Zum Inhalt der Seite

Leuchtende Schatten

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Entschuldigt bitte die lange Wartezeit! Umzug, Weihnachten, Lappi kaputt, da kam alles zusammen, aber ich hoffe, dass ich jetzt wieder einigermaßen regelmäßig zum Updaten komme!^^
Viel Spaß mit dem ersten richtigen Kapitel! Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

Ciel
 

„Eigentlich, hätte ich dich schon längst weiterverkaufen sollen!“
 

„Ja Madame.“
 

„Ein Freudenmädchen, das mit keinem Freier ins Bett geht, wo gibt’s denn so was!?“
 

„Ich weiß Madame.“
 

„Wenn die Männer nicht so viel für dich bezahlen würden, hätte ich dich schon längst an Madame Paradies am Ende der Straße verkauft!“
 

„Ja Madame, es tut mir leid Madame.“
 

„Weißt du eigentlich wie viel der Earl of Worthington für dich bezahlen würde? Kannst du dir das vorstellen?“
 

Ich spüre wie ich anfange zu zittern.
 

„Nein Madame, das weiß ich nicht Madame.“
 

„Ein Vermögen! Aber er will ein gehorsames williges Ding! Keinen solchen Schreihals wie dich der schon bei der leisesten Berührung vollkommen die Beherrschung verliert! Du kostest mich noch meinen letzten Nerv!“
 

„Ich weiß Madame, es tut mir wirklich sehr leid Madame.“
 

„Kannst du dich nicht wenigstens dieses eine Mal fügen? Es nicht wenigstens einmal ertragen? Ich weiß doch, was mit dir passiert ist, aber schau, ich hab viele Mädchen hier, die das gleiche Schicksal ereilt hat und sie stellen sich nicht so an wie du! Die wissen was gut für sie ist, und dass man die alten Geschichten irgendwann ruhen lassen muss!“
 

Ich kann nichts sagen. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Wenn sie es mir befielt, muss ich mich fügen, aber… ich kann nicht!
 

„Sieh mich an Ciel!“
 

Ich hebe den Blick, schaue sie aber nicht direkt an, sondern starre auf ihren Hals, sie merkt den Unterschied ohnehin nicht so lange sie ihre Brille nicht aufhat und das tut sie selten.
 

„Irgendwann wirst du es tun müssen. Noch bist du erst 16 und siehst dabei aus wie ein Kind, aber deine elfengleiche Schönheit wird dir nicht ewig dienen, sie wird verschwinden und dann wirst auch du dich den Aufgaben wegen derer ich dich vor sechs Jahren aufgenommen habe nicht mehr entziehen können. Verstehst du was ich sage?“
 

„Ich verstehe Madame.“
 

Ich sehe wie der weiche Ausdruck der eben noch über ihrem Gesicht gelegen hat verschwindet und stählener Härte weicht.
 

„Dann fang schon mal an dir darüber Gedanken zu machen welchen deiner Stammkunden du haben willst, sie zahlen allesamt gut und wenn ich bekannt gebe, dass du bereit bist dich deinen vollen Pflichten zu stellen, werden sie sich gegenseitig überbieten um der Erste zu sein. Und jetzt geh, ich habe dir neue Kleider gekauft, sie liegen bereits in deinem Zimmer und ich erwarte, dass du sie heute Abend trägst.“
 

„Sehr wohl Madame.“
 

Ich mache einen tiefen Knicks und ziehe mich rückwärts aus ihrem Etablissement zurück.

Im Vorbeigehen fällt mein Blick auf den großen Schürhaken direkt beim Kamin.
 

Eher spieße ich mich mit dem Kaminbesteck auf, als dass ich jemals das Bett eines dieser schmierigen, widerlichen Kerle teile!

Das Licht

Sebastian
 


 

Mir ist so schrecklich langweilig.

Müßig wandere ich durch die leeren Straßen Londons, sehe Ratten dabei zu wie sie sich um einen Ranken Brot streiten, und überlege ob ich nicht vielleicht etwas essen soll.

Ein leises Stöhnen lockt mich, es klingt nach einer Seele, die im Begriff steht ihren Besitzer zu verlassen.
 

Raues Husten und Würgen weist mir den Weg zu einer schmalen, erbärmlichen Gestalt die zusammengekauert auf dem verdreckten Boden hockt. Ein Kind.

Zumindest sieht es danach aus, aber der Geruch seiner Seele ist alt.

Viel zu alt.

Ich sauge die Luft tief in meine menschlichen Lungen und muss fast würgen, das Aroma das einst sicherlich süß nach Hoffnung und Träumen gerochen hat wird überlagert von Traurigkeit und Verlust, von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Eine unter Umständen anregende Mischung, aber nicht, wenn der Wirt sich dem gefügt und alle Menschlichkeit verloren hat.

Ich kann den Schmutz auf meiner Zunge fühlen.

Nein, ich denke darauf kann ich getrost verzichten und außerdem nehme ich an, dass in den nächsten Minuten ohnehin ein Schnitter Tod auftauchen wird. Um so eine schmutzige kleine Zwischenmalzeit lohnt es nicht zu kämpfen, so hungrig bin ich dann auch wieder nicht.
 

So schlendere ich weiter durch die Straßen, und biege nach einigen Kreuzungen in das Rotlichtviertel ein.

Ab und an verschlägt es selbst einen Teufel wie mich hier her, immerhin bin ich Herr über die Versuchung und als Sohn Luzifers fröne selbst ich ab und an der Wollust, allerdings nicht in dem Maße, wie man es jemandem wie mir zutrauen würde. Nein… ich bin ein Genießer.
 

Ich schlendere also von Bordell zu Bordell, lächle den vollbusigen Mädchen zu die in den Fensterrahmen sitzen und den Freiern zuwinken, sie verführen und in ihr Freudenhaus locken wollen, aber die sind mir alle zu vulgär. Ich bin auf der Suche nach etwas Reinem.
 

Zugegeben, das hier ist wohl der falsche Ort für so etwas, da würde ich auf den Bällen der oberen Gesellschaft wahrscheinlich mehr Glück haben, aber die Saison ist zu Ende und auf dem Land wird es nur allzu schnell allzu langweilig.
 

Plötzlich spüre ich etwas.

Ein leises Ziehen am Rande meines Bewusstseins. Ein Leuchten, wie ich es noch nie zuvor gesehen oder gespürt habe.

Von wo kommt das?

Suchend drehe ich mich um die eigene Achse, so dass die weiten Schöße meines Mantels im Wind flattern.
 

Und dann sehe ich es.

Zwei Häuser weiter, im dritten Stock des ‚Bloody Diamond‘ sitzt ein Junge am Fenster.

Zuerst hätte ich ihn fast für ein Mädchen gehalten, denn er trägt ein sehr eng geschnürtes dunkelblaues Korsett mit schwarzer Spitze, dazu ein gleichfarbiges Höschen und schwarze Strümpfe die an einem Gürtel um seine schmale Hüfte befestigt sind, aber ich fühle ganz deutlich, dass dort ein Junge sitzt und einem zweiten Blick hält auch dieser lächerliche Aufzug nicht stand.
 

Er sitzt mit seitlich angewinkelten Beinen auf dem Fenstersims, lehnt sich mit einer Schulter gegen den Rahmen und blickt mit seinen unglaublich großen, unglaublich blauen Augen unbeteiligt in den Nachthimmel hinauf. Soviel Traurigkeit…
 

Und doch…

Er leuchtet. Den Menschen um mich herum mag es entgehen, sie können nicht sehen was ich sehe. Dort oben sitzt ein gefallener Engel, so rein wie ich es noch nie zuvor gesehen habe, so unschuldig und vollkommen, ich kann direkt spüren, wie mir das Wasser im Mund zusammenläuft.
 

Ohne mein Zutun führen mich meine Schritte zu dem Bordell zu dem das Fenster gehört und nur Sekunden später betrete ich das Freudenhaus, das zumindest nach außen hin einen wirklich luxuriösen Eindruck macht, aber selbst das kann nicht darüber hinwegtäuschen, was hier zum Kauf angeboten wird.

Schmutziger, unehrlicher Sex.

Daran gibt es nichts luxuriöses, aber das war noch nie so und das wird sich auch nie ändern.

Menschen sind Tiere, das weiß ich schon lange.
 

„Wunderschönen guten Abend mein Herr!“, werde ich direkt von der strahlenden Besitzerin, zumindest nehme ich an, dass sie das ist, begrüßt. Sie ist von Kopf bis Fuß in leuchtendes Rot gekleidet und sieht nicht danach aus, als würde sie in diesem Etablissement selbst auch zum Kauf angeboten, denn die Damen die sich sonst im Foyer tummeln sind allesamt in einen Hauch von Nichts gekleidet. „Ich bin Madame Red, willkommen in meinem bescheidenen Boudoir!“
 

Sie lässt sich in einen anmutigen Knicks sinken und lächelt mich kokett von unten herauf an. Es gab einmal eine Zeit, da gehörte sie mit Sicherheit auch zu den Damen die ihre Dienste für Geld anbieten, aber irgendwie scheint sie den Absprung geschafft zu haben, und sich nun ausschließlich um das Geschäftliche zu kümmern. So ein Lächeln lernt man nicht, während man Zahlen addiert.
 

„Guten Abend Madame, es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen“, erwidere ich mit ausgesuchter Höflichkeit und verbeuge mich vor ihr, wobei ich in einer fließenden Bewegung meinen Mantel abstreife und höre, wie sie scharf Luft einzieht als sie die Feinheit der Stoffe erkennt die ich darunter trage.
 

Selbstverständlich kleide ich mich bei meinen Besuchen in der Menschenwelt nicht in Sack und Asche, das würde meinen guten Ruf ruinieren!
 

„Womit kann ich Euch dienen gnädiger Herr?“, fragt sie dann als sie ihre Fassung wiedergefunden hat.
 

Ich erkenne deutlich das gierige Funkeln in ihren Augen. Sie wittert wohl das Geschäft ihres Lebens und hofft, dass ich irgendwelche speziellen Vorlieben habe für die sich mich doppelt und dreifach zahlen lassen kann.
 

„Nun, ich habe dort draußen eines Eurer… Kinder gesehen, das mir zusagt. Viertes Fenster von rechts im dritten Stock. Wenn Ihr so freundlich wärt mich dorthin zu führen Madame, es wird Euer Schaden nicht sein.“
 

Plötzlich verändert sich ihr Gesichtsausdruck. Einen Moment wirkt sie ungehalten, beinahe genervt, aber dann fängt sie sich wieder, hakt sich bei mir unter und zieht mich zur Treppe.
 

„Mein Herr, ich bringe Euch sehr gerne dorthin, allerdings müsst Ihr eines wissen: Der Junge steht ausschließlich für erotische Tänze und Fellatio* zur Verfügung. Solltet Ihr darüber hinaus noch Wünsche haben, wird Euch eins meiner Mädchen gerne weiter behilflich-“
 

„Das ist sehr freundlich von Euch Madame, aber ich denke, das wird genügen. Bringt mich zu dem Jungen“, falle ich ihr ins Wort.
 

Das erklärt auch, wie er sich seine Unschuld bewahren konnte. Allerdings frage ich mich, warum die Madame sich mit so jemandem belastet? Die Erträge müssen verschwindend gering sein, ein Freudenmädchen, das sich nicht zum sexuellen Akt anbietet? Sehr seltsam… oder einfach nur eine raffinierte Geschäftsstrategie?
 

Wir steigen drei schmale Treppen hinauf und ich spüre die Blicke der Mädchen die hier überall herumlungern, spüre ihr Verlangen nach mir, aber sie interessieren mich nicht.

Graue verlebte Seelen, nicht mehr als eine schale Beilage für den Hauptgang der dort oben auf mich wartet.

Dann stehen wir endlich vor der Tür zu dem Zimmer hinter dem der Junge sitzt.
 

„Wartet bitte einen Moment auf mich“, weist mich Madame Red dann freundlich an und schlüpft ohne zu klopfen ins Zimmer.
 

Ich kann deutlich jedes Wort verstehen das hinter der verschlossenen Türe gewechselt wird und lächle, als die zuvorkommende Dame ihre Maske fallen lässt.
 

„Du hast Kundschaft Ciel, komm vom Fenster weg und leg dich aufs Bett.“
 

Ich höre ein leises Rascheln, dann Schritte und schließlich das Knarzen der altersschwachen Bettfedern.
 

„Wird er mir wehtun Madame?“
 

„Das liegt ganz bei dir!“
 

„Wird er… mehr wollen?“
 

Ich höre das kurze Stocken, vernehme deutlich den zitternden Atemzug, der Junge scheint vom Schlimmsten auszugehen, fast könnte er mir ein bisschen leidtun. Aber Madame hat gesagt, es gäbe Einschränkungen, warum erwartet der Kleine dann mehr?
 

„Das werden wir noch sehen. Auf jeden Fall solltest du dich mit dem Gedanken anfreunden. Er kam schon fast sabbernd unten zur Tür herein!“
 

Ein Grinsen drängt sich auf meine Lippen. Ich könnte mich nicht daran erinnern auch nur etwas Ähnliches getan zu haben. Ich schätze mal, Madame will den Jungen unter Druck setzen, also wird dieses Arrangement, dass der Junge für Sex nicht zur Verfügung steht keine ausgeklügelte Marketingstrategie sein. Ich frage mich langsam ernsthaft, was dahinter steckt.
 

„Gut, ich werde…“, weiter kommt er nicht, ich höre ihn schwer atmen und wie seine Nägel über den Stoff des Bettes kratzen, stelle mir vor wie er seine schmalen Hände zu Fäusten geballt hat und sich fest auf die Lippen beißt. Ich weiß nicht, ob das Bild in meinem Kopf der Wahrheit entspricht, aber ich spüre förmlich, wie das Blut in meine Lenden schießt.

So viel Unschuld.

So viel Reinheit.
 

„Streng dich an Ciel.“
 

Plötzlich ist die Stimme der Madame ganz weich, fast mütterlich, und ich höre erneut das Bett knarzen, vielleicht hat sie sich zu ihm gesetzt? Vielleicht streicht sie ihm über das blasse makellose Gesicht und sieht ihn aufmunternd und streng zu gleich an? Ich weiß nicht ob ich die Frau für ihre Geduld bewundern, oder für ihre Grausamkeit verachten soll.
 

Menschen sind Tiere, das bestätigt sich immer wieder.
 

Dann höre ich Schritte die sich der Tür nähern.

Das Lächeln verschwindet aus meinem Gesicht und weicht angespannter Erwartung.
 

„Ihr könnt jetzt zu ihm mein Herr. Ich wünsche Ihnen beiden viel Vergnügen und was die Bezahlung angeht, ich denke 500 Pfund für eine Stunde wären angemessen. Ciel ist etwas Besonderes, das werdet Ihr noch feststellen“, schnurrt mir die Madame entgegen als sie die Tür hinter sich wieder ins Schloss gezogen hat.
 

500 Pfund? Das ist kein Betrag der mich in Bedrängnis bringen würde, steht mir doch aller Reichtum dieser Welt offen wenn mir der Sinn danach steht, aber diese Summe ist schon beachtlich wenn man bedenkt, dass man dafür nicht einmal das ganze schmackhafte Gericht serviert bekommt sondern sich mit der Vorspeise begnügen muss.
 

Lächelnd fische ich ein Bündel Geldscheine aus meinem schwarzen Jackett und drücke es Madame ungezählt in die Hand.
 

„Ich hoffe für Euch, dass Ihr Recht behaltet“, gebe ich zurück und betrete dann das Zimmer.
 

TBC
 

*Oralverkehr

Der Schatten

Ciel
 


 

„Das werden wir noch sehen. Auf jeden Fall solltest du dich mit dem Gedanken anfreunden. Er kam schon fast sabbernd unten zur Tür herein!“
 

Die Worte der Madame erzeugen Bilder in meinem Kopf. Bilder von einem kleinen hässlichen Gnom mit gierig glänzenden Augen, der einen Sack voller Gold hinter dich herzieht, denn anders wird er nicht an mich herankommen.

Mir wird schlecht. Ich spüre wie ich anfange zu schwitzen. Aber lange wird sie mein Spiel nicht mehr mitspielen. Zu lange schon lässt sie mir meinen Willen, aber ich kann es nicht!

Ich schulde ihr mein Leben, das stimmt. Ich stehe so tief in ihrer Schuld, dass ein Leben nicht reichen wird um ihr das zurückzugeben, was sie in den letzten Jahren für mich getan hat. Aber ich kann es nicht!
 

„Gut, ich werde…“
 

Weiter komme ich nicht. Meine eigenen Worte schnüren mir die Luft ab.

Ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht!

Wenn er von mir verlangt, dass ich mich…
 

Nein! Noch nicht heute!

Wenn es heute soweit wäre, hätte sie mir das gesagt. Sie hat erst heute Mittag erzählt, dass sich die Männer gegenseitig überbieten würden wenn ich mich freiwillig fügen würde, also wird sie den Zuschlag nicht einfach einem Fremden geben. Meine Stammkunden kenne ich alle mit Namen, sie hätte mir gesagt, wenn es einer von ihnen ist.

Heute bin ich noch sicher.

Hoffe ich…
 

Meine Finger krallen sich in das hellblaue seidene Laken.

Keines der Mädchen hat ein so schönes Zimmer wie ich.

Ich bin etwas Besonderes. Ich habe besondere Rechte und nur die wohlhabenden Männer werden zu mir vorgelassen.
 

Die ganzen alten Säcke die schon einen Steifen haben, wenn sie zu mir ins Zimmer kommen. Sie alle wollen mich, aber so lange Madame die Hand über mich hält wird mir nichts passieren, denn sie würde die Herren, von denen sie jedes noch so kleine, noch so schmutzige Geheimnis kennt zerstören, und das wissen sie.
 

„Streng dich an Ciel“, sagt sie dann und ihr Gesicht wird weich, genau wie ihre Stimme.
 

Sie setzt sich zu mir auf die Matratze, legt mir sanft eine Hand auf die nackte Schulter und sieht mich aufmunternd an.

Sie meint es nicht böse. Ich denke sogar, dass sie mich ein bisschen mag, aber sie ist durch und durch Geschäftsfrau und die einzige Liebe in ihrem Leben ist die Liebe zum Geld.

Schließlich erhebt sie sich wieder, geht zur Tür, zwinkert mir noch einmal aufmunternd zu und verschwindet dann nach draußen.
 

Mein Atem geht stoßweise. Ich bin sicher, dass man meinen rasenden Herzschlag sogar durch die geschlossene Türe noch hören kann.
 

Ich tue das nun schon seit drei Jahren, aber jedes Mal wieder packt mich die Angst, zwingt mich in die Knie und verwandelt mich in ein wimmerndes Etwas. Die Bilder am Rande meines Bewusstseins, die nur auf einen günstigen Moment warten um mich zu überfallen, bringen mich beinahe um den Verstand und es fällt mir auch nach all der Zeit immer noch schwer die verführerische Kurtisane zu mimen, als die mich Madame Red an ihre Kunden verkauft.

Aber irgendetwas scheine ich trotzdem richtig zu machen.
 

Es wird pro Nacht nie mehr als ein Freier zu mir vorgelassen. Wahrscheinlich liegt es an der frühen Uhrzeit, dass ein Fremder diesmal den Zuschlag bekommen hat. Mr. Doyle wird nicht erfreut sein, denn Donnerstag ist meistens er der Glückliche. Wobei ich zugeben muss, dass mich das nicht eben traurig macht. Ich hasse Mr. Doyle, den Duke of Gloucester. Er ist hässlich, fett, alt und hat seine Finger überall, wo sie nichts verloren haben.

Einmal hat er mich so heftig an den Haaren gezogen, dass ich ihn in die Hand gebissen habe. Danach hat er mir ein Veilchen verpasst, so dass ich eine ganze Woche nicht arbeiten konnte. Madame Red war außer sich wegen des Verlustes und hat ihn einen ganzen Monat nicht in das Bordell gelassen.

Ich hoffe nur, dass der Fremde nicht wirklich ein Gnom mit einem Sack voll Gold ist…
 

Jetzt ist es soweit.

Mein ganzer Körper spannt sich wie eine Bogensehne als die Türe sich ein weiteres Mal öffnet.

Ein eisiger Schauer läuft mir über den Rücken. Die Kerzen flackern und irgendwie drängt sich mir der Gedanke auf, als würde das Licht versuchen sich vor der Gestalt zu verstecken die in diesem Augenblick mein Zimmer betritt.

Ein absolut lächerlicher Gedanke, das ist mir bewusst, aber dennoch…
 

Dann steht er im Raum und mir stockt der Atem.

Vergessen ist das Bild von dem kleinen hässlichen Gnom.

Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen schöneren Mann gesehen als den, der jetzt gute zwei Meter von mir entfernt steht und mich aus unheilvoll schimmernden, rostroten Augen mustert.
 

