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Lichtspiel

Armins Fallnotizen
von

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Geschichte und Geschichten

Nur ein paar Meter vor ihnen in der dunklen Gasse sah Armin plötzlich eine Bewegung. Ein kleiner Schemen huschte von einer Hauswand zur anderen Seite, bis unter eine Laterne. Vielleicht dreißig Zentimeter groß, violettes Fell, ein Vierbeiner, große Ohren, ein dünner Schwanz, zwei riesige Zähne. Armin atmete erleichtert aus. Es war nur ein Rattfratz.

Halt. Es war nicht nur ein Rattfratz. Es war ein wildes Pokémon, und das bedeutete--

Lisa schrie.

Armin lief zu ihr, stellte sich zwischen sie und das Pokémon. "Es ist gleich wieder weg. Es kommt nicht hierher", sagte er, er versuchte ruhig zu klingen, aber es gelang ihm nicht. Er hörte, wie sich jemand neben ihn stellte, wahrscheinlich war es Esther.

Lisa antwortete nicht, sie sah ihn nur an. Selbst in der Dunkelheit konnte er sehen, wie sie zitterte.

"Oh mein Arceus, was habt ihr? Das ist nur ein Rattfratz! Das tut nix, das will nur spielen. Das Wie-tief-krieg-ich-meine-Zähne-in-dein-Bein-Spiel, natürlich."

"Angelina, halt die--" Das war nicht der richtige Zeitpunkt für schlechte Witze.

"Es ist schon wieder weg", sagte Lukas.

Langsam setzte Armin mit Lisa seinen Weg fort.

"Klar ist es weg. Bei dem Geschrei wär ich auch weggelaufen", sagte Angelina.

"'T-Tschuldigung. H-Hab mich erschreckt."

"Rattfratz sind echte Angsthaspiror. Wenn die 'nen Menschen angreifen, bin ich Rayquaza."

"Angelina, vielleicht wäre es besser, damit aufzuhören, ich glaube nicht, dass es hilft, sie damit aufzuziehen…", sagte Esther. Bis auf "vielleicht" und "ich glaube" hätte Armin das so unterschrieben.

"Okay", sagte Angelina, aber sie schien das Problem nicht verstanden zu haben.
 

Nach einigen Abzweigungen wurde es lauter, Armin hörte Schritte und Stimmen, alle wild durcheinander, und es wurde heller am Ende der Gasse. Das musste die Horrorstraße sein.

"Wie müssen gleich nur die Straße überqueren. Die Bibliothek ist das buchförmige Gebäude gleich gegenüber", sagte Lukas. Armin stellte sich ein Gebäude in Buchform vor, breit aber flach wie sein aufgeschlagenes Notizbuch, mit gewölbtem Dach, zwei Teile, die durch Ringe zusammengehalten wurden. Armin lachte. Lukas hatte einen seltsamen Humor, aber die Vorstellung war amüsant.

Während Armin sich durch die Menschenmenge kämpfte, sah er, dass es kein Witz gewesen war. Das Hochhaus auf der anderen Seite der Horrorstraße hatte die Form eines stehenden, etwas aufgeschlagenen Buches. Wie üblich für Titaneon City und seine seltsame Architektur waren die riesigen Glasfenster von Neonlichtern in verschiedensten Farben beleuchtet.

"Willkommen in der freakigsten Bibliothek der Region!", rief Angelina, als sie die Massen hinter sich gelassen hatten und in die Eingangshalle traten.

Im Inneren der Bibliothek sah es so kahl aus wie in einem Krankenhaus oder Esthers Wohnung. Der Informationsschalter war leer bis auf die Menschen hinter ihm und einige Regale mit Ordnern. Es gab keine Zimmerpflanzen, und im Empfangsraum auch keine Bücher. Der Boden war weiß, die Wände ebenfalls - zumindest an den wenigen Stellen, wo keine Fenster waren. Nur der bunte Schein der Lichter um die Fenster brachte etwas Farbe in die Bibliothek.

