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Schattenfresser

von

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Frühstück a la Skia

XIII. Frühstück a la Skia
 

„Hier, das ist die Verpackung der Frühstücksflocken, total kitschig – und die leckere Überraschungsbeilage ist ein Mini-Aschenputtel, das hat die mehr als verdient... Nicht wundern, den Schatten davon habe ich gegessen. Ein Flugblatt für Hello Kitty-Schulsachen… Eine Flasche Wasser… noch ein Balisto… Hier ist ein Kissen, liegen… Sie auch bequem?“ flüsterte Skia. Es war dunkel im Zimmer. Er fühlte sich ziemlich zerschossen und todmüde, dagegen waren wohl auch „sie“ nicht immun, auch wenn es wahrscheinlich auch ohne ginge. Aber er hatte wenig Hoffnung, dass er Morgen früh aufwachen würde, und alles sei nur ein übler Traum gewesen. Floffi war zu Skia gezogen, damit er ihn nicht im Halbschlaf doch noch verdrückte.
 

„Wenn wir nun für alle Ewigkeit mehr oder minder zusammen rumhängen, ist Kai schon in Ordnung“, murmelte er in sein Laken.
 

Skia schien zu nicken, ein leises Schaben seiner Zöpfe auf dem Boden war zu hören. „Ist nur… ungewohnt“, meinte er. „Aber wohl durchaus logisch.“
 

Logisch… was war das noch mal…?
 

„Geht es… so einigermaßen…?“ wurde er mitleidsvoll gefragt.
 

Kai schwieg kurz. „Alles… steht Kopf“, meinte er schließlich. „Alles, woran ich geglaubt habe… alles, was ich war… ich weiß gar nicht…“
 

„Nicht alles. Wir sind zwar keine Menschen, aber wir ähneln ihnen schon mehr oder minder. Wir lachen, wir weinen, wir können wütend sein, einander mögen oder auch nicht. Ich liebe meine Eltern, meine Familie – größtenteils, das ist doch wie bei den Menschen?“ antwortete Skia. „Und… du bist auch nicht allein.“
 

„Aber was ist mit meinen Eltern? Meinen Freunden? Muss ich jetzt zusehen, wie sie altern und sterben, während ich einfach… so bleibe?“ haderte Kai mit seinem Schicksal, den Stachel des Schmerzes in sich fühlend.
 

„Es tut mir… leid“, murmelte Skia. „Das ist ein weiterer Grund, warum wir uns von ihnen fern halten sollen. Eine Verwandte von mir ist darüber irre geworden, dass sie sich in einen Sterblichen verliebt hatte – der sie nicht mal wollte.“
 

„Das baut mich jetzt auch nicht gerade auf“, stöhnte Kai in sein Kissen. Er lag auf dem Bauch, anders ging es wohl nicht, und er fühlte sich absolut nicht versucht, auf irgendwelchen Blüten zu nächtigen.
 

„Du bekommst das hin, ganz bestimmt, das passiert doch auch alles nicht von heute auf Morgen, oder? Und auch als Mensch… hättest du das durchleiden müssen“, erwiderte Skia sanft – und berechtigterweise.
 

„Und was macht man jetzt… als „wir“? Gibt es hier auch Schulen, die einen Lehrer brauchen… oh Gott, Montag müsste ich da wieder hin und so kann ich mich kaum von Dr. Taube krankschreiben lassen…“, würgte er hervor.
 

„Du kannst machen, was du willst, solange du dich an die Regeln hältst, den Menschen nichts tust und sie von uns nichts wissen lässt. Unsereins hat es ja nicht eilig, daran muss man sich wahrscheinlich auch erst mal gewöhnen. Die Welt ist voller Wunder… Du kannst auch die nächsten dreihundert Jahre mit Pilzezüchten oder der Pediküre verbringen, wenn dir das gefällt. Da bist du niemandem Rechenschaft schuldig. Oder du kannst dich engagieren… Einige von uns machen das, diskrete Schadensbegrenzung bei dem, was die Menschheit so anstellt. Ist schließlich nicht nur ihr Planet. Schulen haben wir nicht, wozu auch? Und das mit dem Gymnasium regeln wir, Rumpel und Stilzchen können da garantiert was drehen“, beruhigte ihn Skia.
 

