzeugen, dass es an der Zeit war, sich ihrer Sache anzuschließen.

Geschickt huschte er von Gang zu Gang und verschwand manchmal in ungenutzten Räumen oder Nischen. Billie hatte ihm klar gemacht, dass seine Sinne niemals so scharf sein würden wie ihre, weshalb er immer mehr als einen nutzen musste. Selbst wenn er einen Sinn verlieren würde, würde er sich niemals mit einer Elfe messen können.

Das verstand der Rebellenanführer, der deshalb nicht nur nach Rüstungen, Waffen oder Schritten lauschte, sondern immer mal vorsichtig um Ecken spähte. Manchmal reichte es auch, wenn er auf die Bewegungen des Windes achtete. Dieser konnte einem auch mal Gerüche zuspielen. Nicht viele Wächter wuschen sich, weshalb sie oft von einer Gestank-Wolke umgeben waren.

Trotz seiner bisherigen Erfolge war er überrascht, als er tatsächlich die Gemächer von Lebenswelt erreichte ohne den Alarm auszulösen. Er hatte nicht mal jemanden ausknocken müssen! Kelvin kam sich wie ein neuer Mensch vor.

Grinsend beobachtete er die Tür, hinter der er die angebliche Göttin vermutete. Wenn er eines über diese Götter wusste, dann war es die Tatsache, dass ihre Priester ständig um sie herum waren. Vor allem ihr oberster Priester, der für das Wohlergehen ihrer Gottheit zuständig war.

Eigentlich sind die Priester auch nur Diener... Narren, die irgendwelche falschen Götter bespaßen müssen, damit sie nicht auf die Idee kommen, die Welt zu vernichten., sinnierte der Blondschopf mit Abneigung. Sich mit einem dieser Bestien zu verbünden, gefiel ihm gar nicht, aber er wusste auch, dass sie Lebenswelt brauchen würden.

Endlich kam Melvyn aus dem Zimmer heraus. Ein paar Gegenstände wurden ihm unter Geschrei nachgeworfen und er entschuldigte sich mehrmals. Ihm folgten ein paar wimmernde Zofen. Offenkundig wollte die Göttin alleine sein.

Kelvin schloss seine Augen und lauschte. Erst als er sich sicher war, dass die Gruppe sich weit genug entfernt hatte, linste er vorsichtig um die Ecke. Es war niemand mehr zu sehen, also eilte er zu der Tür, um sie leise aufzuziehen und in den Raum zu schlüpfen.

„Was denn noch, Mel?!“, keifte die Weißhaarige und drehte sich um. Sie war überrascht darüber, dass es nicht Melvyn war, der ihr Zimmer betrat.

„Tada!“, sagte Kelvin und breitete grinsend die Arme aus. „Damit habt Ihr wohl nicht gerechnet?“

„In der Tat.“

„Und dieses Mal habe ich auch keinen Eurer Diener niedergeschlagen.“

„Bedauerlich...“, murrte Fiona von Lebenswelt, die offenbar sehr böse auf ihr Personal war. „Und offenbar brauchtest du auch keine Kostümierung.“

„Stimmt auffallend.“

„Hast du einen Weg gefunden, um mich zu überzeugen?“

„Das hoffe ich doch sehr, Mylady.“, säuselte er charmant und hörte nicht auf zu grinsen. „Zufälligerweise stolperte einer meiner Kameraden über Athena. Kennt Ihr Athena?“

„Sie ist eine Attentäterin, die in Götterherz agiert. Hat schon zahlreiche Aristokraten getötet, wurde aber niemals erwischt.“

„Sehr schön, Ihr habt also wirklich von ihr gehört!“

„Ich mag eingesperrt sein, aber nicht taub.“, murrte Fiona und begann unruhig im Raum auf und ab zu gehen.

Kelvin hatte das Gefühl, dass sie inzwischen noch schlechter mit ihrem goldenen Käfig klarkam. Alles an ihr schrie danach, dass sie sich in diesem Zimmer beengt fühlte.

Viele in Götterherz würden vermutlich alles geben, um mit ihr den Platz zu tauschen. Sie würden durch diesen Käfig einem Leben in Verfolgung, Sklaverei oder Hunger entgehen. So etwas kannte Lebenswelt gar nicht. Hunger, Sklaverei, Folter, Verfolgung... Alles unbekannte Faktoren, die sie vielleicht kennenlernen würde, falls sie Wyrnné stürzen konnten.

„Athena hat sich unserer Sache angeschlossen und konnte uns schon mit zahlreichen Informationen weiterhelfen.“, erklärte Kelvin schließlich gelassen, während er seinen Zorn herunterschluckte. „Sie kennt den Weltenlenker persönlich und weiß vieles über ihn.“

„Sie kennen einander? Tötet sie nicht regelmäßig seine treuen Anhänger?“

„Scheint eine Art... Hassliebe zu sein.“, kicherte er amüsiert. „Man sollte auf keinen Fall dazwischengeraten.“

„Wenn sie euch hilft, weshalb ist sie nicht hier?“, hakte Lebenswelt skeptisch nach. „Du könntest immerhin auch lügen.“

„Athena kümmert sich derzeit um persönliche Angelegenheiten. Ich wollte Euch nur vorschlagen, das ebenfalls zu tun, denn bald wird Euer ruhiges Leben vorbei sein.“

„Du hast dich verändert...“, stellte sie nüchtern fest. „Du hast noch mehr Selbstbewusstsein und tatsächlich scheinst du inzwischen selbst von dieser Rebellion überzeugt zu sein.“

Durchaus stolz reckte der Blondschopf seinen Kopf in die Höhe, während er ihr entgegenblickte: „Ich habe eine gute Ausbildung genossen und Athenas Fähigkeiten gesehen. Ich bin in der Tat überzeugt, dass wir es schaffen können.“

„Gut, dann werde ich meine persönlichen Angelegenheiten klären und auf weitere Instruktionen von dir warten.“

Obwohl sie vielleicht bald frei sein konnte, wirkte sie keineswegs glücklich. Eher wanderte sie sogar noch unruhiger in dem Raum auf und ab, als würde ihr Leben von der Schrittzahl abhängen.

Da die angebliche Göttin noch nicht gesagt hatte, dass er gehen sollte, blieb er vorerst, um sie zu beobachten. Meister Ragnar hatte ihm beigebracht, wie er das magische Pulsieren erkennen konnte, was magische Geschöpfe und Magiebegabte umgab. Immer wieder versuchte Kelvin nun, eben das zu suchen. Er wollte üben.

Jedoch fiel ihm auf, dass das Pulsieren bei ihr anders aussah. Unruhiger... Als würde es nicht nur pulsieren, sondern regelrecht tanzen! Beinahe so, als wollte ihre magische Kraft die fleischliche Hülle verlassen.

Der Rebellenanführer wusste nicht, ob das Aussehen dieser Aura tatsächlich auch aussagen konnte, wie mächtig jemand war. Wenn es so war, dann war Lebenswelt ein wahrhaftig mächtiges Wesen!

„Was bedrückt Euch?“

„Ich war draußen...“, gestand Lebenswelt unruhig.

