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Virtuelle Postsendung

Mini-Adventskalender in 6 Akten
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Der rote Tod

„Ich… habe Angst Mama.“, die Worte schmeckten bitter. Er war zu alt dafür. Ein Krieger fast und ganz sicher kein Kind mehr, aber schließlich ging es nicht um Nachtmahre und Traumgestalten, Monster oder Märchenfiguren, sondern etwas, das, obgleich nicht nur einem Alptraum entsprungen, sondern schlicht ein fleischgewordener Alptraum, selbst den Erwachsenen das Flackern von Furcht in die Gesichter brannte. Selbst seinem Vater. Etwas zu fürchten, das selbst den größten Kriegern des Stammes Angst einjagte… Das war nicht feige, richtig? Und es hieß ja nicht, dass er sich dem nicht stellen würde… Einen gefährlichen Feind zu fürchten hieß nur, dass man klug war und vorsichtig. Und das man umsichtig bliebe, wenn es darum ging, ihn niederzustrecken…

Trotzdem bereute Jakhaa die Worte, noch ehe sie ausgesprochen waren. Sie ließen ihn so schwach klingen. Dabei stand sein siebter Sommer schon fast vor dem Ende! Seine Mutter aber bemühte sich um ein Lächeln. Es wurde ein erschöpftes, gehetztes Ding, in dem nur eine Spur der Wärme lag, mit der sie ihn sonst bedachte und als sie ihm über den Kopf streichelte wirkte es, als wäre sie in Gedanken schon weit fort.

„Es ist gut.“, flüsterte sie dennoch rau, um den Sohn zu beruhigen. „Geh nur mit Dahara und den anderen. Wir werden sie aufhalten und euch folgen, sobald wir können.“ Noch mehr Lügen. Dieser Tage hatte er so viele davon gehört. Er war der Lügen müde. Der Angst und der wunden Füße. Der Notwendigkeit immer wieder davon zu hetzen, wie ein verschrecktes Tier. Und mehr taten sie kaum.

„Ich will bei euch bleiben!“, verlangte er. „Ich kann kämpfen, das weißt du!“ Aber niemand konnte diesen Kampf gewinnen. Der Abglanz ihres Lächelns wurde traurig. „Ich weiß. Du wirst ein großer Krieger sein. Vielleicht der Größte von allen. Stark wie ein Wolf. Listig wie der Fuchs. Klug wie der Rabe. Und Weise wie die Eule. Das ist dein Schicksal. Und heute führt es von hier fort. Mit den anderen. Sie brauchen dich.“

Und ich brauche euch. Jakhaa biss sich auf die Lippen, ehe ihm die Worte entfleuchen konnten. Mehr schwächliche, verräterische Worte. Er schüttelte den Kopf und das seine Augen brannten lag einzig und allein an den beißenden Winden. Der Winter nahte. Grausam und kalt wie der Tod, den er brachte.

„Geh!“, wiederholte sie eindringlicher. „Ihr müsst aufbrechen. Nicht mehr lang, ehe sie hier sind. Tu deine Pflicht, wie wir es tun. Und wenn die Geister mit uns sind, sehen wir uns wieder.“ Aber nicht in dieser Welt. Das waren die Worte, die unausgesprochen zwischen ihnen lagen. Niemand entkam dem roten Tod, wenn er ihm einmal ins Antlitz geblickt hatte. Niemand.

Das Brennen nahm zu und mit ihm die Kälte, doch der Junge nickte, straffte sich und mit einem letzten Zögern, doch ohne einen letzten Blick zurück, lief er fort, ließ die Gestalten der Krieger hinter sich im Schatten zurück. So wenige nur noch. Und wie wenig Stolz war ihnen geblieben. Und dabei war Jakhaa zu jung, um sich überhaupt daran zu erinnern, was der Stolz seines Volkes einst bedeutet hatte. Wer sie gewesen waren, ehe sie zu gehetzten Tieren wurden, auf einer ewig langen, unerbittlichen Jagd, langsam ausgeblutet und niedergestreckt, in Fetzen gerissen. Wie sie diese Welt einst beherrscht hatten. Wie steil der Weg nach unten gewesen war. Aber er blieb es, in den Jahren die folgten wurde es nur schlimmer.

Der rote Tod tötete nicht allein, blutete nicht allein die Körper derer aus, die ihm anheim fielen, er blutete ihre Seele aus, ihre Kraft und ihre Hoffnung. Nahm ihnen Eltern, Brüder, Schwestern und Kinder. Nahm ihren Stolz und ließ sie vergessen, wer sie waren, ließ sie immer nur fliehen. Rieb sie auf.

