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Kalt wie der Winter

von

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Einstiegsgangster

„Also ich glaub nicht, dass die wirklich so dumm sind und da eingestiegen sind. Ganz ehrlich, ich find die ja alle dämlich, aber so blöd muss man erst mal sein!“

„Aber es stimmt, Mann, ich hab die gesehen, ernsthaft. Ich konnte es ja auch erst nicht glauben.“

„Um was geht es? Ich will das wissen!“

„Ich erzähls dir in der Pause, okay?“

„Ihr seid doch bescheuert. Ich wills jetzt hören.“

Das Getuschel aus der letzten Reihe kannte Tek nur zu gut; Montag morgens vor der ersten Stunde musste man sich schließlich immer erst das mitteilen, was man auch schon gestern Abend hätte tun können. Man besaß ja die neusten Kommunikationsmittel nicht zur Zierde, wobei das bei manchen wirklich deutlich besser gewesen wäre, wenn er so mitbekam, was sich da im Internet für Dramen abspielte.

Wie immer versuchte er das Gerede zu überhören und zu einem überflüssigen Hintergrundgeräusch verkommen zu lassen; ihn interessierte sowieso nicht, was die da tratschten, meistens kannte er die Leute, die da im Mittelpunkt des Meinungsaustauschs standen, sowieso nicht. Und selbst wenn wäre es nicht wichtig für sein weiteres Leben gewesen, ob jetzt Person A mit Person B am Wochenende angeblich einen Streit angefangen hatte oder ihn endlich beendet hatte.

Nein, davon wollte Tek eigentlich aus Prinzip nichts wissen.

Als JCs Name fiel, waren alle seine Vorsätze, die er sich angeeignet hatte, über Bord geworfen und Tek lehnte sich nicht besonders unauffällig zurück, um doch noch mitzubekommen, was mit seinem Kumpel in Verbindung gebracht wurde.

Immerhin hatte er seit Freitag Nachmittag von ihm nichts mehr gehört, vielleicht war tatsächlich etwas passiert, von dem er mal etwas erfahren müsste, um auf den neusten Stand der Dinge zu kommen.

Nachdem er mehr oder weniger erfolgreich die Wort- und Satzfetzen, die er von der Klatschtantenfraktion hinter sich aufgeschnappt hatte, in einen Zusammenhang gesetzt hatte, fragte er sich, ob sie vom selben JC sprachen, der in ihrer Parallelklasse sein Unwesen trieb.

JC hatte mal wieder mit seinen tollen Gangsterfreunden abgehangen. Nichts, was Tek freute – er fragte sich, wie solche Leute überhaupt die Tür ihres Hauses fanden –, aber auch nichts völlig Schockierendes. Soweit zum harmlosen Teil.

Irgendeiner von den Informanten hier im Raum hatte aber mitbekommen, wie JC mit besagten Personen in ein Haus angestiegen war und dort dezent die Hälfte der Wertgegenstände hatte mitgehen lassen.

Das konnte Tek gar nicht glauben, entweder dachte sich da jemand was aus, um sich großartig in den Mittelpunkt zu rücken, oder brauchte dringend eine neue Brille.

JC war vielleicht laut, unerzogen und leicht reizbar, wirkte also genau wie seine Deppen, mit denen er unverständlicherweise seine Zeit verschwendete, aber damit endete es schon; er gehörte eher zur Kategorie Hunde, die bellen, beißen nicht. Wenn er drohte, jemanden aufs Maul zu hauen, hätte er das nicht getan, weil er immer noch genau wusste, dass das üble Konsequenzen für ihn haben konnte. Er wäre also auch nicht so dumm, irgendwelchen Menschen die Wohnung leer zu räumen und sich dabei erwischen zu lassen, obwohl er manchmal vor seinen Mitschülern angab, dass er sich das durchaus zutrauen würde.

