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Ahnungslose Augenblicke

von

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Fotografie

Jodie kam in das Klassenzimmer und setzte sich auf ihren Platz. Sie stellte ihre Tasche ab und bemerkte dann aus dem Augenwinkel eine Bewegung. „Shukichi? Geht es dir wieder besser?“

Der Junge nickte. „Den Umständen entsprechend.“ Er putzte sich die Nase. „Ich konnte mich am Wochenende einigermaßen erholen und bis auf die Nachwirkungen der Grippe sind alle Symptome weg. Ich bin auch nicht mehr ansteckend.“ Er sah sie an. „Der Vorteil ist natürlich, dass ich deswegen wieder in die Schule kann.“

Jodie schmunzelte. „Andere würden es als Nachteil sehen. Aber es freut mich, dass es dir wieder gut geht. Und wegen der Vorfreude auf die Schule hast du dich entschieden, heute viel zu früh zu kommen?“

„Nicht ganz“, entgegnete er. „Shuichi hat mich an der Schule abgesetzt. Weil er aber noch vor der Vorlesung in seine Wohnung wollte, mussten wir eher losfahren.“

„Er…hat bei euch…übernachtet?“, wollte sie leise wissen, während einige ihrer Mitschüler in den Klassenraum kamen.

„Ja, Masumi hatte gestern Geburtstag und sie hat sich gewünscht, dass Shuichi nicht nur mitfeiert und hat ihn sogleich dazu verpflichtet, ihr eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen und sie heute früh in den Kindergarten zu bringt. Es wäre für ihn zu stressig geworden, wenn er dauernd hin und her fahren müsste.“ Shukichi sah zu ihr. „Er hat mir erzählt, dass die Vorlesung zu Kriminologie ganz gut gewesen ist.“

Jodie zuckte zusammen. Hat er ihm noch was erzählt? Vielleicht, dass…

„Jodie?“ Shukichi wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht. „Hallo? Jemand zu Hause?“

Das Mädchen schüttelte kurz den Kopf. „Tschuldige..ja, die Vorlesung war gut. Vielleicht gibt es in einigen Monaten noch eine, dann solltest du auf jeden Fall dabei sein. Ich glaube, dir hätte sie auch gefallen.“

Shukichi kicherte. „Das hat mein Bruder auch gesagt.“

„Ach ja? Wir scheinen ja das gleiche zu denken“, sagte Jodie.

McAllister kam in den Klassenraum. „Bitte setzen Sie sich.“ Der Lehrer stellte sich nach vorne an das Pult und sah in die müden Gesichter der Schüler. „Wie Sie wissen, ist dies ihr letztes Schuljahr. Und natürlich können wir nachempfinden, wie Sie sich fühlen. Einige von Ihnen werden bereits wissen, was sie danach machen wollen, aber es gibt immer noch zahlreiche Personen unter Ihnen, die sich noch uneins sind. Deswegen möchten wir Ihnen helfen. Wir werden nun wöchentlich eine berufstätige Person zu uns einladen und Ihnen die Gelegenheit geben Fragen zu stellen und besseren Einblick in die verschiedenen Berufsgebiete zu bekommen.“ McAllister räusperte sich. „Den Beginn wird der Vater einer…sagen wir…ehemaligen Schülerin machen.“ Der Lehrer sah auf die Tür. „Mr. Weston?“