"So, wo wollen wir hin?", flüsterte Lukas.

"Hm, das ist eigentlich eine gute Frage, hattest du dir da nicht irgendwas notiert, Armin, vielleicht könnte das ja ein Anhaltspunkt sein?", fragte Esther.

Um das zu beantworten, musste Armin sein Notizbuch nicht aufschlagen. "Wir suchen das Buch 'Die legendären Pokémon der Triko-Region' von Kaylee Lovison. Oh, und gibt es hier alte Zeitungen?"

"Zeitungen haben sie im Keller", sagte Lukas.

"Was wollt ihr denn mit alten Zeitungen? Ihr seid ja schlimmere Streber als Karpi."

"Hey, Zeitungen sind eine wahre Fundgrube an Informationen. Dieser Ray hat legendäre Pokémon gefangen, dabei muss irgendjemand irgendetwas bemerkt haben."

"Okay, wo könnten wir das Buch finden… Gehört das vielleicht in die Abteilung Geschichte?"

“Das hat Papa empfohlen, das kann nur Pokémonologie sein. Alles andere würde ihn so sehr interessieren wie mich das Wetter in Kalos. Oder dieses komische Zeug, was Karpi da immer liest."

Pokémonologie fand Armin auf der Infotafel unter den Themen, die sich im zwölften Stock befinden sollten.

"Die Legenden von Triko sollten uns auch einiges über die legendären Pokémon verraten. Sie heißen ja nicht umsonst legendär", sagte Lukas.

"Fiktion verrät natürlich unheimlich viel über die Realität. Warum schauen wir nicht einen Krimi, um rauszufinden, wer Ray ist?", sagte Armin.

"Also, ich denke, schaden wird es wahrscheinlich nicht, oder? Vielleicht könnte sich ja Lukas in die Legenden einlesen, wenn du das nicht machen möchtest", schlug Esther vor.

"Ich komm mit! Los geht's!" Angelina zog Lukas in Richtung Aufzug.

"O-Okay. Wir kommen dann in den Keller, wenn wir fertig sind!", war das letzte, das Armin verstehen konnte, bevor Lukas im Aufzug verschwand.

"Sieht aus, als wäre das geklärt. Ich werde dann das Buch von Lovison lesen", sagte Armin. "Esther, kümmerst du dich um die Zeitungen?"

"Okay, ich denke, das könnte funktionieren."

"Ich helf dir, Armin!", sagte Lisa.

Lisa bot an, Armins Koffer mitzunehmen und ging mit Esther zum Aufzug. Armin freute sich nicht darauf, die Treppe bis in den zwölften Stock zu steigen, aber es war noch deutlich angenehmer als Aufzug zu fahren.
 

Als Armin endlich im zwölften Stock angekommen war, musste er sich zuerst auf den Boden setzen, da er befürchtete, sonst umzufallen. Schwindel. Zu wenig Luft. Seine Beine wollten ihn nicht mehr tragen. Fast so schlimm wie … Aufzug fahren.

Als er nach einigen Minuten wieder stehen konnte, nahm er seinen Koffer entgegen und suchte die Regale ab. "Lind, Lindner…"

"Lovison!", sagte Lisa.

Armin nahm das Buch, worauf sie zeigte. Auf dem Einband war eine Zeichnung, die den Proportionen, den wenigen Farben und der "Leinwand" – wörtlich eine Wand – nach mindestens ein paar Jahrtausende alt war. Zu sehen waren ein weißes Drachen-Pokémon, das sich um ein rotes Pluszeichen schlängelte, und ein arkaniähnliches Pokémon mit schwarzen und blauen Streifen, das auf einem blauen Rechteck stand – ein Minuszeichen?

"Sind das die legendären Pokémon? Gruselig", meinte Lisa.