„Ihr seid ausgebüxt? Mit so viel rebellischen Tatendrang hatte ich gar nicht gerechnet!“

Sie verzog das Gesicht, ehe sie ihn tadelnd ansah: „Ich will mich dir anschließen oder etwa nicht?“

„Touché...“

„Ich traf einen jungen König, der mich mit in das Kolosseum genommen hat.“

Bei dem Wort Kolosseum versteifte sich Kelvin Morgenstern augenblicklich. Erinnerungen an die damaligen Todesspiele krochen in ihm hoch und schlossen sich würgend um seine Kehle. Eine Frauenstimme in seinem Hinterkopf schluchzte: „Du darfst nicht sterben...“ Nur wenige Herzschläge später war er nicht nur geheilt gewesen, sondern auch ein Essenzbeherrscher.

Der Blondschopf konnte sich bis heute nicht erklären, wie das möglich gewesen war, doch ein Teil in ihm hoffte, dass es der Geist seiner Mutter gewesen war. Dass sie gekommen war, um ihn zu retten und dem Weltenlenker zumindest ihr Kind zu entwenden.

Vielleicht würde er niemals erfahren, was damals in der Arena wirklich geschehen war, doch es hatte sein Leben verändert. Und er hatte seine ersten Leben genommen...

„Ist alles in Ordnung?“, hörte er Fiona unter einem Rauschen besorgt fragen. Er musste vollkommen bleich geworden sein, damit ihr sein Zustand aufgefallen war.

„Ja... Ja, alles in Ordnung.“

„Oh, stimmt... Ich war taktlos, verzeih‘.“

„Wie bitte?“

„Ich habe auch davon gehört... Dass du in diesen Todesspielen mitgemacht hast und überlebt hast.“, erklärte sie gefasst. „Deshalb sehen dich doch so viele als Auserwählten an... Keiner hat es überlebt. Erst recht ist danach keiner entkommen!“

„Ich habe durch eine glückliche Fügung überlebt...“

„Und doch hast du überlebt. Spielt es denn wirklich eine Rolle, ob du durch Glück, Talent oder Intelligenz überlebt hast?“

„Vermutlich nicht...“, gestand Kelvin seufzend.

„Jedenfalls habe ich mir die Arena und ein paar Schaukämpfe angesehen und war schockiert.“, fuhr sie schließlich fort. „Natürlich sind die Gladiatoren mit ihren Fähigkeiten sehr beeindruckend, doch mich hat es nicht losgelassen, wie die Menschen sich über ihr Elend erfreuten. So etwas habe ich noch nie gesehen.“

„Ja, wir Menschen sind schon abartige Kreaturen...“

„Ist das immer so?“

„Ob sich das Publikum immer so an dem Leid der Kämpfenden ergötzt? Ja, auf jeden Fall.“, bestätigte der Rebell schulterzuckend. „Es spielt keine Rolle, wer in der Arena landet, solange sie sich nur gegenseitig die Köpfe einschlagen.“

„Und du willst sie dennoch retten?“

„Nicht alle sind so... Außerdem retten wir wohl eher die Nichtmenschen und Mischlinge.“, gab Kelvin nüchtern zu. „Den meisten Menschen geht es noch recht gut. Einige erlitten Verluste, aber solange sie nicht als Verräter geächtet werden-...“ Ihm wurde gerade erst bewusst, wie ernst die Lage eigentlich war. Nichtmenschen und Mischlinge standen kurz vor ihrer Ausrottung und mit etwas Pech schafften sie es nicht schnell genug den Weltenlenker aufzuhalten.

Doch eines verwirrte ihn noch viel mehr: Weshalb das Ganze? Warum verfolgte er die Nichtmenschen, wenn er doch offenkundig solch eine enge Verbindung mit Billie hatte? Und diese angeblichen Gottheiten erschienen ihm auch nicht gerade menschlich...

Nachdenklich sah er Lebenswelt an, die ihn beobachtete. Offenbar wartete sie darauf, dass er seine Gedankengänge beendete und sie erleuchtete.

„Nun... Jedenfalls retten wir die, die unter diesem Regime zu leiden haben. Mit etwas Glück können wir ein besseres Reich erschaffen.“

„Hast du dir denn schon überlegt, wer dieses Reich erschaffen soll?“

„Wir hoffen, dass Athena diesen Platz einnehmen wird.“, offenbarte er unverblümt. „Sie ist intelligent, weitsichtig und hat Erfahrung in diesem Bereich. Ihre politischen Ambitionen sind ohne Tadel.“

„Ist sie nicht ein Nichtmensch?“

„Das ist korrekt.“

Skeptisch verzog die angebliche Göttin das Gesicht, während sie ihn mit ihren violetten Augen fixierte: „Hältst du das für klug? Sind die Menschen für einen nichtmenschlichen Herrscher bereit? Können sie ihre Vorurteile so schnell vergessen?“

„Das waren auch Athenas Bedenken, doch ich bin überzeugt davon, dass nicht entscheidend ist, was auf dem Thron sitzt, sondern wer.“

Nur einen Augenblick lang – doch er konnte es deutlich erkennen – war sie sprachlos. Absolut ohne Worte! Sie hatte nur für einige Herzschläge mit offenem Mund dagestanden und ihn angestarrt. Absolut fassungslos.

Das steht ihr... Macht sie beinahe menschlich!, dachte er überheblich grinsend.

Kurz darauf begann sie zu lachen. Glockenhell und eindeutig ehrlich. Lebenswelt wirkte richtig heiter, als habe jemand sie ausgetauscht.

Wenn Kelvin ehrlich war, sah sie nun so aus, wie er sie eigentlich vermutete. Irgendwie glaubte er, dass sie eine humorvolle und fröhliche Person war. Nur nicht hier. Nicht in diesem Gefängnis...

„Gut, du hast mich mit meinen eigenen Waffen geschlagen! So viel Weisheit hatte ich dir gar nicht zugetraut.“, kicherte die Weißhaarige heiter. „Ich hatte dich eigentlich für einen ziemlichen Narren gehalten!“

„Der Narrenkönig zu Euren Diensten.“, erwiderte der Rebellenanführer ohne sich beleidigt zu fühlen. Stattdessen verbeugte er sich vor ihr und machte mehrere umständliche Handbewegungen, um die Aristokraten und ihre Sitten ins Lächerliche zu ziehen.

Lebenswelt wirkte nicht beleidigt. Sie grinste eher amüsiert über diese Geste. Ihre göttlichen Brüder hätten ihn vermutlich für diese Darbietung foltern und anschließend köpfen lassen. Allmählich begann er Fiona von Lebenswelt wirklich zu mögen!

„Welchen König habt Ihr eigentlich in dem Kolosseum getroffen?“, erkundigte er sich dann neugierig.

„Konstantin von Rabenwacht.“

„Ah... Ich habe ihn auch kurz gesehen. Er haust zurzeit beim Weltenlenker.“

„Ist das so?“

„Ja, offenbar wurde er von ihm eingeladen und ist nun seit ein paar Wochen hier. Reist immer mal in sein Reich zurück, kommt dann aber wieder hierher.“, erklärte Kelvin. Natürlich interessierten ihn ebenfalls die Beweggründe des Königs. Vor allem durch Billiana, die ihn besucht hatte.

„Könnte er unserer Sache dienlich sein? Er schien mir sehr... nett zu sein.“

Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen! Darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht!

