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Die Drachensonate

Band 2 - Drachen-Saga
von

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Raum der Spiegel

In einem anderen Leben war Theodor ein Bauer gewesen. Zumindest fühlte es sich nach drei Jahren dauerhaften Überlebenskampf wie ein anderes Leben an.

Drei Jahre...

Seit drei Jahren befand er sich bereits in diesem schrecklichen Kolosseum. Drei Jahre, in denen er zum Krieger ausgebildet worden war, um vor schaulustigen Menschen um sein Leben zu kämpfen. Mit nichts weiter an seinem Leib, als einen Lendenschurz und einige Lederriemen!

Drei Jahre, in denen er seine Familie nicht mehr gesehen hatte. Drei Jahre, in denen er seine Heimat misste. Verdammte drei Jahre des Grauens.

Er erinnerte sich, als sei es gestern gewesen. Wenn er die Augen schloss – so wie er es jetzt tat – dann konnte er es sogar sehen.

Des nachts drangen einige Soldaten in den Bauernhof ein, auf dem er mit seiner Familie einst gelebt hatte. Seine Eltern waren inzwischen alt geworden und seine Geschwister und er übernahmen bereits zahlreiche ihrer Pflichten, doch sie schafften es kaum über die Runden. Erst einige Tage zuvor war seine Schwester verhungert...

Die Soldaten schlachteten niemanden nieder, sondern kamen zielstrebig in sein Zimmer. Man riss ihn in seinem einfachen Leinenhemd und der ebenso einfachen Leinenhose heraus. An den Uniformen erkannte Theodor, dass es die Soldaten des Königshauses waren. Rabenwachts Kämpfer.

Auch wenn er es wollte, würde er wohl niemals den Ausdruck in den Gesichtern seiner Eltern vergessen. Das stumme Bedauern darüber, was sie getan hatten.

Erst ein Jahr später hatte er erfahren, weshalb sie sich so schuldig gefühlt hatten. Ein Adliger hatte es ihm zugeflüstert, während er mit ihm das Bett hatte teilen müssen. Er hatte ihn quälen wollen... Trotzdem war Theodor klar gewesen, dass er die Wahrheit sagte.

Seine Eltern hatten ihn verkauft. Mit den Münzen hatten sie Saatgut, neues Vieh und Essen für die Familie gekauft. Inzwischen lebten sie beide nicht mehr, aber seinen Geschwistern ging es sehr gut. Dank Konstantins neuem Regime fehlte es keinem Bauer an irgendwas. Die Sterberate war massiv gesunken.

Der adlige Lord hatte böse gekichert und gesagt: „Hätten sie nur etwas gewartet, dann wären sie auch so wunderbar über die Runden gekommen. Sie haben dich umsonst geopfert.“

Bis heute wusste er nicht, weshalb das witzig war. Wenn der Adlige selbst in dieser Lage gewesen wäre, würde er gewiss niemals wieder über Menschen wie ihn lachen. Menschen, die zwischen die Fronten geraten waren und als Kollateralschaden litten.

Natürlich hatte die gesamte Obrigkeit niemals solch ein hartes Leben fristen müssen wie Theodor. Sie kannten weder die Knochenarbeit als Bauer noch den Überlebenskampf als Kämpfer der Arenen. Schon gar nicht den fragwürdigen Ruhm als Champion des Kolosseums!

Er erinnerte sich an noch etwas sehr genau. An einen jungen Soldaten, der vielleicht zwanzig Winter gesehen hatte. Anhand seiner Abzeichen hatte der damalige Bauer erkannt, dass er frisch aus seiner Rekrutenausbildung heraus war.

Deshalb hatte sich dieser junge Mann aber nicht so bei ihm eingeprägt, sondern weil sein Gesicht so schmerzverzogen gewesen war. Er war stets neben seinem Käfig gewandert und hatte Theodor mitleidige Blicke zugeworfen, aber kein einziges Wort zu ihm gesagt.

Damals hatte der Bauer geweint... Er hatte darum gebettelt, dass man ihn gehen lassen sollte. Theodor hatte versichert, dass sie den Falschen hatten. Aber es hatte weder die hochrangigen Soldaten gestört noch die niedrigen Soldaten erweicht.

Immer wieder hatte er gefragt, was er verbrochen habe. Immer wieder hatte Theodor wissen wollen, wer den Befehl zu dieser Entführung gegeben hatte, doch sie blieben ihm eine Antwort schuldig.

Dass sie ihn nach Götterherz gebracht hatten, erfuhr er erst einige Wochen später. Nachdem er als Gladiator verkauft worden war und seine Ausbildung bereits begonnen hatte...

Lord Optimus war es gewesen, der ihm Antworten lieferte. Er erklärte ihm, dass Konstantin nun kein Prinz mehr sei, sondern ein König. Um die Freundschaft zu einem Bauern zu verschleiern, hatte er ihn an das Kolosseum verkauft. Zu weichherzig, um ihn zu töten, hatte Lord Optimus beinahe ausgespuckt, als sei das eine Schwäche.

Für viele hätte diese Information dazu geführt, dass sie sich selbst umbringen würden, doch bei Theodor hatte es etwas anderes ausgelöst. Er konnte nicht sagen, weshalb... Irgendwie entdeckte er seinen Lebenswillen.

Er wollte nicht sterben! Nicht damals und auch nicht heute. Er wollte stärker werden, entkommen und dann wollte er Konstantin fragen, mit welchem Recht er ihm all das angetan hatte. Der heutige Gladiator entdeckte ein Feuer in sich, das inzwischen fast erloschen war.

Theodor vermochte nicht zu sagen, wie viele Gladiatoren unter seiner Klinge bereits gefallen waren... Er konnte nicht sagen, wie vielen adligen Lords und Ladys er sich schon hatte anbieten müssen. Nein, er hatte keine Ahnung, wie oft er schon seine Ideale hatte verraten müssen.

Aber er war noch hier! Er hatte überlebt. Wie er es sich vorgenommen hatte, war Theodor stärker geworden.

Als der Gladiator seine Augen öffnete, wusste er, dass die Dienstmädchen fertig waren. Von oben bis unten hatten sie ihn zuerst rasiert und im Anschluss gewaschen. Er trug nicht mehr den abgenutzten Lendenschurz, sondern einen aus feinsten Stoffen.

So hergerichtet wurde er nur, wenn er einem hochgestellten Adligen zu Diensten sein musste. Meistens ging es um sexuelle Fantasien, die in der Gesellschaft nicht hochangesehen waren. Einige buchten die Gladiatoren aber auch als Leibwache oder für Showkämpfe auf ihren Festen.

Wenn Lord Optimus auftrug, dass bestimmte Kämpfer gewaschen werden sollten, dann wussten sie, dass ein neuer Auftrag bevorstand. Was genau es war, erfuhren sie aber immer erst, wenn es soweit war.

Theodor wurde von einigen bewaffneten Wachen aus den beengenden, schmutzigen Räumlichkeiten der Gladiatoren geführt, in denen sie trainiert wurden. Leben taten sie jedoch in Käfigen.

Der ehemalige Bauer wusste, dass er die Soldaten töten könnte, die ihn zu dem Adligen brachten und er mit deren Waffen entkommen könnte. Nur war ihm ebenfalls bewusst, dass er nicht besonders weit kommen würde...

Viele Gladiatoren vor ihm hatten die Gunst der Stunde nutzen wollen und hatten die Wächter überwältigt. Mit deren Waffen schlugen sie sich eine blutige Schneise hinaus auf die Straßen Götterherz‘, um dort entweder von den blutrünstigen Bestien des Weltenlenkers zerfleischt zu werden oder von dessen Soldaten zurückgebracht zu werden.

Wenn er hier entkommen wollte, musste er also klug vorgehen. Inzwischen fühlte er sich nämlich bereit, Antworten einzufordern.

Umso überraschter war er, als man ihn in eines der teuren Schlafzimmer brachte, aber niemand darin war. Trotzdem ließen die Wachen ihn alleine. Niemand zweifelte auch nur eine Sekunde daran, dass er aus dem Fenster springen würde.

Verwirrt ging Theodor in dem Zimmer umher. Er war schon einige Male hier gewesen, um einer oder einem Adligen das Bett zu wärmen. Nur waren die normalerweise schon da, sobald man ihn brachte. Meistens hielten sie schon Fesseln, fragwürdige Sexspielzeuge oder sogar Kostüme bereit. Doch hier war niemand. Auch nicht im großen Doppelbett.

Einige Minuten ließ man den Kämpfer warten, dann endlich wurde die Tür erneut geöffnet. Hereinkam ein sehr dreckiger Mann, dessen Haare wohl mal blond gewesen waren, aber nun vom Schmutz braun aussahen. Seine Kleidung bestand größtenteils aus abgenutztem Leder und der Schnitt entsprach nicht den modernen Vorstellungen. Auch sonst schrie alles an ihm nach Krieger oder sogar Gladiator! Er wirkte weder reich noch adlig.

Der Mann betrat das Zimmer und begann überall prüfende Blicke reinzuwerfen. Jede Ecke wurde untersucht und jeder Schrank geöffnet. Er ging sogar auf den Balkon!

Theodor beschloss, dass es besser war, nichts zu sagen. Wer auch immer seine Dienste wollte, war offenbar so wichtig, dass sein eigener Leibwächter hier alles absuchen musste, bevor sie loslegen durften.

Wie man es ihn gelehrt hatte, verschränkte er die Hände hinter dem Rücken und hielt den Kopf dabei gehoben. Seine Schultern straffte er. Viele Adlige begehrten die Gladiatoren, weil sie stolze Krieger waren und wollten genau das geboten bekommen. Keine gebrochenen Männer...

„Benehmt Euch.“, tadelte der schmutzige Mann ihn, was Theodor verwirrte.

Dann öffnete er wieder die Tür und ein hochgewachsener, aber schlanker Mann kam herein. Der Gladiator erkannte ihn sofort! Diese braunen Locken, das erhabene Gesicht, das neuerdings einen Bart trug...

Konstantin von Rabenwacht hatte sich keineswegs verändert. Zumindest war er nicht optisch gealtert... Natürlich hatte er nun diesen ungewohnten Bart, etwas längere Locken und seine Kleidung wirkte noch hochwertiger und moderner als früher, aber ansonsten war er immer noch der wilde Prinz.

„Danke, Ben.“, hörte er ihn sagen. „Du kannst gehen.“

„Seid Ihr Euch sicher, Konstan?“

„Absolut, ja.“

Dem schmutzigen Mann namens Ben schien es nicht zu gefallen, aber er gehorchte. Mit einem bösen Blick verließ er das Gemach und zog hinter sich die teure Tür zu. Ein Klacken verriet, dass sie geschlossen war.

Eigentlich hatte der ehemalige Bauer tausende Fragen, doch während er seinen früheren Freund mit offenem Mund anstarrte, fiel ihm keine einzige ein. Alle Worte, die er sich in den drei Jahren zurechtgelegt hatte... All die Beschimpfungen, die er Konstantin hatte an den Kopf werfen wollen... Weg! Gähnende Leere in seinem Kopf.

Stattdessen sah er ihn mit unruhiger Atmung an und fragte sich, ob er gerade träumte. Ob es wirklich möglich war, dass der König Rabenwachts gerade in diesem Zimmer stand.

Just im nächsten Herzschlag hatte er auch schon eine Kurzschlussreaktion. Wie von Sinnen stürzte er sich auf seinen ehemaligen besten Freund und schrie aus voller Kehle!

Konstantin war so überrumpelt, dass er nicht rechtzeitig reagierte. So riss er ihn einfach von den Füßen und stützte sich im Anschluss über den Adligen. In blindem Zorn schlug er auf den König ein. Tränen flossen aus seinen Augen, die er das letzte Mal vor drei Jahren vergossen hatte.

Obwohl er sich wohl besser fühlen sollte, fühlte es sich nicht gut an. Es fühlte sich nicht gut an, auf einen unbewaffneten Mann einzuschlagen, der verzweifelt versuchte, die Hiebe mit seinen großen Händen abzuwehren. Da war keine Genugtuung, als das königliche Blut den Boden besudelte.

Soweit der Gladiator wusste, war Konstantin von Rabenwacht inzwischen ein Langlebiger, also konnte er ihn nicht umbringen. Aber dem verzerrten Gesicht war zu entnehmen, dass jeder Schlag ihn dennoch schmerzte. Aber auch das brachte keine Erleichterung.

Theodor hatte immer noch drei Jahre seines Lebens verloren. Er war immer noch der Champion der Arena. Er war weiterhin drei Jahre lang durch die Hölle gegangen, um diesen Albtraum zu überleben. Drei Jahre lang hatte er diesen Mann versucht zu hassen und er war gescheitert.

Vollkommen außer Atem hörte er auf. Er schlug nicht mehr auf den schnaubenden König ein, der diverse Platzwunden im Gesicht hatte. Da kamen bestimmt noch einige Hämatome hinzu, die auch am Körper prangen würden.

Wenn Konstantin es wollte, konnte er ihn nun problemlos hinrichten lassen. Es war schon ein Vergehen, einen Adligen gegen seinen Willen zu schlagen, aber einen König?

Seltsamerweise konnte er in den Augen seines ehemaligen Freundes keinen Zorn entdecken. Keine Rachsucht... Er fand etwas anderes vor: aufrichtige Trauer. Nur wusste Theodor nicht, weshalb er traurig war.

„Hast... du dich beruhigt, Teddy...?“, fragte Konstantin atemlos. Es kam dem Gladiator so vor, als wäre dessen Stimme tiefer geworden. Verlockender... Doch vermutlich kam es ihm nur so vor, weil er ihn so lange nicht mehr gehört hatte.

„Ja.“, antwortete er und stieg von ihm herunter.