„Guten-“ Ich muss mich räuspern. Die Worte weigern sich über meine Lippen zu kommen, scheinen verwirrt von der Ausstrahlung und dem Aussehen des Fremden, so dass sie sich auf dem Weg nach draußen verirren und wirr durcheinanderpurzeln, mich nur noch mehr aus dem Konzept bringen. Ich atme einmal tief durch und starte einen neuen Versuch. „Guten Abend gnädiger Herr.“
 

Ein belustigtes Lächeln huscht über sein Gesicht. Er ist sich seiner Wirkung auf mich vollstens bewusst und das ärgert mich.

Verärgert kneife ich die Augen zusammen. Ich muss mir nicht alles gefallen lassen, schon gar nicht, dass sich jemand über mich lustig macht!
 

„Schönen guten Abend Ciel…“
 

Als ich seine Stimme zum ersten Mal höre ist aller Ärger für den Moment vergessen.

Sie klingt tief und sanft, gleitet fast schwerelos durch die Luft zu mir hinüber, streichelt mein Gesicht, kriecht unter meine Haut und schlägt eine Seite in mir an, von der ich gar nicht wusste, dass ich sie besitze.

Und mein Name…

Auf seinen Lippen, seiner Zunge, klingt er wie eine exotische Köstlichkeit.
 

Mein ganzer Körper kribbelt und meine Handflächen werden feucht, was ist das für ein merkwürdiges Gefühl?

Mit Gewalt muss ich meine Gedanken wieder in geregelte Bahnen zwingen. Ich kann es mir nicht leisten allzu sehr abzutauchen. Ich muss wachsam bleiben.

Mit einem letzten tiefen Atemzug beruhige ich mich wieder, lehne mich etwas zurück und überrede mein Gesicht zu einem koketten, wenn auch hoffnungslos gestellten Lächeln.
 

„Tretet doch näher Herr und sagt mir, wie ich Euch dienen kann“, bringe ich mit heiserer Stimme hervor beschließe aber, das als positiv zu werten. Er soll ruhig denken, dass ich etwas für ihn übrig habe.
 

Einen Moment bleibt er noch still mitten im Zimmer stehen und ich denke schon, dass er mich gar nicht gehört hat, als er sich in Bewegung setzt und mit katzenhafter Anmut zum Bett herüberkommt.
 

„Was für ein ausnehmend schöner Junge du doch bist“, flüstert er, nachdem er sich auf der Bettkante niedergelassen und seine Hand nach meinem Gesicht ausgestreckt hat.
 

Ganz wie es von mir erwartet wird schmiege ich mein Gesicht in seine Handfläche, reibe mich an dem schwarzen Leder seines Handschuhs der ganz wunderbar duftet.

Seine Nähe verwirrt mich immer noch, aber langsam habe ich mich wieder unter Kontrolle und kann zum Standardprogramm übergehen.
 

„Vielen Dank mein Herr, das ist sehr freundlich von Euch“, schnurre ich gegen das warme Leder, drücke meine Nase in seine Handfläche und schließe die Augen.
 

„Nein, nein, nicht! Lass deine Augen offen! Versteck sie nicht vor mir…“, haucht er mir entgegen und ich tue was er verlangt, hebe meine Lider und sehe lächelnd zu ihm hinauf. „Sag mir Ciel“ und wieder jagt ein wohliger Schauer meinen Rücken hinunter als mein Name über seine schmalen Lippen gleitet, wie süßer Nektar auf mich hinunter tropft „wie alt bist du?“
 

Mit dieser Frage habe ich jetzt allerdings nicht gerechnet. Das hat noch keinen meiner Freier interessiert. Sie wären wohl enttäuscht gewesen zu erfahren, dass ich keine zwölf mehr bin wie mein Aussehen es vermuten lässt. Aber wenn er mich fragt, muss ich ihm antworten.
 

„Ich… ich bin sechzehn Herr. Ich hoffe, das verschreckt Euch nicht?“, entgegne ich schüchtern und senke den Blick, halte meine Augen aber weiterhin seinen Wünschen entsprechend geöffnet.
 

„Nein, warum sollte es? Es hat mich nur interessiert. Ich frage mich, wie ein so seltenes Juwel wie du in solch eine Gesellschaft geraten, und sich trotzdem noch seine Unschuld bewahren kann? Wie ist das möglich?“
 

Seine Wortwahl irritiert mich. Was redet er da von Unschuld und Juwelen? Ich bin beschmutzt und durch die ansprechende Verpackung vielleicht mit viel gutem Willen gerade mal mit Katzengold vergleichbar. Nichts habe ich mir bewahren können, gar nichts! Alles haben sie mir genommen, diese Monster, alles!
 

Ich spüre wie die Wut heiß durch meine Adern pulsiert. Wie eine kochende Flutwelle aus Zorn und Verbitterung türmt sie sich vor mir auf und nur mit Mühe kann ich mir die Antwort verkneifen die auf meiner Zunge brennt, die mit aller Macht nach außen drängt.

Stattdessen atme ich ein weiteres Mal tief durch, hebe dann den Blick und lächle ihn verführerisch an.
 

„Verratet mir doch Euren Namen Herr, damit ich weiß wie ich Euch rufen kann“, versuche ich mich selbst abzulenken.
 

Seine Augen blitzen und schon wieder wird mir warm.
 

„Ganz wie du willst, ich bin wer immer ich für dich sein soll kleiner Ciel. Gib mir den Namen, der dir für mich als angemessen erscheint.“
 

Seine Antwort verwirrt mich schon wieder.

Ein Freier ohne Namen?

Aber gut, vielleicht will er ihn einfach nicht verraten, will sich hier eine kleine Insel schaffen? Wahrscheinlich ist er verheiratet und seine Frau und seine drei Kinder warten zu Hause auf ihn und er will sich auf diese Art in eine andere Welt flüchten?

Wie erbärmlich…
 

Ein Name…

Spontan muss ich an den Jungen denken der jeden Morgen kommt und den Abtritt* hinter dem Haus säubert.
 

Sebastian.
 

Dann sehe ich wieder in sein Gesicht und seine Schönheit erschlägt mich fast. Er erinnert mich an das Bildnis eines Engels, das ich vor Jahren einmal gesehen habe. Michael. Der Erzengel Michael.
 

„Dann sollt Ihr für mich Sebastian Michaelis sein, wenn es Euch beliebt Herr“, sage ich mit fester Stimme und sehe ihn herausfordernd an.
 

„So soll es sein, kleiner Ciel.“
 

TBC
 


 

*Toilette

Die Angst

Sebastian
 


 

Der süße Geruch seiner Seele bringt mich fast um den Verstand.

Ich muss ihn haben! Ich muss einen Weg finden wie er mir gehören kann!
 

Sebastian Michaelis also.

Schon lange hatte ich keinen Namen mehr und ich frage mich, was die Gedanken des Jungen zu diesem Namen waren, denn zumindest als er den Vornamen ausgesprochen hat, blitzte eindeutig der Schalk in seinen großen blauen Augen. Vielleicht werde ich ihn später danach fragen.
 

Meine letzte Frage nach seiner Unschuld schien ihn ziemlich aufgewühlt zu haben. Das tiefe Blau seiner Augen wurde noch eine Nuance dunkler und seine Aura hat sich plötzlich verfinstert, als läge ein Schatten über seiner Seele, aber die hat weiter gestrahlt und ihren betörenden Duft nach Reinheit und süßer Verzweiflung verströmt; was auch immer es war was ihm in seiner Vergangenheit zugestoßen ist und ihn quält, es hat ihn nicht gebrochen.
 

Ich spüre wie mir das Wasser im Mund zusammenläuft. Nie habe ich ein köstlicheres Mahl direkt vor der Nase sitzen gehabt. Aber ich bin mir sicher, dass ich ihn noch weiter formen kann.

Ich werde ihm zu vollkommener Perfektion verhelfen und dann wird er mein sein.
 

Der Junge mit der perfekten Seele.
 

„Sag mir Ciel, was kannst du für mich tun um mich zu erfreuen?“, schnurre ich ihm zu, beuge mich zu ihm hinunter und schnuppere an seinem Hals. Ich kann seine Angst riechen, kann sehen wie er zittert aber sein Blick ist ungebrochen als ich wieder in seine Augen sehe. Sein Kinn hat er stolz erhoben und ein professionelles Lächeln ziert seine blassen, bebenden Lippen. Wirklich erstaunlich.
 

„Ich kann für Euch tanzen wenn Ihr es wünscht Herr“, erwidert er und gleitet vom Bett. Es hat ein bisschen was von einer Flucht und ich kann mir ein belustigtes Grinsen nicht verkneifen.
 

Ich frage mich, ob ihm bewusst ist in welcher Gefahr er sich tatsächlich befindet, oder ob das nur eine instinktive Reaktion auf mich ist? Die meisten Menschen nehmen den Teufel in mir gar nicht wahr.

Sie sehen nur mein ansprechendes Äußeres, lassen sich von mir blind um den Finger wickeln bis es dann zu spät ist und sie erst im letzten Moment erkennen, mit wem sie sich da eingelassen haben.
 

Aber mit Ciel soll es anders sein.

Ich habe mich noch nicht entschieden wie genau ich vorgehen werde, aber er ist etwas Besonderes und um ihn nach meinen Wünschen zu formen, ist besonderes Geschick von Nöten.
 

„Gerne. Ich würde gerne sehen wie du dich bewegst, mach mir die Freude“, entgegne ich und beobachte ihn dabei, wie er mit wiegenden Hüften zu dem gold schimmernden Grammophon hinüber tänzelt.
 

Es ist wirklich ein Genuss ihn zu beobachten und ich komme zu dem Schluss, dass es wohl nicht nur seine Seele ist, die mich an ihm reizt.

Sein Körper ist mindestens ebenso anziehend. Kurz stelle ich mir vor wie es sich anfühlen würde mich in ihm zu versenken, ihn dabei zu beobachten wie er sich unter mir windet und stöhnend meinen neuen Namen ruft.

Mein menschlicher Körper reagiert sofort und ich spüre, wie sich das Blut weiter nördlich sammelt, es wird langsam eng in meiner Hose, aber das stört mich nicht weiter.
 

Mit fließenden Bewegungen wählt der Junge ein Stück aus, dreht an der kleinen Kurbel und wendet sich dann zu mir um. Er stützt sich mit den Händen auf dem kleinen Tisch, auf dem das Gerät steht, hinter sich ab und hebt eins seiner schlanken Beine an.
 

Bewundernd lasse ich den Blick noch einmal über seine schmale Gestalt gleiten.

Ich bin zwar der Ansicht, dass Jungen nicht in Mädchenkleidern durch die Gegend laufen sollten, aber Ciel sieht in dem dunkelblauen Korsett mit farblich passendem Höschen einfach hinreißend aus. Die schwarze Spitze umspielt an den Rändern seine blasse, makellose Haut und die schwarzen Strümpfe die bis zur Mitte seiner Oberschenkel reichen verführen dazu herauszufinden, was sich unter dem dunklen Stoff verbirgt. Ob die Haut darunter genauso perfekt ist, genauso weich ist wie man es vermutet und ich bin mir fast sicher, dass der Junge das Verlangen in meinem Blick sehen kann. Er schluckt angestrengt, kurz schleicht sich die Angst zurück in seine Augen, aber schon in nächsten Moment hat er sich wieder unter Kontrolle als die Musik einsetzt und er beginnt sich für mich zu bewegen.
 

Langsam hebt er seine Arme, streichelt sich dann mit einer Hand über den Arm, hinunter zu seinem Hals, über seine nackte linke Schulter, weiter zu seinem Schlüsselbein um dann mit einem Finger neckisch über den oberen Rand des Korsetts zu gleiten.
 

Ich hebe kurz das Kinn um ihm zu bedeuten, dass ich mehr sehen will.
 

Lächelnd löst er sich von dem Tisch, wiegt sich in den sanften Violinenklängen von einer Seite zur anderen und bewegt sich dabei langsam auf mich zu, während er seine Finger weiter über seinen schlanken Körper tanzen lässt.
 

Einen halben Meter vor mir bleibt er stehen, lässt sich auf die Knie sinken und lehnt sich so weit zurück, dass sein dunkler Schopf den Boden berührt.

Sein graziler Körper biegt und windet sich wie der einer Schlange und es juckt mich in den Fingern ihn zu berühren, aber ich verbiete mir jede Reaktion und halte mein Gesicht gleichmütig, auch wenn ich nichts dagegen tun kann, dass mein Körper deutlich zeigt, dass Ciels verführerische Bewegungen nicht spurlos an mir vorübergehen.
 

Den Kopf weit in den Nacken gelegt fährt der Junge fort sich selbst zu berühren, gleitet über seinen gebogenen Leib hinunter zu seinem Schritt, spreizt in einer aufreibend langsamen Bewegung seine wundervoll geformten Beine und lässt seine schlanken Finger über seine nackten Schenkel tanzen.

Oh wie gerne würde ich ihn an mich ziehen, meine Zähne in ihn schlagen und ihn kosten, die weiche Haut direkt neben seinem Schaft durchstoßen und seine Süße schmecken.
 

Plötzlich hört er auf.

Ich löse meinen Blick von seiner Mitte und sehe ihm irritiert ins Gesicht.

Sie blanke Horror steht in seinen Augen.
 

Prüfend fahre ich mit der Zunge über meine Zähne und stelle fest, dass sie lang und spitz geworden sind. Allerdings habe ich darauf geachtet, dass ich meinen Mund geschlossen halte, sie können es also nicht gewesen sein die ihm so schreckliche Angst gemacht haben.
 

Meine Augen…

Alarmiert blicke ich nach rechts wo ich beim Eintreten einen kleinen Spiegel an der Wand hängen gesehen habe und erschrecke beinahe selbst über das intensive rote Glühen in meinen Augen und die zu schmalen Schlitzen verengten Pupillen.

Normalerweise lasse ich mich in der Gegenwart von Menschen, die nicht mit mir unter Vertrag stehen und die meine Identität nicht kennen, nicht so gehen.
 

Ein leises Wimmern lässt mich wieder zu dem Jungen auf dem Boden sehen, der sich mittlerweile in eine Ecke zurückgezogen hat und dort mit großen Augen zu mir aufsieht.
 

„Was… wer seid Ihr?“
 

Seine Stimme zittert, aber er klingt erstaunlich gefasst.
 

Doch noch ist nicht der Zeitpunkt gekommen mich ihm zu offenbaren.
 

Kurz schließe ich die Augen, sammle mich, beruhige mein wallendes Blut, suche und finde die gewohnte Gelassenheit mit der ich mich sonst durch die Menschenwelt bewege und sehe dann lächelnd zu ihm hinüber.
 

„Jemand, der über die Gebühr von dir und deinen Künsten fasziniert ist Ciel. Hab keine Angst vor mir, ich werde dir nichts tun.“ Noch nicht… „Komm zu mir“, verlange ich und strecke meine Hand nach ihm aus.
 

Einen Moment zögert er noch. Sein Blick flackert und ich kann ihm ansehen, dass er kurz erwägt sich mir zu verweigern. Dann erhebt er sich, strafft die schmalen Schultern, hebt das zierliche Kinn und kommt zögernd, aber doch entschlossen näher.
 

Seine Finger zittern als er sie in meine Hand legt und ich warte geduldig, bis er ganz nah vor mir steht.
 

„Werdet Ihr mir wehtun Herr? Werdet Ihr mich verletzen?“, wagt er zu fragen. Ich kann deutlich sehen, wie viel Überwindung ihn diese beiden Sätze gekostet haben und erkenne in seinen Augen, dass er die Antwort eigentlich gar nicht wissen will. Aber er hat gefragt und ich werde ihn nicht anlügen.
 

„Ja Ciel, das werde ich“, erkläre ich bestimmt und spüre sofort wieder das Kribbeln in meinen Lenden als sich seine herrlich blauen Augen angstvoll weiten und er instinktiv versucht mir seine Finger zu entziehen, aber das lasse ich nicht zu. Ich umschließe seine Hand mit meiner, ziehe ihn noch näher, lege meine andere Hand um seine Hüfte und hebe ihn ohne Mühe auf meinen Schoß. „Aber nicht heute, das verspreche ich dir. Sei unbesorgt, du hast vor mir nichts zu befürchten. Ich werde dir sagen, wenn die Zeit gekommen ist, bis dahin musst du keine Angst vor mir haben“, flüstere ich ihm zu und sehe, wie er sich zumindest etwas entspannt, wenn auch nicht so vollkommen, wie ich mir das gewünscht hätte, aber das wundert mich eigentlich nicht.
 

Im Gegenteil.

Er wäre dumm, hätte er keine Angst vor mir und dass hinter seiner glatten Stirn ein schlauer Geist wohnt, habe ich auf den ersten Blick erkannt.
 

Forschend blicke ich ihm tief in die Augen und versuche zu erkennen, was er gerade denkt. Sein Blick ist verschlossen und das Lächeln auf seinen Lippen wirkt leer und gekünstelt. So macht es mir keine Freude und doch muss ich mir eingestehen, dass ich ihn dafür bewundere wie er seine Angst zurückdrängt und sich von mir anfassen lässt, allerdings habe ich das ungute Gefühl, dass da noch mehr dahinter steckt.
 

Sanft lasse ich meine Hände über seine Schenkel gleiten nachdem ich seine Hand freigegeben habe, wandere nach oben über sein Becken, über seinen hoffnungslos versteiften Rücken in dem Versuch ihm seine Angst zu nehmen, aber mit jedem Zentimeter den ich mehr von ihm berühre wird die Panik in seinen Augen größer und sein Atem unregelmäßiger.

Als ich schließlich, von meiner eigenen Gier nach ihm geleitet eine Hand über seinen Hintern lege, bricht sie sich so gewaltsam Bahn, dass ich im ersten Moment absolut nicht weiß wie mir gerade geschieht.
 

Mit aller Kraft stößt er mich vor die Brust und springt mit einem Satz von meinem Schoß, während er schreit wie am Spieß.

Ich bin dermaßen perplex, dass ich keine Ahnung habe, wie ich reagieren soll.
 

Da steht er, das schöne Gesicht zu einer hässlichen Fratze verzerrt, die Hände in seinen dunklen Strähnen vergraben, reist und zerrt wie besinnungslos daran und schreit, und schreit, und schreit.
 

TBC

Die Verzweiflung

Ciel
 


 

Ich kann sie spüren!

Sie sind überall!

Auf meinem Gesicht, in meinen Haaren, auf meiner Brust, meinen Armen, meinen Beinen und… und…

NEIN!

Geht weg!

Ihr dürft mich dort nicht anfassen! Das dürft ihr nicht!

Ich will das nicht! Nehmt eure Hände weg, verschwindet! Ihr tut mir weh! Ihr tut mir weh!
 

Ein Ruck geht durch meinen Körper als sich der erste an mir vergeht, der Schmerz ist unbeschreiblich!

Ich kann nicht mehr tun außer Atmen, schreien und weinen, während Lanzen aus purer Qual meinen Körper aufspießen, Messer mit glühenden Klingen meinen Leib aufschlitzen, Klauen aus Feuer mich zerfetzen und meine Seele bloßlegen, damit sie wie die Tiere über mich herfallen können.

Sie nehmen sich alles was sie finden, alles was mir gehört! Entreißen es mir, zerstören es… zerstören mich…
 

„Ciel?“
 

Ich versuche mich zu wehren! Versuche nach ihnen zu treten, sie zu beißen, sie zu kratzen, aber sie sind so viel stärker als ich. Sie fixieren meine Arme, fixieren meine Beine, halten mich fest damit sie ihr unseliges Werk ungestört fortsetzen können.

Mir bleibt nichts.

Nichts als Schmerz, grenzenlose Qual und die Trauer um das was ich verloren, was sie mir genommen haben.
 

„Ciel!“
 

Ein letztes Zucken.

Ich kann mich nicht mehr bewegen. Alle Kraft hat meinen Körper verlassen. Ich bin kaputt, gebrochen… vernichtet.

Es ist nichts mehr übrig…
 

„Ciel komm zu dir! Komm schon Kleiner, mach die Augen auf! Es ist alles gut, keiner will dir etwas tun!“
 

Ich höre eine fremde, und doch gleichzeitig vertraute Stimme, die sich durch den Nebel zu mir durchkämpft. Sie packt mich, will mich mit sich zerren. Aber ich kann mich nicht bewegen. Mir tut alles weh…
 

„Verdammt Ciel!“
 

Der Schmerz auf meiner rechten Wange reißt mich schlagartig zurück in die Gegenwart.

Blinzelnd hebe ich meine Hand um sie über die schmerzende Stelle zu legen und versuche zu verstehen, was gerade passiert ist.
 

„Wo… wo bin ich?“, frage ich verwirrt, ich bin gerade völlig durch den Wind.
 