Armin schlug das Inhaltsverzeichnis auf. Jedes Pokémon hatte seinen eigenen Teil – auch Kohrin. Zu den ersten drei gab es ähnliche Überschriften wie in einem Pokédex-Eintrag: Körperbau, Verhalten, bekannte Attacken, … Die Überschrift "Fundorte" weckte sein Interesse am meisten.

Der Abschnitt zu Serion wurde von einem Foto eingeleitet, das das Drachen-Pokémon vom Einband zeigte. In Schwarz-Weiß und mit der schlechten Auflösung – der Bildunterschrift nach war es fast hundert Jahre alt – war nicht viel zu erkennen, aber das Pluszeichen auf dem Einband war offenbar von dem Muster auf seinem Bauch inspiriert. Im Hintergrund war hauptsächlich der Himmel zu sehen, am unteren Rand jedoch sah Armin ein Stück Fels. Er tippte darauf, dass das Foto auf einem Berggipfel geschossen wurde. Er machte sich eine Notiz, nach Bergen zu fragen – allzu viele konnte es in der für ihre Flachheit bekannten Triko-Region nicht geben.

Armin überflog den Rest – anscheinend hatte das Positiv-Pokémon Serion die Typen Elektro und Drache, zeichnete sich durch starke Fernangriffe aus und war stets ruhig und gelassen – und sprang zum Abschnitt "Fundorte". Für nur ein einzelnes Pokémon gab es natürlich keinen natürlichen Lebensraum der Art; aufgelistet waren nur Orte, an denen Serion gesichtet worden war. Es konzentrierte sich auf eine Stadt namens Sagenau City – mal war es direkt in der Stadt, mal auf einer Nachbarroute, … fast alle Orte hingen mit Sagenau zusammen. Das war eine besonders große Notiz wert.

Futoran, das Negativ-Pokémon, schien das genaue Gegenteil von Serion zu sein: Neben dem Elektro-Typ hatte es den Kampf-Typ, war laut und aggressiv und hatte starke physische Angriffe. Im Hintergrund des Fotos waren Stalaktiten. Neben "Höhle" notierte sich Armin auch den Namen der Urheberin der Fotos – "Amalie Winter" hatte es immerhin geschafft, zwei legendäre Pokémon zu fotografieren; möglicherweise hatte Ray die Pokémon auf dem gleichen Weg gefunden wie sie. Allerdings war sie dem Alter nach höchstwahrscheinlich nicht mehr am Leben, Informationen von ihr zu bekommen würde also schwierig sein.

Auch Futoran wurde stets in der Nähe von Sagenau City gesehen. Diese Stadt war einen Besuch wert – Ray musste dort gewesen sein.

Zu Yurenka, dem Neutral-Pokémon, gab es gleich drei Fotografien und jeden Abschnitt in drei Ausführungen. Anscheinend besaß es drei Formen, die sich auf viele Arten unterschieden: Die flinke, aber fragile E-Form aus der Zeitung, die Spaß daran hatte, Menschen zu erschrecken, die mittlere My-Form mit der Statur eines größeren Absol, die ausgeglichene Stärken hatte und alles analysierte – sympathisch, fand Armin – und die riesige, kräftige Tau-Form, die eher Ähnlichkeit mit Futoran hatte.

In der E-Form maß Yurenka 45 Zentimeter. Armin maß Yurenka und Ray auf dem Foto in der Zeitung, indem er das karierte Papier seines Notizblocks als Lineal benutzte, und berechnete damit die Größe von Ray. Er war etwa einen Meter siebzig groß, vielleicht fünf Zentimeter mehr oder weniger.