Kai drückte sein Gesicht nur noch tiefer in die Matratze. Das war alles so… unfassbar. Wahrscheinlich würde er die nächsten Tausend Jahre brauchen, um das überhaupt ins Hirn zu bekommen. Tausend Jahre… oh mein Gott… was war bloß in tausend Jahren… Würde er das sehen können? Wollte er das? Er war doch ein Mensch… nein… aber er fühlte sich nach wie vor wie einer. Was wohl jemand wie Morgana alles wusste? Was für eine historische Quelle, ein Zeitzeuge aus dem Mittelalter! Aber damit konnte er nun nichts mehr anfangen, außer den eigenen Wissensdurst zu befriedigen. Aber historische Abhandlungen… war etwas für Menschen… Menschengeschichte… hatten „sie“ auch eine Geschichte… gewiss… Sie hatten Geschichte und tauchten in ihr auf, wenn auch als Fabelwesen… Ob es die Sphinx wirklich gab…?
 

Eine Hand fasste an seine Schulter. Skias lange Finger, nicht mehr die Spur schmerzhaft, sondern nur irgendwie tröstlich. „Schlaf ein bisschen, Morgen ist ja auch nur ein Tag, das wird bestimmt bald leichter“, hörte er Skia murmeln.
 

„Ich weiß nicht, ob ich schlafen kann“, erwiderte er schwach.
 

Es rumpelte leicht, Skia ließ sich, an die Bettkante gelehnt, auf dem Boden nieder und fasste jetzt nach seiner Hand, als sei er ein heulender Dreijähriger. Aber ein wenig so fühlte er sich auch, wie jemand, dem man das Patschehändchen halten musste, damit er nicht total durchdrehte. Zu allem Überfluss begann Skia jetzt auch noch leise zu singen. Kein Jingle, irgendetwas in einer Sprache, die er nicht kannte, hörte sich ein wenig wie Althochdeutsch an, das er an der Uni rudimentär gelernt hatte. War das etwas noch Älteres? Möglich… so alt war Skia ja nicht… aber seine Eltern? Waren das Nibelungengestalten? Nicht auszuschließen. Skia sang einfach ungehemmt weiter, während Kai sich zunehmend eingelullt fühlte und ihm langsam Augenlider und Fühler müde hinab sanken.
 

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Die Wand im Wohnzimmer stand wieder, als er schließlich hinab kam, Tante Morgana hatte sie bereits magisch renoviert oder die Homunculi verdonnert, wie es aussah. Nur der Picasso hing noch nicht wieder. Auch Leviathan war im Normalzustand und pofte auf seiner Stange, als sei er der liebste Drachen der Welt. Von wegen.
 

„Wie geht’s ihm?“ wollte sie wissen, an einem obligatorischen Schönheits-Tee nippend. Skiaphagos ließ sich in seinen Sessel fallen und erwiderte: „Schläft. Habe ihm eins von Mamas Zauberliedern vorgesungen, das hat geholfen.“
 

„Der Arme… Wenn man glaubt, man sei ein Mensch, muss das schon ziemlich irritierend sein“, bedauerte sie Kai.
 

„Ja, wahrscheinlich“, stimmte Skiaphagos zu, obwohl das durchaus seine Vorstellungskraft sprengte. „Gibt es Neuigkeiten?“ wollte er wissen.
 

„Der Rat hat sich gemeldet – sie seien dran. Wir sollen weiterhin exakt das tun, was wir gerade tun, und uns um ihn kümmern. Falls wir nicht klar kommen, schicken sie Unterstützung“, führte sie aus.
 

„Mmm, nur im Notfall. Ich glaube nicht, dass es ihm gerade ernsthaft hilft, sich mit Gorgo, Leila oder Charys auseinander setzen zu müssen“, murmelte Skiaphagos.
 