„Ach Ciel. Mein dummer kleiner Ciel.“
 

„Madame? Was ist passiert?“, frage ich kleinlaut als ich ihren Gesichtsausdruck sehe, der immer wieder zwischen Sorge und Wut wechselt. Selten habe ich Madame Red so aufgelöst erlebt.
 

„Du hattest mal wieder einen Anfall. Einen ziemlich heftigen sogar. Ich musste deinen Freier fortschicken, man hat dich im gesamten Haus schreien gehört.“
 

Ich habe den Eindruck, als erwäge sie kurz mich in den Arm zu nehmen und wenn ich ehrlich bin, würde ich mir das gerade jetzt sogar wünschen.

Ich spüre sie immer noch. Die vielen fremden Hände die meinen Körper plündern, aber ich weiß jetzt, dass sie mir nichts mehr tun können. Ich bin in Sicherheit.
 

„Es tut mir leid Madame.“
 

Betrübt senke ich den Kopf.

Wieder habe ich sie enttäuscht. Wie soll ich ihren Wünschen entsprechen, wenn ich nicht einmal die einfachsten Berührungen ertragen kann?
 

Unwillkürlich muss ich an den Freier denken.

Sebastian Michaelis, wie ich ihn genannt habe.

Er hat gesagt, dass er mich verletzen würde.

Er ist ein gefährlicher Mann, das habe ich schon auf den ersten Blick erkannt und dann, als seine Augen vor Gier auf einmal geleuchtet haben, die Pupillen zu katzenartigen Schlitzen zusammengezogen… ich dachte ich falle in Ohnmacht vor lauter Angst! Ist er ein Dämon?

Lächerlich!

Dämonen existieren nicht!

Sicherlich war das nur meine Einbildung, eine Reflexion vom Licht der Kerzen und meine Phantasie hat mir einen bösen Streich gespielt.
 

„Ach Ciel, was mache ich nur mit dir?“ Tief seufzend erhebt sich die Madame und zieht mich mit sich auf die Füße. „Wir müssen uns dringend etwas einfallen lassen, so kann das nicht weitergehen. Zum Glück wollte der Herr sein Geld nicht wieder zurückhaben. Er hat nur verlangt, dass er in zwei Tagen wiederkommen darf und dann auch gesichert zu dir gelassen wird. Aber ich habe ihm schon gesagt, dass wir für dich keine ‚Reservierungen‘ annehmen. Hat ihm nicht besonders gefallen, aber das ist egal, muss er eben früher kommen“, plappert sie vor sich hin, während ich zu meinem Bett wanke und mich dann erleichtert auf die Matratze sinken lasse.
 

In zwei Tagen will er wieder kommen?

Ich weiß nicht, ob mich das freut oder ängstigt.

Er sieht unheimlich gut aus, war ungeheuer freundlich und sanft zu mir und ich habe mich eigentlich schon ziemlich gut mit ihm gefühlt… bis er mir gesagt hat, dass er mich verletzen würde.

Wie hat er das gemeint?

Ich werde ihn fragen müssen.

Eigentlich habe ich nichts dagegen, wenn er wieder zu mir kommt.

Auch wenn seine Berührungen einen Anfall ausgelöst haben, einen ziemlich heftigen noch dazu, hatte ich für wenige Momente durchaus das Gefühl, dass ich bei ihm sicher bin. Ich konnte mich sogar fast ein bisschen entspannen, wenn auch nur für wenige Augenblicke.
 

Immerhin ist er wenigstens nicht so hässlich wie der Earl of Gloucester. Wenn ich nur an ihn denke wird mir schon schlecht. Ich hatte in seiner Gegenwart bereits vier solcher Anfälle und Madame musste bei seinem vorletzten Besuch sogar die Tür aufbrechen lassen weil das widerliche Schwein einen Stuhl unter die Klinke gestellt hat, und als ich dann endlich wieder zu mir gekommen bin, war eines der Mädchen gerade dabei mein Gesicht zu waschen.

Der Kerl hat sich, während ich mich unter den Erinnerungen an den Schmerz in meiner Vergangenheit gewunden habe, tatsächlich in mein Gesicht ergossen!

Ich war so entsetzt, so außer mir, dass ich die ganze Nacht nicht schlafen konnte.

Wie tief konnte ein Mensch sinken? Wie widerlich konnte jemand sein, der sich an den Schmerzen eines anderen ergötzte und sich dann auch noch dabei Erleichterung verschaffte?
 

Aber das Schlimmste war, dass er Madame für diese Nacht 2000 Pfund gezahlt hat und deswegen in der darauffolgenden Woche wiederkommen durfte, wenn auch mit der Auflage, mich unter keinen Umständen zu berühren.

Er hat sich an das Verbot gehalten, allerdings stellt sich die Frage, wie lange das so bleiben wird, immerhin durfte er heute nicht zu mir, das wird ihm gar nicht gefallen haben.
 

„Ich habe Hunger Madame. Und ich bin müde“, presse ich erschöpft hervor und kann sehen, wie ihr Gesicht sich wieder verschließt als ich ihre Worte einfach übergehe. Aber es bringt nichts ihr Versprechungen zu machen, wenn ich sie ohnehin nicht halten kann.
 

„Dann geh nach unten in die Küche, ich bin nicht dein Dienstmädchen“, antwortet sie patzig, steht abrupt auf und verlässt dann mit wehenden Röcken das Zimmer.
 

Endlich Ruhe.

Ich quäle mich langsam aus meiner Arbeitswäsche, schlüpfe dann in eine weite graue Hose und ein ebenso weites, dunkelblaues Shirt. Barfuß verlasse ich das Zimmer und gehe über die schmale Dienstbotentreppe, auf der mir keine Kunden entgegenkommen, hinunter in die Küche und suche mir etwas zu essen.
 

„Du siehst aber gar nicht gut aus Ciel!“, begrüßt mich Charlotte Rutherford die Küchenhilfe, die wir aber alle nur Charly nennen. Bis auf die Madame, die spricht sie mit vollem Namen an, aber es würde mich auch wundern wäre es anders.
 

„Hmm, war nicht mein bester Tag heute“, antworte ich brummelnd und setze mich an den großen Küchentisch.
 

„Soll ich dir Suppe aufwärmen? Du siehst aus, als könntest du was Warmes vertragen.“
 

„Ja… wenn du gerade nichts Besseres zu tun hast“, sage ich und knabbere an einem Stück Brot das ich im Brotkorb gefunden habe.
 

„Ich… ich hab dich wieder schreien gehört.“ Sie hat mir den Rücken zugewendet und rührt geschäftig in dem großen Topf mit der Suppe. Allen ist es peinlich darüber zu sprechen. Ob sie sich sehr für mich schämen? Oder vielleicht auch wütend sind, dass ich so viele Privilegien genieße obwohl ich noch nicht mit einem Freier im Bett war? „Es klang schlimm… willst du drüber reden? Vielleicht hilft dir das ja?“
 

Charly ist wirklich freundlich. Alle mögen sie. Sie ist nicht hübsch, eher das Gegenteil ist der Fall. Sie hat buschiges aschblondes Haar, das ihr immer wirr über den Rücken hängt und sich auch von mehreren Haarbändern gleichzeitig nicht zähmen lässt – was man daran erkennt, dass man immer mal wieder eines ihrer Haare im Essen findet, was die Köchin fast in den Wahnsinn treibt – ihr Gesicht ist nichtssagend und auch ihrer Figur würden fünf bis zehn Kilo weniger nicht schaden, aber sie hat ein Herz aus Gold, und das allein zählt für mich.

Mit ruhigen Bewegungen füllt sie einen Teller voll dampfender Suppe und kommt zu mir an den Tisch, setzt sich dann neben mich und mustert mich forschend mit ihren warmen braunen Augen.
 

„Nein, das ist lieb von dir, aber das wird mir nicht helfen, im Gegenteil… aber… du könntest…“, von meinem eigenen Wunsch verwirrt breche ich ab und senke den Blick.
 

„Was kann ich für dich tun Ciel, immer raus damit!“
 

Ich höre ihr freundliches Lächeln in ihrer Stimme und fasse neuen Mut.

Ich habe noch nie jemanden um so etwas gebeten und hoffe, sie lacht mich nicht einfach aus. Aber ihre Nähe wirkt auf mich so beruhigend. Bei ihr fühle ich mich so sicher wie nirgendwo sonst. Wahrscheinlich, weil sie auf dieser Welt der einzige Mensch ist, der nichts anderes von mir will als meine Freundschaft.
 

„Kannst du mich bitte in den Arm nehmen?“, flüstere ich so leise, dass ich die Worte selbst kaum verstehe und bereue im nächsten Moment schon überhaupt etwas gesagt zu haben. Das passt nicht zu mir. Sie wird mich sicher auslachen!
 

„Hmmm, aber nur, wenn du mir versprichst nicht zu schreien“, flüstert sie ebenso leise zurück und ein Lächeln huscht über mein Gesicht.
 

„Versprochen…“
 

Dann zieht sie mich an ihre Brust, schlingt ihre Arme um mich und hält mich einfach fest.

Ich atme ihren Geruch nach Zwiebeln, frisch gebackenem Brot und scharfen Küchenkräutern ein und fühle mich zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder wie das, was ich eigentlich immer noch bin, was ich aber nicht mehr sein darf.
 

Ein einsames, verängstigtes Kind, das unendliche Sehnsucht nach Wärme und Liebe hat.
 

TBC

Das Verlangen

Sebastian
 


 

Wütend und erregt stapfe ich durch die leeren Gassen von London.

Ich muss mich abreagieren!

Der kleine Bengel hat mich viel zu sehr aufgewühlt, meinen menschlichen Körper viel zu sehr in Wallung gebracht, so kenne ich mich gar nicht!
 

Als er da vor mir auf dem Boden lag hat er mir einerseits leidgetan, andererseits hat seine Seele in dieser kurzen Zeit so geleuchtet, dass ich davon beinahe erblindet wäre. Und sein Geruch!

Ich spüre sofort wie sich Speichel in meinem Mund sammelt, meine Zähne schmerzen von dem Wunsch sie ihn ihm zu versenken. Ich stand kurz davor die Kontrolle über mich zu verlieren, aber wenn ich nachgegeben hätte, wäre er zerbrochen.

Sein Körper hat geleuchtet, geschimmert wie glühendes Glas, eine falsche Bewegung und er wäre in eine Million Teile zersplittert und das wäre wirklich eine unglaubliche Verschwendung gewesen.
 

Ich muss dafür sorgen, dass dieser Schmerz auf ein für ihn erträgliches Maß gesenkt wird, sonst werde ich mir seine Seele nicht holen können. Sie würde sich selbst zerstören in dem Moment, in dem sie sich von seinem Körper löst und es wäre nichts als Asche von ihr übrig, vermischt mit kleinen messerscharfen Splittern die mir die Kehle aufschneiden und dann-
 

Schluss mit diesen unsinnigen Gedanken, ich muss mich ablenken!
 

Ich komme wieder an der Ecke vorbei wo vorhin das kleine Kind im Sterben gelegen hat.

Ein helles Leuchten dringt aus der Gasse; wie es aussieht, ist es nun von seinen Qualen erlöst und ein Shinigami bereits vor Ort um seine Seele einzusammeln.
 

„Sieh an, sieh an! Wenn haben wir denn da?“, dringt eine hohe Stimme aus der Gasse zu mir heraus. Oh bitte nicht der auch noch!
 

„Grelle Sutcliffe“, begrüße ich den rothaarigen Shinigami der soeben die Seele versiegelt und seine Arbeit damit beendet.
 

„Warum denn so kühl mein Lieber? Ich habe jetzt Feierabend, hast du nicht Lust noch etwas zu unternehmen? Eine romantische Schifffahrt über die Themse? Einen Spaziergang im Park? Oder ein kleines Schäferstündchen in einem der Bootshäuser am Hafen?“, schnurrt der Rothaarige und kommt, mit seinen langen, künstlichen Wimpern klimpernd auf mich zu getänzelt. Mir wird schlecht.
 

„Kein Interesse Mr. Sutcliffe, und ich würde Ihnen auch raten, solcherlei Angebote nicht in aller Öffentlichkeit auszusprechen. Ihre Vorgesetzten dürften nicht erfreut darüber sein so etwas zu hören“, versuche ich ihn auszubremsen, aber er schiebt sich immer näher, bis er schließlich nur noch einen halben Meter von mir entfernt ist.
 

„Ach Süßer, das muss dir doch nicht unangenehm sein. Willie hat damit kein Problem… denke ich… und wenn, dann soll er selbst mal in die Gänge kommen!“, erwidert er grinsend und deutet den Sinn meiner Worte natürlich so, wie es ihm gerad in den Kram passt.
 

„Gute Nacht Mr. Sutcliffe“, versuche ich mich aus der Affäre zu ziehen, drehe mich um und will meiner Wege gehen, als mich der übereifrige Shinigami am Ärmel packt und festhält.
 

„Nicht so schnell mein Lieber!“
 

Dann holt er aus, reißt seine Death Scythe hoch, und versucht mir das Blatt der Motorsäge in den Magen zu rammen.

So nicht!
 

Mit einem eleganten Rückwärtssalto bringe ich mich aus seiner Reichweite.

Hm… so ein kleines Kräftemessen entspricht dann schon eher meinem Geschmack. Das ist zwar nicht die Art von Ablenkung die mir vorschwebt, aber besser als gar nichts.
 

„Da müssen Sie sich aber schon noch deutlich mehr anstrengen, Mr. Sutcliffe!“, höhne ich, und sofort fletscht der Rothaarige die scharfen Reißzähne und stürmt auf mich zu.
 

Er ist ein wirklich ernstzunehmender Gegner, ein gut gezielter Schnitt mit seiner nun rotierenden Todessense und dann war´s das mit mir, aber ich bin nicht um sonst so alt geworden und ein liebestoller Shinigami mit dissoziativer Persönlichkeitsstörung ist nichts, was mir wirklich Probleme bereiten könnte.
 

Ich spiele etwa eine knappe Stunde mit ihm, bis es mir zu langweilig wird.

Er hat mir ein paar Schnitte an meinen Armen beigebracht wenn ich nicht aufmerksam genug war oder er eine wirklich hinterlistige Finte versucht hat, aber jeder Trick funktioniert bei mir nur einmal und so schaffe ich es am Ende ihn mit einem gezielten Tritt gegen den Kopf gegen die Wand zu schleudern.
 

„Iiiiihhh! Das ist unfair! Du hast mir einen Zahn abgebrochen!“, heult er plötzlich los und sinkt in sich zusammen.
 

Ist das zu fassen? Als würde der nicht nachwachsen?!

Ohne noch etwas zu erwidern wende ich mich ab und lasse das heulende rote Bündel einfach liegen.
 

Mit einem schnellen Blick zur nächsten Kirchturmuhr stelle ich fest, dass es jetzt weit nach Mitternacht ist.

Eigentlich hält mich hier nichts mehr. Ich könnte nach Hause gehen, denn ich werde erst übermorgen wieder Ciel besuchen, aber irgendwie…
 

Ohne dass es mir bewusst ist führen mich meine Schritte zurück zum ‚Bloody Diamond‘.

Das Fenster im dritten Stock ist nur angelehnt, also schwinge ich mich, von den einzelnen betrunkenen Passanten unbemerkt hinauf auf das schmale Fensterbrett und werfe einen Blick in das dunkle Zimmer.
 

Da liegt er, schlafend auf seinem Bett zusammengerollt.

Leise öffne ich das Fenster und steige in den Raum, gehe zu ihm hinüber und sehe hinab auf sein im Schlaf verkniffenes Gesicht.
 

Seine Seele verströmt immer noch diesen süßen betörenden Geruch und leuchtet sanft vor sich hin. Nichts erinnert mehr an das Strahlen von vor ein paar Stunden aber er scheint trotzdem einen schlechten Traum zu haben.

Sein Mund ist zu einer schmalen Linie zusammengepresst, seine sonst so glatte Stirn liegt in Falten und sein ganzer Körper zittert, ich frage mich, was er wohl gerade sieht?
 

Vorsichtig lasse ich mich neben ihm auf die weiche Matratze nieder.

Die Bettdecke hat er von sich getrampelt und ohne die aufreizenden Kleider, gehüllt in diese formlosen Gewänder ist er nichts weiter als ein kleiner einsamer Junge, der eine viel größere Last mit sich herumschleppen muss, als es für seine schmalen Schultern möglich sein sollte.
 

Aus einem Impuls heraus strecke ich meine Hand nach ihm aus und streiche ihm eine verirrte Strähne aus dem Gesicht.

Seine Haut fühlt sich heiß an und ich kann sehen, dass er geweint hat.

Sicher hat ihn niemand dabei gesehen.

Ob ich daran schuld bin?

Ich hoffe es.

Je mehr er sich auf mich einlässt, desto reicher wird am Ende das Festmahl.

Aber ich darf nichts überstürzen, er muss erst Vertrauen zu mir aufbauen und sich wünschen, dass ich bei ihm bin.

Er muss meine Nähe suchen, sich an mich binden. Erst dann kann ich ihm mein wahres Wesen offenbaren und ihm einen Vertrag anbieten.

Was er sich wohl wünschen wird?
 

„Schlaf gut kleiner Ciel und träum süß. Wir werden uns bald wiedersehen!“, flüstere ich ihm zu, lege zwei Finger auf seine Stirn und fast augenblicklich entspannt sich sein Gesichtsausdruck.
 

Ich weiß nicht, ob er mich gehört hat, oder ob es die Berührung meiner Finger ist, denn meines Wissens nach ist es mir nicht möglich jemandem schöne Träume zu schenken. Das wäre für einen Teufel auch eine recht nutzlose Eigenschaft, aber wenn es ihm hilft sich zu beruhigen, soll es mir recht sein.
 

Ich wende mich ab, gehe zurück zum Fenster und springe hinunter auf den Gehweg.

Gerade will ich mich in eine Seitengasse davonmachen, als ich der Besitzerin des Bordells, aus dem ich gerade komme, in die Arme laufe.
 

„Madame“, begrüße ich sie und verbeuge mich galant vor ihr. Trotz des schwachen Mondlichtes sehe ich, wie ein leichter Rotschimmer über ihre Wangen huscht.
 

„Gnädiger Herr, was führt Euch zu so später Stunde noch in diese Gegend?“, fragt sie, nachdem sie sich wieder gefasst hat und tritt näher auf mich zu.
 

Vorhin war ich so von ihrem Schützling eingenommen, dass ich ihren Geruch überhaupt nicht wahrgenommen habe, aber jetzt hüllt er mich fast wie eine Wolke ein, umschmeichelt meine Sinne und ich muss sagen, ich bin nicht abgeneigt.
 

„Nichts bestimmtes Madame, ich schlendere nur müßig durch die Gegend und vertrete mir die Beine, aber jetzt werde ich dann doch so langsam mal den Heimweg antreten.“
 

Ich sehe wie sie bei meinen Worten einen Moment lang enttäuscht das Gesicht verzieht, dann tritt sie näher.
 

„Ich wüsste da schon einen Ort, wo Ihr die Nacht verbringen könnt, es wäre gar nicht so weit von hier entfernt…“, schnurrt sie leise, schiebt sich noch etwas näher und der Duft ihrer Erregung, ihre Gier nach mir und meinem Körper lässt mich schwindeln.
 

Eigentlich spricht nichts dagegen. Den kleinen Engel kann ich ohnehin erst einmal noch nicht haben, warum sollte ich mir die Wartezeit nicht anderweitig versüßen?
 

„Ich war der Meinung, Ihr seid nicht mehr in diesem Geschäft tätig und kümmert Euch nun ausschließlich um die finanziellen und organisatorischen Aspekte des Bordells?“
 

„Das ist auch vollkommen richtig Herr, aber dennoch bin auch ich nur eine Frau mit Bedürfnissen…“ Sie schiebt sich noch näher, lässt eine Hand über meine Brust gleiten und sieht aus glühenden Augen zu mir auf „Seid versichert, auch ohne Bezahlung werdet Ihr bei mir auf Eure Kosten kommen…“ Dann schlingt sie mir ihre Arme um den Nacken und küsst mich.
 

Ihr Kuss ist feurig und ich spüre wie mein Körper auf sie reagiert.

Sie gibt zwar keine Mahlzeit für mich ab, aber es schadet sicherlich nicht meinem menschlichen Körper etwas Erleichterung zu verschaffen, nach der ganzen Aufregung des heutigen Abends. Und auch wenn sie nichts ist im Vergleich mit dem unschuldigen, reinen Engel ist der dort oben schlummert, werde ich mit ihr meinen Spaß haben.
 

Den Kuss keine Sekunde unterbrechend hebe ich sie auf meine Arme und trage sie in ihr Schlafzimmer. Sie wundert sich nicht einmal woher ich weiß, welches Zimmer ihr gehört, dafür habe ich sie schon zu sehr in meinen Bann geschlagen.