Als die Worte seiner Mutter sich erfüllten war nicht mehr viel übrig und Jakhaa wusste nur eines: Es musste enden. Es würde enden und endlich, endlich lag die Macht zu entscheiden in seinen Händen. Oberhaupt zu sein, das war eine Last, dieser Tage umso mehr. Doch vor allem noch immer, ewiglich eine Ehre, die vielleicht größte Ehre, die die Geister gewähren konnten. Er hatte hart dafür gearbeitet. Mehr geblutet, als die anderen, war weiter gegangen, hatte härter gekämpft. Vielleicht sogar mehr verloren. Und der Morgen mit dem seine Wacht endete, die Nacht endete, die letzte Nacht in Hilflosigkeit, erblühte mit einem so prachtvollen Sonnenaufgang, dass es nur ein Zeichen der Geister sein konnte. Und vielleicht war es das tatsächlich, doch Jakhaa bedachte nicht, dass das Licht der aufgehenden Sonne alles, was es berührte in rote Farben hüllte.

„Dahara, ich muss mit dir sprechen.“, wandte er sich mit aller gebotenen Höflichkeit, doch vor allem aller notwendigen Entschiedenheit, an den längst greisen Schamanen. Noch etwas, das auszusterben drohte und dann vielleicht den Todesstoß für ihr Volk bedeutete. Der letzte Schüler lange tot und die ewige Flucht bot wenig Raum für einen neuen Versuch. Doch was waren sie, wenn sie selbst ihr letztes Kulturgut noch verloren? Die Verbindung zu den Geistern? Ihren Ahnen? Ihrer Vergangenheit? Dahara war mehr als nur der Schamane und dabei war das die höchste Position im Stamm, die ein Lebender genießen konnte. Über die Jahre war er mehr und mehr zum Symbol geworden.

Ein Symbol dessen, was gewesen war, was beinahe verloren war, altersschwach und schwindend und was Jakhaa um jeden Preis hüten und beschützen wollte. Das Lebensblut ihres Volkes.

„Schweigen die Geister noch immer?“, fragte er, bemüht die eigene Ungeduld zu zügeln und unter dem Blick halbblinder Augen fühlte er sich noch immer wie ein Junge. Wie ein Kind, das nicht das Geringste von der Welt wusste gegenüber einem alten Weisen, der nur milde über so viel Unfug lächeln konnte. Nicht, dass man den alten Schamanen dieser Tage noch lächeln sah. Oder irgendwen.

„Sie werden sprechen, wenn die Zeit gekommen ist.“

„Aber unsere Zeit läuft ab, und du weißt es. Wir müssen etwas tun. Und wir brauchen ihre Hilfe. Wir können nicht fliehen, denn die Flucht tötet uns, du weißt es besser als ich. Mehr noch, sie nimmt uns alles, was wir waren, bis nichts mehr übrig ist. Und wir können nicht auf unsere Weise kämpfen, nicht ehrenhaft und aufrecht, weil wir keinen ehrenhaften Gegner vor uns haben, sondern eine Krankheit. Eine Krankheit, der man mit ihren eigenen Mitteln begegnen muss, mit Falschheit und List, mit Grausamkeit, wenn nötig.“

Der trübe Blick gewann etwas Mahnendes und ein wenig der ehrfurchtgebietenden Kraft, die den Alten einst ausgezeichnet hatte, schien in den ausgezehrten Körper zurückzukehren. Als wäre er plötzlich größer. Als wäre Jahaa plötzlich so viel kleiner… Doch der Häuptling verharrte aufrecht, so scharf der Tadel in der scharfen Stimme schnitt: „Erst, wenn wir unsere Wege verlassen, verlieren wir tatsächlich. Die Geister achten jene nicht, die diesen Pfaden folgen und du weißt es, solltest es besser wissen als jeder andere, Stammesführer, oder aber wir sind längst verdammt. Wir befehlen den Geistern nicht. Wir folgen.“

„Du sollst ihnen nicht befehlen. Du sollst nur bitten und wenn sie ihre Gunst erweisen werde ich gehen und diesem Grauen ein für alle Mal ein Ende setzen!“ Sein Kiefer schmerzte. Die Anspannung schmerzte. Wie konnte es nur sein, dass er nicht verstand? Er, der weiter sah als alle anderen? Er, der mehr wusste. Es war so offensichtlich!