„Charys wäre da wahrscheinlich noch am verträglichsten, da nicht ganz so verstörend nichtmenschlich, wenn er den Fischschwanz mal weglässt. Aber nicht gerade die beste Gesellschaft für einen in einer Lebenskrise – einen von uns, denn da muss Charys brav die Finger still halten. Und die anderen Körperteile auch, seine Essensgewohnheiten sind da ja recht eigen. Nein, du hast recht, wir sollten den Ball möglichst flach halten – und derweil Abwarten und Tee trinken. Dir kann da niemand etwas anhängen, erstens hast du nichts gemacht und zweitens ist das wohl kein Vergehen, dass Kai Wiesenblum von seiner irrigen Annahme, ein Mensch zu sein, kuriert wurde. Wie auch immer er dazu gekommen ist? Naja, das zu lösen ist Job des Rates, nicht unser dringlichstes Problem. Jetzt habe ich wohl nicht nur dich an der Backe, sondern auch noch einen absoluten Frischling! Fehlte eigentlich nur das Weidenkörbchen… aber dafür ist er wohl ein wenig zu groß geraten. Dennoch heißt es jetzt wohl: füttern, erziehen, sich um den hinterlassenen Dreck kümmern. Und das mir!“ stöhnte sie.
 

„Ich helfe dir!“ schwor Skiaphagos hoch und heilig.
 

„Kai lebensfähig zu machen? Das nennt man wohl den Bock zum Gärtner machen… Aber warum nicht, wieder eine super-Chance für dich, deine eigene Fähigkeit unter Beweis zu stellen“, überlegte sie.
 

„Aber was ist mit der Schule…?“ fragte er zaghaft.
 

„Kai muss auch betüdelt werden. Und du brauchst kein Abi!“ stellte sie klar.
 

„Ich weiß! Ich möchte nur…“, protestierte er.
 

„Dich mit den Menschen weiter anfreunden? Skiaphagos… du weißt doch, dass das nicht wirklich geht. Ich weiß, du hast diese Macke mit der Menschenwelt, aber davon dürfte Kai auch ganz schön viel zu bieten haben. Erst mal bekommst du eine Krankschreibung, hier gibt es genug zu tun – und anders als du muss ich aus dem Haus, um zu essen. Jemand muss bei Kai bleiben, es sei denn, wir sperren ihn derweil ins Kellerverließ, damit er keinen Schwachsinn macht – und das tut ihm garantiert nicht so gut. Vielleicht kannst du wieder hin, wenn sich die Lage wieder normalisiert hat, oder wir denken uns etwas anderes aus. Deine Prioritäten liegen bei deiner eigenen Art – und das gilt jetzt auch für deinen heiß verehrten Ex-Klassenlehrer Kai! Kümmer dich um ihn, vielleicht gibt er dir als Dankeschön dann auch Hausaufgaben! Aber da kommt einiges auf uns zu. Der hat überhaupt keine Ahnung und steht tierisch auf dem Schlauch! Er muss lernen - auch, damit klar zu kommen. Zu begreifen, wer er ist! Er hat uns bisher nur für Fiktion gehalten, dabei war er die Fiktion! Und das ist nicht gerade leicht zu schlucken. Das ist so, als würdest du eines Morgens aufwachen und feststellen, dass du gar nicht Skiaphagos bist, sondern ein Tattergreis namens Hugo im Morphinrausch kurz vorm Exitus! Dass alles, was du meinst zu sein, meinst, erlebt zu haben, sich plötzlich als Lüge entpuppt! Begreifst du?“ redete sie auf ihn ein.
 

Skiaphagos nickte bestätigend. „Es ist schwer, das nachzuvollziehen… Aber so etwas in der Richtung hat er auch gesagt. Armer Kai Wiesenblum… Obwohl die Flügel schon toll sind…“
 

„Seit Vlad dich mal mitgenommen hat, hast Du’s echt mit dem Fliegen… Dann flieg mal zur Tankstelle an der Autobahn“, orderte sie.
 