Etwas schwankend setzte sich Konstantin auf und zog ein Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche. Kurz darauf presste sich der Adlige das Tuch bereits an seine Nase, aus der das Blut nur so strömte. Außerdem wirkte sie gebrochen.

Falls der Adlige inzwischen wütend war, verbarg er es gut.  Vollkommen gelassen stand er auf und stützte sich auf eine Kommode ab, die natürlich nur Bettlaken enthielt. In Räumen wie diesen gab es keine gefährlichen Gegenstände. Nichts, was ein Gladiator gegen einen Reichen oder Adligen als Waffe einsetzen konnte.

„Das hatte ich vermutlich verdient...“, stöhnte Konstantin erschöpft von der Tracht Prügel.

„Ja, hattest du.“

„Was machst du hier?“

„Wie bitte?“, fragte Theodor ihn verwirrt, während eine Spur Zorn in seiner Stimme mitschwang. Er merkte kaum, wie er mit strammen Schritten auf den König zuging, der sofort verteidigend seine Hände hob.

„Verzeihung! Die Formulierung war unglücklich!“

Sofort blieb der Gladiator stehen. Irgendwas sagte ihm, dass Lord Optimus damals nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte.

„Ich wollte wissen, wie du hierher geraten bist. Wieso du plötzlich ein Gladiator bist?“, versuchte es Konstantin erneut. „Ich verstehe das alles nicht...“

„Man hat mir erzählt,...“, begann der Gladiator skeptisch. „... dass du mich an das Kolosseum verkauft hast. Man sagte mir, dass du dich meiner schämst und mich auf diese Weise loswerden wolltest.“

„Was für ein Unsinn! Außerdem gibt es viel effektivere Mittel, um unliebsame Menschen loszuwerden.“, schnaubte der König kopfschüttelnd. „Nicht, dass ich das praktizieren würde!“

Obwohl rein gar nichts an dieser Situation lustig war, musste Theodor trotzdem heiser lachen. Es war nur ein kurzes, freudloses Lachen, aber das erste seit sehr langer Zeit.

„Lord Optimus wollte mich eigentlich gar nicht zu dir lassen. Ben musste viele Münzen bieten und ihn... überzeugen, damit ich herkommen durfte. Ich frage lieber nicht, wie er ihn überzeugt hat.“

„Warum bist du hier, Konstan?“, hinterfragte der Gladiator heiser. Sein Mund fühlte sich plötzlich ganz trocken an.

„Um mich zu entschuldigen...“

„Hast du nicht eben angedeutet, dass du mich nicht hierhergeschickt hast?“

„Hab‘ ich auch nicht! Ich schwöre dir, dass ich mit dieser Sache nichts zu tun hatte.“, sagte er sofort.

„Ich... glaube dir. Ich habe dazu zwar keinen Grund, aber ich glaube dir trotzdem.“, gestand der ehemalige Bauer seufzend.

„Gut... Aber dennoch habe ich die Suche nach dir zu schnell aufgegeben. Ich glaubte meinen Beratern, dass du vermutlich aus Rabenwacht geflohen seist. Ich dachte, dass du sauer auf mich seist...“

„Sauer? Auf dich? Weshalb?“

„Weil ich doch König geworden bin, obwohl ich es nicht wollte.“

Das stimmte allerdings. Theodor erinnerte sich zwar nur noch dunkel an die Zeit vor dem Kolosseum, doch daran erinnerte er sich tatsächlich sehr gut. Konstantin hatte alles dafür getan, damit er enterbt wurde und nie die Krone bekommen würde. Nun hatte er sie doch.

Auch wenn er hier drin nicht viel mitbekam, hatte er dennoch genug gehört, um zu wissen, dass Konstantin ein hervorragender König war. Der beste, der seit vielen Jahrhunderten aufgetaucht war! Vielleicht sogar der beste König aller Zeiten.

Er hatte das immer gewusst. Damals wie heute. Nie hatte er an dem Talent von Konstantin gezweifelt, obwohl er das umso mehr getan hatte. Doch der ehemalige Bauer war sich sicher gewesen, dass die Krone unverhoffte Stärken in ihn wecken würde. Und nun hatte sie es wirklich getan.

„Ich habe nie daran gezweifelt, dass du mal deines Vaters Platz einnehmen würdest, Konstan.“, erwiderte Theodor aufrichtig. „Deshalb würde ich niemals abhauen.“

„Was ist damals geschehen?“

„Kurz gesagt: Ich wurde aus meinem Zuhause entführt, hierhergebracht und musste lernen, als Gladiator zu überleben. Lord Optimus sagte mir, dass du es so wolltest, also habe ich ihm geglaubt...“

„Von wem wurdest du entführt?“, wollte der Adelssohn wissen.

„Ich kenne keine Namen, aber es waren königliche Soldaten. Sie trugen ihre Uniformen und Rüstungen...“

„Ich vermute, ich weiß wer es war...“

„Der Weltenlenker?“

„Auch, ja... Aber maßgeblich beteiligt war sicherlich mein ehemaliger Rat.“, seufzte Konstantin missmutig. „Ich habe sie kurz nach meiner Krönung alle entlassen. Teilweise sogar verbannt.“

„Dann haben sie ja bekommen, was sie verdienen. Sind eigentlich sogar glimpflich davongekommen...“

„In der Tat.“, stimmte er ihm zu. „Ich hätte dich länger suchen sollen, Teddy. Ich war mir so sicher, dass du nicht gefunden werden willst... In Götterherz hätte ich dich niemals vermutet!“

Angewidert verzog Theodor sein Gesicht, während er an die grausame Hauptstadt dachte: „Freiwillig wäre ich auch nie hierhergekommen.“

„Irgendwann war ich gezwungen aufzugeben. Ich konnte nicht so viele Münzen in die Suche stecken, während ich mein Regime umbaute und den Bauern mehr Unterstützung zusagte. Es war zu egoistisch von mir.“

„Das verstehe ich. Es ist zwar grausam, aber ich verstehe es.“

„Es tut mir leid...“

„Hör‘ auf dich zu entschuldigen, Konstan!“, schnaubte der Gladiator.

Er konnte es selbst immer noch nicht glauben, dass drei Jahre anhaltenden Zornes verpufft waren. Einfach so, weil er in diese verdammten Hundeaugen blickte, die so unschuldig waren! Schon damals hatte er dem Adligen nie länger als fünf Minuten böse sein können.

Unruhig ging Theodor in dem Zimmer auf und ab. Immer wieder warf er seinem früheren besten Freund Seitenblicke zu. Bewunderte seine Statur. Seine Ausstrahlung. Auch wenn er noch aussah wie früher, wirkte er dennoch wie ein anderer Mann. Als sei er erwachsen geworden.

Das war nicht mehr der schlaksige Prinz, der jeden Streich mitgemacht hatte. Der keine Hure vögeln wollte. Er war nicht mehr der Junge, der den Dienstmädchen die Kleidung stahl, weil er ihn dazu angestiftet hatte.

Konstantin Maximilian von Rabenwacht war zu einem König geworden. Zu einem Mann!

Die letzten drei Jahre hatten sich unterschiedlich auf sie ausgewirkt. Sie hatten unterschiedliche Bürden gemeistert. Unterschiedliche Dinge getan, um zu überdauern. Doch eines hatten sie dennoch gemeinsam: Sie waren in diesen drei Jahren über sich hinausgewachsen.

„Ich glaube-...“, begann der König plötzlich, während er sich die letzten Reste Bluts wegwischte. „Inzwischen könnte ich dich nicht mehr schlagen. Du hast eine verdammt harte Rechte bekommen!“

„Das stimmt.“, grinste Theodor nicht ohne Stolz. „Inzwischen kann ich dich sogar mit einer Mistgabel besiegen.“

„Daran zweifle ich keine Sekunde... Beeindruckende Karriere für einen Bauern.“

„Beeindruckende Karriere für einen aufmüpfigen Prinzen.“, erwiderte der Gladiator grinsend.

„Touché.“

An den Anblick seines alten Freundes musste er sich erstmal gewöhnen. Ebenso an die raspelnde, verlockende Männerstimme, die er inzwischen bekommen hatte.

Unweigerlich fragte sich Theodor: War er sich seiner Wirkung auf sein Umfeld bewusst? War ihm klar, dass er nicht nur erhaben, sondern auch verlockend war?

Wenn noch etwas von dem früheren Prinzen in Konstantin steckte, dann hatte er keine Ahnung, wie er auf die Menschen in seiner Umgebung wirkte. Er hatte es damals auch nicht gewusst, obwohl seine Ausstrahlung da noch etwas geringer war.

„Ich weiß noch nicht wie oder wann, aber ich hole dich hier raus, Teddy.“, schwor der König des Lebensbergs plötzlich. „Sofern du es willst.“ Seine Augen glitten sofort zu ihm, als wollte er direkt eine stumme Antwort haben.

„Das würde dir Schwierigkeiten bereiten, Konstan.“

„Ja, würde es.“

„Du könntest nicht nur deine Krone verlieren, sondern auch deinen Kopf.“, ermahnte Theodor ihn streng.

„Ja, das könnte passieren.“

„So etwas kann deinen ganzen Ruf ruinieren.“

„In der Tat.“

„Du wirst es trotzdem tun, oder? Selbst wenn ich verneinen würde...“

„So ist es.“, bestätigte Konstantin ihm kichernd. Er war nun ein König und er nahm sich, was er wollte. Anders als früher. Obwohl er sich da auch schon oftmals sein Recht eingefordert hatte, wenn es ihm wichtig war. Wie seine Soldatenausbildung.

„Ich werde es zulassen, wenn du mir eine Sache versprichst, Konstan.“

„Und die wäre?“

„Stirb‘ nicht bei diesem Unterfangen. Ich will nicht frei sein, wenn du dann nicht mehr am Leben bist, damit wir es zusammen genießen können.“

„Ich schwöre, dass ich alles in meiner Machtstehende tun werde, damit du frei bist und ich am Leben bin.“, schwor der Adelssohn ernst.

Theodor seufzte, nickte dann aber: „Ich glaube dir nicht, aber ich habe trotzdem keine Wahl.“

„Richtig.“

„Das dürfte ein wirklich spannendes Unterfangen werden.“

„Ja, das glaube ich auch.“

Nur fragte sich der ehemalige Bauer, was er mit seinem Leben anfangen sollte, wenn er frei war. Bisher hatte er weitergelebt, um sich irgendwann rächen zu können. Nun war klar, dass es dazu keinen Grund gab, weil Konstantin nichts Falsches gemacht hatte. Die Ratsmitglieder waren bereits gekündigt...

Theodor wusste nur, dass er kein Bauer mehr war. Zu viel Blut klebte an seinen Händen. Zu viele Kämpfe hatte er ausgetragen... Zu oft als Lustknabe dienen müssen. Es gab keinen Weg mehr zurück.

„Du willst aber jetzt nicht, dass ich dir zu Diensten bin, oder?“, kicherte der Gladiator stichelnd.

„Bei allen Göttern! Nein!“, keuchte der Adlige vollkommen empört. „Warum denken das immer alle? Wirke ich wie irgendein Perversling?“

„Na ja... Du hast den Zofen ihre Kleidung gestohlen, während sie sich gewaschen haben.“

„Weil du mich dazu angestachelt hast!“

„Und du hast mal Frauenkleidung getragen...“, erinnerte Theodor ihn weiter.

„Ebenfalls, weil du mich dazu angestiftet hast!“

„Na ja, wenn du es nicht wirklich gewollt hättest, hättest du es auch nicht gemacht.“

„Das-... Ich-! Also-... Argh!“, fluchte Konstantin mit glühenden Wangen. Das Gespräch war ihm äußerst unangenehm.

Verständlich und es war auch seine Absicht gewesen. Zumindest ein bisschen Rache musste erlaubt sein, nachdem er die Suche nach ihm aufgegeben hatte.

Trotzdem winkte er nun lieber ab: „Schon gut, schon gut... Du willst mich nicht ins Bett zerren, verstanden.“

„Nein, will ich nicht.“, sagte der König erleichtert. „Ich werde mich mit meinen engsten Vertrauten beraten und wir finden eine Lösung. Irgendwie bekomme ich dich frei, versprochen.“

„In Ordnung.“

„Du hältst das hier doch noch eine Weile aus, oder?“

„Ich habe das hier drei Jahre ausgehalten, Konstan.“, erinnerte Theodor ihn nüchtern. „Ich werde es auch noch einige Wochen oder Monate länger aushalten.“

„Gut... Ich hoffe nicht, dass es so lange dauern wird.“

„Danke für deinen Besuch.“

„Danke, dass du mir glaubst.“

Theodor zwang sich zu einem Lächeln, welches seine Augen allerdings nicht erreichte. Konstantin erwiderte diese Geste, doch sein Lächeln war aufrichtig.

Es war bedauerlich, dass der König sich nun umdrehte und das Zimmer wieder verließ. Kurz darauf wurde der Gladiator schon von den Wachen des Kolosseums abgeholt und wieder in seinen Käfig gesperrt.

Obwohl es ihm vermutlich nicht guttat, war er nun voller Hoffnung. Vielleicht würde der König ihn nicht befreien können, aber zumindest hatte er nun die Gewissheit, dass er ihn niemals verraten hatte. Es ließ ihn hoffen, dass die Menschheit doch nicht so abgrundschlecht war. Jedenfalls nicht alle...

 

Wyrnné saß noch vollkommen alleine an seiner riesigen Tafel, die reich gedeckt war mit Speisen. Viel zu viel für einen alleine. Eigentlich sogar zu viel für eine mehrköpfige Familie! Doch das interessierte seine Köche nicht.