„Dein Platz ist hier. Du hast geschworen den Stamm zu schützen, ihn zu führen.“

„Und das werde ich. Und mehr. Ich werde ihm eine Zukunft geben. Ich werde ihm die Vergangenheit zurückgeben, die uns gestohlen wurde. Ich werde ihm die Gegenwart schenken. Aber dazu muss ich gehen. Hier kann ich niemanden schützen. Hier kann ich das Leid nur verlängern. Jedem Krieger, der so verwundet ist, wie unser Volk, würdest du den Gnadenstoß gewähren, aber du verlangst, dass ich es noch weiter treibe? Weiter schinde? Du von uns allen hast gesehen, woher wir kamen. Und wo sind wir jetzt?“

„Die Antwort ist nein.“, erklärte Dahara leiser, seltsam ausdruckslos. Er schien plötzlich zu schwinden, kleiner zu werden. Kleiner noch als zuvor und alles andere mit ihm. „Ich habe gesprochen.“

Jakhaa blieb keine Wahl, als das Haupt zu senken. „Du hast gesprochen.“

Aber noch lange nicht das letzte Wort…

„Wirst du jemals Ruhe geben?“

„Niemals.“

Das Seufzen war erfüllt von unaussprechlicher Müdigkeit. Sie alle waren müde, so endlos müde. „Rache ist niemals der rechte Pfad.“

„Es geht nicht um Rache. Es geht darum mein Volk zu retten.“

„Glaubst du es zumindest selbst?“

Die weißen Augen waren längst blind und schienen doch tief auf den Grund seiner Seele zu blicken, erschütterten etwas in ihm, das Jakhaa nicht benennen konnte, doch der Häuptling hielt den Kopf erhoben. „Wir haben lange genug gewartet. Vielleicht schweigen sie, weil auch sie des Wartens müde sind. Wenn sie mein Gesuch ablehnen werden wir es wissen, doch nach allem verlange ich, dass du die Frage stellst!“

„Du verlangst es… Siehst du nicht, wohin wir schon gekommen sind?“

„Ich sehe es. So deutlich, wie man es nur sehen kann und genau deshalb müssen wir diesen Schritt gehen. Es ist der einzige Weg zurück!“

Dahara schwieg, betrachtete ihn. Schüttelte müde den Kopf, doch die Worte waren auch unausgesprochen laut genug. Es gibt kein Zurück. Nicht in dieser Welt. Er glaubte die Hand seiner Mutter zu spüren, dieses furchtbare, traurige Lächeln und die Entschlossenheit in ihm wuchs.

„Die Geister werden entscheiden.“

„So sei es.“, erwiderte der Schamane plötzlich alt und geschlagen.

Und er rief sie. Wie Donner und Blitz fuhren sie auf die Erde nieder, Sturm und Wind, alle Gewalt der Natur. Fuhren auf ihn nieder und Angst entflammte in Jakhaa. Angst, wie er sie nie gekannt, nie empfunden hatte. Trug Bilder und Erinnerungen in sich. Die Angst eines ganzen Volkes. Der Schmerz eines ganzen Volkes, der ihn erschütterte. Ihm den Atem nahm und seinem Körper die Seele entriss, bis er nicht mehr wusste, wer er war und sich nur mit aller Kraft an die letzten Fragmente seiner Selbst klammern konnte, mit aller Verzweiflung.

Hatte er zu viel gewagt? War er zu weit gegangen? Doch wenn dem so war… Er würde dem Schicksal, dass er gewählt hatte, entgegen treten erhobenen Hauptes. Den Preis zahlen, jeden Preis. Wenn die Geister ihn Lügen straften, dann straften sie die ganze Welt, hatten ihnen wahrlich den Rücken gekehrt. Er hieß die Angst willkommen, umarmte den Schmerz.

Stark wie der Wolf.

Statt zu ertrinken stieg er an die Oberfläche auf und der erste Atemzug, der seine Lungen dehnte, war der erste Atemzug eines neuen Lebens. Ein Schleier lag über seiner Haut und nahm ihr die Farbe. Lag über seinem Körper, seinem Gesicht und nahm ihm die vertrauten Züge, machte ihn zu einem Fremden. Machte ihn zu einer Waffe.

