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Kalt wie der Winter

von

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Alienkumpel

JC rief ihn nicht zurück, kam nicht bei ihm daheim vorbei und zeigte auch sonst nicht, dass er noch am Leben war. Nicht mal im ICQ geisterte er als Abwesender, aber trotzdem nicht offline herum.

Tek beschlich der seltsame Verdacht, dass sich da jemand wirklich in Luft aufgelöst haben könnte. War JC spontan mit seinen Eltern weggefahren? Das hätte er ihm erzählt; nicht, damit sich Tek keine Sorgen machte, sondern lediglich, um sich bei ihm über diese Tatsache auszukotzen. JC fand seine Eltern fast genauso schrecklich wie Dunja.

Irgendwann hatte Tek absolut keine Lust mehr, sich Gedanken um seinen ziemlich ignoranten Kumpel zu machen, und beschloss, sich sein restliches Wochenende nicht verderben zu lassen. Es gab so viel Ätzendes auf der Welt, das ihm gerne die Laune verdarb, da ließ er sich nicht auch noch von gewissen Menschen ohne empathische Fähigkeiten runterziehen.

Weil Dunja gerade nicht in ihrem Zimmer regierte, sondern mit einer ihrer Freundinnen Christbaumschmuck bastelte, obwohl sie gar keinen Platz mehr am Baum für Pappengel und ähnlichen Krimskrams hatten, schlich er sich in ihren Raum, der im Gegensatz zu seinem nicht in Unordnung und Weltuntergangschaos ertrank, und klaute sich ihre Gitarre.

Er mochte das Ding; zwar konnte er nur dann spielen, wenn seine Schwester nicht in der Nähe war, weil sie sonst aus Prinzip nicht ihre Erlaubnis gab, und sein Talent hielt sich extrem in Grenzen, aber das hinderte ihn nicht daran, es immer wieder auszuprobieren und die Spinnen hinter dem Schrank zu unterhalten.

Er setzte sich auf den Teppich und begann, ein paar Akkorde zu zupfen; dazu summte er leise mit, Singen war auch keine seiner Stärken.

Während er zum dritten Mal Oh Tannenbaum in den Sand setzte, wurde seine Laune wieder etwas besser und er nahm sich vor, JC endlich die Meinung zu sagen, wenn er sich mal wieder dazu herabließ, mit ihm in Kontakt zu treten.

Kurz bevor Dunja eigentlich von ihrer kleinen Bastelstunde zurückkehren sollte und ihn dann unsanft vor die Tür setzen würde, verzog sich Tek wieder in seine eigenen vier Wände, von denen man nicht so viel zu Gesicht bekam, weil er sie fast komplett mit anderen Sachen zugehängt hatte oder ein Regal die Sicht versperrte.

Hier fühlte er sich wohl, das Durcheinander gehörte sozusagen zu ihm; selbst wenn Jara, seine beste Freundin, wieder anprangerte, dass man für das Aufräumen hier fast Geld bekommen müsste, störte ihn das nicht.

Lustigerweise sah es bei Jaras Freund Tjark auch nicht besser aus, was sie ebenfalls regelmäßig auf die Palme brachte.

Eigentlich hätte er Jara und Tjark fragen können, ob sie zu dritt auf den Markt hätten gehen können; die beiden waren immerhin seine besten Freunde, er kann sie länger als JC und sie gingen auch seit Jahren mit ihm in eine Klasse.

Was ihn aber daran gehindert hatte, war dieser verdammte Pärcheneffekt gewesen; seitdem die zwei seit einigen Monaten zusammen waren, fühlte er sich in ihrer Gegenwart immer ein bisschen wie das fünfte Rad am Wagen – oder im diesen Fall das dritte, das zwar nicht unerwünscht war, aber auch ohne Probleme zuhause bleiben konnte. Das lag nicht einmal daran, dass die beiden es darauf ansetzten, ihn auszugrenzen, das geschah irgendwie unbeabsichtigt.

