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Ahnungslose Augenblicke

von

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Infotag: Kriminologie

Angela stand in der Küche und kümmerte sich um den Abwasch. Jodie trocknete gedankenversunken das nasse Geschirr ab. „Sollen wir Kaffee aufsetzen?“, wollte die Schülerin von ihrer Mutter wissen.

Angela schielte kurz zur Küchenuhr. „Ich denke, dafür ist es ein wenig zu spät.“

„Mhm…“, murmelte Jodie. „Ich kann Kekse vorbereiten. Dad und Shuichi können sicher etwas zu Knabbern vertragen.“

„Ich glaube nicht“, antwortete Angela. „Wir haben gerade gegessen und beide schienen mehr als gesättigt zu sein. Lassen wir ihnen die Zeit um sich über die Arbeit eines FBI Agenten zu unterhalten.“

Jodie räumte das Geschirr weg und überlegte.

„Er wird sich schon von dir verabschieden bevor er geht.“

Jodie errötete. „Das…das ist nicht wichtig…“

„Na gut.“ Angela sah ihrer Tochter zu und schmunzelte. Sie wusste genau, was ihre Tochter die ganze Zeit beschäftigte.

„Haben wir noch Kaffee?“

Angela sah zu ihrem Mann. „Ich koch dir einen oder lieber zwei?“

„Einer reicht“, antwortete er. „Shuichi ist nach Hause gefahren. Jodie, er wird sich bei dir melden, wenn das mit den Vorlesungen im College klappt.“

Jodie schluckte. Von wegen verabschieden. „Ist gut…ich geh dann in mein Zimmer und mach noch Hausaufgaben.“

„Und was hältst du von dem jungen Akai?“, wollte Angela von ihrem Mann wissen, nachdem Jodie die Küche verließ. „Hat er das Zeug um FBI Agent zu werden?“

Der Agent lehnte sich gegen die Theke. „Er ist wahrlich sehr motiviert, vielleicht sogar zu sehr. Aber er erinnert mich an mich selbst.“

Angela lachte. „Ach wirklich? Du warst doch immer ein Draufgänger und hast alles getan, nur nicht wenn es für die Schule war.“ Sie erinnerte sich noch genau an diese Zeit. Kennengelernt hatten sie sich in ihrem Abschlussjahr als sie mit ihrer Familie nach New York zog und in der neuen Umgebung verloren wirkte. Ihr Mann gehörte zu den Sportlern, alles was mit Lernen oder Hausaufgaben zu tun hatte, wurde ignoriert. Und wann immer es ging, schwänzte er den Unterricht. Jodie war ihm im letzten Jahr so ähnlich, dass es beinahe beunruhigend wurde. Wie ihr Vater hatte auch sie sich gefangen, auch wenn die Umstände andere waren. Aufgrund seiner vielen Fehlzeiten verdonnerte ihn der Direktor ihrer Schule Babysitter zu spielen. Ganz am Anfang hatte Angela kein Interesse an ihrem jetzigen Mann, aber je mehr er sich ins Zeug legte, desto mehr rührte es ihr Herz und sie fühlte sich mit ihm verbunden. Gemeinsam setzten sie sich an die anfallenden Hausaufgaben und lernten zusammen, bis sie von einem College aufgenommen wurden. Angestachelt durch eine mögliche Karriere als Sportler, hatte Starling noch keine Idee, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Erst als er in seinem ersten Semester feststellte, dass er genauso gut oder eher genauso schlecht spielte wie die anderen, stellte er seine bisherigen Entscheidungen in Frage und konzentrierte sich auf die Wahl seiner Kurse. Nach einer Reihe von Fehlversuchen stellte er fest, dass er gut darin war, Pläne zu machen und zu kombinieren. Menschen helfen zu wollen war ebenfalls nicht verkehrt. Da er allerdings partout nicht zur Polizei wollte, blieben nur noch wenige Möglichkeiten offen – eine Detektei beispielsweise. In seinem fünften Semester wurde er unfreiwillig in einen Unfall verwickelt bei dem das FBI involviert war. Und auf Anhieb wusste er, was er mit seinem Leben anfangen wollte.

„Stimmt doch gar nicht“, entgegnete der Agent.