Listig wie der Fuchs…

Er war in die Knie gesunken, fühlte, wie ihm heiße Tränen über die fremden Wangen rannen, doch er weinte nicht. Salzig wie Blut. Und Blut würde die Erde tränken, ehe der Tag vorüber war. Ehe der Schrecken vorüber war. Doch es würde sie nähren, auf das die Saat einer neuen Zukunft sprießen konnte.

Weise wie die Eule.

Er erhob sich. Ein Fremder im eigenen Körper, allem fremd, das er gewesen war. Doch ihm war leicht ums Herz, selbst als er sich umwandte, die seinen au+gereiht, die wenigen, die übrig waren. In den Augen der Kinder ein Spiegelbild seiner Ängste, die seit jenen Nächten sein ewiger Begleiter gewesen waren. „Akash. Du weißt, was du zu tun hast.“, erklärte er und der Krieger neigte das Haupt. „Dahara… Zieht in die Sümpfe. Geht zu den Trollen, wenn es sein muss. Aber nur dann. Die Zeit ist beinahe gekommen.“

Klug wie der Rabe.

In eine Menschenhaut zu schlüpfen hieß so viel mehr, als er erwartet hatte. Als läge eine andere, völlig fremde Welt vor ihm. Beängstigend und neu, voll von verlockenden, verwirrenden, erschreckenden Möglichkeiten. Voller Lärm. Voller Tod. Und voller Leben.

Er lernte, während die Zeit verstrich und manche Lektion war allzu bitter. Hielt daran fest, dass jeder Schritt, so schwer er war, ihn näher zum Ziel bringen würde. Jakhaa hatte erwartet, dass es nicht leicht sein würde. Neue Wege zu beschreiten, fremde Wege. Was er nicht erwartet hatte, war all das was er am Straßenrand fand.

Sein Spiegelbild in den Augen anderer und Momente der Geselligkeit. Ein freundliches Lächeln, eine Geste. Er hatte das Monster gefunden und gestellt, nur um zu erkennen, dass es eine vielköpfige Hydra war. Und jeder Kopf zeigte ein anderes Gesicht. So viele davon, dass er manchmal ganz verloren war. Manche wie sein eigenes, falsches Gesicht.

Wenn er zwischen den Anderen saß, Freude und Leid mit ihnen teilte, dann war es manchmal schwer sich zu erinnern, wer er war. Warum er dort war. Warum seine Kraft und sein Schwert jetzt dazu dienten das Blut zu vergießen, das er schützen wollte. Warum das Sonnenlicht sich blitzend auf roten Metallstücken fing…

Da waren jene, die dem Ruf des Geldes folgten. Andere einer Familie, die sie verloren glaubten. Jene, die dem Blutrausch anheim fielen und andere, in deren Blut die Rache brannte, die Trauer, die Angst. Es gab so viele Gründe, wie es Gesichter gab, doch kein Grund war genug, um die Angst in den Augen der Kinder zu erklären. Den niedergemetzelten Leib eines Greises, einer Mutter, eines Neugeborenen. Auch wenn es manchmal leicht schien, das zu vergessen.

Die Zeit strich dahin und er folgte ihnen, wurde Teil ihrer Legion. Namen, Gesichter, Geschichten. So viele Bande, Verpflichtungen, Gefühle, doch er war ohne Furcht sie zu zerreißen. Nur dem einen, dem er in Wahrheit nahe kommen wollte, an den kam er nicht heran. Den Kopf der Schlange, menschgewordenen Hass. Er hielt sich fern. Von ihnen allen. Wechselte kaum ein unnötiges Wort, keinen Blick. Es gab Geschichten, Spekulationen. Von verlorenen Ländern und Lieben, von Verzweiflung, doch nichts schien stark genug, einen solchen Hass zu entflammen und zu nähren. Und was immer sie getan hatten. Was immer Kriege hervorgebracht hatten. Niemals etwas wie das, was er in die Welt trug.

Und er schien für nichts anderes zu leben als den Tod. Sich von nichts anderem zu nähren als Verzweiflung. Vielleicht war er gar kein Mensch. Manche glaubten es. Und nicht ein Mal war eine menschliche Regung unter der stählernen Maske zu erkennen. Das machte es leichter. Nur war es nicht leicht, an ihn heran zu kommen. Auch nicht auf dem Schlachtfeld.