Ich bin wirklich der Narrenkönig... König Konstantin von Rabenwacht gilt als der wohl gütigste König., wurde es Kelvin bewusst. Es gibt zahlreiche Gerüchte darüber, dass er den Weltenlenker hasst. Und er hat eine riesige Armee! Er bildet Flüchtlinge aus... Auch Nichtmenschen.

Natürlich war der Lebensberg nicht für ihre Kriegsführung bekannt, sondern für ihre Lebensmittel, doch das bedeutete nicht, dass sie keine ausgezeichneten Soldaten hervorbrachten. Vor allem, weil er sich nicht auf Rassen beschränkte. Er nahm jeden auf, der um Asyl bat und diejenigen bekamen im Lebensberg auch eine Arbeit.

Soweit er es wusste, bestand das Heer dennoch hauptsächlich aus Menschen. Trotzdem waren auch Elfen, Orks, einige Riesen und andere magische Geschöpfe unter ihnen. Sie waren König Konstantin loyal ergeben, der ihnen nicht nur das Leben rettete, sondern ihnen ein Neues gab!

„Ihr habt recht...“, gab er mit trockenem Mund zu.

Zu mehr kam er jedoch nicht, weil plötzlich die Holztür aufsprang. Melvyn hatte den Kopf noch gesenkt und murmelte ein paar Worte, während er auf das Pergament in seinen Händen starrte. Vermutlich eine neue Bitte an die Göttin.

Als der Hohepriester aufsah, wirkte er vollkommen schockiert. Er starrte erst Lebenswelt an, dann den Rebellen, der nicht hier sein sollte.

„Du!“, schrie er schließlich. Offenbar erkannte er Kelvin wieder, der sich das letzte Mal als Diener ausgegeben hatte.

„Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass ich gehen sollte.“, kicherte der Rebell dennoch amüsiert. „Mylady, es war mir wie immer eine Freude.“

„Die Freude ist ganz meinerseits.“

Melvyn schien nicht zu begreifen, dass keine akute Gefahr bestand. Stattdessen zog er sein mächtiges Breitschwert und stürmte schreiend auf ihn zu. Der Brief sank derweil unbeachtet herunter.

Es fiel dem Rebellenanführer nicht schwer, dem präzisen, aber langsamen Angriff auszuweichen. Der Priester holte erneut aus, doch er tauchte einfach unter der Klinge hindurch. Mit einem letzten Blick zu Fiona, glitt er an Melvyn vorbei und stürmte in den Flur.

Die Fenster in Fionas Palast hatten alle Glasscheiben, was für ihn wirklich ärgerlich war. Sie waren zu stabil, um einfach hindurchzuspringen. Dabei konnte er sich ernsthaft verletzen und das würde seine Flucht erschweren! Wenn, dann brauchte er einen großen, harten und schweren Gegenstand, den er zuvor hindurchschleudern konnte.

Glocken läuteten. Der Alarm war ausgelöst worden. Sofort brach helle Aufregung aus und alle Wachen zogen ihre Waffen, um in die Gemächer der Göttin zu eilen.

Kelvin nutzte sein neues Wissen, um sich immer mal unter flüchtende Diener zu mischen oder sogar so zu tun, als wäre er ein Wächter, der gerade erst seine Schicht beginnen wollte. Die Menschen waren so in Aufruhr, dass sie ihm kein zweites Mal ins Gesicht sahen, sonst hätten sie gewusst, dass er nicht zum Personal gehörte. Auch wenn die wenigsten sich hier vielleicht nicht in Zivil kannten, kannten sie doch ihre Gesichter.

Grinsend konnte er sich von dem Ort der Aufregung entfernen. In den anderen Fluren befanden sich kaum noch Wachen und die waren nicht so vorsichtig. Der Alarm schlug in den privaten Räumen der angeblichen Gottheit, also fühlten sie sich hier sicher.

„Was ist denn da los?“, erkundigte sich sogar ein Soldat bei ihm.

„Angeblich ist jemand in die Gemächer der Gottheit eingedrungen.“, erwiderte er ausweichend. Immerhin wusste er nicht, wie viele im Palast um ihr Geschlecht wussten!

„Tatsächlich? Keine Übung?“

„Kann natürlich auch nur eine Übung sein... Der Hohepriester wirkte ziemlich verärgert.“

„Wann wirkt er nicht verärgert?“, spottete der Wächter.

„Auch wieder wahr!“

„Ich bin mal gespannt, ob es falsche Alarm war.“

„Ich auch.“, lenkte Kelvin lächelnd ein.

Sie verabschiedeten sich, dann ging er unbehelligt weiter. In seinem Hinterkopf hörte er Billie sagen: „Werde eins mit deiner Umgebung. Passe dich an. Wenn du so tust, als würdest du dahingehören, dann glaubt man dir das.“

Er hatte es für eine absolute Übertreibung gehalten, doch sie hatte vollkommen recht gehabt! Wer so tat, als würde er dazugehören, fiel nicht so auf. Konnte man sich gut anpassen, war selbst eine ungewollte Flucht keine Herausforderung mehr.

Seit Jahren verließ er das erste Mal ein Anwesen, in dem Alarmglocken läuteten, ohne eine Spur aus Leichen zu hinterlassen. Grinsend ging er durch das Haupttor und verschwand in der Sicherheit der dunklen Nacht...

 

Allmählich verzweifelte Konstantin. Er reiste nun seit Wochen ständig zwischen Rabenwacht und Götterherz hin und her! Immer wenn Lord Optimus Zeit für Verhandlungen fand oder sie andere Möglichkeiten austesten wollten, kehrten sie hierher zurück. Jedes Mal gestattete der Weltenlenker es ihnen, sich in Heimdall einzunisten. Trotzdem kamen sie nicht weiter...

Zumindest hatte er Durell davon überzeugen können, dass er vorerst in Rabenwacht blieb, damit er den Thron verwalten konnte. Elizabeth war eine wandelnde Katastrophe! Sie bekam nichts hin und als er das erste Mal zurückkehrte, hatte sie tatsächlich auf dem Thron gehockt und geheult. Vollkommen verzweifelt, weil sie so überfordert war.

Auch wenn es ihm nicht gefiel, musste er wohl langsam eine offizielle, rechte Hand berufen. Jemanden, der keine anderen Pflichten hatte, außer ihn zu vertreten. Wie gut Durell auch sein mochte, waren ihm seine Pflichten als Hauptmann der Leibwache dennoch wichtiger. Das respektierte der König.

Nur ungern hatte der junge Mann ihn nur mit einigen seiner besten Leibwächter und Benedikt ziehen lassen, doch er hatte sich überzeugen lassen. Konstantin hatte ihm klargemacht, dass er nur über ein Königreich herrschen konnte, das auch noch stand, wenn er die Sache mit Theodor geklärt hatte. Elize wirtschaftete es jedoch zu Grunde...

Zumindest weiß ich nun mein Land in Sicherheit, aber das bringt mich in Götterherz nicht weiter!, fluchte er verzweifelt.

Bisher hatte Lord Optimus alle Angebote abgelehnt. Selbst Drohungen verpufften bei ihm! Dabei war sich Konstantin nicht mal sicher, ob der Leiter des Kolosseums wirklich unbedingt Theodor behalten wollte oder es ihm eher darum ging, einen König zu verprellen. Macht auszuüben.

Letzteres wäre wirklich dumm und konnte ihn immerhin seinen Kopf kosten. Generell war es nicht unbedingt weise, dass er ihn so sehr reizte. Wäre er ein anderer König, dann wäre das längst anders für ihn ausgegangen!