Wie gesagt, JC war kein Assi, er verhielt sich nur wie einer und diese Anschuldigungen, die hier im Raum standen, stören Tek gewaltig, aber er konnte sie nicht ausräumen, weil sich das Ganze genau zu dem Zeitpunkt abgespielt hatte, als JC ihn dumm im Kalten hatte rumstehen lassen. So blieb Tek nichts anderes übrig, als die verschiedenen Theorien über den Vorfall mitzuhören und sich drauf vorzubereiten, JC in der großen Pause auf diese Gerüchte anzusprechen, obwohl er Gefahr lief, deswegen angeraunzt zu werden, weil er den Schwatzsuchtis, wie JC sie immer abfällig bezeichnete, mehr glaubte als ihm.
 

Kaum klingelte es, machte sich Tek auf den Weg, um die Wahrheit höchstpersönlich aus JC herauszukitzeln. Zwar vertraute er ihm, dass er sich trotz schlechtem Einfluss nicht zu solchen Dummheiten überreden ließ, aber das war gerade das Nervige an Gerüchten: Irgendetwas Wahres war meistens an ihnen dran, außer man setzte bewusst völlig verdrehte Tatsachen in die Welt, um anderen zu schaden.

Und ehrlich gesagt hätte die hintere Reihe gar keine Grund gehabt, so etwas zu behaupten, vor allem hatte sie JC ja nicht einmal besonders hervorgehoben, sondern über das Einbrechergrüppchen insgesamt geredet. Er sollte nur angeblich ausgiebig dort mitgewirkt haben.

JC saß auf seinem Lieblingsplatz; der kleinen Mauer, die die armseligen Blumenbeete der Schule, deren genauer Zweck bis heute im Dunkel lag, vor den übelst bösen Schüler schützen sollte. In einer Hand hielt er seine Wasserflasche, in der anderen einen halb aufgegessenen Apfel.

Neben ihm standen zwei Typen aus seiner Klasse, die er ungefähr so gut leiden konnte wie einen Schwarm Feuerquallen in der Badewanne, aber das beruhte auf Gegenseitigkeit. Sie nutzen jede Gelegenheit, um ihn zu provozieren, worauf er sie beleidigte, sie sich mit ihm anlegten und der ganze Terror wieder von vorne begann.

Was machten sie also wieder hier? Bestimmt nicht nach seinem Befinden fragen, das ahnte Tek schon, als er noch ein paar Schritte weit entfernt von ihnen war.

„Haut ab, ihr Wichser, ich hab keinen Bock auf eure beschissene Anwesenheit“, wetterte JC wie ein Verrückter und wirkte mal wieder wie kurz vor der endgültigen Explosion.

„Ach, Gay Sissi, stell dich nicht so an, der Schulhof ist für alle da“, belehrte einer der beiden ihn in gespielt freundlichem Ton, um ihn noch mehr zu reizen. Sein Freund stand daneben und freute sich über ihre ultrabösen Absichten, die sie dank JCs aufbrausender Art auch gut umsetzen konnten.

„Nenn mich nicht so, du Hurensohn!“ Und wie erwartet klappte es wie am Schnürchen, Tek seufzte verzweifelt bei so viel Dummheit auf einem Fleck. Wie oft hatte er ihm eingetrichtert, sich von den beiden nicht auf die Palme bringen zu lassen, und wie oft hatte JC diesen gutgemeinten Rat in den Wind geschlagen.

„Aber du hältst dich jetzt für verdammt hart, weil du mit deinem Vollpfostenverein andere Leute ausraubst oder was? Willst du Anerkennung oder so? Das verdient man sich ja eigentlich anders, aber dafür bist du zu bescheuert.“

„Halt endlich deine verfickte Klappe, sonst mach ich dich kalt.“ Das Geschrei nahm kein Ende, länger wollte sich Tek das nicht antun; sein guter Geschmack verbat es ihm, solche Schimpftiraden der untersten Kategorie länger als drei Minuten zu ertragen.

Außerdem befürchtete er wirklich, dass JC die beiden mit seinem Frühstück bewusstlos schlagen wollte, was er gar nicht gut fand. Es gab schon dieses dumme Gerücht, was sich herumgesprochen hatte, da mussten sich nicht auch noch unschöne Szenen auf dem Schulhof abspielen.

„Könnt ihr bitte mal weggehen? Ihr stört.“ Er hatte keine Lust, hier herumzuprollen wie sein Kumpel, das hatte er nun wirklich nicht nötig.