Sie waren beinahe am Ende. Aufgerieben, gejagt und geschunden. Die Zeit lief davon und Verzweiflung wollte sich in Jakhaas Herz einnisten. War dies die Strafe der Geister? War es eine Lektion in Demut? Doch nein, wie konnte er das glauben? Und doch war er es, mit eigener Hand, die eigene Klinge, die das Blut des Bruders vergoss und die wohlvertrauten Augen erlöschen ließ. Halb wahnsinnig vom Schmerz ehe er begriff, dass genau das ihn ans Ziel geführt hatte.

Alles hat einen Preis. Und du kennst ihn niemals, bevor du nicht zahlst.

Da war er, direkt neben ihm, kämpfte mit zweien auf einmal, als bereitete es ihm keine Mühe, hieb wie ein Berserker auf die Gegner ein, während nasses, dunkles Blut die rote Rüstung tränkte. Nur ein kleines Stück entfernt, kaum einen Schwertstreich.

Der Augenblick war gekommen.

Jakhaas Hand zitterte fast, als er die Distanz überwand, ein weiterer Bruder fiel, durchbohrt von der Klinge des Dämons, ein weiteres Leben unwiederbringlich verloren und auch der andere war tot, auch wenn er noch kämpfte, noch auf den Beinen stand, die Waffe erhoben. Doch würde er der letzte sein, der dem roten Tod zum Opfer fiel.

Als der Ritter die letzte Deckung durchbrach, tat Jakhaa es ihm nach. Er hatte beobachtet und gelernt, hatte verfolgt, wie der Rote kämpfte, wie reagierte, wo er Lücken bot und welche davon nicht mehr waren als eine Falle. Wie schnell er war, trotz der schweren Rüstung, der wuchtigen Statur. Wie gerissen und erfahren. Auch jetzt schlug die Klinge des Häuptlings Funken auf dem Metall und fast glaubte er, er wäre gescheitert, dass alles, was hierher geführt hatte, vergeblich gewesen war.

Doch sein Gegner wandte sich um, gerade, als er mit aller Verzweiflung nach vorne stieß, mit der Verzweiflung eines ganzen Volkes und jedem Quäntchen Kraft, das aus dem Schmerz von Jahrhunderten erwuchs. Die Schneide durchstieß eine Schwachstelle an der Seite, drang ins Fleisch darunter und zerschnitt die Seite des Hünen, durchbohrte ihn bis hinauf in die Brust. Blut spritzte. Doch dieses Mal war es rot.

So wie Jakhaa erstarrte, hielt auch der Ritter inne, schien sich ihm zuzuwenden, noch stehend obgleich er doch tot war. Die Hände, die das Schwert umklammerten waren taub. Der Kopf war leer. Beinahe leer. Er sah das Bild seiner Mutter vor sich, schmeckte all die Angst auf der Zunge bitter und schwer, schmeckte den Hass eines Jahrhunderts. „Hier endet es, Schlächter.“, wisperte er. Auch für ihn, doch das war ohne Bedeutung. Er war niemand mehr. Hatte die eigene Haut abgelegt, um zum Rachegeist zu werden, doch er hatte sein Volk gerächt. Hatte es gerettet und das allein war von Bedeutung. „Hier stirbt der rote Tod!“

Doch noch nicht. Stattdessen fuhr eine Faust nach vorn, gepanzert und schwer. Packte den falschen Legionär und zog ihn heran mit einer, für einen Sterbenden mehr als überraschenden, Kraft. Hinter dem Visier des Helmes ließ sich das kalte, mörderischer Funkeln eisblauer Augen erahnen. Ließ sich ein Spiegelbild erahnen, das keinen Sinn ergab. Wie konnte er, der er aus Liebe gehandelt hatte, der alles geopfert hatte, um sein Volk zu retten, dieser von Hass getriebenen Bestie gleichen? Der Blick in jene Augen ließ die Angst zurückkehren. Jene Angst, die vor Jahrzehnten seine Stimme hatte zittern lassen. Seine Mutter verschlungen hatte.

„Es endet nie“, widersprach der rote Ritter, die Stimme kaum ein Flüstern, aber scharf und schneidend wie Nordwind. „Nicht einmal, wenn der letzte deines Volkes tot zu meinen Füßen liegt!“

Entsetzen weitete die Augen des jungen Kriegers. Das Begreifen war so schmerzhaft wie die Klinge, die in seine Seite stieß, sich tiefer und tiefer in das weiche, warme Fleisch bohrte. Er wusste nicht wie oder warum, doch der rote Ritter hatte den Schleier durchblickt und selbst dem Tode nah schien die einzige Intention das Blut des grünen Volkes zu vergießen, statt die eigene, strömende Blutung zu stillen, mit der das Leben aus seinem Leib floss. Er wankte.