Weder aus Winters Fotos noch aus den Sichtungsorten konnte Armin viel schließen. Alle Fotos zeigten Yurenka an anderen Orten und die Sichtungsorte waren über die ganze Region verstreut. Anscheinend erschreckte Yurenka Menschen und kämpfte gegen Pokémon in der ganzen Region, um seiner ständigen Langeweile entgegenzuwirken. Seinen eigentlichen Lebensraum hatte noch niemand gefunden – außer Ray, wenn er nicht Yurenka bei seinen Ausflügen abgefangen hatte. Beides stellte sich Armin schwieriger vor als Sagenau City nach den anderen beiden Pokémon abzusuchen. Wollte er Yurenka finden, gäbe es nur einen Ansatz: Wie die Autorin beschrieb, gab es Spekulationen, Yurenka würde sich auf einer Insel namens Enigmainsel in der Nähe von "Ostdeich" verstecken – eine Notiz wert. Zahlreiche Forschungsteams hatten es dort allerdings nicht gefunden, also war diese Theorie wohl nicht sehr vertrauenswürdig.

Zu Kohrin gab es so gut wie nichts. Anscheinend wurde es zum ersten Mal vor etwa tausend Jahren und zum letzten Mal vor ziemlich genau einem Jahrhundert gesehen, aber keine der Quellen konnte eindeutig verifiziert werden. Wenn es denn existierte, handelte es sich bei ihm den wenigen Informationen nach um ein Pokémon der Typen Elektro und Psycho. Es hatte einen listigen Charakter und ähnelte einem zweibeinigen Vulnona oder einem weiß-gelben Zoroark. Es war schneller als jedes andere Pokémon. In den Sagen wurde es mit dem Licht assoziiert und das Austausch-Pokémon genannt. Sagen, so klang das alles, als hätte sich ein gelangweilter Mensch vor tausend Jahren ein Pokémon ausgedacht. Wahrscheinlich war es genauso real wie Xeo-Xeo. Aber wenn in einem Fachbuch der Pokémonologie über es berichtet wurde, wenn auch mit der Bemerkung, dass alles mit Vorsicht zu genießen war, musste es doch gute Gründe geben, an es zu glauben …

"Armin? Wir sollten langsam wieder runter, Esther und die Anderen warten sicher schon."

"Oh? Oh, stimmt. Schon eine Stunde … Lisa, was hältst du von diesem Kohrin?"

"Ich glaube, es versteckt sich. Es bleibt gern geheim, sonst hätte man bestimmt vor hundert Jahren schon mehr rausgefunden. Vielleicht plant es irgendwas böses, seit hundert Jahren, oder es mag keine Menschen", flüsterte sie, bevor sie sich wieder am Eingang zum Treppenhaus trennten.
 

Zum Glück war der Weg in den Keller nur halb so anstrengend wie der Weg nach oben, sodass Armin sich diesmal nur fünf Minuten ausruhen musste, bevor er am Austausch der Ergebnisse teilnehmen konnte.

"Wir fangen an!", beschloss Angelina. "Also, Karpi hat sich dieses Buch ausgesucht." Sie hielt ein Buch mit dem Titel "Legenden der Triko-Region: Die Wächter der Welt" hoch. "Die Autorin ist anscheinend in der Streberwelt total wichtig und bekannt wie ein buntes Yorkleff, also, Armin, renn nicht gleich weg, nur weil da "Legenden" draufsteht, es könnte Spuren von Infos enthalten."

"Amalie Winter?", las Armin über dem Titel. "Den Namen hab ich schon mal gehört. Wer ist das?"

"Die erste Pokémonologin aus der Triko-Region, die den Palm-Preis bekommen hat. Sie hat sich auch viel mit den Legenden beschäftigt, wie man an diesem Buch sieht", erklärte Lukas.