„Warum das denn jetzt?“ fragte er etwas irritiert.
 

„Kai braucht etwas zum Frühstück und die Geschmacklosigkeiten in diesem Heim halten sich nun mal in Grenzen. Nicht, dass er noch diesen Fellfleck von Hund verdrückt. Wie der bloß an so ein Tier geraten ist, passt irgendwie gar nicht? Jedenfalls mag er sein Viehzeug, leider jetzt auch zum Fressen gern. Wenn das kein Drama geben soll, sollten wir ihn besser satt halten. Besorg so viele Scheußlichkeiten, wie du mit dir auf den Roller bekommst, das dürfte zunächst reichen. Und Hundefutter. Morgen mache ich dann einen Großeinkauf“, scheuchte sie ihn los.
 

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Als Kai die Augen aufschlug, drang verführerischer Kaffeeduft an seine Nase. Vor seinem Bett stand ein Tischchen mit einem Frühstückstablett. Kein Floffi. Wo… Oh Gott, er war versucht gewesen, den ihn treuherzig anwedelnden Hund weg zu schmatzen mit diesen Mutantenantennen, die selbstredend nicht über Nacht verschwunden waren. Wie lange mochte er geschlafen haben? Die Sonne war nicht gerade eben erst aufgegangen, das verriet ihr Stand… Das letzte, was er erinnerte, war Skias Singsang und seine warme Hand in seiner. So echt… gar nicht unmenschlich… Aber das lag wohl an seiner neuen Perspektive, die ja irgendwie auch nicht mehr menschlich sein sollte. Seine neuen Körperteile sprachen leider arg dafür. Ebenso wie das Gedeck vor seinem Bett. Kaffee, Brötchen, Marmelade, ein Mädchenpferdemagazin mit Glitzerlipgloss als Beilage, eine Schneekugel mit einer barbusigen Plastiknixe darin und ein riesiger Sticker, der verkündete: „Meiner ist achtzehn Meter lang“. Frühstück von der Tankstelle für den Überraschungsgast. Stöhnend setzte er sich auf, bog seine Flügel zurecht, was nur mäßig bequem war, schnappte sich Kaffee und Schneekugel und machte sich ans Morgenmahl. Peilen…britzeln… schlürfen… als hätte er nie anders gegessen. Niemals kitschige Kaffeetassen benutzen, schärfte er sich ein, sonst gäbe es eine Sauerei – und keinen Kaffee in ihm, nur auf ihm. Er schob sich auf die Beine und trat ans Fenster. Ein wunderschöner, wolkenloser Sommertag lag bereits über dem Wald. Im Märchenwald beim Hexenhaus… Er fühlte wieder dieses irre Kichern, das noch verstärkt wurde, als er sich im Spiegel beim Fenster erspähte. Kai Wiesenblum in knitteriger Jeans mit ein paar besoffenen Fühlern, die keck aus seinen Haaren hervorschossen und sich leicht bewegten, als nähmen sie Witterung auf, und zartrosa Flügeln. Die Mahlzeit schien die Farbe gedimmt zu haben, ganz wie angeblich auch mit Skias Augen. Würden sie weiß, wenn er pappsatt war? Das wäre graduell erträglicher. Und sein Gesicht war voller Stoppeln, Himmel, sah das beknackt aus. Ein Schmetterlingself mit Dreitagebart. Er hatte sich gestern die Rasur geschenkt, da war es noch im Rahmen gewesen, aber jetzt wäre sie überfällig. Doch es gab wahrscheinlich dringlicheres. Doch immerhin wies das darauf hin, dass er, Mensch oder nicht, doch irgendwie noch männlich war. Er trat ein paar Schritte zurück und knöpfte in einer jähen Panikattacke im Gedanken an den Sticker seine Hose auf, dann brach er fast vor Erleichterung zusammen. Nein, kein Rüssel, er hatte sich auch nicht in Barbies Ken verwandelt, alles beim Alten, oh Gott, Danke! Obwohl… brauchte er das überhaupt noch…? Musste man als Nichtmensch pinkeln? Doch, wohl ja, der Kaffe gab schon Signale. Aber war die andere Funktion noch von Belang? Nicht, dass ihm gerade sonderlich danach gewesen wäre, aber im Prinzip wäre das schon wissenswert. Oder war das blöder Menschenkram und die vermehrten sich per Hokus Pokus? Wir, nicht die… Und statt Sex gab es gemeinsames Meditieren? Hörte sich nicht sonderlich verlockend an, aber er sollte da mal lieber ruhig sein. War ja nicht so, als sei er in dieser Disziplin so der Engagierteste gewesen. Aber ganz ohne…? Aber wenn er jetzt einer von denen war, dann war das vielleicht normal so und gar kein Problem? Erschien ihm trotzdem gruselig, sollte er vielleicht im Bad mal antesten, ob er jetzt zwar Fühler und Flügel hatte, aber statt eines Schwanzes nur noch einen tauben Regenwurm… Aber aktuell schwirrte ihm einfach noch viel zu viel anderes im Kopfe herum – und was war, wenn es stimmte? Besser nicht leichtsinnig gleich alle verbliebenen Illusionen zerstören.
 