Trotzdem hatte Tek keine Lust darauf, immer hinterher zu trotten und für sich selbst den Alleinunterhalter zu spielen, deswegen beschäftigte er sich seitdem immer öfter mit JC. Und merkte immer mehr, wie unfähig dieser war, sich nicht wie ein Außerirdischer aufzuführen.

Umso mehr wunderte es Tek, dass er es immer wieder mit ihm aushielt und sich sogar manchmal freute, wenn er mit seinem genervten Ausdruck und absoluter Unmotiviertheit in jedem Knochen vor ihm stand und ihn gerne anpflaumte, dass er endlich mal seine Klappe aufbekommen sollte.

Manchmal konnte JC nämlich auch ganz anders sein.

Aber nur dann, wenn sie alleine waren, keiner JC mit irgendwelchen Nichtigkeiten auf den Keks ging und er auch bereit dafür war; ansonsten motzte JC alles an, was nicht bei drei auf dem Baum oder vor ihm geflohen war, legte sich mit älteren Mitschülern auf dem Pausenhof an oder beleidigte in einem Satz so gut wie alles und jeden, ohne es überhaupt zu merken. Sozialität wurde hier sehr klein geschrieben.

Diesem JC würde Tek gerne mal vors Schienbein treten, bis er sich endlich zusammenriss und auch mal seine andere, unbekannte Seite hervorkramte.

Sie kam nur dann zutage, wenn JC mal wieder bei Tek übernachtete; dann benahm er sich zwar immer noch nicht wie die Freundlichkeit in Person, aber er wurde ruhiger und auf eine seltsame Weise anhänglich, sodass es Tek fast gruselte, vor allem wenn sein Kumpel nachts ohne seine ausdrückliche Erlaubnis sich in sein Bett schlich und ihn als Kopfkissen verwendete.

Beim ersten Mal hatte Tek ihn gnadenlos rausgeworfen, beim zweiten Mal nur noch leise protestiert und schließlich aufgegeben, weil Widerstand sowieso zwecklos gewesen wäre und er diese Verhalten an JC um Welten besser fand als diese daueraggressive Überheblichkeitsnummer, mit der er sonst permanent konfrontiert wurde.

Vor allem hielt JC in den Augenblicken, wenn er seltsam verdreht auf ihm lag und langsam wieder einschlief, einmal die Klappe, wofür man ihm nur dankbar sein konnte. Aus diesem Grund war dieses schräge Ritual für Tek etwas ganz besonderes geworden und er merkte auch jedes Mal, wie wichtig es JC war, der wirklich absolut talentfrei war, sich verbal vernünftig auszudrücken.

Das einzige, was Tek weiterhin sehr gewöhnungsbedürftig fand, war die Tatsache, dass JCs Haut sich erschreckend kalt anfühlte, wenn er ihn zivilisiert anfiel, als hätte er die letzten Stunden vor der Tür gehockt statt bei ihm am Schreibtisch. Unfreiwillig schlichen sich bei Tek Assoziationen von Leichen ein, die plötzlich in seinem Bett lagen. Zumindest hatte er das im Halbschlaf krankerweise befürchtet, als sich eine kalte Hand auf seinen Arm gelegt hatte. Gruselstunde pur.

Zum Glück änderte sich seine Temperatur mit der Zeit und passte sich seiner eigenen an, sonst hätte er ihn mehr als einmal auf die Matratze neben sich verbannt. Wer schlief auch gerne mit einem kleinen Eisklötzchen in einem Bett, das sich urplötzlich an einem festkrallte und Satzfetzten murmelte?

Ja, eindeutig, JC war in jeder Beziehung komisch, anstrengend und eigensinnig, aber Tek störte es höchstens, wenn es direkt gegen ihn gerichtet war.

Ansonsten fand er es fast unterhaltsam. Aber auch nur fast.



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