„Das hätte ich an deiner Stelle auch gesagt“, sagte Angela. „Ich finde es nett, dass er Jodie bei den Bewerbungen hilft. In den letzten Jahren hat sich doch schon einiges verändert.“

„Er hilft dich auch seinem Bruder. Eine Person mehr macht keinen Unterschied, außerdem hast du das ganze doch eingefädelt.“ Der Agent grinste. „Hilfe bei Jodies Bewerbung und er bekommt ein Gespräch mit mir.“

„Erwischt“, gab Angela von sich. „Aber du musst zugeben, dass das eine sehr gute Idee gewesen ist. Jodie kommt endlich wieder unter Menschen und findet vielleicht Freunde. Amber war nicht der richtige Umgang für unsere Jodie, aber bei Shukichi und Shuichi hab ich ein gutes Gefühl. Und vielleicht findet Jodie auch in den Infoveranstaltungen und den Vorab-Vorlesungen Gleichgesinnte. Das ist mehr, als wir in den letzten Jahren hatten. Und außerdem hab ich bei Shuichi ein wirklich gutes Gefühl.“

„Ein gutes Gefühl?“ Der FBI Agent sah sie fragend an. „Was willst du denn damit sagen?“

„Nichts, ich hab keine Hintergedanken falls du das denkst.“

„Keine Hintergedanken?“

Angela schmunzelte. „Sollte ich welche haben? Unsere Tochter wird bald erwachsen.“

Agent Starling nickte. „Und bald steht sie auf eigenen Füßen und muss ihre eigenen Entscheidungen treffen.“

„Ich weiß“, sagte sie ruhig. „Irgendwann wird die Zeit kommen, wo sie einen netten Jungen trifft, wenn sie das nicht schon hat…“

„Oh, Angela…ich wusste, dass du das sagst…“
 

Wochen später saß Jodie im Hörsaal des Colleges und hörte dem Dozenten zu. Für angehende Studenten gab es, wie von Shuichi bereits erwähnt, eine Vielzahl an Infoveranstaltungen und Vorab-Vorlesungen, die auch zu passablen Zeiten stattfanden. Für eine solche Vorlesung waren erstaunlich viele Schüler oder anderweitig Interessierte gekommen. Da sich Jodie vermehrt mit der Arbeit eines FBI Agenten auseinander setzte, suchte sie sich Veranstaltungen aus, mit denen sie in diesem Berufsfeld Fuß fassen konnte. Die Schülerin schlug ihren Notizblock auf und sah nach vorne zum Dozenten.

„Herzlich Willkommen in der Informations-Vorlesung Kriminologie. Ich bin Dr. Decker und unterrichte den Kurs seit nunmehr fünfzehn Jahren. Bevor wir tiefer in die Materie eintauchen, müssen wir uns die Frage stellen, was ist überhaupt Kriminologie.“ Er blickte in die Runde. „Irgendwelche Vorschläge?“

Zwei Studenten meldeten sich.

„Sie in dem roten Pullover.“

„Die Aufklärung von Verbrechen“, antwortete der Junge.

„Und was denken Sie?“ Er blickte auf die zweite Meldung.

„Das Verstehen von Verbrechen.“

„Ist doch das gleiche“, schaltete sich der erste Junge ein.