Die Tür ging auf und Tom Weston – der Vater von Amber – betrat den Raum. Er stellte seinen Laptop auf den Tisch und blickte in die Runde. „Schönen guten Morgen“, begann er. „Einige von Ihnen werden mich als Vater von Amber noch in Erinnerung haben. Wahrscheinlich ist es für Sie komisch, dass ich nach über einem Jahr wieder hier in dieser Schule bin, aber glauben Sie mir, so geht es mir auch.“ Er atmete tief durch. „Aber wir wollen heute nicht über Amber oder die Vergangenheit reden. Ich bin hier um mit Ihnen über die Fotografie im Journalismus zu sprechen. Wie Sie es sicherlich nun geahnt haben, bin ich Fotograf. Ich arbeite für die Daily News, die einige von Ihnen sicher kennen werden. Für diejenigen die es nicht tun: Die Daily News ist eine große Tageszeitung mit täglichem Erscheinungsdatum. Auch wenn man nicht selbst als Journalist tätig ist, ist es trotzdem wichtig auf dem Laufenden des aktuellen Tagesgeschehen zu sein. Da das Tagesgeschehen nicht immer gleich ist, ist es auch wichtig auf Abruf zu arbeiten. Unsere Zeitung hat natürlich mehrere Fotografen eingestellt. Viele von uns arbeiten eng mit einem einzigen Journalisten zusammen, aber es ist auch möglich, dass wir von einem anderen Kollegen angefordert werden. Sie können sich das ganz einfach vorstellen: Ein Ereignis passiert, die Zeitung, in vielen Fällen aber auch ein Journalist, wird informiert, dann werden die Fotografen gerufen und zusammen fährt man zum Ort des Geschehens. Für unsere Arbeit gibt es keine fixen Arbeitszeiten, es kann also gut sein, dass man mitten in der Nacht aufstehen und arbeiten muss. Aber das sollte Sie jetzt nicht abschrecken. Für die Nachtarbeit gibt es einen ordentlichen Preisbonus und es ist vertraglich regelbar, ob Nachtschichten möglich sind. Gut, genug zur Einleitung, ich zeige Ihnen jetzt einige Bilder.“ Tom startete seinen Laptop. Nachdem er das Passwort eingab und die Verbindung zu seinen Daten bestand, rief er ein vorbereitetes Dokument auf. In der Zwischenzeit bereitete McAllister den Beamer im Klassenzimmer vor und Tom schloss diesen an seinen Laptop an. „So, da haben wir es“, fing er an. „Für das ungeübte Auge sieht dieses Bild nach einem ganz normalen Bild aus. Was sehen Sie?“

Mehrere Finger schnellten in die Luft.

„Sie hier vorne bitte.“

„Drei Personen, Frau, Feuerwehrmann und ein Baby. Um die drei Personen herum wütet ein Feuer.“

Tom Weston nickte. „Genau. Als die Flammen tobten, wurden mehrere Fotos geschossen. Wichtig in meinem Beruf ist nicht nur das fotografieren. Wenn es schnell gehen soll, entwickel ich die Bilder selbstständig.“ Er klickte die nächsten Bilder in der Datei an. „Wie Sie sehen, sind hier die anderen Bilder die geschossen wurden. Wären diese ausgewählt worden, wäre die ganze Atmosphäre anders. Es ist also auch wichtig, dass man eine Vorauswahl trifft und das richtige Bild aussucht. Sie brauchen zudem eine ruhige Hand und müssen darauf achten, dass die Bilder nicht verwackelt oder unscharf werden. Und natürlich muss das Bild zur Schlagzeile passen. Das beste Bild bringt einem nichts, wenn es nicht verwendet werden kann. Aber Sie dürfen sich auch nicht auf nur eine Sache fokussieren und festbeißen. Manchmal erkennt man erst im Hintergrund wichtige Details, die sonst niemanden aufgefallen wären. Am besten ist es, wenn Sie eine große Auswahl vorweisen können. Aber nicht nur die Personen auf dem Bild sind wichtig, auch der Hintergrund muss stimmen. Ein falscher Hintergrund kann alles kaputt machen und die Situation in ein falsches Licht stellen.“ Tom klickte weiter. „Wie Sie hier sehen sind die Personen immer noch die gleichen, nur der Hintergrund ist anders. Jetzt sieht es nicht mehr danach aus, dass der Feuerwehrmann ein Baby rettet. Nun könnte es sein, dass der Feuerwehrmann nur sein Baby entgegen nimmt und eine friedliche Idylle herrscht. Sie sehen also, dass es nicht ausreicht nur ein Foto zu machen. Sie müssen mit den Bildern spielen, aber nicht so sehr, dass es nach Fälschung aussieht. Und selbst wenn es nicht auf Anhieb klappen sollte, ist das kein Grund um sich zu schämen oder zu verstecken. Versuchen Sie es bei freien Zeitungen, eröffnen Sie einen Blog oder suchen sich andere Medien. Und wenn Sie ganz großes Glück haben, können Sie auch als Fotograf Kolumnen für Zeitungen schreiben oder Leserbriefe beantworten. Im Studiengang Fotografie lernen Sie alles was Sie benötigen um auf das Detail zu achten. Und falls Sie lieber Journalist werden wollen, wäre das auch ein gutes Sprungbrett. Manchmal ist es nicht gut, wenn man eine ganz klare Linie bei seiner Berufswahl fährt. Sie müssen selbst schauen, wie Sie etwas Negatives in etwas Positives umwandeln.“ Tom räusperte sich. „Wie dem auch sei, um Ihnen den Studiengang Fotografie ein wenig näher zu bringen, habe ich Ihnen einen kleinen Rundgang durch den Campus organisiert. Es gibt allerdings zwei Haken bei der Sache: Nummer eins: es gibt nur drei Plätze. Mehr konnte der Leiter des Fachbereichs nicht genehmigen. Haken Nummer 2: Die Veranstaltung findet diesen Freitagabend von 18 bis 20 Uhr statt. Sollten viele Fragen vorliegen oder sollten Sie mehr sehen wollen, besteht die Möglichkeit, dass die Veranstaltung verlängert wird. Sicher stellen sich nun einige von Ihnen die Frage, wie Sie an der Veranstaltung teilnehmen können. Wir lassen das Glück entscheiden. Mr. McAllister hat vor Unterrichtsbeginn Ihre Namen auf einen Zettel Papier geschrieben. Wir werden gleich unsere drei Gewinner auslosen, aber bevor wir damit beginnen, melden Sie sich bitte, wenn Sie nicht teilnehmen wollen. Sie werden dann aussortiert.“ Tom sah in die Runde. Knapp die Hälfte der Schüler hielt ihre Hand nach oben, Jodie hingegen sah stumm nach vorne. Sie hatte abgeschaltet und bekam nicht mit, was vor sich ging.