"Aaalso. Zusammenfassung. Am Anfang war Arceus und hat die Welt erschaffen und Dialga und Palkia und Giratina und so weiter und das kennt ihr in Hoenn bestimmt auch alle. Dann hat Giratina böse Sachen gemacht und Arceus sagte 'Oh nein. Das ist ja gefährlich, das muss in den Pokémon-Knast.' Also hat es die Welt aufgeteilt in normales Zeug und Anti-Zeug, und das Anti-Zeug hieß dann Zerrwelt, und da kam Giratina rein. Aber dann gab es immer noch Ärger und Dialga und Palkia sagten 'Oh nein, irgendwann fällt die Zerrwelt mit unserer Welt zusammen und das normale Zeug trifft auf das Anti-Zeug und dann macht es 'Kaboom!' und alle Universen sind weg!' Und weil das doof ist, haben sie Futoran erschaffen, das steht für das normale Zeug und Serion für das Anti-Zeug und die sollen dann dafür sorgen, dass alles im Gleichgewicht bleibt und es nicht 'Kaboom!' macht. Aber Serion und Futoran haben sich gezofft und wenn die sich kloppen macht es wieder 'Kaboom!', also haben Palkia und Dialga noch Yurenka erschaffen, das Streitschlichter spielen soll. Yurenka hat dann die Welt gerettet und dann haben Serion und Futoran noch ein paar Mal die Welt gerettet. Okay, hab ich was vergessen, Karpi?"

Ähnlich wie die Geschichten über Kyogre und Groudon höchstens Stoff für einen Film, dachte Armin.

"Nein, das dürfte es gewesen sein, wobei es im Original natürlich mehr nach dem ernsthaften Glauben einiger Vorfahren und weniger nach einem Actionfilm klingt. Leider wird Kohrin darin mit keinem Wort erwähnt. Deshalb habe ich hier noch 'Geschichten aus Tourlauben'."

Lukas reichte ein Buch durch. Als es bei Armin ankam, überflog er nur das Inhaltsverzeichnis, dann hatte er genug. Antike Pokébälle, die ihre Pokémon nicht mehr freigaben, böse Geister im "Turm der Sonne", die Menschen anlockten, die Geschichte, wie Yurenka aus Langeweile Kohrin erschuf, … was für ein Unsinn.

"Kannst du bitte den sinnvollen Teil zusammenfassen, wenn es einen gibt?", fragte Armin.

"Der Turm der Sonne bei Tourlauben steht wahrscheinlich mit Kohrin in Verbindung. Dort gibt es viel mehr Geschichten zu Kohrin als im Rest der Region."

"Oh, stimmt! Tourlauben und der Turm der Sonne waren zugekleistert mit diesem Pokémon, das aussieht wie ein Zoroark, das in einen Farbtopf gefallen ist. Weißt du noch, Karpi?"

"Das stimmt. Was ich auch noch interessant fand, war, dass vor hundert Jahren ein Kristall im Turm der Sonne aufgehört haben soll zu leuchten. Genau als Kohrin verschwunden ist, das kann kein Zufall sein."

"Kristalle, die wegen eines Pokémon leuchten oder aufhören zu leuchten? Dann noch eher ein Zufall", meinte Armin.
 

Armin fasste zusammen, was er in Lovisons Buch gelesen hatte und ging seine Notizen durch.

"Welche Berge gibt es in Triko?"

"Der Größte ist der Klammberg, dann kommt der Plusberg, und dann … der Rotomurfhügel in meinem Garten? Der Großteil von Triko ist so flach wie ein Flunschlik."

"Liegt einer von denen zufällig in der Nähe von Sagenau City?"

"Ja, der Plusberg."

"Gibt es in diesem Plusberg eine Höhle?"

"Die Minushöhle, warum? Oh. Ooh! Da gibt es bestimmt die legendären … Plusle und Minun!", sagte Angelina.

"Genau. Der Berg und die Höhle, wo die Fotos von Serion und Futoran entstanden sind, sind höchstwahrscheinlich der Plusberg und die Minushöhle. Sieht aus, als wäre Sagenau wirklich einen Besuch wert." Armin unterstrich seine Notiz zu Sagenau noch einmal und bat dann Esther, die Erkenntnisse aus den Zeitungen vorzustellen.
 