Der Dozent schmunzelte. „Ob es das gleiche ist, werden Sie hoffentlich am Ende Ihrer ersten Vorlesung sagen können.“ Er räusperte sich. „Der Begriff Kriminologie stammt aus dem lateinischen und griechischen. Er setzt sich zusammen aus den Wörtern crimen, also Verbrechen, und logos, Verstehen. Das bedeutet also, dass die Kriminologie die Lehre von Verbrechen ist. Sie werden sich in der Vorlesung mit vielen wissenschaftlich fundierten Erklärungen für das Vorkommen, die Verteilung oder Veränderung von Kriminalitätsphänomenen, ihrer Prävention und Kontrolle beschäftigen. Ich kann Ihnen jetzt schon raten, dass Sie die Begrifflichkeiten immer parat haben müssen. Ich bin gern jemand, der zwischendurch seine Studenten etwas quält und abfragt. Zusätzlich dazu werden wir uns aber auch mit den Methoden beschäftigen, dies umschließt den Einsatz von Befragungen, das durchführen von Experimenten und ihre Auswertung, Beobachtungen oder die Sammlung von Daten. Genau heißt dies, dass Sie sich während der Vorlesung sowohl mit den psychologischen, den wirtschaftlichen, den pädagogischen als auch kulturellen, individuellen und sozialen Ursachen von Verbrechen auseinander setzen werden. Sie lernen dabei wie Sie die grundlegenden Hintergründe von Straftaten untersuchen und werden alles anwenden, was Sie gelernt haben. In verschiedenen Übungen werden Sie Fallaufgaben in Gruppen, aber auch alleine bearbeiten. Damit bereiten wir Sie auf die Abschlussleistung vor. Zwar sollten Sie sich sowohl mündlich als auch in den Übungen beteiligen und diese meistern, aber letzten Endes zählt nur die Note von der Abschlussprüfung.“ Decker sah in die Runde. „Und bitte, lassen Sie sich nicht dazu hinreißen den Kurs zu wählen, wenn Ihre größte Motivation das Fernsehen ist. Sendungen wie CSI und was es alles gibt, sind reine Fiktion. So schnell wie dort Morde und Verbrechen aufgeklärt werden, werden Sie es in der Realität nie erleben. Falls Sie sich hingegen entschieden haben Profiler oder für die Polizei tätig zu werden, kann ich Ihnen nur raten, es noch einmal zu überdenken. Informieren Sie sich vorab im Internet oder bei Berufsberatern. Sie werden sicherlich sehr schnell herausfinden, wie Sie in andere Berufe einsteigen können ohne meine und Ihre Zeit hier zu verschwenden. Und falls Sie sich doch für den Kurs entscheiden, würde ich Ihnen raten passende Nebenfächer oder Kurse zu wählen, wie Rechtsmedizin oder Psychologie. Versuchen Sie ihr Lernfeld möglichst gut zu umreißen. Viele Fächer bauen aufeinander auf oder sind hilfreich füreinander.“ Der Dozent sah ein weiteres Mal in die Gesichter der Schüler. „Gut, dann möchte ich Ihnen jetzt einen Fall vorstellen, den wir in den restlichen 90 Minuten zusammen analysieren werden.“
 

Jodie kam aus dem Hörsaal und hielt ihre Schultasche festumklammert. Ihr Kopf rauchte und sie hatte das Gefühl nichts mehr aufnehmen zu können. Aber es war interessant und lehrreich. Jodie zog ihr Handy aus der Hosentasche und tippte darauf herum.

„Pfosten.“

Das Mädchen blieb stehen und sah nach vorne. Das wäre um ein Haar schief gegangen, sagte sie zu sich selber. Sofort sah sie nach hinten. „Oh…hey…“, murmelte sie.

Shuichi schmunzelte. „Und wie war es?“

„Ganz interessant. Schade, dass Shukichi nicht mit dabei sein konnte, aber mit seiner Grippe sollte er wirklich nicht raus gehen. Er hat mir erzählt, dass er gerne rätselt, ich glaube die Vorlesung wäre auch ganz gut für ihn gewesen.“

„Du kannst ihm alles berichten, wenn er wieder gesund ist. Dann glaubt er mir endlich.“

„Er glaubt dir nicht?“, wollte sie wissen.

„Manchmal behauptet er, ich sei von meinem Berufswunsch besessen und nimmt an, dass ich vieles einfach nur beschönige.“

„Verstehe“, murmelte Jodie. „Die Vorlesung war aber wirklich gut. Ich habe zwischendurch in die Gesichter der anderen geschaut und ich glaube, es hat viele abgeschreckt, als Dr. Decker darauf einging, dass die Parallelen zum Fernsehen nicht da sind.“

„Das kenn ich“, fing Shuichi an. „Im letzten Jahr hatte ich auch solche Studenten in der Vorlesung. Die haben alles in Frage gestellt, weil sie es aus dem Fernsehen anders kannten. Decker wäre fast an die Decke gegangen. Er hat dann in jeder Vorlesung erwähnt, dass es nicht wie im Fernsehen läuft und doch gab es einige, die die Aussage immer wieder in Frage stellten. Aber wenn du die Wahrheit in Fernsehserien zeigst, würde sie keiner gucken.“

Jodie nickte. „Ich sehe die Einschaltquoten schon sinken.“

Shuichi musterte sie einen Augenblick. „Hier geht’s lang.“

„Mhm? Ist das der kürzeste Weg zum Bus?“

Shuichi marschierte auf den Parkplatz und warf einen Blick nach hinten. „Ich fahr dich nach Hause.“

„Du hast ein Auto?“, wollte sie irritiert wissen.