Stöhnend wälzt sie sich unter mir als ich sie nehme, wieder und wieder bis irgendwann der Morgen graut und sie erschöpft zusammengerollt und mehr als befriedigt einschläft.

Für den Moment ist mein Körper auch zufrieden, aber nicht für lange. Ich kann es kaum erwarten, dass es wieder morgen wird und ich Ciel besuchen kann.

Sein Tanz allein war aufregender als diese Nacht und Madame Red hatte vollkommen Recht mit dem was sie mir am Vorabend versichert hat.

Ciel ist etwas ganz Besonderes.
 

TBC

Das Monster

Ciel
 


 

Madame ist wütend auf mich.

Es ist Samstag, der Tag an dem der fremde Freier wieder zu mir kommen will und gestern hatte ich mit Madame Red eine Auseinandersetzung.
 

Der Earl of Worthington war gestern mein Kunde und bevor er kam hat sie versucht mich dazu zu überreden, dass ich mich von ihm berühren lassen soll.

Nicht, dass sie verlangt hätte, dass ich mit ihm den Beischlaf vollziehe, nein, er sollte mich nur streicheln dürfen. Überall wo er es wünscht.

Wie kann sie das von mir verlangen? So kurz nachdem letzten Anfall, der mir mal wieder für mehrere Minuten das Bewusstsein geraubt hat?

Wie kann sie so herzlos sein?
 

Der Earl ist ein freundlicher Herr in den Vierzigern. Er hat mich noch nie geschlagen oder angeschrienen, war immer sehr nett zu mir und steckt mir jedes Mal einen kleinen Bonus zu bevor er wieder zu seiner jungen Frau zurückkehrt, die bestimmt nicht weiß was sie falsch macht, dass ihr Mann sich nicht für sie interessiert.

Er sieht gut aus für einen Mann seines Alters, hält sich fit und hat noch nie etwas von mir verlangt, was ich nicht bereit bin zu tun. Bei ihm hatte ich noch niemals einen Anfall und vielleicht denkt Madame deswegen, dass ich mir mit ihm leichter tue mich gehen zu lassen?

Oder, er hat ihr ein unverschämt großzügiges Angebot gemacht, das kann auch sein…
 

Aber er hat sich nichts anmerken lassen.

Still wie immer hat er in dem großen, mit Blattgold überzogenen und feinen roten Stoffen bespannten Sessel in der Ecke gesessen, hat mir zugesehen wie ich für ihn tanze und mich selbst berühre und sich dann von mir mit dem Mund befriedigen lassen.

Seine Hände haben ruhig auf den Stuhllehnen gelegen, sein Atem war kaum zu hören gewesen und nachdem er gekommen ist, hat er mir wie jedes Mal eins seiner bestickten Taschentücher gereicht und mich entschuldigend angelächelt.

Ein wirklich ausnehmend freundlicher Herr, der Earl of Worthington.

Aber selbst alle Freundlichkeit wird mir nicht dabei helfen wenn er versucht… diese Dinge mit mir zu tun… ich ertrage es nicht. Es geht einfach nicht!

Warum versteht sie das nicht?

Sie verdient mit mir an einem Abend teilweiße mehr, als mit einem ihrer Mädchen in einer ganzen Woche, was will sie denn noch?!
 

Ich zucke heftig zusammen als es an der Tür klopft.

Er ist da! Er ist endlich da!

Früher, als ich angenommen hatte, aber ich bin schon seit Stunden bereit und zittere vor Anspannung. Ich weiß nicht ob es Freude oder Angst, oder ein bisschen von beidem ist. Tatsache ist, ich hatte wegen ihm einen Anfall und er hat mir angekündigt, dass er mich verletzen wird, aber das hindert meinen Körper nicht daran vor lauter Aufregung zu kribbeln wenn ich an ihn denke. An sein pechschwarzes Haar, wie es ihm keck in die Stirn hängt, seine blasse, fast durchscheinende Haut, seine aufregenden Augen und seine Hände, die ich gleichzeitig fürchte und doch… erregend finde. Vielleicht liegt es an den Handschuhen?

Und sein Duft! Er riecht nach Sandelholz und Ruß, nach Feuer und… und… ich weiß es nicht genau, aber es verwirrt mich, lässt mein Herz höher schlagen und meine Angst vor ihm immer wieder für Sekunden vergessen, nur um dann wieder mit aller Macht über mich hereinzubrechen, wenn er mich mit dieser Gier im Blick mustert.

Seine Augen wandern über mich wie Hände, fassen mich an ohne mich zu berühren und ich habe noch nie etwas Beängstigenderes und gleichzeitig Erregenderes erlebt, als mich einfach mit ihm in diesem Zimmer zu befinden.
 

Als die Tür sich öffnet und Madame das Zimmer betritt merke ich sofort an ihrem Blick, dass etwas nicht stimmt.

Ihr Mund ist zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Sie ist immer noch wütend auf mich, aber gleichzeitig sehe ich in ihren Augen eine stumme Warnung, zusammen mit einem schwachen Leuchten, das ich für ein eine Entschuldigung halten würde, wenn nicht… aber wofür…?
 

Und dann tritt er an ihr vorbei ins Zimmer und mein Herz setzt einen Schlag aus, bevor es, von purer Angst getrieben beginnt wie von Sinnen gegen meinen Brustkorb zu hämmern.
 

„Hallo Ciel, schön, dich endlich mal wiederzusehen…“
 

Nein!

Bitte nicht Mr. Doyle!
 

Meine Hände beginnen zu zittern unter dem Blick aus seinen kleinen verschlagenen Augen, ich sehe sofort, dass er wütend ist. Bestimmt, weil er vorgestern nicht zu mir konnte.

Und wenn er heute hier ist, kann Sebastian nicht zu mir! Ich… ich meine… Mr. Michaelis.

Unwirsch schüttle ich den Kopf.

Ich habe keine Zeit mich solchen Gedanken hinzugeben, ich muss jetzt wachsam sein!
 

„Schönen guten Abend werter Duke, ich freue mich, dass Ihr mich heute besucht“, würge ich hervor und hoffe, dass das Lächeln in meinem Gesicht nicht halb so gezwungen aussieht wie es sich anfühlt.
 

Nun verstehe ich den Blick der Madame.

Wie konnte sie nur!

Sollte das die Strafe dafür sein, dass ich mich ihr nicht fügen kann?
 

„Die Freude ist ganz meinerseits.“ Dann wendet er sich zu Madame um. „Danke Madame Red, ab jetzt kommen wir gut alleine zurecht, es war sehr freundlich von Euch mich hinaufzubegleiten“, scheucht er den einzigen Menschen aus dem Zimmer, der mich vor seinen gierigen Fingern beschützen kann, aber das wird sie nicht tun. Nicht heute.
 

Ihre Augen sagen es deutlich.

‚Du hättest es auf die einfache Tour haben können, daran bist du jetzt ganz allein schuld.‘
 

Was für eine grausame Person!

Aber sie wird nicht zulassen, dass er mich nimmt, oder? Wenn es ihr schon nicht um mich geht, dann doch wenigstens ums Geschäft? Ich würde für sie an Wert verlieren wenn sich herumspricht, dass er mich einfach so bekommen hat.
 

Mit einem letzten schwachen Lächeln um die Lippen bei dem mir fast schlecht wird, verlässt sie das Zimmer und überlässt mich meinem Schicksal.
 

Dahin ist die Aufregung die ich empfunden habe bei dem Gedanken, meinen neuen fremden Freier wiederzusehen.

Stattdessen sehe ich mich einmal mehr meinem schlimmsten Alptraum gegenüber.

Der Duke of Gloucester ist klein, vielleicht eine halbe Handbreit größer als ich selbst, was immer noch nicht besonders viel ist. Sein Haar klebt fettig glänzend an seinem schon kahl werdenden Schädel, und er grinst, so dass ich seine gelben, teilweise bereits schwarz verfärbten Zähne sehen kann.

Sein fetter Bauch wölbt sich über den feinen Stoff seiner Hose und mir wird ganz anders als er sich sein dunkelbraunes Jackett von den unförmigen Schultern streift und ich die riesigen Schweißflecke unter seinen Achseln sehe.
 

Ich will nur noch weg!
 

Dann zieht er einen kleinen Schlüssel aus einer Hosentasche.

Was ist das? Zu welchem Schloss geh-
 

Mein Horror kennt keine Grenzen als er sich umwendet und die Tür von innen verriegelt.

Wie ist er an den Schlüssel gekommen? Was verspricht er sich davon? Ich will… ich muss…
 

„Was habt Ihr vor, Herr? Warum schließt Ihr ab?“, bringe ich zitternd hervor, ich bin sicher, dass er mir meine Angst ansehen kann, auch wenn ich mich noch so bemühe sie nicht zu zeigen weil ich weiß, dass ihn das nur noch mehr erregt.
 

„Ich will heute nicht gestört werden mein Süßer, ich habe viel mit dir vor und will nicht, dass uns wer dazwischenfunkt“, antwortet er mit gefährlich ruhiger Stimme, wendet sich dann zu mir um und kommt gemessenen Schrittes durch den Raum auf mich zu. Ich zwinge mich an Ort und Stelle zu bleiben, mich keinen Zentimeter zu bewegen obwohl alles in mir nach Flucht schreit. „Du warst vorgestern nicht da für mich, das hat mich sehr betrübt“, fügt er noch hinzu und streckt eine Hand nach mir aus.
 

Der letzte Schritt auf ihn zu kostet mich fast unmenschliche Überwindung und als sich seine Hand um mein Handgelenk schließt, breche ich fast in die Knie.
 

„Es… es tut mir L-leid Herr, aber ich bin es nicht, der über die Wahl der Freier bestimmt, das wisst Ihr doch?“ Meine Stimme zittert, meine Knie sind weich wie Butter und mein Rücken ist so steif, dass ich fürchte, dass er bei einer unbedachten Bewegung in zwei Teile zerbricht.
 

„Das ist mir egal!“, schreit er plötzlich los, zieht auf und verpasst mir eine schallende Ohrfeige, die mich fast von den Füßen reißt, würde er mich nicht mit eiserner Gewalt festhalten. „Ich bin Stammkunde! Ihr habt mir diesen Tag freizuhalten wenn ich bestimme, dass ich komme! Aber warte nur, das wirst du wieder gutmachen!“, brüllt er weiter und drängt mich rückwärts in Richtung Bett.
 

Ich kann mich nur schwer konzentrieren. In meinem Körper tobt die Panik, mein Gesicht brennt und ich spüre, wie sich bereits der erste Schrei meine Kehle hinaufwindet, aber noch kann ich mich beherrschen.
 

„Bitte Herr! Verzeiht mir! Es wird nicht wieder vorkommen! Ich werde mit der Madame reden, wir werden uns schon einigen können!“, wimmere ich, versuche aber nicht mich aus seinem Griff zu lösen, das würde ihn nur noch wütender machen.
 

„Keine Angst, ich weiß schon, wie du das wieder gutmachen kannst!“
 

Dann packt er mit beiden Händen das durchscheinende Hemd aus violetter Seide das ich heute trage und reißt es in der Mitte auseinander.
 

Oh Gott bitte nicht!
 

Er stößt mich rückwärts auf die Matratze und ist in der nächsten Sekunde über mir, fängt meine Hände ein als ich schließlich doch versuche mich gegen ihn zu wehren und presst sie über meinem Kopf in den kühlen Stoff des Bettlakens.
 

„Bitte Mr. Doyle, tut das nicht…“
 

Ich kann mich selbst kaum hören und in dem Moment, als er anfängt mich zu berühren versinkt alles in einem grauenhaften roten Nebel.
 

Die Männer stehen um mich herum, ihre Hände vereinigen sich mit denen meines Peinigers, überfallen meinen Körper und nehmen mir einmal mehr meinen Stolz, meine Würde und alles was ich bin.
 

Das Letzte was ich höre bevor ich das Bewusstsein verliere ist mein lautes Schreien und sein Kichern, als er sich nimmt was er will.
 

TBC

Die Gier

Sebastian
 

Früher als geplant mache ich mich auf den Weg zum ‚Bloody Diamond‘. Ich weiß nicht ab wann das Bordell offiziell seine Tore für seine Besucher öffnet, möchte aber auch nicht zu spät kommen. Madame Red hat mir vorgestern Nacht, als wir eine kurze Pause eingelegt haben um sie wieder zu Atem kommen zu lassen, erzählt, dass täglich nur ein Kunde zu Ciel vorgelassen wird.

Ich schätze, das soll seinen Wert noch einmal in die Höhe treiben und bei 500 Pfund pro Stunde ist das meiner Ansicht nach auch ausreichend, für die Mädchen wird nicht einmal annährend so viel verlangt. Und das obwohl man sich bei ihnen nicht mit einem Tanz und oraler Befriedigung zufrieden geben muss.
 

Ich kann nicht sagen, dass ich aufgeregt bin, aber ich freue mich tatsächlich darauf den kleinen gefallenen Engel wieder zu sehen, ich bin gespannt, was mich heute erwartet. Ich werde mich langsam an ihn herantasten müssen, aber irgendwann werde ich ihn soweit haben, dass er mir vertraut und dann kann ich beginnen ihn zu formen.
 

Ich bin noch eine Querstraße vom Bordell entfernt, als ich ihn schreien höre.

Wie der Wind renne ich durch die einbrechende Dämmerung, stürme durch die Tür und hätte beinahe die Madame über den Haufen gerannt. Es ist wirklich schrecklich eng und zugestellt im Foyer.
 

„Wohin des Weges gnädiger Herr?“, hält sie mich auf und spricht mich an, da ich in der Gegenwart von Mensch gezwungen bin mich wie einer von ihnen zu bewegen.
 

Oben im dritten Stock geht das Geschrei weiter und mein Magen zieht sich zusammen, versinkt im Mitleid und gleichzeitig rast mein Herz vor lauter Gier den Schmerz des Jungen in sich aufzusaugen, in ihn einzutauchen und zu verschlingen! Was für eine verwirrende Mischung…
 

„Ich habe einen Termin bei Ciel, wisst Ihr nicht mehr?“, entgegne ich als ob wir übers Wetter reden würden, sie ignoriert das Geplärre offensichtlich komplett. Warum?
 

„Verzeiht, aber Ihr seid zu spät, heute hat Ciel bereits einen anderen Kunden. Kommt doch morgen wieder, oder nehmt Euch eins der Mädchen?“, versucht sie mich abzuwimmeln, aber ich bewege mich zielstrebig Richtung Treppe und zwinge sie dabei rückwärts vor mir herzugehen.
 

„Ihr müsst verzeihen Madame, aber wenn ich sage, dass ich heute komme und zu ihm vorgelassen werden will, dann erwarte ich von Euch, dass das auch so geschieht“, antworte ich ihr und lege eine leise Drohung in meine Stimme, während ich näher auf sie zutrete und sie mit dem Rücken gegen das Geländer der Treppe dränge. „Außerdem scheint der Kleine über seine momentane Gesellschaft nicht besonders erfreut zu sein?“, hauche ich gegen ihre Lippen. Ich sehe wie sich ihr Blick verschleiert und sie ihm Begriff ist mir zu erliegen. Dann schüttelt sie den Kopf und blinzelt unwillig,
 

Stures Frauenzimmer!
 

„Wenn ich mich recht erinnere, war er über die Eure nicht mehr erfreut. Mir schien sogar, dass er in Eurer Gegenwart noch lauter geschrien hat als er es jetzt gerade tut“, zischt sie zurück.
 

„Ach Ihr könnt es hören? Und ich befürchtete schon, Ihr seid mit plötzlich einsetzender Taubheit geschlagen? Was steht Ihr hier noch herum? Wollt Ihr dem Jungen nicht zu Hilfe eilen?“
 

Meine Stimme gleicht mehr und mehr einem Knurren, ich kann nicht fassen, wie gleichgültig sie sich gibt.

Ich rieche die Angst des Jungen bis hier unten, seine Seele strahlt sogar durch die Wände und zieht mich an, schreit nach mir, aber ich kann nicht ohne einen Puffer zu ihm gehen, sonst zerstöre ich ihn. Ich brauche diese dumme Frau als Stoßdämpfer zwischen ihm und mir, sonst werde ich die Kontrolle verlieren.
 

„Ciel hat sich meinen Wünschen widersetzt und erntet nun, was er selbst gesät hat.“
 

„Es ist mir völlig gleichgültig was er in Euren Augen verbrochen haben mag, Ihr geht jetzt hinauf und erlöst ihn, das ist ja nicht auszuhalten!“
 

„Sagt Ihr mir nicht wie ich mit meinen Kindern umzugehen habe!“
 

Ich spüre wie ich langsam wütend werde. Was fällt ihr ein mir zu widersprechen? Mir!

Knurrend beuge ich mich noch näher zu ihr hin und lasse einen Moment lang meine dämonische Aura aufblitzen. Kurz genug, dass sie es für Einbildung halten kann, aber doch lange genug, um sie zum Zittern zu bringen.
 

„Geht sofort hinauf und beendet dieses Spektakel! Auf der Stelle!“
 

Die Augen weit aufgerissen starrt sie mich an. Endlich hat sie erkannt, dass man besser tut was ich verlange.

Steif nickt sie und ich gebe sie frei, damit sie vor mir her die Treppe hinaufeilen kann.

Die Bilder in meinem Kopf, was da oben gerade vor sich geht sind unbeschreiblich. Meine Hände kribbeln und als ich an einem Spiegel vorbeigehe steht die pure Mordlust in meinem Blick, aber meine Augen haben sich noch nicht verändert, glühen nur ganz schwach; allerdings kann man das auch auf das Licht der vielen Kerzen schieben.
 

Dann sind wir endlich da.

Madame legt eine Hand auf den Knauf und versucht die Tür zu öffnen, aber sie bewegt sich nicht.

Verwundert verzieht sie das Gesicht.
 

„Wie kann das sein? Die Zimmer sind niemals verriegelt!“
 

Sie versucht es ein weiteres Mal bis ich sie zur Seite schiebe und dann mit einem kräftigen Tritt die Tür aus den Angeln sprenge.

Der Anblick der mich erwartet ist weitaus weniger schlimm als ich es befürchtet hatte, aber es reicht.
 

Ciel liegt auf dem Rücken auf dem Bett, seine Augen blicken ins Leere während er immer noch diese schrecklichen gequälten Schreie ausstößt. Ein Mann sitzt rittlings auf seinen schmalen Hüften, drückt ihn mit seinem stattlichen Gewicht tief in die Matratze und streicht sabbernd immer wieder mit seinen kurzen wulstigen Fingern über seinen nackten Oberkörper, kneift ihn in die blasse Haut und gerade beugt er ich nach vorne, um dem Jungen über sein in qualvoller Angst verzerrtes Gesicht zu lecken.
 

Widerlich.

Ich kann mich nicht bewegen. Trete ich nur einen Schritt näher, wird irgendjemand in diesem Raum sterben und ich bin mir nicht sicher, ob es tatsächlich das fette Schwein sein wird, das sich gerade an dem unschuldigen Engel vergeht.
 

„Mr. Doyle das geht zu weit! Verlasst auf der Stelle das Haus!“, donnert Madame Red los als ihr schließlich doch bewusst wird, was sie ihrem Schützling da zugemutet hat.
 

„Nein! Ich habe ein Recht auf ihn! Vorgestern durfte ich nicht zu ihm, mir steht eine Entschädigung zu!“, keift der Fettsack, packt den Körper des Jungen und zieht ihn an seine Brust, woraufhin der nur noch lauter brüllt.
 

„Gar nichts habt Ihr! Ich bestimme wer zu ihm geht und wenn Ihr zu spät kommt, dann müsst Ihr wann anders wiederkommen, so einfach ist das! Ein Kunde am Tag, so ist die Regel! Und wenn Ihr ihn nicht sofort loslasst, bekommt Ihr zwei Monate Hausverbot!“, schreit Madame gegen Ciel an, aber man kann sie trotzdem kaum verstehen.
 

Endlich lässt der Duke den Knaben los und windet sich vom Bett herunter. Tatsächlich wird Ciels Kreischen leiser, verkommt zu einem heiseren Wimmern und bricht schließlich ganz ab.

Sein Körper schillert in allen Farben, blendet mich und ich kann mich nur mit Mühe davon abhalten zu ihm zu gehen und ihn mit Haut und Haaren zu verschlingen. Sein Duft überwältigt mich, raubt mir fast sie Sinne, aber ich hätte nichts davon. Er würde zerbrechen noch bevor ich ihn auch nur gekostet hätte.
 

Schnaubend schiebt sich der Duke an uns vorbei nachdem er sich sein Jackett geschnappt und nachlässig über die Schultern geworfen hat.