Jeden Tag servierte man ihm diverse Speisen. Von unterschiedlichen Saucen zu Suppen, Braten und diversen exotischen Gemüse- und Obstsorten war absolut alles dabei. Nur, um jede eventuelle Laune des Weltenlenkers abdecken zu können.

Auch die Getränkeauswahl ließ keinen Raum für Unzufriedenheit. Es gab Alkohole, Säfte, Wasser und einige Flüssigkeiten, die er nicht kannte. Sie waren vermutlich aus fernen Ländern exportiert worden, um seinen Gaumen zu erfreuen.

All das erfreute ihn nicht. Keine Geschmacksexplosion machte ihn mehr glücklich. Schokolade war vielleicht teuer und exquisit, brachte sein Herz aber nicht zum Rasen. Erdbeeren waren saftig und süß, doch sie ließen ihn nicht erquicken.

Seine Laune verschlimmerte sich von Minute zu Minute. Konstantin war heute spät dran, was ihn wirklich ärgerte, weil er gerne mit dem König speiste. Er beobachtete ihn gerne mit seinem Gefolge. Hörte ihn gerne lachen. Er sah gerne, dass Konstantins Gaumen noch nicht so erschlafft war wie seiner. Er strahlte, wenn er neue Dinge probieren durfte. Zumindest dann, wenn sie schmeckten...

Nach etlichen Minuten platzte der junge Mann endlich gehetzt in seinen Speisesaal. Begleitet wurde er wieder mal von seinen Hauptmännern, die unfassbar jung für ihren Titel waren.

„Verzeih die Verspätung!“, keuchte Konstantin gehetzt. „Ich war im Kolosseum und die Rückreise war... langlebig.“

„Du warst im Kolosseum?“, hakte Wyrnné überrascht nach. So hatte er Konstantin gar nicht eingeschätzt!

Viele aus seinem Volk genossen das blutige Spektakel der Mann-gegen-Mann-Kämpfe. Je brutaler desto besser. Sie liebten es, wenn Körperteile abgetrennt worden und Köpfe rollten! Ihnen gefiel es, wenn sie Leute beobachten konnten, denen es schlechter ging als ihnen.

Konstantin aber erschien ihm zu gutherzig, um sich dieser Freude anzuschließen. Aber vielleicht war er ein Liebhaber guter Kämpfe.

„Ja, ich wollte jemanden sprechen... hatte vor ein paar Tagen ein paar Kämpfe gesehen.“, erklärte er, während eine Zofe dem König Wein einschenkte.

„Wie gefällt dir denn das Kolosseum?“

„Ich muss zugeben, dass ich beeindruckt bin. Die Kämpfer sind so gut!“, berichtete er eifrig. „Nun habe ich mir aber auch keine Kämpfe auf Leben und Tod angesehen... Eher so eine Art Show-Kampf. Gefällt mir eh besser.“

„Ja, die Gladiatoren sind durchaus beeindruckend.“, stimmte der Weltenlenker ihm zu. „Nur leider sind es größtenteils Verbrecher.“

„Leider?“

„Ich hatte mal mit den Gedanken gespielt, einige von ihnen zu begnadigen, damit sie in meinem Heer dienen, aber ihre Verbrechen sind zumeist einfach.... Nun ja... Sagen wir, dass eine Begnadigung bei den meisten nicht infrage kommt.“

Er konnte Konstantin ansehen, dass ihn diese Aussage verwunderte. Natürlich klang das unlogisch! Wyrnné selbst richtete regelmäßig Kinder hin. Ganz zu schweigen von den Verbrechen, die seine Schöpfungen begangen oder seine eigenen Soldaten. Seine Gottheiten waren sogar noch schlimmer!

Trotzdem gab es Vergehen, die auch er nicht vergab. Unter anderem Verrat.

Es musste nicht immer der Verrat an ihm sein. Es reichte ihm, wenn derjenige überhaupt mal seinen Herren hintergangen hatte. Einmal Verräter, immer Verräter.

„Aber du hast dir doch keinen der Gladiatoren als Lustknaben genommen?“, fragte Wyrnné skeptisch nach.

Der junge König wirkte so, als würde er gleich platzen! Sein Kopf lief mit einem Schlag hochrot an, während er seine Fäuste ballte. Offenkundig war er nicht der Erste, der diese Vermutung in seiner Gegenwart äußerte.

„Nein!“, empörte sich Konstantin mit aufgeblähten Wangen.

„Man weiß ja nie... Aber ich traue dir so etwas auch nicht zu.“

„Gut... Andere nämlich offenbar schon.“

Viele seiner Reichen, Adligen und sogar viele seiner Gottheiten buchten sich regelmäßig die sexuellen Dienste bestimmter Gladiatoren. Inzwischen wunderte sich Wyrnné darüber nicht mehr, aber es widerte ihn dennoch an.

Gelangweilt stocherte er in seinem Essen herum. Früher hatte er wirklich gerne gegessen, doch inzwischen sah er es nur noch als lästig an. Eigentlich aß der Weltenlenker nur noch, um bei Kräften zu bleiben.

„Kann man die Gladiatoren eigentlich... freikaufen oder so?“, erkundigte sich Konstantin plötzlich.

Irritiert über dieses plötzliche Interesse sah Wyrnné ihn an. Dann erinnerte er sich an einen Namen. Theodor... Man hatte ihn vor drei Jahren aus Rabenwacht entführt und an das Kolosseum verkauft. Der damalige Rat hatte befürchtet, dass der Einfluss des Bauern zu groß auf Konstantin war. Sie waren sich sicher gewesen, dass er durch Theodor rebellieren würde.

Ironischerweise hatte der König Rabenwachts sie alle kurz darauf selbstständig ihrer Ämter enthoben und trotzdem gegen die Gesetze des Weltenlenkers rebelliert. Ganz ohne die Meinung des Bauern, hatte er sein eigenes Regime aufgebaut. Und das sehr erfolgreich.

„Es kommt vor, dass Lord Optimus einige seiner Gladiatoren verkauft. Ihr Preis variiert jedoch nach ihren Leistungen und ihrem Alter. Ihre Beliebtheit ist ebenfalls wichtig.“, antwortete er ihm dennoch aufrichtig. „Nicht viele kaufen Gladiatoren frei. Die meisten werden von deinem Freund Leonard gekauft. Sie werden dann als Hengste auf seinen eigenartigen Pferderennbahnen gehalten...

Jedoch muss ich dich enttäuschen, Konstantin. Lord Optimus wird dir seinen Champion nicht überlassen.“

„Ihr wisst also von Theodor?“

„Ja, dein Rat setzte mich über ihre... drastischen Schritte in Kenntnis.“

„Es war nicht Eure Idee?“

„Nein.“, erwiderte Wyrnné wahrheitsgemäß. „Bis dahin kannte ich nicht mal seinen Namen oder wusste, dass er existiert.“

„Warum habt Ihr es zugelassen?“

Desinteressiert zuckte er mit seinen Schultern, während er sich zurücklehnte: „Ich bin davon ausgegangen, dass dein Rat schon wissen wird, was er tut.“

„Das waren nur verblendete, alte Säcke... Aristokraten, die um ihre Positionen bangten.“

„Zu Recht. Du hast sie kurz darauf entlassen.“

„Nicht aus Böswilligkeit, sondern weil sie schlechte Berater waren.“

„Natürlich.“, stimmte der Weltenlenker ihm mit einem kühlen Lächeln zu. „Genauso wie deine ehemaligen Hauptmänner?“

Aus den Augenwinkeln konnte er beobachten, wie Benedikt Graufell und Durell aufsahen. Selbstverständlich war ihnen bewusst, dass sie den Platz eines anderen eingenommen hatten, doch zumeist war den Nachfolgern nicht klar, weshalb dieser Posten frei geworden war. In der Regel, weil ihre Vorgänger tot waren.

Mit etwas Glück starben Hauptmänner auf einem Schlachtfeld. In Ehre und in der Erfüllung ihrer Pflichten. Meistens aber starben sie durch Attentäter, Gift oder die Hand ihres eigenen Herren. Nur der Verdacht auf Illoyalität konnte das Todesurteil eines Hauptmannes unterzeichnen.

Als Konstantin von Rabenwacht die Krone erbte, enthob er fast jeden Mann aus seiner Führungsposition. Hauptmänner, Ratsmitglieder, Berater, sogar seine rechte Hand! Er ließ keinen einzigen Stein auf dem anderen.

All die freigewordenen Posten besetzte er rasend schnell mit jungen, eigentlich unerfahrenen Nachfolgern, die aber alle ihre Vorgänger in Rekordzeit überflügelten. Als sah er etwas in ihnen, was sonst keiner sehen konnte. Auch das hatte zu seinem Aufschwung beigetragen.

„Ihr wollt wirklich wissen, weshalb ich die Hauptmänner degradiert habe?“

„Ich würde es schon gerne wissen und ich denke, dass deine Hauptmänner es auch wissen wollen.“, säuselte Wyrnné verlockend. „Ich weiß, dass sie noch leben. Zumindest größtenteils... Du hast keinen einzigen hingerichtet.“

„Das ist wahr.“

„Ein paar von ihnen sind inzwischen am Alter oder in einer Schlacht gefallen. Manche an Krankheiten...“

„Das ist ebenfalls korrekt.“

„Soweit ich weiß – und bitte korrigiere mich, falls ich mich irre – waren sie alle loyal gegenüber der Krone. Dein Rat war... korrumpiert, doch deine Hauptmänner nicht.“, führte er wissentlich aus. „Warum also der Wechsel?“

„Ihr wollt die Wahrheit wissen? Egal, wie sehr sie Euch auch erschüttern könnte?“

„Bitte... Erleuchte mich.“

Auch Durell und Benedikt wirkten gespannt auf die Antwort. Sie hatten nie gewagt zu fragen. Konstantin schien der einzige in diesem Raum zu sein, der vollkommen entspannt war und sich keine Sorgen um sein Wohlergehen machte. Es kam ihm immer mehr so vor, als würde er sich in Götterherz allmählich wohler fühlen als ihre eigenen Einwohner.

„In der Tat waren die vorherigen Hauptmänner, Kommandeure und Führungskräfte meiner Armee und Leibgarde überaus fähig. Ich bezweifle auch nicht ihre Loyalität gegenüber der Krone. Sie waren auch sehr erfahren... Begabt.“, begann der junge König gelassen. „Doch ich erkannte, dass andere noch viel begabter, viel loyaler und viel klüger waren als sie. Ich gab jenen die Posten, die sie wirklich verdienten, weil ihre Fähigkeiten perfekt darauf zugeschnitten waren.

Keiner erhielt seinen Posten aufgrund seiner Herkunft oder weil jemand mich dafür bezahlte. Sie sind größtenteils junge Männer mit wenig Erfahrung, aber viel Einblick. Mit etwas Glück, werden sie ihre Ränge noch lange bekleiden, weil sie noch keine Relikte grauer Vorzeiten sind...

Kurz gesagt: Ich ersetzte meine gesamte Führung, weil sie nicht ansatzweise so gut waren wie ihre jetzigen Nachfolger.“

Beeindruckt hüllte sich Wyrnné Ralahur in Schweigen. Er musste zugeben, dass er mit solch einer ausführlichen Antwort nicht gerechnet hatte.

Noch weniger hatte er damit gerechnet, dass er Konstantin jedes einzelne Wort seiner Ausführungen glauben würde. Doch er sprach mit so viel Inbrunst, dass der Weltenlenker nicht eine einzige Silbe anzweifelte.

Konstantin hatte niemanden zu einem hohen Posten erkoren, der es nicht verdient hatte. Vielmehr war es so, dass man seinen hohen Ansprüchen nur so hatte entgegenkommen können.

Du beeindruckst mich immer wieder... Deine ausgezeichneten Menschenkenntnisse werden nur noch von deinem guten Herzen überschattet., gestand sich Wyrnné etwas neidisch ein.

„Vielleicht solltest du auch mal mein Heer umstrukturieren. Offenbar liegt es dir ja.“

„Gerne.“, erwiderte Konstantin salopp.

Obwohl der Schwarzhaarige wohl eigentlich beleidigt sein sollte, war er es nicht. Stattdessen begann er schmunzelnd ein paar geschnittene Früchte zu essen.

„Könntet Ihr nicht Lord Optimus überreden, dass er Theodor ziehen lässt?“

„Nein, Konstantin, bedaure.“

„Warum nicht? Ihr seid doch der Weltenlenker!“

„Weil wir einen Vertrag geschlossen haben.“, antwortete der falsche Gott seufzend. „Er nimmt jeden Verbrecher, den ich loswerden will und veranstaltet die Todesspiele. Außerdem zahlt er mir einen gewissen Sold von seinen Gewinnen... Dafür halte ich mich aus der Ausbildung der Gladiatoren und politischen Angelegenheiten heraus.“

„Verstehe...“, murmelte der König sichtlich enttäuscht. Jedoch respektierte er wohl die Macht eines rechtswirksamen Vertrags zwischen Männern.

Das restliche Essen verlief weitgehend schweigend. Jedoch war Wyrnné nicht entgangen, dass die Hauptmänner nun noch stolzer waren als zuvor. Zu hören, dass sie aufgrund ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten in ihre Positionen erhoben worden waren, pushte ihr Ego. Und das war auch vollkommen in Ordnung.

Nachdenklich verabschiedete sich Konstantin schließlich von ihm. Er würde sich wohl überlegen, wie er Lord Optimus davon überzeugen konnte, dass er Theodor ziehen ließ. Jedoch bezweifelte der Weltenlenker immer noch, dass er das schaffen konnte. Der Champion war ein wahrer Goldesel!