Er trat wieder ans Fenster, gerade rechtzeitig, um etwas ziemlich Absonderliches zwischen den Stämmen hervortreten zu sehen. Ausnahmsweise bekam er keinen Schock, wahrscheinlich stumpfte er bereits ab nach all dem Beschuss. Ein goldenes Wogen, das in der Sonne nur so blitzte… Skia ohne seine Zöpfe… oh Gott… was für ein Haarmonster… Floffi hopste angetan hinter ihm her. Aber Skias Haare waren gegen seine Rückenzier noch regelrecht zivil, maßregelte er sich. Skia konnte sich durchschummeln – aber er? So konnte er sich wirklich nirgends blicken lassen. Das, was Morgana angedeutet hatte, leuchtete ihm da durchaus ein. Was würde wohl passieren, wenn er so in einen Ärztekongress hinein schlenderte? Das wollte er gar nicht herausfinden. Skia streckte sich wohlig und lächelte zufrieden in sich hinein. Der kam auch vom Frühstück, dämmerte Kai. Der fraß sich durch die Botanik, im wahrsten Sinn des Wortes. Frohen Mutes schritt Skia hinüber zu einer Terrasse unter ihm am Haus, fläzte sich auf einen Gartenstuhl am äußeren Rand, griff nach etwas auf dem Tisch, dann winkelte er die Beine an – und begann sich zu kämmen. Durch die Glasscheibe konnte Kai erahnen, dass er schon wieder sang. Er lauschte, mit gespitzten Ohren und Fühlern. Irgendwie fingen die auch den Schall ein…?
 

„I like the flowers, I like the daffodils, I like the mountains, I like the rolling hills…”, gab Skia zum Besten, während Floffi sich zu seinen Füßen artig zusammen rollte. Glaubte Kai gerne, die hatten ihm wahrscheinlich prima geschmeckt. Wie Gudruns Schatten… Oh Gott… er war unter die Märchenmonster gegangen… Wahrscheinlich hatte Gudrun noch mal Glück gehabt, nur an Skia geraten zu sein. Was würde er mit jemandem anstellen, der nicht seinen Geschmackskriterien entsprach? Immer brav essen, nie hungrig werden… Leb wohl, Mary Sue, du warst lecker…? Leb wohl, normales Leben…
 

Skia da unten bei seiner selbstvergessenen Haarpflege sah aus wie die verdammte Lorelei – in männlich, blond und ein paar Nummern zu groß. Nichts verwirrter Schüler. Ein Wesen aus einer anderen Welt, das ihn irgendwie unabsichtlich mit sich gezogen hatte. Aber warum? Hätte er die Wahl gehabt, hätte er dem nie zugestimmt. Schon allein deswegen nicht, da er das Angebot niemals für voll genommen hätte. Aber was war mit ihm passiert, wie hatte das geschehen können? Was war er, wer war er? Statt Studienrat Wiesenblum: Kai, die Blumenfee? Irgendso ein Spacken im Studium hatte ihn mal als Fee beschimpft, weil er schwul war. Aber er war sich nicht sicher, ob sein Aussehen etwas mit seiner diskreditierend beschriebenen Sexualität zu tun hatte – oder ob er überhaupt noch eine hatte.
 