Der Blick aus seinen verschlagenen Augen zeigt pure Boshaftigkeit und ich spüre, dass ich ihn heute nicht zum letzten Mal sehe.
 

„Mein Gott Ciel!“
 

Als der Duke schließlich verschwunden ist siegt dann doch die Sorge über den Ärger den Madame wohl auf Ciel hat, denn sie stürmt durch den Raum und setzt sich neben den Jungen aufs Bett.
 

Ich kann einfach nur dastehen und alles beobachten. Ich kann weder zu ihm gehen, noch kann ich den Raum verlassen. Ich bin wie gefesselt von den ganzen Sinneseindrücken.

Die Luft ist erfüllt von Schmerz und Angst, ein wahres Festmahl für einen Teufel wie mich.
 

Stumm beobachte ich die rothaarige Frau wie sie dem Jungen sanft über sein verschwitztes Gesicht streicht, seinen Körper dann nach Verletzungen absucht und erleichtert ausatmet, als sie keine findet außer der geschwollenen rechten Wange, die hellrot im Kerzenlicht leuchtet.
 

Flatternd öffnen sich die Lider des Jungen und sein Blick huscht unstet durch den Raum.
 

„Ma-madame… ich… es tut mir leid“, flüstert er dann so leise, dass selbst ich ihn kaum verstehen kann.
 

Wie kann er in solch einer Situation noch daran denken sich zu entschuldigen? Er war es doch, der verletzt wurde? Warum entschuldigt er sich jetzt?

Sein Verhalten verwirrt mich zutiefst. Es ringt mir Bewunderung ab für seine Stärke.
 

„Ist schon in Ordnung Ciel. Hat er dir sehr wehgetan?“, will Madame dann wissen und streicht ihm besorgt durch die dunklen wirren Strähnen die ihm ins Gesicht hängen.
 

„Nein. Es ist schon gut. Er hat nicht… er hat nicht…“
 

Dann fällt sein Blick auf mich und er erstarrt.

Seine großen blauen Augen füllen sich mit Tränen, aber er blinzelt sie fort, lässt nicht eine über seine leichenblassen Wangen kullern.
 

‚Ich bin nicht schwach‘ schreit er mir stumm entgegen und ich nicke ihm respektvoll zu. ‚Sieh mich an, ich bin stärker als ich aussehe und auch du wirst mir nichts anhaben können!‘
 

„Ich erwarte dich unten im Foyer Ciel“, kündige ich an, verbeuge mich in Richtung der Madame und wende mich dann um, um mit steifen Schritten hinunter ins Erdgeschoss zurück zu gehen.
 

Sein Blick geht mir durch und durch.

Sein Stolz, sein ungebrochener Wille ziehen mich wie magisch an und ich muss fürs erste etwas Abstand zwischen uns bringen bevor ich doch noch zu ihm gehe und ihn zerstöre, mich selbst um den Genuss dessen bringe, was seine Seele mir verspricht.

Er wird zu mir kommen.

Ich habe es in seiner Körperhaltung, seinen Augen und seiner ganzen Ausstrahlung gesehen.

Ein Freier pro Tag hin oder her, er wird zu mir kommen.

Das Arrangement

Ciel
 

Mit loderndem Blick steht er im Türrahmen.

Ich bin immer noch verwirrt, habe noch nicht richtig in die Realität zurückgefunden. Zu sehr hat mich das, was eben passiert ist getroffen. Der Horror war schier unerträglich und ich spüre noch immer Mr. Doyles Berührungen auf meiner Haut, höre seine Stimme in meinem Ohr, gepaart mit dem Lachen und Kichern der Männer die um das Bett gestanden, und ebenfalls ihre gierigen Finger nach mir ausgestreckt haben.
 

Erst sein Anblick hat mich vollkommen zurückgeholt und eine Sekunde lang überrollt mich die Scham, dass er mich schon wieder so gesehen hat, so schwach und wehrlos.

Aber ich werde das nicht länger dulden!

Ich will nicht mehr schwach sein!

Ich muss einen Weg finden das zu überwinden! Mein eigener Körper ist zu meinem Feind geworden und ich muss ihn besiegen!

Und er wird mir dabei helfen! Sebastian Michaelis!
 

Sein beifälliges Nicken erstaunt mich. Hat er verstanden was ich ihm zu sagen versucht habe? Kann er Gedanken lesen?
 

„Ich erwarte dich unten im Foyer Ciel.“
 

Dann verbeugt er sich vor der Madame, die immer noch neben mir auf dem Bett sitzt und verwundert zwischen uns hin und hersieht, dreht sich um und verlässt den Raum.
 

Bilde ich mir das ein, oder wird es plötzlich wieder heller im Zimmer?
 

„Wenn du nicht zu ihm gehen willst, musst du das nicht tun Ciel“, flüstert mir Madame zu, zieht sich im nächsten Moment mit einem Räuspern zurück und steht schließlich auf. „Fürs Reden kann ich kein Geld verlangen und wenn du lieber allein sein willst, ist das in Ordnung.“
 

Ein merkwürdiger Unterton schwingt in der Stimme der Madame mit. Es kommt mir fast so vor, als will sie nicht, dass ich zu ihm nach unten gehe, aber das kommt mir gerade Recht. Irgendwann muss ich anfangen meine Ängste zu besiegen und je näher ich ihm bin, desto leichter wird es mir fallen… hoffe ich.
 

„Nein, es ist schon gut. Ich werde mich nur schnell waschen und umziehen, dann komme ich nach unten“, sage ich mit gesenktem Blick.
 

Antwort bekomme ich keine darauf. Ich frage mich, was sie wohl denkt?

Eigentlich kann es ihr doch nur entgegen kommen, dass ich versuche ihren Wünschen zu entsprechen? Andererseits kann sie nicht wissen was ich plane, und da ich erst mal nicht vorhabe sie einzuweihen, um ihre Erwartungen in mich nicht noch höher zu treiben, kann ich verstehen, dass mein Verhalten sie für den Moment verwirrt.
 

Schritte klingen durchs Zimmer und dann bin ich allein.

Meine Tür liegt zersplittert auf dem Boden und ich frage mich, ob es Sebastian war der sie eingetreten hat, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Madame so viel Kraft hat.
 

Ein bisschen aufgeregt bin ich schon als ich mir neue Kleider aus dem Schrank nehme und durch die Hintertür über die schmale Dienstbotentreppe hinunter in den Garten husche, wo ich mich schnell am hauseigenen Brunnen wasche. Für ein aufwendiges Bad habe ich leider keine Zeit, auch wenn allein der Gedanke an das heiße duftende Badewasser mein Herz höher schlagen lässt. Ich will Sebastian nicht warten lassen.

Das kalte Wasser fühlt sich gut an auf meiner brennenden Wange. Ich hoffe, dass sie nicht wieder anschwillt und so dunkelblau anläuft wie beim letzten Mal, aber vielleicht habe ich ja Glück? Dieses Mal hat er immerhin nur mit der flachen Hand zugeschlagen, und nicht mit der Faust…
 

Anschließend schlüpfe ich in eine schmal geschnittene, schwarze Seidenhose und ein fliederfarbenes Hemd. Meine offizielle Arbeitszeit ist für heute beendet und ich bin nicht mehr gezwungen mich in Frauenkleider zu zwängen, wobei ich leider sagen muss, dass auch meine übrigen Klamotten, bis auf wirklich wenige Ausnahmen, nicht unbedingt männlich aussehen, sondern eher zur Verführung gedacht sind. Wenigstens fühle ich mich nicht mehr so nackt und ausgeliefert.
 

Meine Haare sind noch nass als ich mit flinken Schritten durch das Haus laufe und schließlich das Foyer betrete. Nach einem schnellen Blick durch den Raum entdecke ich Sebastian, der mit einem Glas Scotch in der Hand an einem Tisch gegenüber von Madame Red sitzt und ihr aufmerksam zuhört.
 

Mein Herz macht einen kleinen Sprung vor Aufregung. Seine Bewegungen als er das Glas an die Lippen führt und einen Schluck trinkt sind so anmutig, wie ich es noch nie bei einem Menschen gesehen habe. Der Alkohol fließt über seine blassen Lippen, verschwindet in seinem Mund und ich kann seinen Adamsapfel hüpfen sehen als er schluckt. Ich habe nie etwas Schöneres gesehen. Sebastian ist wirklich eine Augenweide.

Und er sitzt hier und wartet auf mich.
 

Langsam trete ich näher, streng darauf bedacht mein Gesicht so ruhig wie möglich zu halten. Nur ein schmales Lächeln lasse ich über meine Lippen gleiten als er mich bemerkt und mir zuprostet.
 

„Da bist du ja. Möchtest du auch etwas zu trinken?“, fragt er und sieht freundlich lächelnd zu mir auf.
 

„Ja, verdünnten Rotwein bitte“, antworte ich, wobei ich meinen Blick einfach nicht von seinem lösen kann.
 

Sofort rutscht er ein Stück zur Seite auf der Bank auf der er sitzt und deutet mir Platz zu nehmen, lässt dabei genug Abstand, um mich nicht zu berühren.
 

Sehr umsichtig von ihm, aber eigentlich nicht das, was ich mir vorgenommen habe. Dennoch lasse ich mich neben ihm auf die Bank sinken und verschränke nervös die Hände in meinem Schoß. Was kann er von mir wollen?
 

Schließlich lässt er meinen Blick los um sich Madame Red zuzuwenden.
 

„Wärt Ihr so freundlich dem jungen Herrn zu bringen wonach er verlangt?“, haucht er meiner Chefin zu und ich kann ihren mörderischen Blick auf mir fast spüren.
 

Sie kann es auf den Tod nicht ausstehen herumkommandiert zu werden. Schon gar nicht, wenn es dabei um ihre Schützlinge geht.

Aber sie fügt sich, steht auf, geht hinüber zur großen Bar und lässt uns für den Moment allein.
 

„Warum habt Ihr auf mich gewartet, Herr?“, wage ich zu fragen, als er mich eine ganze Zeit lang einfach nur mustert.
 

„Weil ich dich sehen wollte. Ich weiß, dass du heute keinen Kunden mehr annimmst, und nach dem was vorhin passiert ist, will ich dir das auch nicht zumuten, aber ich freue mich, dass du jetzt hier bist, und mir deine freie Zeit schenkst.“
 

Seine Stimme wickelt mich ein, schlingt sich um mich, meinen Körper, meine Gedanken und benebelt meinen Verstand.
 

„Das… ich… habe mich darauf gefreut, Euch heute wiederzusehen“, gestehe ich leise und senke den Blick. Ich kann ihn dabei nicht ansehen.
 

Normalerweise liegt mir so etwas nicht, wenn ich nicht gerade meine Arbeit mache, aber wenn ich mein Ziel erreichen will, muss ich ihn mir gewogen stimmen.
 

„Tatsächlich? Ich hätte eher damit gerechnet, dass du dich vor mir fürchtest.“
 

„Das tue ich auch.“
 

Die Worte sind heraus bevor ich auch nur darüber nachgedacht habe wie das für ihn klingen muss und ich beiße mir verschämt auf die Unterlippe. Bestimmt geht er jetzt.
 

„Du bist ein kluger Junge, Ciel.“
 

Was? Was soll das jetzt heißen? Wie meint er das?

Zögernd hebe ich den Blick und sehe ihm in die Augen.

Er lächelt. Ein fast wölfisches Lächeln und ich spüre wie mir heiß wird.
 

„Würdet Ihr mir helfen meine Ängste zu überwinden?“, frage ich ihn dann direkt und habe schon Angst zu weit gegangen zu sein, als er erstaunt die Augen aufreißt.
 

Das Problem ist, dass Madame es nicht zulassen wird, dass er ohne Bezahlung bei mir ist, ohne dass sie kontrollieren kann ob wir mehr tun als nur reden so wie jetzt gerade, ob er sich darauf einlassen wird?
 

Genau diesen Moment nutzt Madame Red, um wieder zu uns an den Tisch zu treten.

Mist. Und ich habe noch nicht einmal eine Antwort bekommen.

Unsicher greife ich nach dem Glas das meine Chefin mir reicht und nehme einen zögerlichen Schluck.
 

„Madame Red, was würde es kosten Ciel sagen wir… für einen ganzen Nachmittag zu bekommen? Ich dachte da an… etwa sechs Stunden am Stück?“
 

Diese Frage schockiert mich!

Er hat mich komplett falsch verstanden!
 

Panik überflutet meinen Körper und ich muss meine Hände zwischen meine Beine schieben um zu verstecken, wie sehr sie gerade zittern.
 

„Das könnt ihr Euch nicht leisten Herr“, antwortet Madame mit einem abfälligen Unterton. „Allein die Stunden einzeln kosten jeweils 500 Pfund und dann gibt es noch eine Zusatzpauschale von 2000 Pfund für den zusätzlichen Aufwand, ich glaube nicht, dass-“
 

„5000 Pfund? Ihr sollt sie bekommen. Morgen werde ich um Punkt zwölf hier sein. Ich erwarte, dass ich dann direkt zu ihm vorgelassen werde, ohne Widerrede. Und wenn doch ein Freier vor mir auftauchen sollte, übernehme ich auch die Kosten, die Euch dadurch entstehen, dass Ihr ihn wegschicken müsst. Ist das annehmbar für Euch Madame?“
 

Das Lächeln auf seinen Lippen strahlt eine arktische Kälte aus und ich muss den Drang unterdrücken, mir über die Oberarme zu reiben.

Er weiß ganz genau was er will und ich bin mir fast sicher, dass er mich einfach entführen wird wenn Madame sich weigert auf seinen Vorschlag einzugehen, aber ich sehe bereits das gierige Funkeln in ihren Augen, auch wenn sie noch immer ein bisschen verärgert auf mich wirkt. Allerdings weiß ich nicht genau warum. Eigentlich sollte sie sich die Lippen lecken über so einen Batzen Geld an einem Tag.
 

Zusatzpauschale. Pff! Dass ich nicht lache! So etwas gab es hier noch nie! Die Mädchen werden oft tageweise für nicht mal ein Drittel der ursprünglichen Summe verkauft.
 

Ich weiß nicht wen ich von beiden für verrückter halten soll.
 

Die Madame, weil sie so dreist ist so eine horrende Summe für mich zu verlangen, oder Sebastian, der so dumm ist das auch noch zu bezahlen.
 

Es ist lächerlich und ich fühle mich wie eine Kuh auf dem Viehmarkt, aber nichts anderes bin ich im Prinzip auch.

Eine Kuh, die nicht einmal perfekt ist und lahmt, für richtige Arbeit unbrauchbar, und doch werde ich von allen behandelt, als wäre ich irgendetwas Besonderes.

Ich verstehe die Welt nicht mehr.
 

„Ich bin einverstanden. Ciel wird morgen um zwölf Uhr bereit für Euch sein.“
 

„Gut, das war´s dann, lasst uns jetzt bitte allein“, entlässt er die Madame und ich schrumpfe förmlich unter ihrem Blick. Das wird noch ein sehr unschöner Abend für mich, auf Mitleid für das heute Erlebte brauche ich jedenfalls nicht mehr zu hoffen. „Und nun zu uns“, wendet er sich schließlich wieder mir zu und ich versinke in dem intensiven Blick den er mir zuwirft. „Wie genau hast du dir diese Hilfe denn nun vorgestellt?“
 

TBC

Die Bitte

Sebastian
 

„Und nun zu uns“, wende ich mich schließlich Ciel zu, nachdem Madame nach einem letzten glühenden Blick in meine Richtung aufgestanden und verschwunden ist. Sie ist eifersüchtig. Etwas in der Richtung habe ich schon vermutet, als ich vorhin ins Bordell gekommen bin, aber es kümmert mich nicht was sie denkt oder will. Ciel ist der einzige, der mich hier wirklich interessiert. So nahe wie er gerade neben mir sitzt juckt es mich geradezu in den Fingern ihn zu berühren. „Wie genau hast du dir diese Hilfe denn nun vorgestellt?“
 

Ich dachte ich höre nicht recht, als er mir diese Frage, oder Bitte gestellt hat. Er bittet einen Teufel, der sich kaum beherrschen kann ihn nicht gleich hier über den Tisch zu werfen und sich in ihm zu versenken darum, ihm seine Angst vor fremden Berührungen zu nehmen?

Ironie des Schicksals nennt man das wohl.

Könnte der Junge meine Gedanken lesen, würde er schreiend vor mir davonlaufen.

Ich spüre wie meine Mundwinkel zucken und sich ein Lächeln in mein Gesicht drängt.
 

Andererseits kommt mir diese Bitte um Hilfe gerade recht. So wird er Vertrauen zu mir aufbauen und ich verfüge nicht um sonst über eine eiserne Selbstbeherrschung. Und wenn mich doch einmal die Leidenschaft übermannt, kann ich immer noch zu Madame Red gehen und mich dort abkühlen, die Frau versteht es einen Mann zu befriedigen!
 

Mein Lächeln scheint ihn zu ermutigen, denn er blinzelt ein paar Mal unsicher, schöpft dann tief Atem und erklärt mir, was genau er von mir will.
 

„Es gab Vorfälle… in meiner Vergangenheit. Ich möchte Euch nicht damit belasten, Herr, aber sie sind es, die es mir fast unmöglich machen die Berührungen Fremder auf mir zu ertragen. Es ist nicht so, dass man mich gar nicht anfassen darf, aber alles, was sich für mich als sexuelle Handlung anfühlt, läuft irgendwann auf eine Panikattacke hinaus und ich verliere dann meistens auch das Bewusstsein und bin dem anderen Menschen dann völlig hilflos ausgeliefert.“ Ich sehe in seinen Augen, dass es ihn immense Überwindung kostet diese Schwäche so offen vor mir zuzugeben. Natürlich habe ich selbst gesehen was passiert, wenn er die Kontrolle über sich und seinen Körper verliert, aber es so frei auszusprechen, scheint ihm wirklich sehr schwer zu fallen. „Ich will das nicht mehr.“ Plötzlich läuft er puterrot an, als ihm wohl noch etwas anderes eingefallen ist „Versteht mich nicht falsch, ich will das nicht, damit ich täglich zwanzig Männer über mich steigen lassen und mir eine goldene Nase verdienen kann! Es ist nur, dass ich es satt habe mich so hilflos zu fühlen…“

Er seufzt tief und schließt für einen Moment die Augen, um sie dann wieder zu öffnen und die Entschlossenheit die nun darin leuchtet, die Angst überschattet und den grenzenlosen Schmerz für einen Moment komplett verdrängt lässt in mir eine Hitze aufsteigen, wie ich sie so noch nie verspürt habe. Was für ein außergewöhnlicher kleiner Mann! „Werdet Ihr mir dabei helfen?“
 

Ich muss gar nicht lange über eine Antwort nachdenken, allerdings lasse ich ihn noch einen Moment zappeln, nippe an meinem Glas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit, und lege dann meinen Kopf zur Seite.

Zweifelnd mustere ich ihn und kann sehen, wie seine Entschlossenheit ins Wanken gerät und sich Zweifel in seine blauen Augen schleichen. So stark, so unbeugsam und doch so kaputt.
 

„Und was springt für mich dabei heraus? Immerhin habe ich der Madame gerade eine stolze Summe für dich angeboten, der äußere Rahmen wäre damit also bereits gegeben“, erwidere ich und sehe ihn erwartungsvoll an. Ich bin gespannt, wozu ich ihn treiben kann.
 

„Ich kann Euch leider nichts versprechen von dem ich nicht sicher sein kann, dass ich es werde halten können. Aber ich kann Euch versichern, dass ich mir Mühe geben werde die von Euch erbrachte Mühe auf jede mir mögliche Weise zu erwidern.“
 

Das ist doch ziemlich vage formuliert, aber zu einem größeren Eingeständnis werde ich ihn für den Moment nicht bringen können.
 

„Einverstanden. Aber als Beweis, dass du es wirklich erst meinst, möchte ich etwas von dir.“
 

Die Erleichterung die sich eben über sein Gesicht gelegt hat weicht fast sofort misstrauischer Wachsamkeit. Er ist wirklich ein kluger Junge.
 

„Was verlangt ihr?“
 

„Ich erbitte einen Kuss.“
 

Sein Atem stockt.
 

„Warum? Was…“, stockend bricht er ab und senkt den Blick, um mit leiser Stimme fortzufahren. „Was versprecht Ihr Euch vom Kuss einer Hure?“
 

Die tiefe Traurigkeit bringt mein Herz dazu vor Freude höher zu schlagen. Dieser ständige Wechsel zwischen Stärke und Schwäche, Entschlossenheit und Mutlosigkeit, Hoffnung und Verbitterung treibt mich fast in den Wahnsinn. So viele Facetten vereint in einem einzigen Körper. Er muss mir gehören. Er muss es einfach!
 