„Hauptmann...“, sagte Wyrnné rasch und alle Männer erstarrten sofort. „Durell... Hast du noch einen Augenblick?“

Skeptisch sah der König ihn an, ehe der Hauptmann seiner Leibwache antworten konnte, erhob er seine Stimme: „Was wollt Ihr von ihm?“

„Nicht seinen Kopf. Nur ein kurzes Gespräch.“

„Durell, ist das für dich in Ordnung?“

„Ja, Majestät.“, antwortete der junge Mann nicht minder nervös.

„Wir warten dann draußen.“

Es schmeckte weder Konstantin noch Benedikt ihn hier alleine zu lassen, aber sie verließen dennoch den Speisesaal. Kurz darauf fiel die mächtige Flügeltür ins Schloss und sie waren unter sich. Falls man in Heimdall jemals unter sich sein konnte...

„Weiß er von deinem Zutun bei der damaligen Entführung von Theodor?“

Mit einem Schlag wurde der junge Hauptmann kreidebleich. Obwohl er etwas sagen wollte, bekam er seinen trockenen Mund nicht mehr auf. Sein geschockter Gesichtsausdruck war Antwort genug.

„Habe ich mir fast gedacht... Sonst hätte er dich sicherlich längst deines Amtes enthoben.“, sagte Wyrnné gefühlskalt, während er sich wieder etwas in den Stuhl sinken ließ.

„Werdet-... Werdet Ihr es ihm sagen, Mylord...?“, fragte Durell heiser.

„Nein... Er wird es selbst herausfinden.“

Wenn Konstantin eine Sache bewiesen hatte, dann war es die, dass sein Intellekt ihm Antworten lieferte. Früher oder später lüftete er jedes Geheimnis.

„Aus welchem Haus stammst du ursprünglich?“, hinterfragte der Weltenlenker interessiert.

„Wie meint Ihr das?“

„Oh bitte, ich erkenne einen Aristokraten, wenn ich ihn vor mir sehe, Durell.“, winkte Wyrnné gelangweilt ab. „Du bist einfach zu gepflegt und zu... erhaben. Trotzdem spricht dich keiner mit einem Zunamen an. Selbst Benedikt hat einen und der sieht aus wie eine einzige Schlammgrube!“

„Ich habe keinen Titel und keinen Zunamen mehr, Mylord.“, antwortete der Hauptmann mit gestrafften Schultern. Nichts an ihm strahlte Scham für den Verlust seines Erbes aus. Was auch immer ihn um seinen Titel gebracht hatte, war aus Überzeugung geschehen. Oder aus Liebe...

„Mich interessiert trotzdem welchem Adelsgeblüt du entstammst.“

„Wiesbeck...“

„Ernsthaft?“

„Ja...“, räusperte sich der Hauptmann verlegen.

Sofern ihn seine Berater nicht falsch informiert hatten, war die Familie Wiesbeck eine der größten Häuser im Lebensberg. Sie waren nicht einfach nur groß, sondern vor allem mächtig und reich!

Nur hatte der Weltenlenker gar nicht gewusst, dass sie einen ihrer Söhne ganz offiziell verbannt hatten. Ihnen musste diese Angelegenheit also sehr peinlich sein. Was immer er angestellt hatte, musste dem Ansehen des Hauses sehr geschadet haben, um solche Schritte einzuleiten.

„Hast du noch Kontakt zu deiner Familie? Zu deinen Geschwistern?“, wollte er begierig wissen.

„Nein.“

„Wissen sie, dass du nun der Hauptmann der königlichen Leibgarde bist?“

„Ich denke schon...“, brummte Durell nicht unbedingt höflich. „Die Ernennung war öffentlich zugänglich.“

„Und trotzdem hast du deinen Titel nicht zurückerhalten? Hauptmann der königlichen Leibwache... Das ist schon beeindruckend.“

„Mylord, wollt Ihr irgendwas Bestimmtes oder darf ich mich zurückziehen?“

„Verzeih‘...“, lenkte Wyrnné ein, nahm sich aber vor, dass er Nachforschungen über Durell anstellen würde. „Geh‘ und danke.“

„Zu Diensten, Euer Gnaden.“, sagte er steif und verbeugte sich vor dem Weltenlenker.

Man musste kein Genie sein, um zu wissen, dass Durell sich nicht gerne mit ihm unterhalten hatte. Er hatte sich nicht mal wohlgefühlt! Trotzdem war es für ihn angenehm gewesen, mit dem jungen Mann zu sprechen.

Allmählich hegte Wyrnné selbst den Wunsch, seine komplette Führung für junge Nachfolger zu ersetzen. Sie sorgten dafür, dass es nie langweilig wurde und Gefühle in ihm hochkamen. Echtes Interesse. Den Drang danach zu forschen!

Mit einem kalten Lächeln wies er seine Zofen an, den Tisch leerzuräumen, während er sich in seine privaten Gemächer zurückzog. Egal wie, er würde mehr über die engsten Vertrauten von Konstantin in Erfahrung bringen. Dieses Wissen würde vielleicht noch nützlich sein.

 

Knapp duckte sie sich unter der mächtigen Streitaxt weg und machte eine Rolle über den Boden. Der Ork holte direkt wieder aus, während sein Artgenosse versuchte, hinter sie zu gelangen. In den Augen der beiden Orks brannte das Feuer des Kampfes und doch wünschte sich Billiana, sie hätten sich direkt am Anfang ergeben, wie sie es erbeten hatte.

Leider waren diese Kreaturen nicht besonders diplomatisch veranlagt. Außerdem gab es nicht mehr viele freie Orks und selbst die, die unter dem Banner eines Königs dienen durften, waren nicht mehr besonders zahlreich. Die meisten von ihnen waren in Lohensturm und kämpften unter dem Banner von König Melchior von Lohensturm.

Diese beiden Orks gehörten nicht zu ihnen. Sie waren freie Orks, die wohl in dieser Gegend gewildert hatten. Vielleicht waren sie dem König sogar entflohen, um ihr Glück als Deserteure zu wagen.

Geschickt sprang die Elfe zur Seite, als wieder die mächtige Streitaxt auf sie zuraste. Just im nächsten Augenblick musste sie eine Pirouette in die andere Richtung wagen, weil sein Ork-Kamerad mit seinem Bogen auf sie schoss. Zu ihrer großen Freude war er kein guter Schütze!

Immer wieder tänzelte sie beiseite, wenn der Ork den nächsten Pfeil abschoss. Er hielt ihn nicht lang genug und zielte zu ungenau, trotzdem beschloss die Attentäterin, dass sie ihn zuerst ausschalten musste.

Geschickt machte sie eine Pirouette um den Axtschwinger herum und schlug ihm im Anschluss ihren Schild direkt gegen den Kopf. Der Aufprall war laut und klang sehr schmerzhaft. Benommen taumelte der Ork umher und schlug dabei um sich, damit er kein zu leichtes Ziel abgab.

Das gab ihr Zeit, sich umzudrehen und auf den Bogenschützen zu zulaufen. Panisch legte er einen Pfeil auf die Sehne und ließ ihn ungeschickterweise direkt los. Sie schlug ihn einfach mit ihrer Seelenklinge beiseite.

Gnadenlos richtete sie ihr Schwert nach vorne und nutzte den Schwung des Laufens, um es ihm direkt zwischen die Augen zu rammen. Der Schädel knackte, als die scharfe Klinge ihn durchbohrte, während sich die Augen des Orks weiteten. Im nächsten Moment war er schon tot, doch sein Gesicht blieb diese ängstliche Maske.

Erst als Billiana ihr Schwert wieder aus dem Kopf ihres Feindes riss, schoss das Blut in einer kurzen Fontäne heraus. Es besudelte sie, doch es warf sie nicht aus der Bahn.

Im letzten Moment machte sie eine Drehung und parierte den Angriff des Axtschwingers. Metall schabte an Metall, als seine Axt niedersauste, während sie ihr Schwert hochriss. Die Spitze ihrer Klinge schnitt dem Ork dabei einmal quer durch das hässliche Gesicht.

Schmerzerfüllt taumelte die Bestie zurück und griff sich mit seiner freien Hand in das blutende Gesicht. Sein ganzer Körper verspannte sich, während er seine Streitaxt umklammerte.

„Ein letztes Mal...“, zischte die Elfe. „Gib‘ auf und zieh’ dich zurück. Du hast keine Chance, aber du musst auch nicht sterben.“

„Ich bin längst tot.“, knurrte der Ork. Er schien nun noch wütender als zuvor.

Also ein Deserteur..., stellte sie nicht unbedingt überrascht fest. Wenn man diese Orks schnappte, dann würde man sie für ihren Verrat hinrichten. Zumindest wenn sie Glück hatten...

Zornig stürmte der Ork mit einem Kampfschrei auf den Lippen auf sie zu. Es fiel ihr leicht, diesem blinden Angriff auszuweichen und ihrem Feind mit dem Schwert über den Rücken zu schlagen. Er schrie auf, während das Blut in seine billige Lederkluft sickerte.

Etwas bewunderte sie ihn dafür, dass er nicht aufgab. In diesem Augenblick war sie sein Todesengel. Statt in ihrem Angesicht zu bibbern, kämpfte er.

Angeschlagen holte der Axtschwinger zum nächsten Angriff aus, den sie mit ihrem Schild parierte. Ohne mit der Wimper zu zucken ging sie direkt zum Gegenangriff über. Er war außerstande auszuweichen. Sie war inzwischen zu dicht an ihm dran, weshalb sie problemlos seine Kehle durchstoßen konnte.

Erst wirkte sein Gesicht ebenso entsetzt wie das seines toten Kameraden. Kurz darauf entdeckte sie jedoch etwas anderes... Es sah aus, als fühlte er sich befreit. Als habe sie ihn von einer schweren Bürde erlöst.

Wie bei dem anderen Ork riss sie auch bei ihm die Seelenklinge rasch heraus. Das Blut ihres Feindes benetzte sie erneut, als er kurz aus der Wunde schoss.

Respektvoll senkte sie für einige Minuten schweigend ihren Kopf. Sie waren nicht wirklich Feinde gewesen und sie bedauerte sehr, dass sie ihnen ihre Leben hatte nehmen müssen. Zumindest wollte sie ihnen dann die letzte Ehre erweisen, weil es sonst keiner tun würde.

Seufzend hockte sie sich zu dem toten Axtschwinger, um vorsichtig seine Augen zu schließen. Das wiederholte sie auch bei dem anderen Ork.

„Wir sehen uns im nächsten Leben...“, hauchte Billiana respektvoll, ehe sie sich wieder erhob.

Mit erhobenem Haupt ließ sie die Leichen zurück. Sie hatte keine Zeit sie zu begraben und es war auch viel zu gefährlich. Hier konnten Soldaten, Banditen oder andere Flüchtige auftauchen. Es war schon schlimm genug, dass sie durch Zufall auf die beiden Orks getroffen war.

Billie bezweifelte, dass ihnen bewusst gewesen war, wie nah sie an einem sehr mächtigen Ort waren. Ihnen war sicherlich nicht klar gewesen, dass sie nur den Weg hinauf in den Berg hätten nehmen müssen, wie sie es jetzt tat. Sie hatten den Ruf nicht gehört...

Den Eingang zu finden, war nicht allzu schwer, wenn man wusste, wonach man suchte. Wenn er einen rief... Für alle anderen war es ein unmögliches Unterfangen. Außerdem vermutete die Elfe, dass er durch Magie vor Außenstehende verborgen lag. Solche Schutzzauber waren wichtig, sonst konnten Menschen wie Wyrnné hier einfach reingehen.

Trotzdem behielt Billiana Schild und Schwert in ihren Händen, während sie die Höhle langsam betrat. Aufmerksam sah sie sich um und lauschte mit ihrem feinen Gehör nach eventuell verdächtigen Geräuschen. Hier schien niemand zu sein. Ab und zu tropfte mal etwas Wasser von der Decke, doch sonst war es totenstill. Es gab nicht mal Tiere.

Bald schon ging sie nicht mehr über Stein, sondern über Kristall. Diese Kristalle breiteten sich nicht nur über den Boden aus, sondern auch an den Wänden bis hinauf an die Decke. Durch diese Kristalle wurde das Licht zahlreich gebrochen, wodurch die Höhle beinahe taghell erleuchtet wurde.

Wie sie es vermutet hatte, erreichte sie schließlich eine große Halle. Zahlreiche Kristalle waren hier verteilt, deren Oberflächen absolut glatt waren, als hätte man sie nicht nur geschliffen, sondern auch noch poliert. Sie spiegelte sich darin, konnte aber auch Blicke auf andere Welten erhaschen. Je nach dem, aus welchem Blickwinkel sie in die Spiegel sah, konnte sie auch andere Perspektiven jener Welten sehen, die ihr größtenteils fremd waren.

Das letzte Mal, als Billie an diesem Ort gewesen war, war Andras gestorben und sie hatte Zodiak in sich aufgenommen. Außerdem war sie zum Drachen erwacht... Das war inzwischen einige Jahrhunderte her, doch für die Elfe fühlte es sich so an, als sei es gestern gewesen.

Ihre eisblauen Augen sahen zu der Stelle, auf der Andras gelegen hatte, doch sie entdeckte keinerlei Spuren. Keine vertrocknete Blutlache, kein dunkles Mal, welches diesen sinnlosen Tod markierte. Absolut gar nichts...

Sie hatten seine Leiche geborgen und sie seiner Familie übergeben. Argrim hatte sie auf die Beerdigung begleitet, obwohl es für ihn sehr beängstigend gewesen war, die Unterwelt zu besuchen. Sie hatten ihrem gemeinsamen Freund die Ehre erwiesen, die er sich verdient hatte. Doch diese Höhle hatte das Opfer längst vergessen.