Wütend starrte der König in das Kaminfeuer, während er sich eine andere Strategie überlegen wollte. Nur fiel ihm nichts ein! Es kam ihm langsam so vor, als habe er schon alle Möglichkeiten abgewogen und ausprobiert.

Kurz darauf klopfte es schon an seine Tür. Konstantin wusste, dass es sein Hauptmann sein würde und hob den Blick: „Herein.“

Benedikt zog die Tür leise auf und schlüpfte in das Zimmer. Es war bereits spät und in Heimdall schienen die Wände Ohren zu haben. Wenn er sich bei solch einem nächtlichen Besuch erwischen ließ, konnte es unschön werden. Vor allem das zu erklären, wäre schwierig.

Wie es der Adelssohn von seinem Hauptmann kannte, ging er erstmal alles in dem Zimmer ab. Er suchte nach eventuellen Gefahren oder versteckten Attentätern. Vielleicht sogar nach neugierigen Ohren.

Erst als er auch den Balkon untersucht hatte, kehrte Ben zurück und setzte sich etwas abseits auf einen Hocker. Sein Blick glitt ebenfalls in das prasselnde Feuer, als wollte er sehen, was auch sein Herrscher sah.

„Irgendwie bezweifle ich, dass Caesar uns Theodor jemals überlassen wird.“, gestand Konstantin schließlich seufzend. „Ich habe ihm immerhin eine Menge Gold geboten! Sogar, dass ich die Ausbildung eines neuen Champions bezahle und bis dahin die Einnahmen von Theodor zahle, doch er will all das nicht.“

„Ja, er scheint die Macht zu genießen, die er über Euch hat, Konstan.“, gestand der Krieger schulterzuckend. „Ich denke, dass er das Spiel so lange treibt bis Ihr aufgebt.“

„Aufgeben liegt nicht in meiner Natur.“

„Ich denke, dass ist ihm auch schon aufgefallen.“

Seufzend lehnte sich Konstantin in seinem Sessel zurück. Leider brachte ihn sein Wille alleine hier nicht weiter. So würde er Theodor nicht mal in hundert Jahren aus dem Kolosseum befreit haben! Und er bezweifelte, dass sein Freund so lange zu leben hatte...

Teddy war ein normaler Mensch. Ein Sterblicher. Und dazu lebte er das gefährliche Leben eines Gladiators... Er konnte morgen tot sein! Und er schlug sich hier mit Diplomatie und Bürokratie herum.

Allmählich schämte er sich richtig dafür, dass er selbst ein Aristokrat war. Er merkte immer mehr, dass die meisten von ihnen nicht wie er waren. Ihnen bedeutete ein Menschenleben nichts. Sie waren eher Abfall.

Auch Theodor war für Lord Optimus nur eine Ware. Eine Möglichkeit, um seine Kassen großzügig zu füllen. Etwas, was das Feuer des Kolosseums nicht erlöschen ließ, denn das Publikum wollte ihn sehen. Sie wollten sehen, wie er kämpfte!

„Was ist mit dieser Elfe, die Euch in jener Nacht besuchte und Euch auf Theodor aufmerksam machte?“, warf Benedikt plötzlich ein.

„Was soll mit ihr sein?“

„Habt Ihr schon darüber nachgedacht, sie um Hilfe zu bitten? Sie scheint mir sehr mächtig und hat mich nur nicht besiegt, weil sie mich nicht verletzen wollte.“

„Du meinst, sie soll Theodor mit Gewalt befreien?“

„Genau.“

„Wäre das nicht etwas auffällig?“, hinterfragte der König skeptisch. „Nachdem ich seit Wochen mit ihm verhandle, wird plötzlich Theodor befreit...“

„Ja, wäre es, aber er müsste es erstmal beweisen. Außerdem muss man ja nicht nur Theodor befreien...“

„Wie meinst du das?“

„Sagen wir, diese Frau ist die, für die ich sie halte, dann ist sie in der Lage, fast alle Gladiatoren zu befreien. Wenn sie Athena ist – und davon gehe ich schwer aus – könnte sie es wie einen Aufstand aussehen lassen.“, erklärte Benedikt ihm mit einem hinterlistigen Funkeln in den Augen. „Das dadurch entstehende Chaos könnten einige Gladiatoren genutzt haben, um ebenfalls zu fliehen, obwohl sie den Aufstand selbst nicht anzettelten.

Wenn darunter der besagte Champion wäre und er hätte gehört, dass er in Rabenwacht um Asyl bitten könnte und er würde dort auftauchen und eben das tun... Was könntet Ihr schon dafür? Ihr habt geschworen, jedem Flüchtling Unterschlupf zu bieten.“

Konstantin schwieg vorerst und dachte über diesen Vorschlag nach. Würde das wirklich funktionieren? Konnte er selbst glaubhaft genug lügen, damit er diese Geschichte verkaufen konnte?

Für Theodor konnte er das vermutlich wirklich. Außerdem hatte sein Hauptmann recht: Er war dafür bekannt, dass er alle begnadigte, die zu ihm kamen. Er gab ihnen ein neues Leben. Eine neue Aufgabe!

Tatsächlich konnte dieser Plan funktionieren, wenn Athena bereit wäre, ihn dabei zu unterstützen.

„Ich hatte keine Ahnung...“, murmelte Konstantin, während er sich von dem Sessel erhob, um etwas durch den Raum zu schlendern.

„Was meint Ihr?“

„Dass du so hinterhältig sein kannst.“

Benedikt begann zu grinsen und erhob sich nun selbst. Offenbar wollte er nicht sitzen, während sein König es nicht tat.

„Ich lebe, um Euch zu dienen, Konstan.“

„Und das tust du wirklich hervorragend.“, lobte er ihn aufrichtig. „Du hast überhaupt erst diese Verhandlungen möglich gemacht! Und deine Arbeit als Hauptmann ist sowieso ohne Tadel.“

„Danke, Konstan, es ehrt mich sehr, dass Ihr das sagt.“

So viele hatten ihn verspottet, weil er sich für so junge Führungskräfte entschieden hatte, doch der König konnte sich keineswegs über seinen Entschluss beklagen. Sie alle machten ihn stolz. Ihre Loyalität war ohnegleichen und er musste zugeben, dass sie sich noch mehr Mühe bei ihren Pflichten gaben, weil sie sich beweisen wollten.

Bisher hatten sie alle ihre Vorgänger in den Schatten gestellt. Erfahrenere Soldaten und Diener sahen alt gegen seine jungen Nachfolger aus. Was ihnen an Erfahrung fehlte, machten sie mit Ehrgeiz wieder weg.

„Hast du jemand in deinem Leben, Ben?“, erkundigte sich der König ganz unverwandt. Er wusste selbst nicht, weshalb er das nun einfach machte! Also schüttelte er schnell den Kopf: „Verzeih‘... darauf musst du natürlich nicht antworten.“

„Meint Ihr, ob ich eine Partnerin oder einen Partner habe?“

„Ja...“

„Nein, habe ich nicht, Konstan.“

„Weshalb?“, hörte er sich erstaunt fragen und verbiss sich sofort auf seiner Unterlippe. Diese verfluchte Neugier!