„Nichts“, gebe ich offen zu und beobachte mit wohliger Genugtuung, wie er unter diesem einzelnen Wort zusammenzuckt. „Aber ich weiß, was es dich kostet ihn mir zu schenken. Ich will mein Geld nicht um sonst verschwenden, also möchte ich, dass du mir beweist, dass es dir ernst ist, verstehst du das Ciel?“, flüstere ich ihm zu und beobachte wie er dann seine schmalen Schultern strafft und wieder zu mir aufsieht.
 

„Ich verstehe. Nun denn Herr, wo möchtet ihr geküsst werden?“
 

Ein verschlagenes Lächeln huscht über mein Gesicht als ich mich bequem zurücklehne.
 

„Genau hier“, verlange ich und deute auf meinen Hals auf der ihm abgewandten Seite.
 

Um dort hinzugelangen muss er sich über mich beugen, mir von sich aus sehr nahe kommen und ich weiß, dass ihn das ziemliche Überwindung kosten wird weil er nicht wissen kann, ob ich nicht versuchen werde ihn zu berühren, aber das habe ich gar nicht vor. Um ihm das zu verdeutlichen lege ich meine Arme auf der schmalen Rückenlehne der Bank ab, strecke meine Hände weit aus und lege meine Finger um das weiche Polster, bevor ich ihm zunicke und so zeige, dass ich jetzt bereit bin.
 

Ich sehe wie er angestrengt schluckt.

Dann blickt er sich hektisch nach Madame Red um, die das wahrscheinlich nicht sehen darf.
 

„Ist das wirklich nötig?“, versucht er sich herauszuwinden, aber ich hebe nur eine meiner Augenbrauen und funkle ihn spöttisch an.
 

„Also willst meine Hilfe gar nicht?“
 

„Doch, es ist nur… die Madame und-“
 

„Die Madame wendet uns gerade den Rücken zu, entweder du zeigst mir jetzt, dass es dir ernst ist, oder du siehst zu, wie du allein mit deinen Problemen fertig wirst“, sage ich mit einem doch recht abfälligen Unterton. Ich weiß ohnehin, dass er nachgeben wird, langsam habe ich keine Geduld mehr mit ihm!
 

„Gut, wie Ihr wünscht, Herr…“
 

Na geht doch.
 

Seine Hände zittern als er sich zu mir lehnt und sie auf meine Schultern legt. Ein Bein schwingt er über meine Hüften, lässt sich aber nicht auf meinem Schoß nieder was ich insgeheim doch ein bisschen gehofft hatte. Allerdings ist so die Versuchung ihn nicht doch noch über den Tisch zu werfen gleich weniger groß und ich kann mich merklich einfacher entspannen.

Sein Atem geht hektisch als er sich zu mir beugt, und schließlich einen sanften Kuss auf meinen Hals haucht, genau auf die Stelle, die ich ihm gezeigt habe.

Ich spüre wie mein Körper direkt auf ihn reagiert. Sein Geruch hüllt mich ein, dringt in jede meiner Zellen und füllt mich vollkommen aus. Er riecht nach Frühling und Sonne, sein immer noch feuchtes Haar streift meine Wange und ein heißer Schauer rast mir den Rücken hinunter.

Das nun warme schwache Leuchten seiner Seele kitzelt mich, verführt mich ihn zu kosten aber ich kann mich beherrschen. Ich warte geduldig bis er sich vor mir zurückzieht und sich dann mit gesenktem Blick von meinem Schoß windet.
 

„Na siehst du, war doch gar nicht so schlimm, oder?“, brumme ich leise und es klingt sogar in meinen eigenen Ohren wie ein Schnurren. Was für ein außergewöhnlicher Junge…
 

„Es… es macht mir nicht so viel aus wenn ich mit Euch etwas tun soll, schlimmer ist es, wenn Ihr versucht etwas mit mir zu tun. Aber ja, es… war nicht schlimm. Ihr… Ihr riecht sehr gut Herr“, bringt er stockend hervor und das Kompliment erstaunt mich einen Moment.
 

Er kann mir nicht in die Augen sehen, versucht mir aber trotzdem zu schmeicheln.
 

„Du musst mir keine schönen Dinge sagen wenn du das nicht willst, Ciel. Ich hätte lieber, dass du ehrlich zu mir bist, denn wenn ich dir helfen soll ist es wichtig, dass du mir sagst wo deine Grenzen liegen, verstehst du mich? Leere Schmeicheleien bringen uns keinen Schritt weiter“, weise ich ihn sanft zurecht und sehe, wie er schon wieder rot anläuft.
 

„Das habe ich ernst gemeint, Herr. Ihr riecht tatsächlich sehr angenehm… nicht so wie Mr. Doyle“, erklärt er dann und blickt mit einem kleinen Lächeln zur Seite.
 

So ein kleines Schlitzohr!

Mich in einem Satz mit diesem widerlichen Bastard zu erwähnen grenzt schon fast an eine Beleidigung! Aber ich kann ihm nicht böse sein, er versucht einfach nur mit dieser Situation irgendwie zurecht zu kommen und daraus kann ich im eigentlich keinen Vorwurf machen.
 

„Tatsächlich? Na da habe ich ja nochmal Glück gehabt“, gebe ich spöttisch zurück und widerstehe knapp dem Drang ihm durch das dunkle Haar zu wuscheln.
 

„Ich fürchte, ich muss Euch nun bitten zu gehen Herr, Ciel ist müde von den Strapazen die er heute erleiden musste und braucht nun dringend Ruhe, damit er Euch morgen angemessen ausgeruht gegenübertreten kann.“
 

Ich habe natürlich gesehen, wie Madame sich dem Tisch genähert hat, aber Ciel hat ihr plötzliches Auftauchen offensichtlich kalt erwischt und er zuckt erschrocken zusammen als ihre Stimme schneidend die entspannte Atmosphäre am Tisch zerstört.
 

Ich will Madame nicht noch weiter reizen und erhebe mich ohne ein Wort des Widerspruchs, verbeuge mich artig vor ihr und hauche ihr sogar einen angedeuteten Kuss auf den Handrücken.
 

„Es war mir eine Freude Eure Anwesenheit genossen zu haben Madame Red. Bis morgen Ciel, ich freue mich schon. Einen angenehmen Abend allerseits“, flöte ich und wende mich dann zum Gehen.
 

Kurz bevor die Türe hinter mir ins Schloss fällt höre ich ein leises Zischen.
 

„In einer Stunde in meinem Büro, Ciel!“
 

Madame klingt wirklich ausgesprochen wütend…
 

TBC

Die Lösung

Ciel
 

Ich weiß wirklich nicht warum Madame Red so wütend auf mich ist.

Was habe ich falsch gemacht?
 

Unsicher klopfe ich eine Stunde später an die Tür zu ihrem Büro und öffne, als ich ihr geknurrtes ‚Herein‘ vernehme.
 

„Hier bin ich, was wünscht Ihr von mir Madame?“
 

Ohne ein Wort zu verlieren deutet sie mir näher an ihren großen Schreibtisch aus dunklem Kirschholz zu treten und schiebt mir ein Blatt Papier zu.
 

Mein Herz setzt für mindestens fünf Schläge aus, als ich erfasse, was dieser Zettel, nein, diese Einladung für mich bedeutet.
 


 

Einladung
 

Am kommenden Samstag, dem 28. August lädt das Bloody Diamond seine Stammkunden zu einer außergewöhnlichen Veranstaltung ein!
 

Im Rahmen des zehnjährigen Bestehens unseres Unternehmens, veranstalten wir eine Auktion der besonderen Art. Als Höhepunkt des Abends wird unser wertvollstes Gut, der junge Ciel, für eine Nacht, inklusive allen Extras an den Höchstbietenden versteigert.
 

Wir bitten um Voranmeldung.
 

Einstiegsgebot für die Hauptauktion beträgt 100 Pfund.
 

Einstiegsgebot für die Spezialauktion beträgt 10.000 Pfund.
 

Wir freuen uns über Ihr zahlreiches Erscheinen und bitte bedenken Sie, für die Spezialauktion werden nur insgesamt fünf Bieter zugelassen.
 


 

„Madame, das kann nicht Euer Ernst sein, ich…“ Meine Stimme bricht. Ich bringe keinen Ton mehr heraus.
 

Das kann sie doch unmöglich von mir verlangen? Eine ganze Nacht!? Mit allen Extras! Ich werde dem Höchstbietenden hilflos ausgeliefert sein! Er wird mich zwingen mit ihm-
 

„Es ist an der Zeit, dass du dich deiner Vergangenheit stellst Ciel! Du hast eine Woche um dich vorzubereiten. Die Einladungen werden morgen verteilt. Ich erwarte von dir, dass du dich und deine Emotionen in den Griff bekommst, denn der Herr der dich ersteigert wird erwarten, dass du dich ihm fügst. Keiner will ein kreischendes Nervenbündel in seinem Bett.“
 

Sie ist so kalt. So unglaublich kalt und abweisend. Was habe ich ihr getan um das zu verdienen?

Fieberhaft gehe ich die Situationen und Gespräche der letzten Tage noch einmal gedanklich durch aber ich komme einfach nicht dahinter, warum sie mir das jetzt antut.
 

„Wer… wer bekommt alles eine Einladung? Steht das schon fest?“, wage ich zu fragen, wobei ich mir die ungefähren Kandidaten schon selbst zusammenreimen kann.
 

Wortlos reicht sie mir ein zweites Blatt.
 

Ernest Hastings

Jeremy Hawthorne

Anthony Webster

Theodor Worthington

Alois Berrington

Frederick Lewis

Alistair Herrick

Lucius Doyle

Derrick Witherby

Percy Abster

Simon Dorough

Brian Connor
 

Als ich den Namen von Mr. Worthington lese, entspanne ich mich kurz, bis ich vier Zeilen tiefer den von Mr. Doyle entdecke. Was wenn er…

Dann fällt mir auf, dass ein Name fehlt.
 

„Was ist mit Mr. Michaelis? Warum steht er nicht auf der Liste?“, platzt es aus mir heraus und in der nächsten Sekunde verfinstert sich das Gesicht der Madame.
 

Wütend funkelt sie mich an und zischt dann: „So heißt er also? Tut mir schrecklich leid Ciel, aber Mr. Michaelis gehört noch nicht zu unseren Stammkunden.“ Jetzt lächelt sie plötzlich wieder, aber es ist ein falsches Lächeln. „Er hat deine Dienste erst einmal in Anspruch genommen und es wäre den anderen Herren gegenüber doch unfair, würde ich ihn zu dieser kleinen intimen Veranstaltung einladen“, erklärt sie mit honigsüßer Stimme.
 

„Aber-“
 

„Kein aber Ciel, und du wirst ihm auch nichts von nächstem Samstag erzählen, hast du mich verstanden? Diese Auktion ist exklusiv für Kunden, die schon seit mindestens einem Jahr zu uns kommen und ich möchte sie nicht mit der Anwesenheit eines Neulings vor den Kopf stoßen! Du konzentrierst dich jetzt allein darauf, dass du das Problem mit deinen Panikattacken löst und sollte ich herausfinden, dass du dich in dem Zeitraum bis nächsten Samstag Mr. Michaelis hingibst, dann gnade dir Gott!“
 

Stock steif stehe ich da. Ich kann nicht glauben was ich da höre.

Ich kenne die Frau die da vor mir hinter dem Schreibtisch sitzt nicht mehr. Ihr Gesicht ist zu einer bösartigen Fratze verzogen und ihre Körperhaltung ist die pure Bedrohung.

Was habe ich ihr nur getan? Welchen Grund habe ich ihr geliefert, so grausam zu mir zu sein?
 

Meine Augen brennen vor Verzweiflung, ich mag gar nicht dran denken, wo ich in genau einer Woche um diese Uhrzeit sein könnte. Wer der Mann sein könnte, der dann schwitzend über mir liegt und mich gegen meinen Willen nimmt.
 

Meine Beine geben fast unter mir nach als ich in einen steifen Knicks sinke.
 

„Ich habe verstanden Madame“, flüstere ich und ziehe mich dann zurück.
 

Mit wackeligen Knien gehe ich hinunter in die Küche zu Charly und hoffe, dass die gutherzige Küchenhilfe immer noch im Haus ist.
 

Aber ich habe leider kein Glück. Der große Raum ist verwaist, der Ofen kalt, und ich stehe mit Tränen in den Augen im Türeingang.

Ein Schluchzen drängt sich meine Kehle hinauf und jetzt, da ich endlich alleine bin und mich niemand hören kann lasse ich meinen Tränen freien Lauf.
 

Eine Woche noch.

Ich habe niemals geplant mit Sebastian so weit zu gehen, dass ich mit ihm... ich wollte nur einfach keine Angst mehr davor haben, wenn fremde Menschen mich anfassen. Mehr wollte ich wirklich nicht.

Und will ich auch jetzt nicht.

Ich weiß, dass ich es nicht schaffen werde meine Ängste innerhalb einer Woche komplett zu besiegen, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Wie auch? Ich lebe nun schon so lange damit, wie soll ich das innerhalb so weniger Tage einfach hinter mir lassen?
 

Schluchzend lasse ich mich in der Ecke mit dem Feuerholz auf den Boden sinken, lehne mich gegen den kleinen Holzstoß und lege meinen Kopf gegen die harten schmalen Scheite.
 

Es gibt nur eine Lösung.

Denn bevor ich zulasse, dass sich auch nur einer dieser Widerlinge an mir vergeht, auch, wenn es der freundliche, sanfte Mr. Worthington werden sollte, werde ich meinem Leben selbst ein Ende setzen.

Ich werde es nicht noch einmal zulassen, dass jemand auf diese Art Hand an mich legt, auf keinen Fall.
 

Plötzlich muss ich an die leuchtenden Augen Sebastians denken.

Eine Woche bleibt uns.

Ich mag ihn. Obwohl mich seine Anwesenheit in tiefste Verwirrung stürzt und ich wirklich schreckliche Angst vor ihm habe.

Nein, eigentlich nicht vor ihm als Mensch an sich.

Eher von dem, was hinter der perfekten Fassade lauert. Ich weiß, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmt.

Ich habe die Gier in seinen Augen gesehen. Das unbezwingbare Verlangen mich zu besitzen und das macht mir Angst.
 

Ich spüre wie sich die feinen Härchen in meinem Nacken aufrichten wenn ich nur an seinen Anblick denke, wie er mich angestarrt hat, als ich vor ihm auf dem Boden getanzt habe. Wie der Wolf seine Beute.
 

Und doch habe ich bei ihm das Gefühl, dass ich sicher bin.

Es ist verrückt! Er hat mir selbst gesagt, dass er mich verletzen wird.

Er hat nicht gesagt wie, oder wann, aber er wird es tun, daran besteht kein Zweifel.
 

Erschrocken zucke ich zusammen als sich die Tür zum Garten öffnet und eine dunkle Gestalt ins Innere der Küche schlüpft.

Ängstlich presse ich mir eine Hand auf den Mund. Ein Einbrecher?
 

Vorsichtig huscht der Schatten durch den Raum, dann rumpelt es plötzlich, als er gegen einen kleinen, mit Wasser gefüllten Holzeimer stößt. Ich kann deutlich hören, wie der Inhalt über den Rand schwappt und dann erklingt ein helles Quietschen.
 

„Oh nein, so ein Mist!“
 

Erleichtert Atme ich aus.
 

„Charly?“
 

Oh nein! Selbst ich höre, dass meine Stimme verheult klingt.
 

„Ciel? Was machst du denn um diese Zeit noch hier? Ist alles in Ordnung?“ Plötzlich flammt ein Streichholz auf, dann eine Kerze und im nächsten Moment sitzt Charly auch schon neben mir. Der Saum ihres Kleides ist komplett durchnässt und ich kann die kleine Pfütze auf der anderen Seite des Raumes erkennen, aber sie scheint das erst mal völlig kalt zu lassen. „Meine Güte, Junge! Was ist denn mit dir passiert?“, fragt sie geschockt und zieht mich ungefragt einfach an ihre Brust.
 

In der ersten Sekunde will ich mich wehren. Ich will nicht schon wieder wie ein kleines Kind getröstet werden nachdem ich gerade so eine schwerwiegende Entscheidung getroffen habe.

Ich will nicht, dass sie mir sagt, dass alles wieder gut wird, oder noch schlimmer, mir versucht Hoffnung zu geben, denn dann werde ich nur zweifeln und es wird mir noch schwerer fallen das zu tun, was getan werden muss.
 

„Es ist nichts, wirklich nicht“, versuche ich sie zu beruhigen, schaffe es aber nicht sie von mir zu schieben. Es fühlt sich einfach so gut an von ihr gehalten zu werden.
 

„Ciel erzähl mir doch nichts. Dein Gesicht ist geschwollen! Ich könnte schwören, dass dich schon wieder wer geschlagen hat. Außerdem habe ich dich vorhin schreien gehört. Ich habe eine Stunde auf dich gewartet, aber als du nicht kamst, dachte ich, dass es vielleicht nicht so schlimm war. Warum bist du dann jetzt trotzdem hier?“
 

„Das gleiche könnte ich dich fragen“, gebe ich ausweichend zurück, ich will jetzt nicht reden.
 

„Ich habe meine Tasche liegengelassen! Ist das nicht zu dumm? Oder einfach nur ein glücklicher Zufall? Glück im Unglück sozusagen? Jetzt komm Ciel, raus mit der Sprache! Was ist passiert, dass du nachts um diese Zeit in meiner Küche hockst und dir die Augen ausweinst? Du bist doch sonst keine Heulsuse!“, versucht sie es auf die humorvolle, sanfte Art und schließlich gebe ich nach.
 

Ich will nicht alles erzählen, zu viel ist heute passiert, aber das was am schwersten wiegt kann ich mit ihr teilen, vielleicht ist das Gewicht dessen was mich erwartet dann leichter zu tragen.
 

„Es wird eine Auktion geben in sieben Tagen. Madame will mich verkaufen. Für eine ganze Nacht. Mit allem, was dazu gehört.“ Ich spüre wie immer mehr Tränen mein Gesicht hinunterlaufen und frage mich warum? Es wird ohnehin nicht dazu kommen! Entweder ich löse das Problem noch im Bordell, oder dann vor Ort, das werde ich dann sehen wenn es soweit ist. Die Entscheidung ist gefallen, warum kann ich dennoch nicht aufhören zu weinen?
 

„Oh mein armer kleiner Ciel! Wie kann sie das tun!? Ich verstehe die Madame nicht! Sie verdient so viel Geld mit dir, so unglaublich viel wie keine andere Bordellbesitzerin in ganz London mit irgendeinem ihrer Mädchen oder auch Jungen, warum tut sie das?“
 

Ihre Umarmung wird noch einen Tick fester und ich lasse mich dankbar ihn ihre Wärme einsinken. Vielleicht ist so ein bisschen Trost doch gar nicht so verkehrt?
 

TBC

Die Ausfahrt

Sebastian
 


 

Es ist Sonntagmittag, genau fünf Minuten vor zwölf und ich klopfe schwungvoll gegen die hölzerne Eingangstür des ‚Bloody Diamond‘. Es dauert eine ganze Zeit, bis sich die Türe öffnet und eine junge Frau mit warmen braunen Augen und einer hoffnungslos verwuschelten, blonden Mähne ihren Kopf nach draußen steckt.
 

„Ja bitte? Was wünschen Sie?“, fragt sie mit einem freundlichen Lächeln und auch wenn sie auf mich einen sehr netten Eindruck macht bezweifle ich stark, dass sie eine von den Huren ist, die man hier im Bordell buchen kann.
 

„Ich möchte gerne zu Ciel. Ich habe eine… Verabredung mit ihm“, erkläre ich mit einem ebenso freundlichen Lächeln und warte, dass sie mich eintreten lässt.
 

Allerdings blockiert sie weiter die Tür und verzieht dann ihr rundes Gesicht zu einem entschuldigenden Lächeln.
 

„Tut mir leid mein Herr, aber das Haus hat für Besucher erst ab fünfzehn Uhr geöff-“
 

„Nein, nein Miss Rutherford, das ist schon in Ordnung. Mr. Michaelis darf eintreten“, mischt sich eine Stimme aus dem Hintergrund ein, die ich mühelos als die von Madame Red erkenne.
 

„Oh, verzeihen Sie, das wusste ich nicht!“, entschuldigt sich die junge Frau, öffnet die Tür und zieht sich dann zurück, als die Madame mit wehenden Röcken auf mich zu schwebt.
 

„Mr. Michaelis, es ist mir eine wahre Freude Euch wiederzusehen!“, erklärt sie und hält mir ihre Hand hin.
 

Mit einem spöttischen Lächeln verbeuge ich mich vor ihr und hauche einen Kuss auf ihren Handrücken, worauf hin sie verzückt aufseufzt.
 