Mehrmals atmete die Blondine tief durch, dann schritt sie auf den größten aller Kristallspiegel zu. Der, durch den sie einst geschritten war, um zum Drachen erweckt zu werden und die Macht zu erhalten, die sie gebraucht hatte, um das Urböse zu bannen. An jenem Ort hatte sie sich entschieden, dass sie sich nicht opfern würde. Nicht wie alle Ahninnen vor ihr...

Heutzutage bereute sie ihren Entschluss. Nicht, weil sie es für falsch hielt, dass sie eine neue Methode probierte, sondern weil sie Wyrnné Ralahur in die Sache mit hineingezogen hatte.

Vorsichtig streckte sie ihre Handfläche aus und berührte die Oberfläche des Spiegels. Erst fühlte sie sich kalt und fest an, doch dann wurde sie plötzlich weich. Beinahe so, als würde der Kristall schmelzen.

So mutig wie damals schritt Billiana auch dieses Mal mit erhobenem Haupt durch den Spiegel. Sie hatte damals wie heute keine Ahnung was sie erwartete, doch ihr war klar, dass es ihr im Kampf gegen Zodiak helfen würde. Egal, was es auch war, was sie rief.

Nur einen Herzschlag später fand sie sich in einer ähnlichen Halle wieder, nur gab es hier keine Kristalle, sondern richtige Spiegel im Barrock-Stil. Generell wirkte dieser Raum wesentlich eleganter, obwohl es hier dunkler war.

Als sie sich umdrehte, erschrak die Elfe. Sie hatte weder gesehen noch gehört, dass jemand hier war! Er stand plötzlich hinter ihr.

Erstaunt stellte Billie fest, dass sie in das grinsende Gesicht von Andras blickte, an den sie eben noch gedacht hatte. Er sah genauso aus wie in den letzten Tagen seines Lebens, nur irgendwie... blasser. Als wären seine Farben ausgebleicht.

„Herzlich Willkommen, liebste Billie.“, sagte er herzlich und breitete seine Arme aus, als begrüßte er sie in seinem Anwesen.

„Andras...? Bist du es wirklich?“

„Leibhaftig! Obwohl... Nicht leibhaftig, weil ich ja tot bin, aber irgendwie bin ich es dennoch.“

„Wieso? Müsstest du nicht längst wiedergeboren sein?“

„Theoretisch müsste ich das wohl, aber es liegt wohl daran, dass ich an diesem Ort gestorben bin.“, erwiderte der Nekromant gelassen.

„Hast du mich gerufen?“

„Nein, das war ich nicht. Das war unsere gemeinsame Freundin...“

„Shiva.“, schlussfolgerte sie bitter.

„Ding, ding, ding, ding! Die Lady gewinnt den Jackpot!“

Sie seufzte. Ihre letzte Begegnung mit der Schöpfermutter war nicht unbedingt herzlich verlaufen. Sie hatte sie über die möglichen Konsequenzen einer falschen Entscheidung aufgeklärt und deutlich gezeigt, dass sie Billianas Beschluss nicht gut fand. Trotzdem hatte sie nicht eingegriffen.

Was immer Shiva von ihr wollte, würde gewiss nichts Gutes heißen. Wenn sie ihr nicht sogar ihre Entscheidung vorwerfen wollte!

„Was ist das hier eigentlich für ein Ort?“, fragte Billiana wissbegierig, um nicht mehr über Shiva nachzudenken.

Nachdenklich sah sich Andras um, ehe er ihr wieder in die Augen sah: „Dieser Ort hat über die Jahrtausende sehr viele Namen bekommen, aber ich finde die Bezeichnung »Raum der Spiegel« in diesem Fall am zutreffendsten.“

„In diesem Fall?“

„Da sich die Optik des Raums an die Vorstellungen des Besuchers anpasst, sieht er jedes Mal anders aus. Du denkst an Spiegel, also sind sie hier... Andere stellen sich eher Fenster oder Türen vor, die als Schnittpunkt zu den anderen Welten dienen.“

„Verstehe... Raum der Spiegel.“, wiederholte die Elfe nachdenklich und ging zu einem der besagten Spiegel. Auch von hier aus konnte sie einen Blick auf fremde Welten erhaschen, nur wirkte das Bild getrübter.

Ihr war klar, dass dieser Raum jenseits von Zeit und Raum existierte. Er gehörte keiner Welt an – auch nicht der Zwischenwelt. Das hier war die Schnittstelle aller Welten und vermutlich der Ursprung aller Schöpfungen. Von hier aus hatten die Schöpfer die Welten erschaffen.

Um diesen Knotenpunkt zu schützen, wechselte er auf magische Weise ständig den Zugangsort. Außerdem hatte sie schon beim Betreten vermutet, dass noch weitere Schutzzauber Unerwünschten den Zutritt verweigern würden. Nur hatte das damals leider nicht bei Zodiak gewirkt...

„Weil er keine Seele hat.“, mischte sich Andras plötzlich ein und sie drehte sich schockiert um. „Hier kann ich deine Gedanken hören.“ Diese Erklärung war so einleuchtend wie sie erschreckend war.

„Wie?“

„Weil ich durch meinen Tod mit diesem Ort verbunden bin. Jeder, der hierherkommt, ist es aber auch.“

„Also bin ich auch mit dem Raum der Spiegel verbunden?“

„Ja, du am allermeisten.“

„Weil ich eine von Shivas Wiedergeburten bin.“, seufzte Billiana nicht unbedingt begeistert.

Um diese Bürde hatte sie niemals gebeten, trotzdem trug sie sie mit so viel Würde, wie es ihr möglich war! Nur an Tagen wie diesen, wollte sie gerne aufgeben, davonlaufen und die Welten sich selbst überlassen.

„Das ist nicht deine Art.“, kicherte der Nekromant erfreut. „Du bist die große Retterin.“

„Ja, ja, schon verstanden! Du bist in meinem Kopf.“

„Oh ja, Baby, das bin ich. Ich kann mir jeden Fick von dir nochmals genau angucken.“

„Das ist ja widerlich!“, empörte sich die Elfe schockiert.

„Widerlich ist, dass du schon Sex mit Orks hattest.“

„Hör‘ auf damit! Das geht dich nichts an...“, zischte sie böse. „Sag‘ mir lieber, was ich hier soll. Ich habe nicht ewig Zeit.“

„Du weißt doch, dass dieser Raum jenseits von Raum und Zeit existiert. Also hast du alle Zeit der Welt, wenn man es genau nimmt.“

„Dann habe ich einfach keine Lust, hier zu sein.“, stöhnte die Blondine genervt. Allmählich erinnerte sie sich wieder, weshalb Argrim und Andras sich auf ihrer Reise ständig gestritten hatten. Und genau das fehlte ihr...

„Shiva will dich testen. Sie hat einige Prüfungen für dich vorbereitet.“

„Prüfungen? Weshalb?“

„Offenbar sollst du dir das Anrecht verdienen, den Schild der Götter zu erhalten.“, antwortete er ihr seltsam ernst.

„Aber den Schild habe ich doch auf Yallad erhalten!“

„Und ihn dort verloren...“, erinnerte er sie.

„Weshalb muss ich ihn mir verdienen, wenn Pahas’ka ihn mir auf Yallad offiziell überreicht hat?“

„Weil du ihn im Kampf gegen Zodiak verloren hast, Billie, deshalb musst du dir das Anrecht erneut erkämpfen.“

„Und wie genau sieht das aus?“, hinterfragte die Elfe skeptisch.

„Shiva wird dich die Prüfung der Götter absolvieren lassen. Diese Prüfungen sollen vor allem deinen Charakter testen, aber natürlich auch dein kämpferisches Geschick und deine Intelligenz.“

„Und wenn ich alle Prüfungen bestehe, erhalte ich den Schild zurück?“

„So ist es.“

Wenn Billiana eines wusste, dann, dass nichts im Leben umsonst war. Und nichts war so einfach, wie man stets glaubte! Der Schein trog einen häufiger, als man dachte und wenn man naiv genug war, dann fiel man darauf hinein. Sie war nicht so dumm, um das Ganze nicht mit gesunder Skepsis anzugehen.

Also sah sie ihren verstorbenen Freund ernst an: „Wo ist der Haken?“

„Wenn du die Prüfungen nicht bestehst, stirbst du und deine Seele wird in einen anderen Körper wiedergeboren.“

„Also ist sie doch nicht mit meiner Entscheidung einverstanden und will ihren Fehler korrigieren!“

„Ich denke nicht, dass das so einfach ist, Billie...“, widersprach Andras ihr kopfschüttelnd. „Da du den Schild im Kampf verloren hast, akzeptiert er dich nicht mehr als seine Trägerin. Du musst das Band neu knüpfen. Darauf hat Shiva keinen Einfluss...“

„Und wieso die Todesstrafe, falls ich versagen sollte?“

„Das ist der normale Ablauf dieser Prüfungen.“

Wüst schimpfte die Blondine in verschiedenen Sprachen, die sie aus Langeweile gelernt hatte. Die früheren Götter verstanden sich darauf, ihr das Leben wirklich zur Hölle zu machen. Dabei waren die meisten von ihnen längst tot!

Unruhig ging sie auf und ab. Einige Male blickte sie dabei in die Spiegel, um sich abzulenken.

Hatte sie denn eine Wahl? Irgendwas sagte ihr, dass sie den Schild der Götter noch brauchen würde. Konnte sie also ihre Chance vertun, ihn erneut zu erhalten? Ihn nicht endgültig an sich zu binden?

Billiana kannte die Antwort darauf. Andras auch. Er hob seine Hand und ein großer Spiegel erschien mitten in der Halle, dessen Oberfläche absolut glatt war. Dennoch wusste sie, dass wenn sie die Hand darauflegen würde, er sich verflüssigte wie zuvor der Kristall.

„Wenn du bei den Prüfungen sterben solltest, können wir ja unsere Verlobung neuaufleben lassen und endlich heiraten.“, schlug Andras ihr heiter vor.

„Deal.“

„Kannst du bitte noch etwas liebloser meinen absolut romantischen Antrag annehmen?“

Schief lächelte sie ihn an, dann trat sie durch die Oberfläche des Spiegels, um sich der Prüfung der Götter zu stellen. Bereit, alles zu riskieren.

 

Als sie ihre Augen aufschlug, befand sie sich in einer düsteren Halle. Sie erinnerte Billie an die Unterwelt. Karg, kalt und zu dunkel, um jeden Winkel klar zu erkennen. Vermutlich griff Shiva auf ihr Unterbewusstsein zu, um diese Umgebung zu erzeugen. Bei einem anderen Prüfling sähe hier alles anders aus.

Langsam trat sie voraus und sah sich um. Nichts deutete darauf hin, woraus ihre erste Prüfung bestehen sollte. Hier war niemand. Absolut gähnende Leere.

Verwirrt drehte sich die Elfe um ihre eigene Achse und musterte die Wände. Es gab keine Steintafeln oder andere Hinweise darauf, wie es weitergehen sollte. Keine versteckten Runen. Kein weiterer Toter, der ihr erschien wie zuvor noch Andras.

Vielleicht hätte ich mich erstmal über den genauen Inhalt der Prüfungen informieren sollen, bevor ich hier für immer feststecke., dachte Billiana selbstironisch.

Eine Weile irrte sie noch umher. Es gab keine Türen. Keine Fenster. Sie drückte ihre Hände immer mal gegen die Wände, doch sie fand auch keine versteckten Mechanismen, um einen Geheimgang zu offenbaren. Kein Luftzug, der davon sprach, dass es hinter diesen Mauern noch weitere Räume oder Freiheit gab. Zwar standen einige Steine hervor, doch es schien keine Bedeutung zu haben.

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie alles abgesucht hatte, bis auf den Boden, über den sie schritt! Langsam senkte sie ihre eisblauen Augen und erkannte zwei gleichgroße Vierecke. Zahlreiche Steintafeln waren darin eingelesen.

In dem einen Viereck konnte sie eine Art Wappenbild erkennen, während das andere konfus war und eine Tafel fehlte. Sie kannte dieses Spiel aus der Unterwelt. Es war eine Art Puzzle, durch das geprüft wurde, ob ein Kind oder Jugendlicher strategisches Geschick aufwies. Nur waren diese Spiele weniger groß und hatten auch weniger Einzelteile.

Auch die Blondine hatte sich dieser Herausforderung in ihrer Jugend stellen müssen. Sie hatte schnell begriffen, dass es sie nicht weit brachte, wenn sie gedankenlos die Puzzleteile verschob. Natürlich konnte sie das irgendwann ans Ziel bringen, doch es würde ewig dauern!

Vorsichtig griff sie nach den hervorstehenden Steinen an der Mauer und hievte sich daran so hoch, wie es ging, damit sie eine neue Perspektive auf das Rätsel werfen konnte. Nun erkannte sie auch das Gesamtbild dessen, was das Puzzle mal ergeben sollte.

Shivas Wappen... Es ragte damals auf allen ihren Bannern., erkannte sie mit verzogenem Gesicht. Ein bisschen selbstverliebt ist das schon.

Billie versuchte sich alle wichtigen Eckpunkte des Wappens einzuprägen. Sich besonders auffällige Muster zu merken, ehe sie auf das Puzzle starrte. Die Attentäterin versuchte sich jetzt schon möglichst viele Züge überlegen, doch weil das Rätsel so groß war, würde sie zwischendurch immer wieder neu ansetzen müssen.

Ihr war bewusst, dass es auf einem Schlachtfeld nicht anders war. Anfangs konnte man noch gut planen, doch im Laufe jeder Schlacht änderten Feinde ihre Taktik oder sie überraschten einen mit unerwarteten Waffen. Spätestens dann musste man eine neue Strategie entwickeln, um zu gewinnen.