"Also, es gab noch ein paar Artikel zu Ray, Interviews mit Experten zu legendären Pokémon, wie gefährlich das ist, dass sie gefangen wurden – wenn ich das jetzt zusammenfassen müsste, würde ich sagen, sehr gefährlich, da waren sich eigentlich alle einig, anscheinend hat jemand schon mal versucht, die legendären Flug-Pokémon aus Kanto zu fangen, und das wäre fast sehr böse geendet, wenn Lugia nicht eingegriffen hätte, weil es die Natur aus dem Gleichgewicht gebracht hätte, und außerdem sind legendäre Pokémon ja auch vergleichsweise stark und könnten als eine Art Waffe eingesetzt werden, wenn dieser Ray das will, und ich hab vergessen, wo mein Satz angefangen hat.

"Dann fand ich noch ganz interessant, also, ich dachte, das könnte vielleicht irgendwas mit Ray zu tun haben, wie hieß nochmal diese Insel, wo sie vermuteten, da könnte Yurenka sein?"

Armin blätterte in seinen Notizen. "Enigmainsel."

"Genau! Am 15. Juni, also zwei Tage bevor sie das Foto von Yurenka gezeigt haben, war die Enigmainsel plötzlich verschwunden. Ein Fischer war in der Nähe unterwegs, er hat am Abend des Vortags die Insel noch gesehen, und am nächsten Morgen war sie nicht mehr da, einfach weg. Außerdem hat er am Abend ein Staraptor am Himmel gesehen, obwohl es in dieser Region eigentlich keine wilden Staraptor gibt, das ist vielleicht nur Zufall, aber es ist so seltsam, da könnte es doch auch eine Verbindung geben, vielleicht war es Rays Staraptor."

"Meinst du, dass die Insel verschwunden ist, als Yurenka gefangen wurde? Aber warum sollte sie das tun?", fragte Armin.

“Wenn das Yurenkas Insel ist, vielleicht kann sie ohne es nicht existieren, es ist ja legendär", sagte Lisa. “Oder sie haben heftig gekämpft und dann ist die Insel kaputtgegangen.”

“Das klingt sogar plausibel. Hm … das Staraptor gehörte offensichtlich zu einem Trainer. Wenn das kein Zufall ist, könnte es Ray genutzt haben, um zur Insel zu gelangen, immerhin hätte er so keinen Bootskapitän als Zeugen. Das sieht aus wie ein Hinweis! Und ein guter – wenn es hier keine Staraptor gibt, haben nur wenige Trainer eins.” Armin schrieb groß “Wer hat Staraptor??” in sein Notizbuch.
 

“Oh, und dann war da noch was Komisches in der Zeitung vom 19. Juni, vier Tage später”, fuhr Esther fort. “Jemand hat anscheinend in einer Höhle die Stimme eines legendären Pokémon gehört, ich dachte mir, das könnte vielleicht etwas mit dem Fall zu tun haben, vielleicht ist es aber auch nur Zufall oder erfunden.”

“Wahrscheinlich letzteres”, meinte Armin. “So was denkt sich immer wieder mal jemand aus. Gibt es noch etwas Interessanteres?”

“Moment, am 19. Juni? Da waren Yurenka, Serion und Futoran doch schon gefangen. Wenn es nicht erfunden ist, haben wir es da vielleicht mit Kohrin zu tun. Welche Höhle ist das?”, fragte Lukas.

“Hier steht ‘Düsterhöhle bei Titaneon City’. Also, das dachte ich auch, oder vielleicht war dieser Ray an dem Tag in der Höhle, immerhin hatte er da ja anscheinend die anderen Pokémon schon gefangen, also hatte er sie vielleicht bei sich, und dann könnte man sie auch hören, denke ich.”

“Hey, das hab ich schon gehört. Das Phantom der Düsterhöhle! In dieser Höhle spukt es wie auf einem Spukball”, sagte Angelina.

“Ist das nicht ein Film? Zumindest kommt mir der Name bekannt vor”, meinte Esther.