„Die Freude ist ganz meinerseits. Ist Ciel bereit? Ich möchte sofort aufbrechen, unsere Zeit ist begrenzt“, entgegne ich und sehe belustigt, wie sich ihr Lächeln verfinstert. Es passt ihr wirklich gar nicht, dass ich mich für den Kleinen mehr interessiere als für sie. „Es ist nämlich so Madame, ich möchte gerne pünktlich wieder vor Ort sein, damit ich mich anschließend bei Euch für Eure Großzügigkeit mir gegenüber gebührend bedanken kann“, schnurre ich ihr ins Ohr und sofort strahlt sie über das ganze Gesicht.
 

„Ich werde ihn sofort holen gehen Mylord, einen Augenblick!“
 

Und schon ist sie die Treppe hinauf verschwunden.
 

Frauen sind so leicht zu durchschauen, und je eifersüchtiger sie ist, und je mehr sie es an Ciel auslässt, desto schneller wird er sich in meine Arme flüchten.

Des Weiteren erscheint mir auch die Seele der Madame immer schmackhafter. Sie leidet unter der Zuneigung, die ich Ciel offen entgegenbringe. Sie hat in ihrem Leben noch nicht viel, oder auch gar keine Liebe erfahren. Nicht, dass sie die von mir bekommen würde, aber ich weiß, dass ich auf Frauen diese ganz spezielle Wirkung habe.

Sie spüren die Dunkelheit in mir. Sie fühlen sich davon angezogen wie die Motte vom Licht, wissen im Prinzip, dass sie sich an mir nur verbrennen werden, aber das hält sie nicht davon ab sich mir scharenweise zu Füßen zu legen.
 

Ciel wird der Hauptgang und wer weiß, vielleicht gibt Madame Red ja ein ganz annehmbares Dessert ab?
 

Meine Gedanken werden von den Schritten, die sich mir über die Treppe nähern, unterbrochen.
 

Da ist er, mein kleiner Ciel.

Ich nehme an, er musste sich noch umziehen, da ich mir nicht vorstellen kann, dass er tatsächlich in einer knielangen, graubraun karierten Hose, einem dunkelbraunem kurzen Hemd und schwarzen Kniestrümpfen, sowie schwarzen Schnallenschuhen auf mich in seinem Zimmer gewartet hat.

Er sieht erstaunlicherweise gar nicht mehr aus, wie ein Freudenmädchen, eher wie ein junger Halbwüchsiger, der gerade auf dem Weg zu seinem ersten Jahr auf der Universität ist.

Das gefällt mir.
 

„Schönen guten Tag, Mr. Michaelis“, begrüßt er mich mit einem verhaltenen, aber doch dezent koketten Lächeln und sinkt in einen tiefen Knicks. Doch noch eine Bordsteinschwalbe.
 

Ein amüsiertes Grinsen drängt sich in meine Mundwinkel, als ich meine Hand nach ihm ausstrecke.
 

„Genug der Förmlichkeiten Ciel, lass uns gehen! Ich habe viel vor mit dir!“
 

Zögernd lässt er seine Hand in meine gleiten. Das scheint ihm nichts auszumachen, das hat er schon einmal getan, also bin ich der Meinung, dass wir darauf aufbauen sollten. Unschuldige kleine Gesten, die keinen sexuellen Charakter haben und bei denen er sich langsam an mich gewöhnt.
 

„Viel Vergnügen Ihnen beiden und dass Ihr ihn mir ja um Punkt sechs wieder hier abliefert, sonst muss ich Ihnen das extra berechnen!“, ruft uns Madame hinterher als ich Ciel zu dem schon wartenden schwarzen Zweispänner führe und zwinkert mir dann neckisch zu.
 

Offensichtlich denkt sie diesmal an eine andere Bezahlung als an Bargeld.
 

Ohne noch etwas zu erwidern hebe ich den Jungen hinauf in die Kutsche und springe dann mit einem Satz hinterher.

Amüsiert beobachte ich ihn dabei, wie er mit andächtigen Bewegungen über das weiche Leder der Sitze streicht.
 

„Ihr seid sehr reich Herr, oder?“, fragt er dann und wird rot.
 

„Das könnte man so sagen Ciel. Spielt das denn eine Rolle für dich?“
 

„Nein, aber für Madame. Sie wird immer mehr von Euch verlangen wenn Ihr weiter meine Nähe sucht.“
 

Sein Blick ist ausweichend. Etwas bedrückt ihn. Gestern wollte er noch, dass ich ihm helfe seine Ängste zu besiegen, heute macht er auf mich den Eindruck als… ich kann es nicht genau bestimmen…
 

„Aber das ist es doch was du willst, oder? Anders werde ich dir nicht helfen können Ciel, das verstehst du doch?“
 

„Natürlich.“
 

Er setzt sich und blickt auf den Boden der Kutsche. Seine Hände liegen ineinander verschlungen auf seinen Oberschenkeln. Allerdings macht er auf mich nicht den Eindruck als würde er seine Sorgen mit mir teilen wollen und da ich bereits vermute, dass sie in direktem Zusammenhang mit der Eifersucht der Madame stehen, werde ich ihn auch nicht drängen darüber zu sprechen.

Verzweiflung würzt die Seele…
 

„Wir werden einen Ausflug in den Hyde Park machen. Ich habe eine Kleinigkeit zu Essen vorbereitet und ich habe mir ein paar kleinere Übungen überlegt, wie wir deine Angst vor Nähe und Berührungen abschwächen können.“
 

„Warum in einen Park? Werdet Ihr Euch nicht furchtbar schämen, wenn ich inmitten anderer Menschen einen hysterischen Anfall bekomme? Man wird Euch für einen perversen Lüstling halten“, gibt er mit einem schelmischen Lächeln zu bedenken und ich weiß nicht ob ich mich freuen soll, dass er sich augenscheinlich wieder beruhigt hat, oder ob es mich traurig stimmen soll, dass das Leuchten seiner gequälten Seele für den Moment nur ein leises Schimmern ist.
 

„Ich denke, du wirst dich im Schutz der Masse, unter den Augen der anderen Menschen, besser entspannen und dich freier bewegen, als in deinen eigenen vier Wänden, wo alles nach Sex schreit und du permanent an deine Arbeit denken musst. Ich will mich dir heute nicht als dein Kunde, sondern als dein Freund nähern. Ich werde dich über den Tag immer wieder an verschiedenen Stellen deines Körpers berühren. Mal absichtlich, mal unabsichtlich, aber keine meiner Berührungen wird darauf abzielen mir sexuelle Befriedigung zu verschaffen. Ich werde-“
 

„Verzeiht, dass ich Euch unterbreche Herr, aber Ihr habt für diesen Nachmittag 5000 Pfund bezahlt! Es leuchtet mir nicht ein warum Ihr das tun solltet, wenn für Euch nichts dabei herausspringt? Was versprecht Ihr Euch davon? Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Ihr mir helfen wollt, aber Ihr müsst nicht so weit gehen und Euer eigenes Vergnügen so weit hinten anstellen“, unterbricht er mich, und verleitet mich zu einem leisen Lachen.
 

Was für ein merkwürdiges Kind…

Will sich nicht anfassen lassen, erbittet Hilfe von mir und dann ist es ihm nicht Recht, wenn ich seinen Wünschen entspreche? Versteh einer die Menschen!
 

„Nun Ciel, ich erhoffe mir einiges von diesem Vorgehen. Ich möchte dein Vertrauen gewinnen. Und das werde ich kaum bekommen, wenn ich bei jeder Gelegenheit wie ein Tier über dich herfalle, obwohl ich gestehen muss, dass ich diesen Gedanken als durchaus anregend empfinde“, gebe ich offen zu und lache laut, als er bei meinem letzten Eingeständnis seine Augen aufreißt und mich geschockt anstarrt. „Aber für den Moment bist du vor mir und meiner Gier nach dir sicher Ciel, das verspreche ich dir.“
 

Langsam entspannen sich seine Schultern, aber der Blick mit dem er mich mustert bleibt weiter misstrauisch. Ein wirklich kluger Junge.
 

Holpernd fährt die Kutsche durch London und ich habe den Eindruck, dass Ciel nicht oft aus dem Bordell hinauskommt.

Er sitzt mit weit aufgerissenen Augen in der Kutsche und saugt alles, was wir auf unserem Weg in den Park erblicken, in sich auf. Familien, die sich scherzend und lachend durch die Menge bewegen, die Marktschreier, die mit lauter Stimme ihre Waren anpreisen, die reich verzierten Kutschen die unseren Weg kreuzen und so vieles mehr.

London ist keine schöne, und schon gar keine saubere Stadt, aber sie besitzt einen gewissen Charme, dem man sich nur schwerlich entziehen kann.
 

Wenig später sind wir an unserem Ziel angelangt und ich helfe dem Jungen aus der hohen Kutsche.
 

„Ich war noch nie in diesem Park. Glaube ich. Und wenn, dann ist es so lange her, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann“, erzählt Ciel und läuft mit großen Schritten voraus. Er mag schon sechzehn sein, ein Alter, in dem viele junge Männer schon an ihre Zukunft denken, sich in die Geschäfte der Väter einweisen lassen, oder sich ganz auf ihr Studium konzentrieren, aber er bewegt sich mit einer Unbedarftheit, wie sie eigentlich nur Kindern zu eigen ist.
 

Als wäre die Zeit für ihn einfach stehen geblieben.

Eigentlich wundert es mich nicht, denn wenn man nichts anderes kennt als jeden Tag an einem Fenster zu sitzen, in einem der schlimmsten und verruchtesten Vierteln der Stadt, wie soll man sich da normal entwickeln?

Und doch hat er es fertig gebracht seine Seele so rein zu halten, ist nicht an den Schrecken seiner Vergangenheit zerbrochen und tänzelt nun anmutig vor mir über die Wiese wie ein kleines Rehkitz, das vor lauter Überschwang gar nicht weiß wohin mit seiner Freude.
 

Strahlend dreht er sich zu mir um, breitet seine Arme aus und dreht sich im Kreis.
 

„Gefällt es dir hier?“, frage ich und laufe ihm langsam, mit dem Korb mit unserem Picknick am Arm, hinterher.
 

„Es ist herrlich, vielen Dank Herr!“
 

„Nichts zu danken. Komm, hier ist ein guter Platz.“
 

Lächelnd nehme ich eine rotgrün karierte Decke aus dem Korb und breite sie auf dem Rasen unter einem Baum aus. Ich weiß um die Wirkung die diese Szenerie auf Menschen hat. Sie verbinden damit Romantik und Entspannung und nichts anderes ist es, worauf ich abziele.

Er soll sich wohl fühlen.

Schmunzelnd klopfe ich auf den Platz neben mir und warte geduldig, bis er sich an meiner Seite auf die Knie niederlässt.
 

„Hast du Hunger?“
 

TBC

Die Annäherung

Ciel
 


 

„Hast du Hunger?“, fragt er mich und lächelt freundlich.
 

So sehr ich mich auch bemühe, ich finde in seinem Blick nichts Verschlagenes, nichts Hinterlistiges.

Er hat mir erst vor wenigen Minuten gesagt, dass er am liebsten über mich herfallen würde und mich damit fast zu Tode erschreckt, aber anscheinend hat er das nicht ernst gemeint, denn gerade macht er auf mich schon fast einen brüderlichen Eindruck.

Er hat nichts mehr mit dem Mann gemeinsam, der mir vor drei Tagen in meinem Zimmer gegenübergesessen, mich mit seinen Augen fast verschlungen, und mein Herz vor Angst beinahe zum Stillstand gebracht hat.
 

Der Park hat eine unglaublich entspannende Wirkung auf mich. Ich kann mich tatsächlich nicht erinnern jemals hier gewesen zu sein, umso schöner finde ich es, dass ich in meinen letzten Tagen die Gelegenheit habe, einen solch wundervollen Ort zu besuchen.
 

„Hunger direkt nicht… aber ich könnte schon etwas essen…“, erwidere ich. Ich will ihn nicht anlügen, aber auch nicht vor den Kopf stoßen. Ich habe nicht erwartet, dass wir das Bordell verlassen und extra vorhin schon eine Kleinigkeit gegessen, damit ich mich ganz auf unsere ‚Studien‘ konzentrieren kann und nicht von einem knurrenden Magen abgelenkt werde.
 

Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass sich in dem großen Korb allerlei Köstlichkeiten verstecken, und ich bin schon etwas neugierig, was er mir wohl mitgebracht hat.
 

„Nun, wie wäre es dann mit etwas Obst?“, fragt er, öffnet den Deckel und zieht eine Traube herrlich praller, roter Weintrauben heraus.
 

Ich habe sofort ein Bild davon im Kopf, wie er von mir verlangt sie ihm aus der Hand zu naschen, oder von seinen Lippen zu pflücken, sie mit ihm zu teilen, aber dann fällt mir wieder ein, dass wir uns hier mitten in der Öffentlichkeit befinden und er hat außerdem gesagt, dass er heute keine sexuell angehauchten Handlungen an mir vollziehen will.
 

Ob mich das jetzt erleichtert oder enttäuscht, kann ich merkwürdigerweise nicht sagen.
 

„Was machst du denn für ein Gesicht Ciel?“, fragt er lächelnd, streckt eine Hand nach mir aus und streicht mir eine Haarsträhne aus der Stirn, die aber fast sofort wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückrutscht.
 

Eine Sekunde werde ich stocksteif, aber als er sich wieder zurückzieht entspannen sich meine Schultern und ich stoße erleichtert meinen Atem aus. Das hat er also gemeint.

Nun, damit kann ich umgehen… denke ich…
 

„Es ist nichts Herr“, antworte ich und zwinge meine Lippen in ein heiteres Lächeln.
 

„Na, na, na! Wir hatten doch ausgemacht, dass wir ehrlich zueinander sind, oder?“
 

Erschrocken blinzle ich über den ungehaltenen Ausdruck in seinem Blick.
 

„Ich… es tut mir leid Herr, das kommt ganz automatisch“, rechtfertige ich mich und weiß nicht wohin ich schauen soll.
 

Es ist gar nicht so einfach sich natürlich zu verhalten, wenn man sechs Jahre lang ein falsches Lächeln zur Schau getragen hat.
 

„Schon gut, mach dir keine Gedanken. Das wird schon noch“, sagt er dann und ich merke erst als er seine Hand zurückzieht, dass er mir seine Finger beschwichtigend auf den Unterarm gelegt hat.
 

Fasziniert starre ich auf die Stelle wo er mich gerade angefasst hat, ohne dass ich es wirklich bemerkt habe. Erstaunlich!
 

„Danke…“
 

Lächelnd halte ich ihm meine Hand entgegen, damit er mir von den Trauben geben kann. Unsere Hände haben sich jetzt schon öfters berührt, das macht mir auch nicht so viel aus, aber als er jetzt eine Handvoll der kleinen blauroten Früchte in meine Handfläche legt und seine Fingerspitzen hauchzart meine Haut berühren, durchfährt mich ein wohliger Schauer.

Was war das?
 

„Stimmt etwas nicht Ciel?“
 

Es ist fast unheimlich wie aufmerksam er ist. Seine rostroten Augen verfolgen jede meiner Bewegungen aber ich empfinde es erstaunlicherweise nicht als bedrohlich. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass er auf mich aufpasst und mich beschützt.

Wovor weiß ich allerdings selbst nicht.
 

„Nein, es ist alles in Ordnung.“
 

Diesmal ist mein Lächeln echt und er grinst zufrieden.

Mein Herz macht einen kleinen Sprung und kommt aus dem Takt.

Dieser Mann verwirrt mich. Er bringt mich so durcheinander, wie ich es noch nie erlebt habe.
 

Ohne weiter darüber nachzudenken rücke ich noch etwas näher zu ihm hin, bis mein Knie beinahe seine Hose streift, lehne mich mit dem Rücken gegen den breiten, rauen Stamm des Baumes und schiebe mir immer wieder eine der köstlichen Trauben in den Mund.
 

Ein bisschen traurig bin ich schon.
 

Da sitze ich hier, genieße das Leben, wenn auch nur für wenige Stunden und in nicht einmal einer Woche soll alles vorbei sein. Warum kann es nicht einfach so bleiben?
 

„Warte, du hast da etwas Beerensaft an deiner Wange“, fällt Sebastian unvermittelt in meine Gedanken ein.
 

Er lässt mir gar keine Zeit für irgendeine Reaktion, da hat er auch schon seine Hand nach meinem Gesicht ausgestreckt und den Tropfen mit seinem Finger von meiner Wange gewischt.

Er hat vollkommen recht mit dem, was er vorhin in der Kutsche gesagt hat. Ich bin hier viel entspannter, viel gelöster und es macht mir tatsächlich weniger aus hier von ihm berührt zu werden.

Ich sehe ihm dabei zu, wie er den Saft auf seinem Handschuh fixiert. Kurz habe ich den Eindruck, als würde er ihn ablecken wollen. Ein angenehmes Kribbeln breitet sich in meinem Magen aus als ich mir vorstelle, wie seine Zunge über das weiche Leder streicht, den Tropfen aufnimmt, der kurz zuvor noch meine Haut geküsst hat.

Dann ist der Moment vorbei und er wischt seinen Handschuh an der weichen Decke neben sich ab. Schade…
 

„Herr, warum tut Ihr das?“
 

„Was meinst du?“
 

Die Verwirrung steht ihm ins Gesicht geschrieben.
 

„Warum seid Ihr so freundlich zu mir? Ich bin beschädigte Ware. Was habt Ihr davon mir zu helfen?“
 

„Ciel, das Thema hatten wir doch schon“, versucht er mich abzuwimmeln, aber ich will wissen, was hinter all dem steckt. Er kann mir nicht weißmachen, dass alles was er von mir will mein Vertrauen ist.
 

„Gut, dann sagt mir was Ihr damit meintet, dass Ihr mich verletzten werdet. Ich weiß, dass Ihr mich wollt. Ihr habt es mir offen gesagt und ich muss zugeben, dass mir der Gedanke nicht behagt und ich nicht weiß, wie ich mich Euch gegenüber verhalten soll. In der einen Sekunde seid Ihr so freundlich zu zuvorkommend zu mir, und dann sagt Ihr mir, dass Ihr mir wehtun werdet und über mich herfallen wollt.“
 

Mein Magen zieht sich bei meinen eigenen Worten zusammen und ich spüre wie mir heiß wird. Was ist mit diesem Mann, dass ich mich so zu ihm hingezogen fühle, obwohl ich weiß, dass er nicht gut für mich ist?
 

„Es ist noch nicht die Zeit gekommen dir das zu offenbaren, Ciel. Zuerst müssen wir uns darum kümmern, dass wir deine Ängste besiegen. Alles andere ist für den Moment unwichtig“, entgegnet er mit mildem Tadel in der Stimme und ich senke beschämt und unzufrieden den Blick.
 

Er hat für mich bezahlt. Ich habe nicht das Recht ihm Vorhaltungen zu machen.

Allerdings hat er auch gesagt, ich soll ehrlich zu ihm sein und so mache ich mir nicht die Mühe ihn freundlich anzulächeln, denn gerade eben ist mir eher danach meine Arme zu verschränken und mich von ihm abzuwenden. So viel Freiheit kann ich mich mir zwar unmöglich herausnehmen, aber ich kann ihm trotzdem zeigen, dass ich mit dem Verlauf des Gesprächs nicht einverstanden bin.

Stumm starre ich ihn an und warte gespannt, wie er darauf reagiert.
 

„Das wird doch nicht tatsächlich eine ehrliche Reaktion gewesen sein?“
 

Er lacht.

Er lacht mich aus! Ist das zu fassen?

Ich spüre wie ich langsam wütend werde. Was fällt ihm ein mich dafür auszulachen, dass ich-
 

„Hört auf zu lachen!“, verlange ich und schupse ihn. Damit haben weder er noch ich gerechnet und so sehe ich schockiert dabei zu, wie er immer noch lachend zur Seite kippt. Ich rechne schon damit, dass er wutschnaubend auf die Füße springt und mich zurechtweist, aber er lacht einfach weiter.

Was für ein grotesker Anblick!

Da liegt der schönste Mann von ganz London in seinem Anzug auf einer dünnen Decke in der Wiese und hält sich den Bauch vor Lachen.

Ich spüre, wie ein Lächeln an meinen Mundwinkeln zupft. Eigentlich ist es absolut lächerlich. Aber ich bin immer noch wütend. Denke ich… „Ich habe gesagt, Ihr sollt aufhören zu lachen!“, wiederhole ich und schüttle ihn an der Schulter, aber das scheint ihn gar nicht zu interessieren. Selbst schon halb lachend beuge ich mich über ihn und rüttle immer heftiger an ihm, bis ich auf einmal das Gleichgewicht verliere und über ihn kullere.