Geschickt sprang sie von der Mauer herunter und ging zu der Lücke in dem Puzzle und begann es mit den Füßen zu verschieben. Links, links, rechts, unten, rechts, rechts, unten...

Immer mal wieder musste sie die Wände hinaufklettern, um wieder eine neue Perspektive auf das Bild zu werfen und sich neue Züge zu überlegen. Wie lange Billiana wirklich brauchte, bis das Wappen endlich vollendet war, wusste sie nicht. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor! Trotzdem schaffte sie es, das riesige Bild richtig anzuordnen.

Plötzlich erschien die fehlende Platte und beide Bilder sahen nun vollkommen identisch aus. Kurz darauf leuchtete ein Licht grell zwischen den Vierecken auf und ein großer Spiegel erschien. Also hatte sie die erste Prüfung bestanden.

Erneut atmete sie tief durch, dann trat sie durch das neue Portal, um sich ihrer zweiten Prüfung zu stellen. Die begann direkt wesentlich hektischer!

Nur ihren ausgeprägten Instinkten war es zu verdanken, dass sie sich unter einem Breitschwert ducken konnte. Kurz darauf machte sie einen Hechtsprung, damit eine Salve Pfeile sie nicht aufspießte.

Als sich Billiana endlich umsehen konnte, stellte sie fest, dass sie sich inmitten eines Schlachtfelds befand! Zahlreiche Menschen und Nichtmenschen kämpften wütend miteinander. Diverse Banner waren in der Ferne zu erkennen.

Einige der Krieger waren sehr gut ausgestattet. Sie trugen Rüstungen, hochwertige Waffen, hatten Helme und einige sogar Pferde, doch die meisten Soldaten wirkten eher wie Bauern. Ihre Kleidung war alt, bestand größtenteils aus Leinen oder abgenutzten Leder. Ihre Waffen waren Spitzhacken, Schaufeln, Hammer und andere Werkzeuge, die eigentlich nicht für solch eine Schlacht ausgelegt waren.

Wieder duckte sich die Elfe unter einer Waffe hinfort und sah dem Angreifer dabei direkt in die Augen. Seine Augen waren komplett weiß und ohne jeglichen Willen. In diesem Moment wusste sie genau, wo sie war...

Jene Schlacht hatte alles in Gang gesetzt. Es war der Anfang ihrer damaligen Reise gewesen. Shiva griff auf ihre Erinnerungen zu, um dieses Kampfgeschehen nachstellen zu können.

Zodiaks Sklaven kämpften hier gegen das Heer der fünf Völker, das damals unter der Heerführung von Wyrnné Ralahur gestanden hatte. Hier war Billiana das erste Mal dem Urbösen persönlich begegnet und sie war gescheitert. Fast gestorben... Wyrnné hatte sie gesundpflegen lassen und sie hatte beschlossen, dass sie Zodiak aufhalten musste.

Erneut wich sie nur knapp einem Angriff aus, rief aber just in diesem Moment auch ihre Seelenklinge herbei. Gnadenlos rammte sie das Schwert direkt durch den Brustkorb ihres Angreifers. Als sie die Klinge herausriss, ergoss sich die ihr vertraute schwarze Schlacke auf dem Boden. Die dämonisch weißen Augen wurden wieder menschlich und Angst war in ihnen zu erkennen.

Auch wenn es der Attentäterin um den Mann leidtat, blieb keine Zeit zum Bedauern oder zum Hadern. Stattdessen machte sie eine Drehung, um einer Mistgabel auszuweichen und dem Mann die Kehle mit ihrer Waffe aufzuschlitzen.

Wie auch schon damals, fällte sie einen Gegner nach dem anderen. Irgendwas sagte ihr, dass sie es wieder zu dem Felsen schaffen musste, auf dem sie sich einst Zodiak gestellt hatte. Also tat die Elfe alles, um ihr Ziel zu erreichen. Dieses Mal ohne die Hilfe von Ereinion, der ihr damals sehr geholfen hatte.

Billiana hatte es teilweise sehr schwer. Einige von Wyrnnés Soldaten waren Magiebegabte, die diverse Zauber in die Reihen der Verseuchten jagten. Hier und da erwischten sie sie beinahe! Außerdem wurden es immer mehr Marionetten je näher sie dem Hügel kam. Bis hier waren die Soldaten des Heeres längst nicht vorgestoßen.

Rasch warf sie sich auf den Boden, als ein mächtiger Streithammer nach ihr geschlagen wurde. Die Blondine fackelte nicht lange und zog sich wieder auf die Füße, um beim Aufstehen ihren Kopf in den Magen des Angreifers zu rammen. Schmerzhaft, aber durchaus effektiv, denn der Verseuchte taumelte zurück. Geschickt rammte sie ihm ihr Schwert vom Kinn aus direkt durch den Schädel und riss ihre Seelenklinge wieder heraus.

Unzählige Tote später schaffte sie es endlich, den Weg hinauf zum Felsen zu nehmen. Blut und schwarze Schlacke klebten an ihr und verfärbten ihr Haar. Ebenso triefte inzwischen ihre Waffe davon. Es fühlte sich nicht gut an... Es hatte sich schon damals nicht gut angefühlt!

Trotzdem schaffte sie es mit erhobenem Haupt oben anzukommen und musste schockiert feststellen, dass es nicht Zodiak war, der sie dort erwartete. Es war Hammond.

Seine Augen waren dämonisch Weiß und Billie konnte nicht seine sonstige Wärme darin entdecken. Mit dem Langschwert in der Hand wartete der ausgebildete Soldat darauf, dass sie den ersten Schritt tat. Doch es fiel ihr schwer... Es erinnerte sie an Cazie, die sie nicht hatte retten können. Die ihr unter der Führung Zodiaks einen verseuchten Dolch in den Körper gerammt hatte...

Instinktiv griff sie sich an ihre Seite. Dort befand sich eine deutliche Narbe des damaligen Einstiches. Anders als die Narben in ihrem Gesicht, verbarg sie diese nicht. Es sollte eine ständige Erinnerung daran sein, dass ein Mensch noch so aufrichtig sein konnte und noch so warmherzig, er konnte dennoch bekehrt werden. Und dann musste man tun, was man tun musste.

Natürlich musste es sich nicht gut anfühlen, wozu man gezwungen wurde, doch Billiana hatte es damals getan. Es hatte sie verändert... Es hatte alles verändert!

Der besessene Hammond wollte nicht mehr auf ihren Angriff warten und stürmte stattdessen auf sie zu. Nur unter großer Anstrengung konnte sie sein Langschwert mit ihrem Schild abwehren und instinktiv mit der Seelenklinge zum Gegenangriff ausholen.

Es war nur eine kleine Lücke gewesen, die ihr versehentlich passiert war, doch Hamm erkannte sie sofort und stach zu. Sein Schwert bohrte sich durch ihre Seite ohne wichtige Organe zu treffen. Dennoch tat es höllisch weh!

Angeschlagen taumelte die Elfe zurück. Obwohl das hier alles nicht real war, fühlte es sich durchaus anders an. Als stand sie ihm wahrhaftig gegenüber.

Unter großer Anstrengung zwang sie sich dazu, ruhig zu atmen. Mit dieser Technik konnte sie die Schmerzimpulse zwar nicht auslöschen, sie aber unterdrücken.

Dieses Mal war es die Attentäterin, die mit einem Kampfschrei auf den Lippen auf Hammond zustürmte. Sie holte aus, doch er parierte ihren Schlag und verpasste ihr einen Tritt, den sie mit ihrem Schild abblocken konnte. Trotzdem schaffte der Titan es, sie einfach zurückzustoßen und sie taumeln zu lassen.

Gerade als Billiana sich wieder fing, begann die Erde zu beben. Hammond riss große Felsbrocken aus dem Boden, um sie direkt auf die Elfe zu schleudern.

Mit geweiteten Augen sprang sie beiseite. Dabei verlor sie ihr Schild, wurde aber nicht von den Felsen erschlagen.

Was sagte ich noch zu Kel? Übermächtigen Gegnern ist es egal, ob man vorbereitet oder erfahren ist. Sie werden einen zerschmettern, wenn sich eine Gelegenheit bietet., sinnierte Billie verbittert. Hammond würde sie zerschmettern und doch war sie gehemmt.

Der Titan hob seine Hände und ließ erneut die Felsen auf sie regnen, doch sie glitt zwischen ihnen hindurch. Trotzdem schnitten einige Felsen ihr in die Haut.

Geschickt schaffte es die Elfe durch den magischen Angriff hindurch und holte mit ihrem Schwert aus. Ihre Klinge schlug auf eine Rüstung aus Felsen, die er im letzten Moment gebildet hatte und durchstieß diese. Mit geweiteten Augen sah Hamm ihr entgegen, als sich ihre Seelenklinge durch seinen Körper bohrte.

Eine Waffe wie diese, konnte durch so gut wie alles schneiden. Knochen, Felsen, Metalle... Es gab nur wenig, was dem Angriff einer Seelenklinge standhalten konnte, wie sie anhand ihres Gesichtes schmerzhaft lernen musste.

Als sie ihre Waffe herausriss musste sie enttäuscht feststellen, dass sie sein Herz knapp verfehlt hatte. Die Felsrüstung musste ihre Schlagbahn leicht verändert haben, wodurch diese Wunde nicht mehr tödlich war.

Ihren Fehler musste die Blondine teuer bezahlen. Hammond umschloss seine Faust mit Felsen und schlug zu! Billiana wurde über den Boden geschleudert und überschlug sich dabei mehrmals. Felsen schnitten ihr in die Haut oder bohrten sich regelrecht in ihr Fleisch, ehe sie endlich zum Erliegen kam. Ihr blieb die Luft aus!

Dennoch musste sie sofort reagieren. Der Titan schleuderte bereits die nächsten Steine und Felsen auf sie, sodass sie ihre Hände erhob und ein mittelgroßes Portal erschuf. Sie hatte keine Ahnung, wohin es führte und es war ihr auch vollkommen egal.

Gerade noch rechtzeitig konnte die Attentäterin den Zugang zu einer anderen Welt öffnen, sodass der Felsenregen einfach hineinglitt und verschwand. Damit nahm sie Hammond auch einen großen Teil seiner Geschosse für zukünftige Angriffe.

Erschöpft musste sie das Portal schließen, ehe sie sich wieder auf die Füße hievte. Überall tropfte ihr eigenes Blut und das ihrer Feinde von ihr. Das Adrenalin pumpte inzwischen so stark, dass sie ihren schnellen Puls zu hören glaubte.

Wütend rief sie wieder ihre Seelenklinge, die sie bei dem Sturz verloren hatte und preschte schließlich auf Hammond zu. Bereit, dieses Mal den tödlichen Schlag zu setzen.

Der Titan bewies, dass er nicht seine Geschosse brauchte, um sie zu überrumpeln. Er hob seine Hände und direkt unter ihren Füßen tat sich ein Felsspalt auf. Ein tiefer Riss, dessen Absturz auf jeden Fall für Sterbliche tödlich war. Ob auch für Langlebige, wollte sie lieber nicht erfahren...

Gerade noch rechtzeitig konnte sie nach einem Felsvorsprung greifen und damit den sicheren Absturz verhindern. Ihre behandschuhten Hände zitterten bereits unter der Anstrengung, während ihre Waffe wieder im schwarzen Nebel verschwand. Schwitzend versuchte sich Billie hochzuziehen, doch sie machte die Rechnung ohne Hamm.

Gnadenlos trat er ihr auf die Finger. Die dämonischen, weißen Augen stierten sie dabei kalt an. Es machte ihr klar, dass sie alles Mögliche sagen oder tun könnte, er würde sie dennoch töten wollen.

Das ist nicht Hammond!, rief sie sich ins Gedächtnis und sammelte die Reste ihrer Kräfte zusammen, um sich endlich hochzuziehen, obwohl er es zu verhindern versuchte.

Als sie wieder vor ihm stand, zog er einen Dolch aus seinem Gürtel und wollte ihn direkt in ihre Leber rammen. Nur schaffte er es nicht mal bis zu ihrer Haut, weil ein Kristallmantel sie vor dem Angriff schützte.

„Ich bin eine Drachenkönigin.“, zischte sie atemlos. „Kristallmagie, schon vergessen?“

Bevor der Titan irgendwas erwidern konnte, riss sie ihre Hand hoch und darin erschien ihre Seelenklinge, die sie ihm von unten durch den Schädel rammte. Als sie ihre Waffe herausriss, strömte wieder die schwarze Schlacke heraus, wie sie es schon zu genüge kannte.

Während sie die Leiche von Hammond betrachtete, erfüllte sie tiefe Trauer. Der Verlust fühlte sich echt an. Sie bedauerte sehr, dass sie so weit hatte gehen müssen, verstand aber auch, dass manche Opfer unabdingbar waren. Dass es jene gab, die einen verrieten.

Wieder wurde sie von einem hellen Licht geblendet und ein weiterer, großer Spiegel erschien. Sie hatte die zweite Prüfung bestanden.

Mit einem letzten Blick über das Schlachtfeld, drehte sich die Elfe um und wanderte angeschlagen durch das Portal. Innerlich hoffte sie, dass sie nicht nochmals kämpfen musste, denn ihre Verletzungen waren zahlreich.

Sie befand sich nun wieder in einem Raum, doch hier tobte weder eine Schlacht noch war er leer. Shiva stand dort und sah ihr kühl entgegen. Neben ihr kauerte ein alter Mann.

Irritiert trat Billiana näher heran. Sie konnte keinen Blick auf das Gesicht des Mannes erhaschen, doch er schien krank zu sein. Immer wieder hustete er und krümmte sich. Seine Stimme klang heiser und seine Kleidung war nass vom Schweiß.