“Klar ist das ein Film! Ein Hammerfilm! Aber er basiert auf einer wahren Begebenheit.”

“Sollen wir uns die Düsterhöhle mal anschauen? Da gibt es bestimmt Hinweise”, meinte Lisa, aber Armin hielt nichts davon. Seine Liste der Dinge, denen er noch nachgehen musste, wurde länger und länger, für seltsame Gerüchte war da keine Zeit.

“Was steht denn auf der Liste?”, fragte Esther.

“MRK… ach ja, in einem Supermarkt nachfragen, ob sie weiße Pokébälle im Sortiment haben. Verdächtige finden – wer hat ein Motiv und die Möglichkeiten, legendäre Pokémon zu fangen? Die Tatorte in Sagenau City aufsuchen. Herausfinden, wie Amalie Winter die Fotos von den Pokémon geschossen hat. Ersteres ist simpel, der Rest wird etwas aufwändiger. Aber zuerst”, Armin gähnte, “sollten wir schlafen.”
 

Mit den ausgeliehenen Büchern im Koffer gingen sie zurück auf die Horrorstraße, die zum Glück inzwischen deutlich leerer geworden war, sodass Armin zumindest einen Quadratmeter für sich allein hatte. So ließ er sich überreden, diesmal den direkten Weg über die Einkaufsmeile zu nehmen. Das Hotel, in dem seine Familie übernachtete, lag laut Angelina nur einen halben Kilometer entfernt in einer Seitenstraße. Sie und Lukas dagegen mussten in eine andere Richtung und so trennten sie sich.

“Oh, hier ist die Ketchumstraße”, bemerkte Esther. “… Wo soll das Hotel jetzt sein? Was ist denn die Hausnummer, die könnte vielleicht hilfreich sein …“

“Wir könnten mal dort hingehen, wo ‘Hotel Zwirrlicht’ steht.” Armin deutete auf die riesigen Neonbuchstaben auf dem Dach eines der Hochhäuser. “Da steht sicher auch die Hausnummer.”

“Armin?”

Jemand tippte Armin an. Er schreckte auf, bis er bemerkte, dass es nur Lisa war.

“Armin? Esther? Dieser Mensch ist gruselig. Der mit dem Helm”, sagte sie.

“Wahrscheinlich ein Motorradfah--” Er sah ein futuristisches weißes Outfit mit gelben Streifen. “Ray!?”

Nein, einige Details passten nicht. Die Person war etwa einen Meter neunzig groß, viel zu groß, um dieselbe Person zu sein wie auf dem Foto. Auch das gelbe Muster auf der Uniform war ein Anderes und der hohe Kragen fehlte; stattdessen trug sie Handschuhe, die fast bis zur Schulter reichten.

Selbst wenn das nicht Ray war, die Ähnlichkeit war zu groß, um ein Zufall zu sein. Armin ging auf die seltsame Person zu und sprach sie darauf an.

“Das ist ja auch ‘n Ray-Kostüm, Mann!”, antwortete der Doppelgänger.

“Sie verkleiden sich als Ray? Warum--”

“Weil er der Größte ist!”, sagte er und verschwand in einem Hochhaus.

Das war etwa so glaubwürdig wie die Geschichten in dem Buch von Lukas – manche Leute liefen vielleicht kostümiert durch die Stadt, aber dann würden sie doch dafür sorgen, dass die Details mit ihrem Vorbild übereinstimmen, und außerdem nicht bei der kleinsten Nachfrage die Flucht ergreifen. Leider war Armin zu müde, um weitere Schlussfolgerungen anzustellen. Er machte sich eine Notiz zu der seltsamen Begegnung und zeichnete das Symbol auf der Kleidung des Doppelgängers nach – war das ein “Y” mit einer Schleife oder ein nach unten schwimmendes Karpador? – dann betrat er mit seinen Geschwistern das Hotel.



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