Er starrte Skia an. Nix Schüler, bläute er sich ein. Der ist Jahrzehnte älter als du, was in diesen Kreisen wahrscheinlich keine sonderliche Rolle spielte. Skia musste noch vor dem ersten Weltkrieg geboren worden sein, was sein enzyklopädisches Geschichtswissen mit erklären mochte. Skia war älter als sein Großvater es wäre, wenn der noch leben würde. Dennoch sah er nach menschlichen Maßstäben aus wie ein junger Mann um die zwanzig. Die neunzehn, die ihm weisgemacht worden war, war bei kritischer Betrachtung nur mit sehr viel gutem Willen nachzuvollziehen. Skia hatte nichts Teenagerhaftes mehr an sich, zumindest physisch, wenn er auch noch ein wenig frisch hochgesprossen wirkte, als würde er sein volles Volumen erst noch bekommen. Oder vielleicht war das hier so einfach sein Typ. Endlos lange Beine, schmale Hüften, kräftige Schultern, ein hübsch geschnittenes Gesicht mit einem breiten, lachenden Mund… objektiv betrachtet ein attraktiver Mann, ohne Zweifel. Er war in dieser Hinsicht also nicht erblindet. Aber das da war immer noch Skia, aber den echten Skia, Skiaphagos, wie er hier genannt wurde, kannte er kaum. Der Skia, den er kannte, war durch eine fremde Welt gestolpert – so wie er jetzt. Doch anders als Skia war er wohl nicht nur kurz zu Besuch. Skia und seine Tante waren die einzigen, die ihm in diesem Schlamassel jetzt helfen konnten, das sie ihm eingebrocht hatten… oder hatten sie das gar nicht… waren sie Ursache oder nur Auslöser? Sie schienen es auch nicht zu wissen. Dieser ominöse Rat – war das wie eine Regierung? – sollte die Abhilfe schaffen, nun gut.
 

Sein Schwanz war ihm nicht abgefallen, kein Grund seinen Gastgeber zudringlich anzuglotzen.
 

Skia erhob sich und patschte auf bloßen Füßen ins Hausinnere, seine frisch gestriegelte Mähne in einem nachlässig gebundenen Pferdeschwanz zusammen gewurstelt. Das war also sein Freizeit-Look, aha.
 

Floffi sauste schwanzwedelnd hinter ihm her.
 

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„Morgen, Skia“, grüßte er, nachdem er sich bis in die Küche durchirrt hatte, immer dem Kaffeegeruch nach. Das Haus war auf den ersten Blick sehr gradlinig aufgebaut, aber sehr groß. Er eierte immer noch ein wenig beim Gehen, doch er lernte allmählich dazu.
 

Floffi kam auf ihn zugeschossen und freute sich halb zu Tode. In der Ecke neben einem riesigen Kühlschrank standen ein Fress- und ein Wassernapf für ihn. Die hatten an alles gedacht. Floffi sah immer noch lecker aus, aber jetzt, wo er selber halbwegs satt war, konnte er sich seines gestrigen Gieranfalls nur noch schämen. Er fraß keine Puschelhunde, erstrecht nicht den eigenen! Skia saß auf einem Küchenhocker und studierte eine Cornflakespackung.
 

„Morgen!“ grüßte er lächelnd und blickte zu Kai auf. „Gut geschlafen?“
 

„Ja… den Umständen entsprechend ganz gut, Danke“, erwiderte Kai und setzte sich zu ihm an den Tisch. Der Hocker war für ihn als Sitzmöbel gut geeignet, stellte er fest.
 