„Frauen kommen nicht gut mit mir klar. Ich neige dazu, das Falsche zu sagen.“, gab der Hauptmann zu, was Konstantin an sich selbst erinnerte. „Außerdem bin ich mit meinen Pflichten verheiratet. Das stört beide Geschlechter...“

„Hmmm, ja, ergibt Sinn. Erklärt zumindest, weshalb du problemlos mit mir hin und her reisen kannst.“

„Ich liebe halt meinen König.“, spottete Benedikt und gluckste etwas. Es war das erste Mal, dass er ihn richtig heiter sah, weil er sich über sich selbst amüsierte. Sonst war der Hauptmann eher ernst.

„Ist das so?“, schmunzelte Konstantin.

„Oh ja, und wie.“

Er schwieg vorerst, während er Benedikt aus dem Augenwinkel musterte. Als Prinz hatte er ihn oft beobachtet. Zu dieser Zeit war er kein Hauptmann gewesen, sondern ein einfacher Soldat. Doch irgendwie war Konstantin von ihm in den Bann geschlagen worden.

Wie oft hatte er heimlich in den Büschen gehockt? Wie oft hatte er ihn beim Training beobachtet?

Der König konnte es beim besten Willen nicht sagen. Doch seine Spannerei hatte ihn immerhin erkennen lassen, welches Potenzial in Benedikt Graufell steckte. Trotz seiner Trinkerei, die nicht unbedingt förderlich für seine Karriere war.

Ohne sich wirklich in Griff zu haben, steuerte der Adelssohn seinen Hauptmann an. Der wirkte sehr verwirrt. Vor allem, als er plötzlich nach seinen Wangen griff und ihn ganz unverfroren küsste!

Obwohl man etwas anderes glauben konnte, war es Konstantins erster Kuss mit einem Mann. Gezwungenermaßen hatte er sich bisher nur mit Elizabeth abgegeben und mit einigen Huren, doch es hatte ihn niemals erfüllt. Ihn nicht wirklich erregt...

Die Lippen von Benedikt zu schmecken fühlte sich anders an. Besser! Erst recht, als der Hauptmann den Kuss zu erwidern begann, wenn auch erstmal nur zögerlich. Es musste eigenartig sein, wenn der eigene König einen ohne Vorwarnung küsste.

Trotzdem griffen die starken Hände Bens an seine Hüfte, um ihn dicht an sich zu drücken, während Konstantin seine Arme um den Nacken seines Gegenübers schlang. Seit Jahren tänzelten sie umeinander herum, damit sie diesen einen Augenblick endlich erleben konnten. Damit sie endlich ihre Zweisamkeit auskosteten!

Bestimmend führte Benedikt ihn Richtung des Bettes. Was immer auch gerade geschah, es ging wahnsinnig schnell und war entfacht vom Feuer der Leidenschaft. Wenn man sie erwischte, würde sie das beide ihre Köpfe kosten, doch das war ihnen beiden vollkommen egal.

Lieber landeten sie gemeinsam in Fellen, Kissen und Decken, damit sie einander die Kleidung vom Leib reißen konnten. Dass es ein Gästezimmer in Heimdall war, schien die Sache noch aufregender zu machen.

Konstantin ließ die feuchtwarme Zunge seines Hauptmannes in seinen Mund, während er diesem einfach das Hemd aufriss. Er schwor sich, dass er nie wieder so lange gegen seine Bedürfnisse ankämpfen würde! Er hatte sich niemals lebendiger gefühlt als jetzt...

Diese Nacht würde unvergessen bleiben. Für Benedikt, aber auch für ihn selbst.

 

Als Billiana ihre Augen öffnete war ihr klar, dass sie nicht mehr im Raum der Spiegel war. Eigentlich wusste sie nicht mal, wo sie genau war. Allzu klar war ihr Blick nicht und ihr war auch ein bisschen schwindlig.

„Aufgewacht, Dornröschen?“, erkundigte sich eine allzu vertraute Männerstimme.

„Offensichtlich, Connar...“

„Was hast du dir nur dabei gedacht?“

„Was meinst du genau?“, keuchte sie angestrengt, während sie sich allmählich aufsetzte. Alles tat ihr weh!

„Einfach irgendwo zu verschwinden, wo ich dich nicht finden kann! Und dann tauchst du wie aus dem Nichts schwerverletzt wieder auf... Hattest einen verdammten Dolch im Herzen!“

„Ich habe die Prüfung der Götter abgelegt...“

„Oh, natürlich! Das erklärt selbstverständlich alles! Ich wollte die Prüfung der Götter auch morgen ablegen, nur damit du es weißt.“

Obwohl nichts an ihrem Zustand witzig war, musste sie doch über den Sarkasmus ihres Halbbruders lachen. Aus ihm sprach nur die Sorge um sie. Natürlich würde er das selbst niemals zugeben, doch er wollte sie keinesfalls verlieren. Weder an irgendwelche Götter noch an vermeidliche Prüfungen.

„Ich wollte den Schild der Götter zurückhaben, okay?“

„Ja, ich auch, deshalb mache ich die Prüfung ja auch noch.“, sagte Connar durchaus theatralisch.

„Du kannst mich mal!“

„Wieso hast du niemanden in dein Vorhaben eingeweiht? Warum hast du niemanden mitgenommen? Du könntest tot sein!“

„Ich weiß...“

„Hättest du sieben Tage mit diesem Dolch in deiner Brust da gelegen...“

„Ich weiß.“

„Ist es denn so schwer, mal um Hilfe zu bitten, Billiana Fayh Cailean Markrhon?“, hinterfragte er streng.

„Offensichtlich ist es das...“

Der Schwarzhaarige schnaubte, ehe er sich erhob. Offenbar hatte er die ganze Zeit an ihrem Bett gesessen und auf ihr Erwachen gewartet. So viel Herzlichkeit konnte sie sonst von keinem Markrhon erwarten.

Billie konnte ihm ansehen, dass er wirklich wütend auf sie war. Nicht nur, weil er richtig unruhig auf und ab ging, was so gar nicht zu ihm passte. Eigentlich war Connar stets ruhig, entspannt und bewegte sich recht wenig. Außer er war sehr aufgewühlt...

Schuld schlich sich bei ihr ein, was sie den Kopf senken ließ: „Es tut mir leid...“

„Das sollte es auch! Immerhin habe ich dich nur durch Glück gefunden!“

„Ich denke, dass Shiva wollte, dass du mich findest.“

„Was du denkst und was so ist, sind zwei verschiedene Dinge, Billiana.“

„Nenn‘ mich nicht so.“, zischte sie böse.

„Das ist deine Strafe, weil du schon wieder so einen Blödsinn angestellt hast.“

Einen Augenblick lang wirkte es so, als wollte der Blutmagier eine Vase herunterschlagen, doch er beherrschte diesen Impuls. Sie sah teuer aus. Das hier war kein Unterschlupf ihres Halbbruders, der es eher schlicht mochte. Außerdem wechselte er regelmäßig seine Verstecke.

„Wo sind wir hier?“

„In Lohensturm.“

„Wie bitte?“

„Wir sind im Schloss von König Melchior von Lohensturm.“, wiederholte er seufzend, als sprach er mit einem begriffsstutzigen Idioten.