Sie gingen nebeneinander nieder, beinahe Arm um Arm, als wären sie tatsächlich Waffenbrüder und nicht etwa das genaue Gegenteil, doch als der Morgen über dem Schlachtfeld dämmerte, Nebel und Verwesungsgestank heraufzogen und kaum mehr übrig war, als Krähenfraß, lag nur eine Leiche dort, die aus glasigen Augen blicklos ins Leere starrte, den Bauch halb ausgeweidet, als hätte ein wildes Tier ihn zerrissen. Fast erstaunt, wirkte der Krieger beinahe so, als könnte er das Geschehen noch immer nicht fassen.

Der rote Ritter aber war fort, weitergezogen mit dem Strom blutrot glänzender Panzer. Dem eigenen Rachdurst auf der Fährte und die Klinge bereit noch mehr schwarzes Blut zu vergießen. Solange, bis jede Spur seiner Feinde aus dieser Welt getilgt war, jede Erinnerung. Solange, bis sich nicht einmal mehr Märchen und Geschichten an das Volk der Orks erinnern würden…



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  MarySueLosthername
2018-12-07T21:04:55+00:00 07.12.2018 22:04
Mich hat das Kapitel total mitgerissen und konnte absolut nicht aufhören zu lesen, bis das letzte Wort aufgesogen war. Danke dafür.
Von:  Voidwalker
2018-12-02T12:20:37+00:00 02.12.2018 13:20
Ich weiß das zu schätzen. Sehr. Es ist... eine mächtige Geschichte. Schwer, imposant. Thorins Rolle in der Welt - gerade dieser Aspekt - ist etwas, das man gut und leicht erzählen kann. "Ja und dann zog er herum und tötete Orks." Aber was diese Aussage wirklich BEDEUTET, das ist schwerer greifbar. Selbst Begriffe wie "Völkermord" um sich zu werfen, hilft da nur bedingt. Das Kapitel gibt durch die Perspektivverschiebung zu den Orks, zu den Opfern, einen guten Einblick.
Die Müdigkeit der Flucht. Die Verzweiflung, zusehen zu müssen, wie die eigene Kultur einem wie Sandkörner zwischen den Fingern entgleitet. Und letztlich eine Verzweiflungstat. Man hört eben auf den Schamanen, wenn der spricht. Am Ende stimmt das Sprichwort: Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Absichten.
Ich mag es, dass die Geschichte aus Thorin etwas beinahe Mythisches macht. Eine Bestie ebenbürtig und gleichwertig zum Leviathan oder anderen Schreckgestalten aus Märchen, die tatsächlich die Welt bewohnen und denen man nie begegnen will. Nur das der Leviathan wenigstens 'nur' eine Bestie ist. Er zerstört vielleicht dein Schiff - aber er kommt nicht, um den Hafen und deine Heimatstadt zu zerstören. Er kommt nicht, um deine Familie zu jagen. Der Rote Tod schon.
Je länger man drüber nachdenkt, umso gewichtiger wird die Frage: Wie erholt man sich von so etwas?
Dreihundert Jahre durch aller Herren Länder ziehen. Gesetze missachten, Landschaft abseits vom strategischen Aspekt ignorieren, einfach nur... neue Rekruten sammeln. Und töten. Tag für Tag, für dreihundert Jahre. Von Hass verzehrt zu sein, so lange - wie kommt man davon zurück? Was für Spuren hinterlässt so etwas? Wie kann ein Mann, der zu solch einem Monster wurde, je wieder ein Mann werden. Ist ein faszinierender Aspekt, finde ich.
Und bitter ist die Ignoranz der Welt, die das hat geschehen lassen. Ganz gleich, ob sie sich als Kulturen noch der Vergangenheit erinnern - ob sie noch wissen, wer ihnen Starthilfe gab, auf welche Weise. Im Völkerbund dieser Welt hat ein Mann begonnen, ein Volk auszuradieren. Systematisch, unermüdlich, ohne Gnade. Die Welt hat es gesehen... und es einfach geschehen lassen. DAS ist das wahre Armutszeugnis. Und selbst nach ihrer Rückkehr steht zu bezweifeln, dass die Drachen dem Roten Ritter je vergeben könnten für das, was er getan hat, sollten sie es je herausfinden.
 
Ich mag die Geschichte. Sie regt zum Nachdenken an.
Vielen Dank!


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