„Gut“, entgegnete McAllister und sortierte die Namen der Nichtteilnehmer aus. Dann faltete er die Zettel und legte sie in ein vorbereitetes Glas. „Wir ziehen jetzt der Reihe nach, Mr. Weston?“

Der Fotograf zog den ersten Namen. „Maja Shephard.“

„Nate Richardson“, sagte McAllister und sah zu Tom. „Dann wollen wir unseren letzten Gewinner ziehen.“

Tom nickte und zog den letzten Namen aus dem Glas. „Jodie Starling.“

Bei der Nennung ihres Namens schreckte das Mädchen hoch. „Was?“, fragte sie leise.

„Herzlichen Glückwunsch“, entgegnete Tom. „Sie drei haben die Führung mit dem Bereichsleiter Fotografie an diesem Freitag gewonnen. Bitte kommen Sie um 18 Uhr pünktlich an den Haupteingang. Sie werden dort abgeholt.“

Maja meldete sich. „Entschuldigung? Sie werden bei der Führung nicht dabei sein?“

„Ich werde im Laufe der Führung zu Ihnen stoßen. Sollte Ihnen allerdings etwas dazwischen kommen oder Sie stellen fest, dass Sie zu spät sind, geben Sie bitte rechtzeitig Bescheid.“ Tom holte drei Visitenkarten aus seiner Tasche raus und verteilte sie an die Schüler.
 

Mit einem mulmigen Gefühl in der Bauchgegend besuchte Jodie die Führung des Fachbereichs. Eigentlich wollte sie absagen, aber nachdem sie mit ihren Eltern über alles sprach, ließ sie sich umstimmen. Ihre Eltern hatten Recht, alles was in der Vergangenheit passiert war, war vergangen. Sie durfte sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen, nur weil der Vater von Amber dafür verantwortlich war. Und auch in der Arbeitswelt konnte man sich nicht immer alles aussuchen, es würden immer unangenehme Augenblicke auf sie zukommen. Und selbst wenn sie nachher FBI Agentin werden wollte, würde sie es sowohl mit Journalisten als auch Fotografen zu tun haben, sodass es nicht schaden konnte, wenn sie jetzt einen kleinen Einblick in diese Arbeit bekam.

Jodies Vater fuhr sie zur Veranstaltung und versprach sie wieder abzuholen, wenn es vorbei war. Jodie sollte ihn nur anrufen, wenn es soweit war. Jodie folgte ihren Mitschülern und sah sich die Bilder an der Wand an. Aber in Wahrheit hörte sie nur mit halbem Ohr zu. Den Großteil der Zeit beobachtete sie Tom Weston. Sie konnte den Mann nicht einschätzen. In der Vergangenheit hatte er zu Amber kaum Kontakt und jetzt traf sie ihn schon zweimal. Schweigend versuchte sie sich wieder auf den Rundgang zu konzentrieren, aber im Vergleich zu dem, was sie schon besuchte, war Fotografie ein totaler Reinfall. Leider hatten ihre beiden Mitschüler zahlreiche fragen, sodass sich die Veranstaltung immer weiter in die Länge zog. Irgendwann setzte sich Jodie wegen Unwohlsein von der Gruppe ab und ging nach draußen um frische Luft zu holen. Jodie schloss die Augen und atmete tief ein und aus.