„Du bist weit gekommen, Billie.“, sagte die Schöpfermutter anerkennend, während sie sich das rote Haar beiseite strich. „Doch ich denke, dass du hier scheitern wirst.“

„Du hast auch gedacht, dass es eine gute Idee sei, Zodiak zu erschaffen.“

„Dein Punkt...“

„Was also soll ich tun?“, hakte die Elfe nach und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sie angeschlagen war.

„Du sollst diesen Mann töten.“

„Wie bitte?“

„Wenn du diesen Mann tötest, stirbt auch Zodiak endgültig.“, erklärte die vermeidliche Gottheit nüchtern als plauderte sie über das Wetter. „Dieser Mann hat nie etwas verbrochen. Ganz im Gegenteil: Er ist gutherzig und weise. Inzwischen ist er alt und krank, also ist es auch kein Verlust, wenn du ihn opferst, Billie.

Was ist schon ein Leben im Austausch gegen Millionen? Der Tod bekommt seinen Tribut – immer. Und dieser Mann ist sowieso tot. Sein Leben gegen das von Zodiak, um es endgültig zu beenden.

Ein Leben für ein Leben, Billie.“

„Mit seinem Tod würde alles enden? Zodiak würde nie mehr zurückkehren?“

„Ja.“

„Kein Haken? Kein doppelter Boden?“

„Nichts dergleichen, Billie.“, bestätigte die Rothaarige ihr weiterhin kaltherzig.

Kurz darauf erschien ein Dolch in ihren Händen. Sie reichte ihn an Billiana weiter, die ihn zittrig am Griff packte. Dann beugte sie sich über den Mann und dieser sah sie endlich an. Billie erkannte ihn sofort!

Diesen Mann hatte sie in ihrer Jugend um seine Seele gebeten, um ihre Soldatenausbildung zu beenden. Er hatte sie ihr gegeben, weil sein Ende nah gewesen war und er eine letzte gute Tat vollbringen wollte. Zuvor war er ein großer Heiler gewesen, der sich selbst für die Verletzten und Kranken aufgeopfert hatte. Eine stärkere Seele hatte die Blondine nie mehr gesehen...

Ein Leben für ein Leben..., wiederholte sie in ihren Gedanken wie ein Mantra. Zodiak nahm sich Millionen und es würden Milliarden werden, wenn er nicht aufgehalten wird. Bis nichts mehr übrig bleibt...

Aber war es wirklich richtig, ein Leben für das Wohl aller zu opfern? Wurden sie nicht zu dem, was sie bekämpften, wenn sie bereit waren, soweit zu gehen?

„Bitte...“, flehte der alte, gebrechliche Mann. „Ich opfere mich selbst... Bitte... Ich will eine letzte-... Eine letzte gute Tat vollbringen...“

Ein Leben für das Leben von Milliarden. Ein wirklich verlockendes Angebot, das musste sie zugeben.

„Nicht heute.“, säuselte Billie und lächelte.

Dann erhob sie sich zur vollen Größe, während Shiva sie irritiert beobachtete. Ohne mit der Wimper zu zucken hob sie den Dolch, drehte ihn in ihren Fingern um und rammte ihn sich selbst tief ins Herz. Der Schmerz peinigte ihren Verstand, während ihr Körper einfach zu Boden sank!

Ein Leben für ein Leben...

Sie hatte nie gesagt, dass es dieses eine Leben sein musste und wenn Zodiak für immer fort wäre, gab es für sie keinen Grund, weshalb sie sich nicht selbst opfern sollte.

Alles wurde pechschwarz. Die Schmerzen waren noch da, aber eher wie ein Pochen im Hinterkopf.

„Du hast alle Prüfungen bestanden, Billiana Fayh Cailean Markrhon.“, hörte sie die Stimme der Schöpfermutter sagen. „Trotzdem kann ich dir den Schild der Götter noch nicht überlassen. Du bist noch nicht bereit... Eine Lektion musst du dringend lernen. Oder dich eher dessen erinnern...

Wenn du soweit bist, wirst du es wissen. Kehre an diesen Ort zurück und ich werde dir den Schild der Götter überlassen. Da du die Prüfungen bereits absolviert hast, musst du sie nicht wieder bestreiten.“

Stille kehrte in die Dunkelheit ein. Billiana war wütend! Sie hatte alle Prüfungen erfolgreich gemeistert und nun bekam sie nicht mal das, wofür sie alles auf sich genommen hatte. Es erschien ihr keineswegs fair.

„Du hast recht damit und deshalb will ich dir ein Geschenk überreichen für deine Mühen.“, lenkte Shiva sachlich ein. „Dieses Geschenk wird dir dabei helfen, dich zu erinnern und es wird dich näher an den Schild der Götter bringen.

Nun schlaf‘.“

Ohne dass sie es kontrollieren konnte, verlor die Blondine allmählich ihr Bewusstsein. Das letzte, was sie wahrnahm war, dass sie plötzlich auf einen Boden knallte und die Stimme ihres Halbbruders, der besorgt flüsterte: „Schwester...“ Danach war nichts mehr.

 

Benedikt Graufell wusste beim besten Willen nicht, weshalb er alles für seinen König tun würde, doch es war so. Selbst Dinge, die er eigentlich gar nicht mochte.

Konstantin war es unfassbar wichtig, dass er Theodor aus seinen Pflichten dem Kolosseum gegenüber entband. Zumindest wäre es ihm lieber, er konnte ihn legal aus den Ketten befreien als mit Gewalt. Dennoch glaubte der Hauptmann, dass der König notfalls auch anders sein Versprechen einlösen würde.

Noch wollten sie diplomatische Wege einschlagen, weshalb sich Ben heute mit dem Hauptmann des Kolosseums traf.

Bartholomäus Adlerherz hatte eine eindrucksvolle Karriere hingelegt, die aber nicht seinem Stand entsprach. Natürlich hatte sich Benedikt vorher über ihn informiert, damit er bestens vorbereitet war.

Der Mann war immerhin nicht nur der Hauptmann des Kolosseums und dadurch für alle Wachen zuständig und die Sicherheit aller Besucher, sondern ebenfalls der Finanzverwalter für die Gladiatoren. Das bedeutete, dass er dessen Löhne verwaltete, aber auch auf Wunsch Ausgaben für sie tätigte. Manchmal beriet er die Kämpfer sogar.

Es gab nicht viele Männer, die lesen, schreiben und rechnen konnten. Natürlich war er ein Lord eines Adelshauses, doch auch das war keine Voraussetzung dafür, gelehrt zu sein.

Eigentlich verstand Benedikt nicht, weshalb Bartholomäus eigentlich den Weg des Kriegers gewählt hatte, statt den des Gelehrten. Seine vielseitigen Talente wären in diversen Zitadellen sicherlich besser aufgehoben gewesen.

Jedoch vermutete er, dass es an seinem Bruder lag. Elodrin Adlerherz hatte ein Problem mit Spielsucht und hatte sein ganzes Vermögen verspielt. Im Anschluss hatte er dann das Vermögen anderer Leute verspielt – gefährlicher Leute. Als er seine Schulden nicht mehr begleichen konnte, hatte man ihn in den Schlund geschmissen. Dort war er offenbar bis heute und schuftete, um Mithril für den Weltenlenker abzubauen.

Bei seinen Forschungen hatte Benedikt erfahren, dass der Hauptmann des Kolosseums einen Vertrag mit dem Weltenlenker geschlossen hatte. Er zahlte dem falschen Gott regelmäßig einen großen Teil seines Lohnes, um die Schulden seines Bruders zu begleichen. Sobald die Schuld getilgt war, wollte der Weltenlenker ihn freilassen.

Jedoch bezweifelte Ben, dass er Wort halten würde. Vermutlich war Elodrin längst tot! Niemand hatte nämlich seit Monaten ein Lebenszeichen von ihm erhalten.

Trotzdem konnten diese Informationen allesamt hilfreich sein, damit er für Konstantin eine gute Basis aufbauen konnte. Die endgültige Entscheidung würde immerhin Lord Optimus treffen. Nun ging es vor allem darum, ein entsprechendes Treffen zwischen ihm und den König zu ermöglichen.

Bartholomäus erwartete ihn bereits. Er sah aus, wie Benedikt es erwartet hatte! Kurze, brauen Haare im Soldatenschnitt und eine eindrucksvolle Rüstung mit einigen Abzeichen. Umschmeichelt wurde er von einem roten Umhang, der seinen Rang ebenfalls hervorhob. Selbstverständlich trug er ein Schwert am Gürtel. Außerdem entdeckte Benedikt einen Schild unter dem Umhang.

„Benedikt Galvin Graufell, richtig?“, erkundigte sich der Hauptmann des Kolosseums hinter seinem Schreibtisch. Vor ihm lagen diverse Dokumente, die er offenbar noch sichten musste.

Wohl doch mehr ein Bürokrat als ein Soldat, was?, überlegte Benedikt etwas herablassend. Doch es muss mehr in ihm stecken, sonst könnte er das Kolosseum nicht derartig sichern. Es kommt wirklich selten zu Ausbrüchen...

Fest nahm er sich vor, dass er sich nicht von dem ersten Eindruck trügen lassen würde. Immerhin hatte Lord Adlerherz einst eine Soldatenausbildung genossen und hatte auch mal im Heer vom Weltenlenker gedient. Sehr erfolgreich sogar! Doch irgendwie war er dann hier gelandet.

„Ben reicht.“, sagte er nüchtern.

„Mich nennen alle Bartel.“

„Bartel? Tatsächlich?“

„Ja, irgendein Gladiator konnte meinen Namen nicht aussprechen und irgendwie kam da immer... Bartel heraus.“, erklärte der Adlige schulterzuckend. „Alle haben mitgemacht und inzwischen ist es dabeigeblieben.“

„Was ist aus dem Gladiator geworden?“

„Tot. Guckt nicht so! Er fiel in der Arena.“

„Verstehe...“, murmelte Benedikt mit hochgezogener Augenbraue. „Ich wollte über den Champion der Arena sprechen.“

„Theodor... Ja, er ist ein wirklich ausgezeichneter Gladiator. Sehr beliebt.“

„In der Tat.“

„Was genau wollt Ihr mit mir besprechen?“

„Theodor ist auch sehr beliebt bei meinem König – Konstantin Maximilian von Rabenwacht.“

An Bartholomäus Gesichtsausdruck konnte er erkennen, dass er die falschen Schlüsse zog. Verständlich! Seine Formulierung war wirklich unglücklich gewesen und stellte Konstantin als Perversen dar. Mal wieder! Das würde ihm gar nicht gefallen.

„Nicht so! Was denkt Ihr nur von meinem König?“, fauchte er dennoch empört, obwohl er sich seines Fehlers durchaus bewusst war.

„Verzeihung!“, presste Lord Adlerherz sofort heraus, während seine Wangen erröteten. Das war immerhin ein peinlicher Fauxpas. Zumal es um einen König ging.

„König Konstantin wuchs mit Theodor auf. Sie sind befreundet.“, erklärte Benedikt knapp. „Jedoch wurde Theodor fälschlicherweise einiger Vergehen beschuldigt, gefangen genommen und dann an das Kolosseum übergeben. Mein König will diesen Fehler nun bereinigen.“

„Laut meiner Unterlagen-...“, begann Bartholomäus und fing an in seinen Dokumenten zu nesteln, ehe er fand, wonach er suchte. „Hat der König Rabenwachts selbst angeordnet, dass Theodor diese Strafe ereilt.“

„Des Lebensbergs.“

„Wie bitte?“

„Er ist der König des Lebensbergs. Rabenwacht ist nur sein Sitz und die Hauptstadt...“

„Oh, Vergebung, Ihr habt natürlich recht.“, gestand der Hauptmann des Kolosseums peinlich berührt.

„Wie gesagt: Damals ist ein fataler Fehler passiert. König Konstantin hatte mit dieser Sache jedoch nichts zu tun.“

„Wer dann?“

„Sein ehemaliger Rat hat eigenmächtig gehandelt.“

„Nun, ich muss zugeben, dass ich auch überrascht bin, dass ein Bauer so lange in den Arenen überlebt hat.“

„Das geht dem ehemaligen Rat gewiss genauso.“

Er konnte Bartholomäus dennoch ansehen, dass die Lage nicht so einfach war. Selbst wenn sie ihre Anschuldigungen beweisen könnten – was sie ohne die Hilfe des Weltenlenkers nicht konnten – ging es hier immerhin um den Champion der Arena. Theodor war Gold wert!

Umso wichtiger war es, dass Ben ihm immer wieder das Gefühl gab, sich entschuldigen zu müssen. Wenn der Adlige sich blamiert fühlte, machte er vielleicht Fehler.

„Falls es stimmt, was Ihr sagt, ist es wirklich bedauerlich, was vorgefallen ist. Vor allem für Theodor...“, gab Bartel mitleidig zu. „Jedoch wird Lord Optimus auf sein Recht bestehen, dass er dem Kolosseum gehört. Er hat für ihn bezahlt und seine Ausbildung finanziert.“

„Natürlich, deshalb würde König Konstantin auch gerne persönlich mit ihm darüber sprechen. Sie würden gewiss eine Einigung finden, die beide Seiten glücklich macht.“

„So einfach ist das nicht...“

„Weshalb?“

„Lord Optimus kümmert sich selten persönlich um die Angelegenheiten des Kolosseums. Er delegiert eher.“

„Wie hoch sind die Schulden von Theodor an das Kolosseum?“, hinterfragte Benedikt ernst.