„Auto und Führerschein. Soll ich ihn dir zeigen?“

„Nein, nein, ich war nur…überrascht und wäre mit dem Bus nach Hause gefahren…naja eigentlich wollte ich meinen Vater bitten mich abzuholen…“

„Kannst du ein anderes Mal machen.“ Shuichi öffnete seine Wagentür und stieg ein. Sobald Jodie drinnen saß, startete er den Motor und fuhr los. „Ich hab gehört, was vor einem Jahr passiert ist.“

Jodie schluckte. „Ist lange her…“

„Tut mir leid. Wir müssen nicht darüber reden.“

„Mir auch“, murmelte das Mädchen und sah aus dem Fenster. „Ich hab…damals der falschen Person…vertraut…“

„Du hast nicht mitbekommen, was diese Amber mit dir vor hatte?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich hab mich…am Anfang natürlich gefragt, warum Amber ausgerechnet mit mir…befreundet sein wollte, aber weil ich…keine richtigen Freunde hatte, wollte ich wohl…die Anzeichen nicht sehen. Sie hat mich zum Schwänzen und Lügen angestiftet und…ich hab mitgemacht, weil ich sie als Freundin nicht verlieren wollte. Eigentlich wollte ich an dem Abend auch nicht mit Connor mit gehen…aber ich dachte, wenn ich es nicht tue, lacht sie mich aus und nennt mich ein Baby. Ich war so dumm…“ Jodie wischte sich die aufkommenden Tränen weg. „Und auf einmal war ich im Keller und wusste nicht, was mit mir passiert…und dann war Amber tot.“

„Glaubst du, dass es dieser Connor war?“

Jodie wusste nicht, warum sie so offen über die Geschehnisse sprechen konnte, aber die Worte sprudelten nur so aus ihrem Mund. „Wenn du eine ehrliche Antwort willst: Nein, aber ich hoffe es. Ich kenne Connor zwar nicht wirklich, aber das was ich erlebt hab und was mein Instinkt mir sagt, dann kann er es unmöglich gewesen sein. Andererseits heißt das, dass der Mörder noch frei rumläuft…und wenn er einen Groll gegen Amber hatte, habe ich Angst, dass er diesen auch gegen mich hat…selbst wenn es über ein Jahr her ist. Man weiß nicht, was in einem Menschen vorgeht…“

Shuichi nickte. „Falls du mal Hilfe brauchst, ruf mich oder Shukichi an. Und falls dein Vater keine Zeit hat um dich abzuholen, ruf lieber mich an, anstatt mit dem Bus oder der Bahn zu fahren.“

Jodie lächelte leicht. „Danke. Kennst du das…wenn du auf einmal ein komisches Gefühl in der Bauchgegend bekommst?“

„Mhm?“

„Ich weiß auch nicht. Irgendwie fühle ich mich in der letzten Zeit beobachtet. Das hatte ich damals auch schon…“

Shuichi sah aus dem Fenster. „Ich kann nichts Verdächtiges erkennen.“

„Wahrscheinlich spielt mir meine Fantasie nur einen Streich.“

„Kann sein. Aber wenn du es damals auch schon hattest, sollten wir das nicht außer Acht lassen.“

„Aber wegen dem Gefühl kann ich mich nicht einigeln und in der Schule krank melden.“

Shuichi dachte nach. „Hat es damals aufgehört?“

„Ja.“

„Dann wird es dieses Mal auch aufhören.“

Jodie sah zu ihm. „Das ist alles? Keine Analyse?“

Akai zuckte mit den Schultern und lächelte. „Was soll ich sagen? Ich bin nur ein kleiner Student.“



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