„Jodie?“

Die Angesprochene zuckte zusammen und drehte sich um. „Mr. Weston…“, murmelte sie. „Was kann ich für Sie tun?“

„Ich wollte nachsehen, wie es dir geht.“

„Besser. Es war wohl ein langer Tag…“, murmelte sie. „Vielen Dank für die Führung, aber ich denke, ich sollte jetzt lieber nach Hause.“

„Das versteh ich“, nickte er. „Soll ich dich nach Hause fahren? Es ist schon recht spät und ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass dir etwas Passiert.“

„Machen Sie sich darüber keine Sorgen.“ Shuichi ging an Tom vorbei und stellte sich neben Jodie. „Ich fahr dich.“

„Eh…Shuichi…“ Jodie sah irritiert auf den Studenten.

„Geht das auch wirklich in Ordnung?“, wollte Tom sicherheitshalber wissen.

„Klar“, schalte sich Akai ein. „Meine Vorlesung ist jetzt vorbei. Lass uns gehen.“ Shuichi nahm ihre Hand und zog sie mit.

„Auf Wiedersehen“, gab Jodie noch von sich. Als sie bei seinem Wagen ankamen, öffnete er die Tür und sie stieg ein. „Woher wusstest du, dass ich hier bin?“

„Mein Bruder hat mir von dieser Veranstaltung erzählt“, fing der Student an. „Ich dachte mir schon, dass es bei euch spät werden würde und bevor dein Vater extra hier her fährt, nehm ich dich mit.“ Es war nur die halbe Wahrheit. Als Shukichi zu Hause von der Führung erzählte und die Anwesenheit von Tom Weston erwähnte, war sein Spürsinn geweckt. Der Zufall war zu groß gewesen, weswegen er sich von dem Fotografen ein eigenes Bild machen wollte. Shuichi startete den Motor und fuhr los. „Was hältst du von Weston?“

„Mhm?“, murmelte Jodie nachdenklich. „Ich kann ihn nicht wirklich einschätzen. Ich bin in seiner Nähe irgendwie verwirrt... Es ist so ein mulmiges Gefühl. Amber erzählte immer, dass ihr Vater nie da war und er nur selten in New York blieb…und jetzt treffe ich ihn schon zweimal. Es kann aber auch sein, dass es nur daran liegt, weil er Ambers Vater ist. Warum fragst du?“

„Nur so“, antwortete er. „Wie war die Führung?“

„Ging so“, sagte Jodie. „Fotografie ist nichts für mich. Manchmal war es interessant, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es das Richtige für mich ist.“

„Es ist auch hilfreich zu wissen, was man nicht machen will. Wie läuft es mit deinen Bewerbungen?“

„Ganz gut, denke ich. Ich hab jetzt die Themen für die Aufsätze rausgesucht und den ersten geschrieben“, antwortete sie.

„Soll ich mir die mal angucken?“

„Wenn es dir nichts ausmacht…“

„Ist kein Problem.“ Shuichi steuerte auf das Haus der Starlings zu. Er parkte seinen Wagen in der Einfahrt der Familie und stieg aus.

„Den kurzen Weg schaff ich schon alleine“, entgegnete sie.

Shuichi sah sich um. „Ich geh lieber auf Nummer sicher.“

Jodie schmunzelte und ging zur Haustür. Sie drehte sich zu ihm. „Da wären wir“, sprach sie leise. „Danke fürs heimb…“

Shuichi beugte sich zu ihr runter. Sein Gesicht war ihrem viel zu nah. Jodies Herz pochte ununterbrochen. Je näher er kam, desto nervöser wurde sie. Sie blickte in seine tiefgrünen Augen und als seine Lippen ihre streiften, konnte sie nichts anderes mehr tun, als ihre Augen zu schließen. Kurz darauf spürte sie seine Lippen auf ihren und gab sich ihrem ersten Kuss hin.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Fliedersommer
2018-06-17T12:09:30+00:00 17.06.2018 14:09
Hi ;),

gut geschriebenes Kapi und voll süßes Ende. Bin schon gespannt, wie es weitergeht. Vorallem freue ich mich darauf, wenn die beiden zusammenkommen.
Schreib bitte schnell weiter
Antwort von:  Varlet
17.06.2018 18:04
Danke für deinen Kommentar.
Es wird jeden Sonntag ein neues Kapitel geben


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