„Das habe ich schon verstanden!“, stöhnte Billie genervt. „Aber weder du noch ich sind in Ketten.“

„Ja, hat mich auch viel Überzeugungskraft gekostet, dass er dich nicht einsperrt.“

„Mich? Und was ist mit dir?“

„Sagen wir, dass wir so etwas wie... Freunde sind.“

„Du hast einen Pakt mit ihm geschlossen.“, schlussfolgerte die Blondine mit hochgezogener Augenbraue.

„Pakt, Freundschaft... Ist doch alles dasselbe!“

Sie rollte mit den Augen, ehe sie sich langsam aus dem Bett zu hieven versuchte. Es fühlte sich so an, als habe sie immer noch den verdammten Dolch in ihrem Brustkorb stecken! Solche Verletzungen heilten auch bei Langlebigen wahnsinnig langsam. Außerdem hatte die Prüfung sicherlich auch etwas damit zu tun, dass es länger dauerte.

Langsam blickte sie sich um. Alles schrie nach einem reichen Königshaus! Überall standen teure Vasen, es hingen aufwändige Wandteppiche und Gemälde an den Gemäuern und auch der Boden hatte einige Felle und Teppiche zu bieten. Selbst ihr Bett sah teuer und hochwertig aus, ebenso wie Decken, Felle und Kissen, die man ihr gestellt hatte.

Was immer Connar ihm erzählt hatte, musste sehr gut gewirkt haben, wenn der König einen Nichtmenschen so gut unterbrachte. Vor allem, weil er einer der wenigen Herrscher war, der noch voll und ganz hinter Wyrnné stand. Solch eine Loyalität war selten, bedeutete aber auch, dass er die Abneigung gegen Nichtmenschen teilte.

Trotzdem besaß Melchior ein Heer aus Orks, die er angeblich gut versorgte. Sie hatten Sklavinnen, die ihnen als Dirnen dienten, bekamen relativ gutes Essen, ausgezeichnete Ausrüstung und wurden ausgebildet. Dafür eroberten die Orks für ihn Städte oder sorgten für Ruhe in seinem Königreich. Nur ein Idiot würde gegen König Melchior von Lohensturm Krieg führen.

Außerdem gab es hier wahnsinnig viele Essenzmagier. Sie wurden innerhalb der Mauern von Lohensturm ausgebildet. War ihre Ausbildung abgeschlossen und die Loyalität der Magier sichergestellt, wurden sie erstmal dem Weltenlenker angeboten. Alle Essenzmagier, die Wyrnné nicht brauchte, wurden anschließend an die anderen Königreiche verkauft, dienten König Melchior selbst oder arbeiteten als Söldner. Es hing von Talent und Abstammung ab.

Billie hatte sich eine Weile als Dienerin Zugang zu diesem Reich verschafft, um diese Informationen sicherzustellen. Es war schwierig gewesen, doch sie hatte jedes Gerücht bestätigen können. Auch, dass Melchior selbst ein temperamentvoller und unkontrollierbarer Drakonier war.

Obwohl er so viel besaß und sein Heer durchaus beeindruckend war, hatte die Elfe ihn nie als ernsthafte Bedrohung eingestuft. Weder für sich noch für Wyrnné.

Solange er dem Weltenlenker blinden Gehorsam schwor, würden seine Soldaten auch nur in dessen Namen kämpfen. Das bedeutete, dass er weder Wyrnné angreifen würde noch sie. Immerhin hatte er sie bisher nicht zur Tötung freigegeben, was mit etwas Glück nie geschah.

„Du machst dir Sorgen.“, warf Connar plötzlich ein. „Das musst du nicht. Er wird dir kein Haar krümmen.“

„Warum bist du dir da so sicher?“

„Weil Wyrnné dich seit Wochen suchen lässt. Er hat die halbe Welt auf den Kopf gestellt, um dich zu finden! Melchior bringt dich doch nicht um, wenn er weiß, dass sein angeblicher Gott nach dir sucht.“

„Also hast du ihm gesteckt, dass ich die Gesuchte bin?“

„Ich habe es zumindest angedeutet.“

„Ich kenne deine Andeutungen, Connar...“, kicherte die Blondine amüsiert. „Du haust es den Leuten immer direkt um die Ohren.“

„Hey! Das hat dir das Leben gerettet!“, spottete er ohne Gram. „Du warst so angeschlagen, dass ich dich nicht mal über die Zwischenwelt schnell genug irgendwo hinbringen konnte, wo du sicher bist. Da du schon in Melchiors Reich warst, bot es sich an, hierher zu gehen.“

„Vollkommen in Ordnung.“

„Sag‘ ihm aber lieber nicht, dass du irgendeine göttliche Prüfung absolviert hast. Sonst hält er dich noch für einen Messias Wyrnnés.“

„Es wird mir wahnsinnig schwerfallen, aber ich versuch’s.“, spottete sie sarkastisch.

Als Attentäterin war sie es gewohnt, Geheimnisse zu bewahren. Sei es ihre eigene Identität, die ihrer Auftragsgeber oder andere Informationen. Doch auch die Ausbildung seitens ihrer Familie hatte ihren Beitrag zu ihrer Verschwiegenheit geleistet. Selbst unter Folter schwiegen Markrhons.

Einige aus ihrer Familie schafften es sogar, dass die Folter sich umgekehrte und die Folterknechte es eher als Folter an sich empfanden. Durch Spott und falsche Informationen brachen sie irgendwann deren Geist. Es war eine amüsante, aber schwierige Kunst, weil man die zugefügten Schmerzen nahezu komplett unterdrücken musste.

Je nach Folter konnte Billie das. Bisher hatte sie es aber nicht sehr häufig unter Beweis stellen müssen, wofür sie sehr dankbar war.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Sie sah Connar an, der kurz die Augenbrauen in die Höhe zog, was seine Stirn in Falten legte. Es musste der König sein.

„Herein.“, sagte sie also höflich.

Der Mann, der die Tür öffnete, war wirklich ein majestätischer Anblick! König Melchior von Lohensturm hatte nicht nur eine imposante Größe von über 1,90 m, sondern vor allem trug er seine Krone mit Würde als wog sie nichts. Seine Schultern waren straff, sein Kopf aufrecht.

Hinzu kam seine überaus edle Bekleidung. Billie wusste, dass sie aus wirklich feinen Stoffen gefertigt worden war, jedoch auch inzwischen feuerfest war. Der Herrscher verbrannte nämlich gerne seine Klamotten... Ob die Pelze, die über seinen Schultern lagen ebenfalls feuerfest waren, wagte sie jedoch zu bezweifeln.

Sein braunes Haar war kurz, was an einen Soldatenhaarschnitt erinnerte. Wenn ihre Informationen nicht falsch waren, betrieb er auch regelmäßig Kampftraining, um gewappnet zu sein. Hierbei bildete er mit König Konstantin von Rabenwacht eine deutliche Ausnahme.

Ebenso wie der Herrscher des Lebenbergs, war auch Melchior ein geborener Aristokrat. Nur wusste sie nicht, ob seine Eltern auch einst König und Königin gewesen waren oder sie nur aus einem gehobenen Haus gestammt hatten. Sie waren beide verbrannt worden... Es wurde darüber geschwiegen, ob der König in einem Wutausbruch selbst dafür verantwortlich gewesen war.

Im Moment interessierte die Elfe auch nur, dass er sie nicht umbrachte. Von ihr aus konnte er so viele Eltern getötet haben, wie er wollte, solange er sie weiterhin leben ließ!

