No one can tell you who you are
Dazai hatte sein Leben lang nicht gewusst, wer er eigentlich war. Seit er ein Kind gewesen war, hatten andere über sein Leben bestimmt, und auch wenn er sich einredete, dass es seine eigene Entscheidung gewesen war, der Mafia beizutreten, wusste er doch am besten, wie sehr er sich damit anlog. Wie so viele seiner Kameraden war ihm nicht ansatzweise klar, wer (oder in seinem Fall wohl besser was) er war, aber im Gegensatz zu vielen hatte er lange aufgehört, sich über die Schatten zu definieren, die sein Leben bestimmten.
Er hoffte damit alles etwas leichter und besser zu machen, doch an den meisten Tagen hatte es den gegenteiligen Effekt.
Der einzig positive Aspekt seines identitätslosen Daseins war, dass er so viele Masken ausprobieren konnte, wie es ihm beliebte. An einem Tag konnte er der sadistische Folterspezialist sein, der noch jedes ihrer Opfer zum Reden gebracht hatte; er konnte der gütige Mentor sein, der bissige Hunde von der Straße auflas, um sie zu Mördern auszubilden; oder der hochintelligente Soziopath, der die meisten ihrer Strategien ausheckte.
Doch an den meisten Tagen war er schlicht der traurig lächelnde Clown, der sich am liebsten die eigene Lunge herausreißen wollte.
Das alles hätte ihn viel weniger gestört, wenn er nicht geahnt hätte, dass eine Identität notwendig war, um den eigenen Lebenswillen aufrecht zu erhalten. Wirklich bewusst war ihm das erst geworden, als er das erste Mal ausgetestet hatte, wie sich ein Selbstmordversuch anfühlte, und seither war der Wunsch nach einem Sinn, nach Bedeutung immer stärker geworden. Mit der Zeit hatte er erkannt, dass man am besten sein wahres Ich entdecken konnte, wenn man sich rohen, wahren Emotionen aussetzte – und in seinem blinden Wunsch nach Erkenntnis war ihm Chuuya vorgekommen wie ein rettender Leuchtturm, der Schiffe sicher in den Hafen brachte und ihn aus den Schatten ziehen konnte.
Chuuya war der Inbegriff von unverfälschten Gefühlen, denn so viele Talente er auch sein Eigen nennen konnte, lügen und vortäuschen zählte nicht dazu. Anders als Dazai sah er nicht die Notwendigkeit dahinter, sich zu verstellen. Chuuya wusste, wer er war, wie andere ihn sehen sollten und vor allem, wie er selbst sich sehen wollte. Er kannte seine Identität.
Manchmal hatte Dazai das Gefühl, er könnte ein Stück von seinem wahren Ich sehen, wenn er mit Chuuya zusammen war. Aber eigentlich wollte er das gar nicht, denn auch ohne eine klare Vorstellung seines Selbst war er sich sicher, dass es ganz abscheulich war.