„Schön, nicht die Fühler hängen lassen, das wird schon!“ baute ihn Skia auf. Ließ er gerade die Fühler hängen? Oh weh, gestikulierte er jetzt auch noch mit denen?
 

„Wo ist denn deine Tante?“ fragte er und sah sich um. Keine Hexe weit und breit.
 

„Macht Großeinkauf, damit du nicht verhungerst“, informierte ihn Skia und kippte die Cornflakes in ein Vorratsglas um.
 

„Das geht doch nicht, dass ihr hier Geld für mich…“, protestierte Kai, wurde aber unterbrochen.
 

„Geld ist Menschenkram für Menschenkram. Tante Morgana macht Gold aus Scheiße, das schließt finanzielle Probleme arg aus. Aus unserer Warte ist es notwendig bis praktisch, wenn wir uns in der Menschenwelt bewegen – aber wirklich Bedeutung hat es für uns nicht. Wenn wir es brauchen, haben wir es eben. Da musst du dir keine Gedanken drüber machen“, wurde er aufgeklärt.
 

„Aha“, stellte Kai fest. Dennoch ein merkwürdiges Gefühl, dass diese Leute Kitsch für ihn kauften, um ihn an ihn zu verfüttern.
 

„Willst du noch einen Happen?“ fragte Skia mit Blick auf die Cornflakesverpackung.
 

„Mmm“, stimmte Kai halbherzig zu. Immer schön satt bleiben… die Packung war hässlich, aber nicht wirklich oberscheußlich, aber das würde schon gehen.
 

„Okay!“ grinste Skia erfreut. „Dann kann ich ja den Schatten haben. Normalerweise erst, wenn sie leer ist, aber alles für den Besuch…“
 

„Hey, du hast die Cornflakes doch schon vorher umgefüllt gehabt?“ verwies ihn Kai.
 

„Klar…“, flüsterte Skia verschwörerisch, „aber doch nur, um zuvorkommend zu sein…“
 

„Das hätte ich dir gar nicht zugetraut, solche Ränke“, erwiderte Kai kopfschüttelnd.
 

„Oh, in der Menschenwelt musste ich ja immer aufpassen. Aber beim Frühstück zu Hause…“, lockte Skia und wedelte ein wenig mit der Packung.
 

„Und dann… dann lutscht du jetzt den Schatten weg… mit deinen Haaren oder wie…“, fragte Kai interessiert, die Sache als eine Chance zu lernen wertend.
 

„Die Haare fangen sie ein und zerkleinern sie… so wie deine Antennen, die britzeln den Kram klein und dann flutscht er in dich“, erklärte Skia.
 

„Okay, halbe halbe – und keiner hat’s gesehen!“ schlug Kai vor. Ein wenig fühlte er sich dabei wie Zwölf und beim Plündern des Bonbonglases. Aber wenn er nicht mehr Oberlehrer Wiesenblum war, sondern Blumenfee Kai, dann durfte er das wahrscheinlich.
 

„Ehrenwort!“ schwor Skia, während sein Pferdeschwanz begann, über seine Schulter zu tentakeln.
 

„Das ist echt… unheimlich“, murmelte Kai bei dem Anblick.
 

„Mit den Fühlern Dinge zu britzeln ist natürlich völlig harmlos dagegen“, warf Skia ein und grinste ein wenig frech, während sich seine Strähnen über den Schatten hermachten, ihn in kleine schwarze Pünktchen wie Staub zerlegten, der dann, wie von einem Magneten angezogen, gegen seine Haut sausten, um einfach darin zu verschwinden.
 

„Touché!“ gab Kai zu und briet die Packung weg.
 

Dafür dass die Welt Kopf stand, war das hier ein recht besinnlicher Tagesstart. Aber Kai war sich ziemlich sicher, dass in dieser Hinsicht noch nicht das letzte Wort gesprochen war.



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