„Wie ich sehe, seid Ihr aufgewacht. Und es überrascht mich nicht, dass Connar mir nicht Bescheid gesagt hat, wie er es versprochen hatte.“, sagte der König mit seiner tiefen, raspelnden Stimme, die durchaus verlockend war. Er musste unfassbar beliebt beim weiblichen Geschlecht sein! Zumindest bis er dann in Flammen aufging...

Connar sah unschuldig durch den Raum, als wüsste er nicht, wovon der König da sprach. Sie überraschte es aber auch nicht, dass er sich nicht an Verabredungen hielt. Das war seine Art.

„Ich bin eben erst aufgewacht, Haran, er wollte Euch sicherlich gleich benachrichtigen.“

„Haran...?“, wiederholte König Melchior sichtlich irritiert.

„Elbisch... Bedeutet so viel wie König.“

„Ich weiß, aber seid Ihr nicht eine Elfe?“

Mysteriös lächelte die Attentäterin und sah ihn durchaus interessiert an: „Das ist korrekt. Woher wisst Ihr das?“

„Eure Ohren...“

„Ich weiß das, aber woher wisst Ihr so etwas?“

Nun fühlte sich der Herrscher sichtlich unwohl, behielt aber die Schultern straff und den Blick eisern. Nur geschulte Augen konnten die Verunsicherung erkennen.

„Ich weiß es eben.“, winkte er schließlich ab.

„Darf ich fragen, weshalb Ihr mich am Leben lasst, Haran?“

„Wenn Euer Bruder-...“

„Halbbruder.“, korrigierte sie ihn amüsiert.

Sofort warf der König ihr einen tadelnden Blick zu, als duldete er derartige Unterbrechungen nicht. Der Drakonier war das sicherlich auch nicht mehr gewohnt, seit jeder um seine entflammbare Impulsivität wusste.

„Halbbruder...“, berichtigte er sich dennoch seufzend. „Wenn Euer Halbbruder die Wahrheit sagt, dann seid Ihr so eine Art – korrigiert mich, wenn ich es falsch ausdrücke – Gespielin des Weltenlenkers?“

„Gespielin, ja?“, wiederholte die Blondine und warf Connar einen tadelnden Blick zu. Er wich ihren eisblauen Augen geschickt aus, während er unschuldig pfiff. Dann sah sie den König wieder an: „Ja, man kann es wohl so ausdrücken...“

„Er sucht jedenfalls nach einer blondhaarigen, einäugigen Elfendame.“

„Ihr versteht es wirklich, Euch taktvoll auszudrücken, Haran.“, spottete sie amüsiert. „Eine sehr schmeichelhafte Beschreibung.“

„So hat der Weltenlenker Euch beschrieben.“

„Kein wunderschön?“

„Bedaure...“

„Nicht mal irgendwas Schmeichelhaftes, wie zum Beispiel wie hinreißend mein Haar ist?“

„Nichts derartiges...“, seufzte Melchior.

„Ich sollte dringend mit ihm darüber sprechen. Ich finde, ich hätte nach all der Zeit mehr verdient, als diese plumpe Umschreibung.“, schnaubte die Blondine nicht wirklich eingeschnappt. „Ich meine... Wie viele einäugige, blonde Elfen mag es heutzutage geben?“

„Tausende.“, kicherte Connar amüsiert.

„Mindestens!“

„Zumindest hätte er ja deine bezaubernden Sommersprossen erwähnen können.“, spottete ihr Halbbruder weiter. „Deinen tiefgründigen Blick... Oder deine üppige Oberweite!“

„Das finde ich aber auch! Ich habe so viele eindeutige Merkmale. Oder zweideutige...“, gluckste die Elfe heiter.

Melchior rollte hingegen mit den Augen, während er die Arme vor der Brust verschränkte: „Habt ihr es langsam?“

„Natürlich, Haran.“, kicherte Connar.

„Was gedenkt Ihr denn nun mit uns zu machen?“

„Ich werde den Weltenlenker informieren, dass ich Euch gefunden habe, Elfe.“, erwiderte der Herrscher nüchtern. „Er soll dann entscheiden, wie das weitere Vorgehen ist.“

„Ihr habt ihn noch nicht informiert?“

„Ich wollte sicher sein, dass ich die Richtige habe, bevor ich ihn kontaktiere. Er wird schnell wütend...“

„Sprach der Drakonier, der regelmäßig sein Schlafzimmer abfackelt, wenn das Wetter ihm nicht passt.“, spottete Billie neckend.

„Ich fackel‘ auch nervige Elfen ab, wenn sie mich reizen.“

„Der Weltenlenker will mich gewiss lebend, nicht wahr?“

„Ja...“, knurrte Melchior unzufrieden.

„Habe ich mir gedacht.“, erwiderte sie gelassen. „Und sicherlich verlangt er mich auch unversehrt?“

„Ja.“

„Auch das überrascht mich nicht.“

„Dann fragt mich etwas, worauf Ihr die Antwort noch nicht kennt, Elfe.“

„Wieso droht Ihr mir, wenn klar ist, dass Ihr nichts davon wahrmachen könnt?“

„Wieso sollte ich das nicht können?“

„Weil er mich unversehrt will, Haran.“

„Das mag sein...“, grinste der König plötzlich dreckig. „Aber wozu gibt es Heiler? Ich kann meine Spuren beseitigen, wenn Ihr es zu weit treibt, Elfe.“

Obwohl sich die Attentäterin vermutlich bedroht fühlten sollte, begann sie stattdessen heiter zu lachen. Sie hätte nicht gedacht, dass dieser Mann zu solchen Worten fähig war! Er wirkte so... steif. Als würde er eher alles schlucken, als sich wirklich hinterlistige Foltermethoden zu überlegen. Dafür gab es immerhin Diener. Folterknechte...

Jedoch war er auch nicht besonders gut darin. Durch seine sonst erhabene, ernste Erscheinung, waren derartige Drohungen kaum wahr. Außerdem stand er unter dem Pantoffel von Wyrnné.

„Ihr könnt mich eh nicht verbrennen.“

„Wieso sollte ich das nicht können? Weil der Weltenlenker das nicht möchte?“

„Nein, weil ich immun dagegen bin.“

Schweigend starrte Melchior sie an. Billie konnte erkennen, wie er leicht die Augen zusammenkniff und das Licht versuchte durch verschiedene Blickwinkel anders auf sie fallen zu lassen. So konnte er das Schimmern der Drachenschuppen in ihrem Gesicht ausmachen.

Sofort wich er zurück. Als treuer Anhänger vom Weltenlenker glaubte er natürlich, dass die Drachen nichts Gutes im Sinn hatten. Selbst jetzt noch, wo die engste Leibwächterin von Wyrnné selbst ein Drache war!

Sor’car, die Verräterin... Bei ihrem Volk nicht unbedingt hoch im Kurs, aber sehr effektiv, wenn es um das Wohlergehen des Weltenlenkers ging.

„Das... darf doch nicht wahr sein...“, keuchte der Herrscher fassungslos.