„Musst du den Affen wieder verteidigen?“, versuchte Depp Nummer eins sich wieder aufzuplustern, aber als er merkte, dass Tek keine Anstalten machte, sich am Niveaulimbo zu beteiligen, zuckte er etwas enttäuscht und genervt mit den Schultern und trat mit seinem Anhängsel, das nicht mehr grinste, die Flucht an.

„Was willst du?“ Abweisend biss JC in seinen Apfel, als wäre dieser an allen Bösartigkeiten des Lebens schuld, und wich nicht sehr geschickt Teks Blicken aus.

„Mit dir reden? Oder darf ich das nicht?“ Sonst wurde er dazu genötigt, sich mit JC auszutauschen, weil dieser kein Interesse an Monologen hatte, nur wenn er mal wirklich ein Gespräch anforderte, wurde er behandelt, als beginge er ein Verbrechen an der Menschheit.

„Hab kein Bock, kannst wieder gehen.“

„Du bist ein Idiot. Ich will dir helfen.“ Aber irgendwie kam das nie bei JC an, der unterstellte ihm dann nur gerne, ihm auf den Sack gehen zu wollen. „Du weißt schon, dass inzwischen eigentlich alle von deinem Gangstertrip am Wochenende wissen?“ Falls es den überhaupt gegeben hatte und er keine Erfindung von hobbylosen, sensationsgeilen Kindern war, was Tek immer noch hoffte. Wie gesagt, trotz allem war JC nicht unbedingt so, wie er gerne auftrat, er vermutete da mehr Schein als Sein dahinter. Wobei die Beleidigungen mit Sicherheit ernst gemeint waren.

„Scheiße, was ist das für ein Abfuck?“ Nun warf JC den Apfel endgültig ins Beet hinter sich; viel fehlte nicht mehr und die Flasche würde folgen. „Welcher Penner hat das rumerzählt?“

„Keine Ahnung, ich habs nur nebenbei gehört. Stimmt das wirklich, dass du da fremden Menschen Laptops und solches Zeug klaust?“ Nicht, dass JC es nötig hätte, zwar schwammen seine Eltern nicht in Geld, aber sie litten auch nicht unter Armut, soweit er das als stiller Betrachter mitbekommen hatte.

„Nein, glaubst du, ich bin so blöd und mach das?“

„Nein.“ Aber fragen kostete nichts und wenn er es bestritt, dann glaubte Tek auch daran. „Aber wo warst du am Samstag? Ich weiß ja, dass du keinen Bock hattest, mit mir auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Hättest aber trotzdem mal absagen können.“ Dafür hatte man Handys erfunden, nicht zum Angeben und Pornos runterladen.

„Lass mich, okay?“ JC stand ruckartig von der Mauer auf, warf dabei tatsächlich seine Flasche um – das Wasser spitzte Tek theatralisch auf die Schuhe – und ließ ihn einfach ohne ein Wort der Erklärung stehen.

Langsam fragte sich Tek, was heute Morgen eigentlich mit allen los war; hatte er etwas verpasst und benahm sich deshalb als einziger noch normal? Er hatte absolut nichts getan, weswegen JC sauer auf ihn sein konnte, er hatte ihm verdammt noch mal nur helfen wollen. Als ob er sich hier zum Spaß in diese unmenschliche Kälte stellte und leere Sätze um sich feuerte.

Irgendetwas ging in JC vor, aber Tek hatte gerade absolut kein Verlangen danach, sich darum zu kümmern oder ihm hinterherzulaufen wie einem kleinen Kind.

Sollte er seine Probleme und Gerüchte doch alleine klären, wenn er seine Hilfe nicht benötigte.

Frustriert über solche Unverschämtheit suchte Tek schnell wieder das warme Klassenzimmer auf, nachdem er sich am Automaten noch einen heißen Kaffee geholt hatte, und beschloss, sich wirklich für einige Zeit von JC zu distanzieren.

Er ahnte sowieso, dass dieser Vorsatz nicht lange hielt, aber sein Stolz verlangte es von ihm.



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