Crack bones with blind aggression
Chuuya war mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem seine physischen Kräfte die der meisten anderen Mafiamitglieder um ein Vielfaches überstiegen, und das trotz seiner schmalen Statur. Darauf war er sehr stolz, auch wenn er es niemals zugeben würde. Denn dass er sich überhaupt so darum bemüht hatte rührte allein daher, dass er sich nur mit einer Waffe an der Hüfte nicht so sicher fühlte, wie es in dieser Organisation notwendig war, um nicht den Verstand zu verlieren.
Obwohl er mit Abstand einer der stärksten Kämpfer unter ihnen war, trainierte er dennoch, so oft er nur konnte. Ihm war egal, gegen wen er antrat, solange er sich bewegen konnte. Irgendwann hatte Mori ihm das Training der neuen Mitglieder übertragen, von denen die meisten erst noch auf ein akzeptables Level an Nahkampftechniken gebracht werden mussten.
Diese neuen Mitglieder waren in den meisten Fällen die Einzigen, die noch mit Chuuya trainierten, denn die anderen wussten bereits, dass sie nicht gegen ihn antreten wollten, wenn er wütend war. Und das war er an diesem Tag ohne Zweifel.
Seit über einer halben Stunde ließ er Tritte und Schläge auf die armen Seelen niederprasseln, die er mit einem geknurrten Befehl dazu verdonnert hatte, mit ihm in den Ring zu steigen. Von den fast zwei Dutzend junger Männern saßen die meisten schon abseits, stöhnend und humpelnd und nicht in der Lage dazu, auch nur eine einzige weitere Attacke einzustecken.
Sie alle beschäftigten sich lieber mit ihrem eigenen Wohlbefinden, als ihrem Vorgesetzten dabei zuzusehen, wie er die letzten von ihnen in blinder Wut verprügelte, ohne sich zu beruhigen oder überhaupt müde zu werden. Die wilde Raserei in Chuuyas Blick ängstigte sie, aber sie wussten sich nicht dagegen zu helfen.
»Es ist lobenswert, wie viel Mühe du dir mit dem Training gibst, aber wenn du so weitermachst, haben wir bald keine Mitglieder mehr.«
Mit einem Mal hielt Chuuya in seiner Bewegung inne. Er hatte nicht gehört, wie sich die Tür zum Trainingsraum geöffnet hatte, aber egal, wie leise sie auch war, diese Stimme würde er immer hören können.
Dazai war bis zum Ring in der Mitte des Raumes gegangen und grinste ihn schief an. Einer seiner Arme befand sich in einer Schlinge, der andere war ebenfalls bandagiert. Er hatte einige Pflaster im Gesicht, aber was Chuuya wirklich beunruhigte war, was man ihm so nicht ansehen konnte. Auf ihrer letzten Mission war Dazai angeschossen worden und hätte mit der unschönen Wunde knapp an seiner Leber vorbei eigentlich im Bett liegen sollen.
Es herrschte für einige Augenblicke absolute Stille im Raum, ehe Chuuya den anderen Mitgliedern mit einem Blick zu verstehen gab, dass sie besser von selbst verschwanden, wenn sie nicht von ihm bewusstlos geschlagen werden wollten.
Doch auch, als sie unter sich waren, sagte keiner von ihnen ein Wort.
›Du wärst fast gestorben!‹, hätte Chuuya ihm gerne entgegen geschrien, aber er wusste schon vorher, wie Dazai antworten würde: mit einem Schulterzucken, einem amüsierten Lächeln und einem saloppen ›Bin ich aber leider nicht‹.
Chuuya ertrug Dazais Witze jetzt nicht. Er ertrug nicht einmal sich selbst, weil er sich immer noch Vorwürfe machte, nicht besser aufgepasst zu haben, obwohl der rationale Teil von ihm wusste, dass er Dazais Wunden niemals hätte verhindern können.
»Wenn du ihre Knochen brichst, heilt mich das nicht«, murmelte Dazai irgendwann in die Stille. Chuuyas Magen zog sich zusammen, weil er nicht wusste, ob sein Freund nur von seinen körperlichen Wunden sprach oder nicht. Er begann am ganzen Körper zu zittern und gab sein Bestes, sich das vor Dazai nicht anmerken zu lassen, auch wenn er wusste, dass ihm nichts entging.
Als auch Augenblicke später niemand von ihnen etwas gesagt hatte, räusperte Dazai sich und suchte Chuuyas Blick.
»Es war nicht deine Schuld.«
»Ich weiß!«, rief Chuuya lauter als beabsichtigt, die Augen gen Boden gerichtet und mit so viel Schuld in der Stimme, dass ihm selbst schlecht davon wurde. In einer anderen Welt – in einer reinen, unschuldigen Welt, in der es keine Schatten gab – wäre er in den Ring gesprungen und hätte Chuuya so lange in den Armen gehalten, bis alles gut gewesen wäre.
Aber das würde in dieser Welt nicht geschehen, also biss Dazai sich lediglich so fest auf die Lippe, dass er Blut schmeckte, drehte sich um und verließ den Trainingsraum wieder, um Chuuya seiner Wut zu überlassen.