„Was?“

„Soweit ich weiß – und bitte korrigiert mich, wenn ich mich irre – bekommen die Gladiatoren einen Lohn für jeden ihrer Kämpfe. Diesen Lohn dürfen sie für Dirnen, bessere Ausrüstung, besonderes Essen oder auch für ihre Freiheit verwenden.“

„Ja, das ist soweit korrekt.“

„Ich bin mir sicher, dass Theodor einen großen Teil seines Lohnes darauf verwendet hat, seine Freiheit zu erkaufen, indem er seine Schulden begleicht.“, fuhr der Hauptmann Rabenwachts streng fort. „Er wird sicherlich begonnen haben, den Kaufpreis und auch die darauffolgenden Kosten zu begleichen.

Nun würde mich interessieren, wie viel er bereits bezahlt hat und welche Summe noch offen ist, Bartel.“

Der Hauptmann des Kolosseums begann sich sichtlich zu winden. Selbstverständlich hatte er recht! Fast jeder unfreiwillige Gladiator nutzte einen großen Teil seines Lohnes, um frei zu kommen. Natürlich kam es niemals soweit.

Es war eine Finte, damit der Herr des Kolosseums nicht nur seine Kämpfer behielt, sondern auch seinen Reichtum mehren konnte. Je weniger er den Gladiatoren überließ desto mehr blieb für ihn übrig. Gleichzeitig hielt er die Sklaven bei Laune.

Alle wussten das. Vermutlich selbst die Gladiatoren... Trotzdem wurde diese Hoffnung weiterhin geschürt.

„Also? Wie viel müsste mein König begleichen?“

„Das... das ist nicht so einfach, Mylord...“

„Ich bin kein Lord.“, widersprach Benedikt sofort.

Er war niemals enterbt worden, trotzdem sah sich Benedikt nicht als Lord an. Nicht mehr... Als er seine Heimat verlassen hatte, hatte er auch seinen Adelstitel dort zurückgelassen. Genauso wie seine Familie und die Laster, die sie ihm bereitet hatten. Zumindest redete er sich gerne ein, dass er die Bürde auch dort gelassen hätte...

„Ben...“, korrigierte sich Bartholomäus schamvoll. „Ihr wisst so gut wie ich, dass das nur eine Farce ist, um die Gladiatoren bei Laune zu halten.“

„Ach? Weiß ich das? Mein König scheint daran zu glauben... Wollt Ihr ihm erklären, dass das alles nur Betrug ist?“

Wieder begann sich der Hauptmann in seinem Stuhl zu winden. Das war eine sehr unangenehme Unterhaltung, die auch freundlicher hätte laufen können. Benedikt wusste aber, dass er ihn nicht mit Samthandschuhen anpacken durfte, wenn er sein Ziel erreichen wollte.

„Was geschieht denn mit all den Münzen, die die Gladiatoren für ihre Freiheit bezahlen?“, hakte er schließlich nach, um Bartholomäus immer weiter in die Ecke zu drängen. „Immerhin fällt der Lohn von ihnen nicht allzu gering aus, wenn sie erfolgreich sind. Theodor muss also ein halbes Vermögen in den letzten drei Jahren verdient haben! Was ist daraus geworden?“

„Ich-... Dazu-... Ich kann dazu... nichts sagen...“, stammelte der Hauptmann des Kolosseums verunsichert. Er hatte ihn genau da, wo er ihn haben wollte!

„Und wer kann es?“

„Lord Optimus...“

„Dann bin ich mir sicher, dass Ihr Euch sehr bemühen werdet, damit Lord Optimus zeitnah für König Konstantin Maximilian von Rabenwacht Zeit findet. Nicht wahr?“

„Natürlich...“

„Wunderbar.“, sagte Benedikt durchaus zufrieden mit sich. „Dann erwarten wir Eure Einladung binnen der nächsten Tage.“

„Ja, Lor-... Ben.“

Mit einem Grinsen drehte sich der Hauptmann Rabenwachts um und verließ das kleine Büro und anschließend auch das Kolosseum. Er hatte die gesamte Verhandlung dominiert und am Ende sein Ziel erreicht. Auch wenn er es nicht gerne zugab, wäre er wohl auch ein guter Diplomat geworden.

Falls ich irgendwann nicht mehr dienen kann, weiß ich zumindest, was ich stattdessen machen könnte., dachte er spöttisch und freute sich schon darauf, seinem König von diesem Erfolg zu berichten.

 

Allmählich machte sich Wyrnné ernsthaft Sorgen. So lange war Billiana noch nie untergetaucht ohne auch nur ein Lebenszeichen von sich zu geben. Es mussten jetzt schon mehrere Wochen sein. Wenn er richtig schätzte, dann war sie vor etwa zwei Monaten in das Zimmer von Konstantin eingedrungen. Seitdem war es still um sie.

„Noch nichts?“, fragte er Altan, der den Kopf schüttelte. „Keinerlei Hinweise auf ihren Verbleib?“

„Nein, Meister.“

„Jemand wie Billie verschwindet doch nicht einfach.“

„Das stimmt, aber wir haben überall in und um Götterherz nach ihr gesucht, konnten sie aber nicht finden.“, erklärte der Anführer der Inquisitoren. „Außerdem haben wir nach allen auffälligen Berichten über kampfwütige Frauen Ausschau gehalten. Nichts.“

„Danke... Du darfst gehen.“

Der Inquisitor verbeugte sich und zog sich anschließend zurück. Zwar hatte er ihm keine befriedigenden Berichte geliefert, aber bei Altan verspürte er deshalb keinen Zorn.

Gelangweilt erhob er sich aus seinem Thron. Hierher verirrte sich ohnehin niemand, solange er nicht dazu einlud, also konnte er auch durch Heimdall spazieren, um seinen Kopf klar zu bekommen.

Es ärgerte den Weltenlenker etwas, dass er sich so sehr um Billie sorgte, doch auch wenn sie inzwischen eine Feindschaft zueinander hegten, waren da immer noch Gefühle für sie. Er konnte ihre gemeinsamen Nächte nicht vergessen. Er vertraute ihr...

Sie bringt mir ständig die Köpfe meiner Anhänger und trotzdem vertraue ich ihr!, dachte Wyrnné spöttisch. Wir haben wirklich eine eigenartige Beziehung zueinander.

Gedankenverloren versuchte er darauf zu kommen, wo sich die Elfe aufhalten könnte. Die Unterwelt vielleicht? Eher nicht... Sie war mit ihrem Vater im Schlechten auseinandergegangen. War sie vielleicht tot? Hatte sich Billie mit dem falschen angelegt? Nein... Nein, er würde es spüren!

Es machte ihn beinahe wahnsinnig, dass er keine Ahnung hatte, wo sie war und wie er sie finden sollte! So sehr, dass er die Umgebung außer Acht ließ.

Plötzlich hörte der Schwarzhaarige etwas zischen und sprang instinktiv zur Seite. Neben seinem Kopf schlug ein Bolzen in der Wand ein, der definitiv aus einer Armbrust stammte.

Überrascht drehte sich der falsche Gott um und entdeckte eine vermummte Gestalt. Einen kurzen Moment lang glaubte er, es könnte die Blondine sein, doch dann fiel ihm ein, dass sie den Bogen bevorzugte. Außerdem war sie etwas größer und würde sich bei ihm nicht vermummen.

Seit vielen Jahren hatte Wyrnné nicht mehr selbst gekämpft. Natürlich hatte es diverse Anschläge auf seine Person gegeben, doch in der Regel war irgendwer in der Nähe gewesen. Meistens Altan, der jeden Feind mit bloßen Händen zerquetschte!

Nun war niemand hier und er war auch nicht bewaffnet, trotzdem preschte er voran. Nur knapp wich er einem weiteren Bolzen aus, der ihm einen Kratzer auf der Wange verpasste. Trotzdem kam er nah genug an den Attentäter heran, um ihm seine Armbrust zu entwenden und die Waffe brutal gegen die Wand zu schlagen. Das berstende Holz bohrte sich schmerzhaft in seine Hand, doch er spürte es kaum.

Sofort wich der Angreifer etwas zurück. Zwei Dolche zog er aus seinem Gürtel, doch Wyrnné war überzeugt davon, dass er noch mehr Waffen an sich versteckte. Billiana lief auch immer mit einem halben Waffenarsenal herum!

Geschickt tauchte er unter den Klingen durch und schlug dem Attentäter direkt in den Magen. Er begann zu taumeln, erholte sich aber schnell wieder von dem Angriff des Weltenlenkers. Ein zäher Gegner, das musste er zugeben.

Der darauffolgende Kampfschrei ließ ihn jedoch skeptisch erstarren. War das eine Frau? Die Stimme war so hell und klar, wie sie kein Mann haben konnte!

Ein Dolch bohrte sich tief in sein Fleisch. Wyrnné nahm zwar wahr, dass es höllisch wehtat, konnte den Schmerz aber auch dieses Mal gut schlucken. Stattdessen schlug er nun nach dem Gesicht seines Angreifers, um die Maske zu packen zu kriegen und einfach herunterzureißen. Darunter lag tatsächlich das entschlossene Gesicht einer Frau, doch es war nicht Billiana.

Die Fremde verengte ihre Augen, riss den Dolch heraus und wollte nochmals zustechen, doch dieses Mal wich der Weltenlenker vorher aus. Nur, weil er den Schmerz nicht spürte, hieß das nicht, dass die Genesung nicht trotzdem unangenehm war.

Ohne weiter darüber nachzudenken, griff Wyrnné nach einem Gegenstand zu seiner rechten und warf ihn direkt auf die Attentäterin. Die sicherlich teure Vase zersprang neben ihr an der Wand, weil sie ihr ausgewichen war, sodass er den Moment der Ablenkung nutzen konnte. Mit Anlauf verpasste er ihr einen Schlag in den Magen.

Sofort krümmte sich die Frau und gab ein paar wehleidige Laute von sich, rappelte sich jedoch wieder auf.

Wo kommen nur all diese starken Frauen her? Langsam kommt es mir wie Hohn vor!, dachte er verbissen.

Seine Angreiferin begann nun eine schnelle Schlagabfolge gegen ihn zu richten. Nur mit Mühe und Not konnte er den blitzschnellen Dolchen ausweichen. Es erinnerte ihn an Billiana. Es konnte also sein, dass diese Frau einst von ihr ausgebildet worden war...

„Wer hat dich beauftragt?“, fragte er zwischen den Schlägen und nahm durchaus wahr, dass er der Wand immer näherkam.

Sie blieb ihm eine Antwort schuldig. Keine Überraschung, wenn der Weltenlenker ehrlich war. Wenn das wirklich eine von Billies Schützlingen war, dann würde sie nicht mal unter schwerster Folter reden. Schon gar nicht, wenn man nett fragte!

Jedoch bezweifelte er, dass diese Frau wirklich den Auftrag hatte, ihn zu ermorden. Es war eher ein persönlicher Rachefeldzug. Kaum einer versuchte mehr Attentäter auf ihn anzusetzen, weil es zu teuer war und nichts brachte.

„Nun hör‘ endlich auf!“, zischte der Schwarzhaarige, doch sie griff ihn wortlos weiterhin an.

Auch wenn ihm klar war, dass Billiana ihm das vorhalten würde, beschwor er seine Seelenklinge. Dem entsetzten Blick seiner Angreiferin konnte er entnehmen, dass sie nichts von dessen Existenz gewusst hatte. Kaum einer wusste es... Nur Billie, wenn er sich nicht irrte. Und das war auch gut so!

Den Moment des Schocks nutzte der falsche Gott, um die Einhandaxt einfach direkt zwischen die Augen der Attentäterin zu schlagen. Die Knochen knackten unter der scharfen Klinge, während sie die Lebenskraft der Frau absorbierte. Ein paar weitere Jahre für ihn.

Bedauerlich, dass ich sie töten musste., sinnierte Wyrnné mit kaltem Blick. Wäre sie etwas weniger aggressiv gewesen, hätte Altan ein paar offene Fragen klären können.

Jetzt musste er aber hinnehmen, dass sie irgendwie unbemerkt in Heimdall eingedrungen und ihn angegriffen hatte. Diese Frau hatte ihn sogar alleine erwischt! Das war unfassbar schwierig, was dafürsprach, dass sie sich schon länger auf diesen Angriff vorbereitet hatte.

Mit etwas Pech würden zukünftig noch weitere Anschläge folgen...

Seufzend hockte sich der Weltenlenker neben die Leiche und griff nach ihrem schlaffen Arm. Wie er vermutet hatte, befand sich dort das magische Brandmal des Attentäter-Ordens.

Das Mal konnten nur Anhänger sehen und jene, denen sie es zeigen wollten. Das schützte die Mitglieder vor einer ungewollten Enttarnung durch Wyrnnés Anhänger. Jedoch tauchte das Brandmal auf, sobald dessen Träger starb. Wyrnné wusste nicht, ob das beabsichtigt war oder eine unschöne Nebenwirkung.

Er wusste so jedenfalls, dass diese Frau eine waschechte Attentäterin gewesen war und mit hoher Wahrscheinlichkeit Billiana kannte. Wenn die Elfe irgendwann wiederauftauchte, würde er sie auf jeden Fall danach fragen.

Nun aber trug er seinen Dienern auf, dass sie die Leiche entfernen und entsorgen sollten. Ebenso musste natürlich der Flur gesäubert werden. Um die Vase tat es ihm allerdings nicht leid, trotzdem würde irgendeine Zofe sie sicherlich ersetzen.

Nachdenklich zog sich Wyrnné in seine Gemächer zurück, während der Rest von Heimdall nach weiteren Attentätern abgesucht wurde. Altan verharrte vor seiner Tür und würde ihm in den nächsten Tagen sicherlich nicht mehr von der Seite weichen.

Wer sie wohl war?, fragte er sich ohne schlechtes Gewissen, während er sich das nächste Buch über Politik entgegennahm als wäre es ein Abend wie jeder andere.



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