Plötzlich packt er mich. Ich habe kurz Angst, dass er mich gleich auf den Rücken wirft und mich unter sich einsperrt, und öffne schon den Mund um zu protestieren, als er sich selbst auf den Rücken dreht, mich auf seine Brust zieht und mich dann anfängt zu kitzeln.
 

Oh verdammt! Ich wusste nicht einmal, dass ich kitzlig bin!

Kichernd winde ich mich über ihm und versuche seine Hände wegzuschieben, die plötzlich überall auf meinem Körper sind. Es fühlt sich nicht an wie eine Bedrohung, zumindest nicht bis zu dem Zeitpunkt, als ich dann langsam denke, dass mein Bauch gleich platzt vor lauter Lachen.
 

„Hast du genug?“, fragt er mich grinsend und schiebt mich von sich auf die Decke, wo ich keuchend auf der Seite liegenbleibe und erschöpft nach Luft ringe. „Ich wusste gar nicht, dass man so kitzlig sein kann!“ Ich höre das Grinsen in seiner Stimme, kann aber nicht antworten. Mein Bauch tut weh und meine Lungen schreien nach Sauerstoff. Mein ganzer Körper glüht an den Stellen wo er mich berührt hat, aber ich kann nicht behaupten, dass es mir unangenehm wäre.
 

Schockiert stelle ich fest: Ich gewöhne mich langsam an ihn.

Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass ich eine andere Art von Berührung von ihm so einfach wegstecken kann. Würde er jetzt dasselbe tun wie vor drei Tagen, wäre das Ergebnis wahrscheinlich das Gleiche, aber jetzt gerade, jetzt in diesem Moment, fühle ich mich einfach nur wohl. Sicher.
 

Der Nachmittag vergeht wie im Flug. Die Zeit rennt viel zu schnell dahin und nur allzu bald ist es an der Zeit den Rückweg anzutreten.
 

„Ich hatte viel Spaß heute Mr. Michaelis, ich danke Euch“, sage ich und lächle ihn aufrichtig an. Diese paar Stunden haben einerseits nicht viel geändert und doch eine ganze Menge.
 

Er hat mich im Lauf des Nachmittages wirklich immer wieder mal berührt, aber jedes Mal war es weniger irritierend für mich und als er jetzt seine Hand auf meinen Kopf legt, empfinde ich es nicht als unangenehm und wundere mich über das leise Bedauern, als er seine Finger wieder zurückzieht.
 

„Es hat mir auch sehr viel Freude bereitet meine Zeit mit dir zu verbringen. Übermorgen werde ich wiederkommen und dann werden wir die nächsten Schritte einleiten.“
 

Ich spüre wie meine Handflächen feucht werden bei diesen Worten. Natürlich ist mir klar, dass wir nicht ewig so weitermachen können, denn unser Ziel ist ja ein gänzlich anderes, aber es war schön sich in diese Illusion von Freundschaft zu flüchten. Wenn auch nur für einen halben Tag.
 


 

TBC

Der Versuch

Sebastian
 


 

Nachdem ich Ciel im Bordell abgeliefert habe, habe ich mich mit einer ziemlich fadenscheinigen Ausrede bei Madame Red dafür entschuldigt, dass ich leider noch einen weiteren Termin habe, den ich einhalten muss.

Ihr enttäuschtes Gesicht hat mich beinahe zum Lachen gereizt. Es macht Spaß mit ihren Gefühlen zu spielen und als ich dann zu Fuß im Bordell nebenan bei Madame Sam* verschwunden bin, konnte ich den scharfen gequälten Aufschrei ihrer Seele fast körperlich spüren.
 

Ich habe keinen Termin bei Madame Sam, aber ich kenne sie noch von früher und als ich festgestellt habe, dass das Bordell nebenan ihr gehört, habe ich spontan beschlossen, sie auf eine Tasse Tee zu besuchen, und mit ihr über das Geschäft zu plaudern, was Madame Red natürlich nicht wissen kann.
 

Später am Abend ziehe ich mich dann in meine eigene Welt zurück. Nicht, dass ich mich dort nicht langweilen würde, aber in meinen eigenen vier Wänden lässt sich die Zeit bis zu meinem nächsten Treffen mit Ciel doch leichter und vor allem schneller verbringen.

Außerdem zehrt der menschliche Körper an meinen Nerven, in den ich gezwungen bin mich in der Menschenwelt zu hüllen. Diese ganzen niederen Gelüste und Bedürfnisse sind so müßig und anstrengend. Da ziehe ich es doch vor, malwieder etwas Zeit in meiner Heimat zu verbringen, wo ich das alles ablegen, und einfach nur davon träumen kann, welches Festmahl mich erwartet, wenn ich Ciel irgendwann da habe, wo ich ihn haben will.
 

Kurz hatte ich in Erwägung gezogen, Ciels Wunsch nach Hilfe zur Beseitigung seiner Ängste, in einen Vertrag zu packen, aber der Junge ist nicht dumm.

Er vertraut mir noch nicht und wünscht es sich nicht verzweifelt genug um sich dafür bewusst mit einem Teufel einzulassen, deshalb habe ich mich auf das kleine Abenteuer eingelassen, ihn mehr oder weniger ohne Gegenleistung von seiner Phobie zu befreien. Danach wird er ohnehin so gut wie mir gehören und mit Hilfe der Madame werde ich ihn dazu bringen, mit mir einen Vertag zu schließen. Er hat nicht den Hauch einer Chance.
 

Endlich ist es soweit.

Ohne irgendwelche Zwischenfälle oder Proteste werde ich von einer sehr schweigsamen Madame Red zwei Tage später hinauf zu Ciel gebracht. Ich bin früh dran, denn ich habe nicht die Absicht mich mit der Madame abzustreiten, falls wieder ein Freier vor mir eingetroffen sein sollte.

Lächelnd habe ich ihr ein Bündel Geldscheine in die Hand gedrückt. 2000 Pfund. Für zwei Stunden. Die sollten für heute genügen. Ich darf den kleinen Kerl nicht überanstrengen und ich selbst bin auch nur ein Teufel. Selbst meine Selbstbeherrschung hat Grenzen und da ich heute vorhabe, weiter zu gehen als am Sonntag, muss ich den Zeitrahmen etwas eingrenzen.
 

Als die Tür sich öffnet und ich den Jungen in dem rotgoldenen großen Stuhl erblicke, habe ich das Bedürfnis mich umzudrehen und direkt wieder zu gehen, weil ich sonst Gefahr laufe ihn gleich jetzt, gleich dort über die Lehne des Sessels zu werfen, ihn erst so heftig zu nehmen, bis er sich heiser geschrien hat und dann-
 

Stopp! Aufhören! Ich mache mich selbst verrückt mit diesen Gedanken!
 

Trocken schluckend mache ich einen Schritt in den Raum und werfe der Madame einfach die Tür vor der Nase zu, was diese nur mit einem empörten Schnauben quittiert. Zum Glück. Hätte sie versucht mich jetzt von diesem Anblick loszureißen, hätte ich ihr wahrscheinlich, ohne hinzusehen, den Kopf abgerissen.
 

Da sitzt er.

Mein kleiner, wunderschöner Ciel.
 

Seine Augen sind riesig, starren mir voller Angst entgegen und ich kann mir gut vorstellen, wie ich gerade auf ihn wirken muss, aber er ist selbst schuld. Was muss er sich auch so kleiden, dass jedem Mann, völlig egal, ob er sich von Jungen oder Mädchen angezogen fühlt, zwangsläufig das Wasser im Mund zusammenlaufen muss?
 

Alles was er trägt ist ein übergroßes weißes Hemd.

Er kniet mit weit gespreizten Beinen auf der Sitzfläche des Sessels und der Stoff verdeckt gerade so seine Mitte, wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass er darunter völlig nackt ist, auch, wenn es auf den ersten Blick so wirkt.

Seine milchweißen Schenkel schimmern in dem schwachen Licht, das durch die zugezogenen Vorhänge dringt und locken mich, flüstern mir zu, dass sie von mir berührt werden wollen.

Das Hemd ist nur halb zugeknöpft und hängt schräg über seiner schmalen Gestalt, entblößt seine linke Schulter fast komplett hinunter bis zu seiner Brust und sein Blick…
 

Der vergeht fast vor Angst.

Er hat wohl nicht damit gerechnet, dass ich so auf seinen Aufzug reagieren werde, aber ihm muss doch klar sein, wie das was er da trägt, und vor allem wie er es trägt, auf mich wirken muss? Oder hat Madame ihn gezwungen das genau so anzuziehen, und sich in dieser Position hinzuknien?

Wartet sie am Ende schon sehnsüchtig auf den ersten Schrei, damit sie mich direkt wieder aus dem Zimmer jagen, sich anschließend einschmeicheln, und mich dann in ihr eigenes Bett locken kann?

Ja, das klingt schon sehr nach ihr, aber so leicht lasse ich mich nicht übertölpeln. Ich bin ein Meister der Manipulation und auch wenn ich zugeben muss, dass mich Ciels Anblick für einen kleinen Moment wirklich überrumpelt hat, werde ich mich von einem Menschen nicht an der Nase herumführen lassen.

So weit kommt es noch.
 

„Hallo Ciel, schön dich zu sehen“, begrüße ich ihn, als ich sicher bin, dass ich beim ersten Wort nicht direkt anfange zu sabbern und trete langsam auf ihn zu.
 

„M-mylord“, erwidert er mit einem demütigen Senken seines Kopfes und gibt sich augenscheinlich die größte Mühe seine Fassung zu bewahren.
 

„Hab keine Angst, ich war eben nur überrascht. Ich werde nichts tun, was du mir nicht erlaubst. Steh auf Ciel und komm zu mir.“
 

Er zögert nur einen Augenblick, dann klettert er vom Stuhl und stellt sich vor mich hin, sieht aus großen Augen zu mir auf und ich habe einen Moment das Gefühl, als würde ich in den blauen Tiefen ertrinken.

Wie kann ein einfacher Mensch so eine Wirkung auf mich haben?
 

Abwartend steht er da. Ganz ruhig. Als würde er mir vollkommen Vertrauen und hätte ich ein Gewissen, würde ich jetzt gehen und nie wieder zurückkehren, weil er von mir nichts als Schmerz, Tod und Verderben zu erwarten hat. Aber ich bin ein Teufel und wenn ich ihn dabei sehe, wie er sich immer mehr und mehr auf mich einlässt, sich immer tiefer in dem Netz verstrickt das ich um ihn webe, muss ich mich beherrschen mir nicht genüsslich die Lippen zu lecken.
 

Langsam hebe ich meine Hand und lege sie an seine Wange. Fast sofort drückt er sein Gesicht in meine Handfläche, wie er es schon bei unserem ersten Treffen getan hat, wirkt heute dabei aber wesentlich entspannter.

Mit der anderen Hand streife ich das weite Hemd auch über seine andere Schulter, bis es lautlos zu Boden gleitet und einen kleinen weißen Haufen um seine nackten Füße bildet.

Ich höre wie er scharf Luft holt und tue erst mal gar nichts weiter.

Tatsächlich trägt er noch ein Höschen, es hätte mich auch gewundert, wenn er unter dem weißen Stoff völlig nackt gewesen wäre. Wahrscheinlich hätte er dann auch gar nicht zugelassen, dass ich ihm das Hemd ausziehe.
 

Wir stehen bestimmt fünf Minuten einfach nur da, sein Gesicht in meiner Hand, meine andere Hand federleicht immer noch auf seiner Schulter und ich warte, dass sich seine Atmung beruhigt.

Schließlich hebe ich sein Gesicht nach oben, sodass er mich ansehen muss.
 

„Komm…“, locke ich ihn, gehe rückwärts zum Bett und lasse mich auf die quietschende Matratze sinken. Zögernd folgt er mir und stellt sich dann zwischen meine leicht geöffneten Oberschenkel. „Vertraust du mir?“, frage ich und sehe ihm dabei fest ins Gesicht.
 

„Ja Herr, ich vertraue Euch“, antwortet er mit so viel Entschlossenheit, dass ich mich beherrschen muss nicht zu grinsen.
 

„Nimm meine Hand und berühr dich damit. Ich werde nichts tun. Ich leihe dir einfach nur meine Hand und du kannst damit machen was du willst. Wenn es dir zu viel wird, oder dir etwas unangenehm ist, kannst du jederzeit aufhören. Dann warten wir einen Moment und versuchen es erneut. Du hast die Kontrolle. Es wird nichts geschehen, was du nicht willst. Verstehst du mich, Ciel?“, erkläre ich ihm mit ruhiger Stimme und muss dann doch lächeln, als er ungläubig die Augen aufreißt und mir dabei zusieht, wie ich meine Handschuhe ausziehe. Kurz verharrt sein Blick auf meinen schwarzen Fingernägeln, aber er äußert sich nicht weiter dazu.
 

„Ja, ich verstehe“, haucht er leise, nimmt mit grimmig verzogenem, zu allem entschlossenen Gesicht, meine Hand in seine und legt sie sich auf die nackte Brust.
 

Ich spüre, wie er unter meinen Fingern eine Gänsehaut bekommt.

Ist das jetzt gut, oder schlecht? Ich bin verwirrt, aber ich überlasse ihm die Führung und sage nichts, lasse ihn einfach machen.
 

Wie gebannt starrt er auf meine Hand auf seiner blassen Haut als könne er selbst nicht glauben was er da tut.

Er atmet noch einmal tief durch und beginnt mich auf sich zu bewegen. Sanft führt er mich über seinen Oberkörper. Erst über sein Brustbein, dann über die linke Brust, wo ich mit allen Fingern seine Brustwarze streife, was uns seltsamerweise beide zum Schaudern bringt, dann auf die andere Seite, wo sich das Spiel wiederholt.

Als er schließlich auf der rechten Seite über seinen Rippenbögen nach unten fährt, fällt mir plötzlich etwas ins Auge, was ich vorher noch gar nicht wahrgenommen habe. Ein Brandzeichen. Die Ränder sind ausgefranzt und vernarbt, man kann das ursprüngliche Zeichen kaum mehr erkennen, aber ich will ihn jetzt nicht ablenken und danach fragen, er scheint vollkommen gefangen in dem was er gerade tut und ich will ihn nicht aus dieser Trance reißen.

Federleicht gleiten meine Finger über seine Haut, wandern mal hierhin, mal dahin, bis wir schließlich seinen Bauch erreichen. Meine Hand bedeckt fast seine gesamte Bauchdecke und einen Moment verharrt er regungslos.

Ich kann sehen, wie er schwer schluckt. Sein Atem wird langsam hektischer und ich kann das wilde Pochen seines Herzens hören.

Ohne Vorwarnung steigt mir seine Angst in die Nase, zerrt an meiner Selbstbeherrschung und ich frage mich, was er vorhat, dass er sich selbst so unter Druck setzt, als er seine Wanderung über seinen Körper fortsetzt.

Mit der Richtung die er nun einschlägt, hätte ich allerdings beim besten Willen nicht gerechnet!

Ich weiß gar nicht wie mir geschieht, als er plötzlich meine Hand noch weiter nach unten drängt und ich mich plötzlich in seiner Unterhose wiederfinde.

Das geht zu weit!

Alles was recht ist, aber das ertrage selbst ich nicht!
 

Knurrend ziehe ich mit einem Ruck meine Hand aus seiner Hose und weiche vor ihm zurück.

Ich zittere am ganzen Körper als ich ihn mit glühenden Augen -es würde mich wundern wenn sie das nicht täten- fixiere und keuchend um Atem ringe.
 

„Zieh dein Hemd an, stell dich da drüben hin und beweg dich nicht!“, kommt es grollend aus meiner Kehle und ich sehe, wie die Panik in die blauen Seen des Jungen Einzug hält.
 

Mit fahrigen Bewegungen rafft er den weißen Stoff an sich, schlüpft hinein und kauert sich in eine Ecke des Zimmers, wo er zitternd sitzen bleibt und mich aus riesigen Augen ansieht.
 

Aber er schreit nicht.
 

Allerdings ist mir selbst gerade danach zu schreien, was denkt sich der Bengel!?

Mein menschlicher Körper steht ihn Flammen. Meine Hose spannt unerträglich und ich bin kurz davor über ihn herzufallen. Wenn er jetzt auch nur einen Mucks von sich gibt, war es das. Mein ganzes Sein verlangt nach ihm, will ihn vollständig besitzen, mit ihm verschmelzen und eins mit ihm werden.
 

Ich muss mich dringendst beruhigen, sonst passiert ein Unglück und ich werde mich selbst ewig dafür hassen, dass ich mich in einem Moment der Schwäche um das köstlichste Mahl gebracht habe, das ich jemals habe kosten dürfen.
 

TBC



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (33)
[1] [2] [3]
/ 3

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2016-07-21T04:42:28+00:00 21.07.2016 06:42
WOOOOW, klasse.

kann mir richtig vorstellen, wie sebastian schwer atmend um fassung ringt
und nicht mehr weiß wo oben und unten ist :D
eine sehr schöne FF und ein sehr schönes kapitel. ich liebe deinen schreibstil
man kann sich wunderbar in jede situation und szene hineinversetzen und
einfach mitfiebern :)

kann man noch auf eine fortsetzung hoffen?
Liebe Grüße
Von:  JK_Michaelis
2016-04-14T08:48:13+00:00 14.04.2016 10:48
Schade dass es zur Zeit noch nicht weitergeht... Kommt vielleicht bald der nächste Teil? würde mich freuen :)
Von:  MeinuKaromieno
2015-05-16T07:39:46+00:00 16.05.2015 09:39
OMG!!! Mir ist jetzt grade erst das neue kaputte aufgefallen und mein Herz schlägt wie verrückt. Ich liebe deine Story und dieses Kapitel ist einfach BOMBE! Ich liebe es und ein hoch auf Sebby Selbstbeherrschung und Ciel's Mut^^ dank Ciel kommt sebby fast um vor verlangen! Naja obwohl er ihn ja heilen soll und Ciel sich damit einer Qual aussetzt... quält er sebby ebenso. Finde ich toll ♡*♡ Bitte schreibe schnell weiter! Ich freue mich jetzt schon meeeeeeeega auf das nächste Kapitel ♡♡♡♡♡
Von:  Lyneth
2015-04-28T19:49:38+00:00 28.04.2015 21:49
Gerade entdeckt das es ein neues Kapitel gibt und hab mich riesig gefreut. Hab's eben verschlungen und bin super begeistert. Ich freu mich immer wenn es ein bisschen schmutziger wird😈. Zum Glück kann Sebastian sich so gut im Zaum halten. Wert weiß was er sonst alles mit Ciel angestellt hätte. Hoffe es geht bald weiter. Grüßle Lyn 😙
Von:  JK_Michaelis
2014-11-12T05:58:41+00:00 12.11.2014 06:58
Hey wann gehts weiter...? *wartedolledrauf*

:)
Von:  Yamis-Lady
2014-11-02T13:15:09+00:00 02.11.2014 14:15
Oooh wie gemein... Durchgekitzelt zu werden ist nicht schön OAO
Aber für alle anderen is es lustig... XDD

Hach, schönes Kapitel!
Ich freue mich auf das nächste *______*
Von:  Syo
2014-10-06T17:56:41+00:00 06.10.2014 19:56
awesome *-*
Antwort von:  ReWeJuIs
06.10.2014 19:59
Dankii!^^
Antwort von:  Syo
06.10.2014 20:01
schreib bitte schnell weiter !!!!
Von:  Yamis-Lady
2014-08-09T17:05:50+00:00 09.08.2014 19:05
hach, dein sebby is einfach toll ♥

und picknicken is sicher klasse >XD hab ich selber noch nie gemacht, aber ich glaube, dass es ciel sicher gefallen wird
mal sehen,w as im nächten kapitel passieren wird >XD

bis dann ♥
Antwort von:  ReWeJuIs
18.08.2014 19:26
Dankeschön!^^
Musst mal machen, mit den richtigen Leuten ist das echt ein super tolles Erlebnis!^^
VLG Julia
Von:  Yamis-Lady
2014-07-15T13:01:52+00:00 15.07.2014 15:01
ein wundervolles kapitel, wenn auch so traurig ;________;
ciel tut mir so leid...
und madame ist wirklich grausam. kommt das nur wegen der eifersucht auf sebby?

hoffentlich kann sebby ciel davon abbringen, sich umzubringen >_____<
er könnte mit ihm fliehen >XD

ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht!!
bis zum nächsten mal ♥
Antwort von:  ReWeJuIs
28.07.2014 19:34
Dankeschön und joa...
Man weiß es nicht.... xD

Könnte er... na mal sehen!^^
Danke für den Kommi!^^
VGL Julia
Von:  Vanilein
2014-06-28T12:51:55+00:00 28.06.2014 14:51
Sehr interessant die Geschichte
Ich bin gespannt wie es weiter geht ;)
Antwort von:  ReWeJuIs
28.06.2014 14:52
Dankeschön!^^


Zurück