„Und wie wahr das ist.“, gluckste Connar amüsiert, während er sich auf das Bett setzte. „Ihr solltet sie mal in ihrer drakonischen Gestalt sehen! Sie ist sehr eindrucksvoll.“

„Ich werde den Weltenlenker über Euch in Kenntnis setzen, damit Ihr schnell aus meinem Reich verschwindet.“

Melchior von Lohensturm drehte sich auf seinem Absatz um und stolzierte auf seinen teuren Lederstiefeln hinaus. Die Elfe sah ihm amüsiert nach, während sie sich wieder hinzulegen begann.

Es tat immer noch alles weh, auch wenn sie sich eben nichts hatte anmerken lassen. Vor Aristokraten eine Schwäche offenzulegen, war immer ein fataler Fehler. Sie nutzten es gnadenlos aus.

„Da hat aber jemand mächtig Angst vor Drachen.“, kicherte der Blutmagier immer noch heiter. „Er hätte sich fast in seine königliche Robe gemacht, als ihm klar wurde, was du wirklich bist.“

„Vielleicht hat er sich sogar nass gemacht.“, grinste Billie ebenso amüsiert. „Er sah schon sein Königreich niederbrennen! Und alle hätten gedacht, dass er es selbst war.“

„Ist ja bei seinem Temperament auch nicht weit hergeholt.“

„Das ist allerdings wahr.“

„Du hast immer noch nicht mit ihm geschlafen.“, warf der Schwarzhaarige dann mit hochgezogener Augenbraue ein.

„Wie bitte?“

„Kelvin... Ihr habt es immer noch nicht miteinander getrieben. Dabei habe ich dich doch extra auf die sexuelle Spannung aufmerksam gemacht!“

„Und ich habe dich darauf aufmerksam gemacht, dass das Unsinn ist.“

„Ihr würdet wunderschöne blondhaarige, blauäugige Kinder bekommen!“, fuhr Connar ungehemmt fort. „Sie alle hätten eine Tendenz zum Töten, aber sie würden dennoch prächtig sein. Ich kann sie beinahe vor mir sehen.“

„Ich glaube, ich muss mich übergeben...“

„Und eure Liebe würde ewig währen! Ihr würdet einander vergöttern!“

„Ich korrigiere mich... Nun bin ich mir absolut sicher, dass ich kotzen muss!“, schnaubte sie mit verzogenem Gesicht, konnte sich aber ein Grinsen doch nicht verkneifen.

„Irgendwas hat sich aber geändert...“

„Wie meinen?“

„Deine Stimme klingt anders, wenn du von ihm sprichst.“

„Vielleicht, weil ich bisher gar nicht von ihm gesprochen habe, sondern nur du, werter Bruder.“

„Nein... Nein, daran liegt es nicht.“

„Natürlich nicht.“, erwiderte Billiana augenrollend, während sie sich auf die andere Seite drehte.

Obwohl sie ihn nicht ansah, konnte die Elfe seinen Blick in ihrem Nacken spüren. Er suchte nach einer Wahrheit, die nur sie kannte. Auch wenn er gerne alles ins Lächerliche zog, war sie sich sicher, dass er es in diesem Fall nicht tun würde. Dem Blutmagier war durchaus bewusst, wann er ernst sein musste.

Nur wollte sie manchmal einfach nur gefragt werden. Ganz normal. Ganz direkt... Eine einzige Frage, um an gewisse Informationen heranzukommen, die für sie eine Erleichterung darstellen konnten.

„Was ist geschehen?“, fragte er endlich nach endlosen Minuten. Zumindest fühlten sie sich ewig für die Blondine an.

„Shiva hat mir etwas gezeigt, was einst gewesen ist und dennoch Gegenwart wurde.“

„Hä?“

„Sie zeigte mir die Todesspiele, an denen er teilnehmen musste...“

„Ja, und?“, hakte er wissbegierig nach. Natürlich wusste er noch nicht, worauf sie hinauswollte.

„Vor diesem Tag war Kelvin Morgenstern kein Magiebegabter.“

„Er entdeckte seine Fähigkeiten, während er um sein Leben fürchtete.“

„So ist es nicht gewesen. Jedenfalls nicht wirklich...“

„Wie ist es dann gewesen?“

„Während ich zusah, wie er kurz davor war zu sterben, erfasste mich Panik. Ich beobachtete ihn und wartete, dass er erwacht, doch es geschah nichts... Da war kein magisches Pulsieren.“

Verwirrt zog Connar die Stirn kraus, während sie sich zu ihm drehte, um ihn endlich anzusehen. Falls er an ihrem Verstand zweifelte, zeigte er es zumindest nicht.

„Als dieser Junge über ihm stand und in Begriff war, ihn zu töten, hielt ich es nicht mehr aus. Ich berührte Kelvin und heilte ihn.“, sagte sie mit brüchiger Stimme. „Und während ich ihn heilte, übertrug ich etwas auf ihn... Etwas sehr, sehr Mächtiges. Und das erweckte die Magie in ihm, die zuvor nie da gewesen war.“

„Aber wie...?“

„Ich weiß es nicht.“, gestand sie aufrichtig. „Shiva meinte, dass ich Zeit und Raum aus einem guten Grund überwand, um ihn zu retten. Ich würde es noch erkennen...“

„Das ist absolut... faszinierend!“, keuchte er begeistert. „Darf ich dich aufschneiden und Experimente an dir durchführen? Ich würde gerne herausfinden, wie du solche Dinge vollbringen kannst.“

„Dein Ernst? Ich schütte dir mein Herz aus und das ist deine Reaktion darauf?“

„Was denn? Es ist total interessant! Wie deine Liebe der Zeit trotzt... Wirklich beneidenswert.“

„Ich kann dich nicht leiden.“, schnaubte die Elfe beleidigt und drehte sich wieder weg von ihm. Innerlich wusste sie, dass er es nicht böse meinte, doch all das verwirrte sie nur noch.

„Wirst du es ihm sagen?“

„Weiß ich noch nicht...“

„Er sollte es wissen. Er sollte wissen, dass er nicht unbesiegbar ist und er nicht aus eigener Kraft die Todesspiele überleben konnte.“, sagte Connar seltsam ernst. „Ihm sollte klar werden, wie wertvoll du für ihn bist.“

„Mal sehen... Nun ist wichtiger, dass ich aus Lohensturm herauskomme, sobald ich fit bin.“

„Was denn? Du willst dich nicht von Wyrni retten lassen?“, kicherte Connar nun wieder amüsiert.

„Eher nicht...“

„Der Haran wird aber nicht sehr erfreut sein, wenn du dich davonmachst.“

„Und ich bin nicht besonders erfreut, wenn man mich die ganze Zeit »Elfe« nennt.“, seufzte Billie augenrollend. „Er wird es überleben.“

„Na gut, ich werde sehen, wie ich dir bei deiner Flucht helfen kann. Erhole dich bis dahin.“

„Danke sehr.“

Billiana musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Connar verschwunden war. Er wandelte durch die Schatten und die Zwischenwelt. So konnte er überall sein... Dann kamen noch seine diversen Doppelgänger hinzu, die alle wichtigen Leute beobachteten.

Trotzdem dachte sie nicht über ihre Flucht nach, sondern über das, was die Prüfung der Götter in ihr wachgerufen hatte. Sie dachte an Kelvin... Dachte daran, dass sie Zeit und Raum überwunden hatte, um ihm die Magie zu schenken, die ihn schlussendlich gerettet hatte.

Langsam schloss sie ihre Augen, während sie einschlief und von all den Möglichkeiten träumte, wie das hatte geschehen können...



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